Thomas Springub
Das Blackout-Phänomen im Trampolinturnen Eine Studie mit Lösungsvorschlägen Foto: © Bernd Engel
Springub, Thomas: Das Blackout-Phänomen im Trampolinturnen: Eine Studie mit Lösungsvorschlägen. Hamburg, disserta Verlag, 2015 Buch-ISBN: 978-3-95935-048-8 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95935-049-5 Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2015 Covermotiv: pixabay.com
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Inhaltsverzeichnis
0 Einleitung ............................................................................................................. 9 1 Bewegungstheoretischer Bezugsrahmen ....................................................... 12 1.1 Abgrenzung von der Kybernetik ..................................................................... 12 1.1.1 Die Entstehung unterschiedlicher Bewegungsauffassungen .................... 12 1.1.2 Digitaler Mensch ? .................................................................................... 14 1.1.3 Kybernetik und Regelkreise ...................................................................... 16 1.2 Ganzheitlicher Ansatz .................................................................................... 18 1.2.1 Der Bewegungsbegriff .............................................................................. 18 1.2.2 Bewegungshandlungen als Beziehung zwischen Mensch und Welt ........ 21 1.2.3 Die Bewegung als Gestalt ........................................................................ 22 1.2.3.1 Die Gesetze der Gestalt ..................................................................... 23 1.2.3.2 Gestalt und Form ............................................................................... 24 1.2.3.3 Bewegungsgestalt und Bewegungsform ............................................ 25 1.2.4 Der Gestaltkreis ........................................................................................ 27 1.2.5 Innere Bilder ............................................................................................. 30 1.2.5.0 Exkurs zum Bewußtsein ..................................................................... 30 1.2.5.1 Die Bewegungseinstellung ................................................................. 34 1.2.5.2 Die Reafferenzfigur ............................................................................ 35 1.2.5.2.1 Die visuelle Orientierung ................................................................ 37 1.2.5.2.2 Der `Zeitsinn´.................................................................................. 39 1.2.5.3 Das Bewegungsengramm .................................................................. 42 1.2.6 Lernen und Üben in schöpferischer Freiheit ............................................. 43 1.2.6.1 Lernen als Organisationsprozeß ........................................................ 43 1.2.6.2 Maximen des Übens .......................................................................... 45 1.2.6.3 Schöpferische Freiheit als erstrebenswerter Zustand des SichBewegenden ...................................................................................... 48 1.3 Bewegungsformen im Trampolinturnen ......................................................... 52 1.3.1 Translations- und Rotationsbewegungen ................................................. 52 1.3.2 Bewegungsformen des Wettkampfsports ................................................. 55 1.3.3 Bewegungs- bzw. Sprungphasen ............................................................. 60
2 Das Phänomen des Blackout im Trampolinturnen ......................................... 63 2.1 Definition und Schilderung ............................................................................. 63 2.1.1 BLACKOUT .............................................................................................. 63 2.1.2 Abgrenzung zu ähnlichen Erscheinungen ................................................ 65 2.1.3 Erscheinungsarten des Blackout .............................................................. 66 2.2 Versuch einer theoretischen Eingrenzung - motorische Handlungsfehler ...... 69 2.2.2 Entstehungsmöglichkeiten von Handlungsfehlern .................................... 70 3 Untersuchung .................................................................................................... 73 3.1 Fragestellung ................................................................................................. 73 3.2 Methode ......................................................................................................... 74 3.3 Durchführung ................................................................................................. 