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FREITAG, 1. MÄRZ 2013  TAZ.DIE TAGESZEITUNG

GESELLSCHAFT+KULTUR

ZWISCHEN DEN RILLEN

Täuschungsmanöver Triad God, „New Cross Boy“ (Hippos in Tanks/ A-Musik) ■

Wer ist dieser selbst ernannte „New Cross Boy“ Triad God? Ein in London lebender Brite mit chinesisch-vietnamesischen Wurzeln, so viel scheint sicher. Sein Debütalbum ist der erste Anwärter für das nächste Ambientfestival: blumig im Sound, verträumt und atmosphärisch dicht und voller Assoziationen. Das Ganze in Einklang mit reichlich HipHop-Attitüde. Aber Triad God rappt auf Kantonesisch und Englisch. Musik und Texte stehen ungeordnet nebeneinander, und so ist „New Cross Boy“, kurz „NXB“, ein Sammelsurium aus kreativen Liederlichkeiten. Zunächst geisterte das Album als Mixtape für lau durchs Netz, mittlerweile ist es in überarbeiteter Fassung beim kalifornischem Label Hippos in Tanks erschienen. Inspiriert vom gemeinsamen Erstlingswerk der Beatnikhelden Kerouac/Burroughs benennt sich die in Los Angeles betriebene unabhängige Plattenfirma nach deren Roman „And the Hippos were boiled in their Tanks“: Beatniks sind bekannterweise Jazzliebhaber, Triad God spielt zwar mit allerlei Genres, doch mit Jazz hat sein Debütalbum nichts zu schaffen. Vinh „Triad God“ Ngan verbindet englische Rüpelhaftigkeit mit kantonesischer Tradition. Und dennoch ist „NXB“ alles andere als eine Verschmelzung dieser beiden Faktoren: Triad God schafft etwas Eigenes, indem er zwar klischeebehaftete und markante Elemente bedient, aber er setzt sie subtil um, und das wirkt dann doch überraschend. Bereits mit der Singleauskopplung „Remand“ gelang Triad God ein kryptisches Täuschungsmanöver: Versprengte HipHop-Ausrufe lockten die Hörer auf eine falsche Fährte, denn ansonsten ist dieser Track vollkommen elektronisches Klingklang. In täuschend-echter RapperManier blickt Triad God auch auf Promofotos aufsässig mit geöffnetem Mund in die Kamera. Dabei ist er stets mit Goldschmuck behangen. Auf einschlägigen Musikportalen wird sein Album ebenfalls unter HipHop einsortiert. Was sich jedoch offenbart, wenn die ersten Takte seines Albums ertönen, ist etwas ganz anderes: Bei dem Stück „I never told

you“ flötet er schmachtend mit schiefer Stimme „I wanna hold you / I never told you.“ Das klingt eher nach glatt gebügeltem Teenpop. Zu seiner zur Schau getragenen Unsicherheit passt es, dass Triad God die Reime nicht machistisch, sondern geradezu verzagt und kleinmütig vorträgt. Wobei an dieser Stelle von singen oder rappen zu schreiben eine Übertreibung, ja fast eine Satire für die Interpretation der Texte ist. Denn Triad Gods Stimme klingt monoton, fast emotionslos. Um aber das Zusammenspiel erfassen zu können und die Ironie als eine solche, sollte „NXB“ insgesamt betrachtet werden. Der vietnamesisch-chinesischbritische Künstler spielt mit Attributen aus der Gangsterwelt, seine Texte behandeln die unerfüllte Liebe zu einer Prostituierten, und sie sind voller Obszönitäten und Kraftausdrücke. Würde man die Texte ohne die Musik hören, sie wären reiner Schrott. Aber eben, man muss sie im Zusammenhang mit der seltsamen Musik hören. Kaum einer der Songs dauert länger als zwei Minuten, das entspricht genauso wenig dem gängigen Mainstream-HipHop-Muster wie die Vielzahl von Geräuschen und Klängen, die in den 14 Tracks arrangiert werden. Die wirken ganz so, als würde Vinh Ngan tatsächlich im Alltag Erlebtes Revue passieren lassen. Und man fragt sich: Ist das chinesische Zupfinstrument beim Titel „Bland dat tumm my joe ter ruler“ ein Beleg der Wurzeln oder Ausdruck des Alltagslebens in London? Die zahlreichen instrumentalen Tonkünste arrangierte der Londoner Produzent Palmistry. Triad God und Palmistry trafen sich 2011. Palmistry war in Chinatown in Pachinko-Hallen unterwegs auf der Suche nach geeigneten Drehplätzen für ein Musikvideo. Gemeinsam erarbeiteten sie bereits die EP „Aym Gs for Lyte“. Wie Triad God dem Magazin Dazed Digital – auch hier nicht ohne Widerspruch – erzählte, widmet sich seine Musik den Jungs aus der Hood. Seinen Texten verleiht er aber lieber anhand kantonesischer Sprache Ausdruck. Triad God und „NXB“ sind voller Gegensätze: Was zunächst plump, unanständig und klischeebehaftet erscheint und partiell bestätigt wird, entpuppt sich bei näherer Betrachtung dann doch facettenreicher als vermutet. Da scheint jemand mit den Stereotypen zu spielen, bis sie sich selbst nicht mehr ähnlich sehen. DU PHAM

