Die Zerlegung des Ichs

4.2.4 Theorien geteilter Bewusstseinsmomente: Lewis, Perry und Noonan . .... zen für David Lewis' Theorie habe, wie hin und wieder durchschimmern wird.
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Können wir als Personen irreversible Gedächtnisverluste überleben? Wie steht es mit Teletransportationen? Wie mit jahrelangem Einfrieren? Fragen wie diese sind weit davon entfernt, bloße Denksportaufgaben für Science-Fiction-Fans zu sein. Vielmehr verraten uns Antworten darauf, welche unserer Eigenschaften uns wirklich wichtig sind und was unser Wesen ausmacht. Unglücklicherweise beantworten Vertreter unterschiedlicher Theorien personaler Identität diese Fragen völlig verschieden. Manche begründen ihre Positionen mit phantasievollen Gedankenexperimenten; anderen sind dieselben Gedankenexperimente für eine ernsthafte Einbeziehung in die philosophische Theoriebildung schlicht zu wirklichkeitsfern. Es überrascht daher kaum, dass jene Anhänger unterschiedlicher Theorien einander oft wenig zu sagen haben. Um die Debatte zur personalen Identität auf ein solideres Fundament zu stellen, wird im ersten Teil des Buches untersucht, unter welchen Umständen Gedankenexperimente aussagekräftige philosophische Werkzeuge sind. Auf der Basis dieser Analyse werden die diversen zeitgenössischen Theorien personaler Identität dann im zweiten Teil einer Neubewertung unterzogen – nicht ohne dass dabei mit vielen selbstverständlich erscheinenden Überzeugungen aufgeräumt wird.

ISBN 978-3-89785-833-6

Weber · DIE ZERLEGUNG DES ICHS

Marc Andree Weber

DIE ZERLEGUNG DES ICHS

Über die Grundlagen personaler Identität

Weber · Die Zerlegung des Ichs

Marc Andree Weber

Die Zerlegung des Ichs Über die Grundlagen personaler Identität

mentis MÜNSTER

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort Einbandabbildung: Alexej von Jawlensky, Abstrakter Kopf: Abend (1927)

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c 2014 mentis Verlag GmbH

Eisenbahnstraße 11, 48143 Münster, Germany www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Einbandgestaltung: Anna Braungart, Tübingen Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978-3-89785-833-6

für Andrea

Man ist früher mit besserem Gewissen Person gewesen als heute. (Musil, Der Mann ohne Eigenschaften)

Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I

13

GEDANKENEXPERIMENTE UND INTUITIONEN

1

Die Struktur philosophischer Gedankenexperimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Imaginierte Szenarien und was sich an ihnen zeigen lässt . . . 1.2 Die allgemeine logische Form eines Gedankenexperiments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Erläuterungen zur allgemeinen logischen Form von Gedankenexperimenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Die Möglichkeit imaginierter Szenarien . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Modalität und Apriorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Williamsons Begriffsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Die Interpretation der ersten Prämisse . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Zombies und andere metaphysische Dubiositäten . . . . . . . . 2 Intuitionen und ihre Zuverlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Was Intuitionen sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Weite und enge Intuitionsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Neigungen zum Fürwahrhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Wann wir unseren Intuitionen trauen können . . . . . . . . . . . 2.2.1 Zu kurz greifende Rechtfertigungen unseres Intuitionsgebrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Intuitionen und Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Intuitionen als kanonische Extrapolationen vorhandenen Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Subsumtionsintuitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Intuitionen bezüglich Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Intuitionen bezüglich metaphysischer Modalitäten . . . . . . . 2.3.3 Intuitionen bezüglich Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25 25 29 34 45 46 51 56 63 67 69 69 74 78 78 81 86 93 94 94 97

10

Inhaltsverzeichnis

2.3.4 2.3.5

II

Intuitionen bezüglich eigenen oder fremden Wohlergehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Allgegenwärtigkeit von Subsumtionsintuitionen . . . . . .

