Die Zeitschrift für junge Juristen - IURRATIO Online

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Die Zeitschrift für junge Juristen

Titelthema

Sportrecht Sportstrafrecht – Eine Einführung anhand von Doping im Sport Martin Heger

Die Sportschiedsgerichtsbarkeit nach dem Urteil des BGH im Pechstein-Verfahren Peter W. Heermann

Ausbildung Das Erfordernis der Abmahnung und ihre Entbehrlichkeit anhand aktueller Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Johannes Oehlschläger

Fallbearbeitung Ausschreibung von Medienrechten an Sportveranstaltungen im Lichte des Kartellrechts Peter W. Heermann

Praxis & Karriere Berufsspecial: Ausbildung Sportrecht und LL.M. Sportrecht an der Universität Bayreuth

Wissenschaftlicher Beirat

ISSN 1867-660X

Prof. Dr. Michael Kotulla Prof. Dr. Heribert Prantl Prof. Dr. Friedrich Schade Prof. Dr. Martin Schwab Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski Richter Dr. Dirk Veldhoff

Ausgabe 4/2016 | www.iurratio.de

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EDITORIAL

Liebe Leser, diese Ausgabe befasst sich mit dem Sportrecht, einer Querschnittsmaterie, die verschiedene klassische Rechtsgebiete betrifft und gerade deswegen auch für die juristische Ausbildung Relevanz besitzt. Wie hat sich ein gedopter Sportler, der an einem Wettkampf teilnimmt, oder ein Arzt, der Sportlern Dopingsubstanzen verabreicht, strafbar gemacht? Neben strafrechtlichen Fragen kommt das Sportrecht aber auch mit dem Zivilrecht in Berührung, wenn es etwa um die Haftung eines Sportlers für regelwidriges Verhalten geht. Eine Einführung in das Sportrecht bieten die beiden Titelthemenbeiträge dieser Ausgabe. Der Beitrag von Professor Heger (S. 89) zeigt anschaulich, dass das Sportstrafrecht eng mit dem klassischen Strafrecht verknüpft ist und deswegen durchaus Thema einer Strafrechtsklausur sein kann. Professor Heermann (S. 94) beantwortet in seinem Beitrag Fragen über die Sportschiedsgerichtsbarkeit und verschafft einen Überblick über das – nicht nur aus den Medien bekannte – Pechstein-Verfahren. Neue Ideen für das Projekt Iurratio konnten wir auf unserer Gesamtkonferenz, die Anfang September in Frankfurt am Main stattfand, gewinnen. Zentrale Themen waren insbesondere die Zukunft der Zeitschrift, Neuerungen im Online-Bereich sowie geplante Aktivitäten an unseren Standorten an den Universitäten. Dabei wurde auch das Konzept der Zeitschrift überarbeitet. Für die Ausgaben im nächsten Jahr werden wir den Fokus noch mehr auf Ausbildungsbeiträge und Rechtsprechungsanmerkungen richten, um unserem eigenen Anspruch an eine Ausbildungszeitschrift für junge Juristen gerecht zu werden. Gleichzeitig erhält die Zeitschrift mit den Grundlagenbeiträgen einen neuen Inhalt. In diesen wird das Grundwissen und die Struktur einzelner Themenbereiche und Probleme – nicht nur für Anfangssemester – dargestellt. Die Titelthemenbeiträge werden weiterhin eine Vertiefung und den nötigen Blick über die klassischen Rechtsgebiete hinaus bieten. Zugleich stellte die Gesamtkonferenz im Herbst den Start für das aktuelle Traineeprogramm dar und bot die Möglichkeit, die Trainees und andere Mitarbeiter besser kennenzulernen.

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s 5NDWIEKONTROLLIEREICH meinen Fortschritt?

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Marina Reitz Chefredakteurin „Iurratio – Die Zeitschrift für junge Juristen“

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Iurratio 4 / 2016

ISBN 978-3-943082-10-4

12,80 €

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I

INHALT / IMPRESSUM

Editorial Inhalt / Impressum

I II

Titelthema Sportrecht

S. 89 Titelthema: Sportstrafrecht – Eine Einführung anhand von Doping im Sport

HEGER Sportstrafrecht – Eine Einführung anhand von Doping im Sport

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HEERMANN Die Sportschiedsgerichtsbarkeit nach dem Urteil des BGH im Pechstein-Verfahren

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Lehre & Referendariat S. 101

S. 109

Ausbildung: Das Erfordernis der Abmahnung und ihre Entbehrlichkeit anhand aktueller Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

Fallbearbeitung: Ausschreibung von Medienrechten an Sportveranstaltungen im Lichte des Kartellrechts

Impressum Ausgabe 4/2016 Herausgeber (V.i.S.d.P.): Jens-Peter Thiemann [email protected] Chefredaktion: Marina Reitz, Paul Vogel [email protected] Redaktion: Ressort Öffentliches Recht ([email protected]): Michaela Driendl, Anna-Katharina Götz Ressort Zivilrecht ([email protected]): Maximilian Steffen Ressort Strafrecht ([email protected]): Marina Reitz Ressort Rechtsprechung: Jakob Leßner (Ltg.), Caroline Dressel (stv. Ltg.), Henning Ratsch, Dr. Dirk Veldhoff Lektorat: Benedikt Sander (Ltg.) Layout & Satz: Medienregie | Tilo Kemnitz (Leipzig) [email protected] Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. Michael Kotulla (Universität Bielefeld) Prof. Dr. Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung/Universität Bielefeld) Prof. Dr. Friedrich Schade (BiTS Iserlohn/Westungarische Universität Sopron) Prof. Dr. Martin Schwab (Freie Universität Berlin) Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski (HU Berlin) Richter Dr. Dirk Veldhoff (Richter am Landgericht Bremen)

Ausbildung DUTTGE Sinn und Unsinn von Remonstrationen – Ergänzende Bemerkungen zu Iurratio 1/2016 (S. 17) aus Sicht eines Hochschullehrers OEHLSCHLÄGER Das Erfordernis der Abmahnung und ihre Entbehrlichkeit anhand aktueller Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts DONAUBAUER Das Klageerzwingungsverfahren – Teil 2 Fallbearbeitung HEERMANN Ausschreibung von Medienrechten an Sportveranstaltungen im Lichte des Kartellrechts SEBASTIAN Divine Intervention – Teil 2 Rechtsprechung

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Mitarbeiterkoordination: Isabelle Jakobi (Ltg.), Benedikt Schwarz [email protected] Marketing: Charlotte von Danwitz Kundenservice: Tony Klonczynski, Tobias Runde, Mareike Scheffczyk, Maik Stang, Inga Thiemann, Charlotte von Danwitz [email protected] Weitere Mitarbeiter: Florian Ruhs, Luise Dietrich, Lukas Grundschöttel, Van Hoang, Alexander Bangert, Tobias Runde, Flavia Schardt, Dennis Burgert, Leonid Sagolov, Klaudia Richter Iurratio-Logo: Tobias Kunkel Iurratio-Deckblatt: Dominic Wallenstein Fotos und Bildquellen, falls nicht anders angegeben: www.fotolia.com Unsere Ansprechpartner an den Standorten erreichen Sie unter [email protected], also z.B. die Standortleiterin in Bremen unter [email protected]. In Berlin schreiben Sie bitte fuberlin oder huberlin, in Hamburg bitte blshamburg oder unihamburg.

Praxis & Karriere Berufsspecial: Sportrecht Iurratio Jobs

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WIR HABEN EINEN SCHWARZEN GÜRTEL IN FIRMENKOMMUNIKATION

Postanschrift: Iurratio, Salzweg 62, 48431 Rheine Druck: wiegedruckt, ein Geschäftsbereich der Druck- und Verlagshaus Wiege GmbH, Sanderskamp 17, 48477 Hörstel, www.wiegedruckt.com Urheber- und Verlagsrechte: Alle in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken und ähnlichen Einrichtungen. Kein Teil dieser Zeitschrift darf außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ohne schriftliche Genehmigung in irgendeiner Form reproduziert werden. Ausschluss: Namentlich gekennzeichnete Beiträge repräsentieren nicht unbedingt die Meinung der Redaktion. Autorenhinweise: Ausführliche Autorenhinweise finden Sie auf unserer Homepage www.iurratio.de. Alle Inhalte aus dieser Zeitschrift und früherer Ausgaben finden Sie auch in der kostenlosen juristischen Ausbildungsdatenbank „IurDB“ unter www.iurdb.de.

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Iurratio 4 / 2016

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TITELTHEMA

Sportstrafrecht – Eine Einführung anhand von Doping im Sport von Prof. Dr. Martin Heger

Prof. Dr. iur. Martin Heger hat ab 1990 an der Universität Tübingen Jura studiert und im Jahre 2002 über ein rechtshistorisches Thema promoviert („Der Nießbrauch in usus modernus und Naturrecht“); im Jahre 2005 folgte die Habilitation aufgrund der Schrift „Die Europäisierung des europäischen Umweltstrafrechts“. Seit 2005 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, europäisches Strafrecht und neuere Rechtsgeschichte an der HU Berlin.

I. Einführung in die Thematik

Betrachtet man die juristischen Diskussionen der letzten Jahre unter den Stichworten „Strafrecht“ und „Sport“, erkennt man ganz unterschiedliche Felder: Körperverletzungen im Mannschafts- und Kampfsport, die freilich so gut wie nie strafrechtlich verfolgt werden, Korruption und (Wett-)Betrug sowie – derzeit in aller Munde – Doping im Sport.1 Vorliegend möchte ich mich auf das letztgenannte Feld beschränken, einerseits weil auch dieses sowohl Körperverletzungs- und Tötungsdelikte als auch Betrügereien sowie die Strafnormen des BtMG anzubieten hat, sondern auch, weil es immerhin seit dem Jahresende 2015 mit dem Anti-Doping-Gesetz (ADG) ein erstes deutsches Sportstrafgesetz gibt. Schließlich stellt sich (auch) auf diesem Feld – wie bei Körperverletzungen durch Fouls etc.2 – die Frage nach dem Nebeneinander verbandsrechtlicher und kriminalstrafrechtlicher Regelungen. Deshalb soll vorliegend aber nicht gleich – wie sonst normalerweise als Strafrechtler angesichts des Grundsatzes nullum crimen sine lege (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB) fast unvermeidlich – ein Strafgesetz aufgeschlagen werden; vielmehr soll der Sport als Institution zunächst rechtlich eingeordnet (II.) und die möglichen Sanktionierungen von Dopingverstößen (III.) in den Blick genommen werden. Wie man bei der Prüfung eines Strafrechtsfalles regelmäßig mit dem Tatnächsten beginnen sollte, werde ich mich hierbei zuerst auf die sachlich nächste Materie – d.h. das Verbandsstrafrecht (IV.) – konzentrieren und erst danach die Antworten des Kriminalstrafrechts vorstellen (V.). II. Sport als rechtsfreier Raum?

Sport und Recht3 sind – um mit den berühmten Rechtssoziologen Niklas Luhmann (1927–1988) zu sprechen4 – zwei Subsysteme der Gesellschaft, welche nach ihren jeweils eigenen Regelungsmechanismen funktionieren. Auf den ersten Blick haben sie dabei wenig gemeinsam, soweit man die Sphäre des Rechtlichen vor allem auf das staatlich gesetzte und durchgesetzte Recht beschränkt. Das gilt in ganz besonderem Maße, wenn man mit dem im Titel gebrauchten „Strafrecht“ das staatliche Strafrecht meint, sei es nun in einem formellen Sinne nur als Kriminalstrafrecht oder in einem materiellen Sinne auch unter Einbeziehung des Ordnungswidrigkeiten- bzw. Verwaltungsstrafrechts. Hierbei setzt der Staat das Recht und setzt es danach auch durch seine Institutionen – Gerichte, Verwaltungsbehörden – durch. Dagegen ist der Sportbetrieb gekennzeichnet durch ein Mit- und Gegeneinander der Sportler in einem Spiel oder einem Wettkampf, in dem es allein um die Ausübung körperlicher Fähigkeiten geht. Daher galt der Sportbetrieb bis in die 1970er Jahre vielen als „rechtsfreier Raum“. Bis heute wirkt dieser Gedanke vor allem im Strafrecht fort; allerdings geht es dabei heute weniger um einen rechts-, denn um einen staatsfreien Raum, während Verbandssanktionen wie Sperren etc. etwa gegen Do1 2 3 4

Dazu grundlegend Schild, Sportstrafrecht, 2002. Vgl. dazu nur Blüthner, Bekämpfung von Körperverletzungen im Fußballsport, 2005. Als Ausgangspunkt in der rechtswissenschaftlichen Diskussion zu nennen ist der Sammelband von Schroeder/Kauffmann (Hrsg.), Sport und Recht, 1972. Als einschlägige Hauptwerke für dessen bekannte Systemtheorie zu nennen sind „Soziale Systeme“ (1984) und „Die Gesellschaft der Gesellschaft“ (1997).

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ping allgemein akzeptiert werden, ist sowohl innerhalb des Juristenstandes als auch in der sportinteressierten Öffentlichkeit die seit 1998 peu à peu bis Ende 2015 immer weiter ausgebaute Kriminalstrafbarkeit von bestimmten Mitwirkungshandlungen im Zusammenhang mit Doping im Sport relativ reserviert aufgenommen worden. Ebenso ist zwar schon seit Jahrzehnten die Bestechung im wirtschaftlichen Verkehr strafbar (§ 299 StGB), während die Bestechung von Konkurrenten oder Schiedsrichtern im Sport bislang erst Eingang in einen aktuellen Regierungsentwurf für einen neuen § 265d StGB gefunden hat. Die Staatsferne bzw. Freiheit von staatlicher Regulierung des organisierten Sports ist ihrerseits freilich normativ fundiert in der grundrechtlich garantierten Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG, die nicht nur allen Bürgern gestattet, sich in Vereinen und Verbänden zu nicht verbotenen Zwecken zusammenzutun, sondern sie zugleich auch ermächtigt, innerhalb dieser Organisationen durch Satzungen ihre eigenen Angelegenheiten grundsätzlich frei von staatlichen Vorgaben zu regeln.5 Davon haben alle Sportvereine und Sportverbände sowie deren Dachverbände in Deutschland in mehr oder minder intensiver Weise Gebrauch gemacht. Dieses selbst gesetzte Recht ist daher mit in Betracht zu ziehen, wenn es um die Frage nach dem geltenden Sportrecht geht. III. Normativierungen und Sanktionierungen im Sport

Allerdings zeigt bereits der zweite Blick auf nahezu jede Sportveranstaltung, dass gerade das sich körperlich Messen der Sportler seit jeher zwingend einen normativen Rahmen erfordert.6 So darf im Fußball eben nur der Torwart den Ball in die Hand nehmen, während im Handball ein satter Schuss mit dem Fuß unzulässig ist. Der 100-m-Lauf setzt eine ebenso lange Stecke zwingend voraus; auch darf erst nach dem Startschuss losgesprintet werden. Diese Latte an Regelungen, die bereits die Charakteristika der jeweiligen Sportwettbewerbe ausmachen (der 100-m-Lauf ist etwas anderes als ein Marathon etc.), lässt sich beliebig fortsetzen. Dabei werden vielfach auch die (noch) zulässigen Hilfsmittel benannt.7 Schließlich kommen aber auch in allen Sportarten Strafen in Betracht, die ebenfalls eine rechtliche (Sanktions-)Regelung seitens der Veranstalter des Wettkampfes darstellen und durch neutrale Institutionen wie Schiedsrichter, Kampfgerichte etc. ad hoc verhängt werden. Das gilt für Freistöße und Elfmeter ebenso wie für rote und gelbe Karten, Zeitstrafen, Punktabzüge und Disqualifikationen, wobei das jeweilige Sanktionsarsenal ebenso wie die zu deren Verhängung befugten Personen je nach Sportart und Sportverband divergieren. Wesentlich ist zunächst, dass es sich bei den vorgenannten Sanktionen nur um solche handelt, die während eines laufenden Wettkampfes und mit Wirkung für diesen verhängt werden. Das heißt nicht, dass an eine bestimmte Strafe – z. B. eine rote Karte oder Disqualifikation – nicht auch nachwirkende Sanktionen angeknüpft sind oder werden können, wie etwa eine Sperre für zukünftige Wettbewerbe oder eine Geldstrafe. Umgekehrt ist auch nicht gänzlich ausgeschlossen, dass eine während des Wettkampfes verhängte Sanktion nicht nachträglich aufgehoben wird. So lässt sich etwa ein Zeitaufschlag für Fehlverhalten im Wettkampf auch nach dessen Ende wieder revidieren. Das ist allerdings eine der seltenen Ausnahmen. Normalerweise sind die spielinternen Sanktionen ihrer Natur nach irreversibel und daher als „Tatsachenentscheidungen“ des Schiedsrichters auch dann einer nachträglichen Überprüfung oder Korrektur 5 6 7

Dazu vgl. nur Petri, Die Dopingsanktion, 2004, S. 107 ff.; Merget, Beweisführung im Sportgerichtsverfahren am Beispiel des direkten und indirekten Dopingnachweises, 2015, S. 57 ff. Zum Verhältnis von Sportregeln und Rechtsnormen ausführlich Schild, Sportstrafrecht, S. 25 ff. Zur Strafbarkeit von Manipulationen am Sportgerät vgl. Schattmann, Betrug des Leistungssportlers im Wettkampf, 2008.

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entzogen, wenn sich ihre inhaltliche Unrichtigkeit etwa beim Studium von Fernsehaufnahmen zeigt. In Extremfällen mag man eine Wiederholung eines Spiels etc. zulassen, doch gerät solches wiederum an praktische Grenzen, wenn etwa in einem K.O.-Wettbewerb der in der ersten Runde aufgrund einer massiven Fehlentscheidung ausgeschiedene Verein an den folgenden Runden nicht mehr teilnehmen konnte und sich dann erst vor dem Finale herausstellen sollte, dass der Schiedsrichter – wie im Fall Hoyzer8 – die damaligen Fehlentscheidungen absichtlich aufgrund von Bestechung getroffen hatte; die zwischenzeitlichen Wettkämpfe können nicht einfach ungeschehen gemacht werden. IV. Verbandssanktionen

Bei den meisten und auch den öffentlich diskutierten Sanktionen im Sportbetrieb handelt es sich um Verbandsstrafen, d. h. von den Sportverbänden oder in deren Namen, z. B. durch die Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA), verhängte Strafen. Diese sind im materiellen Sinne Strafen, wenn und soweit sie repressiv an vorausgegangenes Fehlverhalten eines Sportlers oder Vereins anknüpfen.9 Geht es dagegen nur um den Erhalt der Wettkampfbedingungen oder den Schutz der Sportler vor Gefahren an Leib und Leben, handelt es sich zwar um Sanktionen, nicht aber im eigentlichen Sinne auch um (Verbands-)Strafen. Das lässt sich schön mit Blick auf unterschiedliche Dopingsanktionen darstellen: Wird ein des Dopings in einem Wettkampf überführter Sportler disqualifiziert, handelt es sich bei dieser Sanktion nicht um eine Strafe, sondern nur um eine notwendige Korrektur des Klassements, in dem naturgemäß nur solche Wettkämpfer aufgeführt werden können, die die Voraussetzungen für eine Wettkampfteilnahme auch erfüllen. Da natürlich eine Wettkampfteilnahme in gedoptem Zustand nicht zulässig ist, stellt die Disqualifikation nur sicher, dass alle Athleten nach den für alle geltenden Regeln agiert haben.10 Das ist nicht anders als wenn ein Athlet beim Marathonlauf abgekürzt oder zwischendurch die Straßenbahn benutzt hat; dann kann er auch nicht mit der im Ziel erreichten Zeit gewertet werden, weil er diese nicht nach den Regularien des Wettkampfs ordnungsgemäß erreicht hat. Dabei kommt es auf ein Verschulden nicht an, so dass auch die völlig unverschuldete Einnahme von Dopingsubstanzen, ja selbst deren Unterschieben durch missgünstige Konkurrenten nichts daran ändert, dass der Sportler in dem dadurch erreichten Zustand nicht ordnungsgemäß an dem Wettkampf teilnehmen kann und deswegen – mit Blick auf die Wettkampfbedingungen und die damit verbundene Chancengleichheit – disqualifiziert werden muss. Ebenfalls nicht um eine Strafe in diesem Sinne handelt es sich bei den sog. Schutzsperren gegenüber Sportlern mit auffälligen Blutwerten, bei denen aber (noch) kein Dopingnachweis erbracht worden ist. Solche dreimonatigen Wettkampfsperren bewirken zwar während ihrer Laufzeit, dass der betroffene Sportler an keinem Wettkampf teilnehmen darf (und wirken damit wie echte, allerdings deutlich kürzere Dopingsperren – dazu sogleich), aber sie sollen nicht repressiv das im Doping liegende Fehlverhalten sanktionieren, sondern präventiv nur ausschließen, dass angesichts der mit der Anomalität der Blutwerte verbundenen Gefahren der Sportler sich überlastet und dadurch zu Schaden kommt. Auch hier spielt ein Verschulden des Sportlers keine Rolle, denn davon hängt ja die Schutzbedürftigkeit nicht ab. Schließlich kann man einen Sportler angesichts seiner Schutzsperre später nicht als „Wiederholungstäter“ einstufen, wenn er entweder erneut eine Schutzsperre erhält oder ihm nunmehr Doping nachgewiesen werden kann. Dagegen handelt es sich bei den üblicherweise mehrjährigen Wett8 9

BGHSt 51, 165. Die Nähe zum staatlichen Strafrecht wird ganz deutlich, wenn man den Titel der Kommentierung der Rechts- und Verfahrensordnung des Deutschen Fußball-Bundes (RuVO) von Hilpert, Das Fußballstrafrecht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), 2009, vor Augen hält. 10 Vgl. Petri (Fn. 5), S. 218 ff.

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kampfsperren für nachgewiesene Dopingfälle um echte (Verbands-) Strafen, die allein an vorangegangenes Fehlverhalten anknüpfen und dieses sanktionieren. Während bis vor einem Jahr die normale Sperre für erstmals ertappte Dopingsünder „nur“ bei zwei Jahren lag, ist diese inzwischen wieder – wie schon vor längerer Zeit – auf vier Jahre angehoben worden. Dies ist angesichts der massiven Auswirkungen für den betroffenen Sportler nicht unproblematisch, darf er doch nicht nur in dieser Zeit seinen Sport nicht ausüben, sondern verliert er – zumindest im Profibereich – auch seine Einkommensbasis. Im Wiederholungsfall droht regelmäßig sogar eine lebenslange Sperre. Dazu kommt die mit dem öffentlichen Bekanntwerden zumeist verbundene Prangerwirkung, denn ein gedopter Sportler ist in den Augen der Öffentlichkeit, aber auch möglicher Sponsoren etc. häufig „gebrandmarkt“. Und ein öffentliches Bekanntwerden eines Dopingfalls lässt sich angesichts der medialen Aufmerksamkeit im Spitzensport heute so gut wie nicht mehr vermeiden. Mit einer (Verbands-)Strafe für Doping ist – ähnlich einer Kriminalstrafe, die mit der Zufügung eines Übels eine sozialethische Missbilligung des zugrunde liegenden Geschehens verbindet11 – schließlich auch – zumindest in der Kategorie des Sports und damit in der peer group des betroffenen Sportlers – ein moralisches Unwerturteil verbunden. Das alles lässt sich nur rechtfertigen, wenn einerseits der Dopingverstoß nach den Regeln des Verbandes ordnungsgemäß festgestellt worden ist und andererseits den Sportler daran auch ein Verschulden trifft. Verschulden erfordert im Strafrecht generell (vgl. § 15 StGB) und im Zivilrecht regelmäßig (vgl. § 276 BGB) Fahrlässigkeit oder Vorsatz. Allerdings sind die Beweismaßstäbe für das Vorliegen von wenigstens Fahrlässigkeit nicht identisch. Während im Strafrecht dem Täter nachgewiesen werden muss, dass er – bei Fahrlässigkeitsdelikten – mindestens die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat, gibt es im Zivilrecht Beweiserleichterungen hierfür vom Anscheinsbeweis bis zur Beweislastumkehr, die im Einzelfall dazu führen können, dass jemand sein sorgfältiges Verhalten dartun und beweisen muss. Weil das Verbandsstrafrecht auf der Vereinsautonomie (Art. 9 Abs. 1 GG) fußt und das zugrunde liegende Vereins- bzw. Verbandsrecht dem Zivilrecht zuzurechnen ist, muss das erforderliche Verschulden nicht notwendig strafrechtlichen Kategorien bzw. Beweismaßstäben genügen. Die im internationalen Sportverbandsrecht lange für ausreichend erachtete „strict liablity“-Haftung, wonach allein der objektive Dopingbefund als Grundlage für eine Dopingstrafe angesehen wird, gilt heutzutage freilich – und mit Recht – für eine so scharfe Sanktion wie eine mehrjährige Dopingsperre als nicht ausreichend, könnte doch ein Sportler ohne echte Chance auf Entlastung allein deshalb wegen Dopings bestraft werden, weil ihm jemand Dopingsubstanzen unbemerkt untergeschoben hat. Deshalb gilt heute nicht nur in Deutschland der Anscheinsbeweis als der „Königsweg“.12 Ein positiver Dopingbefund setzt dabei den Anschein, dass der Sportler die zugrunde liegende Dopingsubstanz zumindest fahrlässig aufgenommen hat (z. B. indem er seine Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente nicht sorgfältig überprüft hat); diesen Beweis des ersten Anscheins kann der Sportler aber dadurch erschüttern, dass er dartut, dass in seinem Fall eine atypische Konstellation vorgelegen hat, in welcher sich der übliche Schluss vom objektiven Befund auf das Verschulden nicht so einfach ziehen lässt. Das soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Wird bei einem Sportler das als Dopingmittel wie in der Kälbermast verbotene Kälbermastmittel Clenbuterol nachgewiesen, liegt objektiv ein Dopingbefund vor. Behauptet er nun einfach allgemein, er esse viel Fleisch und dieses müsse – wiewohl verboten – von Kühen kommen, die das Mastmittel bekommen haben, ist dies viel zu allgemein, um als ein echter Sonder11 Vgl. nur Kühl, in: J. Arnold u.a. (Hrsg.), Festschrift für A. Eser, 2005, S. 149 ff. 12 Zum Beweisverfahren Merget (Fn. 5), S. 194 f.

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fall angesehen zu werden; etwas anderes gilt aber, wenn er kurz vor der Dopingprobe regelmäßig in einem Hotel Fleisch gegessen hat in einem Land, in dem der Gebrauch dieses Mastbeschleunigers noch üblich ist und obendrein auch alle anderen getesteten Sportler, die zur gleichen Zeit in diesem Hotel regelmäßig gegessen haben, erhöhte Werte von Clenbuterol – wenngleich noch unterhalb der Grenzwerte – aufgewiesen haben. Das beweist zwar noch nicht, dass tatsächlich das Fleisch in diesem Hotel mit Clenbuterol belastet war, erschüttert aber jedenfalls den gängigen Schluss, dass – wer überhöhte Werte von Clenbuterol aufweist – diese durch die Einnahme eines Dopingmittels aufgenommen haben muss. Ist der Anscheinsbeweis solcherart erschüttert, muss der Verband dem Sportler zumindest Fahrlässigkeit nachweisen und kann sich nicht mehr allein auf die Indizwirkung des objektiven Dopingbefunds auch für das Verschulden berufen; das Doping mit Clenbuterol wäre dann nur noch schuldhaft geschehen, wenn der Verband beweisen könnte, dass der Sportler zusätzlich zu den im Hotel unwissentlich aufgenommen Mengen auch noch Dopingmittel eingenommen hat (was nur schwer gelingen dürfte). V. Kriminalsanktionen

Das Kriminalstrafrecht spielte bislang eine eher untergeordnete Rolle bei der Bekämpfung von Doping im Sport. Immerhin sind die Fallzahlen seit Einführung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften zunächst in München und Freiburg deutlich angestiegen. Als Straftatbestände kommen neben §§ 211 ff., 223 ff. StGB solche des Nebenstrafrechts in Betracht wie §§ 29 ff. BtMG;13 weil für eine Strafbarkeit nach dem BtMG der Zweck einer Leistungssteigerung im Sport ohne Belang ist, soll – trotz des nicht seltenen Zusammenfallens von Doping- und Betäubungsmitteln14 – hierauf nicht näher eingegangen werden.15 1. Doping als Tötung oder Körperverletzung a) Doping als Tötungsdelikt

Auch wenn der Eintritt eines tödlichen Erfolges durch das Verabreichen von Dopingmitteln die Ausnahme bilden dürfte, ist er nicht ausgeschlossen.16 Zumeist wird allerdings die Kausalität zwischen der verabreichten Dopingsubstanz und dem weit später eintretenden Tod des Sportlers kaum nachweisbar sein. Auch würde die objektive Zurechnung bei eigenverantwortlichem Dopen des Sportlers entfallen.17 Schließlich wird es für §§ 211, 212 StGB regelmäßig am Tötungsvorsatz mangeln, so dass normalerweise lediglich eine fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) in Betracht kommen dürfte. b) Doping als Körperverletzung aa) Fremddoping

Die Verabreichung von Dopingsubstanzen an einen Sportler auch durch einen Arzt18 stellt eine Gesundheitsschädigung i. S. von § 223 Abs. 1 Alt. 2 StGB dar, wenn damit Nebenwirkungen oder sonstige nachteilige Veränderungen der körperlichen Funktionen verbunden sind. Die erforderliche Erheblichkeitsschwelle ist zumindest bei den auf den Dopinglisten der Sportverbände enthaltenen Substanzen regelmäßig überschritten.19 Ob eine (vollendete) Gesundheitsschädigung bereits mit der bloßen Insichnahme des Wirkstoffes vor Eintritt einer (Neben-)Wirkung bejaht werden kann, ist dagegen fraglich. Die Rspr. hat zwar genügen lassen, dass bei schweren Infektionskrankheiten wie AIDS die bloße 13 Dazu Schild, Sportstrafrecht, S. 172 f. 14 So z.B. im Fall des Radprofis Jan Ullrich. – Vgl. allg. Klug, Doping als strafbare Verletzung der Rechtsgüter Leben und Gesundheit, Diss. Würzburg, 1996, S. 242 m.w.N. 15 Die folgenden Ausführungen knüpfen an an die vorausgegangen Beiträge des Verf. in JA 2003, 76, 77 ff. und in: Jahn/Kim/Knegendorf/Rickli/Poll-Wolbeck (Hrsg.), Medizinrecht, 2015, S. 121, 126 ff. 16 Vgl. Summerer, in: Fritzweiler/Pfister/Summerer (Hrsg.), Praxishandbuch Sportrecht, 3. Aufl. 2014, Rn. 247. 17 Vgl. den Heroinspritzen-Fall BGHSt 32, 262. 18 Zur Strafbarkeit des Arztes, der Dopingmittel verabreicht, vgl. Corsten/Kuse, ZJS 2013, 453 ff. 19 LK-Lilie, StGB, 11. Aufl. 2001, § 223 Rn. 13.

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Ansteckung mit HIV eingetreten ist20 bzw. bei einer Röntgenbestrahlung Zellstrukturen zerstört worden sind, auch wenn sich Spätschäden nicht sicher voraussagen lassen.21 Daraus dürfte zu schließen sein, dass bereits mit Beibringung von Wirkstoffen, bei denen schwerwiegende Spätfolgen wahrscheinlich sind, eine Gesundheitsschädigung vollendet sein kann; soweit solche Folgen zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich sind, liegt dann nur eine versuchte Gesundheitsschädigung vor (§ 223 Abs. 2 StGB). Am Verletzungsvorsatz wird es selten fehlen, denn zumeist wird sich der Täter in Kenntnis der Möglichkeit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung durch den Dopingwirkstoff mit dieser auch abgefunden haben.22 Sonst bleibt eine fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB). Soweit das Doping in der Beibringung eines Stoffes liegt, wird darüber hinaus i. d. R. der Tatbestand von § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt sein, wenngleich hierfür z. T. einschränkend verlangt wird, dass der Stoff zur Herbeiführung erheblicher Gesundheitsschäden geeignet sein muss und zumindest einen Gesundheitsschaden hervorgerufen hat.23 Die in den DDR-Doping-Fällen genannten schlimmen Folgen dürften hierunter problemlos zu subsumieren sein. Hinsichtlich verbotener Behandlungsmethoden ist u. U. an eine Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs i. S. von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu denken; weil ein Instrument aber nicht als gefährlich angesehen wird, wenn es von medizinischem Personal bestimmungsgemäß verwendet wird,24 muss diese Norm für den z. B. eine Spritze zur Ermöglichung von Blutdoping setzenden Arzt ausscheiden, nicht aber, wenn der Eingriff von einem Trainer vorgenommen wird.25 Zu denken ist schließlich an eine lebensgefährdende Behandlung i. S. von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, doch dürfte dies i. d. R. an der Nichtfeststellbarkeit des erforderlichen Lebensgefährdungsvorsatzes scheitern. Bei schweren Folgen des Dopings und insbesondere dem Tod des Sportlers ist schließlich an die Erfolgsqualifikationen der §§ 226 f. StGB zu denken. bb) Selbstdoping

Da Selbstverletzungen nicht tatbestandsmäßig i. S. der §§ 223 ff. StGB sind, gelten die obigen Ausführungen nur für den Arzt, Betreuer, Trainer etc., der dem Sportler die Dopingsubstanz beibringt, nicht hingegen für den sich selbst dopenden Sportler. Etwas anderes gilt jedoch, wenn jemand als mittelbarer Täter i. S. von § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB den Sportler zu dessen Selbstdoping missbraucht. Denkbar sind hier v. a. Fälle einer Irrtumsherrschaft, z. B. bei der Gabe von als bloßen Vitaminpräparaten bezeichneten Dopingmitteln, oder Nötigungsherrschaft, z. B. wenn einem Sportler bei Nichteinnahme von Dopingmitteln mit Ausschluss aus dem Training gedroht wird.26 cc) Rechtfertigungsgründe

Einerseits kann die Verabreichung eines Dopingwirkstoffe enthaltenden Medikaments durch Notstand gerechtfertigt sein; zum anderen ist eine rechtfertigende Einwilligung des Sportlers in die Körperverletzung möglich. Eine Notstandsrechtfertigung (§ 34 StGB) setzt eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr (hier) für Leib oder Leben des Sportlers voraus; eine solche ist bei (auch drohenden) Verletzungen und Erkrankungen einschließlich von Sportverletzungen gegeben. Nicht anders abwendbar ist diese jedoch nur, wenn es kein gleichwirksames 20 21 22 23 24

Vgl. BGHSt 36, 1. Vgl. BGHSt 43, 346 m. Anm. Detter JA 1998, 535. So zu HIV BGHSt 36, 1, 9 ff. So z.B. Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. 2014, § 224 Rn. 5. Krit. zu dieser Beschränkung NK-Paeffgen, StGB, 4. Aufl. 2013, § 224 Rn. 16, der nur auf die objektive situationsspezifische Gefährlichkeit abhebt. 25 Vgl. LK-Lilie, § 224 Rn. 24. 26 Kühl/Heger, in: Rieger u.a. (Hrsg.), Heidelberger Kommentar Arztrecht Krankenhausrecht Medizinrecht (HK-AKM), Stand: 17.3.2015, 1520/82.