76 3.3.1 Die geplante Voruntersuchung ................................................................. 76 3.3.2 Die narrativen Interviews .......................................................................... 77 3.4 Ergebnisdarstellung und -interpretation ......................................................... 79 3.4.1 Beschreibung der Fälle .............................................................................. 79 3.4.1.1 Erscheinungsarten und Entwicklungen .............................................. 79 3.4.1.2 Betroffene Sprünge ............................................................................ 81 3.4.2 Bezug der spezifischen Situation im Training zur Entstehung des BO ........ 83 3.4.3 Zusammenhang zur allgemeinen Lebensituation ..................................... 85 3.4.4 Die Rolle der Ichhaftigkeit bei ersten Fehlversuchen................................ 87 3.4.5 Die Rolle der Ichhaftigkeit bei der Entwicklung eines BO ......................... 89 3.4.5.1 Angst vor dem Unvorstellbaren .......................................................... 89 3.4.5.2 Angst vor körperlichen Schäden ........................................................ 90 3.4.5.3 Angst vor dem Versagen .................................................................... 91 3.4.6 Zusammenhang zu den allgemeinen Trainingsbedingungen und den Lehrund Lernmethoden ................................................................................... 94 3.4.7 Innere Vorgänge ....................................................................................... 98 3.4.7.1 ...vor der BO-Bewegung ..................................................................... 98 3.4.7.2 ...während der BO-Bewegung .......................................................... 100 3.4.7.3 ...nach der BO-Bewegung ................................................................ 102 3.4.8 Die Ähnlichkeit der Bewegungen und das Problem der trennscharfen Codierung ............................................................................................... 103 4 Fazit .................................................................................................................. 109 4.1 Zusammenfassende Erklärungsversuche .................................................... 109
4.1.1 Die ersten Fehlhandlungen .................................................................... 110 4.1.2 Die Verfestigung ..................................................................................... 111 4.1.3 Die Erweiterung ...................................................................................... 113 4.2 Folgerungen für die Trainingspraxis ............................................................. 114 4.2.1 Prophylaxe ............................................................................................. 114 4.2.2 Rehabilitation .......................................................................................... 118 4.2.2.1 Der Kampf gegen die Ichhaftigkeit ................................................... 118 4.2.2.2 Gewöhnung verhindern und Unterscheidung erleichtern ................. 123 5 Schluß .............................................................................................................. 127 6 Anhang ............................................................................................................. 129 Literaturliste ......................................................................................................... 129 Abkürzungen/Erklärungen ................................................................................... 133 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen ......................................................... 135 Tabellenverzeichnis ............................................................................................. 136 Verzeichnis der Sprünge* .................................................................................... 137
0 Einleitung Das Trampolinturnen ist eine recht junge und seit kurzem auch olympische Sportart, welche Bewegungserfahrungen ermöglicht, die in kaum einer anderen Sportart gemacht werden können. Man kann für einen Augenblick die Schwerkraft überwinden und sich dabei mit viel Übung auch noch in verschiedene Richtungen drehen und überschlagen. Im Spitzenbereich gehören Dreifachsalti mit eingebetteter Längsachsendrehung bereits zum Standard-Repertoire. Die Wettkampfübungen des Leistungssports bestehen aus zehn verschiedenen Sprüngen; Mehrfach-Vorwärtsund -Rückwärtssalti zumeist mit Mehrfach-Schrauben. Um auf zehn verschiedene und dennoch schwierig und ästhetisch wirkende Elemente zu kommen, muß der Springer die Bewegungen in unterschiedlicher Körperhaltung (gebückt, gestreckt, gehockt) und v.a. die Schrauben zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Bewegung turnen. Dennoch sehen die Sprünge für den Laien `irgendwie alle gleich´ aus, und so werden Spitzenspringer manchmal gefragt: „Wie schaffst du das nur? Kommst du da nicht auch `mal durcheinander?