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Umschlaggestaltung: Maria Baranova. Umschlagbild: Susanne ...... Sachverhalten, ohne dass sie als Zensur groß auffällig wurden (Schmitz-. Berning; Johnson ...
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Rainer Strzolka Das Internet als Weltbibliothek Suchmaschinen und ihre Bedeutung für den Wissenserwerb

Berlin 2008 Simon Verlag für Bibliothekswissen

ISBN 978-3-940862-00-6 Bibliografische Informationen der deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie Copyright © 2008 Simon Verlag für Bibliothekswissen, Berlin Alle deutsche Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Maria Baranova Umschlagbild: Susanne Engelmann Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. No part of this book may be used or reproduced in any manner whatsoever without written permission except in the case of brief quotations embodied in critical articles or reviews. Gesamtherstellung: Simon Verlag für Bibliothekswissen Riehlstrasse. 13 10057 Berlin Deutschland www.simon-bibliothekswissen.de Druck und buchbinderische Verarbeitung Buchbinderei Art-Druck, Szczecin

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis .............................................................................................5 Zur Einführung.................................................................................................7 1. Prodomus et incipit – das Private und das Öffentliche ........................12 2. Zensur versus Monokultur........................................................................18 3. Zensur existiert nicht .................................................................................21 4. Globale kulturelle Normierung durch das Internet ..............................23 5. Naivität und Realität...................................................................................24 6. Informationsportale ...................................................................................25 7. Skepsis – eine Basistugend ........................................................................26 8. Totalüberwachung der Bevölkerung als politisches Ziel.......................27 9. Das Internet - das vertraute Unbekannte ...............................................30 10. Zensur und die Folgen für den geistigen Zustand einer globalen Informationsgesellschaft.........................................................................33 11. Blue Ribbon Campaign ...........................................................................35 12. Überwachung von Telekommunikation - in der Europäischen Union Demokratiestandard? ..................................................................36 13. Zensur durch staatliche Maßnahmen ....................................................38 13.1. Zensur und Manipulation über Provider .....................................39 14. Geben und Nehmen ................................................................................40 15. Regulierung durch Selbstkontrolle der Nutzer ....................................48 15.1. Suchmaschinen werden zu Selektionsmaschinen .......................48 15.2. Die Kontrolle von E-Mail-Verkehr ......................................... 49 16. Suchmaschinen: Monokultur als Zensurmethode...............................51 16.1. Suchmaschinen zensieren nicht – ihre Betreiber organisieren Zensur .........................................................................56 16.2. Privatsphäre, Suchmaschinen und die Naivität der Nutzer ......58 17. Internet und Medienkompetenz – Internet und Fernsehen ..............62 17.1. Zensur als Qualitätsmerkmal von Medieninformationen .........63 17.2. Das Internet als Alltagsmedium ....................................................64 17.3. Vier Seiten einer Medaille – die Informations-Monokultur......64 18. Zweifelhaftes Ranking .............................................................................66 18.1. Zensur durch Technokraten versus Zensur durch Politiker .....66 18.2. The Very Truth and The Verisign .................................................67 18.3. The Sight, the Sign, the Truth and the Finder ............................67 5

19. Suchmaschinen, Weisse Zensur und Statistik ......................................68 19.1. Amazonen sind Papageien und Pferde und Frauen ...................69 19.2. Internetprofile und persönliche Interessen? ...............................71 20. Sammlung intimer Daten und Zensur...................................................74 20.1. Zielgruppengerechte Zensur – regional und selbstgerecht .......76 20.2. Zensur durch Google - Thema der Harvard-Forschung ...........77 20.3. Googles Sichtweise ..........................................................................81 20.4. Suchmaschinen und Kirche – eine Allianz ..................................82 20.5. Zensur und Idiotenfallen ................................................................84 20.6. Das Internet, der Jugendschutz, der Volkswartbund und der Thekenbibliothekar der fünfziger Jahre .......................................90 20.7. Der Sonderfall China? .....................................................................92 20.8. Zensur in anderen Staaten ..............................................................93 20.9. Zensur im Dienste von Disney, Columbia und Company ........97 21. Nationale Gesetzgebung in einer weltweiten Informationsumgebung ..........................................................................99 22. Die weite Welt, die Zensur, die internationale Provinz und Deutschland ................................................................................... 100 22.1. Zensur wird selbstverständlich ................................................... 102 22.2. Zensur zerstört .............................................................................. 105 22.3. Zensur und ihr Umfeld ................................................................ 105 23. Honi, qui ... ............................................................................................ 107 23.1. Google hat die Netzwelt verändert ............................................ 108 23.2. Zensur und Pädagogik? ............................................................... 109 24. Zensur ist ein Signum unserer Zeit ..................................................... 113 25. Offizielle Ideologie und Realität ......................................................... 116 25.1. Filterfunktionen der Suchmaschinen – ein trostloses Kapitel .................................................................... 117 25.2. Universal-Suchmaschinen und internationales Recht ............................................................................................... 119 26. Was tun? .................................................................................................. 138 Abbildungen ................................................................................................. 149 Literatur ........................................................................................................ 150

