Die Angst vor dem Fremden: Die Wurzeln der Xenophobie

1901 taucht er in Anatole Frances Roman „Monsieur Bergeret à Paris“ auf. Im Zusammenhang mit der Dreyfus-Affäre bezeichnete der französische. Schriftsteller ...
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Erhard Oeser

Die Angst vor dem Fremden Die Wurzeln der Xenophobie

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ISBN 978-3-8062-3361-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-3362-9 eBook (epub): 978-3-8062-3363- 6

Inhalt Inhalt

Vorwort   9 Einleitung   15 Die philosophischen Grundlagen der Ethnologie   16 Kultur als Schicksal: Neorassismus   25

1 Der Umgang mit Fremden in der Antike   29 Das Verhalten der alten Ägypter und Babylonier gegen Fremde   30 Barbaren und Sklaven von Geburt aus: Die Fremden bei den ­Griechen   32 Die Fremden als Feinde Roms: Karthager, Germanen, ­Hunnen   40

2 Abendland und Morgenland   52 Die historisch-kritische Methode in der gegenwärtigen ­Islamwissenschaft   53 Die dunklen Anfänge des Islam   56 Dschihad: Gottes Auftrag zum Krieg gegen die Ungläubigen   62 Die Eroberungszüge Mohammeds und sein Judenhass   65 Die Spaltung des Islam in Sunniten und Schiiten nach dem Tod Mohammeds   69 Die Xenophobie der christlichen Kirchenväter: Johannes Damascenus   76 Kritik am Islam und Verteidigung der christlichen Lehre   80 Die historischen Zerrbilder des islamischen Morgen- und des ­christlichen Abendlandes   87 Der Ursprung der Turkophobie: Die Türkenbelagerung Wiens   92 Spaniens Mozaraber und die Araberphobie der Märtyrer von ­Córdoba   108 Die Reconquista und die Zerstörung der arabischen Wissenschaft und Kultur   121

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Inhalt

3 Die Blutspur des Weißen Mannes in der Neuen Welt   128 Columbus und die Wilden der Westindischen Inseln   129 Die ältesten Nachrichten von der Neuen Welt: Vespucci   135 Die Menschenfresserdebatte: Staden und Montaigne   137 Die Verwüstung der Neuen Welt: Las Casas und die „Schwarze Legende“   141 Die Konquistadoren in Mexiko und Peru   146 Die Amazonen   161 Der Wilde Westen und die Gräueltaten der Grenzer   171

4 Forschungsreisende im Dienste der Völkerkunde   185 Die erste Weltumsegelung: Magellan   185 Bougainville und die Jesuitenmission in Paraguay   192 Tahiti – Paradies oder Lasterhöhle?   196 Die Riesen von Patagonien   218 Die Verschleppung der Eingeborenen nach Europa   222 Cooks Tod und das Ende der Südseeschwärmerei vom „guten Wilden“   229

5 Die Auseinandersetzung mit den Kulturen des Fernen Ostens   236 Die Isolation Japans   237

Der „Waren- und Seelenhandel“ der Portugiesen   238 Der Aufstand der Samurai   240 Die fremden Teufel in China   246 Der Taipingaufstand   247 Der Boxeraufstand   253

6 Afrika – der dunkle Kontinent   271

Reisen ins Innerste Afrikas: Mungo Park   273 Ein Missionar im Dienste der Menschlichkeit: Livingstone   282 Ethnographische Ansichten eines Spezial-Korrespondenten in Zentralafrika: Stanley   285 Die Verdammten dieser Erde: Sklaven   288 Die Klassen der Sklavenhändler und die Sklavenkategorien nach Schweinfurth   294 Seefahrten in den Tod: Die Sklavenschiffe   297

Inhalt

7 Kolonialismus und Imperialismus   302

Der Ägyptenfeldzug Napoleon Bonapartes   302 Der Übertritt zum Islam: Napoleons taktisch-militärische ­Erwägungen   309 Der Feldzug nach Syrien und die Rückkehr Napoleons nach Frankreich   312 Die ägyptische Frage und die Folgen der britischen ­Okkupation   320 Das Massaker von Alexandria   325 Die Islamisierung des Sudans und das Elend der schwarzen Bevölkerung   328 Der Kampf um die Diamantenfelder und der Zulukrieg   335 Deutschlands Kampf in Ostafrika und die Heldentaten der Askaris   341