“ Auch ich selber habe Trampolinturnen als Leistungssport betrieben. Ich möchte nun von drei Begebenheiten, die mir in dieser Zeit widerfuhren, erzählen. Als ich gerade 13 Jahre alt war, hatte ich mich für einen großen internationalen Jugendwettkampf qualifiziert. In der Vorbereitung studierte ich eine neue Übung ein, die jedoch relativ unsicher blieb. Immer wenn ich im Training den richtigen Absprungpunkt für den Beginn der Kür nicht fand, stoppte ich mit einem Salto rw das Anspringen. Als ich dann im Finale des Wettkampfes stand, fand ich meinen Absprung wieder nicht und machte den Salto rw, obwohl ich genau wußte, daß dies nicht erlaubt war und als Übungsbeginn gewertet werden würde (was ich natürlich nicht wollte). Keiner verstand mein Verhalten, am wenigsten ich selber. Im Training danach passierte es mir immer wieder, daß ich bei den Ansprüngen unbeabsichtigt einen Salto rw machte. Einige Wochen später war ich mir plötzlich `unsicher´ beim Schraubensalto. Ich wußte nicht, wie ich es anstellen sollte, diesen Sprung, den ich schon nahezu 1000mal gemacht hatte, zu turnen. Ich konnte ihn scheinbar grundlos nicht mehr und mußte ihn wieder ganz neu lernen. Wiederum einige Wochen danach passierte es mir einmal, daß ich anstatt Barani (Salto vw gestreckt mit halber Schraube) einen 1 ¾ Salto vw mit Landung auf dem Rücken machte. Das geschah dann immer öfter,
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bis ich überhaupt nicht mehr in der Lage war, einen Barani zu turnen, und stattdessen immer 1 ¾ Salto vw machte. Und das war noch nicht alles! In der schlimmsten Phase machte ich bei jedem Versuch, einen der verschiedenen einfachen Vorwärtssalti zu turnen, mindestens 1 ¾ Saltodrehungen. Gelegentlich machte ich dann sogar Doppelsalto rw anstatt einen einfachen Salto rw zu turnen. Es ist leicht nachzuvollziehen, daß ich in dieser Phase kein sehr glücklicher Mensch war. Was war da mit mir los? In der Fachsprache des Trampolinturnens hat sich für diese Erscheinung der Begriff Blackout durchgesetzt. Obwohl im englisch-amerikanischen Bereich auch der Begriff `Lost-Skill-Syndrome´ kursiert, bevorzuge ich in dieser Studie die Bezeichnung Blackout (BO) - nicht nur, weil er inoffiziell schon ein Fachbegriff ist, sondern auch weil mir für ein derart komplexes Thema dieser relativ offene Begriff angebrachter erscheint. Da nicht nur ich, sondern noch viele andere Leistungssportler mit diesem Phänomen mehr oder weniger in Konflikt geraten sind und noch werden - einige geben deswegen den Sport sogar auf - und, weil es in der Literatur bislang so gut wie gar nicht behandelt wurde, möchte ich mich hier damit auseinandersetzen. Ich denke, daß es dringend notwendig ist, etwas Licht in das Dunkel des Blackout-Phänomens zu bringen, und daß der Schleier der Neurose von den Betroffenen genommen wird. Um dem Problem wirklich auf den Grund zu gehen, halte ich es für unerläßlich, das Empfinden und die Meinung der Betroffenen genauer zu betrachten. Aus diesem Grund habe ich mit Sportlern und Trainern gesprochen bzw. narrative Interviews geführt, die mit dem Blackout in Berührung gekommen sind. Damit der Interpretation dieser Gespräche ein fundierter theoretischer Bezugsrahmen zugrunde gelegt werden kann, werde ich im ersten Schritt ausführlich über die für den Untersuchungsgegenstand wichtigen Punkte einer qualitativen Bewegungslehre referieren. In diesem Ansatz wird die Bewegung auf in der Sportwissenschaft nicht ganz übliche Weise betrachtet. „Sie erscheint nicht nur als `Tatbestand in der Welt´, sondern ebenso als von menschlicher Subjektivität in seiner Bedeutung hervorgebracht.“ (PROHL/ SEEWALD 1995, 7) Dem Leser mag der Umfang dieses Teils des Buches bei einem Blick in das Inhaltsverzeichnis überproportional vorkommen, allerdings halte ich dieses Ausmaß für notwendig, damit die Begriffe bei der Interpretation der
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Untersuchungsergebnisse klar sind. Außerdem werden hier bereits Aussagen der Befragten für die Beschreibung trampolinspezifischer Vorgänge einbezogen. Bevor ich dann zur Untersuchung und der Ergebnisinterpretation komme, werde ich das Phänomen Blackout noch einmal näher beschreiben und zudem eine eventuell nützliche Theorie zu motorischen Handlungsfehlern ansprechen. Im letzten Abschnitt werde ich dann die Ergebnisse noch einmal zu einer allgemeinen Theorie zusammenfassen und daraus Hinweise für den Umgang mit Blackoutproblemen im Training ableiten.