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Zur Einführung Wenn vor Jahren schon prophezeit wurde, dass Informationen zunehmend zu einem Wirtschaftsfaktor werden und der Slogan von der richtigen Information zur richtigen Zeit das Ziel aller Arbeit der Informationsvermittler wurde, ahnte man nicht, wie sehr diese Wahrheiten nicht nur die ökonomischen, sondern auch die sozialen und kulturellen Beziehungen gegenwärtig beherrschen werden. Vor einigen Jahren dachte man in erster Linie an die Industrie, besonders die pharmazeutische, für die richtige Informationen immer einen Wettbewerbsvorteil bedeuteten, der lebenswichtig sein konnte. Heute ist das Netz oder „Net“, wie der Autor es nennt, zu einer Informationsmaschine für jedermann geworden, von der Buchung einer Reise, bis zur Information über Aktienkurse oder „historische Hintergründe“ berühmter Menschen. Damit sind aber auch große Gefahren verbunden, da dieser große und unendlich wachsende Markt nicht immer ehrenwerte Anbieter anlockt, denen man immer und zu jeder Zeit trauen kann. In journalistischer Art, oft auch satirisch, aber mit großer Sachkenntnis, blättert der Autor alle Gefahren auf, die heute eine umfassende und objektive Informationsvermittlung verhindern. Bequemlichkeit, mangelnde Informationskompetenz auf der einen Seite, kommerzielle oder politische Interessen auf der anderen Seite können einer vertrauenswürdigen Informationsversorgung entgegen stehen. Der Autor zeigt, wieviele Gesichter Zensur haben kann, Selbstzensur, da man nicht alle Quellen ausschöpft oder Technik falsch nutzt, oder auch als Zensur, die wir nicht bemerken und von der wir nichts ahnen. Das Buch erläutert, wie sehr sich die Bibliotheken wandeln und wandeln müssen, wollen sie von einer bedrohten Einrichtung sich zu einer reformieren, der man in dieser Netzwelt vertrauen kann. Damit verbunden sind aber radikale Änderungen: von einer Institution, die an erster Stelle ihre Aufgabe in der Entwicklung der Ressourcen sah, müssen Bibliothekare heute zu MeisterRerchercheuren werden. Sie müssen den Lesern, in welcher Funktion auch immer, beim Recherchieren helfen, damit über die Ressourcen der eigenen Bibliothek hinaus, fremde Ressouren zu Rate gezogen werden können. Das bedeutet, die Kenntnis von Suchmaschinen und Beständen außerhalb ihrer Bibliothek ist unabdingbar. Darüber hinaus müssen sie 7

Informationskompetenz vermitteln. Nur dadurch kann der suchende Benutzer zu einem Kunden werden, der alle Ressourcen nutzt und nicht nur blind die Suchworte in die weit verbreitete Suchmaschine Google eintippt. Alle aufgeführten Internetadressen wurden im September 2007 überprüft. Simon Verlag für Bibliothekswissen wünscht sich eine weite Verbreitung dieses z.T. kontrovers zur herrschenden Meinung geschriebenen Buches, damit nicht der Orwellsche Staat, dessen Bedrohung viele Kapitel dieses Buches hier beschreibt, zur Wirklichkeit wird und alle Aufklärung und den Willen und die Möglichkeiten zur selbstbestimmten Information vernichtet. Januar 2008 Simon Verlag für Bibliothekswissen

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Das Net. Das ist ein schönes Land. Voll Kirchen und Schablonen. Herr Suhrbier Der Verdacht liegt nahe, dass diejenigen, die das aufgeblasene Wort von der alles verändernden „Kulturtechnik“ im Munde führen, das Internet selbst nie aufgesucht haben und es daher für eine geheimnisvolle und komplizierte Welt halten. In Wahrheit ist das Internet ein zwar großes, aber schlichtes Reich. Ein bißchen wie Rußland. Max Goldt Google amounts to a privacy disaster waiting to happen. Those newlycommissioned data-mining bureaucrats in Washington can only dream about the sort of slick efficiency that Google has already achieved. Daniel Brandt Geht der Staat den rechten Weg, kann man freimütig reden und entschlossen handeln. Geht der Staat nicht den rechten Weg, dann sollte man entschlossen handeln, aber zurückhaltend in seinen Reden sein. Konfuzius

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Neulich, beim Psychiater – Therapiestunde mit einem Java-Applet

(erzeugt mit: http://bs.cyty.com/menschen/e-etzold/archiv/science/rat.htm)

Eliza: Hallo, ich bin Eliza. Erzähle mir von Deinem Problem... Ich fürchte mich, weil ich glaube, dass das Intenet ein großer Misthaufen mit Zensur ist Eliza: Fürchtest du dich wirklich? Ja. tu ich. Eliza: Das reicht. Wofür soll das reichen? Ich hab Angst, dass ich manipuliert werde. Eliza: Hast du noch andere Ängste? Ja. Jede Menge. Das es eines Tages Google nicht mehr geben könnnte. Eliza: Wirklich? Ja. Ich liebe Google. Google ist besser als ich. Eliza: Du bist nicht der einzige, der Google liebt. Vor allem Bibliothekare lieben Google, weil sie besser als Google sind. Ich weiß das. Ich bin gerne so wie alle. Eliza: Du bist gerne so wie alle - das ist wirklich nicht einfach. Nein. Es macht alles schwer, vor allem das Denken Eliza: Was glaubst du? Ich glaube, dass Google nicht für immer sein wird, aber ich glaube auch, dass Google zensiert. Eliza: Aber du bist dir nicht sicher? Doch, eigentlich bin ich mir sehr sicher. Eliza: Warum fragst du mich? Weil Du alles weißt, und ich alles über dich im Internet finden kann. Ich bin so einsam. Eliza: Magst du es, so einsam zu sein? Nein. Deshalb bin ich ja im Internet unterwegs. Eliza: Überleg nochmal! du kannst selbst darauf antworten. Hab ich doch gerade. Eliza: Scherz beiseite, kommen wir zur Sache! Ich glaube, dass Google Zensur ausübt. Eliza: Wieso? Weil ich dort viele Dinge nicht finde, die ich mit anderen Suchmaschinen mühelos finde Eliza: Und - was jetzt? Das wollte ich Dich ja fragen. Eliza: Reden wir über dich. Ich bin völlig uninteressant. 10

