Der Duft von Bittermandel

klagte sie an, mit einer langen Distel die Empfängnis der Frauen zu verhindern und Missernten verursacht zu haben. Die Anschuldigungen nahmen kein Ende.
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Dagmar Fohl

Der Duft von Bittermandel

DER KOCH DES KÖNIGS Frankreich im 16.Jahrhundert. Oberküchenmeister Bertrand de Baladoux, Koch des französischen Königs, legt sein Geständnis ab. Er hat Kanzler Antoine Duprat und König Franz den Ersten, der sich im Krieg mit dem deutschen Kaiser Karl dem Fünften befindet, vergiftet. Aber warum? Was hat den gutmütigen Menschen und leidenschaftlichen Koch dazu bewogen, Doppelmörder zu werden? Der Koch erschauert vor sich selbst. Sein Gewissen nagt an ihm. Um die Wahrheit zu ergründen, lässt er sein Leben und Wirken als Oberküchenmeister am Hof Franz des Ersten von Frankreich Revue passieren. Langsam, aber stetig nähert sich der Koch dem Motiv seiner Morde. Das Tagebuch der Königin, das sie nach ihrem frühen Tod dem Hofnarren Paltoquet hat zukommen lassen, liefert die Antwort …

Dagmar Fohl, geboren 1958, absolvierte ein Studium der Geschichte und Romanistik in Hamburg und arbeitete mehrere Jahre als Kulturmanagerin. Nach Abschluss einer Gesangsausbildung war sie als Sängerin, Gesangslehrerin und Chorleiterin im In- und Ausland aktiv. Dann folgte ihre Tätigkeit als Schriftstellerin. Im Juli 2009 erschien ihr erster historischer Roman im Gmeiner-Verlag. Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag: Die Insel der Witwen (2010) Das Mädchen und sein Henker (2009)

Dagmar Fohl

Der Duft von Bittermandel

Original

Historischer Roman

Besuchen Sie uns im Internet: www.gmeiner-verlag.de © 2011 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75/20 95-0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2011 Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt Herstellung / Korrekturen: Julia Franze / René Stein Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung des Bildes »Stilleben«; Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Floris_Claesz._ van_Dyck_001.jpg Druck: Fuldaer Verlagsanstalt, Fulda Printed in Germany ISBN 978-3-8392-3647-5

Wird jemand einen anderen lieben, der sich selbst im Wege ist? Kann man einem anderen Vergnügen bereiten, wenn man sich selbst hinderlich und beschwerlich ist? Das wird niemand behaupten, wenn er nicht selbst törichter ist als die Torheit. (Erasmus von Rotterdam, Lob der Torheit)

E r s t e r Te i l

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Ich habe Papier und Feder bereitgelegt, um meine Geschichte aufzuschreiben. Wozu?, frage ich. Vielleicht, um mich zu erleichtern. Meine Gedanken lassen mir keine Ruhe. Sie fressen und nagen an mir wie ausgehungerte Ratten. Nachts ist es am schlimmsten. Wenn ich schlafe, habe ich Albträume, wenn ich wache, erscheint mir die Wirklichkeit schrecklicher als meine Träume. Wann wird diese Qual ein Ende haben? Werde ich jemals Frieden finden? Wenn ich versuche, die Zufälle und Fügungen, die mein Leben bestimmten, aufzuzeichnen, die vielen Begebenheiten, die mich zu dem machten, der ich heute bin, noch einmal zu durchleben, kann ich vielleicht zu Wahrheit und Ruhe finden. »Im inneren Menschen wohnt die Wahrheit«, sagt Augustinus, »und wenn du deine Natur noch wandelbar findest, dann schreite über dich selbst hinaus.« Ich will nicht länger zögern zurückzublicken, mir Selbstprüfung auferlegen, um zur Erkenntnis zu gelangen, wie ich jedes Maß verlieren konnte. Ich war zwölf Jahre alt, als ich von zu Hause fortlief. Mein Vater, ein gelehrter Mann, erteilte mir Unterricht und bereitete mich auf den Beruf des Apothekers vor. Ich besaß eine gute Auffassungsgabe und lernte schnell. Doch anstatt mich zu loben, steigerte mein Vater den Schwierigkeitsgrad seiner Aufgaben. Er schalt und 8