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Heilmittel ohne Dopingwirkstoffe gibt. Dann wird i. d. R. aber das Interesse an der Gesundheit des Sportlers dasjenige an einem „sauberen Sport“ wesentlich überwiegen, zumal ersteres ja auch das von §§ 223 ff. StGB geschützte Rechtsgut ist. Die Einwilligung des Sportlers müsste wirksam sein; daran fehlt es bei mangelnder Einsichtsfähigkeit und bei fehlerhafter Aufklärung auch hinsichtlich möglicher Neben- und Folgewirkungen.27 Schließlich rechtfertigt auch eine wirksam erklärte Einwilligung nicht, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt (§ 228 StGB). Einige stellen für die Frage der Sittenwidrigkeit auf den Umfang der Körperverletzung ab und bejahen diese nur bei Verletzungen von einer gewissen Schwere (z. B. § 226 StGB als Orientierungsmaßstab);28 ergänzend wird wegen unkalkulierbarer Spätfolgen die Einwilligung eines Minderjährigen in Doping z. T. generell als sittenwidrig angesehen,29 doch handelt es sich dabei eigentlich um eine Einschränkung der Einwilligungsfähigkeit für diese Personengruppe ohne Rücksicht auf die im Einzelfall durchaus denkbare Einsichtsfähigkeit.30 Der früher h. M. kam es auf den mit der Körperverletzung verfolgten Zweck, beim Doping die Leistungssteigerung unter Missachtung des Sportethos, an. Deren Sittenwidrigkeit wurde bisher immer wieder mit den Erwägungen in Abrede gestellt,31 eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit mittels leistungsfördernder Substanzen unabhängig vom Sportsektor sei nicht sittenwidrig32 und das verbandsrechtliche Dopingverbot entstamme nicht der staatlichen Normenordnung.33 Mit der Normierung eines Dopingverbots nur für den Bereich des Sportes in § 6a AMG im Jahr 1998 war beiden Argumenten der Boden entzogen.34 Seit 2003 folgt aber die Rspr. der Schwere-Theorie, so dass durch Doping verursachte Körperverletzungen vielfach nur noch dann als sittenwidrig i. S. von § 228 StGB angesehen werden, wenn damit schwere Folge i. S. der §§ 226, 227 StGB verbunden sind, wie etwa das Risiko von Unfruchtbarkeit oder Lebensgefahr. Im Ergebnis würde das dazu führen, dass eine Einwilligung des ordnungsgemäß aufgeklärten Sportlers in eine durch Doping hervorgerufene Körperverletzung normalerweise diese wird rechtfertigen können, so dass strafbares Unrecht nicht vorliegt. Allerdings sprach schon das Festhalten des Gesetzgebers an dem strafbewehrten und als solchem nicht einwilligungsfähigen Dopingverbot im Sport in § 6a AMG unter dem Gesichtspunkt einer Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung weiterhin für eine Annahme von Sittenwidrigkeit der (Doping-)Tat und damit die Unbeachtlichkeit der Einwilligung.35 Das gilt erst recht mit dem Inkrafttreten des Anti-Doping-Gesetzes, in dem der Gesetzgeber noch deutlicher als bisher das Verbot von Doping im Sport unterstrichen und in breiter Weise strafrechtlich sanktioniert hat.

27 Vgl. Kühl, in: Lackner/Kühl, § 228 Rn. 5 ff.; NK-Paeffgen, § 228 Rn. 84 28 So z.B. Otto, SpuRt 1994, 10, 15; LK-Hirsch, StGB, 11. Aufl. 2001, § 228 Rn. 49; Rain, Die Einwilligung des Sportlers beim Doping, 1998, S. 176 ff; Jung, JuS 1992, 131, 132 f; Klug (Fn. 14), S. 218 ff., bejaht Sittenwidrigkeit nur bei sog „Risikodoping“, bei dem das Risiko für den Sportler aus biologisch-medizinischer Sicht unkontrollierbar ist. 29 LK-Lilie, § 223 Rn. 13. 30 So auch in § 8 Abs. 1 Nr. 1a TPG für Lebendorganspenden Minderjähriger. – Dagegen für das Doping mangels gesetzlichen Anknüpfungspunktes zu Recht Rain (Fn. 28), S. 89, und für den Fall der Zustimmung zum ungeschützten Geschlechtsverkehr einer Minderjährigen mit einem HIV-Positiven BayObLG NJW 1990, 131. 31 Anders aber die wohl h.M.; vgl. z.B. Linck, NJW 1987, 2545, 2550 f.; Turner, MDR 1991, 269, 73 f. und NJW 1991, 2943 f.; Haas/Prokop, SpuRt 1997, 56, 58 f . 32 Schild, Rechtliche Fragen des Dopings, 1986, S. 24 f.; Ahlers, Doping und strafrechtliche Verantwortung, 2. Aufl. 1998, S. 169 ff.; Summerer (Fn. 20) Rn. 247. 33 Niedermair, Körperverletzung mit Einwilligung und die Guten Sitten, 1999, S 146; dagegen z. B. Weber, in: Fezer u.a. (Hrsg.), Festschrift für J. Baumann, 1992, S. 43, 54. 34 Ausführlicher Heger, SpuRt 2001, 92, 93 f. – Zur Rechtslage vor Einfügung eines Doping-Verbots ins AMG Kühl, in: Vieweg (Hrsg.), Doping, 1998, S. 84: „Das Ergebnis würde selbst von den schärfsten Kritikern und restriktivsten Anwendern der Sittenwidrigkeitsschranke gebilligt, wenn das Doping von der Rechtsordnung außerhalb des Strafrechts mit einer der Körperverletzung vergleichbaren Schutzrichtung zu strafwürdigem Unrecht erklärt würde“. Ebenso Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, 1997, S. 507 f. 35 Schönke/Schröder-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl. 2014, § 228 Rn. 30; Sternberg-Lieben, ZIS 2011, 583, 601; dagegen etwa Schild, Sportstrafrecht, 2002, S. 153.

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c) Verletzung der Fürsorgepflicht gem. § 171 StGB

Auch beim eigenverantwortlichen Selbstdoping eines noch nicht sechzehnjährigen Sportlers ist eine Strafbarkeit nach § 171 StGB z. B. der Erziehungsberechtigten wegen Verletzung ihrer Fürsorgepflicht möglich. Erforderlich ist dafür aber die konkrete Gefahr von erheblichen körperlichen Entwicklungsschäden; dazu zählen z. B. krankhafte Veränderungen der inneren Organe und Einwirkungen auf die geschlechtliche Entwicklung durch Hormonpräparate.36 2. Doping als (Sport-)Betrug i. S. von § 263 StGB

Soweit ein gedopter Sportler am Wettkampf teilnimmt, kommt Betrug zu Lasten des Veranstalters, der Mitkonkurrenten und der Zuschauer in Betracht.37 Dafür muss dem gedopten Sportler Vorsatz hinsichtlich des Regelverstoßes nachgewiesen werden; neben den noch zu erörternden Problemen mit den einzelnen Tatbestandsmerkmalen von § 263 StGB dürfte hierin der wesentliche Grund für die weitgehend fehlende praktische Relevanz38 einer Betrugsstrafbarkeit liegen. Besonders problematisch ist der Fall, dass ein Sportler erst nach der Meldung zum Wettkampf oder dem Abschluss eines Vertrages mit dem Veranstalter bzw. Sponsor gedopt hat;39 in seiner vorherigen Erklärung, die Dopingverbote einzuhalten, kann keine (konkludente) Täuschung gesehen werden. Denkbar ist allenfalls eine Täuschung durch Unterlassen der Aufklärung über ein inzwischen der regelkonformen (Vertrags-) Erfüllung entgegenstehendes Hindernis (§§ 263, 13 StGB); die erforderliche Garantenstellung setzt eine Aufklärungspflicht des Sportlers über sein nachträgliches Doping voraus.40 Der bislang einzige Präzedenzfall in Deutschland, der es bis in eine strafverfahrensrechtliche Hauptverhandlung geschafft hat,41 war der Prozess gegen den vormaligen Radprofi im Team „Gerolsteiner“ Stefan Schumacher, der trotz Wissens um während der Tour de France 2008 erfolgtes Doping noch drei Monate lang sein Gehalt von dem Rennstall bezogen hat und deshalb im Sommer 2013 vor dem Landgericht Stuttgart wegen Betrugs angeklagt war.42 Dieser einzige Fall offenbart zugleich die Schwierigkeiten einer Strafverfolgung, denn letztlich ließ sich für das Gericht angesichts der dubiosen Zustände im Gerolsteiner-Team nicht ausschließen, dass dessen Teamchef über das Doping seiner Fahrer im Bilde gewesen und deshalb von diesen nicht getäuscht worden war.43 Dazu kommt, dass der Betrugstatbestand als Vermögensdelikt nur die professionelle Sportausübung erfassen kann, obwohl es Doping auch im bis heute amateurhaft betriebenen Leistungssport geben kann und gibt. a) Zum Nachteil des Veranstalters

Mit der Meldung zum Wettkampf erklärt ein Sportler zumindest konkludent, nicht gegen verbandsrechtliche Dopingverbote verstoßen zu haben. Ohne diese Täuschung und den daraus resultierenden Irrtum des Veranstalters wäre er nicht zugelassen worden. In der Auszahlung der Siegprämie liegt die resultierende Vermögensverfügung. Daraus 36 Vgl. Ahlers (Fn. 32), S. 196 f. 37 Vgl. Cherkeh, Betrug (§ 263 StGB), verübt durch Doping im Sport, 2000 und ders./Momsen, NJW 2001, 1745, 1748 ff. – Eine Betrugsstrafbarkeit des dopenden Trainers gegenüber den genannten Personen scheidet aus (Kühl/Heger, HK-AKM, 1502/92 m.N.); zum Abrechnungsbetrug gegenüber einer Krankenkasse vgl. Turner, MDR 1991, 569, 572. 38 Kühl/Heger, HK-AKM, 1520/92; Ulmen, Pharmakologische Manipulationen (Doping) im Leistungssport der DDR, 2000, S. 117. 39 Es sei denn, der Sportler weiß bereits zzt. seiner Erklärung, dass er sich vor dem Wettkampf dopen werde, denn damit täuscht er über seine Bereitschaft zur regelgerechten Erfüllung seiner Verpflichtung. 40 Eine solche Aufklärungspflicht könnte der Vereinbarung selbst oder den verbandsrechtlichen Teilnahmeregelungen, die i.d.R. Dopingverbote enthalten, zu entnehmen sein; dass die Verletzung von Aufklärungspflichten in AGB für sich eine Betrugsstrafbarkeit durch Unterlassen nicht begründen kann (BGHSt 46, 192 m. Anm. Heger, JA 2001, 536), lässt sich schon deswegen nicht ohne Weiteres übertragen, weil verbandsrechtliche Ordnungen nicht als AGB zu behandeln sind (vgl. BGHZ 128, 93 m. Anm. Prokop, JA 1995, 353). 41 Zum Klageerzwingungsverfahren OLG Stuttgart, SpuRt 2012, 74. 42 Dazu Heger, in: Berliner Wissenschaftliche Gesellschaft (Hrsg.), Jahrbuch2013/2014, 2015, S. 17 ff. 43 Vgl. http://www.landgerichtstuttgart.de/pb/,Lde/Startseite/PRESSE+und+VERANSTALTUNGEN/ Freispruch+ fuer+Stefan+Schumacher+rechtskraeftig/?LISTPAGE=1195716 (zuletzt abgerufen am 1.6.2015).

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müsste dem Veranstalter ein Vermögensschaden entstanden sein. Die Auslobung eines Preisgeldes ist ein einseitiges Rechtsgeschäft i. S. von §§ 657 ff. BGB; doch obwohl bei einseitigen Rechtsgeschäften bei wirtschaftlicher Betrachtung i. d. R. ein Vermögensverlust und damit ein Vermögensschaden gegeben sein soll,44 erscheint dieses Ergebnis fragwürdig, ist doch das Vermögen des Veranstalters nach dem Wettkampf in jedem Fall um die ausgelobten Preisgelder vermindert.45 Bzgl. des Abrechnungsbetrugs zum Nachteil einer Krankenkasse trotz medizinisch indizierter Leistungen hat der BGH zur Verneinung eines Vermögensschadens nicht genügen lassen, dass die gleiche Vermögensminderung auch bei Zahlung an einen Berechtigten eingetreten wäre.46 Dieser Gedanke lässt sich aber nur dann auf die Zahlung von Preisgeldern übertragen, wenn deren Empfänger zzt. der Verfügung keinen Anspruch hat. Der Anspruch auf die Prämie entsteht nach h. M. nicht nur bei regelkonformer Teilnahme; vielmehr werden Sportwettkämpfe als Preisausschreiben i. S. von § 661 BGB behandelt, so dass sich die Verteilung der ausgelobten Preise an der von der Wettkampfleitung festgestellten Reihenfolge orientiert.47 Der zum Sieger Erklärte ist damit bis zu seiner Disqualifikation der berechtigte Anspruchsinhaber. Bei einer bewussten Vermögensminderung zugunsten eines Empfangsbefugten lässt sich zwar u. U. ein Vermögensschaden wegen Zweckverfehlung (hier: Prämienzahlung an einen die Teilnahmebedingungen Missachtenden) bejahen, doch unterscheidet sich die Auszahlung der Siegprämie dadurch vom Spenden- und Bettelbetrug, dass bei letzterem in Kenntnis der Sachlage das Vermögen des Spenders überhaupt nicht gemindert worden wäre, während der Veranstalter in jedem Fall zur Zahlung der Prämie – und sei es an einen anderen Sieger – verpflichtet ist. An Betrug zum Nachteil des Veranstalters lässt sich daher wohl nur in Sonderkonstellationen – z. B. bei einem vom Veranstalter bezahlten Antrittsgeld – denken. Die dafür vereinbarte Gegenleistung in Form regelkonformer Teilnahme am Wettkampf ist einem gedopten Sportler nicht möglich; und im Unterschied zur „normalen“ Siegprämie ist nach Zahlung einer solchen zusätzlichen Leistung das Vermögen des Veranstalters geringer als ohne diese, weil auf das vereinbarte Honorar kein „Nachrücker“ Anspruch erheben kann. b) Zum Nachteil der Mitkonkurrenten

Nach Disqualifikation des gedopten Siegers hat der Nächstplatzierte Anspruch auf die Siegprämie; eine Vermögensverfügung könnte daher in dessen Unterlassen einer Geltendmachung dieses Anspruchs gegenüber dem Veranstalter liegen. Darin kann jedoch nur dann eine irrtumsbedingte Vermögensverfügung gesehen werden, wenn die Fehlvorstellung mitursächlich für das Unterlassen geworden ist.48 Kann der – mögliche49 – Irrtum des Zweitplatzierten, gegen einen „sauberen“ Sportler verloren zu haben, hinweggedacht werden, ohne dass dies Einfluss auf seine Vermögensverfügung (Nichtgeltendmachung des Preisgeldanspruchs) hat, scheidet Betrug aus. Hypothetische Ersatzursachen bleiben, wie generell bei der strafrechtlichen Kausalität,50 unberücksichtigt; selbst wenn man im Wissen um den Dopingverstoß eine Ersatzursache erblickt,51 genügt für eine Verneinung der Kausalität, dass der Getäuschte die Vermögensverfügung auch ohne den Irrtum vorgenommen hätte.52 Das Unterlassen der Geltendmachung des Anspruchs auf die Siegprämie setzt dessen Bestehen beim nächstplatzierten „sauberen“ Mitkonkurrenten voraus; der Anspruch auf das Preisgeld entsteht aber erst mit Erreichen einer 44 45 46 47 48 49

LK-Tiedemann, StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 181. Einen Vermögensschaden verneint auch Linck , NJW 1987, 2545, 2551. BGH, NStZ 1995, 85. BGH, MDR 1966, 572, 573; a.A. Cherkeh (Fn. 37), S. 139 f. Cherkeh (Fn. 37), S. 158. In Anbetracht der Häufigkeit von Dopingverstößen bereits vor fast drei Jahrzehnten zweifelnd Linck, NJW 1987, 2545, 2551. 50 Vgl. nur Kühl, Strafrecht AT, 7. Aufl. 2012, § 4 Rn. 11 f. m.w.N. 51 So Cherkeh (Fn. 37), S. 158; Otto, Spurt 1994, 10, 15. 52 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 122.

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von der Wettkampfleitung verbindlich festgestellten (§ 661 Abs. 1 S. 2 BGB) Platzierung. Daher kann der Zweite unabhängig von dem Irrtum erst nach Disqualifikation des gedopten Siegers seinen Anspruch auf die Siegprämie geltend machen. c) Zum Nachteil der Zuschauer

Ein Betrug zum Nachteil der Zuschauer scheidet aus, weil es entweder an einer Vermögensverfügung53 oder am Vermögensschaden fehlt.54 Die Zuschauer, die ein Eintrittsgeld bezahlen, haben lediglich Anspruch auf einen regelkonformen durchgeführten Wettkampf, der auch bei Disqualifikation eines gedopten Sportlers – gerade deswegen – ein solcher bleibt, so dass ein Rückforderungsanspruch gegen den Veranstalter ausscheidet; bei einer ausnahmsweise vorgesehenen Annullierung desselben, ist der Rückzahlungsanspruch aber nicht konkret gefährdet.55 Dass ein Zuschauer möglicherweise nur im Vertrauen auf die regelkonforme Teilnahme eines bestimmten Sportlers eine Eintrittskarte gelöst hat, begründet danach zwar eine irrtumsbedingte Vermögensverfügung über das Eintrittsgeld, doch resultiert daraus wegen der vereinbarungsgemäß erbrachten Gegenleistung – dem regulären Wettkampf – kein Schaden. Die gleichen Erwägungen sprechen auch gegen einen Betrug zu Lasten von Fernsehanstalten, die für die Übertragungsrechte ein Entgelt entrichtet haben; wenn sie von einem regelkonformen Wettkampf berichten konnten, haben sie die vereinbarte Gegenleistung für ihre Vermögensverfügung erhalten. d) Zum Nachteil des Sponsors

Außerhalb des Wettkampfes ist ein Betrug zum Nachteil des Sponsors denkbar. Grundlage des Sponsorvertrages56 ist die Unterstützung des Sportlers, der dafür mit dem Logo des Sponsors an Wettkämpfen teilzunehmen hat; ist der Sportler gedopt, kann er – ähnlich dem Anstellungsbetrug57 – seine Gegenleistung nicht regelkonform erbringen.58 3. Das strafbewehrte Dopingverbot im Anti-Doping-Gesetz (ADG) a) Vorgeschichte: Erste Anti-Doping-Strafnormen im AMG

Seit dem 11.9.1998 war es mit § 6a Abs. 1 AMG verboten, „Arzneimittel zu Dopingzwecken im Sport in den Verkehr zu bringen, zu verschreiben oder bei anderen anzuwenden“. Die Dopingwirkstoffe mussten entweder im Anhang des Übereinkommens des Europarats gegen Doping vom 16.11.1989 oder in einer Rechtsverordnung genannt sein (§ 6a Abs. 2 und 3 AMG); auf einen Wettkampfbezug kam es nicht an, so dass auch das Doping in Bodybuilding Studios erfasst war. 2007 bzw. 2013 ist dieses Dopingverbot in § 6a Abs. 2a AMG durch ein Besitz- und ein Erwerbsverbot für Dopingsubstanzen ergänzt worden. Taugliche Täter konnten z. B. Ärzte, Trainer und Betreuer sein, nicht aber der sich selbst dopende Sportler. Beim Erwerbs- und Besitzverbot kam als Täter zwar auch dieser in Betracht, wenn er – zum Eigenkonsum – Dopingmittel in nicht unerheblichen Mengen kaufte oder lagerte. b) Das ADG

Das am 18.12.2015 in Kraft getretene ADG ist das erste echte Sportstrafgesetz, das allerdings nur die Strafbarkeit von Doping im Sport sowie einige damit zusammenhängende Fragen regelt. Den Kern bildet die Strafnorm des § 4 ADG, in deren Absätzen 1 und 2 Verstöße gegen die zuvor in §§ 2 und 3 ADG genannten Dopingverbote unter Strafe gestellt So Cherkeh/Momsen ,NJW 2001, 1745, 1748. So Linck, NJW 1987, 2545, 2551. Cherkeh (Fn. 37), S. 172 ff. Dazu grundlegend Schaub, Sponsoring und andere Verträge zur Förderung überindividueller Zwecke, 2008. 57 Dazu BGHSt 45, 1. 58 Cherkeh/Momsen, NJW 2001, 1745, 1748 f. (auch zum Sonderfall eines vor Vertragsschluss gedopten Sportlers, der nunmehr „sauber“ seine vormaligen Leistungen nicht mehr erreicht und dadurch für den Sponsor an Wert verliert).

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sind. Dabei unterscheidet der Gesetzgeber zwei Gruppen möglicher Dopingverstöße, einerseits in § 2 ADG die bereits im AMG erfassten Formen von Fremddoping sowie dem Besitz und Erwerb nicht geringer Mengen von Dopingmitteln, andererseits in § 3 ADG das Selbstdoping einschließlich des Erwerbs und Besitzes (auch) geringer Mengen von Dopingmitteln zu diesem Zweck sowie schließlich die Teilnahme am Wettkampf in gedoptem Zustand, mit der die Strafbarkeitslücke geschlossen wird, dass im Ausland möglicherweise straffrei gedopte Sportler danach im Inland an einem Wettkampf teilnehmen und diesen dadurch verzerren. Das ADG geht aber nicht nur mit den neuen strafbewehrten Verboten von Selbstdoping über die bisherige Rechtslage hinaus. Ein Manko der Strafnormen des AMG war nämlich auch, dass diese angesichts ihres Standortes im Arzneimittelrecht nur auf Doping mittels Medizinprodukten anwendbar waren. Das häufige Doping mittels Nahrungsergänzungsmitteln war dadurch ebenso wenig erfassbar wie bestimmte Designerdopingmittel, die nicht auf Arzneimitteln beruhten. Wie bisher sind die Dopingsubstanzen in Listen aufgeführt, die der Gesetzgeber grundsätzlich in Übereinstimmung mit den Verbandsregeln ergänzt oder ändert. Lange Zeit überaus umstritten war, ob sich vor allem für das nunmehr pönalisierte Selbstdoping als Unterfall einer zumeist straflosen Selbstgefährdung ein strafrechtliches Rechtsgut finden lässt. Daher hat der Gesetzgeber in § 1 ADG ausdrücklich dessen Zweck bestimmt: „Dieses Gesetz dient der Bekämpfung des Einsatzes von Dopingmitteln und Dopingmethoden im Sport, um die Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler zu schützen, die Fairness und Chancengleichheit bei Sportwettbewerben zu sichern und damit zur Erhaltung der Integrität des Sports beizutragen.“ Dem Gesundheitsschutz dienen vor allem die Fremddopingverbote, während sich die Selbstdopingverbote damit nicht begründen lassen. Die bloße Integrität des Sports als solche erscheint dafür zu unbestimmt, doch sind ja als Unterfall derselben die Chancengleichheit und die Fairness genannt; vor allem die Chancengleichheit im Wettkampf einschließlich der damit verbundenen Vermögensinteressen von Profisportlern erscheint als Legitimationsgrundlage von Kriminalstrafnormen gegen Selbstdoping hinreichend. Damit nicht jeder Freizeitsportler bei seinen Joggingrunden unter dem Damoklesschwert des Strafrechts steht und eben weil die Chancengleichheit im Wettkampf samt der damit verbundenen Vermögensinteressen das strafrechtlich vom Selbstdopingverbot des ADG zu schützende Gut ist, hat der Gesetzgeber in § 3 ADG das Verbot von Selbstdoping

beschränkt auf eine Teilnahme an „Wettbewerben des organisierten Sports“, so dass etwa Freizeitsport oder Firmenläufe nicht erfasst sind. Allerdings unterliegt auch unser Freizeitläufer dem Selbstdopingverbot, wenn er am Berlin-Marathon teilnehmen will; das ist angesichts der elementaren Bedeutung der Chancengleichheit innerhalb ein und desselben Wettkampfes aber auch unerlässlich, denn es kann nicht sein, dass einzelne Wettkämpfer andere Hilfsmittel zu sich nehmen dürfen. Um eine unverhältnismäßige Ausdehnung der Strafbarkeit zu vermeiden, hat daher der Gesetzgeber in § 4 Abs. 7 ADG den Täterkreis für Selbstdoping weiter beschränkt. Einer Kriminalstrafe unterliegen danach nur diejenigen Teilnehmer in einem solchen Wettkampf, welche entweder als Mitglied des Testpools auch Doping-Trainingskontrollen der Verbände unterliegen (Nr. 1; sog. „Spitzensportler“, d. h. A- und B-Kader-Athleten) oder aus ihrer sportlichen Betätigung Einnahmen von erheblichem Umfang erzielen (Nr. 2; Profisportler); von den zigtausend Teilnehmern eines großen Marathons unterliegen danach nur ganz wenige tatsächlich einer Strafdrohung, doch sind dies all diejenigen, die auch den Sieg unter sich ausmachen werden. VI. Fazit

Mit dem ADG hat der Gesetzgeber ein erstes Sportstrafgesetz geschaffen. Demnächst sollen mit den in einem Regierungsentwurf vorgeschlagenen §§ 265c, 265d59 Sonderregelungen zum Sportwettbetrug und zur Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben Einzug in das StGB erhalten.60 Damit dürften die ohnehin in der Sportpraxis bislang nur selten angewandten allgemeinen Strafnormen der Körperverletzungsdelikte und des Betrugs durch solche Spezialdelikte weitgehend verdrängt werden. Das erscheint aber auch nicht problematisch, denn einerseits können so die Spezifika eines Sportstrafrechts – wie der Täterkreis, schützenswerte Rechtsgüter und denkbare Bezüge zum Verbandsrecht – deutlicher herausgearbeitet werden und andererseits nötigt das z. B. mit dem Betrugstatbestand in der Rechtspraxis nur schwer erfassbare Unrecht von Doping oder auch von Wettbetrügereien nicht länger zu dogmatisch komplexen Figuren (man denke nur an den sog. Quotenschaden beim Wettbetrug im Fall „Hoyzer“61), die dann – überträgt man sie auf außersportrechtliche Konstellationen – zu „Kollateralschäden“ führen.

59 BT-Drs. 18/8331, S. 1 ff. 60 Dazu Krack, ZIS 2016, 540 ff. 61 BGHSt 51, 165.

Die Sportschiedsgerichtsbarkeit nach dem Urteil des BGH im Pechstein-Verfahren von Prof. Dr. Peter W. Heermann, LL.M. (Univ. of Wisconsin)*

Prof. Dr. Peter W. Heermann, LL.M. (Univ. of Wisconsin), Jahrgang 1961, lehrt und forscht in den Bereichen des Zivil-, Wirtschaftsund Sportrechts an der Universität Bayreuth und ist wissenschaftlicher Leiter des Weiterbildungsstudiengangs „LL.M. Sportrecht (Universität Bayreuth)“.

A. Einleitung

Die Schadensersatzklage der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein gegen den internationalen Fachverband für Eisschnelllauf (ISU), zu dem nunmehr drei Urteile deutscher staatlicher Gerichte vorliegen, berührt zahlreiche, teilweise hochkomplexe Rechtsfragen, die im wissenschaftlichen

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Schrifttum kontrovers diskutiert und auch von den befassten Spruchkörpern am LG München, OLG München sowie schließlich am BGH höchst unterschiedlich bewertet worden sind. Nachfolgend sollen drei zentrale Rechtsfragen aufgegriffen werden, die die Zukunft der Sportschiedsgerichtsbarkeit betreffen: • Handelt es sich beim Internationalen Sportschiedsgericht, dem Court of Arbitration for Sport (CAS), überhaupt um ein echtes Schiedsgericht (D.)? • Athleten sind vielfach faktisch gezwungen, bei rechtlichen Streitigkeiten mit Sportverbänden auf die Anrufung staatlicher Gerichte zu verzichten. Stattdessen unterwerfen sie sich regelmäßig vertraglich der Sportschiedsgerichtsbarkeit, weil sie andernfalls nicht an offizi-

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ellen Sportwettkämpfen teilnehmen und in vielen Fällen damit auch nicht ihren (Haupt-)Beruf ausüben könnten. Kann es sich unter diesen Umständen aber überhaupt um rechtswirksame Schiedsvereinbarungen handeln (E.)? • Und fallen Sportverbände, die in ihren Statuten regelmäßig Dopingregeln verankern und hernach bei Verstößen hiergegen durchsetzen, überhaupt in den Anwendungsbereich des Kartellrechts (F.)? Zu diesen ebenso aktuellen wie spannenden Fragen hat der BGH in seinem wegweisenden Urteil vom 07.06.2016 nunmehr in einer Weise Stellung bezogen, die in Ergebnis und Begründung kaum jemand in dieser Form erwartet haben dürfte. Bevor der Ansatz des BGH jedoch dargestellt und gewürdigt werden kann, sind zur Einführung in die Thematik zunächst das Pechstein-Verfahren im Überblick (B.) sowie die Grundlagen der (Sport-)Schiedsgerichtsbarkeit (C.) darzustellen. B. Das Pechstein-Verfahren im Überblick

Vor der Eisschnelllauf-Weltmeisterschaft in Hamar (Norwegen) im Jahr 2009 hatte Claudia Pechstein eine von der ISU vorformulierte Wettkampfmeldung unterzeichnet, weil sie andernfalls nicht zum Wettkampf zugelassen worden wäre. In dieser Meldung hatte sie sich u.a. zur Einhaltung der Anti-Doping-Regeln der ISU verpflichtet und für den Fall von Rechtsstreitigkeiten die Durchführung eines schiedsgerichtlichen Verfahrens vor dem CAS unter Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs vereinbart. Bei dem Wettkampf waren der Athletin Blutproben mit erhöhten Retikoluzytenwerten entnommen worden, was die ISU als einen Beleg für Doping ansah. Die Disziplinarkommission der ISU verhängte u.a. eine zweijährige Sperre, die hiergegen von der Athletin eingelegte Berufung zum CAS war erfolglos. In der Folge blieben auch eine Beschwerde sowie eine Revision zum schweizerischen Bundesgericht in der Sache ohne Erfolg. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass Claudia Pechstein zu Unrecht gesperrt worden war, klagte sie vor einem deutschen staatlichen Gericht, dem LG München I,1 auf Ersatz ihres materiellen Schadens und ein Schmerzensgeld. Das Gericht wies die Klage ab. Nachfolgend stellte in der Berufungsinstanz das OLG München2 durch Teilurteil fest, dass die Schiedsvereinbarung aus kartellrechtlichen Gründen unwirksam gewesen und damit die Klage zulässig sei. Denn die ISU habe ihre marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt, weil sich die Eisschnellläuferin der Gerichtsbarkeit des CAS hätte unterwerfen müssen, wobei aber dessen Schiedsrichterliste, aus der die Parteien jeweils einen Schiedsrichter auswählen müssten, nicht unparteiisch, sondern mit einem deutlichen Übergewicht für die Sportverbände und das Internationale Olympische Komitee erstellt worden sei. Der BGH3 hat abschließend entschieden, Claudia Pechsteins Klage sei unzulässig, weil dieser die Einrede der Schiedsvereinbarung entgegenstehe, die ihrerseits als rechtlich wirksam anzusehen sei. C. (Sport-)Schiedsgerichtsbarkeit – Grundlagen

Entscheidungen echter (privater) Schiedsgerichte treten an die Stelle der Entscheidungen staatlicher Gerichte. Überzeugende Gründe sprechen dafür, dass Sportverbände rechtliche Streitigkeiten mit Athleten möglichst nicht vor staatlichen Gerichten, sondern vor Sportschiedsgerichten austragen möchten:4 Hervorzuheben sind insbesondere das erhebliche Fachwissen und die emotionale Distanz, welche Schiedsrichtern in *

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Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Rechtsvergleichung und Sportrecht an der Universität Bayreuth sowie wissenschaftlicher Leiter des Weiterbildungsstudiengangs „LL.M. Sportrecht (Universität Bayreuth)“ – Informationen hierzu unter www.LLM-Sportrecht-Bayreuth.de. LG München I, CaS 2014, 154 ff. – Pechstein. OLG München, CaS 2015, 37 ff. – Pechstein. BGH, NJW 2016, 2266 ff. = WRP 2016, 1014 ff. – Pechstein mit Besprechung bzw. Kommentar Heermann, in: NJW 2016, 2224 ff. und ders., in: WRP 2016, 1022 ff. Siehe stellvertretend Adolphsen, in: Adolphsen/Nolte/Lehner/Gerlinger (Hrsg.), Sportrecht in der Praxis, 2012, Rn. 1030 ff.

