Der Merit-Order-Effekt der erneuerbaren Energien - EWI - Universität ...

hohen variablen Kosten aus der Merit-Order, so dass in Stunden mit hoher EE-Einspeisung Kraftwerke mit niedrigeren variablen Kosten preissetzend werden.
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Der Merit-Order-Effekt der erneuerbaren Energien - Analyse der kurzen und langen FristI Michaela F¨ urscha,∗, Raimund Malischeka , Dietmar Lindenbergera a Energiewirtschaftliches

Institut an der Universit¨ at zu K¨ oln (EWI), Vogelsanger Strasse 321, D-50827 K¨ oln

Zusammenfassung Unter dem Merit-Order-Effekt (M-O-E) der erneuerbaren Energien (EE) wird deren preissenkende Wirkung auf die Strompreise auf Großhandelsebene (B¨orsenpreise) verstanden. Sowohl die H¨ohe des Merit-OrderEffekts in der kurzen und der langen Frist als auch dessen volkswirtschaftliche Bedeutung ist umstritten. In diesem Artikel analysieren wir zun¨ achst, durch welche Faktoren Preiseffekte erneuerbarer Energien in der kurzen Frist bestimmt werden, unter welchen Bedingungen Preiseffekte in einem theoretischen langfristigen Gleichgewicht m¨ oglich sind und welche Preiseffekte in der Realit¨at durch Unsicherheiten und dynamische Anpassungsprozesse entstehen. In einem zweiten Teil berechnen wir mit einem Optimierungsmodell des europ¨ aischen Strommarkts den M-O-E f¨ ur Deutschland bis 2030. Hierbei ber¨ ucksichtigen wir im Unterschied zu den meisten bestehenden Berechnungen zwei wichtige Determinanten des M-O-E endogen: Anpassungsprozesse des Kraftwerksparks sowie Stromaustauschm¨oglichkeiten mit dem europ¨aischen Ausland. Keywords: Merit-Order-Effekt, Strommarktoptimierung, Erneuerbare Energien JEL classification: Q48, C61, L94 ISSN: 1862-3808

I Der vorliegende Artikel basiert auf einer im Auftrag des Bundesministeriums f¨ ur Wirtschaft und Technologie (BMWi) erstellten Studie. ∗ Corresponding author Email address: [email protected], +49 22127729321 (Michaela F¨ ursch)

1. Einleitung Unter dem Merit-Order-Effekt (M-O-E) der erneuerbaren Energien (EE) wird deren preissenkende Wirkung auf die Strompreise auf Großhandelsebene (B¨orsenpreise) verstanden. Da viele EE variable Kosten von nahe Null haben, verdr¨ angen sie Stromerzeugung aus konventionellen Kraftwerken mit vergleichsweise hohen variablen Kosten aus der Merit-Order, so dass in Stunden mit hoher EE-Einspeisung Kraftwerke mit niedrigeren variablen Kosten preissetzend werden. Dieser Effekt wurde theoretisch u.a. von Amundsen und Mortensen (2001), Jensen und Skytte (2002) und Fischer (2006) aufgezeigt. Quantifizierungen des M-O-E in unterschiedlichen regionalen Stromm¨arkten wurden in den letzten Jahren sowohl auf Basis von empirischen Analysen als auch anhand von Optimierungsmodellen vorgenommen. Munksgaard und Morthorst (2008), J´onsson u. a. (2010) und Gelabert u. a. (2011) berechnen den Merit-Order-Effekt ex-post anhand empirischer Daten des d¨anischen (Munksgaard und Morthorst (2008) und J´ onsson u. a. (2010)), bzw. des spanischen (Gelabert u. a. (2011)) Stromsystems. Miera u. a. (2008) zeigen einen preissenkenden Effekt von Windeinspeisung auf dem spanischen Strommarkt auf, indem sie die historische Merit-Order mit und ohne Windeinspeisung simulieren. Ex-post Berechnungen des Merit-Order-Effekts anhand von Optimierungsmodellen f¨ ur den deutschen Strommarkt wurden unter anderem von Sensfuß u. a. (2008), Weigt (2009) und Traber und Kemfert (2011) durchgef¨ uhrt. Hindsberger u. a. (2003), Unger und Ahlgren (2005), Traber u. a. (2011) und Nicolosi (2012) berechnen dagegen ex-ante den Merit-Order Effekt bei zuk¨ unftig steigenden Mengen erneuerbarer Energien in der Ostsee-Region (Hindsberger u. a. (2003)), in Nordeuropa (Unger und Ahlgren (2005)) und in Deutschland (Nicolosi (2012) und Traber u. a. (2011)). W¨ ahrend Sensfuß u. a. (2008), Weigt (2009), Traber und Kemfert (2011) und Traber u. a. (2011) Kraftwerkseinsatzmodelle nutzen und den Einfluss von Erneuerbaren Energien auf die Zusammensetzung des konventionellen Kraftwerksparks entweder nicht oder durch exogene Annahmen ber¨ ucksichtigen, nutzen Hindsberger u. a. (2003), Unger und Ahlgren (2005) und Nicolosi (2012) integrierte Investitions- und Kraftwerkseinsatz-Optimierungsmodelle. Die Bedeutung von langfristigen Anpassungsprozessen des konventionellen Kraftwerksparks bei der Bestimmung des Merit-Order-Effekts haben unter anderem Weber und Woll (2007), Wissen und Nicolosi (2008), Miera u. a. (2008) und Felder (2011) diskutiert. Weber und Woll (2007) und Miera u. a. (2008) verdeutlichen, dass im langfristigen theoretischen Gleichgewicht das durchschnittliche Preisniveau unabh¨angig von der EEPenetration eines Stromsystems ist. Grund hierf¨ ur ist, dass sich die Zusammensetzung des konventionellen Kraftwerksparks langfristig optimal an die jeweilige EE-Menge eines Systems anpassen kann. Wissen und Nicolosi (2008) argumentieren, dass je nachdem wie sich der konventionelle Kraftwerkspark dynamisch an 1

