Eine Birne unter Aepfeln - Buch.de

Handicap: ein echter Bayer, mitten unter Bon- nern. Ein Außenseiter. Und er spürt es mit schmerzendem Unbehagen: Ich bin auch sonst etwas anders. Wie soll ...
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Hanns Bierner

Eine Birne unter Äpfeln Bunte Episoden aus einem langen, bewegten schwulen Leben Autobiografischer Roman

© 2013 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2013 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag, Berlin Coverbild: Fotolia, #46887227 - Junger Mann vor großer Entscheidung© mdworscha Printed in Germany ISBN 978-3-8459-0745-1 AAVAA Verlag, Hohen Neuendorf, bei Berlin www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Dieser autobiografische Roman ist gewidmet meinen Nichten Clarissa und Petra

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Vorwort

Geneigte Leserin, geneigter Leser, seit ich Bücher lese, frage ich mich immer wieder: wozu braucht ein Buch ein Vorwort? Man will doch gleich mitten rein in die Story. „Keine graue Theorie, bitte!“ Nun, wo ich selber ein paar Kurzgeschichten zum Besten geben will, merke ich: Ohne Vorwort geht gar nichts. Darum stürzen wir uns einfach mal rein: Jede Menge Fragen: Wer bin ich, warum schreibe ich diese Geschichten überhaupt auf – und für wen? Was will ich überhaupt damit sagen –oder gar bewirken? Fragen über Fragen. Jetzt bin ich selber auf die Antworten gespannt. Also, wer bin ich? Ich bin ein älterer Herr, Mitte Sechzig, (zu) groß gewachsen und ein Leben lang etwas übergewichtig, nicht unattraktiv, charmant und freundlich, mit einer lieben aber konservativen Familie und einem beglückenden Freundes-

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kreis gesegnet, meist lustig und unterhalte mich besonders gerne mit Frauen jeden Alters. Seit vor über drei Jahren mein Lebenspartner gestorben ist, bin ich Witwer (worauf ich gesteigerten Wert lege – und nicht „Junggeselle“) und ich bin schwul. Wenn hier gleich jemand schlucken muss und denkt: der alte Depp sollte sein abartiges Geschlechtsleben doch nicht so aus dem Fenster halten… Wenn man so ist, dann behält man das unter der Decke. Notfalls kann man ja mal ganz guten Freunden andeuten, dass man sich dem eigenen Geschlecht zugeneigt fühlt. - So ein Leser oder eine Leserin sollte das Büchlein gleich wieder aus der Hand legen. Es könnte ein zartes Gemüt verletzen. Denn ich habe ein sehr erfülltes Leben hinter mir. Mich hat meine geschlechtliche Orientierung dieses Leben lang verfolgt. So gut wie nie ein Gedanke, der nicht gleich durch diesen Fakt relativiert worden wäre. Ich habe oft sehr darunter gelitten, aber manchmal auch unendlich gro-

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ßes Glück erlebt. Viele kleine Glücksmomente sowieso. Ich bin auch ein Zeitzeuge des schwulen Lebens und der schwulen Befindlichkeiten in den letzten sechs Jahrzehnten. Hineingeboren in ein unerträgliches Klima von Verlogenheit, Bigotterie, sexueller Unterdrückung, und offenem Schwulenhass habe ich glücklicherweise im Laufe der Jahrzehnte eine offenere Gesellschaft heranwachsen sehen dürfen. Und wir, mein Lebenspartner und ich haben viel dafür getan, dass man Menschen mit gleichgeschlechtlicher Veranlagung zumindest im Familien- Freundes- und Bekanntenkreis eigentlich voll akzeptiert. Darauf waren wir auch immer unendlich stolz. Aber was heißt das? „Man toleriert uns…“ Das pardon – ist mir immer noch deutlich zu wenig! So habe ich auf meine alten Tage beschlossen, mich aus meinem in Jahrzehnten mit viel Geschick und Feingefühl aufgebauten, bequemen und wohnlichen Schneckenhaus heraus zu wagen, um mit meinen teils lustigen, teils traurigen, 6

manchmal auch etwas (homo- ) erotischen kleinen Geschichten zu zeigen, dass Schwule eigentlich ganz genau so sind wie Du und ich. Ich möchte das allen Heteros zeigen, die meinen, sie müssten sich über uns erheben. Aber gerade auch den jungen Schwulen und Lesben, denen heute immer noch eingeredet wird, welche Sünde auf ihnen lastet und wie minderwertig sie im Vergleich zu dem „normalen“ Jungen oder Mädchen von nebenan sind, den Rücken stärken. „Normal“ zu sein ist weder ein Verdienst noch eine besonders hervorzuhebende persönliche. Eigenschaft. Für jeden Apfel ist eine Birne „nicht normal“!