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der Sportgerichtsbarkeit gemeinhin zugeschrieben werden, die Schnelligkeit der Entscheidungsfindung, die umfassende, auch internationale Anerkennung und Vollstreckung von Schiedsverfahren sowie insbesondere die weltweit einheitliche Durchsetzung der Sportstatuten. Aber auch Nachteile sind mit Verfahren vor Sportschiedsgerichten verbunden: die mitunter zweifelhafte strukturelle Neutralität von Sportschiedsgerichten (etwa beim CAS),5 die geschlossenen Schiedsrichterlisten (etwa beim CAS, anders allerdings seit dem 01.04.2016 beim Deutschen Sportschiedsgericht), der Verzicht der Athleten auf ein öffentliches Verfahren und die damit verbundene demokratische Kontrolle (allerdings werden zahlreiche Schiedssprüche der Verbandsgerichte oder auch des CAS veröffentlicht), die oftmals noch fehlende Möglichkeit der Prozesskostenhilfe sowie die vielfach von den gesetzlichen Vorschriften abweichend geregelte Kostentragung des Schiedsverfahrens. Echte Schiedsgerichte haben im Sportsektor neben sonstigen Verbandsgerichten, die nicht an die Stelle staatlicher Gerichte treten und sich zumeist mit der rechtlichen Prüfung während des Wettkampfs ausgesprochener Disziplinarmaßnahmen beschäftigen, eine erhebliche praktische Bedeutung. Um als echtes Schiedsgericht eingestuft werden zu können, muss ein Verbandsgericht satzungsmäßig als unabhängige und unparteiliche Stelle organisiert sein.6 Die an einem Schiedsverfahren beteiligten Parteien müssen paritätisch Einfluss auf die Besetzung des Schiedsgerichts nehmen können.7 Im deutschen Recht bietet insoweit § 1034 Abs. 2 S. 1 ZPO einen wichtigen Orientierungspunkt, wonach die Schiedsvereinbarung einer Partei bei der Zusammensetzung des Schiedsgerichts kein Übergewicht geben darf, das die andere Partei benachteiligt. Wie setzt sich aber ein Sportschiedsgericht im konkreten Fall zusammen? Nach deutschem Recht sind verschiedene Ansätze denkbar: Die Parteien können das Verfahren der Bestellung des Schiedsrichters oder der Schiedsrichter vereinbaren (§ 1035 Abs. 1 ZPO). So kann etwa bei einer Rechtsstreitigkeit zwischen einem Sportverband und einem den Verbandsstatuten unterworfenen Mitglied ein Dreierschiedsgericht (§ 1034 Abs. 1 S. 2 ZPO) in der Form gebildet werden, dass beide Parteien jeweils unabhängig voneinander einen für das Schiedsrichteramt qualifizierten Schiedsrichter auswählen, die sich sodann ihrerseits zusammen auf einen Vorsitzenden des Schiedsgerichts einigen. An der strukturellen Neutralität des Schiedsgerichts dürften in einem solchen Fall regelmäßig keine Zweifel bestehen. Für alle Mitglieder eines solchen Dreierschiedsgerichts gilt das Gebot der schiedsrichterlichen Neutralität, welches durch die Parteiernennung der beisitzenden Schiedsrichter in der Praxis vielleicht nicht gänzlich gewahrt sein mag. Denn die Parteien werden zumindest hoffen, dass der von ihnen benannte Schiedsrichter im anschließenden Verfahren der von der Partei bevorzugten Rechtsauffassung eine gewisse Sympathie entgegenbringen wird. In besonderem Maße gilt das Neutralitätsgebot aber für den Vorsitzenden eines Dreierschiedsgerichts.8 Indes wird dieses im Wirtschaftsverkehr durchaus bewährte Verfahren zur Bestellung eines Dreierschiedsgerichts in der Praxis der Sportverbände oftmals nicht angewendet. Letztere bevorzugen aus unterschiedlichen Gründen Modifikationen, die zwar in erheblichem Umfang rechtlich zulässig sind, insbesondere aber bei Einschaltung von externen Instanzen in den Ernennungsprozess eine geringere Neutralitätsgarantie bieten. Für die Annahme einer Benachteiligung i.S.v. § 1034 Abs. 2 S. 1 ZPO ist nicht erforderlich, dass eine Konstellation vorliegt, die eine günstige 5 6 7 8

Dieses strukturelle Ungleichgewicht erkennt auch BGH, NJW 2016, 2266 Rn. 26 und 39 = WRP 2016, 1014 Rn. 26 und 39 – Pechstein. Grundlegend BGHZ 159, 207 (211). BGHZ 197, 162 Rn. 17 m.w.N. Wolf/Eslami, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), Beck’scher Online Kommentar ZPO, Stand: 1. 1. 2015, § 1035 Rn. 13; Münch, in: Münchener Kommentar zur ZPO, Band 3, 4. Aufl., 2013, § 1034 Rn. 42.

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Entscheidung erwarten lässt. Ausreichend ist bereits, dass im Hinblick auf das Bestellungsverfahren Positionen gewonnen werden, die gesteigerte Aussichten für eine positive Entscheidung für eine der Parteien bieten.9 Die insoweit von der deutschen Judikatur bislang aufgestellten Erfordernisse sind recht streng: So soll beispielsweise von einem unzulässigen Übergewicht einer Partei auszugehen sein, wenn diese das Recht habe, alle oder die Mehrheit der Schiedsrichter zu bestellen.10 Entsprechendes soll gelten, wenn die Mitglieder eines Sportschiedsgerichts satzungsgemäß von der Mitgliederversammlung eines Sportverbandes gewählt würden, sofern durch die Verbandssatzung nicht gewährleistet sei, dass das Schiedsgericht bei einer Streitigkeit zwischen dem Verband und einem seiner Mitglieder den Beteiligten als neutraler Dritter gegenüberstehe.11 Der Vorwurf, ein (ständiges, d.h. für einen bestimmten Zeitraum eingesetztes) Schiedsgericht sei strukturell nicht neutral besetzt, liegt fern, wenn eine unmittelbare Bestellung der Schiedsrichter etwa durch staatliche Gerichte oder Industrie- und Handelskammern erfolgt. Zudem können Verbände, Vereine oder Schiedsinstitutionen zum Zwecke der Schiedsrichterernennung eingesetzt werden. Aber auch in einer solchen Konstellation ist natürlich Voraussetzung, dass der ernennende Dritte und die von ihm zu ernennenden Schiedsrichter unparteiisch sind.12 Insbesondere aus Gründen der Beschleunigung des Ernennungsprozesses und der Sicherung der erforderlichen fachlichen Qualifikation der zu ernennenden Schiedsrichter können schließlich auch geschlossene (so noch beim CAS) oder offene (so seit 01.04.2016 beim Deutschen Sportschiedsgericht) Schiedsrichterlisten zum Einsatz gelangen,13 wobei freilich wiederum das Neutralitätsgebot zu beachten ist. D. Ist der Court of Arbitration of Sport (CAS) ein echtes Schiedsgericht?

Die bisherige Praxis der Benennung von aktuell fast 300 Schiedsrichtern für die geschlossene Schiedsrichterliste des CAS14 ist dadurch gekennzeichnet, dass zum einen die Repräsentanten der Sportverbände im Benennungsausschuss die Stimmenmehrheit haben und zum anderen sämtliche Vorschläge für Neuaufnahmen in die Schiedsrichterliste der Stimmenmehrheit im Benennungsausschuss bedürfen. Das bedeutet m.a.W.: Die Repräsentanten der Athleten können zwar – allerdings erst seit Anfang 2016 – auch in die Schiedsrichterliste des CAS aufzunehmende Kandidat(inn)en vorschlagen, diese im Zweifel aber nicht gegen den Willen der Repräsentanten der Sportverbände durchsetzen.15 Zudem setzt der vom Benennungsausschuss nach dem Mehrheitsprinzip gewählte Präsident der Berufungsabteilung des CAS den Vorsitzenden des jeweiligen Schiedsgerichts ein. U.a. im Hinblick auf diese Umstände ließ das OLG München im Pechstein-Verfahren trotz geäußerter Zweifel ausdrücklich die Frage offen, ob dem CAS der Charakter als echtes Schiedsgericht zugemessen werden könne.16 Jedenfalls handele es sich beim CAS aber um kein strukturell neutral besetztes Schiedsgericht.17 Entgegen der zuvor geäußerten Überzeugung und Einschätzung des Verfassers18 hat der BGH19 zumindest letzten Punkt anders gesehen und 9 10 11 12 13 14 15

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Münch, in: MünchKomm-ZPO (Fn. 8), § 1034 Rn. 11 m.w.N.: „[…] die nackte (plausible) Besorgnis reicht aus.“ BGH, SchiedsVZ 2007, 163 (164). So im Hinblick auf die Wahl des Berufungsausschusses eines deutschen Berufsboxverbandes durch dessen Generalversammlung BGHZ 197, 162 Rn. 17 m.w.N. Wolf/Eslami, in: BeckOK-ZPO (Fn. 7), § 1035 Rn. 5 m.w.N. zum Meinungsstand und damit auch zu teilweise großzügigeren Rechtsauffassungen; vgl. auch Münch, in: MünchKomm-ZPO (Fn. 8), § 1035 Rn. 26 m.w.N. BGHZ 55, 162 (174-176). Dieses Verfahren wird im Detail beschrieben von OLG München, CaS 2015, 37 (44 f.) – Pechstein. Kritisch zur bisherigen Ernennungspraxis LG München I, CaS 2014, 154 (169) – Pechstein; Baddeley, in: CaS 2004, 91 ff.; Monheim, Sportlerrechte und Sportgerichte im Lichte des Rechtsstaatsprinzips – auf dem Weg zu einem Bundessportgericht, 2006, S. 384 f.; Pfister, in: Fritzweiler/Pfister/Summerer, Praxishandbuch Sportrecht, 3. Aufl., 2014, 6. Teil 4. Kap. Rn. 154, 171; Scherrer, in: SpuRt 2003, 126 (127); ders., in: CaS 2009, 95 (98). OLG München, CaS 2015, 37 (41, 47) – Pechstein. OLG München, CaS 2015, 37 (44 ff.) – Pechstein; zuvor bereits a.A. Duve/Rösch, in: SchiedsVZ 2014, 216 (224 f.). Heermann, in: SchiedsVZ 2015, 78 (79, 85). BGH, NJW 2016, 2266 Rn. 23, 26, 32, 33 = WRP 2016, 1014 Rn. 23, 26, 32, 33 – Pechstein.

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ist ausdrücklich davon ausgegangen, die beschriebene Ernennungspraxis am CAS begründe kein strukturelles Ungleichgewicht bei der Besetzung des konkreten Schiedsgerichts. Denn die Verbände und die Athleten ständen sich nicht als von grundsätzlich gegensätzlichen Interessen geleitete Lager gegenüber. Vielmehr entspreche die weltweite Bekämpfung des Dopings sowohl den Interessen der Verbände als auch denen der Athleten. Damit sei der CAS auch ein „echtes“ Schiedsgericht i.S.d. §§ 1025 ff. ZPO.20 Dem Interessengleichlauf auf Seiten der Sportverbände und Athleten hinsichtlich der weltweiten Dopingbekämpfung ist in der Theorie im Grundsatz zuzustimmen. In der Praxis verbleiben freilich Zweifel beispielsweise mit Blick auf den nach derzeitigem Stand (29.07.2016) von der Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen 2016 ausgeschlossenen russischen Leichtathletikverband. Tatsächlich waren – wie die Causa Pechstein eindrucksvoll belegt – im Streitfall aufgrund der zu Unrecht verhängten Dopingstrafe Interessengegensätze zwischen der betroffenen Athletin und dem zuständigen Sportverband von vornherein latent vorhanden. Für Schiedsverfahren im Sportsektor, aber auch im sonstigen Wirtschaftsleben, in dem Vertragsstreitigkeiten im Vordergrund stehen, ist gerade charakteristisch, dass die Parteien bis zum Streitfall zwar keine „grundsätzlich gegensätzlichen Interessen“, sondern gemeinsame Interessen hinsichtlich der Durchführung ihrer vertraglichen Vereinbarungen verfolgen! Wenn es zum Rechtsstreit kommt, sollte aber ein fortdauernder Interessengleichlauf nicht gleichsam automatisch unterstellt werden. Vielmehr sollte dann jede Partei darauf vertrauen dürfen, dass ihr das Schiedsgericht als unabhängige und unparteiliche sowie von beiden Seiten paritätisch besetzte Stelle gegenübertritt. Diese bislang allgemein konsentierte Überzeugung scheint der BGH zumindest im Hinblick auf Dopingstreitigkeiten und den CAS nicht länger zu teilen. Schließlich wird der CAS weder in dem am 18.12.2016 in Kraft getretenen § 11 AntiDopG noch in der Gesetzesbegründung hierzu ausdrücklich als echtes Schiedsgericht anerkannt. In der erwähnten Vorschrift selbst wird der CAS nicht erwähnt. In der amtlichen Begründung zu § 11 AntiDopG21 wird eingangs lediglich angemerkt, dass die letztinstanzliche Zuständigkeit des CAS als Streitbeilegungsmechanismus für die Teilnahme an der organisierten Sportausübung erforderlich und gängige Praxis sei und sich grundsätzlich weltweit bewährt habe. Zudem heißt es am Ende der amtlichen Begründung zu § 11 AntiDopG:22 „Eine funktionierende Sportschiedsgerichtsbarkeit, die den allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen entspricht und damit solche Verstöße ausschließt, wird vielmehr vorausgesetzt.“ Es ist also m.a.W. im Einzelfall zu prüfen, ob ein mit einem konkreten Fall befasstes Sportschiedsgericht rechtsstaatlichen Anforderungen entspricht. E. Kann eine faktisch aufgezwungene Schiedsvereinbarung eine freiwillige Schiedsvereinbarung sein?

Wer diese Frage ohne sehr spezielle juristische Vorkenntnisse liest, wird sie vermutlich ohne Zögern verneinen. Dies dürfte in noch stärkerem Maß für juristisch nicht vorgebildete Athleten gelten. Denn diese unterwerfen sich regelmäßig gegenüber Sportverbänden der Sportschiedsgerichtsbarkeit und verzichten zugleich auf die ihnen hierzulande nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierte Möglichkeit der Anrufung des staatlichen Richters, weil sie andernfalls nicht an offiziellen sportlichen Wettkämpfen teilnehmen könnten. In diesem Kontext besteht die rechtliche Besonderheit darin, dass man in rechtswirksamer Weise nur freiwillig auf die Anrufung staatlicher 20 Bereits zuvor den CAS als echtes Schiedsgericht einstufend Adolphsen, in: Adolphsen/Nolte/Lehner/ Gerlinger (Fn. 4), Rn. 1073 f.; Villiger, in: Stopper/Lentze (Hrsg.), Handbuch Fußball-Recht, 2012, Kap. 21 Rn. 21 f. 21 BT-Dr. 18/4898 v. 13.05.2015, S. 38. 22 BT-Dr. 18/4898 v. 13.05.2015, S. 39.

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Gerichte verzichten und sich damit der Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen kann. Während bislang schon im Kreise der Zivilrechtler, anknüpfend an sehr unterschiedliche argumentative Ansätze, die nunmehr auch vom BGH23 geteilte Auffassung vorherrschte, auch bei einer faktisch aufgezwungenen Schiedsvereinbarung verzichte der betroffene Athlet freiwillig auf die Anrufung staatlicher Gerichte,24 besteht im Kreise der Vertreter des Öffentlichen Rechts kaum ein Zweifel, dass unter den genannten Umständen keine Freiwilligkeit angenommen werden könne.25 Inzwischen hat der Gesetzgeber reagiert und in diesem Meinungsstreit in § 11 AntiDopG auf eher versteckte, subtile Art und Weise Stellung bezogen.26 Der Gesetzestext dieser legislativen Reaktion insbesondere auf das erstinstanzliche Urteil im Pechstein-Verfahren, in dem faktisch aufgezwungene Schiedsvereinbarungen nicht als freiwilliger Verzicht auf den staatlichen Richter eingestuft worden waren,27 lautet: Sportverbände und Sportlerinnen und Sportler können als Voraussetzung der Teilnahme von Sportlerinnen und Sportlern an der organisierten Sportausübung Schiedsvereinbarungen über die Beilegung von Rechtstreitigkeiten mit Bezug auf diese Teilnahme schließen, wenn die Schiedsvereinbarungen die Sportverbände und Sportlerinnen und Sportler in die nationalen oder internationalen Sportorganisationen einbinden und die organisierte Sportausübung insgesamt ermöglichen, fördern oder sichern. Das ist insbesondere der Fall, wenn mit den Schiedsvereinbarungen die Vorgaben des Welt Anti-Doping Codes der Welt Anti-Doping Agentur umgesetzt werden sollen. Erst aus der amtlichen Begründung28 wird deutlich, welchen Zweck die Regelung nach Auffassung des Gesetzgebers verfolgt. Der Abschluss faktisch aufgezwungener Schiedsvereinbarungen als Voraussetzung für die Teilnahme am organisierten Sport halte in der Regel einer rechtlichen Prüfung am Maßstab des § 138 BGB auch unter Berücksichtigung der Grundrechte und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vor dem Hintergrund der besonderen Umstände des Leistungssports stand. Die „Klarstellung“ in der Vorschrift diene insgesamt lediglich dazu, die Zweifel an der Wirksamkeit des Abschlusses von Schiedsvereinbarungen zwischen Sportlerinnen und Sportlern mit den Verbänden auszuräumen. Da eine solche „Klarstellung“ nicht nur künftige, sondern auch vergangene Sachverhalte erfasst, lässt sich aus § 11 AntiDopG folgende erstaunliche Wertung des Gesetzgebers ableiten: Faktisch aufgezwungene Schiedsvereinbarungen gelten (und galten bereits vor der Causa Pechstein) als freiwillige Schiedsvereinbarungen, halten (bzw. hielten) – in der Regel – einer rechtlichen Abschlusskontrolle stand, können aber noch einer umfassenden Inhaltskontrolle unterzogen werden. F. Kann das Kartellrecht auf die Aufstellung und Durchsetzung von Dopingregelungen durch Sportverbände angewendet werden?

Der im Pechstein-Verfahren vom Kartellsenat des OLG München gewählte Ansatz einer Anwendung des Kartellrechts auf die Aufstellung und Durchsetzung von Dopingregeln durch Sportverbände ist hernach etwa als „gänzlich unangemessen“ und „klar exzessiv“ eingestuft worden.29 Jüngst hieß es an anderer Stelle: „Diese Subsumtion ist – die Kartellrechtler mögen es verzeihen – eine gewollte falsche Ausdehnung des Kartellrechts auf Bereiche, die das Kartellrecht nicht normieren will.“30 23 BGH, NJW 2016, 2266 Rn. 53, 56 = WRP 2016, 1014 Rn. 53, 56 – Pechstein. 24 A.A. indes Heermann, in: SchiedsVZ 2014, 66 (73 ff.) m.w.N. zum Meinungstand; Monheim, Sportlerrechte und Sportgerichte im Lichte des Rechtsstaatsprinzips – auf dem Weg zu einem Bundessportgericht, 2006, S. 153 ff.; ders., in: SpuRt 2008, 8 (11); Maihold, in: SpuRt 2013, 95 (96). 25 Zum Meinungsstand insgesamt vgl. stellvertretend Heermann, in: SchiedsVZ 2014, 66 (71-73) m.w.N. 26 Ausführlich hierzu Heermann, in: CaS 2016, 108 (112-114) m.w.N. 27 LG München I, CaS 2014, 154 (164 ff.) – Pechstein. 28 BT-Dr. 18/4898 v. 13.05.2015, S. 38 f. 29 Schlosser, in: SchiedsVZ 2015, 257 (258 f.); etwas zurückhaltender insoweit Nordmann/Förster, in: WRP 2016, 312 Rn. 12, 34. 30 Adolphsen, in: SpuRt 2016, 46 (50).

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Die mit dieser schlagwortartigen Kritik verbundenen Argumente können – wie an anderer Stelle im Detail dargelegt ist31 – nicht überzeugen. Die erwähnte Kritik widerspricht der begrüßenswerten Judikatur des EuGH zur Anwendung des Kartellrechts auf das Handeln von Sportverbänden.32 Der BGH33 hat im Pechstein-Verfahren letztlich die Frage, ob Sportverbände bei der Aufstellung und Durchsetzung von Statuten zur Organisation des Sports als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts handeln, offen lassen können, weil er im Ergebnis einen Kartellrechtsverstoß abgelehnt hat. G. Fazit und Ausblick

Die drei vorangehend aufgeworfenen Fragen sind jeweils zu bejahen: • Der CAS ist nach Überzeugung des BGH als echtes Schiedsgericht einzustufen. • In § 11 AntiDopG (oder genauer: in der Gesetzesbegründung hierzu) wird nunmehr angeordnet, dass Schiedsvereinbarungen, die Sportler und Sportlerinnen von Sportverbänden faktisch aufgezwungen werden, als freiwillig abgeschlossene Schiedsvereinbarungen gelten und insoweit einer Abschlusskontrolle standhalten. • Das Kartellrecht kann auf die Aufstellung und Durchsetzung von Dopingregelungen durch Sportverbände angewendet werden. Andere Fragen bleiben offen: Warum hat man den Sportverbänden bei der Besetzung der Schiedsrichterliste am CAS – im Gegensatz zu anderen Schiedsgerichten wie etwa dem deutschen Sportschiedsgericht – von vornherein ein deutliches Übergewicht eingeräumt? Warum sollte sich an dieser Benennungspraxis Grundlegendes ändern, nachdem der BGH – wie zuvor auch schon das schweizerische Bundesgericht34 – den CAS gleichwohl als echtes Schiedsgericht eingestuft hat? Die erste Frage ist in der Diskussion stets ausgeblendet worden. Hinsichtlich der zweiten Frage verbleiben Zweifel, auch wenn (oder weil?) der CAS in Reaktion auf die Causa Pechstein bereits zum 01.01.2016 eine Reform umgesetzt hat: Nach der modifizierten Regel S14 des Code of Sports-related Arbitration (2016 edition) können nun auch Athletenkommissionen des Internationalen Olympischen Komitees, der internationalen Sportverbände und Nationalen Olympischen Komitees Kandidat(inn)en für die Schiedsrichterliste benennen. Unverändert blieb allerdings Regel S.8 Abs. 1 S. 3. Danach entscheidet über die Aufnahme auf die Schiedsrichterliste der Internationale Rat für die Sportgerichtsbarkeit (ICAS) jeweils mit Stimmenmehrheit. Dadurch ist auch weiterhin sichergestellt, dass gegen den Willen der Sportverbände, die im ICAS deutlich mehr als 50% der Mitglieder stellen, keine Kandidaten – auch nicht die von Athletenvertretungen benannten – auf die Schiedsrichterliste gelangen können. Insoweit handelt es sich zwar namentlich um eine Reform, die jedoch weder die bisherige Ernennungspraxis grundlegend ändern noch die berechtigten Vorbehalte hiergegen auszuräumen wird.

31 Heermann, in: WRP 2016, 1053 ff. 32 EuGH, Slg. 2006, I-6991, Rn. 47 – Meca-Medina und Majcen; EuGH, Slg. 2008, I-4863, Rn. 21-26 – MOTOE. 33 BGH, NJW 2016, 2266 Rn. 47 = WRP 2016, 1014 Rn. 47 – Pechstein. 34 BGE 129 III 445.

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Sinn und Unsinn von Remonstrationen – Ergänzende Bemerkungen zu Iurratio 1/2016 (S. 17) aus Sicht eines Hochschullehrers – von Prof. Dr. Gunnar Duttge Prof. Dr. Gunnar Duttge ist Ordinarius für Strafrecht, Strafprozessund Medizinrecht an der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen; Direktor der dortigen Abteilung für strafrechtliches Medizin- und Biorecht sowie Vorstandsmitglied des Göttinger Zentrums für Medizinrecht.

A. Die heikle Psychologie

Remonstrationen im Nachgang zu einer universitären Prüfungsarbeit (Klausur oder Hausarbeit) sind auf beiden Seiten von ambivalenten Gefühlen geprägt: Auf studentischer Seite verbindet sich damit – natürlich – die Hoffnung, doch noch ein besseres Ergebnis erreichen zu können, häufig: die Bewertung mit „mangelhaft (3 Pkte.)“ im letzten Augenblick vielleicht doch noch abzuwenden. Dieses nur allzu verständliche Anliegen ist dadurch in der Regel mit starken Emotionen verbunden – Ärger über die erlittene Kränkung, vielleicht sogar gezielt in Richtung Aufgabensteller und/oder Korrekturassistenten, dazu Sorgen um das eigene Fortkommen etc. Auf Emotionen treffen Remonstrationen aber auch auf „der anderen Seite“, beim Aufgabensteller und seinen Korrekturassistenten, die sich einerseits durchaus Erkenntnisse über das Vorkommen evtl. Korrekturfehler erhoffen, zugleich jedoch die Aufbürdung sinnloser Mehrarbeit in einem ohnehin von zahlreichen Bürden und Verpflichtungen getragenen Alltag befürchten. Vor diesem Hintergrund bedarf es, um das eigentliche Anliegen einer Remonstration nicht von vornherein zu vereiteln, auf beiden Seiten eines klugen, sensiblen Vorgehens. Als Leitlinie hierfür sollte die Devise gelten, dass Fehler auch bei größtmöglicher Sorgfalt niemals gänzlich vermeidbar sind und das gemeinsame Streben sich somit darauf zu richten hat, solche Fehler zu identifizieren, zweifelsfrei aufzuklären und beidseitig verstehbar zu machen. Dies gilt für Korrekturfehler ebenso wie für studentische Fehler in Prüfungsarbeiten. Remonstrationen tragen das Potential für beides in sich: Sie bieten zum einen die Gelegenheit, den Studierenden gegenüber noch nicht (vollständig) Verstandenes (nochmals) klar zu benennen, zum anderen jedoch einen Anstoß, die Ordnungsmäßigkeit der Korrektur noch einmal zu überprüfen. Mögliche Erkenntnisse in beiderlei Richtung lassen sich natürlich nur gewinnen, wenn auf allen Seiten die nötige Offenheit hierfür besteht und nicht durch Vorabfestlegungen vereitelt wird.

Zusätzlich findet vor Beginn der Korrekturen eine ausführliche Vorbesprechung mit allen beteiligten Korrekturkräften statt, um nicht nur den prüferseitig präferierten Lösungsgang, sondern vor allem auch den Bewertungsmaßstab in Bezug auf zentrale oder eher randständige Sachfragen und die relevanten Bewertungsgrenzen zwischen einzelnen Notenstufen, besonders die entscheidende Abgrenzung zwischen „ausreichend“ und „mangelhaft“, vorab näher zu antizipieren. Erst mit Hilfe dieser Wegweisungen beginnen die Korrekturen und Notengebungen. Wohl noch nicht allgemein üblich, aber sehr empfehlenswert ist es zudem, wenn im Anschluss während des Korrekturdurchgangs (nach ca. 15-20 Prüfungsarbeiten) eine Art „Zwischenbesprechung“ stattfindet. Hier lassen sich sehr schnell Unterschiede im Bewertungsmaßstab anhand eines Vergleiches von Durchschnittsnote und Durchfallquote (nach bisherigem, vorläufigem Stand) ermitteln. Zu diesem Zeitpunkt einzugreifen vermeidet unerwünschte Verzögerungen am Ende, wenn erst nach Abgabe und Mitteilung der Ergebnisse durch die Korrekturassistenten signifikante Abweichungen erkennbar werden. Denn dies bedingt dann unweigerlich „Nacharbeit“ und verzögert automatisch die Rückgabe und offizielle Bekanntgabe der Ergebnisse. Zuvor steht es dem Hochschullehrer (der Hochschullehrerin) natürlich offen, selbst noch einmal die Resultate zu sichten, was zumeist anhand der Korrekturberichte und Stichproben aus allen (nach Anzahl der beteiligten Korrekturassistenten gebildeten) „Paketen“ geschieht. Üblicherweise konzentriert sich der/die Hochschullehrer/In vornehmlich auf die jeweils höchsten Bewertungen sowie auf jene Prüfungsarbeiten, die an der Grenze zwischen „noch ausreichend“ (4 Pkte.) und „mangelhaft“ (3 Pkte) liegen. Die Zuordnung zu den noch bestandenen oder aber bereits durchgefallenen Arbeiten ist daher Resultat einer zweifach wohlüberlegt getroffenen Entscheidung, insbesondere natürlich im Bewusstsein von deren besonderer Relevanz. Mag der numerisch schmale Grad von „nur“ einem Punkt auch Gegenteiliges nahelegen, liegt in der Sache zwischen den beiden Ufern eine bewusst gezogene scharfe Grenze. Für einen nachträglichen „Seitenwechsel“ bedarf es daher schon mindestens eines guten Grundes, der die Bearbeitung bei erneuter Gesamtwürdigung in einem signifikant günstigeren Licht erscheinen lässt. Dies ist gleichsam die Vorgeschichte eines schon jahrzehntelang erprobten und bewährten Korrektursystems, bevor die Prüfungsarbeit mitsamt Bewertung zurückgegeben und besprochen wird.

B. Die Ausgangslage

Bekanntlich liegt die Ausgangsproblematik darin begründet, dass die Korrektur zahlreicher Prüfungsarbeiten während des Studiums in die Hände von Korrekturassistenten/Innen überantwortet ist. Wer einmal die Gelegenheit hatte, eine Vielzahl von Klausuren oder gar Hausarbeiten zu begutachten, weiß um die besondere – psychische wie physische – Belastung, die mit dieser Aufgabe einhergeht. Das zur Entlastung unvermeidliche Delegieren auf mehrere Schultern von Mitarbeitern/Innen, seien es ohnehin schon am Lehrstuhl beschäftigte oder erst eigens hierfür gewonnene, bringt selbstredend erhöhte Risiken insbesondere mit Blick auf die nötige Gleichbehandlung mit sich. Um eine soweit wie möglich gleichartige Korrektur zu ermöglichen, wird deshalb zu Beginn eine ausführliche Lösungsskizze verfasst, die regelmäßig auch Hinweise zur Bewertung von Alternativlösungen und möglichen Fehlern enthält.