8 Nationalismus und Rassismus   345

Die historische Debatte um den Rassenbegriff   346 Biologie als Schicksal: Der genetische Determinismus   363 Die Anfänge des politischen Nationalismus: Der Deutsch-Französische Krieg   366 Der Antisemitismus in Frankreich und die Affäre Dreyfus   374 Der Antisemitismus in Deutschland: Von Luther bis Fontane   380 Das Erbe aus der Antike: Tacitus und die Germanenideologie   386 Die Propheten des Nationalsozialismus: Gobineau, Wagner und Chamberlain   388 Der Nationalismus in der Türkei und in den arabischen ­L ändern   399 Der Ahnenpass: Arier und Nichtarier   409 Die Täter-Opfer-Umkehr durch die Entgermanisierung der ­Tschechoslowakei   415

9 Islamophobie im Zeitalter der Globalisierung   424 Parallelgesellschaften und Paralleljustiz: Die misslungene I­ntegration   425 Salafismus: Der Ursprung der Islamophobie in der ­G egenwart   429 Antisemitischer Rassismus und Islamophobie   433 Vom Dschihad zum islamistischen Terrorismus   438

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Inhalt

Der Islamische Staat heute und seine Vorläufer im Iran und im Reich des Mahdi im Sudan   441 Die Rekrutierung von Dschihadisten aus Europa für den Islamischen Staat   459

Schlussbetrachtung: Universalität der Wissenschaft und der ­Menschenrechte   472 Zeittafel   480 Literatur   488 Personenregister   500 Sachregister   505

Vorwort Vorwort

„Von uns, die wir die Erfahrung der Vergangenheit besitzen, würde es ein großer Fehler sein, diese nicht für die Gegenwart und Zukunft anzuwenden.“ Hernán Cortés 1524

Die europäische Zivilisation wird bis auf den heutigen Tag als die größte Errungenschaft angesehen, mit der sich der Mensch von seinem wilden, beinahe tierischen Zustand zu dem heutigen kulturell gebildeten Europäer entwickelt hat. Doch die so gepriesene Zivilisation ist auf einer Selbsttäuschung aufgebaut. Diese Selbsttäuschung besteht in der Verleugnung eines Phänomens, das sich in seinem historischen Zusammenhang betrachtet als die schrecklichste Verhaltensweise des Menschen in seiner gesamten Geschichte erweist. Es ist die sogenannte Xenophobie in ihrer aggressiven Form der Fremdenfeindlichkeit, die nichts anderes ist als die dunkle Seite der fortschreitenden Zivilisation und Kultur der Menschheit. Nur wenige europäische Gelehrte und Philosophen wie Rousseau und Voltaire haben das erkannt. Aber ihre Erkenntnisse und Ansichten sind vergessen. Für den gebildeten Europäer waren die Bewohner weit entfernter Länder, auf welche die Forschungsreisenden und Eroberer gestoßen sind, „Wilde“, die jeder Bildung und Kultur entbehrten. Doch einsichtige Forschungsreisende, wie James Cook und Georg Forster, mussten bereits zugeben, dass es für diese Völker besser gewesen wäre, wenn sie von ihrer Entdeckung verschont geblieben wären. Denn sie brachte unendliches Leid über die eingeborene Bevölkerung. In manchen Gegenden rotteten die Mannschaften der Entdecker die ungeschützten Bewohner durch Kriegshandlungen oder Einschleppung ansteckender Krankheiten fast zur Gänze aus. Hinzu kam noch die Verschleppung von Eingeborenen nach Europa, wo sie als Siegestrophäen vorgezeigt wurden; ihre Heimat sahen sie nie wieder, weil sie als Sklaven oder Untersuchungsobjekte zurückbehalten wurden oder auf dem Rückweg den Strapazen unterlagen. Am schrecklichsten war die erbarmungslose Ausrottung der Ureinwoh-

