1
Thorsten Köder
EINMAL RAUCHER UND ZURÜCK Ein Selbstversuch freie edition © 2011 AAVAA Verlag UG (haftungsbeschränkt) Quickborner Str. 78 – 80, 13439 Berlin Alle Rechte vorbehalten eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! www.aavaa‐verlag.de 1. Auflage 2011 Umschlagbild hartphotography Printed in Germany ISBN 978‐3‐86254‐504‐9
2
Dieser Roman wurde bewusst so belassen, wie ihn der Autor geschaffen hat, und spiegelt dessen originale Ausdruckskraft und Fantasie wider. Alle Personen und Namen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
3
„Mit dem Rauchen aufzuhören, ist kinderleicht. Ich habe es schon hundertmal geschafft.“ Mark Twain, 1835 – 1910
4
Prolog Hallo. Mein Name ist Simone, ich bin 26 Jahre alt, habe schulterlange, mittelblonde Haare, bin 165 cm lang (oder kurz) und bin zwar nicht dick, aber auch nicht außerge‐ wöhnlich schlank. Einfach nur normal. Ich arbeite als freie Journalistin für diverse Printmedien und (sehr, sehr selten – eigentlich erst ein Mal) TV‐ Anstalten, je nachdem, wer meine Beiträge kauft. Da man sich in dieser Branche, wenn man keinen großen Namen trägt, besonders schwer tut, muss man sich etwas Außerge‐ wöhnliches einfallen lassen, um damit seinen Lebensunter‐ halt bestreiten zu können. Neulich Abend war ich mal wieder mit Freunden unter‐ wegs, wir waren nett etwas trinken gegangen im Biergarten. Ich hasse es, wenn mir Zigarettenrauch ins Gesicht zieht, aber der Wind stand total ungünstig und ich habe von allen Seiten eine volle Ladung abbekommen. Also habe ich als militante Nie‐Raucherin (wie ich auf diesen Begriff komme, erkläre ich später) verbal um mich geschlagen und alle Raucher in unserer Clique verflucht. Irgendwann muss ich dann wohl gefragt haben: „Was findet ihr Raucher nur an diesen widerlichen Dingern?“. Und dann hatte ich eine 5
Diskussion am Hals mit einem mindestens genauso militan‐ ten Raucher. Ich fragte ihn, warum er denn nicht einfach aufhöre, es gebe schließlich so viele, die es problemlos geschafft hatten, argumentierte mit den typischen Nie‐ Raucher‐Argumenten wie Gesundheit, Kosten, Gestank und Rücksichtslosigkeit (in dieser Reihenfolge, auch wenn ich für mich persönlich die Rücksichtslosigkeit und den Gestank an erste Stelle rücken würde. Aber da ich mit dieser Taktik nicht viel erreichen würde, stellte ich die Rangfolge zur besseren Argumentation um. Was interessiert es mich denn wirklich, ob ein Raucher seine Gesundheit aufs Spiel setzt oder ständig pleite ist? Es stört mich viel mehr, wenn ich eingenebelt werde und meine Klamotten am nächsten Tag nach Aschenbecher stinken). Dass Rauchen keinerlei Vortei‐ le bietet, und alle nur weiterrauchen, weil es eben eine Sucht ist, stand für mich bis zu diesem Zeitpunkt völlig außer Frage. Mein Bekannter, nennen wir ihn Jochen, hatte es aber ir‐ gendwie geschafft, mein Weltbild ins Wanken zu bringen. Für mich gibt es Raucher und Nichtraucher. Ein Raucher raucht, ein Nichtraucher raucht nicht. So einfach ist das. Basta! Aber Jochen sah das natürlich ganz anders als ich. „Nichtraucher sind nur diejenigen, die nie das Rauchen gelernt haben!“ belehrte er mich. „Aha! Und der Ex‐ 6
