Nanotechnik: Mini-Roboter als Medizin der Zukunft
Der
Kalte
Krieg
ist
auf
seinem
Höhepunkt.
Unversöhnlich stehen sich die beiden Supermächte und die mit ihnen verbündeten Blockstaaten gegenüber. Der Eiserne Vorhang hält nicht nur Menschen davon ab, die Seiten zu wechseln, er soll auch verhindern, dass kostbare Ideen in die Hände des Gegners fallen. Einen
tschechischen
Wissenschaftler
können
die
Gefahren eines unerlaubten Grenzüberganges jedoch nicht schrecken: Er plant, mit brisantem Wissen über ein
geheimes
Forschungsprojekt
in
den
Westen
überzulaufen. Aber der Plan misslingt. Die Armee hat von dem geplanten Seitenwechsel Wind bekommen und lauert dem ahnungslosen Physiker auf. Bei seiner Flucht wird er angeschossen und sinkt in ein schweres Koma. Die einzige Möglichkeit, sein Wissen zu retten, besteht jetzt in einem riskanten Experiment: Ein Team von Ärzten wird mittels einer neuen Technologie auf Bakteriengröße verkleinert und samt einem MiniaturUboot in die Blutbahn des Opfers injiziert. Ihr Auftrag lautet, den Körper des wertvollen Opfers von innen zu reparieren … Soweit die Handlung des Science-Fiction Films „Die phantastische Reise“. Als der Streifen 1966 in die deutschen Kinos kam, war die Geschichte kaum mehr als die Fantasien eines kreativen Regisseurs. Einen wahren Kern, wenn man so will, hatte die Geschichte aber doch, denn der Gedanke, mikroskopisch kleine Geräte und Werkzeuge herzustellen, hatte unter Wissenschaftlern bereits Form angenommen.
Der amerikanische Physiker Richard Freyman war einer der Ersten, der 1959 darüber spekulierte/n, wie man einzelne Atome manipulieren könnte, um unvorstellbar kleine Maschinen zu produzieren. Weil die neuen Methoden Größenordnungen von wenigen millionstel Millimetern
(10-9
Metern)
erfordern,
kam
man
schließlich auf den Namen Nanotechnik (von der griechischen Vorsilbe „nãnnos“ = Zwerg). Schon
bald
erkannte
man,
dass
den
Anwendungsbereichen für die neue Technik kaum Grenzen
gesetzt
waren,
und
heute
gilt
die
Nanotechnologie als die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Besonders in der Verbindung der Nanotechnik mit der Medizin
sehen
viele
Wissenschaftler
bedeutende
Perspektiven für die Zukunft: Eine Ära, in der lebensbedrohliche
Krankheiten
dank
Nanomedizin
effektiv bekämpft werden können. Dass selbst die modernsten Behandlungsmethoden von heute noch viel Platz für Verbesserung bieten, musste einer der bekanntesten Forscher im Bereich der Nanotechnik
am
eigenen
Leibe
erfahren.
Der
Nobelpreisträger Richard Smalley, der im Oktober 2005 trotz intensiver Chemotherapie einem Krebsleiden erlag, war davon überzeugt, dass seine Krankheit mit nanotechnologischen Mitteln in Zukunft heilbar sein würde. Kaum ein Verfahren macht das Problem heutiger Behandlungsmethoden dabei so deutlich wie die Chemotherapie. Die größte Herausforderung bei jeder medizinischen Behandlung ist es, Wirkstoffe dort zu
platzieren, wo sie tatsächlich benötigt werden. Das ist mit herkömmlichen Methoden jedoch in den seltensten Fällen möglich, und so werden bei der Chemotherapie nicht nur kranke, sondern auch gesunde Zellen abgetötet. Neben Übelkeit und Haarausfall kann die Behandlung damit sogar selbst einen sogenannten sekundären Krebs auslösen. Schon eine einfache Kopfschmerztablette hat eine lange Reise im Körper des Patienten hinter sich, bevor sie endlich ihre gewünschte Wirkung entfalten kann. Vom Mund gelangt die Tablette in den Magen, von wo aus ihre Bestandteile ins Blut übergehen. Von hier aus werden die Wirkstoffe schließlich an jene Stelle des Körpers transportiert, wo sie agieren sollen. Auf dieser „Reise“ durch den Organismus geht oft ein Großteil des Wirkstoffes verloren oder dockt an den falschen Stellen an: an Organen oder Zellen, die eigentlich gesund sind und keine Behandlung benötigen. So kommt es zu den befürchteten Nebenwirkungen vieler Medikamente. Sie müssen höher dosiert werden, als eigentlich erforderlich wäre, um den Verlust an Wirkstoff auszugleichen. Genau an dieser Stelle kommt die Nanomedizin ins Spiel. Sie soll dafür sorgen, dass ganz gezielt nur die kranken Zellen behandelt werden und in Zukunft niemand mehr Angst vor Nebenwirkungen haben muss. Das System der nebenwirkungsfreien Super- oder besser Nanotabletten beruht auf sogenannten Dendrimeren (vom griechischen „dendros“ = Baum). Dendrimere sind stark verästelte Moleküle, die in ihrer Gestalt tatsächlich an einen Baum erinnern. Durch den Einsatz