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Vorwort

ner der Neuen Welt, die in die Geschichte der Menschheit als die „Schwarze Legende“ (Leyenda negra) eingegangen ist. Am meisten betroffen war jedoch die europäische Zivilisation durch den religiösen Konflikt des christlichen Abendlandes mit dem islamischen Morgenland. Wechselseitiger religiöser Fanatismus erzeugte nicht nur Fremdenangst, sondern auch Fremdenhass und Fremdenfeindlichkeit, die sich in den Kreuzzügen und später in den Türkenkriegen im südöst­ lichen Mitteleuropa sowie in den Eroberungszügen der Araber in Spanien äußerten. Doch die ursprünglich nicht nur in der Antike von den Griechen und Römern, sondern auch im Mittelalter vom christlichen Abendland und von den europäischen Nationalstaaten der beginnenden Neuzeit als wilde räuberische Stammesgesellschaften verachteten Barbaren der Araber und Türken hatten sich unter dem vereinigenden Band der ­islamischen Religion sowohl im spanischen Andalusien als auch vor allem im Osmanischen Reich zu einer nicht nur militärischen, sondern auch kulturellen Vormachtstellung entwickelt, von der europäische Gelehrte wie Gustav Weil oder Joseph von Hammer-Purgstall und Dichter wie Goethe oder Rilke nur träumen konnten. Will man die gegenwärtig angespannte Lage Europas verstehen, die durch Flüchtlingselend, Asylsuche, Einwanderung und daraus hervor­ gegangene Fremdenfeindlichkeit entstanden ist, so muss man vor allem die jüngere durch Nationalismus und Rassismus gekennzeichnete Geschichte berücksichtigen. Früher waren die Fremden, abgesehen von Türken und Arabern, die bereits am Ende des Mittelalters vor den Toren der „Festung“ Europas standen, Bewohner weit entfernter, für den damaligen Europäer unerreichbarer Länder. Im 19. und 20.  Jahrhundert ging es nicht mehr um die Unterdrückung und Ausbeutung oder Missionierung der sogenannten „Wilden“, sondern um den Zusammenstoß der imperialistischen Mächte Europas mit den alten, hoch entwickelten Kulturen Asiens und mit der sowohl im Osten wie im Westen Europas zu einem Kulturträger gewordenen islamischen Welt. Anders verhielt sich die Lage in Afrika. Einerseits war der „dunkle Kontinent“ gekennzeichnet durch den Sklavenhandel, der diese Verdammten der Erde zu einer käuflichen Ware erniedrigte, andererseits war es gerade der europäische Kolonialismus, der zu Fremdenfeindschaft auch zwischen den konkurrierenden ­europäischen Nationen wie Frankreich und England führte. Aber weder Frankreich noch England konnten das eigentliche Übel Afrikas, den Sklavenhandel, beseitigen. Denn es waren die Eroberer der Neuen Welt,

Vorwort

die, nachdem sie die eingeborene Bevölkerung, die Indianer, erbarmungslos ausgerottet hatten, schwarze Arbeitskräfte benötigten, die schlimmer als jedes Vieh unter ungeheuren Verlusten auf eigens dazu eingerichteten Sklavenschiffen von den Küsten Afrikas nach Amerika transportiert ­w urden. Ein weiteres, vielleicht das dunkelste Kapitel der Menschheitsgeschichte ist der zum Rassismus entartete Nationalismus, der sich vor ­allem als Antisemitismus in ganz Europa verbreitete und im national­ sozialistischen Deutschland seinen schrecklichen Höhepunkt erreichte. Mit dem Untergang des nationalsozialistischen Deutschen Reichs nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges war jedoch der auf den Nationalismus begründete Fremdenhass der sich neu formierenden europäischen Nationalstaaten noch nicht beendet. Vielmehr hat sich die in der ge­ samten Geschichte der Menschheit immer wiederkehrende Fremdenfeindlichkeit zwischen den Völkern der Erde heutzutage in unserer globa­lisierten Welt nicht grundsätzlich verändert. Vorbei sind zwar die heroischen Entdeckungsfahrten der Europäer, deren Phantasie ihnen ein Paradies von friedliebenden guten Wilden vorgaukelte, eine Vorstellung, die bei näherer Bekanntschaft in Entsetzen umschlug über den Kannibalismus und die Grausamkeit von Menschenopfern, mit denen die Ausrottung der alten Kulturvölker in der Neuen Welt durch die christlichen Europäer gerechtfertigt wurde. Aber noch nicht vorbei sind die Glaubenskämpfe zwischen den Anhängern unterschiedlicher Religionen und Konfessionen, von denen auch das christliche Abendland nicht verschont geblieben ist. Diese Glaubenskämpfe sind heutzutage vor allem durch den islamischen Terrorismus wiedererweckt worden, der sich nicht nur durch das Attentat am 11.  September 2001 in Amerika gezeigt hat, ­sondern sich nun auch innerhalb der Länder der Europäischen Union abspielt und dort zu kontroversen, emotional aufgeheizten öffentlichen Diskussionen über die Islamisierung Europas führt. Wenngleich das hier zusammengetragene historische Material an ­Grausamkeiten und Gräueln sich nur schwer ertragen lässt, ist eine solche Auflistung und rücksichtslose Darstellung für eine möglichst objektive ­Beurteilung der Xenophobie, die heutzutage fast ausschließlich zu einer Islamophobie geworden ist, eine absolute Notwendigkeit. Denn Fremdenhass und Fremdenfeindlichkeit waren seit Anbeginn der Menschheit vorhanden und konnten im Laufe ihrer Entwicklung zur Zivilisation nicht ­beseitigt werden, sondern haben sich vielmehr zu größter Brutalität gestei-

