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12.10.2006
15:00 Uhr
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Wer trägt am meisten Verantwortung für Umweltzerstörung und Sozialdumping? Die Industrie? Die Politik? Falsch: Es sind die Konsumenten. Die meisten Probleme werden durch die Nachfrage der Verbraucher verursacht. Denn König Kunde pfeift auf Öko, wenn nur der Preis stimmt. Bernhard Pötter erzählt die Geschichte des Konsums und analysiert das Verhalten des Verbrauchers: Warum verwirklicht er so selten, was er eigentlich will? Warum führt er seinen inneren Schweinehund an der langen Leine? Der Autor gibt praktische Tipps für kleine Verhaltensänderungen mit großer Wirkung. Und er diskutiert, wie es gelingen kann, aus uns Schnäppchenjägern verantwortungsvolle Konsumenten zu machen – jedenfalls immer mal wieder. Unterhaltsam und gut recherchiert hält uns der Autor einen Spiegel vor. Er zeigt, dass Geiz gar nicht geil ist und jeder etwas für mehr Nachhaltigkeit tun kann: durch ein anderes Konsumverhalten. »Pötter setzt da an, wo es weh tut: an unserem eigenen Verhalten.« Prof. Dr. Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes »Pötter liefert eine gut begründete These und eine ernüchternde Bilanz in diesem unterhaltsam und flott geschriebenen Überblick über die Problematik des deutschen Konsumverhaltens.« Franz Kotteder, Süddeutsche Zeitung »Unterhaltsam und lesenswert – für umweltbewusste Einkäufer und für alle, die es erst werden wollen.« BUNDmagazin
Bernhard Pötter war zwölf Jahre Redakteur bei der »tageszeitung« (taz) mit den Schwerpunkten Umwelt, Wirtschaft und Verbraucherpolitik. Seit Anfang 2006 lebt er als freier Journalist und Autor mit seiner Familie in Paris. Für seine umweltpolitische Berichterstattung erhielt er bereits zwei Journalistenpreise.
14,80 Euro ISBN 3-936581-92-4 www.oekom.de
Bernhard König Kunde ruiniert sein LandM. Barsig, F. Becker, G. Hoffmann, J. RubeltPötter (Hrsg.)
Bund 13 mm
Michael Barsig, Frank Becker, Gisela Hoffmann, Jürgen Rubelt (Hrsg.)
Bernhard Pötter
Wasser – Waffe, Ware, König Kunde Menschenrecht?
ruiniert sein Land
Wie der Verbraucherschutz am Verbraucher scheitert. Wege zu einer nachhaltigen Wasserwirtschaft Und was dagegen zu tun ist. Mit einem Vorwort von Klaus Töpfer
Bernhard Pötter, geboren 1965, war 13 Jahre lang Redakteur für Wirtschaft und Umwelt bei der »tageszeitung« (taz) in Berlin. Er beschäftigt sich seit Jahren mit den Themen Verbraucherschutz, Umwelt und Nachhaltigkeit. Pötters Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet. Für seine Berichterstattung über den UN-Gipfel für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002 erhielt er ebenso einen Journalistenpreis wie für seine Arbeit an einer taz-Serie zur Grünen Gentechnik. Bernhard Pötter hat in Berlin und in den USA Amerikanistik, Politik und Jura studiert. Er ist verheiratet und lebt derzeit mit seiner Familie als Vollzeitvater und freier Journalist in Paris.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2006 oekom, München oekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH Waltherstraße 29, 80337 München Umschlaggestaltung, Daumenkino: Alice Wüst Lektorat: Anke Oxenfarth Korrektorat: Nina Rehbach Druck: Kessler Verlagsdruckerei, Bobingen Gedruckt auf FSC-zertifiziertem Papier Alle Rechte vorbehalten ISBN 3-936581-92-4 Printed in Germany
Bernhard Pötter
König Kunde ruiniert sein Land Wie der Verbraucherschutz am Verbraucher scheitert. Und was dagegen zu tun ist. Mit einem Vorwort von Klaus Töpfer