schlug mich, bis mir vor Angst und Enttäuschung Tränen in die Augen schossen. Es schien, als hätte er Vergnügen daran, mich zu demütigen. Vielleicht spürte er auch meine Abscheu vor der Arbeit in der Apotheke und bestrafte mich, weil ich seine Leidenschaft nicht teilte. Seit meinem fünften Lebensjahr musste ich übel riechende Pasten rühren oder nach Ammoniak und Katzenkot stinkende medizinische Gebräue mischen. Gott aber gab mir eine sehr feine Nase. Um den Gestank in der Apotheke ertragen zu können, stellte ich mir den Duft von Hammelbraten mit Mandelkruste, eine brodelnde Ingwerbrühe mit Entenfleisch oder einen dampfenden Honigkuchen vor. Wenn ich eine Salbe anrührte, dachte ich an eine delikate Fischpastete mit feiner Würzkräuterfüllung. Ich sprach im Alter von zehn Jahren Latein, verfügte über medizinisches und botanisches Wissen, erkannte viele Krankheitssymptome und vermochte die passenden Arzneien und Heilkräuter zu deren Linderung auszuwählen. Mein Traum aber war es, Koch zu werden. Ich verbrachte jede freie Minute in der Küche, bei meiner lieben Mutter, die mich nach Lust und Laune rühren und schnetzeln ließ. Die Küchenarbeit ähnelte der Arbeit in der Apotheke, aber welche Verschiedenheit der Düfte und des Geschmacks! Nachdem meine Mutter an Schlagfluss gestorben war, stellte mein Vater eine Köchin ein. Seither verbot er mir den Zugang zur Küche. Immer häufiger schwang mein Vater die Rute gegen mich, obwohl ich mir nichts zuschulden kommen ließ. Da ich ihn sehr fürchtete, bemühte ich mich, seinen Wünschen und Ansprüchen 9

gerecht zu werden. Nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, gegen ihn aufzubegehren, wenn er mich nicht zu einer Hinrichtung mitgenommen hätte, zur Abschreckung, damit ich niemals zweifelhafte Tinkturen und Pasten anzurühren wagte. Dabei verhielt sich alles ganz anders. Die Verurteilte, eine Heilkundige namens Rosalie, wohnte beim Apotheker im Nachbarort. Es war ein offenes Geheimnis, dass sie mit ihm in wilder Ehe lebte. Eines Tages wurde die Nachbarin von starken Schmerzen befallen. Da sie schon lange einen Hass auf Rosalie hegte, weil auch sie in den Apotheker verliebt war, beschuldigte sie Rosalie, ihr den Schmerz angehext zu haben, und hetzte alle Nachbarn auf, die sie mit weiteren Verleumdungen belasteten. Der eine beschwor, beobachtet zu haben, wie Rosalie Gift aus der Apotheke mit dem Urin des Teufels gemischt und es mit seiner Hilfe ihren Feinden verabreicht habe. Ein anderer klagte sie an, mit einer langen Distel die Empfängnis der Frauen zu verhindern und Missernten verursacht zu haben. Die Anschuldigungen nahmen kein Ende. Jemand bezichtigte sie sogar, es mit dem Teufel getrieben zu haben. Warum sind Menschen bereit, alles zu glauben? Warum betreiben sie mit Eifer üble Nachrede? Warum weiden sie sich am Unglück des anderen? Rosalie wurde verhaftet, der Zauberei und Ketzerei angeklagt und von den Folterknechten so lange gequält, bis sie alles, was man ihr vorwarf, gestand. Am Tag ihrer Hinrichtung führte Vater mich auf den Richtplatz. Wir standen inmitten der vielen Schaulustigen, als die Schlächter Rosalie an den Pfahl banden und 10