eine erh¨ ohte EE-Einspeisung anpasst, diese sowohl zu Preissenkungen als auch zu Preissteigerungen f¨ uhren kann. Eine ¨ ahnliche Argumentation f¨ uhrt Felder (2011) an: In Abh¨angigkeit davon, wie Investoren konventioneller Kraftwerke den zuk¨ unftigen Ausbau von erneuerbaren Energien einsch¨atzen, kann der EE-Ausbau zu sinkenden oder steigenden Preisen f¨ uhren - letzteres z.B. wenn sich Windpark-Projekte unerwartet verz¨ogern. Aus einer volkswirtschaftlichen Perspektive entspricht der Merit-Order-Effekt im Wesentlichen einem Verteilungseffekt. W¨ ahrend Endkundenpreise entweder sinken oder steigen - je nachdem ob der M-O-E die EE-F¨ orderkosten u ¨berkompensiert oder nicht - (siehe z.B. Miera u. a. (2008) und Gelabert u. a. (2011)), sinken die Produzentenrenten der Betreiber von konventionellen Kraftwerken (siehe z.B. Unger und Ahlgren (2005) und Nicolosi (2012)). Vor diesem Hintergrund verfolgt das vorliegende Papier zwei Ziele. Erstens zeigen wir auf, unter welchen Bedingungen erneuerbare Energien theoretisch in der kurzen und in der langen Frist Preiseffekte verursachen k¨ onnen und welche Faktoren f¨ ur die H¨ohe dieser Preiseffekte ausschlaggebend sind (Abschnitt 2). ¨ Anhand dieser Uberlegungen stellen wir dar, wie bestehende Quantifizierungen des M-O-E f¨ ur Deutschland eingeordnet werden k¨ onnen (Abschnitt 3). Zweitens untersuchen wir Preis- und Kosteneffekte erneuerbarer Energien im Kontext der Energiewende in Deutschland bis 2030 (Abschnitt 4). Methodisch greifen wir dabei wie Hindsberger u. a. (2003), Unger und Ahlgren (2005) und Nicolosi (2012) auf ein lineares Investitionsund Kraftwerkseinsatzmodell zur¨ uck und ber¨ ucksichtigen im Gegensatz zu vielen f¨ ur Deutschland existierenden Berechnungen des M-O-E sowohl Anpassungseffekte des konventionellen Kraftwerksparks, als auch internationale Stromaustauschm¨ oglichkeiten, endogen. Die Rahmenparameter unserer Berechnung basieren dabei auf den Annahmen der Energieszenarien 2011“ (Prognos/EWI/GWS (2011)), einer Aktualisierung ” der Energieszenarien f¨ ur ein Energiekonzept der Bundesregierung“ (Prognos/EWI/GWS (2010)), welche ” im Kontext des im Sommer 2011 beschlossenen beschleunigten Kernenergieausstiegs durchgef¨ uhrt wurde. 2. Wirkungsanalyse des Merit-Order-Effekts Bei dem Merit-Order-Effekt ist grunds¨ atzlich zwischen einem kurzfristigen und einem langfristigen Einfluss von EE auf den Strom-Großhandelspreis zu unterscheiden. W¨ahrend in der kurzen Frist der Kraftwerkspark als gegeben angesehen wird, sind in der l¨angeren Frist Anpassungsprozesse durch Stilllegungen und Neubauten m¨ oglich. Zudem ist die Stromnachfrage in der l¨angeren Frist elastischer. Wir behandeln nachfolgend die Wirkungen des Merit-Order-Effekts in der kurzen (Abschnitt 2.1) und in der l¨ angeren Frist (Abschnitt 2.2).

2

2.1. Kurzfristiger Merit-Order-Effekt Steigt bei einem unver¨ anderten (konventionellen) Kraftwerkspark die Einspeisung von erneuerbaren Energien, so wird die (residuale) Nachfrage durch Kraftwerke mit niedrigeren variablen Kosten gedeckt - der Strompreis sinkt. Dieser Wirkungszusammenhang ist in Abbildung 1 stilisiert dargestellt.

€/MWh

Residuale Nachfrage N2 (mit EE Einspeisung)

Nachfrage N1 (ohne EE Einspeisung)

p1

M-O-E

p2

GW

Abbildung 1: Preisreduktion durch EE-Einspeisung Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Sensfuß u. a. (2008). Wie in Abbildung 1 illustriert, wird die H¨ohe des Merit-Order-Effekts durch den Preisunterschied zwischen den jeweils teuersten zur Lastdeckung ben¨otigten Kraftwerken mit und ohne Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energien determiniert. Wie groß dieser Preisunterschied ausf¨allt, h¨angt von folgenden Faktoren ab: • Zusammensetzung des konventionellen Kraftwerksparks und variable Kosten der jeweiligen Kraftwerke, • H¨ ohe der Strompreise im Ausland sowie Auslastung von Grenzkuppelstellen, • Korrelation von EE-Einspeisung und Last. Im Folgenden werden die Wirkungen dieser Fakoren kurz erl¨autert. 3

Einfluss der Zusammensetzung des Kraftwerksparks und der variablen Kosten der jeweiligen Kraftwerke Die Zusammensetzung des konventionellen Kraftwerksparks sowie die variablen Kosten der jeweiligen Kraftwerke bestimmen maßgeblich die Steigung der Merit-Order-Kurve und damit das Ausmaß der Preisreduktion durch eine Verschiebung der residualen Nachfrage. Beispielsweise verl¨auft bei einem hohen GasKohle-Spread, entweder durch einen - im Vergleich zum Kohlepreis - hohen Gaspreis oder durch einen niedrigen CO2 -Preis verursacht, die Merit-Order relativ steil und der Merit-Order-Effekt f¨allt vergleichsweise groß aus (siehe auch Weber und Woll (2007)). Die H¨ohe des f¨ ur ein bestimmtes Jahr quantifizierten Merit-Order-Effekts h¨ angt folglich von der H¨ohe der Brennstoff- und CO2 -Preise in diesem Jahr ab. Dieser Zusammenhang wird in Abbildung 2 anhand unterschiedlich hoher CO2 -Preise illustriert: Ein hoher CO2 -Preis erh¨ oht die variablen Kosten der Stromerzeugung aus Kohle st¨arker als die aus Gas und verringert damit den Unterschied in den Grenzkosten von Kohle- und Gaskraftwerken. Folglich verl¨auft die Merit-Order flacher und die Strompreis senkende Wirkung der Einspeisung aus erneuerbaren Energien f¨ allt kleiner aus (M-O-E∗ < M-O-E).

4

Residuale Nachfrage N2 (mit EE Einspeisung)

€/MWh

Nachfrage N1 (ohne EE Einspeisung)

p1* p1

M-O-E*

p2* M-O-E

p2

GW

Merit Order* (hoher CO2 Preis)

Merit Order (niedriger CO2 Preis)

Abbildung 2: Einfluss unterschiedlicher CO2 -Preise auf die H¨ohe des Merit-Order-Effekts Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Sensfuß u. a. (2008). Einfluss des internationalen Stromaustauschs Zudem kann der Stromaustausch mit dem Ausland einen maßgeblichen Einfluss auf Preisentwicklungen im Inland haben. In Abbildung 3 f¨ uhrt - ohne Beachtung von internationalen Stromaustauschm¨oglichkeiten die Verschiebung der residualen Nachfrage von N1 auf N2 infolge der EE-Einspeisung zu einer Preisreduktion von p1 auf p2. Stellt sich ein Preis von p2 ein, steigt jedoch die Nachfrage aus dem Ausland (bei ausreichender Verf¨ ugbarkeit von Grenzkuppelleistungskapazit¨at), wodurch die inl¨andische residuale Nachfrage wieder auf N3 ansteigt. Der Merit-Order-Effekt f¨ uhrt unter Beachtung von Stromaustauschm¨oglichkeiten folglich nur zu einer Preisreduktion von p1 auf p3.

5

Residuale Nachfrage N2 (mit EE Einspeisung)

€/MWh

Residuale Nachfrage N3 (mit EE-Einspeisung und Ausland)

Nachfrage N1 (ohne EE Einspeisung)

p1

M-O-E (mit Ausland) p3 M-O-E (ohne Ausland)

p2

GW

Abbildung 3: Einfluss von Stromaustauschm¨oglichkeiten mit dem Ausland auf den Merit-Order-Effekt Quelle: Eigene Darstellung. Einfluss der Korrelation von EE-Einspeisung und Last Auch die Korrelation von EE-Einspeisung und Last beeinflusst die H¨ohe des Merit-Order-Effekts. Trifft z.B. eine Starkwind-Phase mit einer hohen Last zusammen (N1 in Abbildung 4), so erfolgt die Nachfragereduktion im steilen Teil der Merit-Order - die Preisreduktion f¨allt hoch aus (Differenz von p1 und p2 ). Erfolgt die Nachfragereduktion dagegen in einem flachen Bereich der Merit-Order (N1∗ ), f¨allt auch der Merit-Order-Effekt entsprechend kleiner aus (Differenz von p∗1 und p∗2 ). Wie stark EE-Einspeisung und Last korrelieren, variiert aufgrund der stochastischen Einspeisung von fluktuierenden EE von Jahr zu Jahr (Nagl u. a. (2012)), so dass der f¨ ur ein bestimmtes Jahr quantifizierte Merit-Order-Effekt auch von der in diesem Jahr vorherrschenden Korrelation von Last und EE-Einspeisung abh¨angt.