2. erweiterte und ergänzte Auflage
Dieses Buch wurde ermöglicht durch die Unterstützung der Selbach-Umwelt-Stiftung in München und der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin
Inhaltsverzeichnis Jeder Konsument trägt globale Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort von Klaus Töpfer
Bedingt zurechnungsfähig – Verbraucher und Politik in Deutschland Selbst schuld! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Eine Abrechnung mit uns Konsumenten Wahnsinniges Glück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .16 BSE und die Folgen Zwischen Macht und Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Der deutsche Konsument in Nahaufnahme Der Preis und sein Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Wenn das Etikett lügt Die konsumistische Internationale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Globale Verantwortung im Supermarkt
Billigend in Kauf genommen – wie der Verbraucher versagt Großer Appetit, kleiner Hunger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Lebensmittel Mit angezogener Handbremse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Verkehr Kein Wechselstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Energieversorgung
Sozial, unsozial, ganz egal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Dumpinglöhne und Fairer Handel Butzenscheiben statt Dreifachglas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Hausbau und Haushalt Umweltschäden? Alles inklusive! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Tourismus Ein Promille für die Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Investment und grünes Geld »Nachhaltiger Konsum wird bestraft« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Gerhard Scherhorn im Interview
Es rettet uns kein höh’res Wesen – Auf dem Weg zur nächsten Konsumrevolution Dem Schnäppchen ein Schnippchen schlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Widerstand gegen »Geiz ist geil« »Es kann keinen Beglückungsterrorismus geben« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Renate Künast über fehlende Consumer Power und Grenzen des Verbraucherschutzes Gesucht: Ein Act-Tank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 ConsumerWatch und die Zukunft der Verbraucherpolitik Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Danke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
Jeder Konsument trägt globale Verantwortung Vorwort von Klaus Töpfer Executive Director United Nations Environment Programme
Zehn Jahre nach dem Erdgipfel in Rio de Janeiro stellte sich die weltweite Staatengemeinschaft in Johannesburg einer Überprüfung der damals eingegangenen Verpflichtungen, die insbesondere in der Agenda 21, in den »Rio Principles« und in den »Rio-Konventionen« zum Klimaschutz und zur Artenvielfalt ihren Niederschlag gefunden hatten. Das Ergebnis dieser Prüfung war sicherlich ernüchternd. Viele der Verpflichtungen, die nicht zuletzt aus der Begeisterung nach der Überwindung der bipolaren Welt in Rio entstanden waren, konnten nicht, zumindest nicht vollständig, umgesetzt werden. Die wesentlichen Gründe sind darin zu finden, dass in den Rio-Ergebnissen keine quantitativen Ziele und klare Zeitpläne festgelegt wurden. Der Nachhaltigkeitsgipfel in 2002 in Johannesburg hat mit viel Nüchternheit diese Schwächen in wichtigen Aufgabenfeldern beseitigt. Dabei konnte dieser Gipfel auf den Ergebnissen des Millenium Summit aufbauen, der UN-Sondergeneralversammlung im Jahr der Jahrtausendwende. Dort einigten sich alle Staats- und Regierungschefs