102 103

THEORIEN PERSONALER IDENTITÄT

3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.6.1 3.6.2 3.6.3 3.6.4 3.7 4 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.3 5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5

Realismus bezüglich personaler Identität . . . . . . . . . . Realismus und Konventionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vage Objekte und vage Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Argument für den Realismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dualistischer Realismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Magischer Realismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwei Argumente gegen den Realismus . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Spektrum der Anzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Spektrum der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Aussagekraft der auf den Spektren beruhenden Gedankenexperimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirklichkeitsferne Gedankenexperimente und deskriptive Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfache und komplexe Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theorien psychischer Kontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . Eliminativismus und Kompositionalismus . . . . . . . . . . . . . . Psychische Kontinuität und eigenes Wohlergehen . . . . . . . . Worauf es uns ankommt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kausale Abhängigkeit und Ähnlichkeit von Bewusstseinsmomenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theorien ungeteilter Bewusstseinsmomente: Parfit und Unger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theorien geteilter Bewusstseinsmomente: Lewis, Perry und Noonan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Warum es uns nicht gibt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theorien physischer Kontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . Körper- und Gehirn-Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Körper-Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gehirn-Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Williams’ Einwand gegen die Gehirn-Kriterien . . . . . . . . . . Teilhirn-Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Gehirn als kontingenter Träger geistiger Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109 109 115 122 127 134 139 139 142 147 152 154 159 159 174 174 177 181 185 191 203 204 204 208 210 214 216

Inhaltsverzeichnis

11

5.2 5.3

Das Denkorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verallgemeinerung von Meine Teilung . . . . . . . . . . . . .

217 221

6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6

Animalistische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was der Animalismus besagt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Problem zu vieler Denker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Transplantations-Intuition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Animalismus als Hirnstamm-Kriterium . . . . . . . . . . . . Die semantischen Voraussetzungen des Animalismus . . . . . Die ontologischen Voraussetzungen des Animalismus . . . . .

225 225 229 239 246 254 255

7

Die Irrelevanz personaler Identität für praktische Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

265

ANHANG A

Die Gültigkeit des Nichtexistenz-Arguments . . . . . . .

281

B

Originale übersetzter Zitate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

285

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

293

Personen- und Sachindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

304

Einleitung

Mehr als alle anderen Philosophen denken Vertreter der analytischen Richtung in Schubladen. Sie unterscheiden und diskutieren häufig nicht nur Standpunkte, die in einer bestimmten philosophischen Debatte tatsächlich prominenterweise eingenommen werden, sondern auch solche, für die sich kein ernsthafter Fürsprecher finden lässt. Erörtert und verglichen werden primär Positionen, nicht die Ansichten fachlich herausragender Personen. Geprüft wird, welche Sichtweisen sich überhaupt konsistent vertreten lassen, wie sich für und wider diese Sichtweisen argumentieren lässt und was aus den jeweiligen Sichtweisen folgt. Das Ergebnis ist im besten Fall eine gut aufgeräumte Debatte, bei der die Theorie-Optionen samt ihren wichtigsten Vorund Nachteilen geklärt sind und neu hinzukommende Auffassungen umstandslos kategorisiert und in die passende Schublade eingeordnet werden können. Dieses zweifellos pedantische Vorgehen, das meinem Eindruck nach bei analytischen Philosophen öfter zu beobachten ist als bei Vertretern anderer Strömungen, führt sicherlich manchmal dazu, dass der Facettenreichtum einzelner ausgefeilter Theorien unterschätzt wird. Ich halte es dennoch für sinnvoll. Zwar ist ein Schubladendenken immer vereinfachend, doch wenn die Schubladen geschickt gewählt und hinreichend differenziert sind, erleichtert es uns, die wir als Menschen in unseren geistigen Fähigkeiten beschränkt sind, den gesamten Raum möglicher Positionen in den Blick zu bekommen und auch dann dort zu behalten, wenn wir uns näher auf eine bestimmte einlassen. Und manch eine Theorie erscheint erst annehmbar, wenn einem die Alternativen mit allen Konsequenzen klar vor Augen stehen. Mein Ziel in diesem Buch ist es, die Debatte zur personalen Identität aufzuräumen und zu entrümpeln. Ich möchte methodische Voraussetzungen klären, die mir zu sehr vernachlässigt werden, Unterteilungen vornehmen, die die wesentlichen Aspekte unterschiedlicher Standpunkte am prägnantesten hervortreten lassen, und Schwachstellen einiger dieser Standpunkte aufzeigen, die leicht übersehen werden oder in der Literatur, soweit mir bekannt, noch nicht zu finden sind. Mein Ziel ist es ferner, die Beziehungen zwischen Theorien personaler Identität und ontologischen Theorien sowie