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€/MWh

N2*

N1*

N2

N1

p1 M-O-E p2

M-O-E*

p1* p2*

GW

Abbildung 4: Einfluss der Korrelation von EE-Einspeisung und Last auf den Merit-Order-Effekt Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Sensfuß u. a. (2008). 2.2. Langfristiger Merit-Order-Effekt Wie in Abschnitt 2.1 dargestellt, ist der Strompreis in Stunden mit hoher Einspeisung von erneuerbaren Energien ceteris paribus geringer als in Stunden mit niedriger EE-Einspeisung. Wie groß der Effekt einer zunehmenden EE-Einspeisung auf den durchschnittlichen j¨ahrlichen Stromgroßhandelspreis ausf¨allt, h¨angt maßgeblich davon ab, inwieweit der konventionelle Kraftwerkspark optimal f¨ ur die jeweilige EE-Menge im Stromsystem ausgelegt ist. Abbildung 5 illustriert die kostenoptimale Zusammensetzung des konventionellen Kraftwerksparks in Abh¨ angigkeit von der Steigung der residualen Lastdauerlinie. In Abbildung 5 illustriert die obere Grafik den Einfluss von fluktuierender EE-Einspeisung auf die st¨ undliche (residuale) Stromnachfrage. Werden die st¨ undliche Last ohne EE-Einspeisung (gelbe Linie) und die st¨ undliche residuale Last nach Abzug der EE-Einspeisung (graue Linie) in absteigender Reihenfolge abgetragen, ergeben sich die entsprechenden (residualen) Lastdauerlinien in der mittleren Grafik. In der unteren Grafik sind die annuit¨ atischen Gesamtkosten von Grund-, Mittel- und Spitzenlastkraftwerken in Abh¨ angigkeit von zu erzielenden Volllaststunden abgebildet. Der Achsenabschnitt entspricht den an7

nuit¨ atischen Fixkosten einer Technologie, die Steigung deren variablen Kosten. Da Grundlastkraftwerke durch vergleichsweise hohe fixe aber niedrige variable Kosten gekennzeichnet sind, sind sie kosteneffizient, wenn hohe j¨ ahrliche Betriebsstunden realisiert werden. Umgekehrt sind Spitzenlastkraftwerke, die durch vergleichsweise niedrige fixe und hohe variable Kosten charakterisiert sind, effizient, wenn vergleichsweise wenige Betriebsstunden realisiert werden. Die rote Linie markiert die jeweils geringsten Gesamtkosten, mit der die in einer bestimmten j¨ ahrlichen Stundenanzahl auftretende Last kostenoptimal gedeckt werden kann und somit die effiziente Kraftwerkswahl in Abh¨angigkeit von zu erzielenden Volllaststunden: Bei einer Stundenanzahl im Bereich von S* haben Spitzenlastkraftwerke die niedrigsten Gesamtkosten. Bei einer etwas h¨ oheren Stundenanzahl (> S*) liegt die Gesamtkostenkurve von Mittellastkraftwerken unter derjenigen von Spitzenlastkraftwerken. F¨ ur eine Last, die in einer h¨oheren Stundenanzahl auftritt (> (S*+M*)), sind Grundlastkraftwerke kosteneffizient (Weber und Woll (2007)). Eine erh¨ ohte EE-Einspeisung f¨ uhrt zu einer steileren (residualen) Lastdauerline (mittlere Grafik). In vielen Stunden wird ein Großteil der Last durch EE gedeckt, so dass die H¨ohe der Grundlast sinkt. Der optimale Kapazit¨ atsmix in einem Stromsystem mit hohem EE-Anteil enth¨alt daher einen geringeren Anteil von Kraftwerken mit hohen Fixkosten. Hohe residuale Lasten treten dagegen auch in Stromsystemen mit einem hohen EE-Anteil auf, wenn z.B. Starklast und Schwachwind zusammentreffen. Der optimale Kapazit¨atsmix bei einem hohen EE-Anteil enth¨ alt daher einen gr¨oßeren Anteil an Kraftwerken mit niedrigen Kapitalkosten (Weber und Woll (2007), Lamont (2008), De Jonghe u. a. (2011)). In Abbildung 5 kennzeichnen die Mengen xs , xm und xg die kostenoptimale Kapazit¨at an Spitzen-, Mittel- und Grundlastkraftwerken f¨ ur den Fall eines Stromsystems ohne erneuerbare Energien; ys , ym und yg entsprechen den optimalen Kapazit¨aten der einzelnen Technologien in einem Stromsystem mit hohem EE-Anteil.

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Stündliche Lastkurven MW Stündl. Gesamtlast

Stündl. Residuallast =Gesamtlast – EE-Einspeisung

h

MW

ys ym

Lastdauerlinien

xs xm Lastdauerlinie

xg

yg h Annuitätische Gesamtkosten/ MW

Spitzenlastkraftwerk

Residuale Lastdauerlinie

Mittellastkraftwerk Grundlastkraftwerk

S*

G*

M*

h = 8760

G** M‘

G‘

Abbildung 5: Einfluss von EE-Einspeisung auf die optimale Zusammensetzung des konventionellen Kraftwerksparks Quelle: Eigene Darstellung, basierend auf Nabe (2006), Weber und Woll (2007), Wissen und Nicolosi (2008), Miera u. a. (2008), F¨ ursch u. a. (2012b). Im Folgenden erl¨ autern wir, welche Strompreiseeffekte durch erneuerbare Energien langfristig entstehen, wenn sich der Kraftwerkspark optimal an den EE-Ausbau anpassen kann (Abschnitt 2.2.1) und welchen Einfluss ein suboptimal ausgelegter Kraftwerkspark auf die Strompreiseffekte von erneuerbaren Energien hat 9