von Nanotechnologie lassen sie sich so um einen Kern anordnen, dass die einzelnen Bäume eine Kugel bilden, in der anschließend ein Wirkstoff transportiert werden kann. Doch damit nicht genug: Die Oberfläche der Dendrimere lässt sich auch so gestalten, dass sie sich nur mit bestimmten Zelltypen verbinden können. Das Ergebnis ist dann ein Molekül, das sich „selbstständig“ ein passendes Ziel sucht und seinen Wirkstoff nur dort ausschüttet, wo er wirklich benötigt wird: etwa an einer Krebszelle. Ein zweiter Ansatz der Nanotechnik in der Medizin ist der Einsatz von sogenannten Nanoröhrchen im Kampf gegen krankmachende Bakterien. Diese Nanoröhrchen bestehen aus Eiweißverbindungen und sind mit einer Länge von etwas über 2 Nanometern mehrere hundert Mal kleiner als Bakterien. Indem die Nanoröhren Löcher in die Zellwände der Bakterien bohren, sorgen sie dafür, dass diese absterben – ebenfalls ganz ohne schädliche Nebenwirkungen für den Körper und die Organe des Patienten. Doch die Nanomedizin soll in Zukunft nicht nur bei der Heilung,
sondern
auch
bei
der
Vorsorge
eine
bedeutende Rolle spielen. Das ist vor allem deshalb notwendig, weil die bisherigen Untersuchungsmethoden einen
schwerwiegenden
modernste
Verfahren,
Computertomografie,
Nachteil wie
erlauben
nur
haben:
Selbst
etwa
die
einen
sehr
eingeschränkten Einblick in den Körper. Das führt häufig dazu, dass Veränderungen erst ab einer bestimmten Größe zuverlässig erkannt werden. Bis Krebs auf einem Röntgenbild oder bei einer Endoskopie
entdeckt wird, hatte der Geschwulst unter Umständen mehrere Jahre Zeit, um zu wachsen und sich im Körper auszubreiten. Statt wie bisher mit Maschinen von außen in den menschlichen Körper hineinzuschauen, soll es dank Nanotechnik möglich werden, die Geräte direkt im Körper eines Patienten einzusetzen. Das Ziel ist es, Instrumente und Sensoren soweit zu verkleinern, dass sie bis in den entlegensten Winkel des Körpers gelangen können. Statt stichprobenartigen Untersuchungen
wäre
es
dann
möglich,
einen
detaillierten Zustandsbericht über jedes einzelne Organ zu erhalten. Selbst krankhafte Veränderungen, die nur wenige
Zellen
betreffen,
ließen
sich
rechtzeitig
erkennen und mit entsprechenden Nanowerkzeugen reparieren. Aber die Einsatzmöglichkeiten, die die Nanotechnik der Medizin
bietet,
sind
damit
noch
lange
nicht
ausgeschöpft. Wissenschaftler und Ärzte denken bereits an
die
problemlose
Dauer-Betreuung
von
Risikopatienten. Winzige Sensoren, im Gewebe, den Muskeln oder Nervenbahnen platziert, liefern rund um die Uhr wesentlich exaktere Daten als eine Blutprobe oder ein EKG es je könnten. Gerade Patienten, die auf eine regelmäßige und genau dosierte Medikamentierung angewiesen sind, wie etwa Diabetiker, sollen auf diese Weise schwere Nebenwirkungen durch Überdosierung vermeiden können. Völlig neue Möglichkeiten ergeben sich dabei durch die Verwendung eines eigentlich altbekannten Edelmetalls: Mit
Hilfe
von
nur
einem
Nanometer
großen
Goldmolekülen
wird
es
möglich,
bestimmte
Körperfunktionen fernzusteuern. Dazu werden diese Goldmoleküle mit den genetischen Bausteinen des Körpers – der DNA – verbunden. Die Moleküle funktionieren dabei wie eine Antenne, die bestimmte Signale auffangen kann. Setzt man das Gold jetzt einem Magnetfeld aus, entsteht eine elektrische Spannung, die die Nanopartikel erwärmt. Dadurch spaltet sich die DNA wie ein Reißverschluss und produziert bestimmte Proteine. Diese Proteine steuern dann etwa den Hormonhaushalt des Körpers oder die Beschaffenheit von Geweben. Diese erste Generation der Nanomedizin, die heute bereits
