Die Förderschule als stigmatisierte und stigmatisierende Institution ...

2.3.2.2.2 Die Albert-Schweitzer-Schule III. 32. 2.3.2.2.3 Die Heinrich-Hoffmann-Schule. 33. 2.3.2.2.4 Resümee. 33. 2.3.3 Inklusive Beschulung in Deutschland.
486KB Größe 1 Downloads 42 Ansichten
Nadja Tilscher

Die Förderschule als stigmatisierte und stigmatisierende Institution Inklusion als Allheilmittel?

disserta Verlag

Tilscher, Nadja: Die Förderschule als stigmatisierte und stigmatisierende Institution: Inklusion als Allheilmittel?, Hamburg, disserta Verlag, 2015 Buch-ISBN: 978-3-95425-166-7 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95425-167-4 Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2015 Covermotiv: © laurine45 – Fotolia.com

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und die Diplomica Verlag GmbH, die Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Alle Rechte vorbehalten © disserta Verlag, Imprint der Diplomica Verlag GmbH Hermannstal 119k, 22119 Hamburg http://www.disserta-verlag.de, Hamburg 2015 Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis

9

Abkürzungsverzeichnis

10

Vorwort

11

1 Einleitung

13

1.1 Die Förderschule als stigmatisierte und stigmatisierende Institution – thematische Hinführung

13

1.2 Problemstellung

15

1.3 Operationalisierung der Fragestellung

15

1.4 Untersuchungsverlauf

16

2 Theorie der Heilpädagogik und des Förderschulsystems

19

2.1 Histographie der Heilpädagogik bis 1945

20

2.2 Die Etablierung des Förderschulwesens nach 1945 als deutscher Sonderweg im Lichte institutioneller Diskriminierung

24

2.3 Die gegenwärtige Situation der Beschulung behinderter Schüler

27

2.3.1 Was wird unter einer Behinderung verstanden?

28

2.3.2 Was wird heutzutage unter einer Förderschule verstanden?

29

2.3.2.1 Definition Förderschwerpunkt Lernbehinderung

29

2.3.2.2 Theoretische Konzeptionen von Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen 30 2.3.2.2.1 Die Pierre-Bourdieu-Schule

31

2.3.2.2.2 Die Albert-Schweitzer-Schule III

32

2.3.2.2.3 Die Heinrich-Hoffmann-Schule

33

2.3.2.2.4 Resümee

33

2.3.3 Inklusive Beschulung in Deutschland

34

2.3.4 Beschulung von von einer Behinderung betroffenen Subjekten im europäischem Raum 36 2.4 Die Empirie von Förderschulen

37

2.4.1 Hans Wocken

39

2.4.2 Klaus Klemm im Auftrag der Bertelsmann Stiftung

42

2.4.3 Uwe Bittlingmayer, Jürgen Gerdes und Diana Sahrai

43

2.4.4 Lisa Pfahl

44

2.4.5 Bettina Bretländer

48

2.4.6 Resümee

51

3 Theorie des Intersektionalen Ansatzes 3.1 Die methodologisch-theoretische Verortung des Intersektionalen Ansatzes 3.1.1 Resümee 3.2 Intersektionalitätsbezogene Schulforschung 3.2.1 Das Bildungssystem aus intersektionaler Perspektive

53 54 59 62 62

3.2.1.1 Die Förderschule aus intersektionaler Perspektive

66

3.2.1.2 Resümee

68

3.2.2 Studien zur Intersektionalität sozialer Unterscheidungen im Schulalltag

68

3.2.2.1 Martina Weber

69

3.2.2.2 Ann Phoenix

73

3.2.2.2.1 Resümee

77

4 Empirische Erhebung

79

4.1 Methodische und methodologische Vorbemerkungen

79

4.1.1 Fragestellung

79

4.1.2 Forschungsdesign

79

4.1.3 Methoden

83

4.1.3.1 Gruppeninterview

83

4.1.3.2 Leitfadeninterview

83

4.1.3.3 Teilnehmende Beobachtung

84

4.1.3.4 Collage

86

4.1.3.4.1 Grundsätzliches zum kreativen Gestalten mit Kindern

86

4.1.3.4.2 Interpretationsmöglichkeiten von Kinderzeichnungen und ihre Verwendung zur Beantwortung der Forschungsfrage

87

4.1.4 Feldzugang

87

4.1.5 Datenaufbereitung

88

4.2 Darstellung der Forschungsergebnisse 4.2.1 Grenzziehungen

90 90

4.2.1.1 Grenzziehungen über die Differenzierungskategorie Geschlecht

90

4.2.1.2 Grenzziehungen über die Differenzierungskategorie Alter

93

4.2.1.3 Grenzziehungen über die schulische Zugehörigkeit

95

4.2.2 Fremddiskriminierung, Binnendiskriminierung und Selbstabwertung 4.2.2.1 Fremddiskriminierung durch institutionelle Diskriminierung