Milo Rau, Fänger des Realen Foto: Promo

Die Frömmler sagten zu THEATER Liegt in der Wiederholung von Geschichte eine Chance neuer Erkenntnis?

Milo Rau glaubt das und lässt in Moskau Prozesse gegen kritische Künstler aufführen VON KLAUS-HELGE DONATH

Am 3. März jährt sich die Festnahme der Aktivistinnen der Frauenpunkband Pussy Riot in Moskau zum ersten Mal. Der 3. März 2013 ist auch der Tag, an dem über die Punkerinnen noch einmal von Neuem zu Gericht gesessen wird. Die Frauen hatten in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau vor einem Jahr stoßgebetartig die Jungfrau Maria ersucht, Kremlchef Wladimir Putin zu vertreiben und dem Machtbündnis aus Kirche und Kreml einen wirksamen Riegel vorzuschieben. Dafür müssen zwei von ihnen mit zwei Jahren Lagerhaft büßen. Die Wiederaufnahme des Prozesses findet unterdessen im Museumszentrum Sacharow statt, einer eingeführten Moskauer Adresse für politischkünstlerischen Dissens. Veranlasst hat die Revision des „Moskauer Prozesses“ der junge Schweizer Theaterregisseur Milo Rau, „um etwas Bewegung in die starren russischen Verhältnisse zu bringen“, wie es eine Pressemitteilung vollmundig verkündet. Rau selbst gibt sich indes bescheidener, der Griff nach der großen Geschichte ist nicht sein Metier. Als seine Aufgabe sieht er, reales historisches Geschehen künstlerisch zu rekonstruieren. Er nennt das Format seines politischen Theaters Reenactment, über dessen Ästhetik er auch eine Dissertation anfertigte. Ihm geht es um ein Wieder-Holen, nicht um ein blo-

BERICHTIGUNG Wenn der Postmann zweimal klingelt … Wer gestern UNTERM STRICH las, „der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss erhält am Mittwoch den Berliner Literaturpreis“ und dachte, hab ich das nicht schon gestern gelesen, hatte recht. Und auch, wem die Besprechung der Münchner Ausstellung „Aufstieg und Fall der Apartheid“ bekannt vorkam – als „Rise and Fall of Apartheid“ war die Schau in New York schon einmal gewürdigt worden.

ßes Nachstellen eines Geschehens. Das eröffnet einen neuen Zugang, alle Beteiligten erhalten die Chance, noch einmal gründlich nachzudenken. Ohne dass von der Regie manipulativ eingegriffen würde. Mit dem Genre des Theaters des Realen feierte der 35-Jährige beachtliche Erfolge, letztes Jahr mit „Hate Radio“. Im Moskauer Prozess wird jedoch nicht nur das Verfahren gegen Pussy Riot neu eröffnet. Ab Freitagabend werden drei Tage lang drei verschiedene Prozesse repetiert, die für Rau Vorboten jener Hysterie um Pussy Riot waren. 2003 fand im Sacharow-Zentrum die Ausstellung „Vorsicht, Religion“ statt, die religionskritische Werke zeigte. Darunter so harmlose Dinge wie ein für CocaCola werbender Jesus oder auch ein Gemälde, das Figuren auf ein Hakenkreuz, ein christliches Kruzifix und einen Sowjetstern schlug. Eiferer der orthodoxen Kirche sahen sich von der Kunst in ihrem Glauben verletzt und