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Vorwort

gert. Mit all den in diesem Buch vorgebrachten Argumenten soll daher keine kritiklose multikulturelle Harmonisierung um den Preis einer Ignorierung oder Verschleierung der bestehenden kulturellen Gegensätze befürwortet werden. Die Entscheidungsfreiheit des Individuums ist zwar ein in der Philosophie des Abendlandes erkämpftes unverlierbares Gut, aber kein Mensch auf dieser Welt wird in einem kulturellen Nichts geboren und wächst wie der einsame Wilde Rousseaus ohne Tradition auf. So sehr die Hoffnung besteht, zumindest zu einer gemeinsamen Vorstellung der allgemeinen Menschenrechte zu kommen, so sind doch die in der Wirklichkeit real vorhandenen traditionellen Religionen, Rechtssysteme und wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse unvereinbare Zwangsjacken, die auf einer jahrhundertealten Tradition beruhen, die man erst kennen und verstehen muss, um über diese Unvereinbarkeiten hinweg zu einer gewalt­ losen Verständigung und Anerkennung zu kommen. Eine philosophisch-wissenschaftsgeschichtlich orientierte Untersuchung wie diese kann nicht den Anspruch erheben, im Streit der Meinungen eine allgemein verpflichtende Lösung vorzuschlagen. Dass ich mich trotzdem mit dem anscheinend unlösbaren Problem der Xenophobie über lange Jahre beschäftigt habe, hat mit meiner Lehrtätigkeit an der Universität Wien zu tun. Meine Lehrverpflichtung für Philosophie und Wissenschaftstheorie brachte mich geradezu zwangsweise in Kontakt mit den Vertretern der unterschiedlichen Disziplinen, bei denen ich in gemeinschaftlichen Seminaren und interdisziplinären Ringvorlesungen eine transdisziplinäre Vermittlungsrolle spielen durfte, was ja auch zu dem traditionellen Geschäft der Philosophie gehört. Zwar bin ich der Meinung, dass die kulturwissenschaftliche Völkerkunde (Ethnologie) in ihrer um die philosophischen Grundlagen erweiterten Form, wie sie mein Freund und Studiengenosse Wolfdietrich Schmied-Kowarzik vertritt, die empirische wie theoretische Grundlage der Untersuchung der Xeno­ phobie darstellt. Andererseits ist aber dabei auch die naturwissenschaftlich orientierte physische Anthropologie mit ihrer heutzutage auf der Evolutionstheorie und vergleichenden Verhaltensforschung beruhenden Grundlage zu berücksichtigen. Denn gerade auf diesem Gebiet wird in der populärwissenschaftlichen Literatur noch immer ein längst obsolet gewordener genetischer Determinismus vertreten, für den fälschlicherweise Darwin verantwortlich gemacht wird. In konkreten Kontakt mit der heutigen chinesischen und arabischen Kultur bin ich in Peking und Tunis durch meine ehrenamtliche Tätigkeit