97 97

4.2.2.2 Fremddiskriminierung von Schülern und Schülerinnen von anderen Schulzweigen

103

4.2.2.3 Binnendiskriminierung unter den Schülern und Schülerinnen

104

4.2.2.4 Selbstabwertung

106

4.2.3 Normalität im Schulalltag 4.2.3.1 Alterstypische Phänomene 4.3 Diskussion der Ergebnisse

108 109 111

4.3.1 Spannungsverhältnisse im Förderschulalltag

111

4.3.2 Der Umgang mit den Spannungsverhältnissen

112

4.3.3 Resümee

113

5 Schlussfolgerungen

115

5.1 Möglichkeiten und Grenzen inklusiver Beschulung im Lichte politischer und gesellschaftlicher Implikationen

115

5.1.1 Möglichkeiten

116

5.1.2 Grenzen

117

5.1.2.1 Grenzen durch politischen Willen und soziale Distinktion

117

5.1.2.2 Grenzen durch die föderale Struktur

118

5.1.2.3 Grenzen durch die soziale und ethnische Struktur im Einzugsbereich der Schule

118

5.1.2.4 Grenzen durch Bedarfs-Standardisierungen und das EtikettierungsRessourcen-Dilemma

118

5.1.2.5 Grenzen durch ein utilitaristisches Menschenbild

120

5.1.2.6 Grenzen durch Vorurteile und Berührungsängste in der Gesellschaft

120

5.1.3 Inklusive Beschulung als Allheilmittel?

120

5.1.4 Resümee

121

Anhang

123

Anlagenverzeichnis

125

Transkriptionsregeln

126

Teilnehmende Beobachtung 1

128

Anmerkungen/ Gedanken, die sich ergeben haben aus der ersten Teilnehmenden Beobachtung

143

Teilnehmende Beobachtung 2

144

Raumplan Klasse 5/6

158

Raumplan Klasse 8/9

159

Leitfaden Einzelinterviews

160

Brief für die SchülerInnen

161

Anschauungsbeispiele für Collagen für den Unterricht

162

Interview mit Julius

165

Interview mit Dorothy

168

Interview mit Sofie

174

Collage von Charlotta

178

Interview Lisa

179

Interview mit Jasmin

182

Interview mit Carmen

188

Collage von Michael

192

Interview mit Anton

193

Interview Carsten

197

Leitfaden für die beiden Gruppeninterviews

200

Gruppeninterview 1, Gedächtnisprotokoll

203

Subjektiv empfundene Atmosphäre während des Gruppeninterviews

205

Gruppeninterview 2

206

Leitfaden Amilia

222

Gedächtnisprotokoll Gespräch mit Amilia vor und nach dem Interview

223

Interview mit Amilia

224

Quellenverzeichnis

233

Abbildungsverzeichnis Abbildung 2–1: Bildungsbarometer Inklusion

35

Abbildung 2–2: Bewertung integrativer Beschulung seitens der körperbehinderten Schülerinnen

49

Abbildung 3–1: Mehrdimensionales Analysemodell

62

Abbildung 5–1: Integration als Addition eines sonderpädagogischen Reservats

119

Abbildung 0–1: Exemplarische Collage 1

162

Abbildung 0–2: Exemplarische Collage 2

162

Abbildung 0–3: Exemplarische Collage 3

163

Abbildung 0–4: Exemplarische Collage 4

164

Abbildung 0–5: Collage Julius

165

Abbildung 0–6: Collage Sofie

174

Abbildung 0–7: Collage Charlotta

178

Abbildung 0–8: Collage Lisa

179

Abbildung 0–9: Collage Jasmin

182

Abbildung 0–10: Collage Carmen

188

Abbildung 0–11: Collage Michael

192

Abbildung 0–12: Collage Anton

193

9

Abkürzungsverzeichnis a.a.O.:

an angegebenem Ort

BRD:

Bundesrepublik Deutschland

Bspw.:

beispielsweise

BW:

Baden-Württemberg

Bzw.:

beziehungsweise

DDR:

Deutsche Demokratische Republik

Et al.:

und andere

Etc.:

et cetera pp.