Raucher, der schon seit Jahren nicht mehr raucht, ist also kein Nichtraucher?“ fragte ich ihn provokant. „Du kennst doch bestimmt auch Raucher, die Mitte zwanzig oder älter sind, ein Jahr oder noch länger aufgehört haben und aus heiterem Himmel wieder mit Rauchen anfingen.“ Tja, da musste ich ihm Recht geben, aber was hatte das damit zu tun? „Und wie viele Menschen kennst Du, die Mitte zwan‐ zig oder älter sind, die nie geraucht haben und aus heiterem Himmel mit Rauchen anfingen?“ Ich musste passen. Alle Raucher, die ich kenne, haben, soweit ich weiß, mit Rauchen angefangen, noch bevor sie achtzehn waren. „Und was beweist das jetzt?“ fragte ich schnippisch. Diese „Beweisket‐ te“ war etwas dürftig. „Warum sollte also ein Nichtraucher aus heiterem Himmel mit Rauchen anfangen, wenn er erwachsen ist und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte?“ Er sprach mir aus der Seele. Genau das hatte ich mich auch immer gefragt. „Eben. Ex‐Raucher fangen aber zum Teil wieder mit Rauchen an, einfach so.“ Also unterteilte er in Raucher (und dazu zählte er auch die Ex‐Raucher, die Heim‐ lich‐Raucher, die Selten‐Raucher und was weiß ich wen noch alles), die das Rauchen einmal erlernt hatten und in Nie‐Raucher wie mich. Na gut, dann bezeichne ich mich eben ab jetzt als Nie‐Raucher. Damit kann ich gut leben. „Und warum? Weil die Lust auf eine Zigarette immer noch in ihnen steckt. Deshalb sind sie für mich immer noch Rau‐ 7
cher.“ Die gute Ute hatte unserer Diskussion gelauscht und schaltete sich jetzt ebenfalls ein. Vor zwei Jahren hatte sie mit Rauchen aufgehört, für mich war sie ein klarer Fall von Nichtraucher, vor allem, weil sie mindestens so militant gegen das Rauchen wetterte wie ich. Ute war ja wohl Beweis genug, dass Ex‐Raucher Nichtraucher sind? „Da muss ich Jochen Recht geben. Auch wenn ich eigentlich seit andert‐ halb Jahren überhaupt keinen Gedanken ans Rauchen ver‐ schwende, manchmal würde ich mir auch noch gerne eine anzünden. Das ist zwar ganz selten, vielleicht alle paar Monate mal, aber diese Momente gibt es.“ Danke. Jetzt fielen mir auch noch die Nichtraucher in den Rücken. „Siehst Du?“ meinte Jochen triumphierend. „Wie oft hattest Du denn in den letzten zwei Jahren Lust, Dir mal eine Ziga‐ rette anzuzünden?“ fragte er mich. Aber hallo. Jetzt wurde es unverschämt. „Noch nie natürlich. Das weißt Du ja wohl am besten!“ Triumphierend sah er mich an. „Eben. Und das ist der Grund, warum ich Ex‐Raucher als Raucher sehe. Denn ab dem Moment, ab dem ein Nie‐Raucher das Rau‐ chen erlernt hat, wird es für ihn nie wieder wie vorher sein. Egal, wie lange er Nichtraucher ist, egal, wie militant seine Einstellung zum Rauchen ist. Exraucher sind also nur absti‐ nente Raucher.“
8
