Ein Sommer-Wochenende im jungen, hippen Jena - The Concept ...

Begleiten Sie unsere Reporter. Michael Schoepperl und Michael Handelmann nach. Thüringen, ins wunderschöne Saale-Tal. HEIMAT. UNSERE SCHÖNE.
3MB Größe 22 Downloads 315 Ansichten
Unsere schöne Heimat – Jena

UNSERE SCHÖNE

HEIMAT Die SUPERillu-Serie

Ein Sommer-Wochenende im jungen, hippen Jena

F

ritz Mitte“ hält die Luke offen, bis auch der Letzte satt ist. Rund 30 Leute, vom Hornbrillen-Hipster bis zum kuttentragenden Altrocker, von Mutti in Schürze bis zu Mädels in betörend-kurzen Miniröcken – alle stehen sie an Jenas Kultimbiss Schlange, warten geduldig auf ihre Pommes. Jena. Am Eingang zur Wagnergasse, weit nach Mitternacht. Und immer noch ist’s schwülwarm. Die Altstadt ist längst

28

|

SUPERillu

Nr. 30/2015

Bitte blättern Sie um E

FOTO: Michae Handelmann/SUPERillu

Die Uni hat 25 000 Studenten. Jeder Dritte hier ist unter 27. Jena ist eine junge Stadt, aber mit großer Historie. Begleiten Sie unsere Reporter Michael Schoepperl und Michael Handelmann nach Thüringen, ins wunderschöne Saale-Tal

Die Wagnergasse ist Jenas Ausgehmeile Nr. 1: Restaurants, Bars, dahinter der JenTower – und mittendrin in dieser warmen Sommernacht Reman Szala und Lu Elektra

Dornburg

OS

TS

B7

EE

Wagnergasse

B 88

JenTower Theaterhaus

E40

Jena

E40 THÜRIN

GEN

Unsere schöne Heimat – Jena

Die schöne, schlaue Stadt im Tal der Saale. Wo Zeiss an unserer Optik schraubte und Schiller und Goethe Freunde wurden Beste Aussichten: vorne der Turm der Stadtkirche St. Michael, dahinter öffnet sich eine sanfte Hügelwelt

30

|

SUPERillu

Nr. 30/2015

Blick in eine Werkstatt im Optischen Museum. Das Haus bietet eine Zeitreise durch die Geschichte der Optik

Fortsetzung von Seite 28

Partyzone. Kein Wunder: Ein gutes Drittel der Bevölkerung ist unter 27. Jena ist hip, anziehend. Nicht nur für die rund 25 000 Studenten der weithin gerühmten Friedrich-Schiller-Universität. Sondern auch für junge Künstler, Musiker, für Leute, die „ihr Ding machen wollen“. Einer, der weiß, wie das geht, ist „FritzMitte“-Chef Stefan Herrmann. Jenenser, also im Gegensatz zu zugezogenen „Jenaern“ einer, der hier geboren ist. „Es ist Liebe“, umschreibt der 37-Jährige seine Gefühle für Jena. Weil die „Zusammenarbeit mit der Stadt klappt“, weil hier „junge Konzepte funktionieren“. Beste Beispiele sind Stefans Läden: das „Agent Cooper“ (nach dem Ermittler aus der TV-KultSerie „Twin Peaks“) an der Bachstraße 17. Am Hackeschen Markt in Berlin wird „Mode für den modernen Mann“ auch nicht cooler in Szene gesetzt. Das „Kolibri“ unweit ist das Pendant für die junge Frau von Welt. Und nicht mehr lange, dann öffnet sein „Streetfood-Restaurant“ - ein Wunder wär’s, wenn’s floppt. Stefans Revier sind die Straßen rund um die legendäre Wagnergasse, welche quasi

Ein schmaler Pfad entlang der Muschelkalkfelsen: Mit Birgit Gudziol sind wir ein Stück auf der „Saale Horizontale“ gewandert. Immer wieder ergeben sich dabei herrliche Blicke ins Tal und auf Jena

Der Marktplatz von Jena, am „Hanfried“, der den Uni-Gründer Johann Friedrich I. von Sachsen zeigt, ist ein beliebter Treffpunkt der Jugend