GG:

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

HaBil:

Handlungs- und Bildungskompetenzen von funktionalen Analphabeten

Hiwi:

Wissenschaftliche Hilfskraft

ICF:

Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit

ICIDH:

International Classification of Functioning, Disability and Health

KESS:

Kompetenzen und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern

NRW:

Nordrhein-Westfalen

o.J.:

ohne Jahresangabe

Sek 1:

Sekundarstufe 1

Sek 2:

Sekundarstufe 2

UN-Konvention:

United Nations- Konvention, Vereinte Nationen-Konvention

WHO:

World Health Organization

10

Vorwort Die vorliegende Studie mit ihrer Schwerpunktsetzung basiert auf meiner Arbeit als Hilfskraft während meines Studiums, durch die ich unter anderem Einblicke in die Theorie zur Bildungsforschung im Kontext von sozialer Ungleichheit gewinnen konnte. Genauso liegt ihr meine Tätigkeit als Projektleiterin an der beforschten Förderschule zu Grunde. Sowohl im Rahmen der Theorie über die Institution, als auch innerhalb der Praxis der Förderschule, hat mich die Stigmatisierung selbiger und vor allem ihrer Schülerschaft erschüttert. Die Stigmatisierungserfahrungen und die damit assoziierte erschwerte adoleszente Identitätsarbeit der Förderschüler waren im Rahmen des Projekts, welches ich leitete, immer wieder zu spüren. Daher ist es mir in dieser Studie ein zentrales Anliegen, die Herrschaftsverhältnisse, die sich im Förderschulalltag widerspiegeln, aus intersektionaler Perspektive darzustellen, und dabei die subjektive Sicht der FörderschülerInnen zu integrieren und ihnen somit eine Stimme zu verleihen. Ganz herzlich möchte ich mich an dieser Stelle für das mir von den Schülern trotz vielerlei negativen Erfahrungen geschenkte Vertrauen, beispielsweise in Form von persönlichen Schilderungen ihrer Empfindungen, bedanken. Darüber hinaus möchte ich mich zutiefst für die Möglichkeit überhaupt theoretisch und praktisch in das Forschungsfeld eintauchen zu können, und für die in diesem Zusammenhang geleistete Unterstützung und fruchtbaren Gespräche, bei den Mitarbeitern der sozialen Gruppenarbeit sowie bei allen Lehrern und Angestellten der Pierre-Bourdieu-Schule (Name der Schule geändert), als auch besonders bei meinen beiden Korrektoren Uwe Bittlingmayer und Miriam Redlich, als auch Christine Riegel, bedanken. Des Weiteren möchte ich allen mir nahestehenden Personen, die mir mit Rat und Tat während der Zeit der Studie zur Seite standen, meinen herzlichsten Dank aussprechen!

