Der Hut ist gesichtslos geworden

09.06.2016 - immer enorm sexy. Sie kamen, um sich hier an den alten Meistern zu inspirieren“, sagt der Kunsthistori- ker. Auch damit befindet er sich im.
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D ONNERSTAG, 9. JUNI 20 16

Der Hut ist gesichtslos geworden

Hüte in der Sprache Auf den Köpfen mögen wir auf Hüte verzichten, nicht jedoch beim Sprechen, wobei – laut Duden – „der Hut“ die meist mit Krempe versehene Kopfbedeckung meint, und „die Hut “ ein anderes Wort für Schutz, Fürsorge und schutzgebenden Ort ist (davon abgeleitet ist „behütet“).

Warum haben wir die Kulturtechnik der Kopfbedeckung verloren? HEDWIG KAINBERGER WIEN. Was ein Hut an Charakteristi-

ka seines Trägers mitzuteilen vermag, ist großteils verschüttgegangen. Viele Menschen finden Hüte zwar hübsch und fesch, aber kaum jemand bedeckt noch den Kopf zu anderem als Regen- oder Kälteschutz – wenn doch, dann mit zerknüllbarer Strickmütze, billigem Kapperl oder Kapuze. Was war früher anders, dass man zum Bergsteigen einen moosgrünen Veloursfilzhut aufsetzte, verziert mit Kordeln, Kantenbändchen und Edelweißsträußchen samt kunstvoll befestigter Brille? Oder: Wann trugen Herren Zylinder? Und warum ging die SPÖ 1945 mit dem Slogan „Schluß mit den Hüten, wir brauchen Köpfe“ in den Nationalsratswahlkampf? Einst waren Hüte – wie Sätze einer Sprache oder Züge eines Gesichts – fein differenzierte Bausteine eines Codes. Doch dieser gerät in Vergessenheit. Den Bedeutungsverlust des Hutes, der den kollektiven Hutverlust samt Verdorren des Wirtschaftszweigs von Hutmanufakturen und Modisten nach sich gezogen hat, beleuchtet das Wien Museum ab heute, Donnerstag, in der Ausstellung „Chapeau! – Eine Sozialgeschichte des bedeckten Kopfes“. Welch Schatz ist da aus der größten Modesammlung Österreichs gehoben – vom breitkrempeligen Kalabreser aus Seidenfilz aus dem Jahr 1848 bis zum raffinierten Falthut der österreichischen Designerin Walli Jungwirth von 2015.

Die Vielfalt wird nicht nach Firlefanz-Materialien dargestellt, sondern nach gesellschaftlichen und politischen Implikationen. „Kopfbedeckungen stehen immer sowohl für Stand und Uniformität als auch für Individualität – gleichsam für gesellschaftliche wie persönliche Identität“, erläutern die Kuratorinnen Michaela Feurstein-Prasser und Barbara Staudinger. Anders gesagt: Hüte bezeugen soziale Zugehörigkeit ebenso wie religiöse oder politische Einstellung. Freilich erzählt die Ausstellung vom Kopftuch der Musliminnen und vom Schleier der Nonnen und erinnert daran, dass in den 1970erJahre kaum eine österreichische Bäuerin ohne Kopftuch in die Messe gegangen ist. Geht man ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts zurück, dann galt auch in Städten: Fast niemand verließ das Haus ohne Hut oder Tuch. Folglich ist das, was seither verloren ist, als Kulturtechnik der Kopfbedeckung zu bezeichnen. Den Kalabreser trugen in Wien die Revolutionäre von 1848. Woher kommt dessen Zierrat aus schwarzrot-goldener Kokarde und opulenter Straußenfeder an der Krempe? Der war abgeschaut von den Kämpfern des italienischen Risorgimento. Und nicht zufällig ähnelt der Kalabreser dem Zylinder. Dieser war in Europa zunächst Revolutionshut: Als in der Französischen Revolution 1789 der Dritte Stand in die Nationalversammlung eingezogen sei, hätten dessen Vertreter als Kontrast zur bunten Kleidung des Adels