FOTOS: Michael Handelmann/SUPERillu

In unterschiedlichen Facetten präsentiert das Stadtmuseum am Markt 7 Jenaer Geschichte. Laura und Anne (r.) diskutieren gerade ein um 1520 entstandenes Werk - die „Marienkrönung“

das „Epi-Zentrum“ aller Jenaer Feierfreudigkeit ist. Darunter Restaurants wie der Dauerbrenner „Stilbruch“. Grundsätzlich reiht sich hier eine Bar an die andere. Die Atmosphäre: ein bisschen gemütlicher Dorfanger, ein bisschen Laufsteg der Eitelkeit. Und ab Herbst leider auch Bühne für eine große Baustelle, von der alle hier inständig hoffen, dass diese den feucht-fröhlichen Sommerpartys nicht eine schier endlose „Katerstimmung“ folgen lässt. Bitte blättern Sie um �

Unsere schöne Heimat – Jena

Unser Tipp Für eine Stadttour wollen wir Ihnen Sabine Weiß empfehlen. Ob auf den Spuren von Zeiss oder Schiller – sie macht’s mit viel Herz (www. jenastadtfuehrung. de)

Sternenbilder, die Entstehung unseres Sonnensystems – Jürgen Hellwig, Chef im Zeiss-Planetarium von Jena, kann’s erklären. Beeindruckend sind auch Shows, etwa zur Musik von Pink Floyd

32

|

SUPERillu

Nr. 30/2015

Sternendeuter, Strippenzieher und ein Londoner Lebenskünstler, der sein Herz an eine Jenenserin verlor

FOTOS: Michael Handelmann/SUPERillu

Fortsetzung von Seite 31

Aber wenn eine Stadt weiß, wie man das Beste aus misslichen Situationen herausholt, dann Jena. Denn, sagen wir es mal so, Jena ist vom städtebaulichen Gesamtbild nicht gerade ein zweites Heidelberg. Man sieht schon, dass es industrielle Bedürfnisse rund um die großen Köpfe der Stadt wie Carl Zeiss, Ernst Abbe, Otto Schott waren, die der Stadt einst ihre Stempel aufgedrückt haben. Wie das „B 15“, das man 1915 auch deshalb stolze 42 Meter gen Himmel wachsen ließ, weil man vom Dach prima neueste Entfernungsmessgeräte testen konnte. Oder das „B 59“, auch eher wuchtig, einst Zeiss-Wissenschaftszentrum und in Erinnerung an das Nachwende-Wirken eines früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten als Jenoptik-Chef von der Bevölkerung „Empire-Späth-Building“ getauft. Klar: der alles überragende JenTower! Pah, sagt man hier, „ist eben unser Wahrzeichen“, und außerdem kann man kaum irgendwo leckerer essen als oben auf Etage 28, wo im „Scala“ eine breite Fensterfront den Blick auf die Hügelketten der Saaleregion freigibt. Und: Es hätte alles schlimmer kommen können. Etwa, hätte sich einst Walter Ulbricht mit seinen bizarren Stadtplänen durchgesetzt, in deren Folge die Innenstadt geschliffen worden wäre und als sozialistische Modellstadt samt umkreiselnder Schwebebahn à la Wuppertal angedacht war. Nein. Das passt und ergänzt sich schon alles soweit ganz gut in Jena: das romantische Gartenhaus Schillers (der in Jena zehn Jahre lebte und damit doppelt so lange wie in der „Schillerstadt Weimar“ - was einem jeder Lokalpatriot gerne genüsslich vorrechnet!) und - als Kontrast – der nüchterne Ernst-Abbe-Platz mit Teilen des hochmodernen Uni-Campus. Wem der Stilmix wirklich mal zuviel werden sollte, der zieht sich am besten ins „Paradies“ zurück. In jenen schönen Park hinterm gleichnamigen Bahnhof, wo einen am Fluss Ausflugsgaststätten, Cafés und viel Grün erwarten. Oder man hebt den Blick aus dem Tal heraus nach oben, auf die Muschelkalkhänge ringsum. Auf die anmutigen Höhen wie den Jenzig, den