Rainer Strzolka

1. Prodomus et incipit – das Private und das Öffentliche Privater und öffentlicher Raum werden durch das Internet massiv verändert. Privat bezeichnet Gegenstände, Bereiche und Angelegenheiten, die nicht der Allgemeinheit gehören bzw. offenstehen, sondern nur einer einzelnen Person oder einer eingegrenzten Gruppe von Personen, die untereinander in einem intimen bzw. einem Vertrauensverhältnis stehen. Durch Internetdienste werden solche für den privaten Raum gedachten Informationen erfasst, gesammelt und vermarktet. Auf der anderen Seite werden für die Öffentlichkeit bestimmte Informationen kanalisiert und zensiert; Privatheit und Öffentlichkeit bilden also auf der technischen Basis von Internetkommunikation eine Dyade von einer bislang unbekannten Brisanz. In vielen Fällen bedingen sie sich gegenseitig. Da die Sichtung nur einer Seite verschobene Perspektiven generiert, sollen einige dieser Mechanismen in diesem Buch allgemein verständlich und beispielhaft dargestellt werden, auf der Basis elektronischer und gedruckter Quellen. Offiziell ist die Privatheit der Bürger in unserer Gesellschaft geschützt, und Zensur findet angeblich nicht statt. In dieser Hinsicht sind sich die demokratischen Gesellschaften in den offiziellen Verlautbarungen ihrer Politiker ähnlich; diese erzählen, dass Zensurfreiheit eine Basis der Demokratie sei (Baumgärtel 1998; Berson 1999; Billows 2001, Boldt 2000; Censorship on the information highway 1997). Angeblich herrsche Freiheit, Gleichheit und Vorurteilslosigkeit im Internet. Noch vor wenigen Jahren war die Vorstellung, das Internet sei wertfrei und Zensur darin unerwünscht und sogar unmöglich, Allgemeingut der veröffentlichten Meinung. Das Internet wurde als Demokratiemaschine verstanden, als Gegenbewegung zu Zensur und Meinungskontrolle, zur politischen und wissenschaftlichen Realität. Allerdings hat sich seit einiger Zeit herumgesprochen, dass Vielfalt im Internet der Mainstream-Suchmaschinen eine Illusion ist. Vielmehr versorgen sich die wichtigen Suchmaschinen untereinander mit Daten. Obwohl die Situation durch ständige Zu- und Verkäufe sehr unübersichtlich ist, stellt sie sich ungefähr wie folgt dar: 12

Das Internet als Weltbibliothek Open Directory Project versorgt u. a. Acoon, Excite, Dino, Google Seekport Espotting Espotting u.a. AllesKlar, Acoon, Freenet, Lycos, Fireball, Stern.de, Metaspinner, Seekport Overture u.a. Altavista, Alltheweb, Excite, Abacho, MSN, AOL, Netscape Google u.a. T-online, AOL, Teoma, Askjeeves, Fit for Fun, Focus Online, Freenet, Stern, Tripod AllesKlar u.a. Lycos, Fireball AskJeeves u.a. Stern Teoma versorgt u.a. AskJeeves Alltheweb u.a. Lycos, Excite, Espotting Yahoo u.a. Espotting, MSN, Lycos, Hotbot, Overture, AllTheWeb, Web.de Eine graphische Darstellung diverser Beziehungen von Suchmaschinen findet sich bei www.suchfibel.de von Stefan Karzauninkat. Tatsächlich ist die Lieferung von primären und sekundären Suchergebnissen, Katalogdaten und vor allem bezahlten Linkverweisen kaum noch zu übersehen. 13

Rainer Strzolka Das Internet als neues Massenmedium erfordert neue Formen von Medien- und Informationskompetenz, deren Vermittlung schwierig ist. Das Internet verteilt Wissen in kanalisierter und bisweilen auch offen und indirekt zensierter Form. Es ist abzuwarten, wieweit tagging-Techniken auf Basis des Web 2.0 hier Änderung erreichen werden. Es gibt technische und ökonomische Beschränkungen der Informations-vielfalt im Netz, die neben echter Zensur wirksam sind (Loosen 2001) und mit dieser verwechselt werden können; ferner gibt es eine von den Anwendern selbst verursachte Monokultur auf dem Markt für Suchmaschinen. In der Statistik für den 25. Mai 2007 (www.webhits.de) ist dies für die am häufigten verwendeten Suchmaschinen folgendermaßen nachzulesen: Google

88.7%

Yahoo

3.6%

MSN Web-Suche

1.9%

T-Online

1.8%

AOL Suche

1.3%

Lycos

0.5%

arcor.de

0.2%

Altavista

0.2%

suche.freenet.de

0.2%

search.com

0.2%

AllesKlar

0.2%

WEB.DE

0.1%

fireball.de

0.1%

Meta.Ger

0.1%

ask.com

0.1%

14

Das Internet als Weltbibliothek DMOZ

0.1%

WEB.DE Verzeichnis

0.1%

Bellnet

0.1%

Abacho

0.1%

AOL Search

0.1%

alltheweb.com

0.0%

gmx.net

0.0%

search.bluewin.ch

0.0%

ixquick.com

0.0%

Dogpile

0.0%

Goo

0.0%

die-reise.de

0.0%

Voila

0.0%

(Verteilung unter 40500 verwendeten Suchergebnissen)

Es ist bei der Interpretation dieser Zahlen zu bedenken, dass die Suchdienste von AOL, T-Online und freenet.de lediglich Google Ergebnisse durchreichen. Umgekehrt vermittelt die Google-Video-Recherche nichts, was nicht der direkte Nutzer von YouTube auch finden könnte. Einige Suchmaschinen sind als Google-Klones im Gegensatz zu anderen reinen Durchreichdiensten offen an den kleinen Google-Logos auf den Seiten zu erkennen. Deren Zugriffsanteile sind nichtsdestotrotz in Wirklichkeit ebenfalls Google-Zugriffe und den Filtermechanismen Googles ausgesetzt. Eine derartige Monokultur ist für eine demokratische Informationsgesellschaft hoch problematisch: Walther Umstätter wies darauf hin, dass für interessierte Kreise ein data mining über die täglichen Anfragen bei Google hoch interessant sei; fernerhin, dass das US-Militär seit Jahren ein großes Interesse daran hat, die Forschung auf dem Gebiet der semantischen Recherche voranzutreiben (Umstätter in Inetbib vom 18. September 2006). 15