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Wie die Idee kam, alles niederzuschreiben…

Ich stehe hier in Bonn-Kessenich in einem bürgerlichen Wohnviertel und betrachte die zweistöckigen, gepflegten und renovierten Wohngebäude. Die Häuser sind fast so alt wie ich, wohl sechzig Jahre und haben sich sehr gut gehalten. Eingebettet in gepflegten Rasen und Ziersträucher. Nur da, wo früher ein Sandkasten war, wurde ein großes Beet gepflanzt. Die hölzerne Umrandung ist aber noch erhalten. Hier habe ich einen Teil meiner Kindheit verbracht. Ein großgewachsener hübscher Junge mit dichten blonden Haaren, sieben Jahre jung, wohlerzogen und wohlbehütet, aus gutbürgerlichem Hause, ein guter Schüler, aber mit einem Handicap: ein echter Bayer, mitten unter Bonnern. Ein Außenseiter. Und er spürt es mit schmerzendem Unbehagen: Ich bin auch sonst etwas anders. Wie soll ich mein Leben meistern??

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Heute, nach etwa sechzig Jahren stehe ich also wieder da. Und wenn ich so zurück blicke: Ja! Ich habe es geschafft. Ich bin nicht zerbrochen, ich blicke auf ein erfülltes Leben zurück, habe gut und bürgerlich gelebt, habe mir „die Hörner abgestoßen“ und habe über fast vier Jahrzehnte eine sehr glückliche Zweierbeziehung gelebt. Nur der Tod konnte sie beenden – wenn überhaupt. Bin aber auch durchs Fegefeuer gegangen, habe mein fürchterliches Knäuel an „Karma“, das mir in die Wiege gelegt wurde, entwirrt – und das ohne daran zu Scheitern. Nur eins habe ich nie getan: Ich habe mich nicht verbiegen lassen. Und darauf bin ich heute so unendlich stolz. Wie fing das eigentlich alles an? Ich versuche mich zu erinnern…. DO YOU KNOW WHAT LIFE IS? TO LOVE SOMEBODY!

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Wer kennt ihn nicht diesen alten Schmachtfetzen; vor Jahrzehnten gesungen von Nina Simone, einer dunkelhäutigen, sehr erotischen Sängerin? Do you know, what life is? To love somebody – the way I love you! Aha, das Leben lernt nur kennen, wer weiß, was Liebe ist ... Der Rest ist einfach eine wunderschöne Ballade über die bittersüße Liebe zwischen Mann und Frau. Aber so weit bin ich dem englischen Text gar nicht gefolgt. Mir reichten die ersten Zeilen, die Musik und Simones erotische Stimme. Anscheinend habe ich dieses Lied als ganz junger Mensch zu oft gehört und zu sehr verinnerlicht. So suchte auch ich ein Leben lang nach der Liebe. Ich habe sie auch gefunden. Nicht nur einmal. Und wenn das Ziel meiner Wünsche Frauen gewesen wären, deren Nähe ich suchte, hätte man höchst anerkennend in meiner bayerischen Heimat gesagt: „A Hundling war er scho!“ Ich war der langerwartete Stammhalter meiner Familie. Meine ältere Schwester hatte schon einen festen Platz in der Familienhierarchie eingenommen und war fast elf Jahre der Augapfel 10

meines Vaters gewesen. Aber als der Zweite Weltkrieg und die Kriegsgefangenschaft meines Vaters zu Ende gingen, bekam die nicht sonderlich glückliche Ehe meiner Eltern einen ungeahnten Aufschwung. Hurra, wir leben noch! Die Ehe besserte sich nicht dauerhaft, aber die Frucht einer hoffentlich glücklichen Nacht erfreute neun Monate später die stolzen Eltern sehr. In eine gute deutsche Familie gehörte halt ein „Stammhalter“, der Name und Bestand der Familie weiterführte. Für meine Schwester musste dieses Ereignis die größte Katastrophe ihres jungen Lebens gewesen sein. Ohne eigenes Zutun wurde das gehätschelte Einzelkind plötzlich zurückgestuft. Sie hat mir das wahrscheinlich auch nie wirklich verziehen. Im tiefsten Inneren herrschte lebenslanger Groll, Missgunst und Neid. Natürlich versuchte sie meistens, das nicht zu zeigen. Aber jeder, der sie näher kannte, merkte bald, dass sie das mir und ihrer Mutter nie hatte verzeihen können. Ich schreibe das, weil ich versuche, Gründe zu finden, warum dieser Neid mich unterschwellig ein