(Abschnitt 2.2.2). Der erste Fall (Abschnitt 2.2.1) ist eher theoretisch als empirisch relevant, jedoch wichtig, weil er die grundlegende Logik der Strompreisbildung im langfristigen Gleichgewicht darstellt.1 Der zweite Fall (Abschnitt 2.2.2) ist empirisch relevant, da aufgrund von unsicheren Faktoren wie Brennstoff- und Investitionskosten, Nachfrageentwicklung und EE-Ausbau, eine vollkommen optimale Planung des Kraftwerkspark unter perfekter Voraussicht nicht m¨oglich ist.2 2.2.1. Strompreiseffekte bei optimaler Anpassung des Kraftwerksparks Weber und Woll (2007) und Miera u. a. (2008) argumentieren, dass bei einer langfristigen Betrachtung - und bei optimaler Anpassung des Kraftwerkspark an den EE-Ausbau - das mittlere GroßhandelsStrompreisniveau unabh¨ angig davon ist, ob das Stromsystem erneuerbare Energien enth¨alt oder nicht. Die Argumentation der Autoren st¨ utzt sich darauf, dass die Effizienzkostenkurve (in Rot markierte Linie in der unteren Grafik) unabh¨ angig vom Verlauf der (residualen) Lastdauerlinie ist und sich daher bei optimaler Anpassung des Kraftwerksparks an die jeweilige Lastdauerlinie, das gleiche mittlere Preisniveau einstellen muss. Wie im Folgenden dargestellt, gilt diese Argumentation unter perfekter Voraussicht und im langfristigen Gleichgewicht, sofern desweiteren keine Potenzialbeschr¨ankungen bindend sind,3 von An-, Abfahrund Mindestlastbedinungen abstrahiert wird und die residuale Last in jeder Stunde gr¨oßer als Null ist. Wir betrachten nun zun¨ achst den Fall, in dem diese Annahmen alle erf¨ ullt sind. Anschließend weichen wir von der Annahme ab, dass die residuale Last in jeder Stunde gr¨oßer als Null ist, was bei zuk¨ unftig weiter ansteigenden Anteilen von erneuerbaren Energien zunehmend unwahrscheinlicher wird. Die Steigung der Effizienzkostenkurve entspricht den kurzfristigen Grenzkosten der jeweils f¨ ur eine bestimmte Volllaststundenzahl optimalen Technologie und damit dem in einem wettbewerblichen Markt zu erwarteten Strompreis w¨ ahrend dem entsprechenden Zeitsegment. Nur in der Lastspitze muss gem¨aß PeakLoad-Pricing Theorie der Preis u ¨ber den kurzfristigen Grenzkosten der teuersten Technologie des optimalen Kraftwerksparks liegen, damit auch diese Technologie ihre Kapitalkosten decken kann (Weber und Woll (2007)).4 F¨ ur beide Lastdauerlinien in der mittleren Grafik gilt folglich, dass - abgesehen von der Stunde, 1 Das langfristige Gleichgewicht“ bezieht sich in der okonomischen Theorie auf einen Zeithorizont, der auf exogene Impulse ¨ ” (z.B. die vermehrte Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energien) die optimale Anpassung des Systems erlaubt, insbesondere unter Ber¨ ucksichtigung von Kapazit¨ atsanpassungen. Da sich in der Realit¨ at exogene Impulse vielfach schneller ¨ andern als sich Kapazit¨ aten anpassen lassen, gleicht die Situation der eines ”beweglichen Ziels”. 2 Die modell-gest¨ utzte Quantifizierung des M-O-E in Kapitel 4 erfolgt zwar im Rahmen der Szenarien unter vollkommener Voraussicht; dennoch ergibt sich ein im Zeitverlauf zunehmender (preisd¨ ampfender) M-O-E, weil bereits der bestehende Kraftwerkspark nicht optimal angepasst ist und die erneuerbaren Energien im Referenzszenario schneller expandieren als sich der Kraftwerkspark anpassen kann. 3 Die in Abbildung 5 dargestellten Wirkungsmechanismen unterstellen, dass f¨ ur keine Technologie Brennstoff- oder Kapazit¨ ats- Potenzialrestriktionen bindend sind; z.B. bei Braunkohlekraftwerken ist dies aufgrund von begrenzten Grubenkapazit¨ aten nicht immer der Fall. 4 Die Systemgrenzkosten schließen dann die marginalen Kosten einer Kapazit¨ atsausweitung ein und bilden die langfristigen Grenzkosten ab.

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in der die Lastspitze auftritt - der Strompreis in S* Stunden den Grenzkosten eines Spitzenlastkraftwerkes und in M* Stunden den Grenzkosten eines Mittellastkraftwerkes entspricht. Wenn die residuale Last in jeder Stunde gr¨ oßer als Null ist und folglich in jeder Stunde ein konventionelles Kraftwerk zum Einsatz kommt, um die Last zu decken, entspricht zudem in beiden F¨allen in G* Stunden der Preis den Grenzkosten eines Grundlastkraftwerkes. Folglich betr¨agt das mittlere Preisniveau bei optimaler Anpassung des Kraftwerksparks sowohl in einem Stromsystem mit EE als auch in einem Stromsystem ohne EE genau p1 :

p1 = mit

S ∗ · vks + M ∗ · vkm + G∗ · vkg + peak 8760

(1)

vks = variable Kosten eines Spitzenlastkraftwerks

mit vkm = variable Kosten eines Mittellastkraftwerks mit

vkg = variable Kosten eines Grundlastkraftwerks

mit

peak = Preisaufschlag in der Spitzenlastperiode

Treten dagegen durch eine hohe EE-Einspeisung Stunden auf, in denen die residuale Last gleich Null oder negativ ist (wie in Abbildung 5 dargestellt), so wird der Preis nur in G** Stunden durch die Grenzkosten eines Grundlastkraftwerkes gesetzt und betr¨agt in (G*-G**) Stunden Null e/MWh oder kann aufgrund von An- und Abfahrkosten von konventionellen Kraftwerken und preisunelastischer Nachfrage sogar negativ werden (EWI (2010)).

p2 =

S ∗ · vks + M ∗ · vkm + G∗∗ · vkg + peak 8760 => p2 < p1

(2)

da G∗∗ < G∗

Folglich kann - auch bei optimaler Anpassung des konventionellen Kraftwerksparks an die EE-Erzeugungsmengen eines Stromsystems - eine erh¨ ohte EE-Erzeugungsmenge zu einer Reduktion des durchschnittlichen Großhandelspreises f¨ uhren, wenn die EE-Einspeisung die Zahl der Stunden, in denen eine positive residuale Last auftritt, verringert.

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2.2.2. Einfluss einer suboptimalen Auslegung des Kraftwerksparks In der Realit¨ at ist eine perfekte Anpassung des konventionellen Kraftwerksparks jedoch kaum m¨oglich, da hierf¨ ur alle Marktteilnehmer perfekte Voraussicht u unftige EE-Einspeisungen br¨auchten - und ¨ber zuk¨ dies u ¨ber die gesamte Lebensdauer von konventionellen Kraftwerken, d.h. von 25-50 Jahren je nach Technologie. In Deutschland wurden Erwartungen u ¨ber den Zubau von erneuerbaren Energien bislang tendenziell u ullt, auch das Ziel f¨ ur 2010 eines 12,5% EE-Anteils wurde bereits 2007 erreicht. Auch zuk¨ unftig ist ¨bererf¨ eine perfekte Anpassung des konventionellen Kraftwerksparks an den Ausbau von erneuerbaren Energien kaum m¨ oglich, da dieser Ausbau z.B. aufgrund von Umsetzungsrisiken bei Netzanschluss und Netzausbau keiner perfekten Voraussicht unterliegt (F¨ ursch u. a. (2012b)). Der Einfluss von EE-Einspeisung auf den Stromgroßhandelspreis bei suboptimaler Anpassung des Kraftwerksparks an die tats¨ achlich eintretende residuale Last ist ebenso in Abbildung 5 illustriert. Angenommen der Kraftwerkspark wurde f¨ ur die Lastdauerlinie ohne EE-Einspeisung geplant, tats¨achlich erfolgt jedoch ein starker Ausbau von EE-Kapazit¨ aten, so dass die niedrigere und steilere residuale Lastdauerlinie realisiert wird. In diesem Fall gibt es eine ineffizient u uhrt, ¨berh¨ohte Kapazit¨at an Grundlastkraftwerken, die dazu f¨ dass anstatt in G** Stunden in G’ Stunden ein Grundlastkraftwerk preissetzend ist. In weiteren M´ Stunden wird der Preis durch ein Mittellastkraftwerk gesetzt. Spitzenlastkraftwerke kommen nicht zum Einsatz und werden damit nie preissetzend, da selbst die Lastspitze durch Mittellastkraftwerke gedeckt werden kann. ¨ Da Uberkapazit¨ aten existieren, bildet sich zudem auch in der Spitzenlaststunde kein Knappheitspreis. Folglich stellt sich durch die Einspeisung erneuerbarer Energien ein deutlich niedrigerer Preis ein, als dies bei gleichzeitiger bei optimaler Auslegung des Kraftwerksparks der Fall w¨are.