in
den
Labors
getestet
wird
und
ihre
grundsätzliche Wirksamkeit bereits in Tierversuchen bewiesen hat, ist allerdings nur ein erster Schritt auf einem langen Weg. Die Wirkungsweise beruht in erster Linie auf chemischen Reaktionen, von wirklichen Nanomaschinen ist diese Technik aber noch weit entfernt. Doch die Wissenschaftler entwerfen auf dem Reißbrett bereits Generationen echter Nanomaschinen, die ein vollkommen neues Niveau an Komplexität erreichen sollen und noch futuristischer anmuten. Der amerikanische Physiker Dr. Kim Eric Drexler nimmt für sich Anspruch, die Pionierrolle in der Entwicklung dieser Maschinen zu übernehmen. Das von ihm gegründete „Forsight Institute“ soll über neue Entwicklungen in der Nanotechnologie informieren und ihre Entwicklung maßgeblich beeinflussen. Mit seinem Engagement hat sich Drexler allerdings nicht nur
Freunde gemacht. Viele seiner Kollegen stören sich nicht
nur
an
seiner
angeblichen
Neigung
zur
Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit. Den Dreh- und Angelpunkt
seiner
Arbeit,
die
Entwicklung
des
sogenannten „Assemblers“ halten sie für schlichtweg unmöglich. Drexlers Idee besteht darin, nicht selbst zu bauen, sondern bauen zu lassen. Sein Ziel ist es, eine Nanomaschine – einen sogenannten Assembler (von engl. assemble = zusammenbauen) – zu entwickeln, die Kopien von sich selbst produzieren kann. Die so hergestellten Kopien können dann wiederum neuen Kopien anfertigen, sodass man in kurzer Zeit große Mengen an Nanomaschinen hat. Inspiriert wurde dieser Gedanke übrigens direkt von der Natur. Dort gibt es nämlich sich selbst duplizierende Assembler in Hülle und Fülle: Bakterien und Viren. Nanomedizin-Experten wie der amerikanische Physiker Robert Freitas haben daher schon heute eine genaue Vorstellung davon, wie der Alltag in einer Arztpraxis in 10 oder 20 Jahren aussehen wird: Wichtigstes
Analyseinstrument
bei
der
Voruntersuchung wird eine kleine Sonde sein, deren Spitze mit Milliarden winziger Sensoren ausgestattet ist. Mit
diesem
Gerät
streicht
der
Arzt
über
die
Mundschleimhaut des Patienten und verbindet die Sonde anschließend mit einem Computer. Der Clou dabei ist, dass jeder Sensor eine speziell gestaltete Oberflächenstruktur hat, sodass er nur auf eine ganz bestimmte Viren- oder Bakterienart anspricht. In wenigen Sekunden bekommt der Arzt somit eine
detaillierte
Aufstellung
über
die
Zahl
und
Zusammensetzung der Bakterien im Körper des Patienten. Nachdem der Computer anhand der gesammelten Daten eine Diagnose gestellt hat, kann die Behandlung beginnen. Statt Antibiotika zu verschreiben, stehen dem Arzt der Zukunft eine ganze Reihe verschiedener Nanoroboter zur Verfügung, die entweder auf einen bestimmten Bakterientyp spezialisiert sind, oder sich entsprechend
den
Anforderungen
programmieren
lassen. Je nach Art der Krankheit injiziert er diese Roboter anschließend entweder direkt in die Blutbahn oder verabreicht sie in Kapseln verpackt wie eine herkömmliche
Tablette.
Falls
es
sich
um
eine
Erkrankung der Atemwege handelt, können die Nanoroboter wegen ihrer geringen Größe sogar problemlos eingeatmet werden. Sobald sich die Roboter im Köper des Patienten befinden, bewegen sie sich selbstständig an ihren „Einsatzort“. Mit kleinen Beinen, Propellern oder Schiffsschrauben manövrieren sie, immer getreu ihrem Suchauftrag, durch die Organe, und zerstören alle schädlichen Bakterien, die sich ihnen in den Weg stellen. Weil die Nanoroboter nicht größer sind, als Bakterien, merkt der Patient weder etwas von seinen „mechanischen Gästen“ noch von der Behandlung. Je nach Komplexität der Aufgabe dauert die Heilung unter Umständen nur wenige Minuten. Anschließend kann der Arzt die Maschinen ferngesteuert in den Mund des Patienten lenken, von wo aus sie eingesammelt und bis zur nächsten Behandlung gelagert werden.