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1 Bewegungstheoretischer Bezugsrahmen Jeder Wissenschaftler betrachtet seinen Untersuchungsgegenstand von einer bestimmten Position. Dabei existieren in der heutigen Forschung zur menschlichen Bewegung v. a. zwei Positionen. Da ist zum einen der Standpunkt des außenstehenden Beobachters, bei dem die Bewegung des Körpers im Mittelpunkt des Interesses steht. Durch die Eingliederung anderer Wissenschaften werden dann die Phasenstruktur oder andere sichtbare qualitative Merkmale der Bewegung möglichst objektiv betrachtet. Die Physik und die Biomechanik untersuchen Orts- und Lageveränderungen des Körpers und seiner Teile und dabei auftretende Kräfte, während die Physiologie und die Motorikforschung ihr Zustandekommen zu erklären versuchen. Von einem anderen Standpunk aus wird besonders das Erleben des sichbewegenden Menschen betrachtet. Dabei ist besonders seine Wahrnehmung von Bedeutung. Es wird danach gefragt, wie und warum der Mensch welche (Bewegungs-) Handlungen in seiner Umwelt vollzieht. Seine Absichten, Entwürfe, Erwartungen, Gedanken u. a. werden dann mit der Körperbewegung behandelt..
1.1 Abgrenzung von der Kybernetik Im folgenden wird es darum gehen, wie diese beiden Standpunkte - es gibt sicherlich viele Schattierungen und Mischformen, die davon abgeleitet werden können, hier jedoch nicht besprochen werden - zustande gekommen sind, welchen ich in dieser Arbeit nicht einnehmen werde und Gründe dafür.
1.1.1 Die Entstehung unterschiedlicher Bewegungsauffassungen In einem Beitrag während eines Symposiums zur Sportmotorik1 beschrieb Jan W.I. TAMBOER die „Entstehungsgeschichte des Bewegungsproblems“ (vgl. 1997, 23ff.), die ich nun versuche nachzuzeichnen.
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4. Symposium der dvs-Sektion Sportmotorik 1997
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Um die Entstehung unterschiedlicher Auffassungen bezüglich der menschlichen Bewegung herzuleiten, ging der Autor weit in die Geschichte der Philosophie zurück; zu ARISTOTELES. Dem Griechen zufolge (und im Gegensatz zu seinem Lehrer PLATO) „setzen sich alle Dinge aus zwei Prinzipien zusammen: `Form´ und `Materie´. Mit dem Form-Prinzip meinte er das teleologische Prinzip, ohne das `Materie´ keine Realität darstellt und dem sie ihr Ziel und ihre Bestimmung entlehnt“ (a.a.O., 24) (Hervorhebungen vom Autor). Von besonderer Bedeutung ist hierbei, daß ARISTOTELES die Form nicht gesondert von der Materie, d. h. nicht außerhalb des Subjekts betrachtete, sondern für ihn war sie eine dem Wesen innewohnende Sinnbezogenheit. V. a. bei Menschen und Tieren kommt zu dieser Sinnbezogenheit eine starke Spontaneität, so daß sie in der Lage sind, sich selbst zu bewegen. „Spontane Aktivität, Zielgerichtetheit und `Bezogenheit zu etwas´ sind im aristotelischen Denken [...] inhärente Merkmale der lebendigen Wirklichkeit“ (ebd.). In dem Form-Prinzip des griechischen Philosophen ist das wiederzufinden, was mehrere hundert Jahre später in den Humanwissenschaften - und auch bei einigen wenigen Bewegungswissenschaftlern - durch den Begriff Intentionalität beschrieben wird. Bereits zum Ende des Mittelalters wurde diese Auffassung zugunsten der entstehenden Naturwissenschaften verworfen. Durch Männer wie GALILEI, KEPLER oder NEWTON entstand ein mechanistisches Weltbild, das bestimmt war durch kausale Zusammenhänge und die Isolierbarkeit aller Teile. TAMBOER spricht hier von einer „Substantialisierung der Wirklichkeit“ (a.a.O., 25), welche besonders durch DESCARTES mit dem Menschen in Beziehung gebracht wurde. Er eröffnete den Weg des Dualismus von Subjekt und Welt, wenn er behauptete, „daß `Zielgerichtetheit´ und `Sinngebung´ nur noch zugeteilt werden könnten an eine separate Substanz [...], die vom materiellen Körper strikt getrennt gedacht“ werden muß (ebd.). Der Franzose ist auch dafür mitverantwortlich zu machen, daß es zu einer „radikalen Spaltung des `sinnvollen Verhaltens´ in eine `subjektive Innen-Welt´ und eine `objektive Außenwelt´“ (ebd.) kam, und daß das maschinenanaloge Körperbild sich gegen das ursprüngliche, anthropomorphe durchsetzte.