den Scheiterhaufen entzündeten. Ich versuchte fortzulaufen, jedoch mein Vater hielt mich fest im Griff und zwang mich, zuzuschauen, die Schmerzensschreie zu hören, den Rauch einzuatmen, das verbrannte Menschenfleisch zu riechen. Der Platz hatte sich bereits geleert. Vater ließ mich weiterhin auf den Scheiterhaufen starren. Erst als die lodernden Flammen versiegten und in Glut übergingen, kehrten wir nach Hause zurück. Zwei Tage und zwei Nächte lang erbrach ich mich. In der dritten Nacht lief ich davon. Ich sah meinen Vater nie wieder und ich habe ihn nie vermisst. Ich war seiner Grausamkeit und Selbstgerechtigkeit nicht gewachsen. Zunächst musste ich für mein Überleben sorgen. Ich fand Arbeit als Schweinehirt bei einem Edelmann. Die groben und unfolgsamen Tiere, die noch elender als die medizinischen Gebräue stanken, machten mir das Leben schwer, bis ich endlich in einer Herberge Arbeit als Küchenjunge fand. Der Geruch, der mir im Küchenraum entgegenschlug, ließ meinen Atem stocken. Es roch nach Kot, verfaulten Lebensmitteln und Schimmel. Fast alles, was gekocht wurde, war verdorben. Aufgetragen wurde Brei und immer wieder Brei, oder wässrige Suppen, aus irgendeiner Dreckbrühe zubereitet. Erst wenn die Gäste den Brei verspeist hatten, trug der Wirt Fisch und Fleisch auf – allerdings zwei oder drei Tage alten Fisch und über die Maßen gelagertes Fleisch. Danach bot er faulen und mit Würmern durchsetzten Käse an. Wie reinlich war die Apotheke meines Vaters, wie wohlduftend die Pasten und Tinkturen! Dennoch, niemals wäre ich zurückgekehrt. Ich gab nicht auf, ich wollte Koch werden. 11

In den folgenden Jahren gelang es mir, in verschiedenen Anstellungen alle Stufen zu durchlaufen, vom Küchenjungen, Hilfskoch, Oberkoch bis zum Küchenmeister. Meine erste Stellung als Küchenmeister erhielt ich bei Kardinal de L’Avare in Lyon. Der Kardinal machte seinem Namen alle Ehre, denn sein Geiz kannte keine Grenzen. Bei einem Haushalt von zweihundertdreiundzwanzig Personen hatte er nur zwei Köche eingestellt. Während de L’Avare fürstlich speiste, erhielten die Hofbediensteten nur überlagertes Fleisch, dessen unangenehmen Geruch ich mit Gewürzen überdecken musste. Lud der Kardinal viele Gäste, wurde der Schenkmeister angewiesen, saurem Wein Blüten, Rosenwasser und Honig hinzuzufügen. Ich hatte mir mein Leben als Koch wahrlich anders vorgestellt. Eines Tages beauftragte mich der Kardinal, ein Festessen besonderer Art zusammenzustellen. Seine Majestät Louis der Zwölfte sei in der Stadt und wolle dem Kardinal seine Aufwartung machen. Es solle an nichts fehlen. Und wenn es mir nicht gelänge, den König zufriedenzustellen, würde er mich im Keller einsperren und verhungern lassen. Ich brauchte diese Drohung nicht, um meine Kunst zum Erblühen zu bringen. Der König überhäufte mich mit Komplimenten und entschied sich, mich in seine Dienste zu nehmen. Ich war erst fünfundzwanzig Jahre alt und am Ziel meiner Träume angelangt. Ich wurde Koch am Königshof. Schon nach kurzer Zeit gelang es mir, zum Oberküchenmeister aufzusteigen, ein Oberküchenmeister, der als Auszeichnung für seine Dienste vom König geadelt wurde. Ich war der glücklichste Mensch 12