Freiburg, Februar 2012

11

1

Einleitung

1.1 Die Förderschule1 als stigmatisierte und stigmatisierende Institution – thematische Hinführung Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung ist der Auffassung, dass es spätestens seit dem Inkrafttreten der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen am 26. März 2009 in Deutschland eine echte Wahlmöglichkeit bezüglich der Beschulung behinderter Kinder und Jugendlicher für Eltern und ihre behinderten Kinder geben muss. Denn nach Art. 24 der Konvention müssen die Vertragsstaaten sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu einem inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben. (vgl. Behindertenbeauftragter der Bundesregierung, 2011) Kernargumentation des Diskurses ist, dass die Förderschule nicht zur Integration der von einer Behinderung betroffenen Subjekte beiträgt. Dies steht mit der wissenschaftlichen Forschung im Einklang, durch die nachgewiesen werden kann, dass in der Förderschule als Teil des Bildungssystems direkte und indirekte institutionelle Diskriminierung an der Schülerschaft verübt wird. (Gomolla/Radtke, 2002) Dabei wird die Selektion von Subjekten auf Förderschulen durch die Heilpädagogik dadurch legitimiert, dass diese eine eingeschränkte Autonomie aufweisen und davon abgeleitet eine natürlich bedingte negativ abweichende Lern- und Leistungsfähigkeit. Ein solches Menschenbild mit einem entsprechendem biologisch begründeten Begabungs- und Intelligenzkonzept mit Höher- und Minderwertigkeitsvorstellungen, erlaubt eine Hierarchiebildung, die dem gesamten 1 In dieser Studie werden die Termini Sonderschule, Schule mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt, Förderzentrum und Förderschule als inhaltlich identisch aufgefasst. (vgl. Lücking/ Reichenbach, 2009, S.27-29) Die Begriffe Förderschule und sonderpädagogischer Förderbedarf werden jedoch hier präferiert, weil sie von der Semantik her ein weniger ausgrenzendes Potential haben als Sonderschule (aussondern) und weil sonderpädagogischer Förderbedarf nicht an eine Förderschule gebunden ist. (vgl. Boban/Hinz in Opp/Theunissen, 2009, S.54f, Kultusministerkonferenz, 1994, S.2) Die Förderschulen haben unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, die auch was ihre Bezeichnung angeht nach Ländern divergieren. In Baden-Württemberg wird beispielsweise unter „Förderschule“ eine Schule für lang andauernde Lernprobleme und Entwicklungsverzögerungen verstanden. (vgl. Landesbildungsserver Baden-Württemberg, vgl. Kultusministerkonferenz, 1994, S.2, vgl. Punkt 2.3.) Hier besteht meiner Einschätzung nach eine große Gefahr eines Sammelbeckens für nicht passgenaue Subjekte, die aufgrund sozialer Ungleichheit unter dem unspezifischen Vorwand „lernbehindert“, auf die Förderschule für lang andauernde Lernprobleme und Entwicklungsverzögerungen verwiesen werden (vgl. Einleitung, Hilfsschule in Punkt 2.1., Mechanismen der institutionellen Diskriminierung in Punkt 3.2.) Die zu beforschende Schule befindet sich in Baden-Württemberg und ist eine solche Förderschule – entsprechend wird ein etwas größeres Augenmerk auf dieser Schulform liegen. Dennoch sollen alle Förderschulen, egal mit welchem Schwerpunkt, Berücksichtigung finden, da die Institution als Ganzes stigmatisiert wird und alle Subjekte, egal mit welcher Behinderung, stigmatisiert werden. Der Begriff Förderschule wäre sodann zweimal besetzt. Das heißt ich werde also, um Verwirrungen von vorneherein auszuschließen, mit den Begrifflichkeiten Förderschule (alle Sonderschulformen) und Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen (Förderschule Baden-Württemberg) arbeiten.

13

deutschen klassenspezifischen, monistisch dominierten Bildungssystem zugrunde liegt. Unter dieser Denkweise können alle Subjekte über konstruierte Differenzen ihren Ort zugewiesen bekommen. (vgl. Solga, 2005a und Vester 2005, in: Pfahl, 2008, S.42f., sowie Prengel, 2006, S.171) Über die Differenzkategorie Körper hinaus wird über weitere konstruierte Differenzkategorien, mit denen Minderwertigkeitsvorstellungen verknüpft sind, selektiert. Dies trifft männliche Subjekte (Geschlecht), Subjekte mit einem Migrationshintergrund (Ethnie), Subjekte aus kinderreichen, armen und von Arbeitslosigkeit betroffenen Familien (Klasse). (vgl. Wocken, 2007, S.49 in: Demmer-Dieckmann/Textor, vgl. Thielen, 2011, Einleitung) Des Weiteren muss die Institution, zumindest mit dem Förderschwerpunk Lernen, sich im Rahmen eines Forschungsprojekts der Bertelsmann Stiftung, in der sie unter Effizienzkriterien beforscht wurde, indem man sie marktwirtschaftlichen Kriterien unterzog, der Kritik aussetzen, sie sei unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten wenig ertragreich und stelle somit eine finanzielle Belastung dar. (vgl. Dr. Klaus Klemm im Auftrag der Bertelsmann Stiftung: „Sonderweg Förderschulen: Hoher Einsatz, wenig Perspektiven“) Die Perspektive auf die Institution und ihre Adressaten von Seiten der Gesellschaft fügt sich in die benannten Diskriminierungsprozesse auf strukturell-institutioneller Ebene ein und wird möglicherweise hierdurch hervorgerufen. (vgl. Seemann, Gew Weser-Ems, S.30) Sie ist gekennzeichnet von Negativzuschreibungen, Pauschalisierungen, Etikettierungen und Stigmatisierungen oder schlicht Interesselosigkeit und Unwissen sowie massiven Berührungsängsten mit der Institution und den Adressaten. (vgl. Bittlingmayer, Gerdes, Sahrai, 2011, S.1, in: Widmeier/Nonnenmacher sowie vgl. Mediathek Bpb „Was wissen Sie über Förderschulen“) Die Diskriminierung behindert die Förderschüler in ihren Handlungsmöglichkeiten und in der Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins. Inklusion, sprich Teilhabe an der Gesellschaft, wie es auch das oben erläuterte Kernargument des Diskurses im Rahmen der Einschätzung des Behindertenbeauftragten besagt, wird somit verhindert. (vgl. Bittlingmayer/Gerdes/Sahrai, 2011, S.5, in: Widmeier/Nonnenmacher, vgl. Merten, 2008, S.55, vgl. Winkler, 2008, S.69, vgl. Thiersch in Henschel/ Krüger/ Schmitt/ Stange, 2008, S.30, vgl. Kessl/ Otto/ Treptow in Münchmeier/ Otto/ Rabe- Kleberg, 2002, S.73, vgl. Thole/ Ahmed/ Höblich, 2007, S.162, vgl. 12. Kin-derund Jugendbericht, 2005, S.433, vgl. Powell/Pfahl, 2008, S.5, vgl. Lücking/Reichenbach, 2009, S.29 sowie vgl. Rauschenbach, 1995, S.352) Wirtschaft, Staat und Forschung erachten zusammengefasst die Förderschule somit als teuer, ineffizient, humankapital-hemmend und Subjekte diskriminierend. Von Seiten der Gesellschaft 14