Diese Diskussion hatte mich auf eine Idee gebracht. Ich, Simone, die militanteste Nichtraucherin unter der Sonne, werde mich dem Selbstversuch stellen. Einmal das Rauchen „erlernen“ und dann wieder aufhören. Mal sehen, ob es nicht doch wie vorher wäre. Wer so extrem gegen das Rau‐ chen ist wie ich, der wird niemals so sehr Gefallen daran finden können. Das werde ich beweisen. Und dann werde ich Jochen das Ergebnis um die Ohren hauen: „Ex‐Raucher sind Nichtraucher, quod erat demonstrandum“. Die widerlichsten vier Wochen meines Lebens standen mir also bevor. Wann ich anfangen würde, hing davon ab, ob ich die Story vermarkten könnte. Also rief ich alle meine Kon‐ takte bei den Zeitungen und beim Fernsehen an. Vielleicht würde ja wenigstens etwas Geld herausspringen. Und tatsächlich, ein Privatsender schien sich für diese Story zu interessieren. Fernsehen! Die ganze Welt würde Bescheid wissen, wie bescheuert ich bin, mit 26 das Rauchen anzu‐ fangen, und dann auch noch vor Millionen Zuschauern. Ein wenig exhibitionistisch war ich wohl schon immer veran‐ lagt. Das Finanzielle war schnell geregelt, für vier Wochen Arbeit hatte ich ein Zweijahresgehalt ausgehandelt. Wenn da nicht der Haken wäre, dass ich dafür vier Wochen lang diese widerlichen, grässlich stinkenden Teile konsumieren müsste... Mir graute davor. Als ich den Vertrag unterschrie‐ 9
ben hatte, musste ich erst einmal auf die Toilette, mich übergeben. Mann, bin ich bescheuert. Meine beste Freundin Lisa war die Erste, der ich beichtete, was für eine Riesendummheit ich jetzt schon wieder ange‐ zettelt hatte. Sie war ja von mir so einiges gewohnt, aber da war sie dann richtig ruhig. Und dann wurde es auf einmal laut um mich. Meine beste Freundin wurde interviewt, meine Familie, meine Schwes‐ ter. Alle durften ihren Senf dazu abgeben, wie sehr ich doch das Rauchen verabscheuen würde. Das Gespräch mit Jochen wurde noch einmal nachgestellt, zum Glück mit einem Schauspieler, diesen Triumph hätte ich ihm jetzt wirklich nicht gegönnt, dafür auch noch im Fernsehen gezeigt zu werden. Ich wurde auf Schritt und Tritt von Kameras ver‐ folgt bei meinem täglichen typischen Nie‐Raucher‐Leben. Zum Glück wich Lisa in dieser Zeit nicht von meiner Seite. Sie verstand es immer noch nicht, warum ich jetzt diesen Blödsinn machen musste, in meinem Alter. Ich verstand es doch selber nicht mehr. Es war eine vollkommen schwach‐ sinnige Idee. Aber ich wollte einfach etwas beweisen. Bewei‐ sen, dass auch Ex‐Raucher Nichtraucher sind. Beweisen, 10
dass der statistische Anteil Raucher nicht bei neunzig Pro‐ zent liegen darf. Seit zwei Wochen ist nun schon solch ein Rummel um mich. Eine Kamerafrau begleitet mich auf Schritt und Tritt. Meine Freunde haben sich inzwischen auch schon daran gewöhnt, dass ich über Nacht zum Promi geworden bin. Und das nur, weil ich plane, mit Rauchen anzufangen und wieder aufzuhören. Zwei Wochen Promi, und ich habe noch nichts, aber auch gar nichts getan, was diesen Zirkus recht‐ fertigen würde! Ich bin noch immer „Nie‐Raucher“... Heute geht es also los. Ich habe derart Angst. Mir ist schlecht! Mann, bin ich bescheuert. Lisa sagt es mir schließ‐ lich jeden Tag. Ich weiß es aber auch so. Parallel zum Dreh werde ich diesen Internet‐Blog auf der Homepage des Senders führen, um über meine „Fortschritte“ (oder eher Rückschritte) als Vorübergehend‐Nicht‐Nichtraucher zu berichten.