Eine der größten Herausforderung bei der Konstruktion solcher Nanoroboter ist die Miniaturisierung des Antriebs. Heutige Elektromotoren lassen sich selbst mit der modernsten Technik noch nicht auf wenige Nanometer verkleinern, sodass die Ingenieure vor vollkommen neuen Herausforderungen stehen. Nanotechnologische
Forschungen
sind
deshalb
besonders erfolgreich, wenn sie interdisziplinär sind, das heißt, wenn Wissenschaftler aus den Bereichen Physik, Chemie, Biologie, Elektronik, Informatik und Medizin fächerübergreifend zusammenarbeiten. An der staatlichen Universität in Utah entwarf man auf diese Weise einen Antrieb für ein Nano-Uboot, der die Flimmerhärchen von Coli-Bakterien nutzt. Die Härchen sollen auf einem Rotor platziert werden, den sie durch ihre Bewegung in Drehung versetzen. Diese Drehung kann dann ihrerseits genutzt werden, um beispielsweise einen kleinen Propeller anzutreiben. Das ganze Uboot ist dank seines Biomotors im Endeffekt nicht größer als 100 Nanometer und damit rund 5-mal kleiner, als viele Bakterien. Einen
anderen
Ansatz
haben
schottische
Wissenschaftler im Sommer 2005 gefunden. Sie versahen eine Oberfläche mit winzigen Stäben, an denen sich Ringe auf und ab bewegen. Bestrahlt man diese Konstruktion mit ultraviolettem Licht, so bewegen sich alle Ringe an das gleiche Ende der Stäbe und verschieben dabei einen Gegenstand, der auf der Oberfläche liegt. Im Versuch gelang es den Wissenschaftlern mit dieser Methode, einen Wassertropfen um einen Millimeter zu
verschieben. Was sich für Laien wahrhaftig nicht weltbewegend
anhört,
wird
in
Fachkreisen
als
Durchbruch gefeiert. Professor David Leigh von der Universität Edinburgh versucht, die Größenverhältnisse ins rechte Licht zu rücken: Mit einem einen Nanometer großen Hebel einen Wassertropfen zu verschieben, ist ähnlich beeindruckend, wie mit einem einen Millimeter großen Wagenheber einen tausend Meter hohen Wolkenkratzer aus den Angeln zu heben. Amerikanische
Wissenschaftler
haben
die
Nanotechnologie derweil genutzt, um ein etwas weniger exotisches Produkt herzustellen. Sie produzierten kurzerhand den kleinsten „Besen“ der Welt. Mit Borsten aus Nanoröhrchen eignet sich der Besen besonders für den medizinischen Einsatz: Entsprechend behandelt ließen sich etwa Viren und bestimmte Proteine aus dem Blut filtern. Die Besen können aber auch auf „herkömmliche“
Art
benutzt
werden,
etwa
um
Oberflächen anzumalen. Weil das Immunsystem des Menschen alle Fremdkörper angreift, könnten die Oberflächen von Herzschrittmachern nanotechnisch behandelt werden, um eine Abstoßung zu verhindern. Die
wenigen
Nanotechnologie
Beispiele der
Möglichkeiten eröffnet.
zeigen,
Medizin
dass
unendlich
die viele
Zweifellos befindet sich die
Wissenschaft noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung, aber bei allen Meinungsverschiedenheiten sind sich die meisten
Forscher
darüber
einig,
dass
die
Nanotechnologie ein unverstellbar großes Potenzial bietet. Ein Potenzial, das voraussichtlich schon in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten nutzbar werden wird.
Selbst wenn wir auf Nano-Uboote und ähnliche Geräte noch warten müssen, sind die einfacheren Methoden der Nanomedizin zum Greifen nah. Nanomaterialien in der Medizintechnik, Medikamente mit Wirkstoffdosierung im Nanobereich und eine verbesserte Diagnostik mit nanotechnologischen Verfahren zeichnen sich bereits deutlich ab. Die
Industrie
sieht
Milliardengeschäft. Nebenwirkungen unheilbaren
daher
bereits
heute
ein
Behandlungsmethoden und
die
Krankheiten
ohne
Heilung
von
bisher
versprechen
dem
ersten
Unternehmen, dass die entsprechende Technik zur Serienreife entwickelt traumhafte Gewinnchancen. Und wo wir gerade vom Träumen sprechen: Robert Freitas
schwärmt
bereits
von
der
übernächsten
Generation der Nanomedizin. Er hofft, die Technik nicht nur zur Behandlung von Krankheiten zu nutzen, sondern er will den menschlichen Körper als Ganzes verbessern.
Durch
Diamantstrukturen
verstärkte
Knochen, übermenschliche Sinne und Muskeln, die durch Nanomotoren nie geahnte Kräfte entwickeln können. Ob es sich bei diesen Visionen allerdings nicht eher um einen Albtraum handelt, darf durchaus diskutiert werden.