Die schöne Philippine Welserin

In ihren Adern kreist tödliches Gift, heimtückisch ver- abreicht. Noch einmal ziehen die Bilder ihres turbulenten. Lebens an ihr vorbei: die erste Begegnung mit ...
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Brigitte Riebe

Die schöne Philippine Welserin

Foto © Schelke Umbach

Schloss Ambras, 1580. Philippine Welser liegt im Sterben. In ihren Adern kreist tödliches Gift, heimtückisch verabreicht. Noch einmal ziehen die Bilder ihres turbulenten Lebens an ihr vorbei: die erste Begegnung mit dem Habsburger Ferdinand II., die Flucht nach Prag, die illegitime Geburt der beiden Söhne, die große Krise, als die nachgeborenen Zwillinge sterben, der Umzug nach Tirol, die scheinbar so glücklichen Jahre als Herrscherin von Schloss Ambras, die Neid und Rachsucht erwecken. Keiner der Ärzte vermag die stets so gesunde Philippine zu kurieren. Wer will die Frau aus dem Weg räumen, die einen eigenen Kräutergarten besitzt und vom Volk als Heilkundige geliebt und verehrt wird? Die Spur führt bis in allerhöchste Kreise …

Brigitte Riebe, geboren 1953 in München, ist promovierte Historikerin. Nach ihrer Tätigkeit als Verlagslektorin arbeitet sie seit 1991 als freie Schriftstellerin. Unter anderem veröffentlichte sie die Bestseller »Die Braut von Assisi« und »Die Sünderin von Siena«. Bekannt ist sie für ihre akribische historische Recherche, die Liebe zum Suspense und den Mut, Geschichte literarisch gegen den Strich zu bürsten. Sie lebt mit ihrem Mann in München.

BRigitte Riebe Die schöne Philippine Welserin

Original

Historischer Roman

Besuchen Sie uns im Internet: www.gmeiner-verlag.de © 2013 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75/20 95-0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt Herstellung : Julia Franze Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart Bildquelle: © Kunsthistorisches Museum, Wien ISBN 978-3-8392-4027-4

Für Brigitte

Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht’s, dass ein Ding kein Gift sei. Paracelsus (1493 – 1541)

P RO L O G

Schloss Ambras, April 1580

Die holzgetäfelte Abziehstube war so überhitzt, dass sie zu schwitzen begann, während sie sich aus den Kleidern schälte. Wie viele Ösen, Haken und Schnüre es an einem Frauengewand auch geben musste! Und keine Bademagd weit und breit, die ihr dabei zur Hand hätte gehen können, denn sie hatte sie alle weg­­geschickt. Es fiel ihr schwer, sich an den süßlichen Altweibergeruch zu gewöhnen, den sie verströmte, weil über ihm noch etwas Bitteres schwang, das sie beunruhigte. War das wirklich sie, die einst so verführerisch geduftet hatte, dass er gar nicht genug davon bekommen konnte, in ihrem festen Fleisch zu versinken? Sie drehte sich um zum weißen Himmelbett unter lichtblauem Seidenbaldachin, auf dem ihr Schatz lag, den sie stets mit sich herumtrug, aus Angst, er könne sonst womöglich in die falschen Hände geraten. Die dünnen Seiten, gefüllt mit ihrer störrischen Handschrift, konnten belegen, wie es wirklich gewesen war, das schenkte ihr Trost. Mariechen würde ihn an sich nehmen, die einzige Person, der sie vertrauen konnte. Sie wartete bereits im vereinbarten Versteck. Das richtige Wort würde sie erscheinen lassen. Plötzlich schienen die holzgetäfelten Wände sich enger um sie zu schließen. 9

Die Weinpokale und Lautenspieler auf den Fresken begannen zu schwanken, als treibe Bacchus mit ihnen sein munteres Spiel, sogar der gemalte Tisch fing an sich zu drehen, ähnlich dem aus Ahornholz in der steinernen Rotunde, der drunten im Paradiesgarten so viele Besucher überrascht und belustigt hatte. Doch die heiteren Zeiten waren vorüber, das wusste sie, auch ohne den großen Kristallspiegel zu bemühen, den sie inzwischen gewissenhaft mied. Schon lange war sie bar aller Illusionen. Sie waren davongeflogen, Jahr um Jahr, bis sie beinahe vergessen hatten, was sie beide sich einst im Mondlicht feierlich gelobt hatten. Inzwischen sah sie den Mann an ihrer Seite mit neuen, anderen Augen. Fünf Kinder hatte sie geboren – und ihm doch nicht zur rechten Zeit den legitimen Erben schenken können, den er so dringend gebraucht hätte. Nicht einen Tag hatte sie vergessen, wie schwer er daran zu tragen hatte. Dabei waren ihre beiden Familien lange Zeit eng miteinander verbunden gewesen, wenngleich sie in den Augen der Welt alles andere als ebenbürtig erschien. Sah man allerdings genauer hin, entdeckte man Erstaunliches. Nur die Klugheit, der Fleiß und der Mut ihrer Vorfahren hatten seinen Ahnen zum Thron verholfen. Doch wer sprach jetzt noch davon? Wie immer würde er sich zu helfen wissen. Dafür hatte sie ihn lange Zeit bewundert und heiß geliebt – jetzt freilich hatte sie ihn manchmal deswegen gehasst. Hätte er nicht abwarten können, bis sie den letzten Atemzug getan hatte? Schon seit Jahren verfolgte er emsig und geschickt seine Ziele. 10