Bilder, in denen er einen seiner Protagonisten schon mal „zum Affen“ macht: Die Kunst von Andrew Tong will unterhalten, aber auch provozieren Julia Tripke kam als Studentin – und blieb. Ihre Illustrationen nutzt auch das Stadtmarketing (www. sympathiegestalten.de) Belgische Pommes, selbst kreierte Saucen: Stefan (l.) und Thorsten managen die Kult-Imbissbude „Fritz Mitte“ am Johannisplatz 21 in Jena

Bitte blättern Sie um �

Unsere schöne Heimat – Jena

Unser Tipp Nachmittags einen leckeren Kuchen, abends einen Absacker auf der Terrasse: Wir empfehlen dazu einen Besuch im „Theatercafé“, Schillergässchen 1

Theater, Konzerte wie 2015 mit Calexico oder Element of Crime: der Theatervorplatz unterhalb des JenTowers wird beim Festival Kulturarena zur großen Stadtbühne

Bühne frei für Rock am Turm und eine ruhige Tour auf der Saale Fortsetzung von Seite 33

Hausberg oder den Landgraf. Schnürt festes Schuhwerk und zieht beispielsweise mit Wanderführerin Birgit Gudziol los. Folgt dem prämierten Wanderpfad „Saale Horizontale“ (total: 70 km) um die Stadt und gegebenenfalls entlang des Saale-Tals bis rauf zu den malerischen Schlösserwelten von Dornburg. Birgit Gudziol ist eine, die es aufs Wunderbarste versteht, erzählerisch-leicht Brücken zu schlagen, zwischen dem Jena von heute und dem vor 200 Jahren, das Goethe und Schiller in seinen Bann zog und darüber hinaus viele Intellektuelle der damaligen Zeit anlockte, unter deren tätiger Mithilfe sich schließlich die Ideen der „Jenaer Frühromantik“ herauskristallisierten. Angefeuert von der Strahlkraft der Französischen Revolution und im Gefühl einer schmerzhaft erlebten

34

|

SUPERillu

Nr. 30/2015

Die Saale, hier die Hügel, dort eine historische Burg: eine Paddeltour, etwa nach Dornburg, macht gute Laune (Infos: www.saalestrand-kanu.de)

deutschen „Rückständigkeit des Geistes“. Hier lohnt es, ein waches Auge zu haben auf die vielen Veranstaltungen zum Jenaer Themenjahr „Romantik. Licht. Unendlichkeit“. Welches exakt dieses romantische Erbe mit weiteren traditionellen Wurzeln der Stadt aus optischer Industrie und Wissenschaft zu einem schönen Reigen von Theaterabenden, Konzerten, Lesungen und Installationen zusammenführt (www.romantik-jena.de). Wie legt man sich nun diese vielfältige Stadt in der Kürze der Zeit zurecht? Eine geführte Stadttour sollte schon sein! Und am Markt, wo der Uni-Gründer bronzern thront, wo einen ein schmuckes Stadtmuseum erwartet, wo es bei Hausnummer 11 in der Kaffeerösterei einen ziemlich guten Espresso gibt - da hält das Team der Touristen-Information (tgl. ab 10 Uhr) gleich einen ganzen Strauß thematisch unterschiedlichster Touren für Sie bereit (www. jenatourismus.de). Und sonst? Wer’s sportlich will, paddelt die Saale entlang (halber Tag bis Dornburg, 14 Flusskilometer, Boote via www.saalestrand-kanu.de), oder bikt über den Saale-Radwanderweg. Und, wenn der Sommer mal wieder nicht so ganz mitspielt: „Downtown“ gibt’s, angefangen beim Optischen Museum am Carl-Zeiss-Platz 12 (Di.-Fr. ab 10, Sa. ab 11 Uhr) bis zu den Vorführungen im Planetarium (www.planetarium-jena.de), auch an trüben Tagen jede Menge „Lichtblicke“. Bestes Sommerwetter wünschen wir insbesondere dem Festival Kulturarena. Jahr für Jahr ist es der Höhepunkt der „Sommer-und-Draußen-Saison“. Nicht zuletzt mit seinen Konzerten auf dem Theatervorplatz, wo sich bis 23. August u.a. noch „Element of Crime“ (18.7.), Tanita