Rainer Strzolka Dass die faktische Monopolstellung von Google auch in diesem Kontext problematisch ist, liegt auf der Hand. Die Einwirkungen des Militärs sind bei Diensten wie Google Earth nicht zu übersehen: Interessant wird es dort, wo man nichts sieht. Google zensiert beispielsweise auf Wunsch des schwedischen Geheimdienstes Luftaufnahmen von Waldgebieten, die indische Regierung veranlasst Zensur angeblich strategisch wichtiger Objekte. Der Amtssitz des amerikanischen Vizepräsidenten ist verschwommen verpixelt, Nato-Flughäfen ebenso; Militärcamps im Kosovo, der Königspalast in Utrecht, das Forschungszentrum von IBM in New York sind nicht zu finden (Parusel 2005, Prengel 2006; Patalong 2007). Google Maps zensiert auch Darstellungen des Weissen Hauses, bei dem der Blick auf das Dach retuschiert ist, ebenso der Swimming Pool des US-Präsidenten. Mitten in der Ödnis Kanadas befindet sich eine riesige, zensierte Fläche; in Russland oder Japan gibt es vollkommen geschwärzte Flächen auf den Karten Googles. Es gibt allerdings auch umgekehrte Fälle: Eniro, ein öffentliches Luftbildprogramm, zeigt den Ort, wo sich ein Spionagezentrum der schwedischen Regierung befindet, wie folgt:

[Abbildung 1]

16

Das Internet als Weltbibliothek Google zeigt hingegen eine andere Realität:

[Abbildung 2]

Manche Gemeinden wie Ganderkesee sind als weiße Quadrate abgebildet, andere Gebiete werden mit Waldmustern überzogen, wo gar kein Wald ist. Dergleichen Manipulationen können ständig und unerwartet auftreten: seit dem 13. August 2007 sind die Bilder von Sydney nur noch unscharf zu erkennen. Es werden nur noch vage Umrisse von Gebäuden erkennbar. Grund dafür ist sehr wahrscheinlich der APEC-Gipfel, bei dem diverse Politiker erwartet werden. Der Sydney Morning Herald befragte Google nach den Gründen für die Verschlechterung der Informationsqualität und erhielt die vielsagende Antwort, dies sei aus kommerziellen Gründen geschehen (Quelle: VNU Business Publication, Meldung vom 13. August 2007).

17

Rainer Strzolka

[Abbildung 3]

2. Zensur versus Monokultur Diese Beispiele könnten fortgeführt werden. Während Zensur von Bilddokumenten durch Industrie, Regierungen und einflussreiche Entscheidungsträger verursacht ist, ist die Informationsbeschränkung durch Monokultur anderer Natur. Monokultur ist kein Ergebnis einer Zensurbehörde, sondern durch die Bequemlichkeit der Nutzer selbst verursacht. Rund 85% der Benutzer des Internet betrachten nur die Ergebnisse der ersten Ergebnisseite einer Suchmaschine, ebenso viele machen nur eine einzige Recherchesitzung; der größte Teil sucht mit Ein- oder Zweiwortsuchen und ebenfalls rund 80% benutzen keinerlei Boole’sche Operatoren. Hierdurch wird massiv erschwert, valide Suchergebnisse zu erlangen und der Beliebigkeit anheimgestellt, obgleich 18

Das Internet als Weltbibliothek die zugrunde liegende Logik nicht schwer durchschaubar ist. Deren Verwendung erfolgt bei den wichtigsten Suchmaschinen in folgender Weise (nach: www.suchfibel.de): Name UND Abacho Acoon Allesklar

Weitere Funktionen

Logische Verknüpfung ODER

automatisch durch Leerzeichen: a b +a +b

NICHT

NEAR

Trunkierung

a -b

nein

nein

a -b

nein

nein

nein

nein

„Suchwo“

ab

a -b

nein

a OR b

a AND NOT b

a NEAR b (10 Worte)

a oder b ab

Automatisch, erst und, dann oder Simple:

+a +b

Alta Vista Advanced

a AND b

Suchwo*

Dino

Leerzeichen: ab

a OR b

a NOT b

nein

Suchwo*

Excite.de

+a +b a AND b

a OR b

a AND NOT b

nein

nein

a b1

a -b

nein

Express: Fireball Detail: Google

Hot Bot

a& b a AND b

Automatisch durch Leerzeichen: ab Ausser bei Einstellung a +b „Boolean Expression“ Boolean Expression

Infoseek

+a +b

a AND b a&b

+a +b

a!b a OR b

a|b a~b a AND a NEAR b NOT b

neue Suche

a -b

nein

ab

a -b

nein

Suchwo*

Automatisch

nein a OR b a|b

a NOT b a!b

nein

ab

a -b

nein

Automatisch

19

Rainer Strzolka Auswahlbutton „alle Wörter“

Auswahlbutton „ein Wort“

Profi-Suche

a AND b

a OR b

Dropdown

Auswahl „alle Wörter“

Auswahl „eines d. Wörter“

nein

a AND b

a OR b

a AND NOT b

nein

StandardSuche Lycos.de

MSN Search erweiterte Suche

direkte Eingabe

nein

nein Automatisch

a NOT b a NEAR b Auswahl „genaür Ausdruck“

Automatisch

Open Directory

+a +b

ab

+a -b

nein

Suchwo*

Sharelook

ab

neue Suche

nein

nein

Automatisch

Speedfind

+a +b

a ,b

a -b

a NEAR b(10 Worte)2

Suchwo* Suchwo?t

Web.de

a b oder a + b

Auswahlliste: alle oder einen Begriff

nein

nein

Automatisch

Yahoo.de

a +b

ab

a -b

nein

Suchwo*

Es liegt auf der Hand, dass das bequeme Ignorieren derartiger Operatoren für eine zwingend nach mathematischen Algorithmen organisierte Recherche dazu führt, dass viele relevante Informationen gar nicht gefunden werden können. Jedermann, der ein Blatt Papier vor die Nase gelegt bekäme mit dem Auftrag, eine Rechenaufgabe zu rechnen mit den folgenden Zahlen 385613 3,1 17631 1 98 würde dieses Aufgabe als unlösbar zurückweisen, weil die zur Lösung notwendigen Operatoren fehlten. Von einer Suchmaschine aber erwar20