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C. Vorbedingungen und Kontrollintensität

Es versteht sich daher von selbst, dass bei einem solch hohen Aufwand, möglichst einheitliche und in der Sache angemessene Ergebnisse zu produzieren, die Ausgangsvermutung des verantwortlichen Hochschullehrers dahin geht, dass die vorgenommenen Beurteilungen auch zutreffend sind. Jedoch lässt sich die absolute Fehlerfreiheit selbst bei größtmöglichen Anstrengungen – noch dazu bei der zumeist hohen Anzahl von zu begutachtenden Prüfungsarbeiten – niemals garantieren, so dass es zu den wohlbegründeten Rechten des Studierenden zählt, eine getroffene Bewertung zu beanstanden. Zielrichtung kann aber stets nur der Aufweis von Korrekturfehlern sein, nicht eine vom prüferseitigen Erwartungshorizont gelöste, vom eigenen Gefühl geprägte Debatte allgemein über die Angemessenheit der konkreten Bewertung als solcher. Denn es besteht

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ein prüfungsrechtlicher Beurteilungsspielraum, der insoweit selbst im Gerichtswege nicht ersetzbar ist. Dieser „vertretungsfeindliche“ Beurteilungsspielraum betrifft insbesondere die Punktevergabe und Notengebung (soweit diese nicht mathematisch determiniert sind), die Einordnung des Schwierigkeitsgrades einer Aufgabenstellung, bei mehreren Teilaufgaben die Gewichtung derselben untereinander, die Würdigung der Qualität der Darstellung, die Gewichtung von Stärken und Schwächen und insbesondere der in der Bearbeitung enthaltenen Fehler (vgl. im Einzelnen BVerwGE 105, 328, 333 f.; NVwZ 2000, 915, 920; BVerwGE 109, 211 ff.; NVwZ 2004, 1375). Der prüfungsspezifische Bewertungsspielraum ist erst dann überschritten, wenn die Beurteilung erkennbar fehlerhaft ist, etwa von falschen Tatsachen (Sachverhalt) oder von einer falschen Rechtslage ausgeht, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt oder sich von sachfremden Erwägungen (selten nachweisbar!) leiten lässt. Allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe sind, dass zutreffende (bzw. zumindest vertretbare) Antworten und Lösungsvorschläge auch als zutreffend (vertretbar) bewertet werden sowie Eingang in die Gesamtbewertung finden müssen. Von Wichtigkeit ist dabei der Umstand, dass dem Beurteilungsspielraum des Prüfers auf Seiten des Prüflings ein „Antwortspielraum“ gegenübersteht: „Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darf nicht als falsch gewertet werden“ (BVerfGE 84, 34, 53 ff.; zuletzt VG München, Urteil v. 18.09.2014, Az. M 4 K 12.3296; VG Würzburg, Urteil v. 19.03.2015 – 2 K 14.381). Die Geltendmachung eines solchen Korrekturfehlers obliegt dabei demjenigen, der sich hierauf berufen will – d.h. dem Studierenden. Eine plausible Beanstandung wird ihm aber allenfalls dann gelingen, wenn dem Verfassen des Remonstrationsschreibens eine eingehende Prüfung der eigenen Arbeit samt Korrekturbemerkungen vorausgeht. Die Teilnahme an der regelhaft angebotenen Nachbesprechung im Hörsaal zählt daher zu den selbstverständlichen Vorbedingungen, um den Erwartungshorizont des Aufgabenstellers und die Gründe für die Bewertung der eigenen Arbeit erfahren und nachvollziehen zu können. Wenn Hochschullehrer die Entgegennahme von Remonstrationen von dem Nachweis einer Teilnahme am Rückgabe- und Besprechungstermin abhängig machen, so ist dies nicht etwa Ausdruck einer Schikane, sondern der wohlbegründeten Annahme, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem erwarteten Lösungsgang Grundvoraussetzung ist, um die eigene Leistung und die Angemessenheit ihrer Bewertung überhaupt annäherungsweise beurteilen zu können. Wer also die studentischen Rechte im Zusammenhang mit Prüfungsarbeiten stärken (und darüber aufklären) will, muss im gleichen Atemzug auch über die damit einhergehenden studentischen Obliegenheiten sprechen: In der alltäglichen universitären Praxis ist aber die Bereitschaft der Studierenden, sich mit der Prüfungsarbeit und den Hinweisen des Prüfers noch einmal zu befassen, leider ausnehmend gering, vielmehr die „Flucht aus dem Hörsaal“ nach Rückgabe der Arbeiten ein allgegenwärtiges Phänomen. Dass infolgedessen die Bereitschaft der Hochschullehrer nicht allzu ausgeprägt ist, die abgewiesene Entgegennahme der Lösungshinweise dann im Anschluss zum Gegenstand von aufwendigen Einzelbescheiden aus Anlass von Remonstrationen zu machen, sollte leicht begreiflich sein. D. Typische Missverständnisse

Die große Mehrzahl der (zumeist mühevoll verfassten) Remonstrationen scheitert nach hiesiger Erfahrung daran, dass es den studentischen Verfassern mangels dahingehender Kenntnis nicht gelingt, sich auf die vorstehenden Rahmenbedingungen einzustellen und die möglichen konkreten Korrekturfehler präzise herauszuarbeiten.

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Die Missverständnisse beginnen schon im Einleitungssatz, der häufig (und nach dem „Vorbild“ mancherlei Ratgeberliteratur) dahin formuliert ist, dass eine „nochmalige Korrektur“ bzw. „Nachkorrektur“ begehrt werde. Aus Gründen der Chancengleichheit im Verhältnis zu allen anderen Prüfungsarbeiten innerhalb derselben Prüfung kann jedoch die vorgelegte Arbeit niemals zum Gegenstand einer gänzlich neuen, außerordentlichen Begutachtung gemacht werden, weil die proportionale „Richtigkeit“ bzw. Stimmigkeit der Bewertung relativ zum Gesamt aller Prüfungsarbeiten den unüberschreitbaren Rahmen jeder nachträglichen Intervention bildet. Dementsprechend kann es innerhalb des Remonstrationsverfahrens von vornherein allein darum gehen, der Möglichkeit konkreter Korrekturfehler nachzugehen, die deshalb vom Beanstandenden auch möglichst konkret benannt und plausibel gemacht werden müssen. Die bspw. häufig reklamierte Botschaft, der Prüfling halte die Arbeit einfach insgesamt für „noch brauchbar“, ist zwar gewiss Ausdruck eines ehrlichen „Gefühls“; ihr lässt sich jedoch sogleich mit der Erwiderung begegnen, dass der verantwortliche Prüfer kraft seiner Kompetenz und insbesondere in Kenntnis des Erwartungshorizonts und des Bearbeitungsniveaus im Ganzen eben zu einer anderen Einschätzung gelangt ist, die im Lichte der prüferseitigen Zuständigkeit hingenommen werden muss. Bezugspunkte einer näheren Suche nach konkreten Korrekturfehlern sind zum einen die Ausführungen des Bearbeiters und zum anderen die (verbal oder durch nonverbale Markierungen, Unterstreichungen etc.) vorgenommenen Korrekturbemerkungen an der betreffenden Textstelle wie auch in der abschließenden Gesamtbewertung. Gerne und häufig wird von studentischen Remonstrationsführern (pauschal) auf „andere Klausuren“ verwiesen, die im Ergebnis besser bewertet worden seien. Ein solcher Verweis geht jedoch von vornherein ins Leere, wenn dies nur allgemein behauptet und nicht konkret – durch Vorlage einer anderen Prüfungsarbeit – belegt wird. Selbst dies wird aber nur selten und allenfalls dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn auf diese Weise verdeutlicht werden kann, dass eine konkrete Antwort oder Lösung anderweitig als noch „vertretbar“ oder gar „richtig“ akzeptiert worden ist und sich infolgedessen der Verdacht eines Korrekturfehlers (s.o.) aufdrängt. Doch in aller Regel sind Klausuren im Vergleich zueinander gerade nicht gleich. Und selbst wenn es ausnahmsweise so liegen sollte, ist der Erfolg der Remonstration noch immer nicht vorprogrammiert, denn das Akzeptieren eines Lösungsvorschlages in anderen Prüfungsarbeiten mag selbst fehlerhaft sein: Auf eine Gleichbehandlung im Unrecht hat jedoch niemand einen Anspruch (z.B. BVerfGE 50, 142, 166)! Es muss also zusätzlich erst noch der Nachweis gelingen, dass die vergleichsweise herangezogene andere Bewertung ihrerseits zutreffend oder doch jedenfalls „vertretbar“ ist – und damit die in der eigenen Arbeit vorgefundene sich als eine darstellt, die infolge dieser dann unabweisbaren Ungleichbehandlung den prüfungsrechtlichen Beurteilungsspielraum überschreitet. Zugleich sollte zumindest behauptet, besser aber plausibilisiert werden, dass es sich um einen erheblichen, d.h. für die Gesamtbewertung relevanten Aspekt handelt, also nicht ausgeschlossen werden kann, dass die veränderte Beurteilung desselben das Gesamtergebnis zugunsten des Remonstrationsführers verändert. Das dürfte insbesondere dann naheliegen, wenn der Korrekturassistent diesen Aspekt in der Gesamtbewertung eigens zum Beleg für eine negative Bewertung genommen hat. Häufig wird es daher zwecks Entdeckung und Benennung von Korrekturfehlern unerlässlich sein, sich mit dem jeweiligen Sachproblem eingehend zu befassen. Wie schon erwähnt bildet dabei die Nachbesprechung durch den Aufgabensteller eine unverzicht-

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bare Informationsquelle. Die nachfolgende Vertiefung anhand der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur wird zumeist die Sach- (bzw. vorliegend: Rechts-)Lage weiter klären und dürfte bei der Begründung von Remonstrationsschreiben hilfreich sein, um die Beanstandung dezidiert zu benennen und mit Quellenangaben zu versehen (auch wenn dies nicht zwingend erforderlich ist). Nur muss dabei differenziert werden: Die Inbezugnahme solcher Quellen kann nur zum Beleg dafür dienen, dass ein danach „vertretbarer“ Lösungsansatz zu Unrecht nicht als solcher anerkannt wurde. Es lässt sich dadurch aber nicht dasjenige kompensieren, was in der Prüfungsarbeit hätte formuliert werden sollen, dort aber nicht (hinreichend) ausgeführt wurde. Gegenstand der Bewertung sind stets einzig und allein die Inhalte der Klausur bzw. Hausarbeit selbst, und zwar in ihrer inhaltlichen Substanz, vertieftes Verständnis belegenden Differenziertheit und in ihrem sprachlichen Ausdruck, nicht die Ausführungen in der Remonstrationsschrift (sog. „Nachschieben von Gründen“), mögen diese auch noch so zutreffend und formvollendet formuliert sein. Aller Erfahrung nach werden gerne singuläre Stichworte, die in der Klausurbearbeitung ohne jedwede Erläuterung „hingeworfen“ sind (und die Korrekturassistenten nach irriger Vorstellung der Studierenden nurmehr „abhaken“), ex post „erklärt“ mit der Behauptung, diese Erklärung sei de facto bereits in der Bearbeitung „enthalten“ – ist sie aber nicht! Per saldo hatte dann zwar der Gang in die Bibliothek womöglich einen positiven Lerneffekt, doch hätte dies besser schon vor Absolvieren der Prüfung geschehen sollen, um durch fundierte Kenntnisse des Lehrstoffes erst gar keine Remonstration und deren Bearbeitung notwendig werden zu lassen. Mitunter mag es allerdings vorkommen, dass die Hinweise des Korrekturassistenten nicht zur Gänze nachvollziehbar sind – sei es, dass sich die Randbemerkungen beispielsweise in gelegentlichen Häkchen erschöpfen und/oder die Gesamtbewertung lediglich aus einem einzigen, apodiktischen Satz besteht. In diesem Fall ist es ein nur allzu berechtigtes Anliegen des Studierenden, im Wege der Remonstration zuerst einmal die nötige Transparenz der Korrektur und Bewertung mitsamt der dabei leitenden Erwägungen anzumahnen. Der verantwortliche Prüfer wird sich dann in aller Regel veranlasst sehen, den jeweiligen Korrekturassistenten zur „Nacharbeit“ aufzufordern. Sollte sich im Anschluss bei Durchsicht der jetzt erstmals nachvollziehbaren Bewertung Anlass für inhaltliche Beanstandungen ergeben, so kann dies seitens des Prüfers nicht wegen „Fristablauf “ zurückgewiesen werden: Denn es handelt sich um ein laufendes Verfahren, das von studentischer Seite innerhalb der vorgegebenen Frist (i.d.R. eine Woche nach Rückgabe und Besprechung) ausgelöst wurde und ihm durch einen Umstand, der nicht in seiner Verantwortungssphäre liegt, erst verspätet die Möglichkeit einer inhaltlichen Nachprüfung verschafft hat. Sollte dies von Prüferseite nicht von vornherein anerkannt werden, kann das Remonstrationsbegehren mit einem „Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand“ verbunden werden, der das unverschuldete Überschreiten der Fristvorgabe kurz erläutert (Rechtsgedanke des § 32 VwVfG). Zielrichtung einer Remonstration kann schließlich ebenfalls sein, eine unterbliebene positive Bewertung zutreffender Lösungsaspekte (oder vertiefender Begründungen etc.) zu rügen, die möglicherweise nicht in die Gesamtbewertung eingeflossen sind. Allerdings lässt sich hierin ein Korrekturfehler nur dann erkennen, wenn solche positiven Inhalte der Prüfungsarbeit erstens tatsächlich nicht berücksichtigt wurden und zweitens eine hypothetische Einbeziehung in die Gesamtbewertung wirklich eine bessere Benotung nahegelegt hätte. Dieser Nachweis oder eine jedenfalls höhere Plausibilität wird sich meist nur schwer darlegen lassen, weil es keinerlei Pflicht des Prüfers gibt, jeden einzelnen bewertungsrelevanten Aspekt auch ei-

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gens als solchen zu kennzeichnen. Dennoch kann es im Einzelfall lohnend sein, die Randbemerkungen und Markierungen des Korrekturassistenten nach Auffälligkeiten zu sichten, also danach, ob sich Textpassagen finden, die abweichend von der sonstigen Übung unkommentiert geblieben sind. Sofern diese auch in der Gesamtbewertung nicht erwähnt werden, bietet es dem Aufgabensteller jedenfalls Gelegenheit zur Überprüfung, ob die Gesamtbewertung in diesem Lichte noch den Rahmen der vertretbaren „Proportionalität“ wahrt. Im Übrigen können dabei natürlich auch Aspekte jenseits der inhaltlichen Sachfragen – sofern sie die Arbeit in einem positiven Licht erscheinen lassen – „stark gemacht“ werden, wie etwa die Vollständigkeit der Bearbeitung (alle Tatkomplexe, alle wesentlichen Tatbestände, alle zentralen Rechtsprobleme), die Wahrung des Gutachtenstils oder sprachlich-stilistische Vorzüge (soweit vorhanden). E. Fazit

Bei Beachtung der vorstehenden Grundsätze lässt sich von dem Instrument der Remonstration sehr wohl sinnvoll Gebrauch machen. Leider geschieht das nach hiesiger Erfahrung allerdings selten, so dass die Erfolgsquote meist außerordentlich gering ausfällt. Dies dürfte seinen Grund nicht zuletzt darin finden, dass die hierdurch eröffnete Option häufig nicht sachgerecht genutzt, d.h. das vorhandene Potential nicht ausgeschöpft, sondern mitunter eher als Medium missbraucht wird, um dem eigenen Ärger – menschlich verständlich – Luft zu verschaffen. Da freilich auch die Adressaten einer Remonstration emotional „ansprechbar“ sind, sollte es schon die Klugheit gebieten, auf eine höfliche Ansprache mitsamt einer freundlichen Bitte um „Prüfung nachfolgender Bedenken gegen die Bewertung“ besonderen Wert zu legen. Gewiss ist der Eingang von Remonstrationen nach erhofftem (vermeintlichem) Abschluss der Prüfungsarbeiten für den verantwortlichen Hochschullehrer kein Grund zur Freude; doch ist er als Wissenschaftler immer geneigt, überzeugenden Argumenten Gehör zu schenken. Deshalb sollte vor Einreichen eines Remonstrationsschreibens genau überlegt werden, ob sich solche potentiell guten Gründe auch tatsächlich finden lassen – notabene: Gründe für das Vorliegen von Korrekturfehlern, nicht etwa dafür, sich wegen der negativen Bewertung zu echauffieren. Wer glaubt, das Instrument der Remonstration bei „3 Pkte.“ geradezu standardmäßig in Anspruch nehmen zu müssen, missbraucht es in Wahrheit – und zugleich die Kapazitäten des Aufgabenstellers und seines Sekretariats/Mitarbeiterteams. Man möge dabei insbesondere auch bedenken, dass es für diesen Weg kein Verbot der „reformatio in peius“ gibt, d.h. es ist der verantwortliche Prüfer nicht gehindert, im Rahmen eines Remonstrationsverfahrens die Bewertung – natürlich aus triftigen Sachgründen – sogar zu verschlechtern. Wenn dies weithin nicht praktiziert wird, so ist dies allein Ausdruck einer wohlwollenden Behandlung, auf die es aber keinen Rechtsanspruch gibt. Und wenn das Vorbringen am Ende doch keinen Erfolg haben sollte? Immerhin gibt es für den Prüfer eine Pflicht zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung, die dazu motivieren sollte, sich mit den Sachfragen vertiefend zu befassen – und dies eben nicht bloß für die nächste Prüfungsarbeit, sondern ganz und gar zweckfrei zur Erweiterung des eigenen Wissens und Verstehens. Danksagung:

Der Autor ist seinen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für wertvolle Anregungen und Diskussionen bei der Vorbereitung des vorstehenden Textes zu Dank verpflichtet: Frau Rechtsanwältin Simone Klaffus, Frau Rechtsanwältin Melanie Steuer und Herrn Martin Gerhard.

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Das Erfordernis der Abmahnung und ihre Entbehrlichkeit anhand aktueller Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von Johannes Oehlschläger Johannes Oehlschläger, Jahrgang 1985, ist Rechtsassessor und Wirtschaftsmediator. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Passau absolvierte er die Referendarsaubildung im OLG-Bezirk München.

Am Ende des Monats Mai 2016 waren ca. 43.482.000 Erwerbstätige in Deutschland verzeichnet1. Ein Großteil ist als Arbeiter oder Angestellte aufgrund eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt. Damit sichert diese Erwerbstätigkeit für bis zu 50% der Bevölkerung ihre Existenz und bildet ihre Lebensgrundlage. Darin zeigt sich die herausragende sozialpolitische Bedeutung dieser Materie, denn das Arbeitsrecht soll vor allem auch den Arbeitnehmer schützen, sodass sich die Kräfte des Arbeitsmarktes nicht völlig frei entfalten können.2 Besonders ist der Arbeitnehmer vor ungerechtfertigten Kündigungen zu schützen, da diese den weitaus größten Einschnitt bedeuten können und damit die Lebensgrundlage gefährdet ist. Vor allem bei höheren Arbeitsentgelten kann der gekündigte Arbeitnehmer den bisherigen Lebensstandard nicht mehr weiterführen. Der direkte Anschluss eines neuen Arbeitsverhältnisses wird nicht der Regelfall sein. Eine der wichtigsten Ausprägungen dieser Schutzfunktion für den Arbeitnehmer wird in dem grundsätzlichen Erfordernis einer Abmahnung gesehen. Zudem ist die Abmahnung auch für die Interessensabwägung von hoher Bedeutung.3 Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass das grundsätzliche Erfordernis einer Abmahnung zunächst auch für die Kündigung durch den Arbeitnehmer gilt.4 I. Grundsatz der Abmahnung

Das grundsätzliche Erfordernis einer Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung ist Ausdruck des vor allem im Kündigungsschutzrecht geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Danach kann der Arbeitgeber keine Kündigung aussprechen, wenn nicht mildere Mittel zur Verfügung stehen, die den Interessen des Arbeitgebers gleichwohl genügen.5 Dieser Grundsatz findet sich auch in § 314 Abs. 2 BGB wieder. Auch der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Kündigung unter anderem erst nach erfolgloser Abmahnung zulässig ist.6 Der Arbeitgeber bringt mit der Abmahnung zum Ausdruck, dass er das vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers missbilligt und droht ihm damit zugleich rechtliche Folgen für den Fall an, dass der Arbeitnehmer sein Verhalten gerade nicht ändern wird. Eine Abmahnung ist denknotwendig nur in den Fällen notwendig, in denen das vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers einen durch den Arbeitnehmer steuerbaren Sachverhalt betrifft. Somit liegt der größte Anwendungsbereich im Bereich der verhaltensbedingten Kündigung, da nur hier der Arbeitnehmer sein Verhalten auch tatsächlich ändern kann. Das BAG fordert 1 2 3 4 5 6

https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/Konjunkturindikatoren/Arbeitsmarkt/ karb811.html;jsessionid=21311FEFDBF5BF6FA35B444E1713A3CD.cae1, zuletzt abgerufen am 19. Juli 2016. Preis, Arbeitsrecht, Individualarbeitsrecht, 4. Auflage, § 3 II, S. 22. Müller-Glöge, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage, § 626 BGB, Rn. 29. BAG NJW 1979, 332. BAG NZA 2001, 951. So auch BAG NZA 2016, 917.

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aber auch bei betriebsbedingten Kündigungen eine Abmahnung, wenn der Arbeitnehmer den Kündigungsgrund durch ein steuerbares Verhalten beseitigen kann.7 Ändert der Arbeitnehmer sein Verhalten nicht und kommt es zu einer gleichartigen Pflichtverletzung, so liegt darin die Prognose, dass der Arbeitnehmer sich auch zukünftig nicht vertragsgemäß verhalten wird, weswegen Raum für eine verhaltensbedingte/personenbedingte Kündigung ist.8 II. Funktion der Abmahnung

Nach der Rechtsprechung des BAG hat die Abmahnung im Wesentlichen drei Funktionen, nämlich die Dokumentationsfunktion, die Hinweisfunktion und die Warn- oder Androhungsfunktion.9 1. Dokumentationsfunktion

Die Dokumentationsfunktion soll das beanstandete Verhalten des Arbeitsnehmers tatbestandsmäßig feststellen.10 Auch wenn die Abmahnung keinem Schrifterfordernis unterliegt, so sollte sie dennoch schriftlich erfolgen und zu den Personalakten des Arbeitnehmers genommen werden.11 2. Hinweisfunktion

Die Hinweisfunktion soll sicherstellen, dass dem Arbeitnehmer sein Fehlverhalten vor Augen geführt wird. Nur wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf die bestehenden vertraglichen Pflichten hinweist, kann dieser sein vertragswidriges Verhalten in Zukunft ändern. Inhaltlich muss die Abmahnung in Bezug auf die Hinweisfunktion hinreichend bestimmt sein. Nach der Rechtsprechung des BAG bedeutet dies, dass das Fehlverhalten des Arbeitnehmers deutlich bezeichnet und individualisiert dargestellt werden muss.12 Erfolgte die Abmahnung beispielsweise wegen Unpünktlichkeit des Arbeitnehmers, so sind diese Zeiten der Unpünktlichkeit konkret nach Tagen und Stunden anzugeben.13 3. Warn- oder Androhungsfunktion

Zugleich dient die Abmahnung der Warnung und Androhung. Der Arbeitnehmer soll erkennen können, dass der Arbeitgeber zukünftig nicht mehr bereit ist, das bestimmte vertragswidrige Verhalten hinzunehmen. Zugleich droht der Arbeitgeber für den Wiederholungsfall arbeitsrechtliche Folgen an. Inhaltlich fordert die Rechtsprechung des BAG, dass die Abmahnung den Hinweis enthalten muss, dass der Bestand und der Inhalt des Arbeitsverhältnisses für den Fall einer Wiederholung ernstlich gefährdet sind.14 Nicht notwendig ist dagegen, dass in der Abmahnung bereits eine bestimmte Kündigung angedroht wird.15 Vielmehr soll nach der Auffassung des BAG ausreichend sein, wenn der Arbeitgeber lediglich „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ androht, da der 7 8 9 10 11 12 13 14 15

BAG NZA 2001, 1304, hier Erneuerung einer Flugerlaubnis eines Piloten. Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht Band 1, 6. Auflage, § 6, Rn. 157. BAG NZA 1986, 421, gute Übersicht bei Hromadka/Maschmann, a.a.O., § 6, Rn. 157a. Berkowsky, Münchener Handbuch Arbeitsrecht Band 2, 3. Auflage, § 137, Rn. 356. Beispiele für Abmahnungen: Möhren, in Hümmerich/Lücke/Mauer, Nomos Formulare Arbeitsrecht, 8. Auflage, § 3, M 185; Schrader/Klaggers, in: Schaub, ArbR FV-HdB, 11. Auflage, A Rn. 455 ff. BAG NZA 1995, 517 (520). Linck, in: Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 16. Auflage, § 132, Rn. 10. BAG NZA 1989, 633 (634); 2013, 91 (92). BAG NZA 2013, 425 (428).

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Arbeitnehmer auch in dieser Formulierung erkennen kann, dass im Wiederholungsfall alle möglichen arbeitsrechtlichen Folgen und eben auch eine Kündigung möglich sein können.16 Hat der Arbeitgeber bewusst auf die Warnfunktion verzichtet, so kann darin lediglich eine Ermahnung oder eine Verwarnung liegen.17 III. Entbehrlichkeit der Abmahnung

Der Grundsatz des Erfordernisses der Abmahnung gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Die Rechtsprechung hat im Wesentlichen zwei Fallgruppen herausgebildet, in denen der Vorrang einer Abmahnung der beidseitigen Interessenlage nicht entspricht und der Arbeitgeber auf eine Abmahnung verzichten kann. 1. Bewusst vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers

Die erste Fallgruppe, in der die Rechtsprechung eine Entbehrlichkeit der Abmahnung annimmt, betrifft Fälle, in denen der Arbeitnehmer wusste, dass er sich vertragswidrig verhält und annehmen musste, dass der Arbeitgeber dieses Verhalten nicht einfach hinnehmen würde, sondern vielmehr Sanktionen aussprechen wird.

mit der Entbehrlichkeit der Abmahnung befasst.24 Im Urteil vom 23.01.2014 hatte eine Beschäftigte im öffentlichen Dienst die vertraglich zugewiesene Arbeit nicht erfüllt und die ihr in diesem Zusammenhang überlassenen Akten manipuliert. Wegen dieser nicht hinnehmbaren Grenzüberschreitung hat das BAG eine Entbehrlichkeit der Abmahnung angenommen.25 In einer zweiten Entscheidung im Jahre 2014 hatte das BAG über einen Fall der sexuellen Belästigung durch einen Arbeitnehmer zu entscheiden.26 Der Arbeitnehmer fasste einer Mitarbeiterin eines externen Reinigungsunternehmens an die Brust. Nachdem diese erklärte, dass sie dies nicht wünscht, hat der Arbeitnehmer von ihr gelassen.27 Das BAG hatte die Entbehrlichkeit der Abmahnung abgelehnt, da sich der Arbeitnehmer über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt hatte und eine Wiederholungsgefahr damit nicht zu befürchten war.28 In einer dritten Entscheidung im Jahre 2014 hat der Arbeitnehmer geschäftsschädigende Äußerungen über den Arbeitgeber getätigt.29 In dieser Fallkonstellation geht das BAG davon aus, dass eine Abmahnung vorrangig gewesen wäre.30 IV. Rechtsfolgen wirksamer Abmahnung

2. Schwerwiegende Pflichtverletzung

Die zweite Gruppe, in der die Rechtsprechung die Abmahnung entbehrlich hält, betrifft Fälle besonders schwerwiegender Pflichtverletzungen. In solchen Fällen erlaubt die Rechtsprechung eine Ausnahme vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wenn bereits erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach der Aussprache einer Abmahnung nicht zu erwarten ist oder es sich um eine derart schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, bei der nach einer Abwägung sämtlicher Umstände selbst der Arbeitnehmer mit einer Billigung und dem Ausspruch einer Abmahnung durch den Arbeitgeber nicht mehr rechnen konnte.18 Diese Rechtsprechung des BAG verdient Zustimmung. Es ist nicht ersichtlich, warum der Arbeitnehmer durch den Ausspruch einer Kündigung geschützt werden soll, obwohl er sehenden Auges seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt.19 3. Aktuelle Rechtsprechung

Aus den letzten Jahren sind vor allem vier Entscheidungen des BAG besonders interessant. In der stark diskutieren „Emmely-Entscheidung“ des BAG hat eine Arbeitnehmerin vermeintlich verloren gegangene Leergutbons entgegen der Absprache mit dem Arbeitgeber bewusst für sich behalten und bei einem privaten Einkauf selbst eingelöst.20 Zwar stellt das Verhalten der Arbeitnehmerin eine objektiv schwerwiegende und das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.21 Eine Entbehrlichkeit der Abmahnung hat das BAG dennoch mit der Begründung abgelehnt, dass die Arbeitnehmerin zuvor 30 Jahre beanstandungsfrei gearbeitet hat und die jahrelange Vertrauensbeziehung nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört ist.22 Dabei ist ein objektiver Maßstab anzulegen, weswegen es auf das Empfinden des Arbeitgebers oder für ihn handelnde Personen nicht ankommt.23 Im Jahr 2014 hat sich das BAG in drei weiteren Entscheidungen 16 17 18 19 20 21 22 23

BAG NZA-RR 2012, 567 (569). Helml, in: Straub, Arbeits-Handbuch Personal, 5. Auflage, K 185. BAG NZA 2015, 294 (296). So auch BAG NZA 2011, 798 (802). BAG NZA 2010, 1227. BAG NZA 2010, 1227 (1232). BAG NZA 2010, 1227 (1232). BAG NZA 2010, 1227 (1232).

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Die Rechtsfolgen einer wirksamen Abmahnung liegen in einem Verzicht des Arbeitgebers auf sein Recht zur Kündigung aus den Gründen, die in der Abmahnung angebracht wurden.31 Denn nach der Rechtsprechung des BAG bringt der Arbeitgeber konkludent zum Ausdruck, dass er auf sein Kündigungsrecht verzichtet, sofern sich die maßgebenden Umstände nicht später geändert haben.32 Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Arbeitgeber deutlich und unzweifelhaft zum Ausdruck bringt, dass er den vertraglichen Pflichtverstoß als ausreichend sanktioniert ansieht.33 Auf den Punkt gebracht bedeutet dies, dass der Arbeitgeber grundsätzlich keine Kündigung wegen des abgemahnten bzw. gleichartigen Sachverhalts mehr aussprechen kann. V. Rechtsfolgen unwirksamer Abmahnung

Erfüllt die Abmahnung vor allem nicht die soeben dargestellten inhaltlichen Anforderungen, so stellt sich die Frage, ob die Abmahnung somit unwirksam ist oder dennoch die besprochenen Funktionen erfüllt. Dabei ist zwischen der formellen und der materiellen Wirksamkeit der Abmahnung zu unterscheiden. Die Rechtsprechung des BAG geht davon aus, dass die formelle Unwirksamkeit einer Abmahnung nicht von vornherein schädlich ist. Denn maßgeblich kommt es darauf an, ob die Abmahnung dennoch eine Warnfunktion entfaltet.34 Wenn der Arbeitnehmer aus der Abmahnung den Hinweis entnehmen kann, dass der Arbeitgeber für den Wiederholungsfall eine Kündigung erwägt, dann ist er unabhängig von formellen Anforderungen hinreichend gewarnt. Materielle Mängel der Abmahnung führen jedoch regelmäßig zur Unwirksamkeit und entfalten keine für den Arbeitnehmer nachteiligen Konsequenzen.35

24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

Eine Übersicht der Rechtsprechung des BAG bei Linck, in: Schaub, a.a.O., § 132, Rn. 28. BAG NZA 2014, 965. BAG NZA 2015, 294. BAG NZA 2015, 294. BAG NZA 2015, 294 (295). BAG NZA 2015, 635. BAG NZA 2015, 635 (639). BAG NZA 2010, 823; 2008, 403 (404); 2003, 1388 (1389). BAG NZA 2010, 628. BAG NZA 2003, 1388 (1390). BAG NZA 2009, 894 (895). Linck, in: Schaub, a.a.O., § 132 Rn. 23a.

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VI. Wirkungsdauer der Abmahnung bzw. Verwirkung des Abmahnungsrechts

Auch hinsichtlich der Wirkungsdauer der Abmahnung kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Das BAG hat hierzu entschieden, dass die Warn- und Androhungsfunktion verloren gehen kann, wenn der Arbeitnehmer seine Pflichten über einen längeren Zeitraum unbeanstandet erfüllt oder der Arbeitgeber die Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers beanstandungslos hingenommen hat.36 Dieser Umstand ist im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu würdigen. Danach kann es erforderlich sein, eine neue Abmahnung auszusprechen, wenn die vorherige bereits längere Zeit zurückliegt.37 Daneben ist in der Rechtsprechung auch eine Verwirkung des Rechts auf Abmahnung angenommen worden. Danach ist eine Verwirkung anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nach einer Pflichtverletzung längere Zeit vertragsgemäß gearbeitet hat (Zeitmoment) und die besonderen Umstände des Einzelfalls ergeben, dass die vorherigen Pflichtverletzungen seitens des Arbeitgebers nicht mehr sanktioniert werden (Umstandsmoment).38

gestellt, dass der Arbeitgeber für eine wirksame Kündigung die letzte Abmahnung besonders eindringlich gestalten muss, um dem Arbeitnehmer zu signalisieren, dass eine weitere vergleichbare Pflichtverletzung zu dem Ausspruch einer Kündigung führen kann.43 Dabei weist das BAG darauf hin, dass bereits die dritte Abmahnung nicht zu einer „Entwertung“ führen kann. Der Grund liegt in der im Arbeitsleben verbreiteten Praxis, nach der eher zu einem großzügigen Ausspruch von Kündigungen tendiert wird.44 IX. Sonderfall: Sammelabmahnung

Grundsätzlich kann der Arbeitgeber auch mehrere Vorwürfe in einer Abmahnung beanstanden (sog. Sammelabmahnung). Hinsichtlich jedes einzelnen Vorwurfs müssen jedoch die Voraussetzungen der oben dargestellten Grundsätze zutreffen. In der Rechtsprechung ist in Bezug auf Sammelabmahnungen vor allem diskutiert worden, ob nur eine teilweise berechtigte Sammelabmahnung auf Verlangen des Arbeitnehmers aus der Personalakte entfernt werden muss. Das BAG bejaht diesen Anspruch.45

VII. Sonderfall: Vorweggenommene Abmahnung

X. Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte

Ob eine sog. vorweggenommene Abmahnung eine weitere Abmahnung entbehrlich macht, wird derzeit uneinheitlich beantwortet. Bei einer vorweggenommenen Abmahnung handelt es sich um Verlautbarungen des Arbeitgebers, etwa durch Rundschreiben oder einem Aushang an einem schwarzen Brett, in denen der Arbeitgeber zum Ausdruck bringt, dass er ein bestimmtes Verhalten der Arbeitnehmer nicht wünscht. Zu weit geht wohl ein Urteil des LAG Hamm, nach dem sich die Entbehrlichkeit einer Abmahnung aus einer betrieblichen Anordnung ergeben kann, wenn diese ordnungsgemäß zustande gekommen und bekannt gemacht worden ist.39 In concreto hatte der Arbeitgeber durch einen Aushang eine vertragliche Pflicht herstellen wollen, deren Verletzung er sodann zum Anlass der Kündigung machte. Diese Rechtsprechung ist mit der wohl herrschenden Auffassung in der Literatur abzulehnen.40 Danach ist auch in den Fällen einer vorweggenommenen Abmahnung eine weitere Abmahnung erforderlich. Denn in diesen Fallkonstellationen fehlt der Bezug zu einer konkreten Pflichtverletzung des Arbeitnehmers, weswegen die Voraussetzungen der dargelegten Warn- und Hinweisfunktion nicht vorliegen.41 Damit kann die Bedeutung solcher vorweggenommenen Abmahnungen nur darin liegen, schwerwiegende Pflichtverletzungen aus der Sicht des Arbeitgebers ganz generell zu kennzeichnen.