FOTOS: Michael Handelmann/SUPERillu

Bitte blättern Sie um �

Hier schlafen Sie gut Der Name „VielHarmonie“ ist eine Anspielung auf das Musikleben Jenas. 19 schön gestaltete Zimmer, teilweise mit Altstadtblick vom Balkon (DZ ab 80 Euro), erwarten Sie in der Bachstr. 14, Tel.: 03641/7962171, www.hotel-vielharmonie.de

L A N D U N D L E U T E � E I N P O R T R ÄT

Christian Hills Tischgeschichten

Führt im historischen Kostüm durch Dornburgs Schlösserwelt: Christian Hill, hier vor dem Speisesalon im schönen Rokoko-Schloss

W

ährend des Geschichtsund Kunststudiums in Jena hat er sein Herz an die Saale-Region verloren. Und ist geblieben. In Jena, aber eben auch auf den Dornburger Schlösssern führt Christian Hill, inzwischen 36, die Gäste – mal als Türmer, mal als Schlossgärtner – charmant und mit viel Liebe zum Detail durch die herrlichen Anlagen (z. B. Kostümführung bis 25 Personen). Dabei wäre es vielleicht geblieben, wäre da nicht Hills Leidenschaft fürs Kochen und für historische Kochbücher (er hat davon zu Hause in Neuengönna etliche Regalmeter stehen!). Und, zweitens, wäre er nicht vor Jahren Barbara Kösling über den Weg gelaufen: in den Archiven des „Schott Unternehmensarchiv“ in Jena, wo sie arbeitete und er ein Studentenpraktikum absolvierte. Mit der gemeinsamen Begeisterung für Jenaer Hauswirtschaftsglas, Thüringer Geschichte und einer ausgeprägten Freude am Kochen und Essen fing alles an: Anhand alter Chroniken, Tagebücher und Briefe haben beide irgendwann begonnen, die Jenenser Gaumenfreuden und Tischsitten vergangener Zeiten akribisch zu rekonstruieren. Das Resultat: 2012 erschien ihr erstes Buch „Jenaer Tischgeschichten. Eine kulinarische Reise durch fünf Jahrhunderte“.

Die Idee, biografisch-kulinarische Skizzen bekannter Persönlichkeiten der Stadtgeschichte (u.a. Otto Schott, Friedrich Schiller), gemixt mit Rezepten, aufzubereiten, verfing. Inzwischen gibt es ein Nachfolge-Werk, übrigens schön illustriert von Grafikerin Julia Tripke (siehe auch Foto S. 33), und „Mahlzeit!“ betitelt. Das Autoren-Duo Hill und Kösling hat darin 20 berühmten Thüringern – von Luther über Goethe bis zu Ernst Abbe, Ulf Merbold und Helmut Recknagel – tief in die Töpfe geschaut. Sie haben in allerlei historischen Akten und alten Kochbüchern Köstliches aus fünf Jahrhunderten gefunden – „wunderbar geeignet zum Nachlesen, Nachkochen und Sich-munden-Lassen“, wie Hill es formuliert. Das Buch ist eine herrliche „kulinarische Zeitreise“, gespickt mit 135 historischen Rezepten und gewürzt mit einer Vielzahl von Anekdoten. Denn, um einen weiteren Porträtierten aus dem Buch, den thüringischen Volksmusikanten Herbert Roth, zu Wort kommen zu lassen: „Ein Sonntag ohne Klöße verlöre viel von seiner Größe!“ („Mahlzeit!“ kostet 19,90 Euro, Infos zu Hills Touren und Bücher via www. lebenskultour.de) Zusammen mit Barbara Kösling hat Kunsthistoriker Hill ein neues Kochbuch aufgelegt, wieder historisch angereichert. Der Titel: „Mahlzeit!“ Nr. 30/2015

SUPERillu

|

35