Das Internet als Weltbibliothek ten die Anwender, dass sie ohne solche Hinweise herausfindet, welches Informations-Problem sie lösen soll. Ohne Technik romantisieren zu wollen, ist ein solches Ansinnen selbst einem Roboter gegenüber ungerecht, der keine Seele besitzt, die gekränkt sein könnte. Ein weiteres Problem, welches nicht ursächlich beim Anwender liegt, und dessen Konsequenzen sowohl zu zufälligen Selektionen von Informationen führen können als auch bewusst zur Zensur verwandt wird, ist die Art und Weise, wie der Index einer Suchmaschine aktualisiert wird. So brachten Thiele und Speck (2004) das Beispiel einer Bildsuche bei Google und bei Yahoo mit den Suchbegriffen: „abu ghraib torture“ . Google hatte zu diesem Thema drei Treffer, Yahoo 332. Auf direkte Nachfrage gab Google bekannt, dass der Index für die Bildsuche „überholt“ sei. In der Tat zeigt sich wenige Monate nach der Anfrage von Thiele und Speck ein vollkommen anderes Ergebnis. Am 29. September 2006 bot Google 1990 Treffer, Yahoo 662, wobei Google erhebliche Dubletten nachwies und als eigene Treffer zählte. Ein Merkmal von Google ist, dass es sich darum bemüht, Anlaufstelle für sämliche elektronischen Aktivitäten zu werden und damit zur Handlungszentrale des Nutzers im Net. Neben so überflüssigen Nebenprodukten wie Froogle, einem Einkaufsführer, gibt es Google News, Google Scholar, oder Google Mail. Google Scholar stellt den Versuch dar, sich ein wenig vom Ruch der kaufbaren Informationen zu befreien und Konkurrenz für wissenschaftliche Suchmaschinen wie Exalead, Vivisimo, oder Scirus zu werden. Ein Problem bei allen Google-Dienstleistungen ist der fehlende Datenschutz bei hoch entwickelter Sammlungsfreude persönlicher Merkmale der Nutzer.

3. Zensur existiert nicht Offiziell existiert Zensur nicht. Zensuranhänger sprechen in der Regel lieber von „Regulierung“ als von Meinungsunterdrückung. Regulierung steht in diesem Zusammenhang in einer Reihe mit „Kopfpauschale“, „Verbrauchende Embryonenforschung“, „Reformdividende“, „Umbau des Sozialstaats“, „Diätenanpassung“, „Rentnerschwemme“, „Wohlstandsmüll“, „sozialverträgliches Frühableben“, „Gotteskrieger“, „Ich21

Rainer Strzolka AG“, „Humankapital“ und „Entlassungs-Produktivität“ und anderer Schöpfungen orwellscher Neusprache. Derartige Formulierungen funktionierten schon in anderen Mediensystemen erfolgreich zur Zensur von Sachverhalten, ohne dass sie als Zensur groß auffällig wurden (SchmitzBerning; Johnson 1998; Liddy 1999; Marchard 1997; Marshall 1999, Martin 1998; Ortiz 2005; Westphal und Towel 1998; Kleiner 2005; Fischer 2003; Breür 2001; Buddemeier 2000; Münker 1999; Weßler 1997; Schulte 1992; Kalt 1992; Bucher 1991; Kemp 1990; Kepplinger 1989; Hoffmann 1988; Nestmann 1980;). Dencker zeigte beispielsweise schon 1984 an bedenklichen Beispielen, wie sehr das Fernsehen sich innerhalb kurzer Zeit zu einem Verfälschungsmedium entwickelte. Frühzeitig wurde versucht, das Internet analog zu anderen Medien zu kontrollieren (Foerstel 1998; Sumpter 1999). Dabei sollte diskutiert werden, ob es zur Medienzensur so etwas wie eine Evolution gibt (Mehta 2002; Merten 1994; Neugebauer 1999; Ortiz 2005; Prüfer 2001). In Deutschland hat wahrscheinlich Rainer Kuhlen als erster die engen Zusammenhänge zwischen Filter-, Abblock- und Rating-Verfahren formuliert, die als Zensur wahrgenommen werden können. Ein diskussionswürdiges Thema der Medienethik ist die Frage der Wahrnehmung von Zensur durch die betroffenen Anwender von Medien (McCabe, Lee 1997). Der Beginn der Diskussion um Internetzensur datiert aus den neunziger Jahren und Bibliothekare waren - nach den Technikern (McGuiness 1995) - unter den ersten, die vor allem im angelsächsischen Sprachraum die Problematik diskutierten (Albon 2002; Allison 1998; Annichiarico 1997; Bracy et al 1995; für Australien: Akdeniz 1998, Ali 1996; Robinson 2001: Rodan 2003; Sager 1997; Siegel 1998). Die Bibliothekare sahen sich keineswegs durchweg als Verfechter freien Informationsflusses, vielfach wurde das Bild des moralisierenden Thekenbibliothekars aus den fünfziger Jahren re-aktiviert; nur unter technokratischem Vorzeichen (Banks 1998, Baule u. Thompson 1998; Burt 1997, Burton 1995; Callister 2004; Colaric; 2003; Cover 2003; Hagloch 1999: Hitchcock 1999; Hyman 1997; Keene 2004; Kravitz 2002). Mittlerweile scheint Zensur von Bibliothekaren als normales Phänomen hingenommen zu werden (Halbach 2005). Die Zahl der zensurkritischen Publikationen sinkt. Allerdings existiert in den USA noch eine umfang22