In der Praxis und der Klausurbearbeitung ist höchst relevant, ob der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte hat. Diese Frage ist für den Arbeitnehmer auch von entscheidender Bedeutung, da sein berufliches Fortkommen durch eine ungerechtfertigte Abmahnung erheblich erschwert sein kann. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG kann der Arbeitnehmer bei einer ungerechtfertigten Abmahnung die Beseitigung aus der Personalakte beanspruchen.46 Das BAG stützt diesen Anspruch auf eine entsprechende Anwendung der §§ 242, 1004 BGB.47 Zugleich ergibt sich ein Anspruch aus §§  1004 Abs.  1, 823 Abs.  1 BGB (Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beziehungsweise aus positiver Vertragsverletzung).48 Denn grundsätzlich hat der Arbeitnehmer einen Anspruch darauf, dass die Personalakte so geführt wird, dass diese ein zutreffendes Bild der Persönlichkeit des Arbeitnehmers vermitteln kann.49 Die Rechtsprechung hat sich in diesem Zusammenhang zudem mit der Frage beschäftigt, ob tarifliche oder vertragliche Ausschlussfristen auch den Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte ausschließen. Dabei steht sie auf dem Standpunkt, dass insbesondere Ansprüche, die aus dem Persönlichkeitsrecht herrühren, wie der Anspruch auf Entfernung, generell nicht von tariflichen Ausschlussfristen erfasst sein können.50 Dabei darf es auch keine Rolle spielen, ob solche Ansprüche im Gesetz, im Individualarbeitsvertrag, im Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung begründet sind. Unabhängig davon hat das BAG jedoch entschieden, dass das Recht auf Entfernung der Verwirkung unterliegen kann.51 Denn je nach den Umständen des Einzelfalls kann in der illoyalen Verspätung der Geltendmachung ein Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) liegen.52 Dann müssen das sog. Zeitmoment und das sog. Umstandsmoment gegeben sein.53 Dies ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.

VIII. Sonderfall: Wiederholte Abmahnung

In Fällen der wiederholten Abmahnung mahnt der Arbeitgeber einen bestimmten Sachverhalt ab. Wiederholt der Arbeitnehmer das abgemahnte Verhalten, so reagiert der Arbeitgeber statt mit einer Kündigung erneut nur mit einer Abmahnung. Bei diesen Sachverhalten wird die Warnfunktion je nach Anzahl der gleichlautenden Abmahnungen abgeschwächt. Denn aus der Sicht des Arbeitnehmers stellen die Abmahnungen lediglich „leere“ Drohungen dar, denen keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen folgen werden.42 Die Rechtsprechung hat sich auf den Standpunkt 36 37 38 39 40

BAG NZA 1987, 458. BAG NZA 2013, 425 (428). BAG NZA 1995, 676 (677). LAG Hamm BB 1983, 1601. Eisemann, in: Küttner, Personalhandbuch 2015, Abmahnung Rn. 19, Linck, in: Schaub, a.a.O., § 132, Rn. 18. 41 So auch Linck, a. a. O., § 132, Rn. 18. 42 BAG NZA 2013, 425 (429).

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43 BAG NZA 2005, 459 (461); 2002, 968 (970). 44 BAG NZA 2005, 459 (461); Linck, in: Schaub, a.a.O. § 132 Rn. 22. 45 BAG NZA 1991, 249; zu dem Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte siehe X. 46 BAG NZA 2009, 1011; 2009, 842. 47 BAG NZA 2009, 1011. 48 v. Hoyningen-Huene, RdA 1990, 193 (210). 49 Berkowskys, a.a.O. § 137, Rn. 389. 50 BAG NZA 1995, 676 (677). 51 BAG NZA 1987, 518 (519). 52 BAGE 6, 167. 53 Grüneberg, in: Palandt, BGB 75. Auflage, § 242, Rn. 93, 95.

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AUSBILDUNG

Auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht der Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Das gilt jedoch nicht, wenn die Abmahnung den Arbeitnehmer nicht in seinem beruflichen Fortkommen hindert.54 Aus zwangsvollstreckungsrechtlicher Sicht ist §  888 ZPO zu beachten, da die Personalakten nur vom Arbeitgeber geführt werden können. Auch nach der Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte kann der Arbeitnehmer auf den Widerruf der in ihr enthaltenen Erklärung klagen.55 Daneben sieht das Gesetz in den §§ 83 Abs. 2 BetrVG, 26 Abs. 2 S. 1 SprAuG einen Anspruch des Arbeitnehmers dahingehend vor, dass eine Gegendarstellung zu der Personalakte genommen wird. XI. Abmahnung und betriebliche Mitbestimmung

Gerade im Hinblick auf § 102 BetrVG stellt sich zudem die Frage, ob die Abmahnung der betrieblichen Mitbestimmung unterliegt. §  102 BetrVG kann aufgrund des eindeutigen Wortlauts keine Anwendung finden, da die Norm eindeutig auf Kündigungen bezogen ist. Und auch im Übrigen ist im BetrVG kein Mitbestimmungstatbestand für Abmahnungen geregelt.56 Jedoch ist zu beachten, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat zumindest vor dem Ausspruch einer Kündigung auch über die erfolgte Abmahnung und die entsprechende Reaktion des Arbeitnehmers zu unterrichten hat (§ 102 BetrVG).

XIV. Abmahnung von Betriebsratsmitgliedern

Bei der Abmahnung von Betriebsratsmitgliedern gelten die oben genannten Grundsätze. Dabei ist jedoch zwischen der Verletzung von arbeitsvertraglichen Pflichten und Amtspflichten des Betriebsratsmitglieds zu unterscheiden. Denn nach der Rechtsprechung des BAG muss der Arbeitgeber bei der Verletzung von Amtspflichten das Anschlussverfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG betreiben.62 Der Arbeitgeber kann das Betriebsratsmitglied aber nicht wegen der berechtigten Wahrnehmung der Betriebstätigkeit abmahnen.63 Aufgrund dieser Tragweite ist die Abgrenzung zwischen arbeitsvertraglichen Pflichten und Amtspflichten für den Arbeitgeber besonders schwierig.64 Nach neuer Rechtsprechung des BAG hat das Betriebsratsmitglied jedoch keinen Anspruch aus § 78 S. 1 BetrVG auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte eines seiner Mitglieder.65 XV. Fazit

Der Vorrang der Abmahnung als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist bei jeder Kündigung zu beachten. Zwar ist mittlerweile eine Vielzahl von Entscheidungen in der Rechtsprechung vorhanden, die als Orientierungshilfe für die Praxis und Klausur dienen. Ob eine Abmahnung letztlich erforderlich oder entbehrlich ist, ist jedoch stets anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.

XII. Prozessuale Besonderheiten

Hinsichtlich der Abmahnung sind einige prozessuale Besonderheiten zu berücksichtigen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Rechtfertigung der Abmahnung trifft den Arbeitgeber.57 Ein Nachschieben von Abmahnungsgründen im Rahmen eines Prozesses, vergleichbar mit einem Nachschieben von Kündigungsgründen, wird überwiegend als unzulässig angesehen, da dies mit der Warnfunktion der Abmahnung nicht vereinbar ist. Jedoch kann der Arbeitgeber eine neue Abmahnung aussprechen oder bereits vorgebrachte Abmahnungsgründe im Prozess konkretisieren.58 Eine Feststellungsklage, mit welcher der Arbeitnehmer auf Feststellung der Unwirksamkeit der Abmahnung klagt, ist unzulässig, da nach § 256 ZPO nur auf die Feststellung von Rechtsverhältnissen geklagt werden kann.59 Der Streitwert einer Klage auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte wird regelmäßig mit einem Bruttomonatsverdienst anzusetzen sein.60

62 63 64 65

Generell zur Abmahnung von Betriebsratsmitgliedern: BAG NZA 1995, 225. Linck, in: Schaub, a.a.O., § 132, Rn. 7. Regh, in: Grobys/Panzer, Stichwortkommentar Arbeitsrecht, 2. Auflage, Abmahnung, Rn. 28. BAG NZA 2014, 803 (806).

XIII. Abmahnung von Vertrauensträgern

Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine Abmahnung bei Anstellungsverträgen mit Organmitgliedern (Bsp.: GmbH-Geschäftsführer, Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft) nicht erforderlich. Begründet wird das mit der Erwägung, dass ein solches Organ aufgrund seiner Stellung als Vertreter eher eine Arbeitgeberfunktion wahrnehme und dies ein besonderer Umstand im Sinne des §  323 Abs.  2 Nr.  3 BGB darstellt, welcher gemäß § 314 Abs. 2 S. 2 BGB Anwendung findet.61 54 55 56 57 58 59 60 61

BAG NZA 1995, 220 (222). BAG NZA 1999, 1037. BAG NZA 2014, 803 (806). BAG NZA 1987, 518 (520). Linck, in: Schaub, a.a.O., § 132, Rn. 41. Linck, in: Schaub, a.a.O., § 132, Rn. 45. LAG Nürnberg NZA 1993, 430. BGH NZG 2007, 674; kritisch Henssler, in: MüKo BGB, 7. Auflage, § 626 BGB, Rn. 101, der fordert, dass die Entbehrlichkeit einer Abmahnung auf Grund der hohen Anforderungen an solche Leitungsorgane nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls festgestellt werden könne.

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AUSBILDUNG

Das Klageerzwingungsverfahren – Teil 2* von Lena Donaubauer

Lena Donaubauer (Jahrgang 1986) hat von 2006 bis 2012 an der Universität Passau Rechtswissenschaften studiert und anschließend das Referendariat im Bezirk des OLG München in Passau absolviert (2012 bis 2014). Seit August 2014 ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Strafrecht und Strafprozessrecht sowie Wirtschaftsstrafrecht von Prof. Dr. Robert Esser, Passau.

gesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft erreicht werden soll.40 Eine Begründung ist prinzipiell nicht erforderlich, es kann aber durchaus sinnvoll sein, die Beschwerde – zumindest kurz – zu begründen. 3. Beschwerdeentscheidung

II. Die Vorschaltbeschwerde

Die Vorschaltbeschwerde nach § 172 Abs. 1 StPO gegen den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft dient in erster Linie der Vorprüfung eines darauffolgenden Klageerzwingungsantrags nach § 172 Abs. 2 StPO. 1. Antragsteller

Um ein Klageerzwingungsverfahren betreiben zu können, muss der Antragsteller auch Verletzter sein, § 172 Abs. 1 S. 1 StPO. Das Klageerzwingungsverfahren setzt folglich voraus, dass der Verletzte bereits den Antrag auf Erhebung der öffentlichen Klage im Sinne des § 171 StPO gestellt hat. Ferner muss gerade dieser Antragsteller Verletzter sein. Obwohl bislang keine exakte begriffliche Bestimmung des Verletztenbegriffs gelungen ist und eine gesetzliche Präzisierung nicht sinnvoll erscheint,34 ist Verletzter im Sinne der §§ 171, 172 StPO jedenfalls, wer durch die behauptete Tat unmittelbar in seinen Rechten, Rechtsgütern oder rechtlich anerkannten Interessen beeinträchtigt ist.35 Da der Schutz des Legalitätsprinzips innerhalb des § 172 StPO umfassend sein soll, erscheint eine weite Auslegung des Verletztenbegriffs geboten.36 Diese weite Auslegung findet ihre Grenze aber in der gesetzgeberischen Intention Popularklagen auszuschließen,37 sodass jemand nur verletzt sein kann, wenn die übertretene Norm gerade auch die Rechte des Verletzten schützen will. 2. Form- und fristgerechte Einlegung der Beschwerde

Soweit der Antragsteller auch Verletzter ist, steht ihm gegen den Bescheid nach § 171 StPO binnen zwei Wochen nach der Bekanntgabe die Beschwerde an den vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft zu, § 172 Abs. 1 S. 1 StPO. Die Beschwerdefrist beginnt mit der Bekanntmachung des Einstellungsbescheids, also zu dem Zeitpunkt, zu dem die Einstellungsverfügung dem Antragsteller entweder nach Nr. 91 II 2 RiStBV förmlich zugestellt wurde oder sonst zugegangen ist.38 Wenngleich eine förmliche Zustellung gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, empfiehlt sich eine solche zur Sicherstellung des Zugangsnachweises. Für die Fristberechnung gilt §  43 StPO. Sofern die Frist unverschuldet versäumt worden ist, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand analog §  44 StPO möglich.39 Für Form und Inhalt der Beschwerde enthält das Gesetz keine bestimmten Anforderungen. Die Beschwerde muss zumindest das Verfahren und die Einstellungsverfügung bezeichnen, gegen die sich die Beschwerde richten soll. Ferner muss aus der Beschwerde hervorgehen, dass eine Entscheidung des vor* 34 35 36

Fortsetzung aus Iurratio 3/2016, S. 72 bis 74. LR-StPO/Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 48. Pfeiffer (Fn. 11) § 172 StPO Rn. 3; SK-StPO/Wohlers (Fn. 18) § 172 Rn. 24. M-G/Schmitt (Fn. 8) § 172 StPO Rn. 10; Heidelberger-Kommentar-StPO/Zöller, Gercke, Björn / Julius, Karl-Peter / Temming, Dieter u.a. (Hrsg.), C.F. Müller, Heidelberg, München (u.a.), 5. Aufl., 2012, § 172 Rn. 12; vgl. Burhoff/Kotz, Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, ZAP, Bonn, 2. Aufl., 2016, B Rn. 547. 37 Schroth, Die Rechte des Opfers im Strafprozess, Heidelberg (u.a.), 2. Aufl., 2011, Rn. 192. 38 LR-StPO/Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 110 f. 39 Siehe LR-StPO/Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 133 ff.; M-G/Schmitt (Fn. 8) § 172 StPO Rn. 17.

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Auf die Beschwerde hin wird die Einstellungsentscheidung zunächst vom Behördenleiter der sachbearbeitenden Staatsanwaltschaft sachlich geprüft.41 Die Staatsanwaltschaft kann der Beschwerde durch Aufhebung des Einstellungsbescheides und Erhebung der Anklage abhelfen, Nr. 105  I, II RiStBV. Hilft die Staatsanwaltschaft der Einstellungsbeschwerde hingegen nicht ab, ist der Generalstaatsanwalt zuständig (Nr. 105  II 2 RiStBV). Wird aufgrund der Beschwerde die Sache für anklagereif gehalten, so wird die Staatsanwaltschaft zur Erhebung der öffentlichen Klage angewiesen, mit der Folge, dass die Einstellungsverfügung gegenstandslos wird42 und der Beschwerdeführer sein Ziel erreicht hat. Wenn die Staatsanwaltschaft die erhobene Klage erneut einstellt, ist gegen diesen Einstellungsbescheid wieder die Beschwerde zulässig. Der Beschwerde wird ebenfalls dadurch abgeholfen, wenn die Staatsanwaltschaft selbstständig oder auf Anordnung des vorgesetzten Beamten die Ermittlungen wieder aufnimmt. Durch die Wiederaufnahme der Ermittlungen erledigt sich die Beschwerde endgültig. Sollte die Staatsanwaltschaft neuerdings einen Einstellungsbescheid erteilen, kann dagegen wiederholt mit der Beschwerde nach § 172 Abs. 1 StPO vorgegangen werden.43 Eine Sachprüfung der Beschwerde ist hingegen erforderlich, wenn ihr nicht abgeholfen worden ist. Im Rahmen der Sachprüfung kann der Generalstaatsanwalt die Beschwerde als Vorschaltbeschwerde als unzulässig verwerfen, wenn die Frist versäumt worden ist oder wenn die Beschwerde nicht vom Antragsteller, von einem nicht prozessfähigen Antragsteller oder von einem Antragsteller, der nicht Verletzter ist, eingelegt worden ist.44 Darüber hinaus kann die Beschwerde in den Fällen des §  172 Abs.  2 S.  3 StPO verworfen werden. Aufgrund des Doppelcharakters der Beschwerde muss der Generalstaatsanwalt die Beschwerde aber zumindest unter dem Gesichtspunkt der Dienstaufsicht sachlich prüfen.45 Hält der Generalstaatsanwalt die Beschwerde hingegen für zulässig, aber unbegründet, so weist er sie zurück. Dies wird in einem ablehnenden Bescheid ausgesprochen, wodurch das Klageerzwingungsverfahren zum OLG eröffnet wird, § 172 Abs. 2 S. 1 StPO.46 4. Belehrung, § 172 Abs. 2 S. 2 StPO

Der ablehnende Bescheid des Generalstaatsanwaltes ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu verbinden. Die Anforderungen diesbezüglich bestimmt § 172 Abs. 2 S. 2 StPO. Der Antragsteller muss auf das Antragsrecht (§ 172 Abs. 2 S. 1 StPO), den Adressaten des Antrags (§ 172 Abs. 3 S. 3 StPO), die einmonatige Antragsfrist (§ 172 Abs. 2 S. 1 StPO) und den Anwaltszwang (§ 172 Abs. 3 S. 2 StPO) hingewiesen werden. In den Fällen, in denen ein 40 41 42 43 44 45

LR-StPO/Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 107. LR-StPO/Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 112. Vgl. KK-StPO/Moldenhauer (Fn. 5) § 172 Rn. 13; BeckOK-StPO/Gorf (Fn. 1) § 172 Rn. 8. LR-StPO/Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 115. KK-StPO/Moldenhauer (Fn. 5) § 172 Rn. 13. M-G/Schmitt (Fn. 8) § 172 StPO Rn. 14; KK-StPO/Moldenhauer (Fn. 5) § 172 Rn. 13; LR-StPO/ Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 10, 117; Studienkommentar-StPO/Joecks (Fn. 7) § 172 Rn. 8. 46 Vgl. BeckOK-StPO/Gorf (Fn. 1) § 172 Rn. 10.

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AUSBILDUNG

Klageerzwingungsverfahren nicht statthaft ist (§ 172 Abs. 2 S. 3 StPO), unterbleibt eine Belehrung. 5. Kein Erfordernis einer Vorschaltbeschwerde

In Staatsschutzverfahren, in denen der Generalbundesanwalt (§ 142a Abs. 1 S. 1 GVG) oder der Generalstaatsanwalt beim OLG (§ 142a Abs. 2 GVG) den Einstellungsbescheid erlassen hat, entfällt die Vorschaltbeschwerde, da es in diesen Fällen gerade keine übergeordnete staatsanwaltschaftliche Instanz gibt. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 SPO ist unmittelbar beim örtlich zuständigen OLG zu stellen.47 III. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung

Sofern ein ablehnender Bescheid des vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft vorliegt, kann der Antragsteller die gerichtliche Überprüfung durch das OLG erwirken, §  172 Abs.  2 S.  1 StPO. Dadurch kann die Durchsetzung des Legalitätsprinzips erreicht werden. Hierbei sind folgende Voraussetzungen zu beachten.48 1. Zuständigkeit

Zur Entscheidung über den Antrag ist das OLG örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft, die den angefochtenen Einstellungsbescheid erlassen hat, ihren Sitz hat (§ 172 Abs. 4 S. 1 StPO). 2. Antragsberechtigung

Antragsberechtigt ist nur, wer als Verletzter einen Antrag auf Erhebung der öffentlichen Klage, beispielsweise durch Strafanzeige, Strafantrag oder Strafverlangen gestellt hat.49 Überdies muss – kumulativ zum Antrag des Verletzten auf Erhebung der öffentlichen Klage – erfolglos Beschwerde gegen den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft eingelegt worden sein.50 3. Form- und fristgerechter Antrag

Innerhalb eines Monats nach Bekanntmachung der Zurückweisung der Vorschaltbeschwerde muss der Antrag auf gerichtliche Entscheidung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form gestellt werden, §  172 Abs.  2 S.  1 StPO. Der Antrag muss hierzu von einem Rechtsanwalt gestellt und unterzeichnet werden, §  172 Abs. 3 S. 2 StPO. Sofern eine Unterzeichnung durch einen Verteidiger oder Rechtsanwalt von Gesetzes wegen vorgeschrieben ist, muss die Unterschrift eigenhändig geleistet werden.51 Die Unterzeichnung des Antrags durch einen Rechtsanwalt soll gewährleisten, dass die inhaltlichen Anforderungen geprüft worden sind, er die Verantwortung für den gesamten Inhalt übernimmt und dem Gericht dadurch die Prüfung völlig grundloser Anträge erspart werden.52 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist schriftlich anzubringen. Das Schriftformerfordernis ergibt sich mittelbar aus §  172 Abs.  3 S.  2 StPO. Antragstellung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ist nicht möglich.53 Für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gilt eine einmonatige Frist. Die Frist des §  172 Abs.  2 S.  2 HS.  2 StPO beginnt nicht zu laufen, wenn die Belehrung unterblieben ist oder der Bescheid eine unvollständige Belehrung enthält. Die Frist wird 47 Pfeiffer (Fn. 11) § 172 StPO Rn. 4; LR-StPO/Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 103. 48 Musterantrag im Klageerzwingungsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung bei Krumm SVR 2012, 36. 49 SSW-StPO/Sing/Vordermayer (Fn. 1) § 172 Rn. 25; LR-StPO/Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 123. 50 LR-StPO/Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 124; Krumm NJW 2013, 2948, 2949. 51 SSW-StPO/Sing/Vordermayer (Fn. 1) § 172 Rn. 27; LR-StPO/Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 141 ff. 52 LR-StPO/Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 144; BeckOK-StPO/Gorf (Fn. 1) § 172 Rn. 16. 53 M-G/Schmitt (Fn. 8) § 172 StPO Rn. 32; SSW-StPO/Sing/Vordermayer (Fn. 1) § 172 Rn. 27.

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zudem nicht in Gang gesetzt, solange der Bescheid auf die Vorschaltbeschwerde nicht bekanntgemacht worden ist.54 Die Fristberechnung richtet sich wiederum nach § 43 StPO. Da diese Frist eine gesetzliche ist, kann sie nicht verlängert werden. Sollte der Antragsteller die Frist schuldlos versäumt haben, ist ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.55 4. Inhalt des Antrags

§  172 Abs.  3 S.  1 StPO bestimmt, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und die Beweismittel angeben muss. Zweck der Vorschrift ist, dem Gericht allein aus der Antragsschrift eine Überprüfung des hinreichenden Tatverdachts zu ermöglichen. Das Gericht muss in die Lage versetzt werden, schnellstmöglich unzulässige oder unschlüssige Anträge abzulehnen. Aus diesem Grund kann durchaus die Darlegung der formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen des gerichtlichen Klageerzwingungsantrags gefordert werden. Für die Antragsschrift ist zunächst eine aus sich heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts erforderlich. Alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des Straftatbestands müssen geschildert werden.56 Nach der herrschenden Meinung57 muss der Gang des Ermittlungsverfahrens in groben Zügen mitgeteilt werden. Hierbei hat eine Auseinandersetzung der angegriffenen Bescheide in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu erfolgen.58 Die Verletzteneigenschaft des Antragstellers ist zu erläutern und der Beschuldigte ist namentlich zu benennen, wobei es genügt, dass dieser zumindest konkretisierbar ist.59 Des Weiteren müssen die relevanten Daten zur Überprüfung der Einhaltung der Beschwerdefrist mitgeteilt werden. Hierzu ist es für die Darlegungspflicht ausreichend, wenn der Antragsteller die rechtzeitige Absendung der Beschwerde an die Staatsanwaltschaft bzw. den vorgesetzten Beamten mitteilt. Die Beweismittel, aus denen sich der hinreichende Tatverdacht ergibt, müssen im Antrag angegeben werden und zwar auch, wenn sie im Ermittlungsverfahren bereits bekannt waren und verwertet worden sind. Bezugnahmen auf Akten, frühere Eingaben oder andere Schriftstücke, welche dem Gericht nicht gleichzeitig vorgelegt werden, sind zur Darlegung der Verletzteneigenschaft und zur Darstellung des Sachverhalts unbeachtlich, da der Antrag aus sich heraus verständlich sein muss.60 Bezugnahmen auf solche Schriftstücke, welche dem Antrag beigefügt werden, sind gleichwohl beachtlich. Hierzu müssen die beigefügten Unterlagen als Anlage gekennzeichnet und von der Unterzeichnung des Rechtsanwalts abgedeckt sein. Darüber hinaus müssen der Inhalt der Anlage und der Antrag eine in sich verständliche Sachdarstellung ergeben.61 5. Gang des Klageerzwingungsverfahrens

Für das gerichtliche Verfahren gilt § 173 StPO. Ziel der gerichtlichen Tätigkeit ist, über das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts im Sinne der §§ 170 Abs. 1, 203 StPO zu entscheiden. Das OLG stellt im Rahmen seiner Tätigkeit eigene tatsächliche und rechtliche Erwägungen an.62 54 LR-StPO/Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 127. 55 Studienkommentar-StPO/Joecks (Fn. 7) § 172 Rn. 14; SSW-StPO/Sing/Vordermayer (Fn. 1) § 172 Rn. 26. 56 LR-StPO/Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 150. 57 So etwa OLG Bamberg, Beschl. v. 9.2.1989 – Ws 575/88 = NStZ 1989, 543; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 7.6.1989 – 2 Ws 229 – 230/89 = NJW 1989, 3296; Krumm StraFo 6/2011, 206. 58 OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.11.2004 – 1 Ws 271/04 = NStZ-RR 2005, 113. 59 Krumm NJW 2013, 2948, 2949; vgl. auch zur Beschuldigtenbezeichnung: Krumm StraFo 6/2011, 206. 60 Zur generellen Unzulässigkeit einer Bezugnahme: SSW-StPO/Sing/Vordermayer (Fn. 1) § 172 Rn. 35; Krumm NJW 2013, 2948, 2949; ders. StraFo 6/2011, 209. 61 LR-StPO/Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 156. 62 BeckOK-StPO/Gorf (Fn. 1) § 173 Rn. 1; SSW-StPO/Sing/Vordermayer (Fn. 1) § 173 Rn. 1.

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AUSBILDUNG

Soll dem Antrag stattgegeben und die Erhebung der öffentlichen Klage beschlossen werden, so muss der Beschuldigte zuvor unter Mitteilung der Antragsschrift zwingend gehört worden sein, § 175 S. 1 StPO i.V.m. § 173 Abs. 2 StPO. Das Recht des Beschuldigten auf eine Anhörung ergibt sich bereits aus Art. 103 Abs. 1 GG. Ist die Anhörung unterblieben, ist der Mangel gemäß § 33a StPO im Klageerzwingungsverfahren selbst zu heilen. Dem Erfordernis der Anhörung ist Genüge getan, wenn dem Beschuldigten der Antrag in Kopie förmlich zugestellt und ihm eine angemessene Frist zur Äußerung gegeben worden ist.63 6. Entscheidungen des OLG

Durch begründeten Beschluss kann das OLG folgende Entscheidungen treffen: § 174 Abs. 1 StPO regelt die Entscheidung, die ergeht, wenn der Antrag zulässig, aber unbegründet ist.64 Ergibt sich kein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, so verwirft das Gericht den Antrag und setzt den Antragsteller, die Staatsanwaltschaft und den Beschuldigten von der Verwerfung in Kenntnis. „Kein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage“ liegt vor, wenn nach Abschluss der Ermittlungen kein hinreichender Tatverdacht im Sinne der §§ 170 Abs. 1, 203 StPO festgestellt werden kann. Dem nach § 174 Abs. 1 StPO ergangenen Beschluss kommt eine beschränkte Sperrwirkung zu,65 d.h. die Staatsanwaltschaft kann in diesem Fall die Anklage nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel erheben, § 174 Abs. 2 StPO. Solange keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, liegt Strafklageverbrauch vor, mit der Folge, dass kein neuer Antrag gestellt werden kann. Wenn bereits die in §  172 Abs.  2, 3 StPO normierten formellen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, wird der Antrag als unzulässig verworfen, wodurch aber keine Sperrwirkung im Sinne des §  174 Abs.  2 StPO ausgelöst wird.66 Die Verwerfung wegen Unzulässigkeit folgt nicht aus §  174 StPO. Da Sachentscheidungen jedoch nur möglich sind, wenn die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind, sind unzulässige Anträge zu verwerfen. Erachtet das Gericht nach Anhörung des Beschuldigten den Antrag für begründet, so beschließt es die Erhebung der öffentlichen Klage, §  175 S.  1 StPO. Die Durchführung des Beschlusses obliegt der Staatsanwaltschaft, § 175 S. 2 StPO, wodurch das Akkusationsprinzip gewahrt wird. Die Staatsanwaltschaft ist an die Ausführungen des richterlichen Beschlusses in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gebunden und kann das Verfahren nicht mehr nach §§ 153 ff. StPO einstellen.67 Wird der Antrag zurückgenommen, so wird die Erledigung des Antrags festgestellt.68 Da die höchstpersönliche Rechtsstellung nicht vererblich ist, wird von einer Entscheidung auch abgesehen, wenn der Antragsteller stirbt. Ferner wird die Erledigung festgestellt, wenn die Staatsanwaltschaft vor der Entscheidung des OLG Anklage erhoben oder die Ermittlungen erneut aufgenommen hat.69 7. Rechtsbehelf und Wiederholung des Klageerzwingungsverfahrens

Im Klageerzwingungsverfahren ist zwar das OLG als erstes Gericht mit der Sache befasst, jedoch nicht im ersten Rechtszug im 63 64 65 66 67 68 69

SK-StPO/Wohlers (Fn. 18) § 173 Rn. 7; BeckOK-StPO/Gorf (Fn. 1) § 173 Rn. 4. BeckOK-StPO/Gorf (Fn. 1) § 174 Rn. 2; SSW-StPO/Sing/Vordermayer (Fn. 1) § 174 Rn. 2. HK-StPO/Zöller (Fn. 36) § 174 Rn. 5; SSW-StPO/Sing/Vordermayer (Fn. 1) § 174 Rn. 7 ff. Vgl. zur faktischen Sperrwirkung: SK-StPO/Wohlers (Fn. 18) § 174 Rn. 4. BeckOK-StPO/Gorf (Fn. 1) § 175 Rn. 7; SK-StPO/Wohlers (Fn. 18) § 175 Rn. 12. BeckOK-StPO/Gorf (Fn. 1) § 172 Rn. 26; HK-StPO/Zöller (Fn. 36) § 172 Rn. 24. HK-StPO/Zöller (Fn. 36) § 172 Rn. 24; BeckOK-StPO/Gorf (Fn. 1) § 172 Rn. 26; SSW-StPO/Sing/ Vordermayer (Fn. 1) § 172 Rn. 40.

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Sinne des § 304 Abs. 4 S. 2 HS. 2 StPO zuständig. Eine Anfechtbarkeit der Entscheidung des OLG im Klageerzwingungsverfahren scheidet folglich aus. Allerdings kann der Antragsteller ggf. Verfassungsbeschwerde einlegen.70 Auch eine Wiederholung des Klageerzwingungsverfahrens ist möglich. Voraussetzung hierfür ist, dass die Staatsanwaltschaft, nachdem das OLG den Antrag verworfen hat, das Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen und nach sachlicher Prüfung eingestellt hat.71 Zur Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.10.2014 – 2 BvR 1568/12 = NJW 2015, 150 („Gorch Fock“)

Die Beschwerdeführer sind die Eltern einer in der Nacht vom 3. auf den 4.9.2008 auf dem Bundeswehr-Segelschulschiff „Gorch Fock“ zu Tode gekommenen Offiziersanwärterin. Sie wehren sich gegen die Einstellung eines gegen den Schiffsarzt gerichteten Ermittlungsverfahrens wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB. Mit Bescheid vom 8.3.2012 wies der Generalstaatsanwalt des Landes Schleswig-Holstein die gegen die staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügung erhobene Beschwerde als unbegründet zurück. Die Tochter der Beschwerdeführer habe sich zwei Tage vor ihrem Tod „nahezu beschwerdefrei“ gefühlt. Lediglich bei einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes solle sie erneut den Arzt aufsuchen. Bis zum Tod sei jedoch keine Verschlechterung eingetreten; vielmehr habe sie am 3.9.2008 gegenüber mehreren Zeugen geäußert, dass sie sich völlig beschwerdefrei fühle. Mit Verfügung vom 17.10.2011 sah die Staatsanwaltschaft Kiel von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mangels Anfangsverdachts gem. §  152 Abs.  2 StPO i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO ab. Mit Beschluss vom 12.6.2012 verwarf das Schleswig-Holsteinische OLG den zulässigen Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet, da dieser keinen hinreichenden Tatverdacht dafür erkennen lässt, dass gegen den Arzt eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung zu erheben wäre. Ferner sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die Anlass für weitere Ermittlungen in diese Richtung geben. Mit der darauf erhobenen Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG, die jedoch nicht zur Entscheidung angenommen worden ist. Vorliegend haben zwar auch die Eltern – über Art.  2 Abs.  2 GG i.V.m. Art.  1 Abs.  1 S.  2 GG i.V.m. Art.  6 Abs.  1 GG – einen Anspruch auf sorgfältige und effektive Ermittlungen. Der Beschluss des OLG Schleswig-Holstein ist nach Ansicht des BVerfG aber diesbezüglich nicht zu beanstanden: Der Beschluss verkennt weder die grundrechtliche Bedeutung des Schutzes auf Leben noch die sich aus der Rspr. des BVerfG wie des EGMR ergebenden Anforderungen an die effektive Untersuchung von Todesfällen. C. Fazit

Betrachtet man die Stadien, welche bis zur gerichtlichen Überprüfung durch das OLG zu durchlaufen sind, ist es ein Leichtes festzustellen, dass dem Antragsteller bis dahin zahlreiche Fehler unterlaufen können und folglich die Erfolgsaussichten gering sind. Im Rahmen der Zulässigkeit stehen vor allem die fehlende Unterzeichnung durch einen Rechtsanwalt und die Überschreitung der Antragsfrist im Vordergrund. Die Anträge werden pri70 BVerfG, Beschl. v. 28.3.2002 – 2 BvR 2104/01 = NStZ 2002, 606. 71 M-G/Schmitt (Fn. 8) § 172 StPO Rn. 37; SK-StPO/Wohlers (Fn. 18) § 175 Rn. 17; Radtke/ Hohmann/Kretschmer (Fn. 5) § 173 StPO Rn. 43.