auf die »Jahrtausendziele für Entwicklung« (»Millenium Development Goals«). Diese acht Ziele sind in einer bis dahin nicht bekannten Weise quantitativ fixiert und mit einem konkreten Zeitplan versehen worden. Sie sind wirklich überprüfbar, sie sind handlungsleitend. Johannesburg nahm diese Entwicklung auf und erweiterte sie durch ergänzende, quantitative Ziele, etwa im Bereich der Artenvielfalt und der Chemikaliensicherheit. Darüber hinaus wurde in Johannesburg in zwei entscheidenden Aufgabenbereichen ein Durchbruch erreicht: Es wurde die Kreislaufwirtschaft (»circular economy«) im Rahmen der erstmals aufgenommenen Veränderung von Konsum- und Produktionsmustern (consumption und production patterns) in das Handlungsprogramm der Staatengemeinschaft eingefügt. Zum ersten Mal wurde damit die Entwicklung von Zehnjahresprogrammen zur umwelt-
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Vorwort von Klaus Töpfer
und sozialverträglichen Veränderung der Konsummuster und Produktionsweisen in ein handlungsbezogenes Abschlussdokument eines Weltgipfel aufgenommen. Damit werden die Konsumenten, also alle Bewohner dieser Welt, in die Verwirklichung der nachhaltigen Entwicklung einbezogen – ein außerordentlich bedeutsamer Schritt! Dieser so wesentliche Fortschritt wurde und wird mit dem Hinweis in Frage gestellt, dass es den fast 1,5 Milliarden Menschen, die in extremer Armut leben und um ihr tägliches Überleben kämpfen müssen, geradezu zynisch erscheinen muss, von einer Änderung des Konsumverhaltens zu sprechen. Diese Argumentationskette ist nur auf den ersten Blick schlüssig. Geht man etwas tiefer in die Zusammenhänge, zeigt sich sehr schnell, dass es nicht zuletzt die Konsummuster der hochentwickelten Industrieländer sind, die über globale Umweltveränderungen weitreichende negative Konsequenzen für die Lebensbedingungen der Ärmsten bewirken. So werden die Auswirkungen des Klimawandels wesentlich durch die Belastung der »Klimagase«, vor allem verbunden mit der Verbrennung von fossilen Energieträgern (CO2) und mit der Freisetzung von Methan, durch die entwickelten Länder verursacht und in ganz besonderer Weise in den Entwicklungsländern spürbar. Gerade bei den Staaten und Menschen, die am wenigsten zu dem Problem beigetragen haben und die die geringsten Kapazitäten besitzen, um sich diesen Klimaveränderungen anzupassen, sind die Auswirkungen dramatisch. Und darüber hinaus: Es sind gerade die schnell wachsenden Entwicklungsländer wie etwa China, die intensiv um geänderte Konsummuster besorgt sind und die umweltfreundliche Technologien massiv anstreben – da sie nur so ihre weitreichenden Wachstumsziele realisieren können. So ist es nicht verwunderlich, dass der Vizepremier Chinas, Zeng Peiyan, anlässlich des Governing Councils von UNEP im Februar 2005 eine »circular economy« (Kreislaufwirtschaft) und ein System der »Extended Producer Responsibility« (System der erweiterten Produkthaftung) fordert. Veränderungen des Konsumverhaltens – der Konsummuster: Ist man nicht in der marktwirtschaftlichen Theorie der Entwicklung von Angebot und Nachfrage von Märkten geradezu kategorisch davon ausgegangen, dass die autonomen Konsumentscheidungen der vielen Konsumenten das Angebot steuern? Dass also die Bedürfnisse der Menschen, ihre Vorlieben und Wünsche, ihre persönliche Motivation, durch ihre Kaufkraft ermöglicht und begrenzt, die Produktion von Gütern und Dienstleistungen steuern, dass die unsichtbare Hand des Marktes und nicht staatliche Steuerungsprozesse verantwortlich sind?