möglicherweise durch eben genannte Kriterien hervorgerufen: eine Schule, die kein Interesse weckt, von der man nichts, oder von der man auf jeden Fall nichts Gutes weiß. Dies lässt die Institution, inklusive ihren Schulalltag, nicht unberührt.

1.2 Problemstellung Das Forschungsproblem spiegelt sich entsprechend in der spezifischen Fragestellung wider, wie sich der Förderschulalltag unter den benannten Diskriminierungsprozessen tatsächlich darstellt. Ziel ist daraus abzuleiten, ob es möglich wäre, Herrschaftsverhältnisse, die sich in dem Stigmatisieren von Subjekten und ganzen Institutionen zeigen, im Rahmen von inklusiver Beschulung aufzulösen.

1.3 Operationalisierung der Fragestellung Die inhaltliche und methodische Klärung der Forschungsfrage umfasst die nun folgenden Überlegungen: Es stellt sich zunächst die Frage, was die Funktion dieser Diskriminierungsprozesse ist und wie sich die Herrschaftsverhältnisse etablieren konnten. Dafür ist eine theoretische Auseinandersetzung des historischen Zustandekommens der Förderschule von Bedeutung. Darunter fällt auch die spezifisch deutsche Bildung von von einer Behinderung betroffener Subjekte nach dem Zweiten Weltkrieg. Um die institutionellen Diskriminierung aufzuschlüsseln, werden auch immer wieder die Forschungserkenntnisse von Gomolla, Radke und Pierre Bourdieu einfließen. Bourdieus Perspektiven weisen darüber hinaus Parallelen zum Intersektionalen Ansatz auf, der als strategischer Forschungsblick und Analyseperspektive zur Anwendung kommen soll. (vgl. Pierre Bourdieus Habitustheorie 1976) Der Intersektionale Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass er komplexe Herrschaftsstrukturen, durch die Ungleichheitsstrukturen möglicherweise immer wieder generiert und stabilisiert werden, erfassen und analysieren kann. Auf Grundlage der Fragestellung, wie sich der Förderschulalltag unter den benannten Spannungsverhältnissen darstellt, und ob die Herrschaftsstrukturen, über die die Individuen diskriminiert werden, sich im Rahmen einer inklusiven Beschulung auflösen würden, ist er die bestmögliche theoretische und methodische Grundlage. Er wird daher in seinen theoretischen Dimensionen und seinem methodologischen Vorgehen plastisch dargestellt, um sein Potential bei dieser Fragestellung aufzuzeigen und zu begründen. 15