0

p3 =

0

M · vkm + G · vkg 8760

(3)

=> p3 < p2 < p1

3. Der Merit-Order-Effekt in Deutschland: Einordnung bestehender Quantifizierungen Seit der Einf¨ uhrung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im April 2000 ist der EE-Anteil am Bruttostromverbrauch in Deutschland von 6,8% auf 20,3% im Jahr 2011 angestiegen. Bis zum Jahr 2020 soll der EE-Anteil auf 35% ansteigen, bis 2030 auf 50% (BMWi/BMU (2010)). Abbildung 6 zeigt die Entwicklung der EE-Stromerzeugung in Deutschland seit 2000. Zus¨atzlich ist ab 2007 die EEG-verg¨ utete Stromerzeugung 12

abgetragen. Diese entspricht im Wesentlichen der EE-Erzeugung abz¨ uglich der Wasserkraft-Erzeugung, die zum großen Teil auch ohne F¨ orderung wettbewerbsf¨ahig ist. TWh 140

120

100

80

60

40

20

0 2000

2001 Wasserkraft

2002 Wind

2003 Biomasse

2004

2005

2006

Photovoltaik

Geothermie

2007

2008

2009

2010

2011

EEG-geförderte Erzeugungsmengen

Abbildung 6: Stromerzeugung auf Basis von erneuerbaren Energien, 2000-2011 [TWh] Quelle: Eigene Darstellung nach BMU (2012) und BDEW (2011) Der Einfluss der EE-Erzeugung auf den Stromgroßhandelspreis in Deutschland wurde in den letzten ¨ Jahren vielfach untersucht - Tabelle 1 gibt einen Uberblick u ¨ber die Ergebnisse von Quantifizierungen der M-O-E in Deutschland. Bis auf Traber u. a. (2011) und Nicolosi (2012) f¨ uhren alle Autoren eine ex-post Berechnung des M-O-E durch. Bei den ex-post Berechnungen wird entweder ein Szenario mit und ein Szenario ohne EEG-verg¨ utete EE-Erzeugungsmengen oder ein Szenario mit und ohne Windeinspeisung (Weber und Woll (2007) und Weigt (2009)) verglichen. Traber u. a. (2011) und Nicolosi (2012) untersuchen ex-ante den M-O-E f¨ ur 2020 bzw. bis 2030 und analysieren dabei den Einfluss der zus¨atzlichen, nach 2010 zugebauten, EE-Mengen. Wie in Abschnitt 2 erl¨ autert, ist die H¨ ohe des M-O-E maßgeblich davon abh¨angig, inwieweit der konventionelle Kraftwerkspark optimal an die EE-Menge in einem Stromsystem angepasst ist. Zudem hat die M¨ oglichkeit des internationalen Stromaustauschs einen signifikanten Einfluss auf die H¨ohe des M-O-E. Beide Faktoren wurden in einem Großteil der Berechnungen nicht oder nicht endogen ber¨ ucksichtigt. F¨ ur das Jahr 13

2006 quantifizieren Sensfuß und Ragwitz (2007) einen Merit-Order-Effekt in H¨ohe von - 7,8 e/MWh - ohne Ber¨ ucksichtigung von Anpassungen des konventionellen Kraftwerksparks und der M¨oglichkeit des Stromaustauschs mit dem Ausland. Weigt (2009) ermittelt einen M-O-E in einer ¨ahnlichen Gr¨oßenordnung (- 6,26 e/MWh) wobei lediglich der Einfluss von Windenergie-Einspeisung ber¨ ucksichtigt wurde. Weber und Woll (2007) sch¨ atzen dagegen f¨ ur das gleiche Jahr den Einfluss der Windenergieeinspeisung auf - 4,04 e/MWh bei gleich bleibendem konventionellen Kraftwerkspark. Eine exogene Absch¨atzung von Anpassungsprozessen des konventionellen Kraftwerksparks f¨ uhrt in den Berechnungen von Weber und Woll (2007) sogar zu einem leichten Anstieg des Strompreises (+ 0,4 e/MWh) durch die vermehrte Windeinspeisung. Auch f¨ ur das Jahr 2007 weisen die unterschiedlichen Absch¨atzungen des M-O-E deutliche Divergenzen auf. So berechnet Sensfuß (2011) einen M-O-E von - 5,83 e/MWh (gesamte EEG-verg¨ utete EE-Menge und exogene Anpassung des konventionellen Kraftwerksparks), w¨ahrend Weigt (2009) den M-O-E im gleichen Jahr auf - 10,47 e/MWh absch¨ atzt (nur Windeinspeisung, ohne Anpassung des konventionellen Kraftwerksparks). F¨ ur 2020 berechnen Traber u. a. (2011) und Nicolosi (2012) einen vergleichsweise niedrigen M-O-E von ca. - 3 e/MWh - trotz h¨ oherer untersuchter EE-Erzeugungsdifferenzen als in den anderen in Tabelle 1 dargestellten Berechnungen. In beiden Analysen - und im Gegensatz zu allen anderen dargestellten Berechnungen - werden Stromaustauschm¨ oglichkeiten mit dem Ausland ber¨ ucksichtigt. W¨ahrend Nicolosi (2012) Im- und Exporte explizit modelliert, wird der internationale Stromaustausch in Traber u. a. (2011) u ¨ber eine Anpassung der Nachfrageelastizit¨ aten ber¨ ucksichtigt (siehe Traber und Kemfert (2011)). Ebenso werden sowohl in Traber u. a. (2011) als auch in Nicolosi (2012) Anpassungsprozesse des konventionellen Kraftwerksparks ber¨ ucksichtigt - entweder u ¨ber eine exogene Annahme (Traber u. a. (2011)) oder modell-endogen (Nicolosi (2012)).

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¨ Tabelle 1: Literatur-Ubersicht - Quantifizierung des Merit-Order-Effekts in Deutschland Studie 2006

Sensfuß und Ragwitz (2007) Sensfuß (2011)

Traber (2011)

Ver¨ anderung des Spotmarktpreises (Day-Ahead) in e/MWh 2007 2008 2009 2010

-7,8 -5,82

-5,83

-6,09

u. a.

Nicolosi (2012) Weber und Woll (2007) Rechnung I Weber und Woll (2007) Rechnung II Weigt (2009) Bode und Groscurth (2006) Rechnung I* Bode und Groscurth (2006) Rechnung II**

2020

-5,27

-3,2

-3,3 -4,04

+0,4

Ber¨ ucksichtigung des Einflusses von EE auf: konventionellen Imund Kraftwerkspark Exporte nein nein exogene Annahme exogene Annahme ja nein

nein

implizit

ja nein

nein

-6,26 -10,47 -13,13 -0,26 e/MWh bei 4 TWh EE

exogene Annahme nein nein

bis -4,68 e/MWh bei 73 TWh EE*** -0,28 e/MWh bei 4 TWh EE

nein

nein

nein nein

bis -5,14 e/MWh bei 73 TWh EE*** Vereinigung Durchschnitt -8 e/MWh (2006-2010) nein nein der Bayerischen Wirtschaft e.V. (2011) * Nachfrage elastisch; ** Nachfrage unelastisch;*** Die EEG Einspeisung betrug 2008 71 TWh