So entstanden zwei unterschiedliche Traditionen in den Humanwissenschaften, die sich auch in der Bewegungswissenschaft niederschlugen. Allerdings ist hier die „aristotelische Tradition“ (a.a.O., 26), die sich auf Intentionalität, Sinn und Bedeutung im Zusammenhang zur Einheit von Mensch und Welt beruft, mit ihrem hermeneutischen Untersuchungsansatz nicht zu großer Bedeutung gelangt. Vielmehr ist es
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die „galileische Tradition“ (ebd.), welche die Analysierbarkeit (durch Isolation) und Gesetzmäßigkeit (kausale Zusammenhänge) aller Geschehnisse voraussetzt und somit auf einem substantiellen Wirklichkeitsbild basiert, die die Wissenschaft der Bewegung heute mit einer empirisch-analytischen Vorgehensweise bestimmt. Häufig liegt den aktuellen Forschungsansätzen folglich ein Körperbild mit eher substantiellem Charakter zugrunde, denn „man glaubt, den Körper unabhängig von der Umgebung beschreiben zu können. Eine Trennung von Mensch und Welt ist mit diesem Körperbild direkt verbunden“ (a.a.O., 26f.). Dieses Körperbild hat eine Auffassung von Bewegung zur Folge, in der menschliches Sich-Bewegen reduziert wird auf die Veränderung von Ort und Lage des Körpers bzw. seiner Teile; auf Körperbewegung. Das Verhältnis zur Umwelt gilt dabei als „extrinsisch“ und wird erst in die Überlegungen einbezogen, wenn es um die Erforschung der Ursachen oder Wirkungen solcher Körperbewegungen geht. Unabhängig davon versucht man der Regelung und Steuerung der Bewegung näher zu kommen, und beschreibt diese dann kybernetisch, in Form von Regelkreismodellen in verschiedenen Ebenen. Bevor ich auf diese Anschauungen näher eingehe, möchte ich noch einmal auf das hinter ihnen stehende Menschenbild zurückkommen. TAMBOER kommt zu der Folgerung, „daß der Körper als Instrument oder Bewegungsapparat ins Blickfeld kommen kann. Besonders die Verwendung von Maschinenmetaphern wie `Uhrwerk´, `Dampfmaschine´, `Radio´ und `Computer´ ist in diesem Rahmen verlockend“ (a.a.O., 27). Da wir im Computerzeitalter leben und u. a. deshalb die Computermetapher wohl am geläufigsten ist, möchte ich diese zunächst in Frage stellen.
1.1.2 Digitaler Mensch ? M. E. kann eine Maschine - und ein Computer ist nunmal eine - nicht ernsthaft mit einem lebenden Organismus verglichen werden, und schon gar nicht mit dem höchstentwickelten. Hierzu möchte ich nun hauptsächlich drei Gründe anführen. Der vornehmliche Grund, aus dem ein Vergleich von Computer und Mensch irreführend ist, ist die Intentionalität des Menschen, die dem Computer (und allen anderen Maschinen) fehlt. Diesem Unterscheidungsmerkmal können viele andere untergeordnet werden.
