die höhen und tiefen des unternehmertums - Intre

Call Center-Branche gar nichts zu tun. ... Der Call Center-Dienstleister Invitel zählt zu den Pionieren in der Branche. .... Optionen da sind, dann greifen wir zu.
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DIE HÖHEN UND TIEFEN DES UNTERNEHMERTUMS EIN SEHR PERSÖNLICHES GESPRÄCH MIT BURKHARD RIECK, GESCHÄFTSFÜHRER, INVITEL GMBH Der Call Center-Dienstleister Invitel zählt zu den Pionieren in der Branche. Aber nicht nur das: Invitel war der Door-Opener für die Servicewelt von heute, im Bereich der Energieversorger. Das Unternehmen wurde 1998 gegründet und ist seither erfolgreich am Markt aktiv. Ganz besonders spannend für INTRE sind drei Themen: ERSTENS: Door-Opener für das Service bei den Energieversorgern. ZWEITENS: Das Wachstum des Unternehmens sowie die Höhen und Tiefen des Unternehmertums. DRITTENS: Was hat das Unternehmen als Nächstes vor? Gründe genug, um sich mit Burkhard Rieck, Geschäftsführer von Invitel, auf ein spannendes, inter-

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essantes und sehr persönliches Gespräch zu treffen.

INTRE: Wir haben in der Vorbereitung abgestimmt, dass wir unter anderem sehr gerne über die Entstehung und Entwicklung der Invitel sprechen möchten. Daher lassen Sie uns ins Jahr 1998 zurückspringen. RIECK: Na, dann machen wir einen Sprung in die Vergangenheit 6. Die Invitel war eine ursprüngliche Tochtergesellschaft im EON Konzern und wurde, wie Sie richtig sagen, 1998 in Helmstedt gegründet. Helmstedt deswegen, weil der Gedanke dahinter war, was wir an zusätzlichen Aktivitäten in der Region, die sehr stark durch ihre größten Arbeitgeber Volkswagen und BKB AG dominiert war, anbieten können. Parallel hatten wir zu dieser Zeit einen aufbrechenden Wettbewerb in der Energiebranche und so entstand die Idee, dass man aus der Energieversorgung für die Energieversorgung tätig werden kann. Ich selbst war zu dieser Zeit als Leiter Materialwirtschaft bereits in der Energiewirtschaft tätig, hatte aber mit der Call Center-Branche gar nichts zu tun. Bis 1997 war ich bei den Hamburgischen Electricitätswerken tätig und wechselte dann nach Helmstedt in den EON Konzern. Die Themen Service, Kundenbeziehung, Kommunikation etc., also alles, was die Invitel damals abdeckte, waren für mich ein neues, sehr spannendes und interessantes Feld. Um es kurz zu machen: Ich habe mich aktiv gemeldet, dass ich dort zusätzlich zu meinem Job als Leiter Materialwirtschaft mitarbeiten will. So bin ich in das Thema hineingerutscht.

INTRE: Doppelter Job, heißt wohl auch… RIECK: Nein, leider nicht doppeltes Gehalt. Ich habe eine Zeitlang beides gemacht, aber wie immer in einer Doppelfunktion wird die Arbeit so viel, das man sich irgendwann für A oder B entscheiden muss. Ich musste mich damals entscheiden, ob ich im sicheren Hafen der Energiewirtschaft als Leiter Materialwirtschaft bleibe oder in eine Tochtergesellschaft wechsle, die sich mit dem Thema „Service“ beschäftigt. Ich habe mich schlussendlich für die Invitel entschieden. INTRE: Die Verantwortung für eine EON-Konzerntochter zu haben, klingt aber auch nach einem sicheren Hafen. RIECK: Klingt vielleicht so, aber die Realität sah ein bisschen anders aus. Die Energiebranche war damals leider noch nicht so weit, dass man „extern“ geht. Es musste über eine Vorstandsweisung das eigene Unternehmen bewegt werden, 100 Calls am Tag aus den alten Arbeitsstrukturen heraus abzugeben. Diese 100 Calls haben wir mit elf Mitarbeitern bearbeitet und darauf lässt sich natürlich kein Geschäftsmodell gründen. Das heißt, wir mussten uns sehr schnell um Kunden umsehen, bekamen unter anderem Aufträge aus der Telekommunikation und verdienten unsere ersten Sporen. Nach rund einem Jahr, Ende 1999, gewannen wir unseren „ersten“ Energiekunden, das waren die Stadtwerke Bonn. Das Paradoxe war, dass der Kunde eine Nähe zum RWE Konzern hat und die RWE ist ein großer Mitbewerber zu EON. Das heißt, uns gab die „eigene“ Gesellschaft freiwillig

