der »gute conrad« von weissensee

erhängt aufgefunden, ein Suizid liegt nahe. Doch die jüdische Gemeinde wurde des rituellen Mordes bezichtigt. Das war der Ausgangspunkt für die Bluttat auf ...
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Der »Gute Conrad« von Weißensee

Hartmut Kühne und Johannes Mötsch (Hg.)

DER »GUTE CONRAD« VON WEISSENSEE Judenmord und Heiligenverehrung zwischen Spätmittelalter und Reformation

Lukas Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und des Thüringer Landtages (vermittelt durch die Historische Kommission für Thüringen)

© by Lukas Verlag Erstausgabe, 1. Auflage 2017 Alle Rechte vorbehalten Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte Kollwitzstraße 57 D 10405 Berlin www.lukasverlag.com Reprographie, Satz und Umschlag: Lukas Verlag Druck: Westermann Druck Zwickau GmbH Printed in Germany ISBN 978-3-86732-280-5

Inhalt

Grußwort 7 Ilse Junkermann Grußwort 9 Reinhard Schramm Vorwort der Herausgeber Johannes Mötsch, Hartmut Kühne

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Die jüdische Siedlung im mittelalterlichen Weißensee Maike Lämmerhirt

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Die Opfer des Pogroms von 1303 in Weißensee, Gotha, Kölleda und Tennstedt nach dem Martyrologium im Nürnberger Memorbuch 28 Die Ereignisse des Jahres 1303 in Weißensee Johannes Mötsch

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Die bauarchäologischen Untersuchungen in der Stadtkirche St. Peter und Paul in Weißensee und die Befunde zur Grabstätte des »Guten Conrad« 42 Udo Hopf Der Kult des »Guten Conrad« von Weißensee und sein Ende Hartmut Kühne

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Der Sündenfall. Martin Luther und die Juden Gerhard Begrich

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Anhang Die wichtigste Quelle zu den Ereignissen von 1303: die Handschrift UB Erlangen Ms 423 Johannes Mötsch

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Grußwort für das Kolloquium zum »Guten Konrad« am Freitag, dem 13.11.2015 um 9.30 Uhr in Weißensee Landesbischöfin Ilse Junkermann, Magdeburg

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Herrnhuter Brüdergemeinde lost für jeden Tag ein Bibelwort aus als Anregung für die tägliche Andacht und als Begleiter durch den Tag. Die Losung für den heutigen 13.  November steht in der hebräischen Bibel, im Buch des Propheten Jesaja: »Ich komme«, sagt Gott, »um alle Völker und Zungen zu versammeln, dass sie kommen und meine Herrlichkeit sehen.« (Jes 66,18). Das ist eine Vision, die friedlich ist und leuchtet: Alle Völker sehen die Herrlichkeit des einen Gottes. Und alle Zungen, alle Sprachen verehren sie. Was für ein freundliches Sprachengewirr, was für ein helles, frohes Miteinander! Die verschiedenen Völker finden zu einer friedlichen Gemeinschaft, weil Gott sie alle zu sich finden lässt. Sein erwähltes Volk Israel ist zum sichtbaren und spürbaren Licht für alle Völker geworden. Am Ende der Zeit werden endlich alle Völker zu Ihm, dem Einen Gott des Friedens und der Gerechtigkeit finden – weil Gott selbst kommt, allen entgegenkommt. Immer wieder erleben wir das genaue Gegenteil: Die Feindschaft zu Israel, Feind­schaft und Krieg unter den Völkern. Auch vor mehr als 700 Jahren hat sich hier auf der Rummelsburg das genaue Gegenteil abgespielt. Die jüdische Bevölkerung Weißensees – mehr als 120 Männer, Frauen und Kinder, die Zahl variiert je nach Quelle etwas – wurde ermordet, von Menschen gleicher, nämlich deutscher Zunge. Von Menschen, die an denselben Gott glaubten und dieselben heiligen Schriften als die ihren ansahen. Wir sind hier, um dieses grauenhaften Pogroms aus dem Jahr 1303 zu gedenken. Mit Hilfe des heutigen wissenschaftlichen Kolloquiums wollen wir Licht in das Vergessen bringen. Wir wollen der Verquickung von christlichem Glauben und dem Hass auf Juden ins Gesicht sehen, erkennen, wie wir umkehren können zu einem friedlichen Miteinander. Anlass ist die Freilegung der sterblichen Überreste des sechzehnjährigen Conrad bei Sanierungsarbeiten in der Kirche St. Peter und Paul hier in Weißensee. Er wurde erhängt aufgefunden, ein Suizid liegt nahe. Doch die jüdische Gemeinde wurde des rituellen Mordes bezichtigt. Das war der Ausgangspunkt für die Bluttat auf der Burg. Und Conrad wurde nach seinem Tod zum »guten«, nämlich wundertätigen Konrad. Auch Martin Luther nimmt in seinem unsäglichen Traktat »Von den Juden und ihren Lügen« aus dem Jahr 1543 auf die Ereignisse Bezug, ohne sie auch nur im geringsten zu kritisieren: »Daher gibt man jnen offt in den Historien schuld, dass sie die Brunnen vergifft, Kinder gestolen und zerpfrimet haben, wie zu Trent, Weissensee etc.« Grußwort