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Ein Automat2 kann sich nicht aus freiem Willen3 und aus der Situation heraus für oder gegen etwas entscheiden. „Wie zahlreich und wohlgestaltet sie auch sein mögen, alle Verzweigungsmöglichkeiten von Computerprogrammen sind unveränderlich festgesetzt“ (GLASER 1997, 27), und zwar vom Menschen. Für ihn bzw. für uns haben die Dinge Bedeutungen, wir handeln aus einem ureigenen Sinnzusammenhang heraus. Wir deuten bestimmte Situationen als Probleme und entwickeln daraus Aufgaben. „Eine Maschine kann zwar Probleme lösen, aber keine Probleme stellen, hat EINSTEIN zu Recht gesagt“ (BUYTENDIJK 1967, 187). Das zweite Hauptunterscheidungsmerkmal des Menschen zur Maschine, das ich hier nennen möchte, ist sein Bewußtsein (s. auch 1.2.5.0). Ein Computer ist sich wohl kaum bewußt, was er tut, und weiß nichts über sich, er hat nur Daten. „Das Bewußtsein ist mehr als ein bloßer Datenfilter. Wäre ein Computer fähig, zu jedem Zeitpunkt eine kleine Auswahl der von ihm gerade bearbeiteten Daten sinnvoll zu einem Gedanken zusammenzufügen, so würde dies ohne Zweifel als außergewöhnliche Intelligenzleistung gelten. Bewußtsein wäre ihm deswegen noch nicht zuzubilligen. -- Denn im Hirn ist alles Bewußte zwangsläufig mit Empfindungen versehen. Sie färben jeden Gedanken, jede Wahrnehmung und jedes Urteil, ein Phänomen, das sich in rätselhafter Weise der objektiven Beschreibung zu entziehen scheint“ (DER SPIEGEL 1996, 196). In dieser Aussage wird auch der dritte wesentliche Kontrast des Menschen zum Computer deutlich; die Emotionalität. Alles, was wir denken oder tun wird mitbestimmt durch Empfindungen und Emotionen. Weitere Unterschiede - wie z. B. bezüglich der Informationsspeicherung (Computer: seriell - Mensch: parallel), der Informationskontrolle (Computer: zentral - Mensch: verteilt) oder der Leistung (Computer: schnell/ genau - Mensch: langsam/ störanfällig) (vgl. DAUGS 1994, 24f.) - sollen hier nicht näher beschrieben werden, denn ich denke, es ist durch die drei von mir als wesentlich erachteten Unterscheidungsmerkmale bereits klar geworden, daß eine Analogie zwischen Mensch und Computer unhaltbar ist. Nun aber zurück zu den Folgen eines solchen Menschenbildes.
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Die Begriffe Computer, Automat und Maschine werden in dieser Arbeit analog benutzt, um den Gegensatz zu einem gewissen Menschenbild zu verdeutlichen. 3 Allein der Begriff `Wille´ ist im Zusammenhang mit einer Maschine paradox.
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1.1.3 Kybernetik und Regelkreise Schon bei PLATO taucht das Wort Kybernetik auf, das er für die Fähigkeit des Herrschens, also für die Steuerung der Staatsgeschicke, gebrauchte. Als wissenschaftlichen Begriff für die Lehre von Regulationen im allgemeinen festigte WIENER Kybernetik 1958, wobei er diese Regulierungen sowohl Organismen, als auch Maschinen in gleicher Weise zuschreibt (vgl. BUYTENDIJK 1967, 183). Sie enthält verschiedene Gebiete: Informationstheorie, Informationsverarbeitung, Speichern von Instruktionen, Verschlüsselung von Instruktionen, Programmieren, Aufnehmen von Wahrscheinlichkeitsverhältnissen in ein Programm, u. a. (vgl. ebd.). All diese Gebiete tauchen sowohl in der Sinnesphysiologie, als auch in der Genetik, der Neurophysiologie, der Verhaltenslehre, u.a. als Erklärungshilfe auf. „Die Kybernetik wurde `eine Brücke zwischen den Wissenschaften´“ (a.a.O., 184). Die Physiologen beispielsweise erstellen „durch die Untersuchung der Prozesse in den morphologischen Strukturen de[n] Vergleich mit mechanischen und maschinellen Verhältnissen [...]