BURKHARD RIECK Geschäftsführer, Invitel GmbH

INTRE: Management-Buy-out (MBO) ist ein gutes Stichwort. Wie kam es dazu? RIECK: Im Jahr 2004 gab es einige Veränderungen im EON Konzern und daher wurde für die Invitel eine neue „Mutter“ gesucht. Das machte ich dann ein Jahr lang und wäre fast in französische Hände geraten. Das hat aber am Ende nicht geklappt und so hatte ich die Möglichkeit eines Management-Buy-outs, das ich mithilfe des Konzerns auch tatsächlich durchzog. Wenn Sie jetzt wieder an einen sicheren Hafen denken, dann muss ich Sie enttäuschen. Wie so oft im Leben kommt es anders, als man denkt. Wie erwähnt, 2004 war das MBO und im Jahr 2005 verabschiedete sich EON als Kunde. 70 % des Umsatzes brachen weg. Das war die Situation, die wir Ende 2005 hatten. INTRE: Autsch! RIECK: So kann man es auch ausdrücken. Der Verlust des EON-Auftrages hat uns damals schwer durchgerüttelt, aber es war gleichzeitig ein Im-

puls, sich neu zu positionieren. In der Energiebranche war klar erkennbar, dass die Outsourcing-Bestrebungen stark steigen, und so konnten wir neue Kunden gewinnen und den Verlust sehr gut kompensieren, am Ende des Jahres sogar überkompensieren. Aufgrund unserer Erfahrung und unseres Know-hows haben wir uns intensiv auf die Energiebranche konzentriert – und das war sehr erfolgreich. Parallel setzten wir weiter auf das Thema Outbound und generierten für einen Telko-Anbieter Neuverträge am Telefon. An sich ist das ein tolles Geschäft, aber damals musste man noch die Verträge an den Kunden per Post schicken, dieser musste sie unterschreiben und zurückschicken. Das machten aber nur die wenigstens und so versenkte ich sprichwörtlich 300.000 bis 400.000 Euro. Heute erinnert sich fast niemand mehr an das „alte“ Post-Ident-Verfahren. Da funktionierte leider auch das interne Controlling inklusive einem Frühwarnsystem nicht. Dann kamen noch die Änderungen des UWG (Unlauterer Wettbewerbs Gesetz) im Privatkundenbereich und daraufhin reduzierten nicht nur wir, sondern auch viele andere Dienstleister das Thema Outbound massiv. INTRE: Das Leben ist ein… RIECK: …Lernprozess. Wem sagen Sie das 6? Aber wir haben das alles gut verkraftet. Wir haben und hatten auch bereits damals ein sehr gutes und vor allem loyales Team. Wir konnten den Verlust mit anderen Projekten durchaus wieder kompensieren, sind Stück für Stück gewachsen und haben neue Standorte erFortsetzung auf S32 ç

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keine Aufträge, aber dafür ein RWE-nahes Unternehmen. Damals musste man erst lernen, dass man auch zwei Aufträge und Wettbewerber aus der gleichen Branche, parallel, bei einem Dienstleister bearbeiten kann. So kam es dann, dass wir auch EON-Aufträge bekamen. Beim Management-Buy-out 2004 machten wir 70 % unseres Umsatzes in der Energieversorgung mit EON. Die restlichen 30 % verteilten sich auf andere Auftraggeber aus der Telekommunikations- und Energiebranche sowie verschiedene weitere Kunden.

© Invitel

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öffnet, wobei ich immer die Strategie hatte, mit „kleineren“ Standorten zu wachsen. Ich wollte immer, dass sich alle am Standort kennen, dass es ein Wir-Gefühl gibt und dass das Thema „Team“ auch gelebt wird. Daher war die Idee, Standorte mit rund 150 Mitarbeitern zu etablieren. INTRE: Die Invitel war damals sehr stark in der Energiebranche aktiv. Know-how, Erfahrung und die Nähe zu einer Branche sind natürlich Vorteile. Aber die Branche war damals ja bereits in einem Wandel und daher ist dies aus unserer Sicht auch ein gewisses Risiko. RIECK: Völlig richtig. Um das abzufedern, kaufte ich 2007 ein Unternehmen in Prenzlau, das 4 Mio. Euro Umsatz machte. Dieser Umsatz kam fast ausschließlich aus der Telekommunikationswelt. Ich wollte über diesen Weg in die Telekommunikation einsteigen. Leider hat einer der großen Auftraggeber neun Monate nach Kauf die Aufträge gekündigt. INTRE: AUTSCH. RIECK: 6. Aber wie heißt es so schön: Wir hatten das Glück des Tüchtigen und konnten fast alles wiederum mit Aufträgen aus der Energiewirtschaft kompensieren. Wir sind flexibel, sehr schnell und wenn Optionen da sind, dann greifen wir zu. Insofern wurden wir über all die Jahre in der Energieversorgung immer

