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Todeslogistik
Hans Lebek
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Thriller © 2009 AAVAA Verlag UG (haftungsbeschränkt) Quickborner Str. 78 – 80, 13439 Berlin Alle Rechte vorbehalten eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! www.aavaa‐verlag.de 1. Auflage 2009 Cover: Grundlage ist das Gemälde „Berlin“ des sächsischen Malers DINGELIS Printed in Germany ISBN 978‐3‐941839‐03‐8
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Alle Personen und Namen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Kapitel 1 Harald Hauser war an diesem Märzmorgen spät dran, aber nicht zu spät. Er hatte seinen Audi auf dem Park‐ platz des Flughafens Schönefeld abgestellt und war im Laufschritt in die Abflughalle gestürmt. Sein Handge‐ päck, welches eigentlich eher wie eine übergroße Ak‐ tentasche aussah, machte das Laufen zur Last. Der Bil‐ ligcarrier, mit dem er nach London fliegen wollte, ver‐ langte, dass er mindestens 40 Minuten vor dem Abflug eingecheckt haben musste – und keine Sekunde später. Um 9:40 Uhr sollte der planmäßige Abflug sein. Er wusste von einem Bekannten, dass das Bodenpersonal bei Verspätungen unbarmherzig war und niemand mehr eincheckte. Als er die Abfertigungsschalter der Fluggesellschaft erreichte, spielten sich dort tumultartige Szenen ab. Viele Passagiere mussten ihr Gepäck zuerst noch durchleuchten lassen und es standen lange Warte‐ schlangen vor den beiden Geräten. Die Laufbänder lie‐ fen nervig langsam und etlichen Menschen drohte die Gefahr, dass sie nicht mehr rechtzeitig am Schalter ein‐ trafen. Zwei ältere Männer rissen sogar ihr Handge‐ päck noch vor der Durchleuchtung vom Band und 4
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stürmten zum Schalter. Das Brüllen der Sicherheits‐ mitarbeiter des Flughafens ignorierten sie. Da sie kei‐ ner aufhielt, folgten ganz schnell weitere Fluggäste diesem Beispiel. Auch Harald marschierte deshalb an den Durchleuchtungsgeräten vorbei und stellte sich am Schalter an. Die Abfertigung war wirklich sehr zügig. Er wurde von einer hübschen Brünetten kurz nach seinem Na‐ men gefragt, sie machte ein Häkchen in eine Liste, reichte ihm eine Bordkarte über den Tresen und schon hatte er die Gewissheit, dass er mitfliegen konnte. Er sah, wie weitere, eilig herbeigeholte Sicherheits‐ mitarbeiter nach dem Einchecken einige Personen he‐ rauspickten und aufforderten, ihr Handgepäck durch‐ leuchten zu lassen. Ihn interessierte es nicht sonderlich und er wunderte sich nur, dass er nicht aufgefordert wurde. Gemächlich wanderte er Richtung Wartehalle, eingepfercht zwischen anderen Reisenden. Die Ma‐ schine war offensichtlich ausgebucht. Und wieder musste er durch eine Sicherheitskontrolle. Diesmal wurde nicht nur sein Handgepäck durch‐ leuchtet, sondern er hatte auch durch einen Torbogen zu gehen, der als Metalldetektor fungierte. Vor ihm standen noch drei Passagiere, die ebenfalls den Torbo‐ 5
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gen zu durchschreiten hatten. Eine ziemlich beleibte, männliche Person unmittelbar vor ihm hatte ein unan‐ genehm strenges Parfüm. Er wollte gerade etwas mehr Abstand halten, als er von hinten einen massiven Druck gegen seinen Rücken verspürte und Geschrei er‐ tönte. Während er unfreiwillig auf seinen Vordermann auflief und diesen mitsamt dessen Vordermännern durch den Torbogen stieß, sah er, dass es wieder die beiden älteren Männer waren, die diese Paniksituation erzeugt hatten. „Wir verpassen alle die Maschine, wenn wir nicht so‐ fort zum Abfluggate kommen!