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Und weiter: Ist damit nicht der Kunde der wirkliche König, weil die Erkundung seiner Wünsche, seiner Präferenzen die Dienstbarkeit allen Wirtschaftens begründet? Theoretische Modelle und die Realität des täglichen Lebens in den Massengesellschaften des Informations- und Kommunikationszeitalters sind aber gerade in diesem Bereich als zwei sehr unterschiedliche Tatbestände zu betrachten. Seit langem ist die psychologische Durchdringung des Kundenverhaltens und dessen Beeinflussung durch die Werbung zum Alltag aller Produzenten von Konsumgütern geworden. Marktforschung und Werbung sind in fast allen Sektoren der Konsumgüter häufig bereits wichtiger für den Unternehmenserfolg als die Produktion selbst, zumal diese sehr häufig den Arbeitskosten folgend in sehr weit entfernte Länder ausgelagert wird. Diese wissenschaftlichen und für die Praxis unmittelbar instrumentalisierten Arbeiten gehen weit zurück. Stichworte wie »keep up with the Jones'es« und »conspicious consumption« – das sichtbare Konsumieren und das Mithalten mit dem Nachbarn – sind Belege dafür. Oft vom Kunde König gar nicht bemerkt, ist seine königliche Herrschaft schon längst auf die Geschicklichkeit von Werbefachleuten übergegangen, werden Wünsche und Bedürfnisse extern erzeugt und dann dem Kunde König implantiert. Die breite Diskussion über Schleichwerbung, über »product placements« in Fernsehserien, die Ansteuerung des Unterbewussten der Kunden – ferngesteuerte Königswünsche! Es ist nicht überraschend, dass in der Wirtschaftswissenschaft bereits die Umkehrung der ursprünglichen Abläufe vom Kunden und seiner Steuerung des Angebotes intensiv erforscht wurde. Dieses Theorem besagt, dass das Angebot die Nachfrage steuert. Diese Entwicklung wird besonders verständlich, macht man sich die Bedeutung des Konsums für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung klar. Wachstumsraten der Wirtschaft sind, wie in der marktwirtschaftlichen Theorie entwickelt, von den vier Nachfragegrößen privater Konsum, private Investitionen, Export und staatliche Nachfrage, abhängig. Die Wachstumsschwäche gerade in den letzten Jahren in Deutschland wird mit Blick auf diese Größen insbesondere mit der schwächelnden, unzureichenden Nachfrage der Privaten verbunden. Dies wiederum beeinflusst negativ die privaten Investitionen. Fehlendes Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft haben diese »Konsumschwäche« und damit verbunden die hohe Spartätigkeit der Menschen verursacht. Bis in die höchste politische Klasse hinein wurde daher »mehr Konsum« geradezu als erste Bürgerpflicht ausgerufen.
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Vorwort von Klaus Töpfer
Nicht die Frage, was der Bürger wirklich braucht, wurde dabei ventiliert, sondern dass ein Verzicht auf Konsum weitreichende Auswirkungen auf die wirtschaftliche Stabilität, auf Arbeitsplätze hat. Ebenso wenig wurde dabei bedacht, ob nicht der Bürger durchaus bereit wäre, insbesondere für Dienstleistungen, die einst von der öffentlichen Hand angeboten und nunmehr weitgehend privatisiert wurden, mehr Geld ausgeben würde, wenn denn solche Dienstleistungen überhaupt noch angeboten würden. Eine Frage, die sich insbesondere vor dem Hintergrund der veränderten Altersstrukturen der entwickelten Länder noch gebieterischer stellen wird. So werden die Werbesprüche immer aggressiver (»Geiz ist geil«), während die Qualität des Angebotes, ja die Verfügbarkeit des gewünschten Angebotes eher unbedacht bleiben. Konsumverhalten, Konsummuster zu verändern, ist deshalb nicht so etwas wie ein staatlich oktroyierter Befehl, ist nicht eine verschämte Rückkehr zu welchen planwirtschaftlichen Ex-ante – Regelungen auch immer – ganz im Gegenteil. Es ist die Bemühung, den Kunden wieder mehr königliche Würde zu verleihen, ihre Wünsche nicht erst zu stimulieren, um sie dann wieder »gebieterisch« zu erfüllen. Es ist die Notwendigkeit, wieder eine Erforschung der Bedürfnisse der Menschen zu ermöglichen, die dann auch in ein entsprechendes Angebot von Dienstleistungen und Gütern umgesetzt werden. Es ist die Bemühung, Verbraucher zu unterrichten, ihnen Vorder- und Hintergründe der Angebote erfahrbar zu machen. Nicht Geiz ist geil, sondern wirklich attraktiv ist etwas für Kunden, wenn sie nicht nur nach dem niedrigsten Preis eines Gutes fragen, sondern auch danach, wie dieses Gut ihre Wünsche befriedigen kann. Wirklich also gute Gründe, die die Staats- und Regierungschefs von über 175 Staaten im World Summit 2005 im September 2005 in New York, dazu veranlasst haben, gemeinsam eine Veränderung der »consumption and production patterns« einzufordern. Keine marginale Schwärmerei von Menschen, denen es an nichts mangelt, sondern ein wichtiger Beitrag dazu, unseren herrlichen Planeten Erde für jetzt 6,3 Milliarden Menschen und jährlich rund 70 Millionen mehr, ohne Armut zu bewohnen und dies zugleich auch für zukünftige Generationen zu ermöglichen.