Konrad Paul Liessmann hält Salzburger Festspielrede SALZBURG. Der Kulturphilosoph Konrad Paul Liessmann wird heuer die Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele halten. Das gab das Festival am Mittwoch in einer Aussendung bekannt. „In einer Zeit, da der Populismus alle Lebensbereiche zu erobern droht, scheint uns Liessmann der ideale Festspielredner zu sein“, teilten Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler und Intendant Sven-Eric Bechtolf mit. Die Festspieleröffnung findet am 28. Juli in der Felsenreitschule statt. Der neue Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Kulturminister Thomas Drozda (SPÖ) treten dabei zum ersten Mal auf. Ein Zitat Liessmanns in der Aussendung der Festspiele deutet wohl auch die Richtung der Gedanken des Festredners an: „Dass eine Gesellschaft, die alles unter dem Aspekt der unmittelbaren Brauchbarkeit, Anwendbarkeit und Nützlichkeit sieht, in einem ökonomischen Sinn erfolgreich sein kann, muss gar nicht bezweifelt werden; dass solch eine Gesellschaft, die die Muße und die Musen nicht mehr kennt, die das Schöne und die

Wanderhut aus Veloursfilz mit Brille, um 1880.

schwarzen Frack und Zylinder getragen, schildert Michaela Feurstein-Prasser im Katalog. So sei der Zylinder „zum Zeichen des revolutionären Bürgertums geworden“. Für das im späten 19. Jahrhundert arrivierte Bürgertum sei der röhrenförmige schwarze Hut dann Symbol für moralische Strenge geworden. Zudem wurde er mit Herausbilden der Arbeiterschaft zum Synonym für den Klassenfeind: Ein Zylinderträger galt als Kapitalist. Nicht zu dieser späteren, sondern zur früheren Bedeutung des Zylinders passt, dass ihn Karl Renner als Staatskanzler 1919 bei den Friedensverhand-

BILD: SN/HERIBERT

Kunst nur mehr unter dem Aspekt der Umwegrentabilität und als Standortvorteil ins Auge fassen kann, eine arme Gesellschaft sein wird, scheint ebenso gewiss.“ Konrad Paul Liessmann wurde 1953 in Villach geboren und ist Philosoph, Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist sowie Universitätsprofessor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien. Er ist Gründungsmitglied und wissenschaftlicher Leiter des seit 1997 stattfindenden Philosophicum Lech. Liessmann wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet. Am 26. September erscheint bei Hanser ein gemeinsam mit Michael Köhlmeier verfasster Band „mythologisch-philosophischer Verführungen“: „Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, SN, APA Adam?“

Ausstellung: Chapeau! – Eine Sozialgeschichte des bedeckten Kopfes, Wien Museum, Wien, bis 30. Oktober.

Museen müssen neue Wege suchen Derzeit macht das PradoMuseum in Madrid Schlagzeilen mit der größten Ausstellung zur 500. Wiederkehr des Todestages von Hieronymus Bosch. Das Museum besitzt die weltweit größte Bosch-Kollektion und fühlte sich schon dadurch verpflichtet, jetzt drei Viertel des bekannten Œuvres von Bosch auf Zeit zu versammeln. Wichtige Leihgaben kommen auch aus dem Kunsthistorischen Museum und der Albertina in Wien. Die Ausstellung ist ein weiterer Höhepunkt für Direktor Miguel Zugaza Miranda, der vor 14 Jahren die Leitung des Prado übernahm. Für die engen Beziehungen zu Österreich wurde Zugaza am Dienstag in Madrid mit dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse ausgezeichnet. „Die historischen Bande durch den Habsburger Hof in Madrid haben dazu geführt, dass unsere Kollektionen dieselbe DNA haben“, erklärte Zugaza. Zur aktuellen Sonderausstellung WIEN.

CORN/ZSOLNAY VERLAG

Wie die politische Kluft der Zwischenkriegszeit an Köpfen abzulesen war, zeigen zwei graue Kappen: eines Heimwehrlers mit Schwarzhahnfeder und eines Schutzbündlers. Noch bestürzender wird der Kontrast beim Blick auf SS-Schirmkappe mit Totenkopf und Mauthausener KZ-Mütze mit Häftlingsnummer 2215. Ab 1945 sollte all dies, wie das erwähnte SPÖ-Plakat zeigt, zu alten Hüten werden – sei’s Zylinder oder Hahnenschwanzler-Kappe.