Vorwort

als Präsident des Internationalen Terminologienetzes (TermNet) gekommen. Dieser 1988 in Wien gegründete internationale Verein zur Förderung der Koordination und Kooperation im Bereich der Fachsprachen brachte mich während meiner Funktionsperiode in den Jahren 1989 – 1993 zu der Erkenntnis, dass in der heutigen globalisierten Welt zwischen den Völkern dieser Erde trotz unterschiedlicher politischer und religiöser Ansichten zumindest auf der wissenschaftlichen Ebene eine Kooperation nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist. Weitere Anregungen konnte ich in der Türkei im „Philosophischen Kreis Wien–Istanbul / Viyana–Istanbul Felsefe Çevresi“ gewinnen, der in Nachfolge meiner Gastvorlesungen über „Wissenschaftlichen Univer­ salismus“ an der Universität Istanbul mit der Unterstützung des Öster­ reichischen Kulturinstitutes gegründet worden ist. Von türkischer Seite waren es meine Kollegen Teoman Durali und Safak Ural, welche auf diese Weise die traditionsreichen Beziehungen der Universitäten Wien und Istanbul durch mehrere Symposien in Istanbul fortgeführt und verdichtet haben. Zu dieser Zeit, am Beginn der neunziger Jahre des 20.  Jahrhunderts, dominierte noch die für diese philosophisch-wissenschaftliche Kooperation günstige politische Ansicht, dass die Türkei eine Brücke zwischen der europäischen Kultur und der islamischen Kultur des Nahen Ostens bildet, was jedoch heutzutage durch die zunehmende Islamisierung der Türkei und den gleichfalls zunehmenden kulturalistischen Neorassismus in Europa in Frage gestellt ist. Wissenschaftlicher Universalismus, der seit der Übernahme der klas­ sischen griechischen Philosophie durch die Araber eine lange Tradition hat, ist zwar nicht das Allheilmittel gegen Fremdenhass und Fremdenfeindschaft, aber er könnte zumindest die Basis für eine rationale Diskussion des in der Natur und Kultur der Menschheit tief verwurzelten und deshalb in ihrer gesamten Geschichte immer wiederkehrenden Problems der Xenophobie schaffen. Doch diese Hoffnung könnte auch trügerisch sein. Denn die Auseinandersetzung der Kulturen wird nicht auf der Ebene wissenschaftlicher Rationalität geführt, sondern auf der emotionalen Ebene, die durch Angst, wirtschaftlichen Neid, religiösen Fanatismus und die darauf basierenden politischen Hetzreden gekennzeichnet ist. Dass sich diese Situation durch Aufklärung und Verstehen der historischen Entwicklung dieser dunklen Schattenseite der Menschheitsgeschichte, wie es in diesem Buch versucht wird, ändern lässt, mag sich als eine vergebliche Mühe herausstellen, die aber trotzdem unternommen

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Vorwort

werden muss, will man nicht in einen radikalen Kulturpessimismus verfallen. Daher kann auch nicht der sich mehr und mehr durchsetzende wissenschaftliche Universalismus in unserer globalisierten Welt die Lösung bieten, sondern es muss vielmehr die allgemeine Anerkennung der ethisch-moralischen Universalität der Menschenrechte die Grundlage für die Bekämpfung der ständig wiederkehrenden Fremdenfeindschaft unter den Völkern und Nationen dieser Erde sein. Was nun die in diesem Buch verwendete Terminologie betrifft, so werden bei den arabischen Bezeichnungen statt der in den Fachwissenschaften der Arabistik, Orientalistik und Islamwissenschaft gebräuchlichen Transkriptionen die heute üblichen, allgemein verständlichen deutschen Ausdrücke verwendet, also statt „Qur’an“ „Koran“ oder statt „al-Qaida“ „Al-Kaida“. Ältere Originaltexte wurden vorsichtig an aktuelle Schreibweisen und gültige Kommasetzung angeglichen. Und es versteht sich von selbst, dass die heutzutage nicht mehr als politisch korrekt angesehenen Formulierungen wie „Neger“, „Zigeuner“ etc. nur im Kontext ihrer jeweiligen Zeit zitiert werden. Wien, im Januar 2015