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Leben lang verfolgt hat. Ich möchte verzeihen und vergessen. Es ist nicht leicht. Als Kind war ich ein sogenannter Wonneproppen, gehätschelt und verwöhnt von meinen Eltern und meiner großen Schwester, auf die ich immer besonders stolz war. Es hätte alles so schön sein können. Wenn ich nur nicht im Vorschulalter plötzlich entdeckt hätte, dass mir das Ballett-Tutu meiner großen Schwester auch recht gut stand. Die Familie amüsierte sich köstlich – und die Angelegenheit war schnell vergessen. Aber irgendwie merkte ich, dass meine Interessen anders waren, als die meiner Spielkameraden. Eines Tages saß ich mit meinen Eltern in einem schattigen Biergarten in Augsburg, als eine junge Größe des deutschen Fußballs mit Manager und Gefolge an einem der anderen Tische Platz nahm. „Mein Gott, das ist doch der Helmut Haller“, rief verzückt mein Vater. „Da gehst du jetzt hin und lässt dir ein Autogramm geben!“ „Nein, ich traue mich nicht!“, jammerte ich. Aber meine Eltern drangen beide in mich. Der 12

gute Sohn stand auf, ging zu dem Tisch mit den vielen Männern, hielt dem bestaussehenden einen Bierdeckel hin und bat um ein Autogramm. Betretenes Schweigen. Dann meinte einer der Männer: „Du willst wohl eins von Helmut Haller.“ Alles lachte. Und ich bekam von einem blonden Milchgesicht sogar ein unterschriebenes Foto. Ich ging ganz stolz zurück an den Tisch meiner Eltern. Aber irgendwie war mein Vater trotzdem nicht zufrieden. „Dein Sohn!“, sagte Papa streng zu Mama. Kann es sein, dass mich mein Papa von da ab nicht mehr so richtig liebte? Als ich dann auch noch ein Lied von Zarah Leander parodierte und im Familienrund zum Besten gab, machte das die Sache nicht besser. „Schau, Papi, was der Junge alles kann!“, sagte süßlich meine Mama zu Papa. Erst viel später erkannte ich, dass das kein nettes Kompliment für mich, sondern eine schallende Ohrfeige für meinen Papa war. Mama rächte sich gerne mit solch

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kleinen Spitzen für eine völlig verkorkste Ehe und ein unerfülltes Ehe-Leben. Papa zog sich von seinem offensichtlich missratenen Sohn immer mehr zurück. Meine Schwester sprang in die Bresche, kannte viele Fußballer namentlich und vertrat von Kindesbeinen an eine strickt rechte politische Gesinnung, was Papa mächtig imponierte. Sie wettete auch mal um ein Fußballergebnis mit ihm und eroberte sich so bei Papa ihren angestammten Platz in der ersten Reihe wieder zurück. Ich war einfach zu stolz, um mich „anzubiedern“. Auch damals schon! Ich versuchte es stattdessen mit Liebe, die aber immer mehr zurückgewiesen wurde. Mama hingehen arrangierte sich besser mit der möglichen Andersartigkeit ihres Sohnes. In einem alten Chanson heißt es: „Mütter, lieber einen schwulen Sohn als ein altes Wollkleid im Winter.“ Vielleicht trifft diese bittere Weisheit die Sache ziemlich genau. Gerade für Mütter hat so ein Sohn durchaus auch seine Vorteile. Ich selber wusste eigentlich gar nicht, was mit mir los war. Warum hatte ich die Liebe meines Vaters verloren? Was hatte ich Schlimmes getan? 14

Wen sollte ich denn nur danach fragen? Vielleicht Oma? Mit dieser wundervollen, kreuzbraven, aber auch völlig lebensfremden Frau machte ich öfter mal ausgiebige Spaziergänge. „Oma, ich muss dich mal was fragen …“ Oma hörte sich meine Geschichte, meine Bedenken, meine Klagen ausgiebig an. Sie unterbrach mich nie – und es sprudelte aus mir heraus. Als ich endlich alles haarklein losgeworden war, versuchte sie, mich liebevoll zu trösten. Aber bald war mir klar, dass sie einfach überhaupt nichts verstanden hatte. Also war ich wieder ganz alleine mit meinen Problemen. Warum hatte sich Papa von mir abgewandt? Warum war ich mir auch bei meiner Mama nicht mehr so sicher, dass sie mich einfach nur meinethalben liebte? Auch bei meiner Schwester wusste ich nicht so recht, woran ich war. Aber, was konnte ich entgegenhalten? Wie konnte ich sie wieder ganz zurückerobern? Klar, noch mehr Liebe, noch mehr Zuneigung, noch mehr Gefälligkeiten, noch mehr Anpassung, noch mehr kleine Geschenke. So musste es funktionieren. 15