“, schrie einer von bei‐ den in gebrochenem Deutsch. Weiteres hektisches Brüllen setzte ein. Der Druck war plötzlich so stark, die Situation so chaotisch, dass er über seinen Vordermann stolperte und hinfiel. Eine Frau, noch dicker als der müffelnde Vordermann fiel auf ihn. Der Metalldetektor piepste ununterbrochen. Scheinbar war er für eine solche Situ‐ ation nicht geschaffen. Als er sich langsam wieder hoch rappelte, bemerkte er, dass sich fast ein halbes Dutzend Personen auf dem Boden tummelten und die Sicherheitskräfte eindeutig überfordert waren. Sie brüllten in die Runde, dass Ruhe gehalten werden solle 6
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und sie halfen den Gestürzten wieder auf die Beine, auch ihm. Er klopfte verärgert Schmutz von seinem Anzug. Als er einigermaßen zufrieden mit seiner Arbeit war, woll‐ te er sein Handgepäck, welches längst auf der anderen Seite des Durchleuchtungsapparats lag, aufnehmen und sich zu seinem Flugausgang begeben. Allerdings kam er nicht dazu, denn einer der Sicherheitsmitarbei‐ ter forderte ihn eindringlich auf, nochmals durch den Torbogen zu gehen. Beim piepslosen Durchschreiten sah er, dass inzwischen Zollbeamte eingetroffen wa‐ ren, welche die beiden älteren, wild gestikulierenden Männer festzunehmen schienen. Ihm war es egal. Er schnappte sich seine Aktentasche sowie seine Jacke und sein Handy, welches er zuvor in eine kleine Plas‐ tikschale gelegt hatte und ging zu seinem Abflugaus‐ gang. In zwanzig Minuten würde er an Bord der Ma‐ schine sein und drei Stunden später seinem Ge‐ sprächspartner in der Londoner City gegenübersitzen. Im Abschnitt vor dem Ausgang zu seinem Flugzeug, es handelte sich um den letzten Raum des lang ge‐ streckten Flughafengebäudes, waren die soeben abge‐ laufenen Panikszenen das Gesprächsthema überhaupt. Ihn interessierte es nicht im Geringsten. Er setzte sich 7
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auf einen der wenigen freien Plätze und grübelte vor sich hin. Was würde er darum geben, wenn er den kommenden Termin nicht wahrnehmen müsste, sein Kopf nicht so brummen und sein Bauch endlich zu grummeln aufhören würde. Ihm war inzwischen spei‐ übel – er hatte am Abend zuvor wohl doch zu viele Cognacs gekippt. Er kippte in letzter Zeit ohnehin zu viele Cognacs. „Verdammte Firma, Scheiß Ehe“, zischte er vor sich hin. Er holte sein Handy aus seiner Jackentasche und schickte eine kurze Nachricht per SMS an seine Frau Sylvie. Er wünschte ihr einen guten Morgen mitsamt Küsschen und hing sogar noch ein „I h d l“ an, obwohl er sich nicht sicher war, ob sie das überhaupt lesen wollte. Danach schaltete er das kleine Gerät aus und steckte es wieder ein. Das machte er vor Abflügen im‐ mer so, denn er hatte in New York einmal erlebt, was geschehen konnte, wenn man vergessen hatte, wäh‐ rend eines Fluges das Handy auszuschalten. Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr zeigte ihm, dass er in wenigen Minuten würde an Bord gehen können – aber sollte er lieber doch noch einmal schnell auf die Toilette gehen? 8