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AUSBILDUNG

mär wegen mangelnder Begründung als unzulässig verworfen. Die übertriebenen Anforderungen an die Schilderung des Gangs des Ermittlungsverfahrens, sowie die tatsächliche und rechtliche Auseinandersetzung mit den angegriffenen Bescheiden stellen die größten Hürden für den Antragsteller dar.72 Aufgrund der sich daraus ergebenden äußerst geringen Erfolgsquote eines Klageerzwingungsverfahrens drängt sich natürlich die Frage auf, ob sich dieses Rechtsinstitut zur Überprüfung staatsanwaltschaftlicher Einstellungsverfügungen überhaupt eignet. Trotz heftiger Kritik ist das Klageerzwingungsverfahren ein unverzichtbares Rechtsinstitut, da es sich zur Sicherung und Durchsetzung des Legalitätsprinzips nicht gänzlich unbrauchbar erweist. Jedoch bedarf es einiger Änderungen, um dem Verletzten eine ernsthafte Chance zu gewähren, staatsanwaltschaftliche Einstellungsbescheide gerichtlich überprüfen zu lassen. Gerügt wird in erster Linie das komplizierte Verfahren, das gespickt ist mit formellen und sachlichen Anforderungen, die oftmals nicht erfüllt werden können. Dies führt dazu, dass eine wirksame externe Kontrolle der Anklagetätigkeit der Staatsanwaltschaft praktisch unmöglich gemacht wird. Die geringen Erfolgsaussichten und die spärliche Anwendung sind die beiden größten Mängel dieses Rechtsinstituts. Die geringen Erfolgsaussichten hängen eng mit den hohen Anforderungen an den Antrag des Verletzten zusammen. Dem Zweck, der Kontrolle und Sicherung des Legalitätsprinzips, kann aber nur dann im ausreichenden Maße gerecht werden, wenn nicht von vornherein übertriebene Anforderungen an den Antrag den Rechtsschutz des Verletzten beschränken.73 Auch das BVerfG ist der Auffassung, dass die Oberlandesgerichte die Anforderungen an den Klageerzwingungsantrag nicht zu hoch schrauben dürfen. Da von der Erfüllung der formellen Anforderungen an den Klageerzwingungsantrag die Gewährung des Rechtsschutzes abhängt, dürfen die Formerfordernisse nicht weitergehen als es durch ihren Zweck geboten ist,74 sodass prinzipiell an eine Reduzierung der – übertriebenen – Anforderungen gedacht werden sollte. Auch wäre es sinnvoll, dass die Oberlandesgerichte zunächst auf inhaltliche Unzulänglichkeiten hinweisen und diese vom Antragsteller innerhalb einer bestimmten Frist behoben werden können, bevor der Antrag endgültig wegen inhaltlicher Mängel zurückgewiesen wird. Als Argument gegen das Klageerzwingungsverfahren wird zum Teil die Verzögerung des Ermittlungsverfahrens vorgebracht. Eine Verzögerung führt wiederum dazu, dass der für den Beschuldigten belastende Zustand in die Länge gezogen wird. Dieses Argument kann aber nicht als durchgreifend angesehen werden. Staatsanwaltschaftliche Einstellungsbescheide sind auf ihre Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip zu überprüfen, sodass sich daraus ergebende Verzögerungen durchaus hinzunehmen sind.75 Ferner ist, wie oben bereits dargestellt, ein Antrag nicht zulässig, wenn das Verfahren eine Straftat zum Gegenstand hat, die vom Verletzten im Wege der Privatklage verfolgt werden kann oder wenn die Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1, § 153a Abs. 1 S. 1, 7 oder §  153b Abs.  1 StPO von der Verfolgung der Tat abgesehen hat. Dasselbe gilt in den Fällen der §§  153c bis 154 Abs.  1 72 Bischoff NStZ 1988, 63, 64; LR-StPO/Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 146. 73 Vgl. auch LR- StPO/Graalmann-Scheerer (Fn. 1) § 172 Rn. 146. 74 BVerfG, Beschl. v. 28.11.1999 – 2 BvR 1339/98 = NJW 2000, 1027; z.T. gibt es Reaktionen auf die verfassungsgerichtliche Rspr. (vgl. nur OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 24.5.2006 – 2 Ws 170/05 = NStZ-RR 2006, 311). 75 So auch bei Zapf, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, Universitätsverlag Göttingen, 2012, S. 122.

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StPO sowie der §§  154b und 154c StPO (vgl. §  172 Abs.  2 S.  3 StPO). Dies hat zur Folge, dass der Verletzte in dieser Konstellation über keine Rechtsbehelfe gegen den staatsanwaltschaftlichen Einstellungsbescheid verfügt, sodass nicht über die Abschaffung des Klageerzwingungsverfahrens, sondern über eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs nachgedacht werden sollte. Für den Verteidiger des Angeklagten ergibt sich, sofern der Klageerzwingungsantrag erfolgreich war, eine besondere Prozesssituation: Der Verteidiger trifft auf einen Staatsanwalt, der Anklage gegen seine Überzeugung erhoben hat. Dadurch gewinnt der Verteidiger einen „Verbündeten“, mit dem er sich unter Umständen abstimmen kann.76 Ob dieser Umstand die Unabhängigkeit der Anklagebehörde beeinflussen kann, steht auf einem anderen Blatt. Obwohl die Erfolgsaussichten eines Klageerzwingungsverfahrens gering sind, wird das Verfahren bereits allein durch seine Existenz einer Kontrollfunktion gerecht. Die Möglichkeit, ein Klageerzwingungsverfahren betreiben zu können, entfaltet präventive Wirkung. Schon das Drohen mit einem entsprechenden Antrag kann zur Einhaltung des Legalitätsprinzips beitragen und erinnert die Staatsanwaltschaft an ihre Verpflichtung aus §  152 Abs.  2 StPO.77 Folglich dient ein Klageerzwingungsverfahren weniger der Befriedigung des Verletzten, sondern vielmehr einer Kontrolle der staatsanwaltschaftlichen Anklagetätigkeit. Das Klageerzwingungsverfahren ist aber auch in der Lage, vorhandenes Misstrauen in der Bevölkerung gegen die Staatsanwaltschaft abzubauen. Einer Verwerfung der Anträge wegen Unzulässigkeit kann darüber hinaus im Vorfeld entgegengewirkt werden, indem die Zulässigkeitsvoraussetzungen sorgfältig geprüft werden. Ferner sollte vor Stellung des Antrags Akteneinsicht beantragt werden, um alle erforderlichen Fakten zusammenstellen zu können.78

76 So auch bei Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Otto Schmidt, Köln, 8. Aufl., 2015, S. 226. 77 Vgl. nur SK-StPO/Wohlers (Fn. 18) § 172 Rn. 4. 78 Schroth (Fn. 37), Rn. 191.

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FALLBEARBEITUNG

Ausschreibung von Medienrechten an Sportveranstaltungen im Lichte des Kartellrechts von Prof. Dr. Peter W. Heermann, LL.M. (Univ. of Wisconsin)*

Prof. Dr. Peter W. Heermann, LL.M. (Univ. of Wisconsin), Jahrgang 1961, lehrt und forscht in den Bereichen des Zivil-, Wirtschaftsund Sportrechts an der Universität Bayreuth und ist wissenschaftlicher Leiter des Weiterbildungsstudiengangs „LL.M. Sportrecht (Universität Bayreuth)“.

Sachverhalt:

Der deutsche Sportverband S vertritt hierzulande landesweit, aber auch europa- und weltweit allein die Interessen in einer bestimmten Ballsportart. S plant, künftig im Abstand von drei Jahren zentral die medialen Verwertungsrechte an den bei einem breiten Publikum beliebten Ligawettbewerben der 18 Mannschaften der Bundesliga (B1 bis B18) im Wege eines Ausschreibungsverfahrens zu vergeben. An diesem Verfahren beteiligen sich wegen der Attraktivität des Ligawettbewerbs neben verschiedenen deutschen Fernsehsendern auch solche aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Kurz zuvor hat die Mitgliederversammlung die Satzung des S dahingehend geändert, dass die Verwertungsrechte in Zukunft allein S und nicht länger den Mitgliedern der Bundesliga zustehen sowie allein von S vermarktet werden. Danach sollen etwa die Lizenzen für die nationale Erstverwertung (Live-Übertragung der Ligaspiele) und Zweitverwertung (zeitversetzte Übertragung der Ligaspiele) der TV-Rechte jeweils an einen Bieter abgegeben werden können. Auch die weltweite Nachfrage nach den TV-Rechten an den Ligaspielen soll allein durch S befriedigt werden. Durch diese Vermarktungsstrategie soll insbesondere ermöglicht werden, dass S die Einnahmen aus der Verwertung der Medienrechte unter Berücksichtigung des Solidaritätsgedankens unter den Bundesligaclubs verteilen kann und die entsprechenden Einnahmen nicht im Wesentlichen allein den beiden in den letzten Jahren überaus erfolgreichen und daher auch bundesweit populärsten Clubs B1 und B2 zufließen. Denn dies wäre aufgrund der Nachfragesituation der Fall, wenn jeder Club seine Heimspiele wie in der Vergangenheit auch weiterhin individuell vermarkten würde. Zudem würde dadurch die bislang noch weitgehend bestehende sportliche Ausgeglichenheit zwischen den Bundesligaclubs erheblich und dauerhaft beeinträchtigt werden. A. Die zuständige europäische Kartellbehörde fordert Sie auf, in einem Rechtsgutachten dazu Stellung zu nehmen, ob ein Verstoß gegen das Kartellverbot i.S.d. Art. 101 AEUV vorliegt. Dabei soll insbesondere auch (erforderlichenfalls hilfsweise) auf die folgenden rechtlichen Einwände des S eingegangen werden: • Das Kartellrecht finde im Sportsektor von vornherein keine Anwendung. • S sei ein Sportverband und kein Unternehmen. • Bei der Satzungsklausel handele es sich um eine Regelung rein sportlichen Charakters, auf die das Kartellrecht keine Anwendung finde. • S sei bei der Verabschiedung der betreffenden Satzungsklausel, die allein verbandsinterne Organisationsfragen betreffe, nicht unternehmerisch tätig geworden. • In jedem Fall sei das Handeln des S gerechtfertigt, so dass ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV ausscheide. B. Es wird unterstellt, dass die europäische Kartellbehörde das Vorliegen eines Verstoßes des S gegen Art. 101 AEUV annimmt. Wie könn-

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te S gegenüber der Kartellbehörde versuchen, sein Ziel einer zentralen Verwertung der Medienrechte doch noch zu erreichen? C. Bevor die europäische Kartellbehörde prüft, ob die geplante zentrale Vermarktung der Medienrechte durch S auch einen Missbrauch i.S.v. Art. 102 AEUV darstellt, möchte sie von Ihnen wissen, ob überhaupt eine marktbeherrschende Stellung des „Monopolverbandes“ S vorliegt. A. Art. 101 AEUV I. Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV (und Art. 102 AEUV) im Bereich des Sports

Der bloße Umstand, dass eine Regelung rein sportlichen Charakters ist, führt nicht dazu, dass derjenige, der die dieser Regelung unterliegende sportliche Tätigkeit ausübt, oder die Institution, die diese Regelung erlassen hat, nicht in den Geltungsbereich des AEUV fällt.1 Bei der Beurteilung der Ausübung sportlicher Tätigkeiten im Hinblick auf die Wettbewerbsregeln des AEUV ist zu prüfen, ob die Regeln für diese Tätigkeit unter Berücksichtigung des Tatbestands der Art. 101, 102 AEUV von einem Unternehmen aufgestellt wurden, ob dieses den Wettbewerb beschränkt oder seine marktbeherrschende Stellung missbraucht und ob diese Beschränkung oder dieser Missbrauch den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt. Selbst unterstellt, dass diese Regeln keine Grundfreiheiten beschränken, weil sie Fragen beträfen, die allein von sportlichem Interesse seien und als solche nichts mit wirtschaftlicher Betätigung zu tun hätten, würde dies nach Auffassung des EuGH weder bedeuten, dass die entsprechende sportliche Tätigkeit zwangsläufig nicht in den Geltungsbereich der Art. 101, 102 AEUV falle, noch, dass die genannten Regeln den Tatbestand dieser Artikel nicht erfüllen würden. II. S als Adressat des Kartellverbots

Art.  101 AEUV geht von einem funktionalen Unternehmensbegriff aus, der allein an die wirtschaftliche Tätigkeit anknüpft und andere Merkmale wie etwa die Rechtspersönlichkeit, Betriebsgröße oder das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht außer Betracht lässt. Aufgrund der zunehmenden Kommerzialisierung des Sports üben die Sportverbände und Sportclubs in erheblichem Maße wirtschaftliche Tätigkeiten aus und sind unabhängig von ihrer Rechtsform und dem Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht entweder als Unternehmen – so B1 bis B18 – oder wie S als Unternehmensvereinigung anzusehen. III. Unternehmerisches Handeln des S

Auch reine Organisationsleistungen der Sportverbände, die mitunter als deren Kerntätigkeiten umschrieben werden, fallen im Anschluss an die Rechtsauffassung des EuGH2 in den Anwendungsbereich des *

1 2

Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Rechtsvergleichung und Sportrecht an der Universität Bayreuth sowie wissenschaftlicher Leiter des Weiterbildungsstudiengangs „LL.M. Sportrecht (Universität Bayreuth)“ – Informationen hierzu unter www.LLM-Sportrecht-Bayreuth.de. Die nachfolgende Aufgabenstellung, die an die Vorlesungen zum „Europäischen Kartellrecht“ sowie zum „Sportvermarktungsrecht“ anknüpft, bildete zum Ende des Sommersemesters 2016 einen ca. 60% umfassenden Teil der insgesamt fünfstündigen Abschlussklausur im universitären Schwerpunktbereich „Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht“ an der Rechtsund Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth. Siehe zur Rechtsproblematik auch das am 20.09.2016 veröffentlichte XXI. Hauptgutachten der Monopolkommission mit einer umfassenden kartellrechtlichen Analyse der Zentralvermarktung in der Fußball-Bundesliga auf S. 80-118. So noch im Hinblick auf Art. 81, 82 EG – nunmehr inhaltlich identisch Art. 101, 102 AEUV – EuGH, Slg. 2006, I-6991 Rn. 27 – Meca-Medina und Majcen/Kommission; zu den nachfolgenden Erwägungen siehe ebd. Rn. 30 f. Vgl. EuGH, Slg. 2006, I-6991, Rn. 27 – Meca-Medina und Majcen/Kommission.

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FALLBEARBEITUNG

Kartellrechts. Allerdings hat das OLG Düsseldorf zuletzt in zwei Fällen eine andere Auffassung vertreten,3 die sich aufgrund der speziellen Umstände der Einzelfälle jedoch kaum verallgemeinern lässt.4 Stattdessen könnte man in folgender Weise argumentieren: Die erstmalige Verabschiedung von Verbandsstatuten (vorliegend durch S) stellt im kartellrechtlichen Sinne eine unternehmerische Tätigkeit eines Sportverbandes dar, wenn eine Auswirkung auf wirtschaftliche Tätigkeiten des S und/oder seiner unmittelbaren Mitglieder B1 bis B18 angenommen werden kann. Dabei ist zwischen verschiedenen relevanten, indes untrennbar zusammenhängenden Produktmärkten zu unterscheiden: dem relevanten Markt für die Organisation des Sportbetriebs (dieser umfasst die Verabschiedung bzw. Aufnahme von Verbandsstatuten) und einem davon zu unterscheidenden relevanten Produktmarkt, auf dem S wirtschaftlich tätig ist (z.B. Markt für die Vermarktung von Sportveranstaltungen). IV. Beschluss des S

Ein Beschluss besteht regelmäßig aus einem Rechtsakt, der von dem zuständigen Organ – vorliegend: Mitgliederversammlung des S – zu dem Zweck getroffen wird, das Verhalten der gebundenen Unternehmen B1 bis B18 auf der Basis der im Ausgangsfall maßgeblichen Satzung zu regeln. V. Bezwecken oder Bewirken einer Wettbewerbsbeschränkung 1. Bezwecken oder Bewirken

Ein Bezwecken der Wettbewerbsbeschränkung ist gegeben, wenn die Parteien objektiv (Vorsatz oder gar Absicht sind also nicht erforderlich) unmittelbar oder mittelbar das Ziel der Wettbewerbsbeschränkung verfolgen. Hiervon kann ausgegangen werden, weil S sowie B1 bis B18 bewusst künftig die Zahl der Anbieter von Medienrechten an den Heimspielen von bislang 18 Anbietern auf einen Anbieter, also S, reduzieren wollen. 2. Wettbewerbsbeschränkung a) Ausgangslage

Fraglich ist, ob das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung angezweifelt werden kann, obgleich eine solche doch offensichtlich vorzuliegen scheint. Dies hängt insbesondere davon ab, ob man den vom EuGH entwickelten Drei-Stufen-Test dogmatisch als rechtfertigende Tatbestandsrestriktion oder aber neben Art.  101 Abs.  3 AEUV als zusätzlichen Rechtfertigungsgrund einordnet.5 Beide Auffassungen lassen sich mit guten Gründen vertreten, hier soll der erstgenannten Auffassung gefolgt werden. Damit ist der erwähnte Drei-Stufen-Test bereits bei der Prüfung des Vorliegens einer Wettbewerbsbeschränkung anzuwenden. b) Drei-Stufen-Test

In der Rechtssache Meca-Medina und Medina/Kommission hat der EuGH im Hinblick auf den Kartellverbotstatbestand i.S.v. Art.  101 Abs. 1 AEUV einen speziellen Ansatz entwickelt, um bereits bei der Prüfung des Tatbestands den Besonderheiten des Sports angemessen Rechnung tragen zu können.6 Bei Umsetzung und Anwendung dieses dreistufigen Prüfungsansatzes zur Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsbeschränkung i.S.v. Art. 101 Abs. 1 AEUV sind die folgenden Aspekte zu klären:7 3 4 5 6 7

OLG Düsseldorf, SpuRt 2015, 212 (214); OLG Düsseldorf, CaS 2015, 392 (398) – IHFAbstellbedingungen. Ausführlich hierzu Heermann, in: WRP 2016, 1053 ff. m.w.N. zum Meinungsstand. Vgl. hierzu zuletzt Heermann, in: WRP 2015, 1172, Rn. 9 m.w.N. zum Meinungsstand. EuGH, Slg. 2006, I-6991, Rn. 42 – Meca-Medina und Majcen/Kommission in Anlehnung an EuGH, Slg. 2002, I-1577, Rn. 97 – Wouters. Ausführlich zu den drei Stufen Heermann, in: WRP 2015, 1172, Rn. 11 ff. m.w.N. zum Meinungsstand.

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aa) In welchem Gesamtzusammenhang ist der wettbewerbsbeschränkende Beschluss eines Sportverbandes zustande gekommen oder entfaltet er seine Wirkung? Insbesondere: Verfolgt der Beschluss eine legitime Zielsetzung?

S will aufgrund der neuen Satzungsregelung die Einnahmen aus der Vermarktung der Medienrechte an den Bundesligaspielen unter Berücksichtigung des Solidaritätsgedankens unter den Bundesligaclubs verteilen können, um dadurch eine gewisse wirtschaftliche und damit letztlich auch sportliche Ausgeglichenheit zwischen B1 bis B12 zu gewährleisten. Ein sportlicher Ligawettbewerb ist für Zuschauer und damit auch die Medien langfristig nur dann von besonderem Interesse, wenn der Ausgang der einzelnen Spiele (mehr oder weniger) unvorhersehbar ist und während der Saison Ligamitglieder nicht aus wirtschaftlichen Gründen den Spielbetrieb einstellen müssen. Nur unter diesen Umständen werden die Medien bereit sein, den von S betriebenen Ligaspielbetrieb durch Zahlung erheblicher Beträge finanziell zu unterstützen, wovon neben S und B1 bis B18 letztlich auch die an dieser Sportart Interessierten sowie insbesondere auch die diese Sportart hierzulande Ausübenden profitieren. bb) Hängen die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen notwendig mit der Verfolgung dieser legitimen Zielsetzung zusammen?

Im Ausgangsfall besteht eine untrennbare Verbindung zwischen der Verfolgung der legitimen Zielsetzung und der Wettbewerbsbeschränkung. cc) Sind die mit dem Beschluss verbundenen wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen verhältnismäßig, d.h. insbesondere angemessen, im Hinblick auf die verfolgten legitimen Zielsetzungen?

Es ist auf der dritten Stufe zu klären, ob das von S verfolgte Ziel mit Mitteln erreicht werden könnte, die den Wettbewerb im Ergebnis weniger beschränken. Hier lassen sich beide Auffassungen mit guten Gründen vertreten. Dies sei anhand des vom deutschen Generalanwalt Otto Lenz in seinen Schlussanträgen im Bosman-Verfahren entwickelten Solidarfondsmodells8 erläutert: So vertrat er seinerzeit die Auffassung, eine Individualvermarktung durch Ligamitglieder mit nachträglicher Umverteilung durch Einrichtung eines aus den Vermarktungserlösen der einzelnen Ligamitglieder gespeisten Solidarfonds sei in kartellrechtlicher Hinsicht ein milderes Mittel gegenüber einer Zentralvermarktung durch einen Ligaverband. Dagegen lässt sich indes vorbringen, dass ein solches Modell nicht praktikabel sei. An der fehlenden Praktikabilität bzw. aus rechtlichen Gründen kann beispielsweise auch die Einführung von Gehaltsobergrenzen oder einer Luxussteuer für Ligamitglieder mit hohen Einnahmen aus der individuellen Vermarktung der Medienrechte scheitern. Ein weiterer Aspekt kann je nach Akzentuierung für oder gegen eine Verhältnismäßigkeit des von S verfolgten Ansatzes sprechen: Die Einnahmen der Ligamitglieder setzen sich üblicherweise aus mehreren Säulen zusammen – erstens Ticketverkauf und Hospitality, zweitens Sponsoring und Merchandising sowie drittens Vermarktung der Medienrechte. Wenn – wie regelmäßig – nur innerhalb der dritten Säule in gewissem Umfang eine Umverteilung durchgeführt wird, wird die aufgrund der unterschiedlichen Stadiongröße bzw. -auslastung und Popularität der B1 bis B18 ungleiche Einnahmenverteilung in den anderen beiden Säulen fortbestehen und mittel- bis langfristig vermutlich gleichwohl zu einem wirtschaftlichen und damit auch sportlichen Ungleichgewicht zwischen den Ligamitgliedern führen. Dagegen könnte man indes einwenden, dass eine lediglich begrenzte Umverteilung besser sei als ein Verzicht auf jegliche Umverteilungs8

GA Lenz, Slg. 1995, I-4930, Tz. 218-234 – Bosman.

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FALLBEARBEITUNG

maßnahmen, so dass das Vorgehen des S in jedem Fall zumindest als verhältnismäßig (wenngleich im Ergebnis möglicherweise unzureichend) einzustufen sei. dd) (Zwischen-)Ergebnis

Wenn man an dieser Stelle der Prüfung das Vorgehen des S im Ausgangsfall als verhältnismäßig i.S.d. Drei-Stufen-Tests einordnet, sind dessen Voraussetzungen erfüllt. Aufgrund einer Tatbestandsreduktion wären sodann das Vorliegen der Voraussetzungen einer Wettbewerbsbeschränkung und damit eines Verstoßes des S gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV abzulehnen. Falls man sich der Gegenauffassung anschließt und das Vorgehen des S als unverhältnismäßig einstuft, muss vom Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung ausgegangen werden. In diesem Fall wären die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 101 Abs. 1 AEUV zu prüfen. Die weiteren Prüfungsschritte würden sich dann folgendermaßen darstellen: VI. Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels

Der Beschluss der Mitgliederversammlung des S müsste geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.9 Sollte dies nicht der Fall sein, könnte allein nationales Kartellrecht zur Anwendung kommen. Das Merkmal ist nach Auffassung des EuGH weit auszulegen. Eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels ist danach anzunehmen, wenn sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussagen lässt, dass die Vereinbarung unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten in einem der Erreichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteiligen Sinne beeinflussen kann.10 Zu beachten ist der Umstand, dass auch Vereinbarungen zwischen Unternehmen innerhalb eines Mitgliedstaates den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen und daher in den Anwendungsbereich des Art. 101 AEUV fallen können.11 Im Ausgangsfall bestehen aufgrund der Nachfrage nach entsprechenden Medienrechten auch aus dem EU-Ausland keine Zweifel an einer Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels. VII. Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung und Spürbarkeit der Zwischenstaatlichkeit

Um die Wettbewerbsbehörden und Gerichte von vornherein von Fällen, die lediglich in ihrer Wirkung völlig unerhebliche und kaum spürbare Wettbewerbsbeschränkungen betreffen, entlasten zu können, enthält der Tatbestand des Art.  101 AEUV nach allgemeiner Auffassung noch das zusätzliche – ungeschriebene – Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit. Die Tathandlung muss demnach geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen. Der Handel zwischen den Mitgliedstaaten hätte sich also ohne die Tathandlung wesentlich anders entwickeln müssen. Um eine einfache und einheitliche Handhabung kartellrechtlicher Sachverhalte zu gewährleisten, hat die Kommission eine sog. Bagatellbekanntmachung12 erlassen. Nur bei Überschreiten vorgegebener Marktanteilsschwellen ist eine Spürbarkeit anzunehmen, es sei denn es liegt eine schwerwiegende Beschränkung – sog. Kernbeschränkung, hard core-Kartell – vor (Festsetzung der Preise beim Verkauf von Erzeugnissen an Dritte; Beschränkung der Produktion oder des Absatzes; Aufteilung von Märkten oder Kunden). 9 Zu diesem Tatbestandsmerkmal EuGH, Slg. 2008, I-4863, Rn. 39 ff. – MOTOE. 10 EuGH, Slg. 1971, 351, Rn. 5 f. – Cadillon/Hoess. 11 Bekanntmachung der Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Art. 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004/C 101/81 f. v. 27.04.2004. 12 Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Art.  101 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2014/C291/01-05 v. 30.08.2014.

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Auch ohne den relevanten Markt für die Vermarktung von Medienrechten an Ligaspielen der betroffenen Sportart hier bereits im Detail abzugrenzen, wird man angesichts der (knappen) Sachverhaltsangaben, die auf eine große, insbesondere weltweite Attraktivität der Ligaspiele hindeuten, davon ausgehen können, dass die Wettbewerbsbeschränkung spürbar ist. VIII. Rechtfertigung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV

Die Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes werden in der Praxis relativ flexibel angewendet. Auch wenn sie auf Besonderheiten des Sportsektors kaum übertragbar scheinen, so hat doch die EU-Kommission zu einer Zeit, als der Drei-Stufen-Test durch den EuGH noch nicht eingeführt worden war, im Hinblick auf die zentrale Vermarktung der TV-Rechte an Spielen der Fußballbundesliga das Vorliegen der Voraussetzungen i.S.d. Art. 101 Abs. 3 AEUV im Wesentlichen angenommen.13 Wenn man jedoch – wie hier vorangehend in Abschnitt V. 2. b) dd) unterstellt – die vom Beschluss der Mitgliederversammlung des S ausgehenden wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen als unverhältnismäßig im Hinblick auf die verfolgten legitimen Zielsetzungen einstuft, wird man keine Verhältnismäßigkeit i.S.d. Art. 101 Abs. 3 Buchst. a) AEUV annehmen können und damit das Vorliegen der Voraussetzungen des Rechtfertigungstatbestandes ablehnen müssen. B. Alternatives Vorgehen des S zur Erreichung seiner Ziele

Wegen der in Abschnitt A. dargelegten Unwägbarkeiten hinsichtlich der kartellrechtlichen Bewertung des Vorgehens des S könnte sich der Verband darum bemühen, eine Verpflichtungszusage gem. Art. 9 VO 1/2003 gegenüber der EU-Kommission abzugeben. Auf der Basis dieser Regelung kann die Kommission, wenn sie den Erlass einer Entscheidung zur Abstellung einer Zuwiderhandlung beabsichtigt und die beteiligten Unternehmen die Eingehung von Verpflichtungen anbieten, die geeignet sind, die ihnen von der Kommission nach ihrer vorläufigen Beurteilung mitgeteilten Bedenken auszuräumen, diese Verpflichtungszusagen im Wege einer Entscheidung für bindend für die Unternehmen erklären. Die Entscheidung kann befristet sein und muss besagen, dass für ein Tätigwerden der Kommission kein Anlass mehr besteht. Hinsichtlich der zentralen Vermarktung der Medienrechte an den deutschen Fußballbundesligen räumte der Ligaverband e.V. im Jahr 2005 nach Verhandlungen mit der Kommission deren kartellrechtliche Bedenken gegenüber dem geplanten Vorgehen dadurch aus, dass aufgrund einer Verpflichtungszusage i.S.d. Art. 9 Abs. 1 VO 1/2003 die Medienrechte zu Beginn des Jahres 2005 in neun Pakete mit einer Laufzeit von jeweils drei Jahren aufgeteilt und hernach in dieser Form zum Erwerb ausgeschrieben wurden. Die Kommission wies in ihrer abschließenden Entscheidung14 darauf hin, dass nach vorläufiger Beurteilung und ohne vollständige Ermittlung des Sachverhalts die Verpflichtungen des Ligaverbandes Wettbewerb zwischen der Liga und den Vereinen bei der Vermarktung der Rechte für die Bundesliga und die 2.  Bundesliga einzuführen schienen und den Vereinen ermöglichten, neue und insbesondere mit der Markenprägung der Vereine versehene Angebote zu entwickeln. Die Verpflichtungen würden zudem den Umfang und die Dauer künftiger Verwertungsverträge verringern und ein transparentes und diskriminierungsfreies Verwertungsverfahren vorsehen. Sie würden den Zugang zu Inhalten für Anbieter im Bereich Fernsehen, Radio sowie der Neuen Medien erleichtern und sicherstellen, dass mehr Rechte dem Markt verfügbar 13 Kommission, Entsch v. 19.01.2005, COMP/37.214. 14 Kommission, Entsch v. 19.01.2005, COMP/37.214.

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FALLBEARBEITUNG

gemacht würden, und trügen damit zur Innovation bei und würden die Konzentrationstendenzen in den Medienmärkten abschwächen. Zuletzt hat der Ligaverband e.V. wiederholt jeweils vor Beginn eines neuen Ausschreibungsverfahrens zusammen mit dem Bundeskartellamt die Ausschreibungsbedingungen aufgrund der zuvor gesammelten Erfahrungen und weiteren Entwicklungen auf dem relevanten Produktmarkt modifiziert. So wurde etwa im Vorfeld des im Frühjahr 2016 durchgeführten Ausschreibungsverfahrens eine sog. „no single buyer rule“ eingefügt, durch die sichergestellt werden soll, dass nicht ein einziger Fernsehsender sämtliche Live-Übertragungsrechte für alle Übertragungswege erwirbt. C. Marktbeherrschende Stellung des „Monopolverbandes S“?

Eine Besonderheit des Sports, die sich unmittelbar auf die kartellrechtliche Bewertung auswirkt, ist in dem sog. Ein-Verband-Prinzip – auch Ein-Platz-Prinzip genannt – zu erblicken. Danach wird regelmäßig jedem Sportfachverband das Recht zur Durchführung von Sportwettkämpfen auf demjenigen Gebiet zugesprochen, für das er verbandsrechtlich zuständig ist.15 Üblicherweise nehmen internationale Sportfachverbände jeweils nur einen nationalen Sportfachverband als Mitglied auf, um auf diese Weise insbesondere die weltweite Durchführung von Sportwettkämpfen nach einheitlichen Regeln zu gewährleisten. Allerdings betreffen solch monopolartige Strukturen von Sportverbänden im Ausgangspunkt zunächst nur die Sportveranstaltungs15 Siehe hierzu stellvertretend Pfister, in: Fritzweiler/Pfister/Summerer, Praxishandbuch Sportrecht, 3. Aufl., 2014, Einführung Rn. 15 ff. m.w.N.; zur Monopolstellung von Sportverbänden vgl. auch Schroeder, WRP 2006, 1327 ff.

märkte.16 Das bedeutet im Ausgangsfall, dass S zunächst nur auf dem Markt für die Organisation und Durchführung von (professionellen) Ligawettkämpfen in der betreffenden Ballsportart eine marktbeherrschende Stellung innehat. Denn für die Marktgegenseite, d.h. Clubs, die die betreffende Ballsportart in offiziellen Ligawettkämpfen ausüben wollen, existieren regelmäßig keine angemessenen Ausweichmöglichkeiten. Dies bedeutet indes nicht automatisch, dass S zugleich Monopolist auf den benachbarten, vor- oder nachgelagerten Produktmärkten ist. So bestehen für die Marktgegenseite – im vorliegenden Fall die Nachfrager der Medienrechte, d.h. insbesondere die Fernsehsender – auf dem betroffenen relevanten Produktmarkt der Vermarktung von Ligaspielen in der Ballsportart vermutlich Substitute, auf die ausgewichen werden kann. So könnte ein Fernsehsender auch versuchen, die Übertragungsrechte hinsichtlich ähnlich attraktiver Ligaspiele in der betreffenden Ballsportart in anderen Ländern oder hinsichtlich der Länderspiele oder der Spiele in etwaigen europäischen Ligawettbewerben jeweils unter deutscher Beteiligung zu erwerben. Vorbehaltlich einer im Einzelfall erforderlichen genauen Definition des relevanten sachlichen und räumlichen Marktes lassen die dargestellten Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite es unwahrscheinlich erscheinen, dass S auf diesem Absatzmarkt eine marktbeherrschende Stellung hat.