Der Direktor des Madrider Prado lobt Österreich als Partner. MANUEL MEYER

Konrad Paul Liessmann

BILD: SN/WIEN MUSEUM

lungen von St. Germain aufhatte. Wer trägt heute Zylinder? Im Wien Museum werden dafür das Exemplar aus Baumwollrips des Wagenmeisters vom Hotel Sacher sowie jenes aus Wollfilz des Opernballlöwen Richard Lugner gezeigt. Letzte heutige Beispiele für Spezifika wie Sargträgerkappe der Wien Bestattung, Rauchfangkehrerkappe, Polizistenkapperl und Senatspräsidentenkappe aus dem Verwaltungsgerichtshof erinnern daran, dass einst Hut, Mütze oder Kappe den Berufsstand, die soziale Rangordnung oder die staatliche Funktion erkennbar machten.

An Redewendungen mit dem Hut werden im Katalog zur Ausstellung „Chapeau!“ unter anderem folgende genannt: Es brennt der Hut. – Das muss ich alles unter einen Hut bringen. – Mir reißt die Hutschnur. – Mir geht der Hut hoch. – Das ist ein alter Hut. – Ich zieh den Hut vor dir. – Hut ab! – Das kann ich nicht aus dem Hut zaubern. – Der hält immer gern den Hut auf. – Ich krieg wieder eine auf den Deckel. – Wir lassen den Hut herumgehen. – Er musste den Hut nehmen. – Das kannst du dir an den Hut stecken! – Damit hab ich nichts am Hut. – Dann war er so klein mit Hut. – Er hat den Hut an den Nagel gehängt.

„Festkulturen“ schickte Zugaza dem Museum Goyas wertvolles Gemälde „Das Blindekuhspiel“. Die Zusammenarbeit mit anderen Museen sei für ihn von größter Bedeutung für die Zukunft des Prado: „In Zeiten reduzierter Kulturbudgets müssen staatliche Museen neue Wege suchen, finanziell zu überleben.“ Seit dem Einsetzen der Wirtschaftskrise 2008 gingen die staatlichen Zuschüsse an den Prado um 60 Prozent zurück. Heuer trage der Staat nur noch 30 Prozent zum Jahresbudget von knapp 42 Mill. Euro bei. „Wir beschlossen deshalb, das Museum jeden Tag zu öffnen, die Öffnungszeiten zu erweitern, die Präsentation der permanenten Sammlung zu modernisieren, unseren Auftritt in sozialen Netzwerken zu verbessern und den privaten Sponsorenkreis zu erweitern“, betonte Zugaza. Ein wichtiger Faktor, um die Finanzierung zu stabilisieren, sei es, die Besucherzahlen durch Sonderausstellungen zu erhöhen, die nur in Verbindung mit anderen Museen zu realisieren seien. Dabei will sich

Zugaza auch der modernen Kunst nicht verschließen. Das hätten bereits Ausstellungen über Picasso und Francis Bacon gezeigt. „Die moderne Kunst passt zu uns. Für moderne Künstler war der Prado schon immer enorm sexy. Sie kamen, um sich hier an den alten Meistern zu inspirieren“, sagt der Kunsthistoriker. Auch damit befindet er sich im Gleichklang mit dem Kunsthistorischen Museum, das seine Räume ebenso fallweise für moderne Kunst öffnet. 2015 kamen 2,8 Millionen Besucher in den Prado. Man konnte sich einem neuen Publikum öffnen. Das einheimische, junge Publikum stelle heuer bereits die Hälfte der Prado-Besucher. Effekt: „Wir finanzieren uns heute zu 70 Prozent selbst.“ Zugaza warnt jedoch: „Die Maßnahmen in Krisen können keine Lösung auf lange Sicht sein. Um unsere Aufgabe als öffentliche Kulturinstitution wahrzunehmen, brauchen wir ausreichend staatliche Unterstützung.“ Hier sei auch die Bevölkerung gefordert. Aber: „Bei Kürzungen im Kulturbereich geht kaum SN, APA jemand auf die Straße.“