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Er zögerte noch kurz, obwohl er die Antwort längst kannte. Es war wie nachts, wenn er aufwachte und nur einmal im Ansatz überlegte, ob er denn müsse oder nicht – und er musste dann gehen, ob er musste oder nicht, sonst konnte er nicht mehr einschlafen, weil er sich unentwegt genau über diesen Punkt Gedanken machte. So erging es ihm auch in diesem Moment. „Noch vier Minuten – das genügt“, erteilte er sich selbst die Erlaubnis, erhob sich leicht aufstöhnend und ging zu der Tür mit dem aufgemalten schwarzen Männchen. In seinem Bauch grummelte es schon wieder – dies‐ mal noch intensiver und ein erstes Stechen setzte ein. So schnell er konnte, drückte er in der Toilette die erste erreichbare Türklinke: Versperrt, das rote Zeichen be‐ stätigte es eindeutig. Auch die nächsten Türen waren von innen verriegelt. Scheinbar erging es anderen ge‐ nau so wie ihm – das war immerhin einigermaßen tröstlich, wenn es nur zeitlich nicht so knapp wäre. Endlich öffnete sich nach einem lauten Rauschen der Spülung eine Tür und ein jüngerer Mann trat heraus. Er ging, seinen Hosenschlitz noch schließend, an ihm vorbei und verließ die Toilette, ohne sich die Hände zu waschen. 9
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„Dreckschwein“, schickte Harald dem Mann brum‐ melnd hinterher und verschloss die Tür einer streng riechenden, kleinen Kabine. So schnell er konnte, riss er sich seine Hosen herunter und plumpste förmlich auf die Brille. Neben ihm rauschten immer mehr Spü‐ lungen und Türen klappten. Bei ihm rauschte es nach einem kurzen, heftigen Schmerz im Bauch ebenfalls mächtig, hinein in das Toilettenbecken. „Die Passagiere für den Flug ...“ Wieder verspürte er heftige Krämpfe im Bauch. „... an Bord gehen.“ Das galt auch ihm, das war ihm klar. Aber er konnte in diesem Augenblick nicht, beim besten Willen nicht. Ihm war hundeelend und er hatte das Gefühl, kreide‐ bleich zu sein und Schweiß auf der Stirn zu haben. Nachdem er sich wiederum ein wenig erleichtert hatte, ging es ihm deutlich besser. „Letzter Aufruf für die Passagiere des Fluges ...“ „Oh Gott, wie soll ich das schaffen. Meine Knie sind wie Butter. Verdammt, verdammt, verdammt“, winsel‐ te er, so stark waren seine Bauchschmerzen schon wie‐ der. Es war 09:30 Uhr und damit die letzte Möglichkeit, den Ausgang zum Shuttlebus für das bereitstehende 10
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Flugzeug zu passieren. In wenigen Minuten wäre die Tür unweigerlich wieder verschlossen. Er lehnte sich so weit wie möglich nach vorne, um so den Druck in seinem Bauch abzubauen. In den ver‐ gangenen Monaten hatte er schon mehrere derartige, schmerzhafte Sitzungen gehabt und herausgefunden, dass in dieser Sitzhaltung die Stiche am schnellstens vorübergingen. Nach mehreren Minuten, er hätte nicht sagen können, wie viele es waren, ließen die Schmerzen endlich nach. Er wartete noch eine Weile und beendete dann die Sit‐ zung. Es ging ihm nun doch erheblich besser. Mit wackeligen Knien verließ er die Kabine und wusch sich gründlich Hände und Gesicht. Als er sich im Siegel so betrachtete, muskulös gebaut, schlank und gut 1,85 Meter lang, gefiel ihm dieser Teil seines Äuße‐ ren wirklich gut. Musste er für sich selbst zu seinem Gesicht Stellung nehmen, dann fand er es nicht allzu attraktiv ‐ es war so gar nicht sein Geschmack, obwohl er sich inzwischen bereits leidlich daran gewöhnt hat‐ te: Oval, bartlos, mittelblondes, nicht allzu kurz ge‐ schnittenes Haar, grünbraune Augen und eine leichte Hakennase. Höchstens der ansatzweise wulstige Mund entsprach noch seinen positiven Wertvorstellungen. 11