Das Internet als Weltbibliothek reiche Diskussion zu der Frage, wieweit Zensur in Bibliotheken mit dem First Amendment zur amerikanischen Verfassung vereinbar sei, die Zensur praktisch verbietet (Mertz 1998; Mullin 1996; Peace 1997; Peace 2003; Peck 2000), aber in der Praxis oft genug umgangen wird (R. Doyle 1999; T. Doyle 2002). Zensur durch Bibliothekare wird teils als regelrechter Bestandteil des Berufsbildes betrachtet, zum Teil als Stigma (Minkel 2000). Bisweilen wird Zensur als patriotischer Akt verstanden (Platt 2003). Interessanterweise taucht in Zusammenhang mit Zensur der angestaubte Begriff des „intermediary“ wieder auf (Frydman, Rorive 2002). In den USA gibt es noch immer den Volksglauben, das Anbieten unerwünschter Inhalte könne beispielsweise die Charakterentwicklung der Kinder der gesamten Nation ruinieren (Hoj 1998; Holland 2002). Es gibt auch Beispiele für eine umfassende Kontrolle des Surfverhaltens von britischen Schülern und Studenten (Hope 2005). Nicht aus der Pädagogik, sondern aus der Soziologie stammen Studien über die sozialen Konsequenzen von Filtertechniken, was nicht verwundert, weil die Soziologie Verhalten erforschen möchte (Hunter 2000). Die Entwicklung von offiziell zensierenden Kindersuchmaschinen war nur eine Episode (Jörns 2001). Zensur erfolgt seither dezent. Diese Maschinen, die auf sinistre Namen hörten, die klangen, als wären sie direkt aus einem Päderastenhirn ausgeschlüpft, wurden nur von Pädagogen und sehr wahrscheinlich von keinem einzigen Kind benutzt. Sie hießen Blinde-Kuh, Milkmoon, Trampeltier, Safetykid, Helles Köpfchen, Clikks, oder Cyperzwerge. Die Entwickler dieser Maschinen machten die gleichen Fehler, wie viele Bibliothekare, die über Kinderliteratur publizieren: beide haben nicht die geringste Ahnung davon, wie Kinder denken und leben. Vereinzelt und spät wurden von der Medienpädagogik Versuche unternommen, Zensur sachlich zu diskutieren (Baumann 2005).

4. Globale kulturelle Normierung durch das Internet In traditionell oralen Kulturen könnte das Internet dazu dienen, das Buchzeitalter weitgehend zu überspringen. Insgesamt verlief die Etablierung von Bibliotheken beispielsweise in Afrika nicht sonderlich erfolgreich (Strzolka 2000; Burnheim 1999). Auf diese Weise wird das Internet zu einer Instanz, die kulturelle Vielfalt global normiert (Burniske 1999; 23

Rainer Strzolka Muszwazi 2000). Die Zensur in einander ähnlichen Kulturräumen umfasst mittlerweile große Teile ganzer Kontinente (Houissa 2000). Dank seiner verteilten Struktur bildet das Internet ein Politikum erster Güte, und gilt als Hoffnungsmarkt für Ideologen aller Couleur. Die Berichterstattung in der Öffentlichkeit zum Thema Internet beschränkt sich wegen der Undurchschaubarkeit des Netzes auf Randerscheinungen mit Sensationscharakter, so Gebrauchsanleitungen zum Bombenbau oder die Darstellungen sexueller Aberrationen und Gewalttätigkeiten. Es ist nicht abzustreiten, dass das Net beispielsweise ein großes Angebot von Darstellungen gefilmter Vergewaltigungen enthält, die teils fakes, teils echt sind (Gossett und Byrne 2002). Zugleich wird versucht, das Unregulierbare zu regulieren, allerdings sperrt sich das Net aufgrund seiner militärischen Herkunft weitgehend gegen solche Versuche, wie es sie zugleich ermutigt. Auffallend ist, dass in der Diskussion um Zensur zunehmend weniger von konkreten Tatbeständen die Rede ist, sondern eher von deviance, was nichts weiter als „abweichendes Verhalten“ meint – ohne dass gesagt wird, wovon dieses Verhalten denn abweicht. Durch eine solche semantische Aufweichung ist Zensur ohne jeden Rechtfertigungszwang der Zensoren möglich.

5. Naivität und Realität Mittlerweile muß die Naivität, mit der das Internet als Gegenbild zur „realen Welt“, und als zensur- und wertfrei gesehen wird, kritisch beobachtet werden. Das Internet ist Teil der realen Welt, denn es wird von Menschen gestaltet. Informationsvermittlern sind Fragen von Zensur, Zensurbemühungen und Datenmanipulation zum Einen nicht bewußt; ebenso, dass viele Informationen aufgrund von schlichter Inkompetenz der Anwender im Umgang mit Suchmaschinen nicht gefunden werden. Beide Aspekte – fehlende Informationskompetenz und Zensur – gehen eine unheilvolle Allianz ein. Hinzu kommt, dass Informationen auch aus technisch bedingten Gründen nicht gefunden werden können. Das Internet ist in ständigem Wandel, weshalb in der Regel Wiederholungsrecherchen zum selben Thema schon innerhalb von Tagen andere Ergebnisse zeigen als die ersten Recherchen. Allerdings macht kaum jemand solche Recherchen, sondern die meisten Anwender geben sich mit einer einmaligen Anfrage an eine der Mainstream-Suchmaschinen zufrieden. 24