¨ Aus den in Abschnitt 2 dargestellten theoretischen Uberlegungen und den in Tabelle 1 aufgelisteten Quantifizierungen des M-O-E f¨ ur Deutschland lassen sich drei Schlussfolgerungen ziehen, die f¨ ur die Einordnung von Quantifizierungen des M-O-E wichtig sind: 1. Die M¨ oglichkeit des internationalen Stromaustauschs und von Anpassungsprozessen des konventionellen Kraftwerksparks hat einen maßgeblichen Einfluss auf die H¨ohe des M-O-E. Bei den f¨ ur Deutschland durchgef¨ uhrten ex-post Quantifizierungen des M-O-E kann allein durch die Vernachl¨assigung des Auslandsaustauschs davon ausgegangen werden, dass der M-O-E tendenziell u ¨bersch¨atzt wurde. Zwar werden in den Studien auch indirekte Preiseffekte der EE-Einspeisung durch sinkende CO2 - und Brennstoffpreise vernachl¨ assigt, was tendenziell zu einer Untersch¨atzung des M-O-E f¨ uhren w¨ urde, 15

allerdings bewegen sich diese indirekten Preiseffekte in einer eher geringen Gr¨oßenordung.5 2. Die genaue H¨ ohe des M-O-E ist schwer zu beziffern. Unterschiede in den verwendeten Modellen haben z.T. deutliche Auswirkungen auf die Ergebnisse. So liegt der f¨ ur das Jahr 2006 quantifizierte M-O-E bei Weber und Woll (2007) (Rechnung I) um u ¨ber 50% unter dem von Weigt (2009) quantifizierten MO-E, obwohl in beiden Berechnungen lediglich der Einfluss der Windenergieeinspeisung ber¨ ucksichtigt wurde, und sowohl internationale Stromhandelsm¨oglichkeiten als auch Anpassungsprozesse des konventionellen Kraftwerksparks vernachl¨assigt wurden. 3. Der M-O-E in einem bestimmtem Jahr h¨angt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die sich von Jahr zu Jahr ¨ andern (z.B. Brennstoff- und CO2 -Preise). So ist beispielsweise der CO2 -Preis im Jahr 2007 eingebrochen, was ceteris paribus zu einem h¨oheren M-O-E f¨ uhrt (vergleiche Diskussion in Abschnitt 2.1). Ein hoher quantifizierter M-O-E in einem bestimmten Jahr l¨asst daher nicht ohne Weiteres auf einen hohen M-O-E in folgenden Jahren schließen. Im n¨ achsten Abschnitt berechnen wir den M-O-E f¨ ur Deutschland bis 2030 unter endogener Ber¨ ucksichtigung von Stromaustauschm¨ oglichkeiten mit dem europ¨aischen Ausland und von Anpassungsprozessen des konventionellen Kraftwerksparks. Unsere Quantifizierung des M-O-E ist in Bezug auf die verwendete Methodik und den Betrachtungszeitraum ¨ahnlich zu der Arbeit von Nicolosi (2012). Unsere Berechnung unterscheidet sich von Nicolosi (2012) vor allem durch die angenommenen Rahmenbedingungen, z.B. bez¨ uglich Kernenergiepolitik, EE-Ausbau und Preisentwicklungen. Wir berechnen den M-O-E im Rahmen der Energiewende“, d.h. insbesondere im Kontext des 2011 beschlossenen Kernenergieausstiegs und einem ” EE-Ausbau entsprechend der Annahmen in Prognos/EWI/GWS (2011). Unsere Ergebnisse bez¨ uglich der H¨ ohe des M-O-E sind - wie jegliche Quantifizierung des M-O-E - unter den oben genannten Einschr¨ankungen zu interpretieren. Insbesondere ist die absolute H¨ohe des M-O-E abh¨angig von o¨konomischen Rahmenannahmen und Modellspezifika. Dennoch erlaubt die Berechnung modell-konsistent eine Gegen¨ uberstellung von Preis- und Kosteneffekten erneuerbarer Energien sowie eine Analyse des Einflusses erneuerbarer Energien auf die Zusammensetzung des konventionellen Kraftwerksparks sowie auf Im- und Exportstr¨ome. Damit tr¨ agt die Berechnung zur Diskussion u ¨ber die volkswirtschaftliche Bedeutung des M-O-E bei und verdeutlicht die Notwendigkeit, Anpassungsprozesse des konventionellen Kraftwerksparks sowie internationale Stromaustauschm¨ oglichkeiten zu ber¨ ucksichtigen. 5 So beziffert bspw. die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (2011) die indirekten Preiseeffekte f¨ ur das Jahr 2010 auf ca. 0,2 e/MWh.

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4. Modell gest¨ utzte Quantifizierung des Merit-Order-Effekts Im Folgenden stellen wir eine szenarienbasierte Berechnung des Merit-Order-Effekts in Deutschland f¨ ur den Zeitraum 2015 bis 2030 dar. Die Berechnungen erfolgen mit dem europ¨aischen Strommarktmodell DIME (Dispatch and Investment Modell for Electricity Markets in Europe) und ber¨ ucksichtigen im Modell sowohl Anpassungsprozesse des konventionellen Kraftwerksparks als auch Stromaustauschm¨oglichkeiten mit dem europ¨ aischen Ausland. Das Modell wurde unter anderem auch f¨ ur die Berechnungen der Energieszenarien ” 2011“ (Prognos/EWI/GWS (2011), siehe auch F¨ ursch u. a. (2012a)) und der Energieszenarien f¨ ur ein ” Energiekonzept der Bundesregierung“ (Prognos/EWI/GWS (2010), siehe auch Nagl u. a. (2011)) verwendet. Eine Modellbeschreibung findet sich in Prognos/EWI/GWS (2010). 4.1. Szenariodefinition Um den Merit-Order-Effekt abzusch¨ atzen wurden zwei Szenariorechnungen durchgef¨ uhrt. Beide Szenarien basieren auf den Annahmen zu technischen und sozio-¨okonomischen Rahmendaten der Energieszenarien 2011 (siehe Prognos/EWI/GWS (2011)) und unterscheiden sich lediglich bez¨ uglich ihrer EE Erzeugungsmengen. Das Referenzszenario basiert auf dem Ausstiegsszenario der Energieszenarien 2011“. Anpassungen wur” den vorgenommen, um den nach der Studie beschlossenen deutschen Kernenergieausstiegspfad abzubilden sowie um aktuellen Entwicklungen der erneuerbaren Energien in Deutschland, insbesondere im Bereich der Photovoltaik, gerecht zu werden. Dies f¨ uhrt dazu, dass im Referenzszenario im Jahr 2020 in Deutschland 4,2 GW Kernenergie mehr installiert ist als im Ausstiegsszenario der Energieszenarien 2011. Die Aktualisierung der Erneuerbaren in Deutschland f¨ uhrt im Referenzszenario zu einer um 19,6 TWh h¨oheren Bruttostromerzeugung der Erneuerbaren in Deutschland in 2020. Im Szenario Ohne EE“ wurde die Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland auf dem Ni” veau von 2010 eingefroren, um den Merit-Order-Effekt der danach hinzukommenden erneuerbaren Energien zu quantifizieren. Der berechnete Merit-Order-Effekt bezieht sich also nur auf die EE-Mengen, die nach 2010 zugebaut wurden, w¨ ahrend die Einspeisung von EE-Anlagen, die bis 2010 unter dem EEG ausgebaut wurden, in beiden Szenarien abgebildet sind. Tabelle 2 veranschaulicht die Differenz der Stromerzeugung aus Erneuerbaren in Deutschland zwischen dem Referenzszenario und dem Szenario Ohne EE“. Die Differenz stellt die Erzeugung der ab 2010 ange” nommenen Zubauten von erneuerbaren Energien in Deutschland dar. Die Differenz w¨achst im Zeitverlauf mit fortschreitendem Ausbau der EE in Deutschland und erreicht in 2030 rund 143 TWh.