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Dass es in diesen Tagen wieder zu Gewalt gegen Menschen kommt, »nur« weil sie anders sind, fremd, das muss uns bestürzen und beunruhigen – auch wenn diese Gewalt mit dem Pogrom von 1303 nicht vergleichbar ist. Dass Flüchtlingsheime brennen oder unter Wasser gesetzt werden, dass Menschen mit anderer Sprache und Hautfarbe überfallen und Helferinnen und Helfer bedroht werden, gibt dem Geschehen von damals eine bedrückende Aktualität. Ängste werden mit viel Hass und Hetze geschürt. Menschen werden einer Gruppe zugeordnet, anonymisiert, zu einer Bedrohung aufgebaut. Wie wichtig ist es, dass dieses Kolloquium heute stattfindet! Vor anderthalb Jahren, am 15. April 2014, fand die neuerliche Beisetzung der Gebeine des Conrad statt. Und das Kaddisch für die ermordeten Jüdinnen und Juden wurde hier auf der Runneburg angestimmt. Dass am selben Tag beides möglich war, ist ein vorsichtiger Schritt hin zu der großen versöhnenden Vision des Propheten Jesaja: »Ich komme, um alle Völker und Zungen zu versammeln, dass sie kommen und meine Herrlichkeit sehen.« Möge der heutige Tag unter dem guten Stern dieses Wortes stehen! Ich danke allen, die diese Tagung vorbereitet haben und gestalten werden, für Ihr Engagement: der Jüdischen Landesgemeinde Erfurt und Herrn Prof. Dr. Schramm; dem Thüringer Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie, vertreten durch Herrn Dr. Walter; Ihnen, Herr Prof. Dr. Paulus und der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten; Ihnen, den Referentinnen und Referenten, die das Geschehen und seine Hintergründe aus ganz unterschiedlicher Sicht beleuchten werden, und allen, die im Hintergrund an der Vorbereitung mitgewirkt haben. Die Erkenntnisse dieses Tages sind nicht nur historisch interessant. Sie sind auch wichtig für unser Zusammenleben heute, dessen bin ich gewiss. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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Grußwort

Grußwort zur Konferenz über den »Guten Conrad« und den Judenmord in Weißensee und anderen Orten im Jahre 1303 Prof. Dr. Reinhard Schramm

Sehr geehrte Damen und Herren, Ich bedanke mich für die Einladung. Vor allem Dank für die Erforschung der Um­ stände des Pogroms von 1303. Mein Dank gilt den Vortragenden Herrn Hopf, Frau Dr. Lämmerhirt, Herrn Dr. Mötsch, Herrn Dr. Kühne und Herrn Dr. Begrich. Dank an alle Mitwirkenden. Besonderer Dank gilt den Organisatoren der Konferenz, dem Präsidenten des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Herrn Dr. Ostritz, seinen Stellvertreter Herrn Dr. Walter, Herrn Dr. Küßner und Frau Dr. Sczech. Sicher haben weitere Personen mitgewirkt, denen ich ebenfalls herzlich danke. Diese Anstrengungen zur Aufarbeitung der jüdischen Geschichte in Thüringen, die neben glücklichen Zeiten auch die Pogrome des Mittelalters, den Antisemitismus Luthers und das Eisenacher Institut zur »Entjudung der Kirche« einschließt, haben ihren Anteil an der heutigen guten Atmosphäre in Thüringen. An dieser Stelle möchte ich die Neugestaltung des Luther-Hauses in Eisenach durch die evangelische Kirche besonders positiv hervorheben. * Ich fand es richtig, die wieder aufgefundenen Gebeine des »Guten Conrad« würde­voll und mit Namen versehen in der Kirche St. Peter und Paul beizusetzen. Unser Landesrabbiner Konstantin Pal und ich nahmen teil, wurde doch der Tod dieses sechzehnjährigen Burgmannssohnes als Auslöser zu diesem furchtbaren Judenpogrom missbraucht. Unser Anliegen bezüglich der Ereignisse des Jahres 1303 war es, dass nicht nur dieser Jugendliche im Mittelpunkt stehen darf, den man einst zum Märtyrer instrumentalisierte. Unser Wunsch und der des Landesamtes war es, einen Gedenkort für die Pogromopfer anzuregen. Auch nach 700 Jahren ist es ein berechtigtes Anliegen, auf der Runneburg, am Hauptort des Mordens, den jüdischen Kindern, Alten, Männern und Frauen ihre Namen zurückzugeben. Der Weißenseer Ortstermin am 7. April 2015 unter Beteiligung der Stiftung Schlösser und Gärten, des Kirchenkreises, der Kirchengemeinde und des Landesamtes diente diesem Ziel. Die Prämissen waren sorgfältig gewählt und ein würdiger Ort für das Gedenken gefunden. Seitens des Landesamtes wurde unlängst für die Gedenktafel ein Text mit den Namen der Ermordeten vorgeschlagen. Der Direktor der Stiftung Schlösser und Gärten als Hausherr der Runneburg lehnte aus Platzgründen die namentliche Nennung der Opfer auf der Gedenktafel ab. Grußwort

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