Das Internet als Weltbibliothek Wenn für konventionelle Kataloge gilt, dass der Input durch die Katalogisierer um ein erhebliches größer ist als der output, durch den Nutzer, so gilt dies in noch größerem Umfange für das Internet, da dort die Informationen von den verschiedensten Anbietern eingepflegt werden, ohne die geringste Vereinheitlichung von Präsentationsformen und Terminologien. Lediglich bei den Datenformaten haben sich einige Standards durchgesetzt. Das Internet ist eine ausgesprochen heterogene Datensammlung und keineswegs „die größte Bibliothek der Welt“ wie immer wieder zu hören ist. Zu den wichtigsten Eigenschaften einer Bibliothek gehört die planvolle Sammlung und Erschließung von Wissen. Was wir im Internet finden, ist sehr weit von dieser Vorstellung entfernt. Für den realen Teil der Bibliotheken wird in europäischen Staaten gelten, dass Skandale wie jener um den früheren Direktor der Amerika-Gedenk-Bibliothek zu Berlin, Heinz Steinberg, der Benutzer, die „linke“ Literatur ausliehen, dem Verfassungsschutz meldete, der Vergangenheit angehören (Hollender 2005). Für den virtuellen Teil fehlen bislang Erfahrungen, oder zumindest Berichte zu diesem Thema.

6. Informationsportale Informationsportale verengen den Weg in eine Wissensgesellschaft. Es ist davon auszugehen, dass der weitaus größte Teil von Informationen, die über das Internet abrufbar wären, gar nicht abgerufen werden, weil die Informationsströme im Netz so kanalisiert sind, dass Informationen ausserhalb des Mainstream kaum aufgesucht werden. So wird immer wieder übersehen, dass die favorisierten Informationsportale vor allem Informationen ausblenden, um von deren Betreibern gewünschte Inhalte prominent sichtbar anzubieten. Informationsportale fördern die Fokussierung auf gewünschte Quellen. Dies kommt der Neigung vieler Menschen zu selektiver Wahrnehmung und Bequemlichkeit entgegen. Die Informationsvielfalt wird durch sie nicht gefördert, auch wenn die Werbung für diese Portale dies suggeriert. Die wenigsten Anbieter behaupten aber explizit, dass ihre Portale die Informationsvielfalt steigern, sondern sie beschränken sich auf die zutreffende Feststellung, dass sie Informationen aus verschiedenen Quellen bündeln und unter einer Oberfläche zur Verfügung stellen, was jedoch zu absurd verkürzten Informationsangeboten führen kann. 25

Rainer Strzolka Die Nutzung solcher Portale garantiert nicht optimale Informationsergebnisse Ihre Nutzung kann dazu führen, dass manche Fragen überhaupt nicht beantwortet werden können und andere nur aus der Perspektive bestimmter Interessengruppen, die die dort angebotenen Informationen kommerziell verteilen. Das Problembewußtsein zu Fragen von Informations-Kompetenz – die mehr ist als Recherchekompetenz scheint aber tendenziell zu sinken. Das Internet dringt als Massenmedium in den Alltag der Mittelschichten ein, die das Internet genauso selbstverständlich und genauso unkritisch als Medium nutzen wie ab den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts den Rundfunk, der sich als massenmediale Manipulationsmaschine entpuppte statt als Informationsmedium.

7. Skepsis – eine Basistugend Dabei wäre Skepsis gegenüber dem Internet gerechtfertigt, lagen seine Anfänge doch in militärischen Strategieplänen. Die Vorstellung, das Internet sei ein Werkzeug zur Demokratisierung der Welt, kann naiv erscheinen. Es fällt schwer, sich vorzustellen, ein Werkzeug zur Demokratisierung der Welt könne aus einer zutiefst undemokratischen Institution wie dem Militär heraus entstehen. Diese Erkenntnis sorgte für die Theorie, das Internet sei von den Militärs als öffentliches Medium freigegeben worden, um eine umfassende Gedankenkontrolle der Menschen zu ermöglichen. Der Gedanke hat in der Tat etwas Bestechendes: verfolgt man die Äußerungen von Menschen in allen möglichen Foren, die das Internet zur Verfügung stellt, so kann man der Illusion erliegen, ein Persönlichkeitsprofil des freizügig soviel über sich selbst Publizierenden zu finden. Nicht immer ist aber ist diese Hoffnung eine Illusion – schlichte Charaktere sind mit ihrem Profil im Internet sicherlich gut zu erfassen. Es ist jedenfalls bekannt, dass Personalchefs sich einen Eindruck von Bewerbern via Recherche im Net verschaffen. Da sie in der Regel nur die ersten Treffer betrachten, können massive Fehlurteile auf diese Weise entstehen. So kann das Internet zum Karrierekiller werden. Vielfach entsteht sogar der Eindruck, dass Menschen, die im Internet keine Spuren hinterlassen, gar nicht existieren. Dieser Eindruck ist falsch. Die Datensammelwut von Firmen und Institutionen über Menschen, die im Internet ihre Spuren hinterlassen, ist grenzenlos. Hieran sind nicht nur 26

Das Internet als Weltbibliothek die großen kommerziellen Suchmaschinen beteiligt, sondern beispielsweise auch Behörden und Internetversand- und Auktionshäuser. Nicht zuletzt gibt es Foren wie „Twitter“, mit denen die Privatsphäre offensichtlich komplett abgeschafft werden kann – unter freiwilliger Förderung durch die Mitglieder (Kremp 2007). Mittlerweile sind von staatlicher Seite umfassende Bemühungen erkennbar, die Kontrolle über die Bevölkerung auszugestalten.