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Tabelle 2: Differenzen in der EE-Bruttostromerzeugung zwischen dem Referenzszenario und dem Szenario Ohne EE“, 2015-2030 [TWh] ”

Onshore Wind Offshore Wind Photovoltaik Geothermie Biomasse Wasserkraft Summe

2015 12 9 14 0 9 0 44

2020 17 35 30 2 17 0 100

2025 20 44 30 2 20 4 120

2030 21 63 30 3 22 4 143

4.2. Modellergebnisse Im Folgenden beschreiben wir den Einfluss des zus¨atzlichen EE-Ausbaus im Referenzszenario gegen¨ uber dem Szenario ohne EE“ auf ” • die Entwicklung des konventionellen Kraftwerksparks, • die zu erzielenden Volllaststunden konventioneller Kraftwerke, • den Stromaußenhandel, • die Kosten der Stromerzeugung, • und auf den Großhandelsstrompreis (Merit-Order-Effekt). Entwicklung des konventionellen Kraftwerksparks Die Zubau- und Stilllegungsdynamik konventioneller Kraftwerke in Deutschland unterscheidet sich zwischen den Szenarien (Abbildung 7). Analog zum Ausstiegsszenario der Energieszenarien 2011“ entsteht in ” beiden Szenarien durch die reduzierte KKW-Kapazit¨at ein Leistungsbedarf der durch andere Technologien kostenminimal gedeckt wird. Zus¨ atzlich zu den derzeit im Bau befindlichen Kraftwerken kommt es daher in beiden Szenarien zu einem ausgepr¨ agten Zubau an Gaskraftwerken.6 Dieser ist im Szenario Ohne EE“ ” gr¨ oßer; bis 2030 werden im Vergleich zum Referenzszenario 6,5 GW mehr gebaut. Zus¨atzlich werden im Referenzszenario insbesondere Stein- und Braunkohlekapazit¨aten fr¨ uher stillgelegt als im Szenario Ohne ” EE“.

6 Aufgrund der r¨ uckl¨ aufigen Nachfrageentwicklung kommt es in beiden Szenarien jedoch (analog zu den Energieszenarien 2011) zu einem Nettor¨ uckbau im konventionellen Kraftwerkspark.

18

werden im Vergleich zum Referenzszenario 6,5 GW mehr gebaut. Zusätzlich werden im Referenzszenario insbesondere Stein- und Braunkohlekapazitäten früher stillgelegt als im Szenario „Ohne EE“. ABBILDUNG 7: KONVENTIONELLE KRAFTWERKSZUBAUTEN UND KRAFTWERKSSTILLLEGUNGEN IM REFERENZSZENARIO UND DEM SZENARIO „OHNE EE“, 2015-2030 IN GW

20 Zubau

10

Wasser Erdgas im Bau Braunkohle im Bau

0 Stilllegung

GW

Kernenergie

-10

Heizöl Erdgas Braunkohle

-20

Steinkohle

2010-2014

2015-2019

2020-2024

Ohne EE

Referenz

Ohne EE

Referenz

Ohne EE

Referenz

Ohne EE

Referenz

-30

Steinkohle im Bau Nettozubau bzw. stilllegung

2025-2029

Abbildung 7: Konventionelle Kraftwerkszubauten undEWI. Kraftwerksstilllegungen im Referenzszenario und Quelle: dem Szenario Ohne EE“, 2015-2030 [GW] ” Volllaststunden konventioneller Kraftwerke ¨ Neben den Anderungen des Kraftwerksparks f¨ uhrt die geringere Erzeugung der Erneuerbaren im Szenario Ohne EE“ zu einer ver¨ anderten Auslastung der konventionellen Kraftwerke. Im Referenzszenario weisen ” konventionelle Kraftwerke durchweg niedrigere Volllaststunden auf als im Szenario Ohne EE“. Dieser Effekt ” ist besonders ausgepr¨ agt bei Steinkohlekraftwerken. Die Volllaststunden sind hier im Referenzszenario ab 2020 durchweg um u ¨ber 1600 Stunden niedriger als im Szenario Ohne EE“ (Tabelle 3). ” 9

Aufgrund der3: rückläufigen Nachfrageentwicklung kommt es in beiden Szenarien (analog zu den Energieszenarien 2011) zuOhne einem Tabelle Differenzen der Jahresvolllaststunden zwischen demjedoch Referenzszenario und dem Szenario ” Nettorückbau im konventionellen Kraftwerkspark.

EE“, 2015-2030

Kernkraft Steinkohle Braunkohle Erdgas Heiz¨ ol

2015 0 -575 -13 -224 -32

2020 -31 -1757 -638 -311 0

19

2025 0 -1682 -548 -446 0

2030 0 -1759 -1111 -784 0

16

Stromaußenhandel Die h¨ ohere EE Erzeugung im Referenzszenario f¨ uhrt dar¨ uber hinaus zu h¨oheren Nettoexporten (bis 2020) bzw. zu niedrigeren Nettoimporten (2025, 2030).7 Die maximale Differenz im Stromaußenhandel von 64,9 TWh ergibt sich 2030 (Tabelle 4). In diesem Jahr ist auch die Differenz der Erzeugung aus Erneuerbaren zwischen den Szenarien am h¨ ochsten. Tabelle 4: Nettoexporte in den Szenarien, 2015-2030 [TWh]

Nettoexporte (Referenz) Nettoexporte (Ohne EE)

2015 26.8 10.9

2020 13.4 -12.2

2025 -18 -68

2030 -43.5 -108.4

Kosten der Stromerzeugung Abbildung 8 zeigt die Differenzen der bis 2030 kumulierten Stromerzeugungskosten zwischen dem Referenzszenario und dem Szenario Ohne EE“. Nicht ber¨ ucksichtigt sind hierbei Regelenergiekosten und weitere ” Kosten der Strombereitstellung wie z.B. Netzausbaukosten. Diese w¨ urden die EE-bedingten Mehrkosten des Referenzszenarios noch erh¨ ohen. Im Referenzszenario sind durch den zus¨atzlichen Ausbau von erneuerbaren Energien die kumulierten Stromerzeugungskosten bis zum Jahr 2030 um 54 Mrd. e2008 h¨oher als im Szenario Ohne EE“. Der Barwert dieser kumulierten Mehrkosten bis zum Jahr 2030 betr¨agt bei einem Zinssatz von ” 3% (10%) ca. 38 Mrd. e2008 (18 Mrd. e2008 ). Die Mehrkosten im Referenzszenario entstehen haupts¨achlich durch h¨ ohere Investitionskosten f¨ ur erneuerbare Energien (+ 117 Mrd. e2008 ). Zus¨atzliche fixe Betriebsund Wartungskosten von EE (+ 8 Mrd. e2008 ) sowie Biomasse-Brennstoffkosten (+ 2 Mrd. e2008 ) sind vergleichsweise gering. Auf der anderen Seite f¨ uhrt die Verdr¨angung der konventionellen Erzeugung durch EE im Referenzszenario zu geringeren variablen Kosten (Brennstoff- und CO2 -Kosten) der konventionellen Kraftwerke (- 44 Mrd. e2008 ). Dar¨ uber hinaus f¨allt im Referenzszenario der Kostenblock Importkosten und ” entgangene Exporterl¨ ose“ geringer aus (- 25 Mrd. e2008 ), da der (B¨orsen-)preissenkende Effekt der EE mit h¨ oheren Nettoexporten verbunden ist. Investitions- und fixe Betriebs- und Wartungskosten f¨ ur konventionelle Kraftwerke werden durch den zus¨ atzlichen EE-Ausbau kaum eingespart (- 4 Mrd. e2008 bzw. - 1 Mrd. e2008 ). Hauptgrund hierf¨ ur ist, dass wind- und solarbasierte Erzeugungskapazit¨aten kaum zur gesicherten Leistung beitragen, somit durch erneuerbare Energien nur wenig konventionelle Kapazit¨at eingespart wird. Ferner spielt eine Rolle, dass die begrenzte Einsparung konventioneller Erzeugungskapazit¨at sich nur teil7 Deutschland ist im Referenzszenario bis 2020 Nettoexporteur. Im Ausstiegsszenario der Energieszenarien 2011“ ist ” Deutschland bereits 2020 mit 0,3 TWh Nettoimporteur. Grund hierf¨ ur ist die Anpassung des Kernenergieaustiegspfads in Deutschland und der Aktualisierung der Erzeugung aus Erneuerbaren Energien in Deutschland.