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Bedingt zurechnungsfähig – Verbraucher und Politik in Deutschland
Eine Abrechnung mit uns Konsumenten
Selbst schuld! Eine Abrechnung mit uns Konsumenten Wirtschaftliche Stagnation, Armut, Arbeitslosigkeit und Umweltprobleme fallen nicht vom Himmel. Einen großen Teil dieser Probleme verdanken wir uns selbst. Denn als Verbraucher versagen wir auf der ganzen Linie. Wenn die Politik mit dem Einkaufswagen nicht im Bankrott enden soll, müssen wir uns mehr in unsere eigenen Angelegenheiten einmischen. Die Bild-Zeitung brachte es auf den Punkt. Anfang März 2005 war wieder einmal ein Fleischskandal aufgeflogen. Supermärkte hatten Hackfleisch nach Ende der Haltbarkeitszeit einfach neu datiert und verpackt. Da fragte das Blatt in vier Zentimeter hohen Lettern: »Ist unser Fleisch zu billig, um gut zu sein?«. Von Deutschlands mächtigster Zeitung ist man nicht gewohnt, dass sie die Argumente von Ökolandwirten und Umweltschützern übernimmt. Ganz im Gegenteil: Bild stachelt die »Benzin-Wut« der Autofahrer an, kämpft gegen die Ökosteuer und macht Wind gegen die Windkraft. Und Bild beantwortete die selbst gestellte Frage, ob das Fleisch zu billig sei, dann auch kurz und bündig: »Nein. Auch günstige Produkte können durchaus von guter Qualität sein.« Bild hat sich also nicht zum Boulevard Bio gemausert. Doch die Schlagzeile zeigt: Bis weit in die Leserschaft des Massenblatts ist inzwischen ein Unbehagen zu spüren, wenn es um das persönliche Verhalten als Verbraucher geht. Millionen von Menschen, die mit dem Begriff »nachhaltige Konsummuster« nicht viel anfangen können, wissen, dass etwas faul ist in der deutschen Konsumgesellschaft – und sie ahnen, dass sie daran nicht unschuldig sind. Dreißig Jahre Umweltbewegung haben ein Bewusstsein dafür entstehen lassen, dass es Verbindungen gibt zwischen Ölpreis und Irakkrieg, zwischen Klimawandel und Flugverkehr, zwischen billigem Strom und Castortransporten. Wir steigen mit einem latent schlechten Gewissen in den Billigflieger für das romantische Wochenende in Rom. Und wir wollen gern glauben, dass der Strom für unsere neue Mikrowelle einfach so aus der Steckdose kommt.
