Eine Brücke in die Gesellschaft

14.11.2015 - Der größte Teil der Schüler ist männlich. Die Ehemänner seien froh gewesen, dass ihre Gattin- nen in einer Frauenklasse unter- richtet würden ...
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LOKALES 19

SAM ST AG, 14. NOVEM BER 20 15

Deutsch sprechen und gemeinsam Arbeitsblätter erarbeiten: Der Unterricht soll den Schülern Spaß machen.

BILDER: SN/JUDITH SCHMIDHUBER

Eine Brücke in die Gesellschaft Eine Schule für Asylbewerber haben ehrenamtliche Helfer in Trostberg auf die Beine gestellt. Sprache ist längst nicht das Einzige, was Asylbewerber in der Brückenschule lernen. JUDITH SCHMIDHUBER TROSTBERG. Wo arbeitet ein Kell-

ner? Womit beschäftigt sich ein Feuerwehrmann? Was macht der Friseur? Kinderleichte Fragen, sollte man meinen. Ein Flüchtling, der erst seit Kurzem hier lebt, muss allerdings erst überlegen, bis er korrekt antworten kann. Mustafa meldet sich: „Der Friseur schneidet Haare. Und Bart. Und Nasenhaare auch.“ Der junge Afghane grinst. Er ist einer der Schüler in „Deutsch 2“. Mustafa spricht bereits ganz passables Deutsch, kann für andere übersetzen und mit den Lehrern Witze machen. „Es macht Spaß hier“, sagt er. Das ist wohl der Grund, warum sich binnen kürzester Zeit 35 Trostberger bereit erklärten, in ihrer Freizeit zu unterrichten. „Wir haben das Glück, dass wir viele richtige Lehrer haben. Jeder wird von einem Laien unterstützt, damit immer mindestens zwei Personen eine Klasse leiten“, erklärt Marianne Penn. Sie ist die Initiatorin der Brückenschule. Die Trostbergerin vermittelt Asylbewerber in Arbeitsverhält-

nisse und weiß, wie wichtig dazu die Sprache ist. Ihr war schnell klar: Eine eigene Schule muss her. „Wir haben 100 Flüchtlinge in Trostberg, verteilt auf mehrere Unterkünfte. Ein gemeinsamer Deutschunterricht war so nicht möglich.“ Durch Zufall erfuhr sie von zwei ungenutzten Klassenzimmern in der Realschule. Schulleitung und Landratsamt waren sofort einverstanden. Mit Brigitte Bartl und Simone Ishaq fand sie zwei Mitstreiterinnen und sie begannen, Lehrkräfte um Mithilfe zu bitten. Mit Brückenschule war noch dazu ein Name gefunden: „Weil wir eine Brücke in die Gesellschaft schlagen. Damit können wir uns ganz toll identifizieren.“ Als Nächstes ging es ans Ausarbeiten der Stundenpläne. Jeder Asylbewerber musste einen Test ablegen. „Damit wir einen groben Überblick haben, wie es um seine Deutschkenntnisse steht“, erklärt Brigitte Bartl. „Wir haben einen ganz unterschiedlichen Leistungsstand.“ Einige hätten ein abgeschlossenes Studium und nur ein paar Fragen zur Grammatik. Andere könnten nicht einmal

das ABC. Die Gründe offenbaren die Schüler ihren Lehrern nach und nach: Manche Afghanen schildern, dass die Taliban Unterricht verboten hätten. Andere erzählen, dass die Eltern den Schulweg für zu gefährlich hielten. Der größte Teil der Schüler ist männlich. Die Ehemänner seien froh gewesen, dass ihre Gattinnen in einer Frauenklasse unterrichtet würden, berichtet Simone Ishaq. „Das sind Dinge, auf die wir im Ethikunterricht eingehen. Das sind ja riesengroße Unterschiede zwischen ihrem Herkunftsland und Deutschland. Da muss man sie jetzt langsam hinführen.“ Dass die Lehrkräfte überwiegend weiblich seien, mache keinerlei Probleme. „Toleranz zu vermitteln, das ist ein großer Auftrag der Brückenschule“, betont Marianne Penn. Ethik komme unwahrscheinlich gut an, sagt sie. „Hier können sich die Flüchtlinge öffnen.“ Der Stundenplan basiert auf Erfahrungswerten der Flüchtlingshelferinnen. Neben Deutsch und Ethik gibt es auch Unterricht in Mathematik, Heimatkunde und Straßenverkehr. Hier sieht

Simone Ishaq große Defizite. Wundern müsse das keinen, sagt sie: „Manche kennen es gar nicht, dass so viele Autos fahren.“ Auf der anderen Seite gebe es in Ländern wie Pakistan keine Ampeln. „Da drückt man dem Polizisten einen Geldschein in die Hand, damit der den Verkehr anhält und man über die Straße gehen kann.“ Komplettiert wird das Fächerangebot durch Computerkurse, die eine Realschullehrerin in ihrem Unterrichtsraum gibt. Einige Asylbewerber spielen in einer gemeinsamen Theater-AG mit Realschülern mit. Das Projekt Brückenschule entwickelte in kürzester Zeit eine Eigendynamik, die selbst die drei Initiatorinnen überrascht. Die Lehrkräfte sind voller Tatendrang, tauschen wöchentlich ihre Erfahrungen aus, beratschlagen, wie sie den Unterricht verbessern können. Nachbargemeinden hätten schon gefragt, ob sie ihre Asylbewerber nicht auch in die Brückenschule schicken könnten. Marianne Penn hofft auf Nachahmer. „Das ist ein ganz großes Glück, dass unsere Idee so gut funktioniert.“