16 Vgl. zum Folgenden Heermann, in: WRP 2015, 1047, Rn. 11-16 m.w.N.

WISSEN KOMPAKT

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Iurratio 4 / 2016

FALLBEARBEITUNG

Divine Intervention – Teil 2* von Dipl.-Jur. Sascha Sebastian, M.mel., Halle (Saale)

Dipl.-Jur. Sascha Sebastian, M.mel. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht von Prof. Dr. Christian Schröder.

reicht er der Schwester Saskia (S) ein Fläschchen Kaliumcyanid47 mit den Worten „damit wird P gut schlafen können“. Er geht davon aus, dass S die Substanz für ein Schlafmittel halten wird. S fällt der Bittermandelgeruch der Substanz zwar sofort auf, da P ihr gegenüber aber stets anzügliche Bemerkungen machte, gibt sie ihm die Substanz dennoch. P stirbt sofort.

Sachverhalt46

Fallfrage:

Jeff (J) ist Krankenpfleger im „St. Felis Rex“-Krankenhaus. Hier lernt er die seit 1994 schwer gehbehinderte Witwe Waldtraut (W) kennen, welche er zweimal die Woche in eine Kapelle geleiten muss, die in einem anderen Flügel des Krankenhauses gelegen ist. Zwischen den beiden entwickelt sich auf diesen Spaziergängen – nicht zuletzt wegen gemeinsamer religiöser Auffassungen – eine innige Freundschaft. Als W dem J aber eines Tages eröffnet, dass sie ihn zum Alleinerben ihres beträchtlichen Vermögens eingesetzt hat, kann er der Versuchung nicht widerstehen, den Erbfall vorzeitig herbeizuführen. Er gibt in der Kapelle vor, mit der sehr einfältigen und streng gläubigen W beten zu wollen und täuscht während seines Gebets einen Anfall vor. Als er kurze Zeit später wieder aufsteht, berichtet er der W, eine Vision empfangen zu haben. Gott habe ihn als Sprachrohr auserwählt, um W mitzuteilen, dass er ihr die Fähigkeit zu laufen zurückgeben wolle. Alles, was sie dafür tun müsse, sei, eine Überdosis ihrer Schlaftabletten zu nehmen. Am nächsten Tag werde sie in einem neuen, besseren Körper aufwachen und ein unbeschwertes Leben führen können. W kommt der Aufforderung noch am selben Abend nach. Aufgrund der Gewissheit, nicht zu sterben, hat sie keine Angst. Als J am nächsten Tag vom Tod der W erfährt, ist er zwar ein wenig traurig, freut sich aber auch auf die anstehende Erbschaft. Tom (T) ist diensthabender Oberarzt und erlangt kurze Zeit später durch Überwachungskameraaufnahmen Kenntnis vom Geschehensverlauf. Er beschließt, sich die Situation zunutze zu machen: Er setzt unter dem Namen von W einen Brief an J auf, in welchem diese berichtet, wie schön das Leben im neuen Körper sei. Allerdings wisse sie auch, dass J ihr die Vision nur vorgespielt habe und dass Gott darüber sehr wütend sei. Um sich vor seinem Schöpfer zu rechtfertigen, solle J die Krankenschwester Kerstin (K) töten, welche „ein schlechter Mensch“ sei. Sollte J diesem göttlichen Auftrag nicht nachkommen, würden nach und nach alle seine Verwandten von einer mysteriösen Plage dahingerafft werden. Der sehr gläubige J ist nach dem Lesen tief getroffen. Dies wird zudem dadurch verschlimmert, dass T ihm von einem – so nicht geschehenen – Anruf seines Onkels erzählt, der über einen plötzlichen hartnäckigen Husten berichtet haben soll. J sieht keine Alternative, als sich dem Wunsch seines Schöpfers zu beugen. Er lauert K eines Abends im Schwesternzimmer auf und erwürgt sie hinterrücks. Zwar ist T vom hinterhältigen Vorgehen des J etwas überrascht, aber seine Freude über den Tod der K ist größer. Diese wisse nun, was es bedeute, Ts Wunsch nach einem gemeinsamen Rendezvous auszuschlagen. T beschließt aufgrund der Erfolge dieses Tages noch einen weiteren Widersacher – den vorlauten Patienten Pascal (P) – auszuschalten. Hierfür

Wie haben sich J, T und S strafbar gemacht?

* Fortsetzung aus Iurratio 3/2016, S. 78 bis 80. In Teil 1 wurde der erste Tatkomplex behandelt. 46 Der Sachverhalt wurde im Sommersemester 2015 als Übungsfall im Examensklausurenkurs der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gestellt. Von 89 Teilnehmern haben 44 bestanden (49,44%). Die durchschnittliche Bewertung lag bei 4,16 Punkten (45 x mangelhaft, 29 x ausreichend, 12 x befriedigend, 2 x vollbefriedigend, 1 x gut).

Iurratio 4 / 2016

2. Tatkomplex: Im Auftrag Gottes A. Strafbarkeit des J nach §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 1, 2 Var. 4, 5, 9 StGB

J könnte sich wegen Mordes nach §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 1, 2 Var. 4, 5, 9 StGB strafbar gemacht haben, indem er K hinterrücks erwürgte. I. Objektiver Tatbestand

J hat einen Menschen getötet. Es ist daher nur der Frage nachzugehen, ob er hierbei ein (objektives) Mordmerkmal verwirklicht hat. In Betracht kommt Heimtücke. Er griff die K hinterrücks an. Es besteht kein Grund anzunehmen, dass sie in diesem Moment mit einem solchen Angriff rechnete und entsprechende Abwehrmaßnahmen ergriffen hatte. Sie war mithin sowohl argals auch wehrlos. Diesen Zustand machte sich J zunutze, um sein Vorhaben mit möglichst wenig Gegenwehr in die Tat umsetzen zu können. Der objektive Tatbestand des heimtückischen Mordes ist damit erfüllt. II. Subjektiver Tatbestand 1. Vorsatz

J war sich bewusst, dass sein Handeln das Leben der K beenden würde. Gerade hierauf kam es ihm jedoch an, um Leid von seinen Angehörigen fernzuhalten. Auch seine Vorgehensweise war bewusst gewählt, um mit möglichst geringem Aufwand töten zu können. Er handelte daher vorsätzlich sowohl in Bezug auf die Tötung als auch bezüglich der heimtückischen Vorgehensweise. 2. (Subjektive) Qualifikationsmerkmale

a) Als subjektives Mordmerkmal kommt zunächst ein niedriger Beweggrund in Betracht. Darunter versteht man ein Motiv, welches sittlich auf tiefster Stufe steht und derart verachtenswert ist, dass man es menschlich in keiner Weise nachvollziehen kann.48 Gegenstand der Betrachtung sind dabei nicht die gegenwärtig in der Gesellschaft vorherrschenden Wertvorstellungen, sondern die vom Grundgesetz vorgegebene objektive Werteordnung – insbesondere die Achtung der Menschenwürde.49 J tötete, weil er sich „von Gott zu seinem Handeln beauftragt“ sah. Er empfand gegenüber K keine Antipathie, welche deren Tötung für einen Außenstehenden verständlich machen könnte. Die Gefahr für seine Familie war zudem augenscheinlich irreal. Jeder vernunftbegabte Mensch hätte dies durch einfaches Nachprüfen bzw. Nachdenken herausfinden können. J stellte mithin eine vage Vermutung über das Leben der K. Das mag auf Ebene der Einsichtsfähigkeit diskutabel sein, steht mit Blick auf den Verbotstatbestand aber sittlich auf tiefster Stufe und ist menschlich nicht (mehr) nachvollziehbar. 47 Kaliumcyanid (K+ [C≡N]-) ist das Kaliumsalz der Blausäure; umgangssprachlich ist es als „Zyankali“ bekannt. 48 BGHSt 2, 60 (63); 3, 132 (133); BGH NStZ 2011, 35; Lackner, in: Lackner/Kühl, StGB, 28. Auflage (2014), § 211 Rn. 5. 49 Schneider, in: MüKo-StGB, 2. Auflage (2012), § 211 Rn. 73 ff.

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FALLBEARBEITUNG

b) Darüber hinaus kann man an eine Verdeckungsabsicht bezüglich des Mordes an W denken. Hierfür ist es erforderlich, dass es dem Täter darauf ankommt, durch die Tötung entweder die Aufdeckung der Vortat – in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang – oder die Aufdeckung seiner Täterschaft zu verbergen.50 Hier handelt J allerdings ersichtlich nicht, um die Entdeckung der Tat oder seiner Täterschaft durch die Strafverfolgungsbehörden zu unterbinden. Er möchte sich vielmehr für seine Tat (moralisch) rechtfertigen. Das genügt für § 211 Abs. 1, 2 Var. 9 StGB nicht.

3. Zwischenergebnis

J handelte schuldhaft. V. Zwischenergebnis

J ist wegen heimtückischen Mordes an K aus niedrigen Beweggründen strafbar. B. Strafbarkeit des T nach §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 1, 2 Var. 4, 5, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB

Der subjektive Tatbestand ist erfüllt.

T könnte sich wegen Mordes in mittelbarer Täterschaft nach §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 1, 2 Var. 4, 5, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er bei J die Vorstellung hervorrief, K töten zu müssen.

III. Rechtswidrigkeit

I. Objektiver Tatbestand

Objektiv wurde J weder angegriffen, noch befanden er oder seine Angehörigen sich in (realer) Gefahr. Selbst wenn man das Handeln des T als (notstandsfähige) Nötigung ansähe, hätte J von dieser keine Kenntnis. Die Kenntnis der Umstände, welche die Rechtfertigungslage begründen, ist aber Voraussetzung eines jeden Rechtfertigungsgrundes.51 J handelte rechtswidrig.

T selbst hat keine Handlung vorgenommen, welche (unmittelbar) zum Tod der K führte. Es kommt also allenfalls die Begehung „durch einen anderen“ – nämlich J – in Betracht. Die Voraussetzungen für eine Zurechnung der (objektiven) Tatbeiträge des J sind jedoch mit Blick auf die Auffassungen in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich zu beurteilen.58

IV. Schuld 1. Schuldfähigkeit

1. Täterschaft nach der Tatherrschaftslehre

3. Zwischenergebnis

Dem Sachverhalt sind keine Anhaltspunkte zu entnehmen, welche darauf hindeuten, dass sich J in einer Lage befand, wie sie in § 20 StGB umschrieben ist. Er war demnach schuldfähig. 2. Entschuldigungsgründe

§ 33 StGB scheitert am Nichtvorliegen einer Notwehrlage (s.o.).52 Ein Erlaubnistatumstandsirrtum kommt nicht in Frage, weil – selbst bei tatsächlicher Bedrohung seiner Angehörigen – § 32 StGB nicht die Tötung Dritter rechtfertigt53 und § 34 StGB eine Abwägung zweiter Leben gegeneinander nicht zulässt.54 § 35 StGB scheitert ebenfalls an der objektiv nicht vorliegenden Notstandslage (s.o.). Denkbar ist allerdings ein Irrtum nach § 35 Abs. 2 StGB. Dabei erscheint es bereits fraglich, ob die Annahme, Gott wolle die eigene Verwandtschaft auslöschen, überhaupt eine reale Gefahr sein kann.55 Das spielt indes keine Rolle, denn in jedem Fall war der Irrtum vermeidbar56. J hätte unter Berücksichtigung seiner individuellen Fähigkeiten aber auch seines Glaubens bei gebührender Gewissensanspannung und der ihm zumutbaren Befragung einer Vertrauensperson (zum Beispiel eines Geistlichen) die rechtliche Unzulässigkeit einer quantitativen Abschätzung menschlichen Lebens als des absoluten Höchstwertes erkennen können.57 Eine Entschuldigung scheidet daher aus, allerdings käme J die obligatorische Strafmilderung nach § 35 Abs. 2 S. 2, 49 Abs. 1 StGB zugute. Lehnt man – mE. überzeugender – auch die irrige Annahme einer entschuldigenden Notstandslage ab, so verbleibt ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB. Dieser ist allerdings aus den genannten Gründen vermeidbar. Die Strafmilderung hier ist indes fakultativ (§§ 17 S. 2, 49 Abs. 1 StGB). 50 BGHSt 15, 291 (296); BGH NStZ 2001, 579 (580); Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 15. Auflage (2014), § 4 Rn. 53. 51 Sog. „subjektives Rechtfertigungselement“, siehe dazu Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 4. Auflage (2006), § 14 Rn. 97 ff. und Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Auflage (2011), § 9 Rn. 151. 52 Zum Streit zwischen intensiven und extensiven Notwehrexzess siehe BGH NStZ 1987, 20; 2002, 141; Fischer, Strafgesetzbuch, 62. Auflage (2015), § 33 Rn. 2 und Heuchemer, in: von HeintschelHeinegg, BeckOK StGB, Edition (10.11.2014), § 33 Rn. 8 ff. 53 Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, 12. Auflage (2006), § 32 Rn. 159 ff. mwN. 54 Erb, in: MüKo-StGB Band 1, 2. Auflage (2011), § 34 Rn. 116 ff. mwN. 55 Das ist notwendig, weil das Bestehen der Gefahr „Umstand“ im Sinne des § 35 Abs. 2 StGB ist. 56 Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Vermeidbarkeit eines Rechtsirrtums siehe Raschke, Geldwäsche und rechtswidrige Vortat (2014), S. 181 ff. 57 Vgl. BGH NJW 1989, 912 (913) – „Katzenkönig“ und Jäger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Auflage (2011), Rn. 219.

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Fordert man vom mittelbaren Täter die sog. „Tatherrschaft“, muss es sich bei ihm um die „Zentralgestalt“ des Geschehens handeln; er muss es planvoll lenkend in den Händen halten und nach seinem Willen schneller oder langsamer ablaufen lassen können.59 Bei der mittelbaren Täterschaft ergibt sich jene Herrschaft über das Verhalten des Vordermannes (Tatmittlers) daraus, dass dieser aufgrund eines sog. „Defektes“ nicht vollverantwortlich handelt.60 Macht sich der Hintermann (mittelbarer Täter) jenen „Defekt“ zunutze, kann er den Vordermann nach seinem Willen kontrollieren – er „beherrscht“ die Tat, indem er das rechts(guts)verletzende Handeln eines anderen steuert.61 Hier befand sich J zwar in einem grundsätzlich schuld- und damit verantwortungsausschließenden Irrtum (§§ 17 oder 35 Abs. 2 StGB), allerdings handelte er im konkreten Fall vollverantwortlich, weil der Irrtum für ihn vermeidbar war. Damit stellt sich die Frage, ob J als mittelbarer (Allein)Täter auch dann für die Tat verantwortlich sein kann, wenn sein „Werkzeug“ vollverantwortlich handelte, die Tat also eigentlich diesem als unmittelbarer Täter (§ 25 Abs. 1 Var. 1 StGB) vorgeworfen wird. a) Hier kann man sich zunächst auf den Standpunkt stellen, dass das Verantwortungsprinzip die äußere Grenze für die Täterschaftszuschreibung ist.62 Demnach kann der Hintermann niemals Täter sein, wenn der Vordermann selbst für sein Handeln verantwortlich ist (sog. „strenge Verantwortungstheorie“). b) Demgegenüber steht die Tatsache, dass sich der Täter eines vermeidbaren Irrtums über die materielle Rechtswidrigkeit – bzgl. der fehlenden Unrechtseinsicht – nicht von jenem unterscheidet, für den dieser Irrtum unvermeidbar war.63 Der Unterschied besteht insofern „nur“ in der rechtlichen Bewertung.64 Für einen Hintermann mit überlegenem Wissen ist der Irrende in beiden Fällen steuer- bzw. beherrschbar, sodass eine 58 In Klausuren – und Lehrbüchern – liest man oft noch Ausführungen zu streng subjektiven und formal objektiven Theorien. Das sollte vermieden werden, da diese Auffassungen heute nicht mehr vertreten werden und auf Grundlage des geltenden Rechts auch nicht mehr vertretbar sind (im Einzelnen Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 7. Auflage (2012), § 20, Rn. 21 ff.). 59 Im Einzelnen Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Auflage (2006), § 6. 60 Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 43. Auflage (2013), Rn. 535. 61 Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2. Auflage (2013), § 27 Rn. 20. 62 Krey/Esser, Deutsches Strafrecht Allgemeiner Teil, 4. Auflage (2011),, Rn. 927 ff.; Stratenwerth/ Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Auflage (2012), § 12 Rn. 53 ff. 63 Herzberg, Täterschaft und Teilnahme (1977), Rn. 22 f. 64 Der unvermeidbare Verbotsirrtum führt zu fehlendem Unrechtsbewusstsein und damit fehlender Strafwürdigkeit. Der vermeidbare Verbotsirrtum führt auch zu fehlendem Unrechtsbewusstsein, wirkt sich aber auf die Strafwürdigkeit kaum aus (§ 17 S. 2 StGB).

Iurratio 4 / 2016

FALLBEARBEITUNG

unterschiedliche rechtliche Bewertung aus dieser Sicht nicht gerechtfertigt erscheint (sog. „eingeschränkte Verantwortungstheorie“).65 2. Täterschaft als Ergebnis einer wertenden Gesamtbetrachtung

Schließlich ist es denkbar, mit der Rechtsprechung auf den Täterwillen (animus auctoris) abzustellen, welcher sich aus einer wertenden Gesamtbetrachtung von Umfang der Tatbeteiligung, Eigeninteresse am Taterfolg und der Tatherrschaft bzw. dem Willen hierzu ergeben soll (sog. „Normative Kombinationstheorie“).66 Mit Blick auf die Tatherrschaft stellt sich dieselbe Frage wie oben. Ein erhebliches Eigeninteresse am Taterfolg kann indes mit Blick auf die Art der Tatausführung unterstellt werden. Der Umfang der Tatbeteiligung hängt somit von Art und Tragweite des Irrtums und der Intensität der Einwirkung des Hintermannes ab.67 Mittelbarer Täter ist dann derjenige, der mit Hilfe des von ihm bewusst hervorgerufenen Irrtums das Geschehen gewollt auslöst und steuert, so dass der Irrende bei wertender Betrachtung als ein – wenn auch (noch) schuldhaft handelndes – Werkzeug anzusehen ist.68 Überträgt man diese wertende Betrachtung auf den Fall, so wird man festhalten müssen, dass T den Irrtum bei J auslöste und so das Geschehen „planvoll lenkend in den Händen hielt“. Versteht man die hinter dem Konstrukt der mittelbaren Täterschaft stehende Idee daher nicht als Abgrenzung von Verantwortungsbereichen, sondern als „offenes Wertungsproblem“, kann das äußere Tatgeschehen durchaus als Begehung der Tat „durch einen anderen“ gewertet werden.69

II. Subjektiver Tatbestand 1. Vorsatz

In subjektiver Hinsicht muss T die Tötung der K gewollt und dabei alle Umstände gekannt haben, welche die Strafbarkeit eines Mordes in mittelbarer Täterschaft begründen (s.o.). Er wollte die K aufgrund eines gekränkten Selbstwertgefühls tot wissen. Davon, dass T um die Effektivität seines Handelns in Bezug auf J wusste, ist weiterhin auszugehen. Da T von der heimtückischen Begehungsweise des J keinerlei Kenntnis hatte und dies auch nicht wissen konnte, fehlt es ihm allerdings am Vorsatz bzgl. dieses Merkmals. T handelte mithin „nur“ vorsätzlich in Bezug auf die Tötung selbst. 2. (Subjektive) Qualifikationsmerkmale

Darüber hinaus könnte in seiner Person das Merkmal des Handelns aus niedrigen Beweggründen erfüllt sein. Ein gekränktes Ego bzw. Eifersucht sind im Grundsatz nachvollziehbare Motive, allerdings haben Sie beim T ein derart übersteigertes Maß erreicht, dass es menschlich nicht mehr nachvollziehbar ist, aus solch einer Motivation heraus zu handeln.74 T handelte aus niedrigen Beweggründen. 3. Zwischenergebnis

Der subjektive Tatbestand ist erfüllt. III. Rechtswidrigkeit und Schuld

3. Streitentscheid

Es stellt sich mithin die Frage, ob die Argumente der „strengen Verantwortungstheorie“ durchgreifen. Ihr ist im Grundsatz zuzugeben, dass es prima facie einleuchtet, einen freien Willen nicht beherrschen zu können (s.o.).70 Das – formal zutreffende – Argument der Bestrafung wegen vorsätzlicher Tatbegehung greift jedoch insofern zu kurz, als dass es verkennt, dass sich der Hintermann gerade durch seine Täuschung über den Willen des Vordermannes hinwegsetzt.71 Hier gilt nämlich zu bedenken, dass der Strafgrund in Fällen vermeidbarer Irrtümer (§§ 16 Abs. 1 2, 17 S. 1 aE. StGB) die Verantwortlichkeit des Täters für seinen eigenen Kenntnismangel ist (Obliegenheitsverletzung). Hier ist aber nicht der Täter, sondern ein Hintermann für jenen Kenntnismangel verantwortlich, sodass sich die „Unfreiheit“ des Handelns des Vordermannes gerade aus seinem Verhältnis zum Hintermann ergibt.72 Ob letzterer hier mittelbarer Täter ist, bestimmt sich mithin allein danach ob er für den Verbotsirrtum des Vordermannes verantwortlich ist.73 Wie gezeigt, ist das bei T und W der Fall (s.o.). 4. Zwischenergebnis

T kann die Tötungshandlung des J mithin nach § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB zugerechnet werden. Die Zurechnung erstreckt sich auch auf die heimtückische Begehungsweise.

65 Ingelfinger, Anstiftervorsatz und Tatbestimmtheit (1992), S. 176; Roxin, in: FS-Lange (1976), S. 173 (178 ff.); Gropp, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Auflage (2005), § 10 Rn. 70, 73; 66 BGH NStZ 1985, 165; 1995, 285; BGH NStZ-RR 2001, 148. Weiterführend Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 22 ff. 67 BGHSt 32, 38 (42); BGH NJW 1989, 912 (914) – „Katzenkönig“. 68 BGH NJW 1989, 912 (914) – „Katzenkönig“. 69 So BGH NJW 1989, 912 (913 f.) – „Katzenkönig“ unter Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber bewusst auf eine Festlegung näherer Kriterien für das Merkmal „Begehung durch einen anderen“ verzichtet hat (BT-Drs. IV/650, S. 149; V/4095, S. 12). 70 Vgl. auch Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2. Auflage (2013), Kap. 27 Rn. 2 71 Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2. Auflage (2013), Kap. 27 Rn. 3 72 Mañalich, in: FS-Puppe (2011), S. 709 (721 f.). 73 Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil, Teilband 2, 8. Auflage (2014), § 48 Rn. 39.

Iurratio 4 / 2016

T handelte rechtswidrig und schuldhaft IV. Zwischenergebnis

T ist wegen Mordes in mittelbarer Täterschaft an K aus niedrigen Beweggründen strafbar. C. Ergebnis im Tatkomplex 2

J ist strafbar nach §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 1, 2 Var. 4, 5 StGB und T nach §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 1, 2 Var. 5, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB. In beiden Fällen ist notwendig auch eine gefährliche Körperverletzung verwirklicht, deren Unrecht als notwendiges Durchgangsstadium aber in der Strafbarkeit wegen Mordes gänzlich aufgeht. Sie tritt daher hinter diese Delikte zurück (Konsumption). 3. Tatkomplex: Der penetrante Pascal A. Strafbarkeit der S nach §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 1, 2 Var. 5 StGB

S könnte sich wegen Mordes nach §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 1, 2 Var. 5 StGB strafbar gemacht haben, indem sie dem P eine tödliche Dosis Kaliumcyanid verabreichte. I. Objektiver Tatbestand

P kam durch das Handeln der S zu Tode. Zum Zeitpunkt der Tötungshandlung versah er sich keines Angriffes auf sein Leben und hatte dementsprechend keine Abwehrmaßnahmen getroffen. Er war daher sowohl arg- als auch wehrlos, was S ausnutzte, um die Gegenwehr bei der Tötung zu minimieren bzw. auszuschließen. Der objektive Tatbestand eines heimtückischen Mordes ist demnach erfüllt. II. Subjektiver Tatbestand

S war sich bewusst, worum es sich bei der Substanz in der Flasche handelte und dass ein Verabreichen derselben für P tödliche Folgen hätte. Genau das war das Ziel ihres Handelns. Darüber hinaus wusste sie um die Arg- und Wehrlosigkeit ihres Opfers, weswegen sie nicht nur Vor74 Zur Eifersucht als niedriger Beweggrund siehe Altvater, NStZ 2002, 20 (23) mwN.

115

FALLBEARBEITUNG

satz bezüglich der Tötung, sondern auch bezüglich der heimtückischen Begehungsweise hatte. III. Rechtswidrigkeit und Schuld

S handelte rechtswidrig und schuldhaft. IV. Zwischenergebnis

S hat sich wegen heimtückischen Mordes an P strafbar gemacht. B. Strafbarkeit des T nach §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 1, 2 Var. 5, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB

T könnte sich wegen Mordes in mittelbarer Täterschaft nach §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 1, 2 Var. 5, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er die S anwies dem P eine tödliche Dosis Kaliumcyanid zu verabreichen. I. Objektiver Tatbestand

T hat den P nicht getötet, es kommt also allenfalls eine Zurechnung des Handelns der S nach § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB in Frage. Voraussetzung dafür ist eine Tatherrschaft seinerseits („Tatherrschaftslehre“) bzw. sein aus den Umständen zu ermittelnder Täterwille („Normative Kombinationstheorie“). 1. Mittelbare Täterschaft des T

Hier wurde das Geschehen zwar von T in Gang gesetzt, ein überlegenes Wissen gegenüber der S hatte er aber nicht. Man kann insofern nicht von einer „Wissensherrschaft“ seinerseits und damit nicht von einer Tatherrschaft ausgehen. Allerdings ging T davon aus, die S kraft überlegenen Wissens zu beherrschen, sodass man versucht sein könnte, mit der Auffassung der Rechtsprechung einen Täterwillen und damit eine Täterschaft zu unterstellen. Der „Täterwille“ nach der „Normativen Kombinationstheorie“ ist allerdings ein theoretisches Konstrukt, das durch Wertung der Umstände „ermittelt“ wird, und keineswegs mit dem tatsächlichen Willen des Hintermannes gleichzusetzen ist. Im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung, kommt es sodann entscheidend darauf an, inwiefern der Hintermann den Vordermann zu steuern in der Lage ist. Da die S hier aber keinerlei Willensmängel aufwies und ihr tatbestandsmäßiges Handeln auch sonst in keiner Weise von T beeinflusst wurde, scheidet eine Täterschaft auch unter diesem Gesichtspunkt aus. Da S mithin frei und vollverantwortlich handelte, stellt sich jedoch die Frage, wie sich der Irrtum des T auf die weitere Prüfung auswirkt. Sein (subjektives) Ziel war es, das Handeln der S kraft überlegenen Wissens zu beherrschen (Täterschaft). Objektiv tat er jedoch nicht viel mehr, als sie durch das Wecken des Tatenschlusses zu einer eigenen Tat zu bestimmen (Teilnahme; § 26 StGB).

Werkzeug.76 b) Alternativ kann man an ein Fahrlässigkeitsdelikt denken. Um dies begründen zu können, muss man im vorsätzlichen Handeln des vermeintlichen mittelbaren Täters zugleich die Verletzung einer Sorgfaltspflicht sehen, welche in den Tod des Opfers einmündet. Eigenverantwortlich – und damit zurechnungsausschließend – soll das Handeln des Vordermannes deswegen nicht sein, weil dieser ja gerade vom Hintermann eingesetzt wurde.77 c) Lehnt man beide Auffassungen ab, so kommt allein die Anstiftung des vermeintlichen Werkzeuges zu einer eigenen Tat in Betracht. d) Die erstgenannte Auffassung verkennt indes, dass der Hintermann nicht selbst den Tatbestand verwirklicht, sondern durch sein Handeln lediglich den Zurechnungsgrund für das Verhalten des Vordermannes schafft. Der auf den Versuch des Einzeltäters zugeschnittene § 22 StGB muss daher für den Fall der mittelbaren Täterschaft derart modifiziert werden, dass das Verhalten des Vordermannes so weit gediehen ist, dass es – dem Hintermann zugerechnet – als Versuch zu werten ist. Das ist beim bloßen Einwirken noch nicht der Fall, wohl aber, wenn das Werkzeug dazu ansetzt, die für die Tatbestandserfüllung relevante Handlung vorzunehmen.78 Zu diesem Zeitpunkt waren hier die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft aber nicht (mehr) erfüllt. Die Fahrlässigkeitskonstruktion erscheint indes widersprüchlich: Zunächst wird das eigenverantwortliche Handeln des Vordermannes festgestellt, um dann in einem zweiten Schritt zu behaupten, dass die Verantwortung für sein Handeln beim Hintermann liegt. Diese Argumentation mag in Fällen vermeidbarer Irrtümer tragen, da die Vermeidbarkeit des Irrtums auf die Beherrschbarkeit des Irrenden nur einen geringen Einfluss hat (s.o.). In Fällen, in denen sich der Einfluss des Hintermannes aber auf das Ingangsetzen eines Geschehensablaufes beschränkt, in dessen weiteren Verlauf ein Dritter frei von Willensmängeln handelt, ist schwerlich eine Pflichtverletzung im Hinblick auf das vom Vordermann beeinträchtigte Recht zu erkennen. Denn eine Pflicht, die Tat der S zu verhindern, träfe den T hier nur, wenn er von ihrem Plan wüsste (vgl. § 138 StGB). Seine eigene Tat – für die er das Geschehen hält – muss er gerade nicht zur Anzeige bringen (nemo tenetur se ipsum accusare).79 Zu folgen ist damit der dritten Auffassung, welche objektiv von einer Anstiftung ausgeht. II. Zwischenergebnis

T hat sich nicht wegen Mordes in mittelbarer Täterschaft an P strafbar gemacht. C. Strafbarkeit des T nach §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 1, 2 Var. 5, 26 StGB

T könnte sich wegen Anstiftung zum Mord nach §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 1, 2 Var. 5, 26 StGB strafbar gemacht haben, indem er die S anwies, dem P eine tödliche Dosis Kaliumcyanid zu verabreichen.

2. Folgen der vorgestellten Täterschaft

I. Objektiver Tatbestand

a) Zunächst lässt sich darüber nachdenken, das Geschehen als einen Mordversuch in mittelbarer Täterschaft zu würdigen. In Bezug auf den Versuch ist das – jedenfalls konstruktiv – deshalb möglich, weil der Versuch notwendiges Durchgangsstadium einer jeden Vollendung ist.75 Durch diese Erwägung kann allerdings das Vorliegen der Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft nicht dispensiert werden. Diese müssen indes nur bis zum Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens (§ 22 StGB) vorliegen. Geht man hier mit der sog. „Einwirkungstheorie“ davon aus, dass dies bereits mit dem ersten Einwirken auf das Opfer geschieht, wäre der Voraussetzung genüge getan. Denn bis zum Aushändigen der Gift-Flasche war S vorsatzlos und mithin taugliches

Hierzu muss der die S zu einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat bestimmt haben.

75 Vgl. Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 43. Auflage (2013), Rn. 590.

116

1. Haupttat

Als Haupttat kommt der heimtückische Mord der S an P in Betracht. Diesen beging sie sowohl vorsätzlich als auch rechtswidrig. 76 So vertreten von Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters (1975), S. 112 ff.; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Auflage (2003), § 29 Rn. 155. 77 Küper, FS-Roxin (2011), S. 895 (914 f.). 78 Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. 2, § 48 Rn. 137 f.; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 7. Auflage (2012), § 20 Rn. 91; Zaczyk, in: Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen, Strafgesetzbuch, 4. Auflage (2013), § 22 Rn. 31. 79 Zum nemo-tenetur-Grundsatz vgl. Sebastian, Die Strafprozessordnung im Lichte verfahrensbeendender Verständigung (2014), S. 22 f.