. Überzeugend zeigt sich dies in den Versuchen, eine neurophysiologische Erklärung der Verhaltensweisen, Wahrnehmungen, Erinnerungen usw. zu geben“ (BUYTENDIJK 1967, 182). Dazu sagt VOLGER: „Der kybernistischen Auffassung unterliegt ein naturwissenschaftlich-technologisches Wissenschaftsverständnis, mit dem der Verlust des Subjekts verbunden ist“ (1990, 110). Auch BUYTENDIJK ist der Meinung, daß die Kybernetik die Subjektivität des Menschen „formalisiert“. Begriffe wie Verhalten, Beschließen, Ausführung, Störung und v. a. Plan, Information, Programm, Regulation, Steuerung, usw. sind von dieser Formalisierung stark betroffen. „Die Kybernetik ist eine moderne und allgemein anerkannte Art der Formalisation von Lebensäußerungen, wobei diese als Prozesse verstanden werden, die in ihrem gesetzmäßigen Verlauf in der physikalischen Zeit organische Regulationen, Verhaltensweisen von Tier und Mensch nachahmen“ (1967, 185). Der erfolgreiche Einzug der Kybernetik in die Sportwissenschaft fand v. a. durch MEINEL und SCHNABEL statt. Sie entwickelten ein Regelkreismodell mit einem „Geflecht von inneren und äußeren Regelkreisen“ (TREBELS 1993, 24), welche die Koordination der Bewegung ermöglichen (sollen). Hierbei sind die Rückmeldungen der Sinnesorgane, von MEINEL/ SCHNABEL Analysatoren genannt, besonders wichtig. Sie liefern sensorische Rückmeldungen, welche dann über einen Ist-Soll-Wert-
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Vergleich zur Verbesserung bzw. Genauigkeit der Bewegung führen (sollen) (vgl. ebd.). „Den Analysatoren rechnet SCHNABEL sensorische Zentren in verschiedenen Hirngebieten des Projektionsfeldes der Hirnrinde zu, in denen aufbereitend Information verarbeitet wird“ (VOLGER 1990, 113). Genau an dieser Stelle wird das Modell `baufällig´, denn die wichtigste Frage, was die Verarbeitung ist oder wie sie sich vollzieht, bleibt ungeklärt. Auch die Rolle der Analysatoren selbst ist kritisierbar. „Wenn SCHNABEL nähmlich die neurophysiologischen Funktionen der Analysatoren für identisch hält mit dem mentalen Ereignis der Körper- und Bewegungswahrnehmung, so zeigt sich darin eine radikal materialistische Auffassung von mentalen Phänomenen“ (a.a.O., 111). Im gleichen Zusammenhang hält TREBELS es für nicht zulässig, „Wahrnehmungen auf das Aufsammeln vorgegebener `objektiver´ Sinnesdaten zu reduzieren. [...] Unsere Sinne sind - wie unser Verhalten - durch intentionale Gerichtetheit mitbestimmt“ (1993, 24). Pathetischer drückt sich LEIST bei der Frage aus; „Wie konnte man in der Kommunikations- und Lerntheorie4 die Begriffe Signal und Information verwechseln?“ (1997, 4) Gemeint ist, daß in der Welt vorgefundene Signale nicht objektiv aufgenommen werden, sondern subjektiv mit Bedeutung belegt, ausgewählt und erst dann als Information dienlich werden. Weiterhin lassen sich folgende Aspekte - zusammengefaßt - nicht mit dem Regelkreismodell und anderen kybernetischen Erklärungsversuchen der menschlichen Selbstbewegung vereinbaren.5 ♦ Beim Menschen bleibt die Variabilität des Verhaltens trotz der Auswertung früherer Erfahrungen erhalten. „Während jedoch der Automat [...] zunehmend festgelegt wird - er kann dann z. B. nicht mehr zugleich gut, schlecht oder falsch“ agieren (ENNENBACH 1989, 67). ♦ Der Mensch hat ein Wissen um die eigene Bewegungsgeschichte und das aktuelle Bewegungsniveau. Dieses Metawissen beeinflußt sein Verhalten zu jedem Zeitpunkt, was bei Maschinen nicht der Fall sein wird. ♦ Das menschliche Bewegungsverhalten wird mitbestimmt durch ein Wertbewußtsein (CHRISTIAN6), was jedoch nicht heißt, daß die Bewegung nach technischen Analysen, wie sie Maschinen erstellen würden, `wertvoll´ sein muß. 4
Auch die Regelkreismodelle von MEINEL/ SCHNABEL sind hier einzuschließen. An dieser Stelle kann natürlich kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Es sollen nur einige, offensichtliche Ungereimtheiten angedeutet werden. 5
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