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Für die Autofahrerin im Stau oder für den grübelnden Kunden an der Fleischtheke beim Discounter gibt es einen guten Rat: Fassen Sie sich an die eigene Nase! An vielen Problemen, die uns das Leben schwer machen, sind wir Verbraucher selbst schuld. Die derzeitige Wirtschaftskrise und ein Teil der Arbeitslosigkeit gehen auch darauf zurück, dass wir nicht genügend Geld für den Konsum ausgeben – und wenn, dann für die falschen Produkte. Die Jagd nach den Schnäppchen um jeden Preis trägt zu einer Abwärtsspirale von Preisdruck und Lohndumping bei, die sich in verlorenen Jobs und niedrigem Konsum ausdrückt. Die ökologische Rechnung für unser Verbraucherverhalten ist noch dramatischer: Bis zu 60 Prozent unserer Umweltprobleme gehen auf den privaten Verbrauch zurück. Dreißig bis vierzig Prozent der ökologischen Gefährdungen könnten wir schon durch geringe Änderungen im Verhalten lösen, schätzen Experten. Der private Konsum zieht die meisten unserer ökologischen Probleme etwa bei Landwirtschaft, Energie oder Verkehr nach sich. Das Problem dabei: Das hören wir nicht gern. Und deshalb sagt es uns auch selten jemand. Niemand übt gern Selbstkritik. Die Überlegung, welche Fehler wir machen, wird schnell verdrängt, wenn wir andere finden, die noch viel schlimmer sind: Diese Haltung bietet allerdings keine Lösung für unsere Probleme. Die aktuelle Frage ist nicht: »Wie blockieren die anderen?«, sondern »Was können wir tun?« Dieses Buch hält mir, Ihnen und uns allen den Spiegel vor. Es ist entstanden, weil sich mir über lange Jahre bei der Berichterstattung über den Komplex »Wirtschaft, Umwelt, Verbraucherschutz« immer mehr der Verdacht aufdrängte, dass es etwas mit unseren tagtäglichen Gewohnheiten zu tun hat, wenn es mit der guten Idee der nachhaltigen Entwicklung nur so zäh vorangeht. Was die Experten der Nachhaltigkeit in komplizierten Gedankengebäuden erklären, das will dieses Buch ins tägliche Leben zurückholen. Meine Recherche stützt sich auf viele Studien, Experteninterviews und Fachinformationen. Sie ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern ein journalistischer Tatsachenbericht und eine Analyse, warum Fortschritte so schwer zu erreichen sind. Dieses Buch versucht, Antworten zu geben und schlägt einige Lösungen vor. Anders als viele sehe ich den Verbraucher nicht nur als Opfer, sondern oft genug als Täter, der nicht genug für eine gerechtere, gesündere und umweltverträglichere Welt tut – obwohl er dieses Ziel eigentlich anstrebt und es ihn oft nicht viel kosten würde. Was hindert uns daran, täglich das zu tun, was wir als das Richtige längst erkannt haben? Dieses Buch ruft uns dazu auf, uns mehr in unsere eigenen Angelegenheiten einzumischen. Und weil eine Änderung
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Eine Abrechnung mit uns Konsumenten
eingefahrener Verhaltensmuster nicht vom Himmel fällt, sollten Spezialisten diese Aufgaben übernehmen. Eine kleine, freche und unabhängige Gruppe mit Namen »ConsumerWatch« könnte uns Verbrauchern täglich auf die Nerven gehen und uns an unsere guten Vorsätze erinnern. Politik lebt vom Mitmachen. Für Politik mit dem Einkaufswagen gilt das erst recht. Doch es gibt kaum Akteure in Deutschland, die uns Verbraucher an unsere Pflichten erinnern. Der private Konsum ist der blinde Fleck von Verbraucherschützern, Öko-Aktivisten und Umwelt-Bürokraten gleichermaßen. Für unbequeme Wahrheiten wird man vom Wähler abgestraft. 1990 zogen die Grünen in den Bundestagswahlkampf mit dem Slogan: »Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Klima.