Iurratio 4 / 2016

FALLBEARBEITUNG

2. Bestimmen

Unter Bestimmen iSd. § 26 StGB versteht man das Hervorrufen des Tatentschlusses beim Angestifteten durch das Auffordern zur Tat.80 Hier sind keine Anzeichen dafür ersichtlich, dass S bereits fest zur Tat entschlossen war (sog. „omnimodo facturus“). Sie erkannte vielmehr die Möglichkeit, welche Ihr der T durch die Flasche Kaliumzyanid eröffnete und beschloss sodann P zu töten. T hat somit den Tatentschluss der S geweckt. Er hat sie zu deren Tat bestimmt. 3. Zwischenergebnis

Der objektive Tatbestand ist erfüllt. II. Subjektiver Tatbestand

In subjektiver Hinsicht muss T mit sog. „doppeltem Anstiftervorsatz“ gehandelt haben. Hierunter versteht man den Willen, dass das Opfer zur Haupttat wenigstens unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB) in gleichzeitigem Bewusstsein, dass das eigene Handeln den Willen des Opfers zur Tatbegehung hervorruft.81

enthalten ist.82 Grundlage dieses argumentum a maiore ad minus soll die Überlegung sein, dass die täterschaftliche Begehung einer Straftat größeres Unrecht ist, als die Teilnahme an einer solchen Begehung. Jedenfalls für die Beihilfe mag das mit Blick auf die obligatorische Strafmilderung auch zutreffen (§ 27 Abs. 2 StGB). Eine solche Argumentation greift im Hinblick auf den klaren Wortlaut der Normen allerdings zu kurz. Während nämlich in § 25 Abs. 2 StGB davon die Rede ist, dass mehrere Personen eine („die“) Tat begehen, setzen §§ 26 f. StGB jeweils die Tat eines anderen voraus („[…] anderen zu dessen […] Tat“). Mit Blick auf die innere Tatseite will der Täter iSd. § 25 StGB eine eigene Tat selbst, durch oder mit einem „anderen“ begehen, während der Anstifter und der Gehilfe die fremde Tat „eines anderen“ fördern bzw. auslösen wollen. Da eine Tat allerdings nicht gleichzeitig eigene und fremde sein kann, schließen sich Täter- und Anstiftervorsatz begriffslogisch aus.83 T handelte unvorsätzlich. 2. Zwischenergebnis

Der subjektive Tatbestand ist nicht erfüllt.

1. Vorsatz bzgl. der Haupttat

III. Zwischenergebnis

T wollte zwar, dass P von S getötet wird, allerdings ging er davon aus, das S diesbezüglich unvorsätzlich handelt. Wäre das der Fall gewesen, hätte er die vorsatzlos handelnde S kraft überlegenen Wissens beherrscht. Die Umstände, die sich T vorstellte begründen mithin eine (mittelbare) Täterschaft. Es erscheint allerdings denkbar, dass der Wille Teilnehmer zu ein (animus socii) im Täterwillen (animus auctoris) gleichsam als „Minus“

T hat sich nicht wegen Anstiftung zum Mord an P strafbar gemacht.

80 Die Anforderungen sind im Einzelnen zwar umstritten, bei einer dienstlichen Weisung ist eine Darstellung des Streitstandes indes entbehrlich (vgl. insofern Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Auflage (2014), § 26 Rn. 2 f. mwN.). 81 Vgl. Hinderer, JuS 2011, 1072 (1074); dabei ist die Formulierung „doppelter Vorsatz“ irreführend, denn Vorsatz umfasst ohnehin Kenntnis aller (!) Tatumstände (vgl. § 16 StGB).

WISSEN KOMPAKT

Iurratio 4 / 2016

D. Ergebnis im Tatkomplex 3

S hat sich wegen heimtückischen Mordes an P strafbar gemacht. Daneben liegt auch eine vollendete gefährliche Körperverletzung vor, die jedoch auf Konkurrenzebene hinter das schwerere Delikt zurücktritt. T ist straflos.

82 Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 7. Auflage (2012), § 20 Rn. 87; Kretschmer, Jura 2003, 535 (537). 83 So mit Recht Küper, in: FS-Roxin (2011), S. 895 (911); Norouzi, JuS 2007, 146 (152) und Herzberg, JuS 1974, 574 (575).

117

RECHTSPRECHUNG

„Gerücht ist der Klage Anfang“ – Verdachtsberichterstattung BGH, Urteil vom 16.02.2016 – VI ZR 367/15 Redaktion: Caroline Dressel Sachverhalt

Der Kläger ist ein bekannter Fußballprofi, gegen den im Januar 2012 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen eingeleitet wurde. Das Verfahren wurde im April 2012 gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Die Beklagte hatte während dieses Zeitraums fünf Artikel unter namentlicher Nennung und mit Bild des Klägers in ihrem Onlineportal über das Ermittlungsverfahren veröffentlicht, die weiterhin im Onlinearchiv abrufbar waren. Drei Artikel befassten sich mit dem Ermittlungsverfahren, zwei berichteten über die Einstellung. Die Beklagte hat in den Fußzeilen der drei Artikel den Hinweis eingefügt, es handele sich um eine Archivberichterstattung und das Verfahren sei eingestellt. Der Kläger verlangt Unterlassung der Bereitstellung der Artikel im Onlinearchiv der Beklagten. Einführung

Der BGH befasst sich in dieser Entscheidung ausführlich mit der Abwägung zwischen den Interessen des Betroffenen und den Interessen der Medien an einer freien und umfangreichen Berichterstattung. Im Hinblick auf die technische Entwicklung und die rasante Verbreitung von Informationen durch neue Medien kommt einer solchen Abwägung immer mehr Bedeutung und damit auch Examensrelevanz zu. Entscheidung

Der BGH verweist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück. Nachdem das LG dem Kläger in erster Instanz vollumfänglich Recht gab, hat das OLG die Klage vollumfänglich abgewiesen. Der BGH führt in seiner Entscheidung aus, dass die Berichterstattung über ein derart von der Gesellschaft missbilligtem Verhalten in das Persönlichkeitsrecht des Klägers eingreife. Zu diesem Ergebnis kamen auch die beiden Vorinstanzen. Das Berufungsgericht hatte dann bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Interessen die Verdachtsberichterstattung der Beklagten als zulässig angesehen und deren Interessen damit als überwiegend. Dem folgt der BGH nicht. Die weitere Bereithaltung der Artikel im Onlinearchiv kann nur dann zulässig sein, wenn die Verdachtsberichterstattung im ursprünglichen Zeitpunkt zulässig war. Um über einen Verdacht in zulässiger Weise zu berichten, müssen die Medien zuvor umfangreiche Recherchen vornehmen. Die Medien dürfen sich hier zwar auf die Auskünfte von öffentlichen Behörden in gewisser Weise verlassen, müssen aber dennoch ausreichend sicherstellen, dass genug Beweise für einen Verdacht vorliegen. Die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens reicht hierfür nicht aus. Außerdem ist zu berücksichtigen, ob eine Einstellung des Verfahrens nach § 153a oder § 170 Abs. 2 StPO erfolgt ist. Hinsichtlich der Bildberichterstattung legt der BGH das abgestufte Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG dar und stellt fest, dass im Rahmen der Prüfung des § 23 Abs. 2 KUG für die Abwägung die oben gemachten Ausführungen ebenfalls entscheidend sind. Das Berufungsgericht muss insofern prüfen, ob zum Zeitpunkt der erstmaligen Veröffentlichung ausreichend Beweise vorlagen, die den Tatvorwurf stützen.

118

Merke

Eine Interessenabwägung zwischen Persönlichkeitsrechten von (oftmals) Prominenten und dem Öffentlichkeitsinteresse der Allgemeinheit bzw. der Meinungs- und Pressefreiheit wird in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen. Die Rechtsprechung neigt bisher dazu, die Persönlichkeitsrechte zu stärken und im Rahmen der Abwägung diesen ein hohes Gewicht beizumessen.

Verbot des Zuschaltens Erdogans zur Solidaritätsdemonstration in Köln OVG Nordrhein-Westfalen · Beschluss vom 29. Juli 2016 · Az. 15 B 876/16 Redaktion: Jakob Leßner Sachverhalt:

Nach dem Putschversuch in der Türkei meldete ein deutscher Staatsangehöriger eine Kundgebung in Köln an, um der türkischen Regierung und im Speziellen dem türkischen Präsidenten Erdogan Solidarität zu signalisieren. Es wurde mit 30.000 – 40.000 Besuchern gerechnet. Bei der Kundgebung sollten über eine große Leinwand einerseits die anwesenden Redner vergrößert dargestellt und andererseits Erdogan selber in einer Liveschaltung aus der Türkei zugeschaltet werden. In einem Auflagenbescheid verbot das Polizeipräsidium Köln mit Verweis auf § 15 Abs. 1 VersG die Verwendung der Leinwand. Begründet wurde dieser mit der Gefahr, dass aufgrund der Zusammensetzung der Versammlung, insbesondere bei der Übertragung einer Liveschaltung des türkischen Präsidenten, es zu einer besonderen Emotionalisierung der Teilnehmer und in der Folge zu Aggressionen aus der Versammlung komme. Hiergegen wehrte sich der Veranstalter und erbat vor dem VG Köln per einstweiligen Rechtsschutz die Zulassung der Leinwand. Das VG Köln stellte daraufhin die aufschiebende Wirkung des Bescheids hinsichtlich des Aufstellens der Leinwand, soweit durch diese lediglich die vor Ort anwesenden Redner vergrößert würden, wieder her, beließ es jedoch bei dem Verbot der Liveschaltung. Gegen diese Entscheidung legte der Veranstalter Rechtsmittel ein. Einführung:

Art. 8 GG gibt allen Deutschen das Recht sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann das Versammlungsrecht nur in engen Grenzen durch andere Gesetze beschränkt werden. Entscheidung:

Das OVG bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Der Veranstalter werde durch das Verbot nicht in eigenen Rechten verletzt. Weder die Versammlungsfreiheit noch andere Grundrechte wie die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG oder die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 verliehen von ihrem Schutzbereich her einen Anspruch, einem ausländischen Staatsoberhaupt oder Regierungsmitglied die Gelegenheit zu geben in dieser Funktion im Rahmen einer öffentlichen Versammlung zu politischen Themen zu sprechen. Zwar gewährleiste die Versammlungsfreiheit nicht nur die Freiheit an öffentlichen Versammlungen teilzunehmen oder diesen fernzubleiben, sondern eben auch die Entscheidung über den Ort, den Zeitpunkt, die Art und den Inhalt derselben. Hierzu gehöre auch die

Iurratio 4 / 2016

RECHTSPRECHUNG

Festlegung der Redner. Ein Redeverbot etwa beeinträchtige daher grundsätzlich die Versammlungsfreiheit. Das Grundrecht sei jedoch als Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat konzipiert. Das vorliegend verfolgte Anliegen einem ausländischen Staatsoberhaupt in dieser Funktion ein Forum für politische Äußerungen sei insofern nicht vom Schutzzweck des Grundrechts umfasst. Zudem sei das Staatsoberhaupt nicht grundrechtsberechtigt. Letztendlich sei auch im Verhältnis zum Antragsteller ausschlaggebend, dass die Möglichkeit ausländischer Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder zur Abgabe politischer Stellungnahmen im Bundesgebiet nicht grundrechtlich fundiert sei. Diese Frage betreffe vielmehr die auswärtigen Beziehungen Deutschlands, die auf zwischenstaatlicher Ebene zu vollziehen seien und Gegenstand der Gestaltung der Außenpolitik seien. Es sei deshalb allein Sache des Bundes über derartige Fragen zu entscheiden und nicht des Veranstalters einer ansonsten geschützten Versammlung. Fazit:

Die Entscheidung wurde durch das Bundesverfassungsgericht mit kurzem Verweis auf eine nicht ausreichende Vollmacht der Prozessvertreter des Klägers und offensichtlicher Aussichtslosigkeit in der Hauptsache bestätigt.1 Die Entscheidung ist deshalb interessant, weil das Gericht die hohen

Hürden des § 15 Abs. 1 VersG dadurch umgeht, dass es bereits den Schutzzweck als nicht betroffen ansieht. Dieses Vorgehen ruft auch Kritik hervor.2 So sei die Entscheidung schon dogmatisch nicht nachzuvollziehen. Zur Beschränkung einer Versammlung nach § 1 VersG bedürfe es einer Rechtsgrundlage. Diese wird zwar in der Verfügung des Polizeipräsidiums noch thematisiert, jedoch in den Gerichtsentscheidungen dahingehend umgedreht, dass nunmehr die Befugnis des Veranstalters geprüft wird. Auch die Ausführung des Gerichts, die Entscheidung, ob ein ausländisches Regierungsmitglied in dieser Funktion in Deutschland auftreten dürfe, obliege allein der Bundesregierung, wird in Frage gestellt. So müsse hier die Parallele zur Ausstrahlung eines Interviews durch einen Privatsender im Fernsehen gesehen werden. Diese sei offensichtlich auch ohne Zustimmung möglich. Fraglich erscheint bei der gerichtlichen Begründung in jedem Fall die Zuständigkeit des Polizeipräsidiums Köln, wenn die Entscheidung allein Sache des Bundes sei. Zudem ist zumindest der Bescheid widersprüchlich, da es dem türkischen Sportminister erlaubt war, auf der Versammlung ein Grußwort Erdogans zu verlesen. Die Entscheidung ist folglich auf mehreren Ebenen angreifbar und der Fall lässt mit entsprechender Argumentation zahlreiche Lösungsmöglichkeiten zu. 2

1

BVerfG, Beschluss vom 30.07.2016, Az. 1 BvQ 29/16

Schaks, Nils: Erdogan in Köln: Zumutungen des Versammlungsrechts, VerfBlog, 2016/8/03, http://verfassungsblog.de/erdogan-in-koeln-zumutungen-des-versammlungsrechts/ , mit weiterer Verlinkung

Ausbildungsrelevante Entscheidungen Gericht

Art der Datum Entscheidung

EuGH

Urteil

BVerfG

Aktenzeichen

Themenstichworte

Rechtsgebiet

04.05.2016

C-358/14, C-477/14 und C-547/14

EU-Tabakrichtlinie, die den Zusatz von Menthol verbietet sowie die verpflichtenden Warnhinweise und den Umgang mit E-Zigaretten regelt ist rechtmäßig

Öffentliches Recht

Beschluss

29.06.2016

1 BvR 1015/15 "Bestellerprinzip" bei Maklerprovisionen ist verfassungsgemäß - Einschränkung der Berufsfreiheit von Maklern ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt

Öffentliches Recht

EuGH

Urteil

05.04.2016

C-404/15 und C-659/15

Bei drohender unmenschlicher und erniedrigender Behandlung in den ausstellenden Mitgliedsstaaten muss Vollstreckung des europäischen Haftbefehls aufgeschoben werden

Strafrecht

OLG Hamm

Urteil

12.05.2016

1 RVs 18/16

Einfache Urteilsabschrift ist keine Urkunde im strafrechtlichen Sinn Fälschung der Abschrift ist somit keine Urkundenfälschung

Strafrecht

OLG Stuttgart

Beschluss

04.05.2016

4 Ss 543/15

Zur Verfolgung schwerwiegender Verkehrsverstöße können "Dashcam"-Aufnahmen herangezogen werden

Strafrecht

BVerfG

Beschluss

17.05.2016

1 BvR 257/14, "Kollektivbeleidigung" setzt überschaubare und abgrenzbare 1 BvR 2150/14 Personengruppe voraus - Zeigen eines Aufdrucks im öffentlichen Raum reicht nicht aus

Strafrecht

BGH

Urteil

10.02.2016

VIII ZR 33/15

Steht eine zu einer Wohnanlage gehörende Garten- oder Parkanlage zur Nutzung für jedermann offen, können die Kosten für die Pflege der Anlagen nicht auf die Mieter umgelegt werden

Zivilrecht

BGH

Urteil

19.02.2016

XI ZR 96/15

Bearbeitungsgebühr von 4% statt Vorfälligkeitsentschädigung bei vorzeitiger Rückzahlung eines Verbraucherkredits nicht rechtmäßig

Zivilrecht

BVerfG

Urteil

19.04.2016

1 BvR 3309/13 Gibt es einen rechtlichen Vater, besteht aufgrund des Grundgesetzes kein Anspruch auf rechtsfolgenlose Klärung der Abstammung gegenüber einem vermeintlichen leiblichen Vater

Zivilrecht

BGH

Urteil

21.04.2016

I ZR 198/13

Zivilrecht

Iurratio 4 / 2016

VG Wort ist nicht berechtigt pauschal 50 % ihrer Einnahmen an Verlage auszuschütten - gesetzlicher Vergütungsanspruch steht originär den Rechteinhabern zu

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RECHTSPRECHUNG

Gericht

Art der Datum Entscheidung

Aktenzeichen

Themenstichworte

Rechtsgebiet

OLG Hamm

Urteil

26.04.2016

26 U 116/14

Arzt darf auch auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten keine Behandlung entgegen des medizinischen Standards vornehmen

Zivilrecht

BGH

Urteil

04.05.2016

XII ZR 62/15

Berufsbedingter Wohnortwechsel berechtigt nicht zur außerordentlichen Kündigung eines Fitnessstudio-Vertrags

Zivilrecht

BAG

Urteil

10.05.2016

9 AZR 347/15

Kein Anspruch auf rauchfreien Arbeitsplatz für Croupier - Arbeitgeber muss aber Maßnahmen zur Begrenzung der Belastung treffen

Zivilrecht

BGH

Urteil

10.05.2016

VI ZR 247/15

Grundsatz der Umkehr der Beweislast bezüglich der Kausalität eines groben Behandlunsgfehlers für einen Schaden aus der Humanmedizin gilt auch in der Tiermedizin

Zivilrecht

BAG

Urteil

10.05.2016

9 AZR 145/15

Fax oder E-Mail genügt nicht dem Schriftformerfordernis zur Beantragung der Elternzeit

Zivilrecht

BGH

Urteil

12.05.2016

I ZR 86/15

Keine Pflicht des Anschlussinhabers zur anlasslosen Belehrung hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Einstellung geschützter Werke in Internet-Tauschbörsen gegenüber Volljährigen

Zivilrecht

BGH

Urteil

12.05.2016

I ZR 272/14, I ZR 1/15 und I ZR 44/15

Streitwert für Abmahnungen bei Filesharing-Fällen kann nicht pauschal auf Grundlage des Lizensschadens ermittelt werden - es ist das Interesse an der Unterbindung im Einzelfalls zu ermitteln, wobei Alter und Popularität des Werkes sowie Dauer und Intensität der Beeinträchtigung zu beachten sind

Zivilrecht

BGH

Urteil

12.05.2016

III ZR 279/15

Preise in Pflegeheimen dürfen nicht einseitig durch die Betreiber ohne Zustimmung der Bewohner angehoben werden

Zivilrecht

BAG

Urteil

25.05.2016

5 AZR 135/16

Gewährte Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld können mit angerechnet werden, um den gesetzlichen Mindestlohn zu erreichen

Zivilrecht

BverfG

Urteil

31.05.2016

1 BvR 1585/13 Die Verwendung einer Klangfolge als "Sample" kann einen Eingriff in Urheber- und Leistungsschutzrechte rechtfertigen

Zivilrecht

BGH

Urteil

07.06.2016

KZR 6/15

Deutsche Gerichte für Schadensersatzklage von Caudia Pechstein wegen Dopingsperre nicht zuständig - mit Wettkampfmeldung unterschriebener Verzicht auf ordentlichen Rechtsweg ist wirksam

Zivilrecht

OLG Frankfurt

Urteil

09.06.2016

6 U 73/15

Verbot der Vermittlungen von Fahrten mit Fahrern ohne Genehmigung gemäß des Personenbeförderungsgesetztes durch UberPOP bleibt bestehen

Zivilrecht

BAG

Urteil

14.06.2016

9 AZR 191/15

Arbeitgeber muss die Reinigungskosten für Hygienekleidung in Schlachtbetrieb tragen

Zivilrecht

BGH

Urteil

15.06.2016

VIII ZR 134/15

Noch bestehende Herstellergarantie stellt Beschaffenheit eines Gebrauchtwagens dar - fehlt diese entgegen der Werbung rechtfertigt dies den Rücktritt vom Kaufvertrag

Zivilrecht

BAG

Urteil

29.06.2016

5 AZR 716/15

Gesetzlicher Mindestlohn gilt auch für Bereitschaftszeiten, die an einem vom Arbeitgeber vorgegeben Ort abgeleistet werden müssen

Zivilrecht

BGH

Urteil

07.07.2016

I ZR 30/15; I ZR 68/15

Per Telefon oder Mail abgeschlossene Maklerverträge können als Fernabsatzgeschäfte widerrufen werden. Geschieht dies, besteht auch bei erfolgtem Kauf aufgrund der Vermittlung kein Anspruch auf Provision

Zivilrecht

BGH

Urteil

12.07.2016

XI ZR 564/15

Belehrung über Beginn der Widerrufsfrist "frühestens mit Erhalt dieser Belehrung" informiert nicht hinreichend genau über den Beginn - Frist beginnt somit nicht mit der Belehrung

Zivilrecht

LG München I

Urteil

13.07.2016

37 O 15268/15

Vergleichsportale für Versicherungen müssen auf Maklertätigkeit hinweisen, wenn sie Provisionen erhalten

Zivilrecht

BGH

Urteil

13.07.2016

VIII ZR 296/15

Kündigung eines Wohnraummietvertrags auch aufgrund älterer Mietrückstände zulässig - § 314 Abs. 3 BGB ist aufgrund der abschließenden Regelungen im Mietrecht nicht anwendbar

Zivilrecht

BGH

Beschluss

14.01.2016

I ZR 98/15

Rechtsschutzversicherer darf Kostenübernahme für Anwaltsbeuftragung von der vorherigen Durchführung eines Mediationsverfahrens abhängig machen - kein Verstoß gegen freie Anwaltswahl

Zivilrecht

BGH

Beschluss

05.04.2016

VIII ZR 31/15

Grundsatz "Kauf bricht nicht Miete" gilt nur bei Besitz der Mietsache durch den Mieter

Zivilrecht

120

Iurratio 4 / 2016

– Perspektive – In der Wirtschaftskanzlei GRÜTER werden engagierte Rechtsanwälte (m/w) gesucht, die ihren Karriereweg mit einer klaren Perspektive starten oder fortsetzen möchten.

GRÜTER zählt zu den führenden Adressen für Wirtschaftsrecht in Deutschland. Zu unseren Mandanten gehören börsennotierte Konzerne und große mittelständische Familienunternehmen aus traditionsreichen Branchen ebenso wie Startups aus dynamischen Geschäftsfeldern wie Erneuerbare Energie, Informationstechnologie und Medien. Diese beraten wir in allen Fragen des Wirtschaftsrechts – regelmäßig auch mit internationalen Bezügen. Bei GRÜTER treffen Sie auf ein hohes Maß an Kompetenz und eine herausragende Unternehmenskultur. Davon werden Sie auf Ihrem Karriereweg profitieren. Und wir sind daran interessiert, dass Sie neue

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BERUFSSPECIAL LL.M. SPORTRECHT

Der Studiengang „LL.M. Sportrecht (Universität Bayreuth)“ Die Universität Bayreuth bietet mit ihrem Masterstudium eine Zusatzqualifikation für Juristen an, in der spezifische Kenntnisse über das Sportrecht erworben werden können. Über ihre Erfahrungen rund um den Studiengang berichten die Rechtsanwälte Klaus Woryna (KW) und Catarina Lauff (CL), die beide Teilnehmer des Studiengangs im ersten Jahrgang sind. Das Interview führte Stefan Tselegidis (ST).

KW: Ich bin ein RA aus München und habe seit 2000 eine eigene Kanzlei. Ich arbeite hauptsächlich im Strafrecht und im Familienrecht und bin aber auch seit Jahren für den Deutschen Schwimmverband tätig und auch für verschiedene andere Vereine. CL: Mein Name ist Catarina Lauff und auch ich bin als Rechtsanwältin mit einer mittelständigen Kanzlei in Wiesbaden seit

man so komprimiert nicht kriegt. CL: Und wo man sich vielleicht keine Gedanken dazu gemacht hat. KW: Genau. Es kommen auch neue Anregungen, wo im täglichen Beratungsprozess Gefahren lauern könnten. CL: Die Erwartungen sind erfüllt, weil Themengebiete angesprochen werden, die einem noch gar nicht so bewusst waren. Das Strafrecht ist bei mir z.B. kein tägliches Thema. Da bin ich auf viele Punkte gestoßen, die ich in der Praxis habe, weil ich ja auch

Klaus Woryna

Catarina Lauff

2003 tätig. Wir machen im Wesentlichen Wirtschaftsrecht mit angeschlossenem Notariat. Ich selbst habe hauptsächlich im Insolvenzrecht gearbeitet. Ich bin selber begeisterte Sportlerin und wir haben auch immer wieder Bezüge zum Sport, zu verschiedenen Vereinen. Das geht los beim Reitsportverein über Handball, bis hin zu Volleyball und dem Schwimmclub Wiesbaden, also sämtlichen Vereinen aus unserer Region.

durch den eigenen Bundesligaverein den Bezug habe, wo wir als Familie ganz aktiv sind und wo ich ganz oft hellhörig wurde und sagte, das musst du noch mal prüfen und durchdenken. KW: Man wird auf gewisse Gefahren sensibilisiert, ob das jetzt kartellrechtlich ist, wo man in der ersten Ausbildung keine richtigen Berührungspunkte hatte und das spielt doch eine wichtige Rolle, wo man jetzt Fallstricke und Zusammenhänge durchaus erkennt. CL: Ich hatte mich mit Prof. Heermann ja auch schon über das Thema meiner Masterarbeit unterhalten und er wies mich dann darauf hin, dass das aber mit Kartellrecht zu tun habe und dann meinte ich, das ist für mich aber nicht relevant, da ich mich mit Kartellrecht noch nicht viel beschäftigt hatte. Aber das ist genau die Herausforderung für mich, dass ich mich mit Themen auseinandersetze, von denen ich bisher noch keine oder wenig Ahnung habe. Das gilt auch für Themen, die auf mich zunächst einmal ein wenig abschreckend wirken, weil man sagt, was kommt denn da noch alles, an was muss ich denn alles denken? Aber das ist für mich auch das Positive, denn man beschäftigt sich damit. Wenn man diesen LL.M. nicht machen würde, würde man sich nicht hinsetzen und von sich aus die Thematik angucken. Vielleicht würde man sich einen Aufsatz mal anschauen, aber man würde sich nicht hinreißen lassen und dann doch so in die Tiefe gehen.

ST: Liebe Frau Lauff, lieber Herr Woryna. Vielleicht können Sie sich zu Beginn kurz vorstellen.

ST: Dann kommen wir zu unserer ersten Frage: Sind die Erwartungen an den LL.M. Sportrecht der Universität Bayreuth erfüllt oder sogar übertroffen worden?

KW: Ich finde die Gruppe richtig cool. Es macht Spaß. Es sind ganz unterschiedliche Leute. Alle sind sportbegeistert, machen selber Sport, haben dafür Interesse und man hat sich irgendwie ganz gut gefunden und man versteht sich richtig gut und das ist sehr angenehm. Wir sind natürlich alle hergefahren und haben gedacht, ach Gott, wer erwartet uns dort? Die typischen Juristen mit Anzug und Krawatte oder sonst wie spießig? Das ist es aber genau das Gegenteil. Das sind Leute mitten aus dem Leben, Praktiker, die einen vernünftigen Blick haben und die ein Interesse am Sport haben und das findet man ja relativ selten. Die Erwartungen an die Gruppe sind also vollkommen übertroffen worden. Inhaltlich ist es sehr interessant. Es finden verschiedenste Sachen statt. Man erhält Einblick in Rechtsgebiete, die

VI

Iurratio 4 / 2016

BERUFSSPECIAL LL.M. SPORTRECHT

KW: Genau, damit der Blick über den Tellerrand ein ganz anderer wird, und dass man in ganz anderen Kategorien denkt, in ganz andere Bereich übergeht. ST: Könnte es sein, dass Sie diesen Blick über den Tellerrand dazu nutzen, sich auch in andere Rechtsgebiete vorzuwagen in Ihrer Berufspraxis?

CL: Ja, also das möchte ich tatsächlich nicht ausschließen. KW: Ja, das zum einen. Zum anderen wird aber die Beratungstätigkeit komplexer und ich hoffe auch umfassender, weil man auf ganz neue Ideen kommt oder neue Gefahren, neue Risiken sieht und damit für zu beratende Klienten Fallstricke vermeiden kann. CL: Also bei mir ist es tatsächlich so. Es kommen jetzt schon die verschiedensten Anfragen und Angebote von vielen Seiten, weil ich ja wirklich in mehreren Sportvereinen aktiv bin, und zwar in Form von Aufträgen, Anfragen zur Vertragsgestaltung etc., Athletenverträge, Sportverträge. Wenn man damit auch mal ein bisschen hausieren geht, dass man das momentan betreibt, da ist ein großer Markt. Das sehe ich jetzt schon. KW: Das ist auch unsere Hoffnung, wenn Sie unsere Erwartungen wiedergeben möchten in Bezug nicht nur auf die retrospektiven Erfahrungen, sondern auch auf die prognostischen, dass durch den LL.M. auch ein gewisser Markt oder eine Kompetenz nach außen hin deutlich sichtbar gemacht wird. ST: Kommen wir aber zu unserer nächsten Frage: Inwieweit hilft Ihnen das Arbeiten in der Gruppe? Gibt es da Interaktion?

CL: Wir können uns gegenseitig insofern aufeinander verlassen, dass wenn einer irgendetwas findet, dass man sich da austauscht, dass man die anderen informiert. Das ist jetzt nicht so eine Ellenbogen-Taktik, dass man sagt, ich behalte das aber nur für mich. ST: Man hört das manchmal von den regulären juristischen Studiengängen, dass die Juristen nicht gut kooperieren.

KW: Das ist eben der Unterschied, weil es sich bei uns um Leute handelt, die aus dem Sport kommen. Da ist es eine andere Denkweise. Es gibt hier auch kein alt/jung, neu/erfahren oder sonst irgendetwas. Es hat keiner ein Problem zu sagen: Das verstehe ich nicht. Das sagt jeder mal an der ein oder anderen Stelle. Und irgendeiner weiß dann wieder ein bisschen etwas und dann kommt man schon zusammen. CL: Und daran merkt man ja auch, ob eine Gruppe funktioniert, weil man einfach auch mal sagen kann, können Sie mir das bitte noch einmal erklären. Man traut sich auch, diese Fragen zu stellen, ohne sich zurück zu ziehen und zu sagen: Die anderen wissen das und ich bin der einzige, der es nicht versteht? Im Zweifel ist es dann auch so, dass jemand aus der Gruppe sich meldet und es einem noch mal erklärt … KW: … oder dass ein anderer sagt: Danke, ich habe genau die gleiche Frage gehabt, du warst eben nur schneller. CL: Und immer mit ein bisschen Spaß dabei!

KW: Genau, da es vollkommen Neuland für uns ist. Und es war wirklich eine Einführung und wir haben es verstanden. Auch heute ist es sehr gut (Sportmarketing mit Prof. Germelmann/ Anm. Redaktion). Prof. Heermann ist auch sehr gut. Bitte nicht falsch verstehen, das sind dann Gebiete die uns vertrauter sind, wo wir etwas kritischer sind. Das schreiben wir dann auch in die Evaluierungsbögen rein. CL: Die Dozenten sind wirklich gut. Klar liegt einem mal der eine mehr als der andere. Das ist aber überall so. In Bezug auf die betriebswirtschaftlichen Inhalte ist es für mich persönlich eine Auffrischung, weil ich sowohl im Jurastudium BWL und VWL gehabt habe und ich immer wieder Berührungspunkte habe in Sachen Insolvenzen. Wir können aber immer Nachfragen stellen. Es geht ja auch darum, dass man erst einmal ein Gefühl bekommt, was dahinter steckt, um sich dann individuell mit einzelnen Sachverhalten auseinander zu setzen. KW: Ich glaube es ist ein allgemeiner Konsens, dass wir die Dozenten als engagiert und interessiert empfinden und vielleicht sind sie auch manchmal neugierig auf uns. ST: Jetzt zu unserer letzten Frage: Welche Möglichkeiten zum Netzwerken werden Ihnen geboten?

CL: Möglichkeiten zum Netzwerken mit den Teilnehmern des MBA Sportmanagement werden in den Pausen geboten, beim gemeinsamen Mittagessen zwischen den Unterrichtsstunden, an Veranstaltungen, bei Ausflügen und auch durch die Unterbringung im Hotel. Man trifft sich beim Frühstück oder auch abends in der Lobby. KW: Genau, auch mit den Leuten vom MBA. Wir als LLMler sind also nicht separiert. ST: Ich empfehle hier auch die Mitgliedschaft im Alumni-Verein der Sportökonomie und auch im VSD, dem Verband der Sportmanager und Sportökonomen in Deutschland. Letztere ist für die Dauer des Studiums kostenfrei. Vielen herzlichen Dank für Ihre Zeit und Ihre Bereitschaft, an diesem Interview mitzuwirken.

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ST: Kommen wir zu unserer nächsten Frage in Bezug auf die Dozenten. Ist das vermittelte Wissen verständlich und aktuell? Sind es Inhalte, die Ihren Wissensstand bereichern?

KW: Ich kann nur sagen, Prof. Valerius (Strafrecht im Sport/ Anm. der Redaktion) und Prof. Streinz (Verfassungsrecht und Europarecht im Sport/Anm. der Redaktion) waren sensationell. CL: Der Herr Schäfer (Investition und Finanzierung mit Prof. Schäfer/Anm. der Redaktion) von gestern war auch super. Wir hatten zunächst ein bisschen Angst vor diesem BWL-Thema …

Iurratio 4 / 2016

VII

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