14

Einleitung

zwischen Theorien personaler Identität und Theorien rationalen oder moralischen Handelns deutlich zu machen. Mein Ziel ist es nicht, mich zum Anwalt einer bestimmten Position zu machen – auch wenn ich Präferenzen für David Lewis’ Theorie habe, wie hin und wieder durchschimmern wird. Ich sehe mich als wertenden Beobachter der Debatte, nicht als Teilnehmer. Meine Vorgehensweise ist dabei revisionär, nicht deskriptiv. Laut Peter Strawson »begnügt sich [deskriptive Metaphysik] damit, die tatsächliche Struktur unseres Denkens über die Welt zu beschreiben«, während »revisionäre Metaphysik das Ziel [hat], eine bessere Struktur hervorzubringen.« (Strawson, Peter, 1959, S. 9.) 1 Deskriptive Metaphysik ist eng an unserem tatsächlichen Denken und Sprechen orientiert und erklärt uns die Welt aus der Perspektive, die wir bereits mitbringen. Revisionäre Metaphysik hat zwar auch ihren Ausgangspunkt in unserem tatsächlichen Denken und Sprechen, ist aber bereit, ihn zu revidieren, um uns die Welt aus der Perspektive zu erklären, die sich zur Erklärung am besten eignet. Das hat zur Folge, dass uns häufig die Ergebnisse einer deskriptiven Metaphysik einleuchtend und vertraut, aber problematisch und wenig allgemein erscheinen, und die einer revisionären Metaphysik ungewohnt und wirklichkeitsfern, aber erklärungsmächtig und universell. So kann man zum Beispiel unter der Wirklichkeit einmal unsere Lebenswelt verstehen, in der wir Menschen mit unseren Mitmenschen und allen möglichen sonstigen lebendigen und unbelebten makrophysikalischen Dingen interagieren. Die Ontologie als die Wissenschaft von den Grundstrukturen der Wirklichkeit untersucht dann diese makrophysikalische Welt. Oder wir können die Wirklichkeit aus der mikrophysikalischen Perspektive verstehen, als die Welt der kleinsten Teilchen, aus der sich jene makrophysikalische Welt zusammensetzen muss. Aufgabe der Ontologie ist es dann, zu explizieren, welche Eigenschaften diesen kleinsten Teilchen zukommen und wie sich die makrophysikalische Welt aus ihnen rekonstruieren lässt. Das erste Verständnis von Wirklichkeit und Ontologie ist deskriptiv, insofern es in den Fokus rückt, wodurch unser Denken geprägt wurde und woran sich unsere Begriffe ausrichten, das zweite revisionär, insofern es an dem orientiert ist, was am besten geeignet ist, uns die Welt als Ganzes zu erklären. 2 Welche Ontologie und, allgemein, welche Vorgehensweise man bevorzugen sollte, ist letztlich eine Frage des philosophischen Temperaments. Wenn ich also revisionär vorgehe, dann in erster Linie, weil ich einen hohen Anspruch an die Universalität und Explanativität philosophischer Theorien 1

2

Die englischen Originalversionen der hier auf Deutsch wiedergegebenen Zitate stehen in Anhang B. Bei englischsprachigen Arbeiten, zu denen im Literaturverzeichnis keine deutsche Übersetzung angegeben ist, stammen die deutschen Übersetzungen der Zitate von mir. Das Beispiel dieser zwei Ontologien habe ich aus Kanzian (2003), S. 95, entnommen.