Durch empirische Datengewinnung an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen in einem eher ländlich geprägten Bereich Baden-Württembergs soll die Forschungsfrage, die bis dato auf Basis der Theorie und eines tendenziell empiriefernen Diskurs beantwortet wurde, mit eigenen empirischen Daten und empirischem Material von anderen Forschungsprojekten an Förderschulen unterfüttert und kontrastiert werden. Wie stellt sich der Alltag unter Diskriminierungsprozessen tatsächlich dar? Wie vollziehen sich im Alltag einer Förderschule die Wahrheitsetablierung durch Wahrheit und Wirklichkeit konstituierende Prozesse, wie Differenzbildungen, Zuschreibungen, Ein- und Ausgrenzungs- als auch Abwertungsprozesse? Was ist deren Funktion für die alltägliche soziale Ordnung und für das soziale Zusammenleben der Subjekte? Ziel ist, empirisch zu rekonstruieren, wie in diesen sozialen Kontexten „(…)welche Unterscheidungen wie verwendet und relevant gesetzt werden sowie welche privilegierenden oder benachteiligten Effekte dies nach sich zieht.“ (Scherr, 2006, S.2015) Mit den Methoden leitfadengesteuerter Einzel- und Gruppeninterviews und dem Anfertigen von Collagen durch die Schüler unter der Fragestellung „Wie erlebst du den Alltag an der PierreBourdieu-Schule?“ sollen die oben benannten Prozesse, die den Alltag kennzeichnen mögen, durch die Selbstbeschreibungen der SchülerInnen erfasst werden. Darüber hinaus soll der Alltag durch die Datensammlung über Broschüren und dem Auftritt der Schule im Rahmen ihrer Homepage betrachtet werden. Auch wird der Alltag durch teilnehmende Beobachtung, beispielsweise in Form der Unterrichtsbeobachtung, näher untersucht.

1.4 Untersuchungsverlauf Entsprechend zeichnet sich die Studie durch folgenden Untersuchungsverlauf aus:

Überblick: Die Punkte 2-3 stellen den theoretischen Teil der Studie dar. Punkt 4 den empirischen Teil, inklusive der Diskussion der Ergebnisse, und Punkt 5 entsprechende Schlussfolgerungen im Kontext der Fragestellung, ob inklusive Beschulung Herrschaftsverhältnisse, die sich in dem Stigmatisieren von Subjekten und ganzen Institutionen zeigen, aufzulösen im Stande wäre. Danach folgt der Anhang.

16

Präziser Untersuchungsverlauf: Theorieteil 2-3: Zunächst erfolgt unter Punkt 2.1 eine historische Aufarbeitung der Entstehungsgeschichte der Förderschule und der in ihr angewandten Disziplin der Heilpädagogik. Deutschland hat nach dem Zweiten Weltkrieg einen Sonderweg in der Weiterentwicklung der Bildung behinderter Subjekte eingeschlagen, der stark mit der ihr vorgeworfenen institutionellen Diskriminierung verwoben ist. Daher wird die Etablierung des Förderschulwesens nach dem Zweiten Weltkrieg unter Punkt 2.2 gesondert bearbeitet. 2.3 stellt die heutige Situation der Förderschule und das aktuelle Verständnis von Behinderung in Deutschland unter der Zuhilfenahme von theoretischen Konzepten von Förderschulen dar. Des Weiteren wird aufgezeigt, was inklusive Beschulung kennzeichnet und wie sie bis dato in Deutschland umgesetzt wird. Dies ist zwingend notwendig um die Forschungsfrage zu beantworten, ob Herrschaftsstrukturen, über die die Individuen diskriminiert werden, sich im Rahmen einer inklusiven Beschulung auflösen würden. Im Anschluss wird der Frage nachgegangen, wie im europäischen Raum die Beschulung von von einer Behinderung betroffenen Subjekten verläuft. Sodann unter Punkt 2.4 wird der bisherige Forschungsstand zur Qualität der Beschulung an Förderschulen mit Hilfe empirischer Studien, die an Förderschulen erfolgt sind, dargelegt. Anschließend geht es, da die Förderschule aus einer intersektionalen Perspektive beleuchtet werden soll, in Punkt 3.1 um die theoretische und methodische Darstellung des Intersektionalen Ansatzes. Es soll die Stärke für das Forschungsvorhaben – sprich das Potential dieser Perspektive im Schulkontext – deutlich gemacht werden. Punkt 3.2 wird eine Darstellung intersektionaler Schulforschung umfassen. Dazu werden unter Punkt 3.2.1 zu einem besseren Verständnis die theoretischen Überlegungen zu Theorie und Methodologie des Intersektionalen Ansatzes am Beispiel einer intersektionalen Perspektive auf das selektive Bildungssystems und der Förderschule im Lichte der institutionellen Diskriminierung, die sich aus Punkt 2.2 ableitet, erläutert. Punkt 3.2.2 hat das Ziel aufzuzeigen, wie intersektionale Studien im Kontext der Schule gestaltet werden können. Insgesamt wird so der aktuelle Forschungsstand unter diesem Punkt in der Verwendung des Ansatzes im Schulkontext ersichtlich werden.

17