« Die Partei verfehlte daraufhin im Westen die Fünf-ProzentHürde. Die Umweltbewegung hat ihre Gegner externalisiert. Sie ist groß geworden im auch heute noch notwendigen Kampf gegen »die da oben«, die Kraftwerke planen, Autobahnen bauen oder Fabriken betreiben. Die Frage, wer den Strom wozu benutzt, wer die Autos fährt und wer die Produkte kauft, ist immer weiter in den Hintergrund geraten, je salonfähiger die Öko-Forderungen wurden. Über die Jahrzehnte ist in der Umweltbewegung eine fatale Haltung gewachsen. Sie lautet: Die Öko-Schweine sind immer die anderen. Ähnliches gilt für den Verbraucherschutz. Er soll den Verbraucher vor der übermächtigen Macht der Industrie bewahren. Das ist zweifellos dringend notwendig. Doch Verbraucherschutz bedeutet auch, den Konsumenten davor zu behüten, falsche Entscheidungen zu fällen, die er später bereuen wird. Das aber heißt: Wer Verbraucherschutz will, der muss den Verbraucher ab und zu auch vor sich selbst in Schutz nehmen. Verbraucherschützer haben bislang darauf geachtet, dass Preis und Qualität der Produkte stimmen – und darüber die »Prozessqualität« vernachlässigt. Das Fleisch soll billig und nahrhaft sein – ob diese Art der Produktion die Tiere quält, die Böden vergiftet, die Landschaft leer räumt und die Bauern verarmen lässt, das war nicht das Problem des Produkts. Turnschuhe sollen lange halten und unsere Knie beim Joggen schonen – ob sie unter unmenschlichen Bedingungen gefertigt werden, hat die Tester bislang nicht interessiert. Erst vor kurzem hat die »Stiftung Warentest« ihre Haltung geändert und ein Experiment begonnen. Bei einzelnen Produkten werden nun auch soziale und ökologische Indikatoren in die Beurteilung mit aufgenommen – ein großer Fortschritt hin zum »nachhaltigen« Konsum. Denn bisher haben die Verbraucherschützer den Kunden und der Industrie gepredigt, dass die Qualität stimmen muss, dass dann aber der Preis
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entscheidet. Damit gehören sie zu den Müttern und Vätern der Schnäppchenjäger, zu denen wir alle geworden sind. Denn König Kunde, von den Verbraucherschützern inthronisiert und vom Handel hofiert, ruiniert inzwischen sein Reich – ökonomisch, sozial, ökologisch und auch moralisch. Der deutsche Verbraucher ist nicht an allem schuld. Oftmals werden ihm die Informationen verweigert, die er für eine verantwortungsvolle Konsumentscheidung braucht. Manchmal nutzt die Industrie schamlos die Schwäche, den Zeitdruck und die Armut der Menschen aus, unter der immer mehr von ihnen leiden. Oft sind die Rahmenbedingungen so gesetzt, dass nachhaltiger Konsum bestraft und nicht belohnt wird. Diese Themen bleiben aktuell, bis Konsumenten und Produzenten auf gleicher Augenhöhe verhandeln. Manche Schwierigkeiten sind durch die beharrliche Arbeit von Verbraucherschützern und Umweltaktivisten (Informationsrechte der Verbraucher, Ökosteuer) sogar auf dem Weg zu einer Lösung. Aber ohne mehr Selbstverantwortung des Konsumenten wird es keinen Fortschritt zu nachhaltigem Konsum geben. Nachhaltiger Konsum bedeutet, dass wir unsere Art von Produktion und Verbrauch nicht auf Kosten der Lebenschancen von Menschen in anderen Ländern und von kommenden Generationen aufrechterhalten. Nachhaltiger Konsum kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten (Industrie, Politik, Verbraucher) zusammen daran arbeiten, neue Produkte und Verfahren zu entwickeln und lieb gewordene Gewohnheiten überdenken. Zieht man hier eine Zwischenbilanz, fällt sie für die Verbraucher nicht schmeichelhaft aus, denn in den letzten Jahrzehnten haben sich Industrie und Politik durchaus bewegt – der deutsche Verbraucher dagegen sehr selten. Er ist nur durch Zufall aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Und er erfährt seine Macht wie eine Naturgewalt: riesig, potenziell zerstörerisch – und völlig unberechenbar.