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Merit-Order-Effekt

Kraftwerkspark auch spätere Stilllegungen bestehender (Stein- und Braunkohle-) Kapazitäten, womit keine Investitionskosten eingespart werden. weise in vermindertem neuer Kraftwerke durch niederschl¨ agt; vielmehr beinhaltet die optimalebis Anpassung Im Saldo ergeben sichZubau im Referenzszenario zusätzliche erneuerbaren Energien zum Jahr 2030 kumulierte (nicht Mehrkosten der und Stromerzeugung in deraten, oben des Kraftwerkspark auch sp¨ atere diskontierte) Stilllegungen bestehender (SteinBraunkohle-) Kapazit¨ womit genannten Höhe von 54 Mrd EUR2008. keine Investitionskosten eingespart werden. Im Saldo ergeben sich im Referenzszenario durch zus¨atzliche

ABBILDUNG 8: KUMULIERTE ZWISCHEN DEMdiskontierte) REFERENZSZENARIO UND DEM erneuerbaren Energien bisKOSTENDIFFERENZEN zum Jahr 2030 kumulierte (nicht Mehrkosten derSZENARIO Stromerzeugung „OHNE EE“ BIS 2030 [MRD €2008]

in der oben genannten H¨ ohe von 54 Mrd e2008 .

Abbildung 8: Kumulierte Kostendifferenzen zwischen dem Referenzszenario und dem Szenario Ohne EE“ ” bis 2030 [ Mrd. e2008 ]

Großhandelspreis (Merit-Order-Effekt) Tabelle 5 zeigt die Entwicklung der Erzeugerpreise f¨ ur Strom (Großhandelspreise) in den beiden Szenarien sowie den - durch den EE-Ausbau nach dem Jahr 2010 - resultierenden Merit-Order-Effekt.8 Einhergehend 8 Der Strompreis ist im Referenzszenario in 2020 mit 43 e/MWh um 4 e/MWh niedriger als im Ausstiegsszenario der Energieszenarien 2011“. Preisd¨ ampfend wirkt hier die Anpassung des Kernenergieaustiegspfads und der Aktualisierung der ” Erzeugung aus Erneuerbaren Energien in Deutschland.

21

19

mit der u ¨ber Zeit wachsenden Differenz der EE Erzeugungsmengen (Abbildung ??) w¨achst auch der MeritOrder-Effekt von -2 e/MWh in 2015 auf -10 e/MWh in 2030. Tabelle 5: Großhandelspreise in den Szenarien sowie Merit-Order-Effekt, 2015-2030 [e2008 /MWh] 2015 43 45 -2

Großhandel - Base (Referenz) Großhandel - Base (Ohne EE) Merit-Order-Effekt

2020 43 47 -4

2025 54 59 -5

2030 56 65 -10

5. Schlussfolgerungen Die Subventionierung von erneuerbaren Energien mit variablen Kosten nahe Null ist mit signifikanten Preis- und Kosteneffekten verbunden. In diesem Artikel haben wir gezeigt, dass auch unter perfekter Voraussicht und im langfristigen Gleichgewicht die zunehmende Einspeisung von erneuerbaren Energien zu Preiseffekten f¨ uhren kann, z.B. wenn durch zunehmende EE-Einspeisung die residuale Last nicht mehr zu jedem Zeitpunkt positiv ist. In der Realit¨ at ist zudem weder perfekte Voraussicht gegeben, noch eine perfekte, unmittelbare Anpassung des Kraftwerksparks m¨oglich, so dass Preiseffekte deutlich h¨oher ausfallen, als in einem theoretischen langfristigen Gleichgewicht. Unsere Szenarienrechnung zeigt f¨ ur Deutschland, dass durch den zunehmenden Ausbau von erneuerbaren Energien der Stromgroßhandelspreis auch unter Ber¨ ucksichtigung von Anpassungsprozessen im konventionellen Kraftwerkspark sowie von Stromaustauschm¨oglichkeiten mit dem Ausland sinkt. Der d¨ampfende Effekt von EE auf den Stromgroßhandelspreis nimmt dabei mittelfristig, einhergehend mit einem steigenden EE-Ausbau, zu. Zugleich zeigen unsere Szenariorechnungen auf Basis eines kostenbasierten Fundamentalmodells auch, dass Preiseffekte nicht mit Kosten- bzw. Wohlfahrtseffekten verwechselt werden d¨ urfen. Da die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (im Durchschnitt deutlich) teurer ist als konventionelle Erzeugung, steigen die Gesamtkosten der Stromerzeugung durch den forcierten EE-Ausbau an. In der Modellrechnung belaufen sich die kumulierten Mehrkosten der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030 auf 54 Mrd. e2008 . Zudem f¨ uhrt der Ausbau von erneuerbaren Energien zu Umverteilungen von Mitteln innerhalb der Volkswirtschaft. F¨ ur Betreiber konventioneller Bestandsanlagen, die mit der Erwartung an h¨ ohere Betriebsstunden und h¨ ohere Preise gebaut wurden, f¨ uhrt der M-O-E zu reduzierten Erl¨osen, Bestandsanlagen werden somit entwertet. Kraftwerke auf Basis erneuerbarer Energien profitieren dagegen von der F¨ orderung unter dem EEG. Stromverbraucher werden insgesamt st¨arker belastet, da die Stromerzeugung 22

aus erneuerbaren Energien teurer ist als aus konventionellen Kraftwerken. Durch die Einbettung des deutschen Strommarktes ins europ¨ aische Stromsystem entstehen zudem l¨ander¨ ubergreifende Verteilungseffekte zwischen L¨ andern, die in unterschiedlichem Ausmaß den EE-Ausbau forcieren: W¨ahrend Zusatzkosten der EE-F¨ orderung auf nationaler Ebene auf die Endverbraucher umgelegt werden, kommt die Preisentlastung auf Erzeugerebene teilweise auch den angrenzenden M¨arkten zugute. Der preissenkende Effekt von erneuerbaren Energien an der Stromb¨orse kann folglich nicht als volkswirtschaftlicher Nutzen der Erneuerbaren gewertet werden. Vielmehr ist die Forcierung der erneuerbaren Energien mit volkwirtschaftlichen Zusatzkosten verbunden, und der Merit-Order-Effekt ist Ausdruck von Umverteilungen innerhalb des deutschen und europ¨aischen Stromsystems.

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