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Bei Frauen fand er so etwas sinnlich. Und sein Gesicht war jetzt auch noch bleich wie das eines Toten, die Augen dunkel unterlaufen. Leicht schwankend verließ er die Toilette und begab sich zu seinem Abflugausgang. Wie er schon erwartet hatte, war die Tür verschlossen. Dass jedoch kein Mensch mehr im Raum war, damit hatte er nicht ge‐ rechnet. Enttäuscht legte er seine Aktentasche auf das Stehpult am Ausgang und versuchte die Tür zu öffnen. Es ging natürlich nicht. Verdammte Sicherheitsvorschriften. Er sah, wie das Flugzeug, in dem er jetzt unbedingt sitzen sollte, sitzen musste, rückwärts aus dem Parkhafen rollte. Da nun ohnehin bereits alles verdorben war, blieb er an der Tür stehen, die Stirn an das kühlende Glas gepresst und beobachtete sehnsüchtig sein Flug‐ zeug, welches etwas entfernt auf einer der billigeren Parkflächen stand und von dem sich zwei Shuttlebusse und sämtliche Versorgungsfahrzeuge wie auf Kom‐ mando entfernten. Die Maschine drehte sich soeben fast im Stehen und begann dann langsam entlang der Startbahn zur Startposition zu rollen. Erstaunt bemerk‐ te er, dass sie dort nicht einmal anhielt, sondern sofort auf die Startbahn Richtung West einbog. Und schon 12
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beschleunigte sie irrwitzig in den entgegenkommen‐ den Wind hinein. Er fand es schon überzeugend, wie perfekt auch die Zeitlogistik der Billigcarrier funktio‐ nierte. Maximal zwanzig Minuten durfte sich eine Ma‐ schine inklusive Landung und Start auf einem Flugha‐ fen aufhalten. Das minimiere die Kosten erheblich, ar‐ gumentierten die Billigcarrier. Er sah den heißen Ausstoß der beiden Triebwerke von hinten und es faszinierte ihn immer wieder, wenn er ein derartig schweres Flugzeug abheben sah. Es bedeu‐ tete für ihn Freiheit, Unabhängigkeit. Gleichmäßig, scheinbar schwerelos, stieg die Maschine und würde jede Sekunde aus seinem Blickfeld entschwinden – und mit ihm die letzte Hoffnung für seine Firma. 09:49 Uhr Er wollte sich schon abwenden, als an der Stelle, an der sich das Flugzeug in der Luft befand, ein zuerst gelber, dann feuerroter Ball entstand. Lautlos und sich immerzu vergrößernd. Danach bildeten sich mehrere dunkle Rauchwolken in der Luft und brennende Teile flogen wie sprühende Funken umher, um irgendwo auf der Erde aufzuschlagen. Und jetzt erst kam ein dumpfer Knall bei ihm an, der die Scheibe, an der er immer noch lehnte, erbeben ließ. Dieser Vorgang 13
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hämmerte in sein Gehirn die Gewissheit ein, dass er soeben einen Flugzeugabsturz mit seinen eigenen Au‐ gen gesehen hatte.
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Kapitel 2 Sirenen begannen zu schrillen, Türen zu klappen und überall ertönten Schreie. Er musste tief Luft holen, ehe er in der Lage war, sich zu bewegen. Nur ‐ was sollte er jetzt tun? Wie in Zeit‐ lupe dämmerte ihm, dass er selbst dem Tod von der Schippe gesprungen war. Er hätte in der Maschine sit‐ zen müssen und so wäre es auch gewesen, wenn er keine körperlichen Probleme gehabt hätte. Gab es doch so etwas wie eine schicksalhafte Fügung? Grundsätz‐ lich glaubte er an Derartiges nicht, aber hatte es sich soeben nicht genau um solch einen Vorgang gehandelt. Die Presse würde sich auf ihn stürzen, seine Frau sich ihm wieder mehr zuwenden und für seine Firma wür‐ de er ebenfalls Kapital aus dieser Fügung schlagen. Aber seine marode Firma retten ‐ würde es dafür aus‐ reichen? Die Banken interessierte eine solche Geschich‐ te mit Sicherheit nicht, sie würde nur die Rückzahlung des immensen Firmenkredits interessieren. Im Gegen‐ teil, es würde so mancher diese Fügung verfluchen: Immerhin war er zugunsten der Firma mit einer Mil‐ lion Euro risikoversichert. Seine Frau würde ebenfalls schnell umdenken, denn auch hier würde sie die Aus‐ 15