Natürlich hatte sie alle Schreiben abfangen lassen, die in jener delikaten Angelegenheit über den Brenner und wieder zurückgingen, wenngleich sie ihm gegenüber niemals ein Wort davon erwähnt hatte. Sie kannte jeden einzelnen Brief, hatte ihn so oft gelesen, bis die Worte auf ihrer Netzhaut eingebrannt waren. Ihr Liebster befand sich erneut auf Freiersfüßen, das war wie ein Schwert, das in ihr Herz fuhr, obwohl doch noch ein Restchen Leben in ihr war. Sobald sie die Augen für immer geschlossen hätte, sollte seine italienische Nichte an ihre Stelle treten, blutjung, gebärfreudig, hochadelig vom Scheitel bis zur Sohle. Ob Anna Caterina das Meer kannte? Ihr hatte er es immer wieder zeigen wollen – um dann sein Versprechen von Jahr zu Jahr weiter ins Ungewisse zu verschieben. Nun würde sie sterben, ohne jemals gesehen zu haben, wie Wasser und Horizont sich küssten, während die Sonne als Feuerball in den Fluten versank. Inzwischen umfloss das rote Samtkleid ihre Füße, eine Lache aus dunklem Blut, wie sie unwillkürlich denken musste. Auf einem Hocker aus Zirbelholz lag die Badeehre ausgebreitet, ihr am Rücken offenes Leinengewand, mit dem sie üblicherweise ins Wasser glitt. Darauf ruhte der Badehut aus grüner Seide, der den Kopf schützen sollte und nach Nelkenöl duftete, doch beides ließ sie heute unberührt. Langsam schlurfte sie nach nebenan, nackt, wie die Mutter sie einst geboren hatte. Ihre Füße schienen dabei am Boden zu kleben, die Beine waren bleischwer. Dafür raste ihr Herz, in jenem jagenden, stolpernden Stakkato, das ihr seit dem letzten Herbst Furcht einflößte. 11

Heute war es schlimmer denn je. Ihr fehlte die Kraft, sich wie gewohnt im Dampf von Schweiß und Schmutz zu reinigen. Und doch wollte und musste sie ins Becken – um endlich Gewissheit zu erlangen. Dienstbare Geister hatten alles vorbereitet. Warmes Wasser leckte ihre geschwollenen Knöchel, als sie die Stufen nach unten ging, umschmeichelte die aufgeschwemmten Waden, die blaugeäderten Schenkel, schließlich den schlaffen Bauch. Für ein paar Augenblicke wurden die Schmerzen erträglicher, dann jedoch kehrten sie unbarmherzig wieder zurück, spitzer und greller denn je zuvor. Sie zuckte zurück, als die leicht gekräuselte Wasseroberfläche ihr Bild zurückwarf. Ihr ehemals feines Gesicht, von dem viele geschwärmt hatten, ähnelte inzwischen einem Hamster. Die Wangen waren schwer, und zwischen Nase und Mund hatten sich strenge Falten eingekerbt. Nur die Augen waren unverändert, groß und leuchtend blau unter dunkelblonden Brauen, ebenso wie ihre Finger, noch immer schlank und zart wie in längst vergangenen Augsburger Tagen. An den Körper mochte sie nicht einmal denken, füllig und unbeweglich geworden, der ihr seit Jahren nichts als Kummer und Pein bereitete. Ihm war er schon lange keine Freude mehr, und seitdem verachtete auch sie diese Last, die sie mit sich herumzuschleppen hatte. Als habe ihr Leib beschlossen, sich für diese Missachtung zu rächen, schoss eine neue Schmerzwelle durch ihre Eingeweide. Sie krümmte sich, heilfroh, den steinernen Hocker erreicht zu haben, auf dessen hölzerne Sitzfläche sie sich schwerfällig sinken ließ. War das Gift, das da in ihren Adern kreiste? 12

Der ätzende Hauch der Kränkungen, Drohungen und Schmähungen, die sie so lange hatte erdulden müssen? Nicht einmal das warme Wasser, das sie nun bis zum Hals umfloss, vermochte jetzt noch Linderung zu schaffen. Stattdessen begannen die bemalten Tierfiguren ringsumher ein seltsames Eigenleben. Nattern, Krebse, Kröten und Echsen schienen nicht länger starr, sondern zuckten und zitterten, als wollten sie zu ihr ins Becken kriechen. Die Sackpfeifen, die den Springbrunnen vor dem Badfenster betrieben, ächzten und stöhnten dazu eine unheimliche Melodie, die sie verhöhnte. Erschöpft schloss sie die Augen. Plötzlich war das Holz verschwunden, und gleiches galt auch für Springbrunnen, Badewasser und all die bunten Figuren. Die Mauern von Ambras, ihr Zuflucht und Gefängnis zugleich, brachen auf. Aber es war nicht die Kühle des Bergfrühlings, die sie auf der Haut zu spüren glaubte, sondern etwas Lindes, ungemein Zärtliches, das sie als Wohltat empfand. Mit einem Mal schienen Schwere und Schmerzen verflogen, ebenso wie Bitternis, Enttäuschung, Angst. Die Sorge um die Zukunft der Söhne war nicht länger ein Albtraum, der sie Nacht für Nacht quälte, bis die Vögel in den Wipfeln ihr frühes Lied begannen. Jung war sie wieder, strahlend, voller Lebenslust. Nicht länger die huldvoll geadelte Freifrau von Zinnenberg, um Anerkennung durch den Kaiserhof bangend, sondern Philippine Welserin, die in einem duftigen Kleid leichtfüßig durch Augsburg lief … 13