Erhard Oeser

Einleitung Einleitung

Ursprünglich war der aus dem Griechischen stammende Begriff „Xenophobie“ in der naturwissenschaftlich orientierten Anthropologie und ­Humanethologie eher harmlos auf die Angst (phobos) vor einem Fremden (xenos) bezogen, die sich, ohne eine direkte Bedrohung erfahren zu haben, ab einem gewissen Kindesalter fast ausnahmslos bei allen Völkern zeigt. Seit Beginn des 20.  Jahrhunderts hat jedoch dieser Begriff über seine biologische Bedeutung hinaus eine grundsätzliche Erweiterung im Sinn eines kulturellen und politischen Phänomens erfahren. Im Jahre 1901 taucht er in Anatole Frances Roman „Monsieur Bergeret à Paris“ auf. Im Zusammenhang mit der Dreyfus-Affäre bezeichnete der französische Schriftsteller die antisemitischen Demagogen als „misoxènes, xénophobes, xénoctones et xénophages“; das heißt: „Fremdenhasser, Fremdenfeinde, Fremdentöter und Fremdenfresser“ (France o.  J., S.  101). In dieser erweiterten, verallgemeinerten Bedeutung hat er noch zusätzlich eine Spezialisierung erfahren. Man spricht heutzutage von „Islamophobie“, „Arabophobie“, „Turkophobie“, „Negrophobie“ usw. – Begriffe, deren gemeinsamer Nenner die Fremdenfeindlichkeit darstellt. Abgesehen davon, dass die wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit dem Phänomen der Xenophobie beschäftigen, immer selbst einem bestimmten Kulturkreis angehören und damit einer gewissen Subjektivität unterliegen, ist diese Fragestellung mit scheinbar unüberbrück­ baren Kontroversen und historischen Belastungen behaftet. Das gilt sowohl für biologisch-naturwissenschaftliche Ansichten als auch für kulturwissenschaftlich-geisteswissenschaftliche Konzepte, die beide in der Vergangenheit selbst ein gerüttelt Maß Schuld an der heutigen ­Situation trugen. Denn sowohl die Anthropologie, die naturwissenschaftlich orientierte Menschenkunde, als auch die Ethnologie, die kulturwissenschaftliche Völkerkunde, haben in der Vergangenheit dem europäischen Kolonialismus und dem in Fanatismus ausgearteten christlichen Missionierungsdrang eine Rechtfertigung für jene unbeschreib­ lichen Gräueltaten geliefert, die man heute nur allzu gerne unter dem

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Einleitung

Deckmantel des „christlichen Abendlandes“ der Vergessenheit überantwortet.

Die philosophischen Grundlagen der Ethnologie Die philosophischen Grundlagen der Ethnologie

Will man die Frage nach den Ursachen der Xenophobie auf wissenschaftliche Weise untersuchen, so stößt man auf ein vielschichtiges, komplexes Problem, das nicht nur von einem Bereich der Wissenschaft behandelt werden kann. Seit dem Beginn der Aufklärung beschäftigen sich mit dem Thema fremder Kulturen eine Reihe von kulturwissenschaftlichen Disziplinen wie Völkerkunde, Sozialanthropologie, Kulturanthropologie und Kulturgeschichte. Die Ethnologie oder Völkerkunde war einst mit dem Anspruch angetreten, alle Völkerschaften in ihrer jeweiligen kulturellen Besonderheit zu erfassen und damit etwas über die kulturelle Entwicklung der Menschheit aussagen zu können, doch konkret war ihr Forschungsfeld von Anbeginn an auf die „Wilden“, die archaischen Stammesgesellschaften, eingegrenzt. Schon die ersten fachlich ausgebildeten Ethnographen waren sich darüber im Klaren, dass ihre Arbeit darin bestand, fremde Kulturen zu untersuchen, die noch existierten, aber durch zunehmende zivilisatorische Einflüsse bald der Vergangenheit angehören würden. Die merkwürdige Lage, in der sich die Ethnologie schon seit ­einiger Zeit befindet, hat Bronislaw Malinowski folgendermaßen beschrieben: „Die Ethnologie befindet sich in der traurig absurden, um nicht zu sagen, tragischen Lage, dass genau in dem Augenblick, da sie beginnt, ihre Werkstatt in Ordnung zu bringen, ihre eigentlichen Werkzeuge zu schmieden und an die ihr zugewiesene Aufgabe zu gehen, das Untersuchungsmaterial hoffnungslos schnell dahinschwindet. Gerade jetzt, da die Methoden und Ziele der wissenschaftlichen Feldethnologie Gestalt angenommen haben, da hierfür gut vorbereitete Männer sich angeschickt haben, in unzivilisierte Länder zu reisen und deren Einwohner zu studieren – sterben diese direkt vor unseren Augen aus“ (Malinowski 1922, S.  15). Und jene Völker, muss man hinzufügen, die sich inzwischen zu eigenen Staaten entwickelt haben, lehnen es ab, von der europäischen Ethnologie erforscht zu werden, da sie in ihr ein Relikt kolonialer Herrschaft erblicken. Tatsächlich war ja Europa seit Jahrhunderten dabei, alle Kontinente zu erobern und die fremden Völker zu unterwerfen. Im Windschatten der