Raus Mitwirkende sind Protagonisten auch des realen Geschehens gewesen

verwüsteten in einem pogromartigen Überfall die Ausstellung. Überraschend war die eindeutige Stellungnahme in den meisten Medien, die die Künstler für die Auswüchse verantwortlich machten. Auch der heutige Patriarch der orthodoxen Kirche, Kirill, rechtfertigte die Selbstjustiz der Frömmler. Die Kuratoren der Ausstellung wurden nach zweijähriger Verhandlung zu Geldstrafen verurteilt. Zum ersten Mal zeichnete sich eine Nähe zwischen religiös-klerikalem Fundamentalismus und den patriotischen Losungen des geheimdienstlichen Russlands unter Putin ab. Ähnliches wiederholte sich 2007 – wieder im Sacharow-Zentrum. Diesmal ging es um vermeintlich „verbotene Kunst“ aus den Magazinen der Tretjakow-Galerie, die deren Direktor Andrei Jerofejew ausgesucht hatte. Wer auf eine Leiter stieg und durch ein Schlüsselloch lugte, konnte etwa einer Rektaldefloration eines Armeerekruten beiwohnen. Das sei traumatisierend, das wurde den Klägern aus dem rechtsradikal antisemitisch orthodoxen Umfeld von Staatsseite bescheinigt. Jerofejew und der Chef des Sacharow-Museums Samodurow kamen im Prozess 2010 noch mal mit Geldstrafen davon. Beim Prozess gegen Pussy Riot stellte sich dann die Klimax der vollzogenen Vereinigung von Kirche und Kreml dar. Rau holt alles dies noch einmal zurück in das zum Gerichts-

saal umfunktionierte SacharowMuseum. Der Ausgang des Verfahrens Kunst gegen Religion ist offen. Wird das „dissidentische“ dem „wahren“ Russland wieder unterliegen? Rau kennt Russland zu gut, als dass er sich der Illusion hingäbe, die autoritären Grundstrukturen der Gesellschaft seien ihr gegen ihren Willen aufoktroyiert. Der Clou ist, Rau kann auf Schauspieler verzichten. Seine Mitwirkenden sind Protagonisten auch des realen Geschehens gewesen. Selbst randalierende Frömmler sagten ihre Teilnahme zu. Nicht nur das ohnehin andersdenkende MinderheitenMoskau. Einer der Ankläger ist der Dumaabgeordnete der Staatspartei, Alexei Tschujew, der sich als reaktionärer Hüter eines prämodernen Russlands versteht. Die Rolle des Staatsanwalts übernimmt der TV-Moderator Maxim Schewtschenko, auch er ein Vertreter jener Spezies, die am Ufer des russisch-orthodoxen rotbraunen Sumpfes üppig blüht. Rau hat an ihnen allen indes Gefallen gefunden. Ob DandyFaschist oder eurasischer Pseudophilosoph. „In Russland werden immer noch Individuen produziert, die bis ins Letzte spezielle Typen verkörpern.“ Im Westen seien die längst eingeebnet. Das kann aber auch Chaos und Unberechenbarkeit bedeuten. Das Sacharow-Museum verdoppelte daher den Sicherheitsdienst.

die man im deutschen Film erhalten kann“, sagte der in Los Angeles lebende Regisseur. Die Auszeichnung soll ihm am 26. April im Berliner Friedrichstadtpalast verliehen werden. US-Regisseur Steven Spielberg übernimmt den Vorsitz der Jury beim Filmfestival von Cannes (15. bis 26. Mai). Spielberg folgt als Jurypräsident dem italienischen Regisseur Nanni Moretti (2012) und dem US-Schauspieler Robert De Niro (2011).

„Meine Bewunderung für den unerschütterlichen Einsatz des Festivals, die internationale Filmsprache zu verteidigen, ist unübertroffen“, wird der Oscarpreisträger in einer Mitteilung des Festivals zitiert. Cannes habe bewegte Bilder als interkulturelles und crossmediales Medium etabliert. Spielberg zählt mit Filmen wie „Jurassic Park“, „Der Soldat James Ryan“ oder „Schindlers Liste“ zu den erfolgreichsten Regisseuren der Welt.

UNTERM STRICH Für seine Verdienste um den deutschen Film wird der Regisseur Werner Herzog mit dem Ehrenpreis des Deutschen Filmpreises ausgezeichnet. Die Jury der Filmakademie nannte den 70-Jährigen am Donnerstag einen „visionären Filmkünstler“, der „mit nie nachlassendem Mut zum Risiko immer in Bewegung geblieben“ sei. Er habe sich „über die Entscheidung der Filmakademie sehr gefreut. Schließlich ist dieser Preis die höchste Ehrung,