stärker. Heute sind wir Marktführer in der Breite. Aktuell servicieren wir rund 70 Energieversorgungsauftraggeber. Da sind ganz kleine dabei und Unternehmen aus den Top 10. Wir arbeiten in unterschiedlicher Tiefe und Breite – zusammen mit Mitbewerbern, als Ergänzung oder auch durch die vollständige Übernahme des Kundenservice mit Einsätzen in den Kundenzentren vor Ort. INTRE: 2012 gab es noch eine Übernahme… RIECK: … und diese war etwas größer. Von 2007 bis 2012 passierte in der Energiebranche viel. Die sogenannte Energiewende prägte und veränderte die Branche sehr stark. Einige Geschäftsmodelle funktionierten nicht mehr und der Energiemarkt wandelte sich extrem. Wir wollten klarerweise weiter wachsen und stellten fest, dass ein organisches Wachstum eher schwer war, also entschlossen wir uns, ein Unternehmen, und zwar die Simon & Focken, zu kaufen. Die beiden Unternehmen waren in unterschiedlichen Bereichen aktiv und wir waren auch seit vielen Jahren sozusagen unternehmerisch befreundet. Beide Unternehmen waren zum damaligen Zeitpunkt ungefähr gleich groß, mit jeweils rund 500 Mitarbeitern und einem Umsatzvolumen von 14 bis 15 Millionen Euro. Nach einem Jahr war der Deal durch und wir waren auf einen Schlag doppelt so groß.

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INTRE Wie viel ist ein Call Center wert? B u r k har d R I E C K So viel, wie Sie bereit sind, zu bezahlen!

INTRE: Das klingt super gut, Gratulation. Aber das klingt auch nach viel „Postmerger“-Arbeit. RIECK: Sie sagen es. Die Postmerger-Zeit war sehr herausfordernd. Die Simon & Focken war anders strukturiert, hatte andere Prozesse und auch andere Kunden. Gleichzeitig tat sich für uns ein Fenster auf, da die Telekommunikationsanbieter massiv Mitarbeiterkapazitäten am Markt suchten. Wir bauten mit großer Flexibilität, Geschwindigkeit und mit dem Engagement von über 1.000 Mitarbeitern in kürzester Zeit Standorte in Leipzig, Halle, Magdeburg, Bielefeld und Bremen auf. All das hat sich bezahlt gemacht. Mitte 2015 langten wir dann bei 2.800 Mitarbeiter an.

›› Lesen Sie im INTRE 2016/03 den zweiten Teil des Interviews.  Dann  berichten  wir  über  die  Frage,  was  die  Invitel  als nächstes vorhat. Es geht unter anderem um die Markenstrategie  „Invitel“  –  „Simon  &  Focken“  –  „SALESkultur“,  neue  Ideen,  den  Wettbewerb,  Auftraggeber-Beziehungen,  Digitalisierung,  Wettbewerb.  Auch  die  Frage,  wann  man  groß ist und wann man der Größte unter den Großen ist,  wird Burkhard Rieck beantworten. autor: -/cred

Burkhard Rieck, Geschäftsführer, Invitel GmbH

© Invitel

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INTRE: Wachsen durch Zukäufe als Unternehmensstrategie? RIECK: Der Zukauf, den ich gemacht habe, setzt natürlich auf eine Basisentscheidung des Wachstums, des Wachsen-Wollens – einfach deshalb, weil wir gesehen haben, dass sich der Markt immer mehr konzentriert. Man kann das in den letzten Jahren sehr gut verfolgen. Die Top zehn wurden immer größer. Der Markt ist sehr dynamisch. Am Markt wird aktuell wieder verkauft und auch gekauft, die Finanzinvestoren sind nach wie vor im Markt aktiv und das Thema Globalisierung mit großen internationalen Call Center-Anbietern kommt ebenfalls immer mehr zum Tragen. Da stellt man sich

die Frage, ob man klein in einer Nische bleiben soll oder wächst und größer wird. Wir haben uns, wie erwähnt, für das Wachsen entschieden. Mit den zwei Marken Invitel und Simon & Focken haben wir zwei sehr gute, am Markt etablierte Brands. Wir werden heute ganz anders wahrgenommen als noch vor zwei, drei Jahren. Wir bekommen Anfragen von Unternehmen, die ganz klar sagen: Okay, jetzt habt ihr eine Größe und eine Professionalität, die gut zu uns passen. Mich freut das sehr, dass wir jetzt öfter am „Radar“ erscheinen. INTRE: Umsatz? RIECK: 2015 waren es knapp 60 Mio. Euro.