8. Totalüberwachung der Bevölkerung als politisches Ziel Nach Plänen von Union und SPD soll ab Mitte 2007 zur verbesserten Strafverfolgung nachvollziehbar werden, wer mit wem in den letzten sechs Monaten per Telefon, Handy oder Email in Verbindung gestanden hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten werden. Anonyme Emailkonten und Anonymisierungsdienste sollen verboten werden. Mit Hilfe der gespeicherten Daten können Bewegungsprofile erstellt, geschäftliche Kontakte rekonstruiert und Freundschaftsbeziehungen identifiziert werden. Auch Rückschlüsse auf den Inhalt der Kommunikation, auf persönliche Interessen und die Lebenssituation der Kommunizierenden werden möglich. Zugriff auf die Daten sollen Polizei, Staatsanwaltschaft und Behörden ausländischer Staaten erhalten. Derzeit dürfen Telekommunikationsanbieter nur die zur Abrechnung erforderlichen Verbindungsdaten speichern. Dazu gehören Standortdaten und Email-Verbindungsdaten nicht. Der Kunde kann verlangen, dass Abrechnungsdaten mit Rechnungsversand gelöscht werden. Durch die Benutzung von Pauschaltarifen kann eine Speicherung zudem bisher gänzlich vermieden werden, was etwa für Journalisten und Beratungsstellen wichtig sein kann. Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet die Bundesregierung eine Totalerfassung der Internetbewegungen der Bevölkerung zu einem Zeitpunkt anstrebt, in dem Googles Speicherung von Suchanfragen in das Visier europäischer Datenschützer geraten ist. Durch die umfassende Speicherung von Anfragen verletzt Google sehr wahrscheinlich europäische Datenschutzgesetze (Alarmierte Datenschützer 2007). 27

Rainer Strzolka Wo liegt das Problem? Die aktuellen Pläne der Bundesregierung zur Aufzeichnung von Informationen über die Mediennutzung jedes Bürgers stellen die bislang größte Gefahr für unser Recht auf ein selbstbestimmtes und privates Leben dar. Kurz zusammengefasst wären die Konsequenzen: „Unter einer Vorratsdatenspeicherung würden wir alle leiden: •









Eine Vorratsdatenspeicherung beeinträchtigt berufliche Aktivitäten (z.B. in den Bereichen Medizin, Recht, Kirche, Journalismus) ebenso wie politische und unternehmerische Aktivitäten, die Vertraulichkeit voraussetzen. Dadurch schadet sie letztlich unserer freiheitlichen Gesellschaft insgesamt. Eine Vorratsdatenspeicherung verhindert Terrorismus oder Kriminalität nicht. Sie ist unnötig und kann von Kriminellen leicht umgangen werden. Eine Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen das Menschenrecht auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung. Eine Vorratsdatenspeicherung ist teuer und belastet Wirtschaft und Verbraucher. Eine Vorratsdatenspeicherung diskriminiert Nutzer von Telefon, Mobiltelefon und Internet gegenüber anderen Kommunikationsformen.“

(Quelle: www.Vorratsdatenspeicherung.de) Nicht zuletzt wirft eine Vorratsdatenspeicherung Probleme auf, die kaum mit den Prinzipien eines Rechtsstaates vereinbar sind: sollte die von der Bundesregierung als „unverzichtbar“ bezeichnete Vorratsdatenspeicherung tatsächlich realisiert werden, so ist diese nur durch faktische Online-Durchsuchung privater PCs möglich. Technische Basis einer solchen Durchsuchung wäre die Installation eines sogenannten „Trojaners“. 28

Das Internet als Weltbibliothek Solche Trojaner werden aber in der Regel von Anti-Viren-Programmen aufgespürt. Da ein Verbot von Antivirenprogrammen kaum durchsetzbar ist, wäre der Staat auf die Zusammenarbeit mit den Herstellern von Anti-Viren-Programmen angewiesen. Ein Trojaner ist und bleibt eine Spionage-Software, gleichgültig, wer ihn programmiert und anwendet. Auch staatliche „Bundestrojaner“ müssten technische Merkmale von Schadsoftware enthalten. Da die heuristische Analyse durch Virenscanner die Anhänge von Emails oder Downloads auf definierte verdächtige Eigenschaften untersucht, käme sie nicht umhin, auch staatliche Bespitzelungsprogramme als solche zu identifizieren. Eine AntiVirensoftware unterscheidet nicht zwischen „bösen“ und „guten, staatlichen“ Spitzelprogrammen. Für solche Programme sind beide aus gutem Grunde Schadsoftware (Malware). Das Dilemma könnte nur dadurch gelöst werden, dass die staatlichen Stellen den exakten Code ihrer Spitzelsoftware an alle Anbieter von Anti-Viren-Programmen weitergeben, damit diese gezielte Schlupflöcher für die amtlichen Programme schaffen könnten, was für die Ethik eines seriösen Softwarehauses eine Zumutung wäre. Ein Problem ist zudem, dass im Grunde sämtliche internationalen Hersteller solcher Programme dazu veranlasst werden müssten, einen deutschen Sonderweg zur Bespitzelung der Bevölkerung zu unterstützen, gegen den die Maßnahmen der Staatssicherheit in der DDR nur ein bescheidener Versuch der Überwachung gewesen wären. Unterhaltsam ist, dass Google, als die Pläne der Bundesregierung für diese Vorratsdatenspeicherung bekannt wurden, damit drohte, seinen Maildienst in Deutschland einzustellen. Eine solche Ankündigung kann nur als Marketingaktion bewertet werden, um von dem eigenen schlechten Ruf Googles bezüglich der Vorratsdatenspeicherung bei seinen Nutzern abzulenken. Es ist schon verwunderlich, wenn ausgerechnet Google die Wichtigkeit von Anonymität postuliert. Mittelfristig ist davon auszugehen, dass Suchmaschinen in ein derartiges Kontrollnetz einbezogen werden, da es durchaus interessant sein kann, wer welche Themen im Net recherchiert. Da eine Suchmaschine nur die Daten aufbereitet und nachweist, die ein Crawler zuvor eingesammelt hat, bietet sich hier ein weites Arbeitsfeld für Zensur.

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