11
Der Selbstversuch „Einmal Raucher und zurück“
12
Tag 1, Montag, 19.Juli 2010, 10:30 Uhr Hallo. Ich bin Simone. Ich bin 26 Jahre alt und werde als militanter Nichtraucher heute für vier Wochen mit Rauchen anfangen, um darüber zu informieren, wie es wirklich ist. Hoffentlich kann ich damit ganz viele von euch davon abhalten, es selber ausprobieren zu wollen und womöglich nicht mehr davon wegzukommen. Bei mir ist meine beste Freundin Lisa – „Huhu! Sag mal was!“ – und die Kamerafrau Ayse. Heute geht es also los. Ich werde mit Rauchen anfangen, obwohl ich es zutiefst widerlich finde. Ich habe mich mit diesem Thema noch nie befasst. Gerade eben haben wir diskutiert, mit welcher Marke ich denn am besten anfangen sollte. Lisa schlägt Mariposa vor, aber eine Ahnung hat sie genauso wenig wie ich, schließlich teilt sie meine Meinung über das Rauchen. Ayse raucht Wind. Irgendwie haben wir uns einigen können, dass es wohl am besten sei, mit Light‐ Zigaretten anzufangen. Ich denke, die Marke ist völlig egal. Vielleicht Francoises, die stinken nicht ganz so nach Pfer‐ demist wie alle anderen. Kaum, dass ich es ausgesprochen habe, klingelt es auch an der Türe und der Praktikant vom Sender streckt mir kommentarlos eine rote Zigaretten‐ 13
schachtel und ein Feuerzeug entgegen und verschwindet wieder. Und ich dachte, ich könne das jetzt noch ein wenig herauszögern. Eines ist schon mal klar: In der Wohnung wird nicht ge‐ raucht. Das geht gar nicht. Das ist so widerlich, wenn alles stinkt. Das riecht man noch in einem Jahr. Igitt. Zum Glück ist Sommer. Wir verlagern jetzt auf die Terrasse. 11:30 Uhr Ich habe jetzt die Plastikfolie von der Schachtel abgestreift. Das ging ganz einfach, es ist alles vorgestanzt. An der roten Lasche ziehen und einmal drum herum wickeln und schon ist es ab. Beim Aufmachen der Schachtel habe ich dann gleich die Pappe am Deckel eingerissen. Bei den Rauchern in der Clique geht das immer ganz einfach, ich habe es nicht hinbekommen. Aber ich habe dafür nun mehr als genug Gelegenheit zum üben. *** seufz *** Das Silberpapier will auch nicht so wie ich. Es merkt, dass ich eigentlich gar keine Lust habe, dieses Projekt durchzu‐ ziehen. Ich reiße es an der weißen Kante entlang ab, das dauert endlos. Das sieht bei anderen Rauchern auch anders aus. 14
Auf dem Tisch steht schon ein Aschenbecher. Blaues Glas. Schick, wenn es nicht gerade ein Aschenbecher wäre. Bei mir ist alles aus blauem Glas. Dabei hat sich der Sender richtig etwas gedacht. Nun sitze ich also mit der offenen Schachtel vor mir auf meiner Terrasse und hasse mich, weil ich jetzt mit Rauchen anfangen werde. Mann, bin ich bescheuert. Vier Wochen lang, jeden Tag, und an jedem Tag mindestens eine halbe Schachtel. Ich betrachte die Schachtel: also mindestens neun Zigaretten jeden Tag. 0,7 Milligramm Nikotin, 9 Milligramm Teer. Mal neun, mal achtundzwanzig Tage. Hundertsechs‐ undsiebzig Milligramm reinstes Nikotin. Zwei Komma zwei Gramm Teer. Fünfzig Milligramm reines Nikotin sind für den menschlichen Körper tödlich. Ich werde das Dreiein‐ halbfache zu mir nehmen. Dazu Kohlenwasserstoffe, Me‐ thanol, Kohlenmonoxid, Ammoniak, Stickoxyde, Blausäure, Chrom und Arsen. Wie blöd kann man nur sein, so etwas freiwillig zu machen? Ich habe gerade an der offenen Schachtel gerochen. Das riecht würzig, süßlich. Warum kann das nicht auch so rie‐ chen, wenn man sie anzündet? 15