der Welt. Wenn ich heute auf die Person, die ich einst war, zurückblicke, führt mir die Erinnerung schmerzlich vor Augen, wie sehr mein Schicksal mich verändert hat. Dieser junge, glückselige Mensch soll ich gewesen sein? Wie sehr kann ein Leben jemanden verändern? Was weiß man über sein eigenes Selbst? Meine Sehnsucht nach jenem glücklichen Mann, nach jener unbeschwerten Zeit, in der ich voller Begeisterung und mit schuldfreier Seele lebte und arbeitete, lässt mich aufseufzen. Louis der Zwölfte regierte das Land, ich regierte in der Küche. Mein Reich teilte sich in verschiedene Räume auf. Im ersten Küchensaal wurden nur Fische zubereitet, im zweiten nur Geflügel, Krammetvögel oder Schnepfen, im dritten Hirsche und Rehe. In den hinteren Räumen befanden sich die Suppenküche, die Backstube und die Fruiterie. Ich atmete den Duft von Hirschbraten und Lammkeule, von frischen oder gedörrten Früchten, von Kuchenteig oder Birnenkompott. Ich berauschte mich an den vielen verschiedenen Aromen, die mir die Seele erhellten. Die Kochkunst ist die sinnlichste und vollkommenste aller Künste. Eine Musik kann man hören, ein Bild betrachten, aber eine erlesene Speise ist ein Kunstwerk besonderer Art. Man kann seine Schönheit nicht nur betrachten, sondern auch riechen und schmecken. Man kann sie mit den Zähnen beißen, mit der Zunge liebkosen, bis sie im Magen ein wohliges Nest bildet und ein wonniges, zufriedenes Gemüt verschafft. Diese Gedanken erfüllten mich damals. Ich liebte das Kochen. Es war mein Leben! 13

Als Oberküchenmeister war ich für alles verantwortlich. Mir unterstanden vierzig Köche und einhundertfünfzig Helfer. Die Fleisch-, die Suppen- und die Saucenköche, die Bäcker, die Spießbratendreher, die Küchenjungen, Feueranfacher und Abwäscher, die Hofsilberputzer, Tischdecker, Vorkoster und Vorratsverwalter. Auch die Wächter und Türsteher. Die Küche durfte von keinem Fremden betreten werden. Selbst die Bediensteten aus der unmittelbaren Nähe des Königs hatten nur Zugang zur Küche, wenn ich mich darin aufhielt. Jeder König fürchtete sich davor, vergiftet zu werden. Zehn Jahre lang kochte ich für Louis den Zwölften. Es war die schönste Zeit meines Lebens. Erfüllte Jahre, in denen meine Kochkunst gereift war wie eine gesunde Frucht auf dem Felde. Dann starb König Louis, der schon seit vielen Jahren ernstlich erkrankt war. Er litt schwer an der Gicht und an heftigen Blutstürzen. Den ganzen Dezember des Jahres 1514 verbrachte er in seiner Bettstatt. Die Ärzte setzten Aderlässe, schröpften und klistierten. Es gab keine Hoffnung mehr. In der Silvesternacht tat er seinen letzten Atemzug. Der ganze Hofstaat trauerte um Louis den Zwölften, der ein gerechter und gutmütiger König gewesen war. Auch ich war tief betrübt. Der alte König hatte meine Kochkunst sehr geschätzt und mich mit allerlei Geschenken und Aufmerksamkeiten bedacht. Nun wurde sein Vetter François d’Angoulême, Herzog von Valois, König von Frankreich. Ich blieb Oberküchenmeister, jedoch mein Leben und Wirken veränderten sich. Durch König François den Ersten seines Namens lernte ich die Abgründe meiner Seele kennen. 14

Die Grenzen der Seele wirst du nicht finden, sagt Heraklit, auch wenn du alle Wege durchwanderst. So tiefen Grund hat sie.

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François von Valois war erst zwanzig Jahre alt, als er zum König gekrönt wurde. Am 25. Januar 1515 zog er in Begleitung seiner Mutter, der Prinzen seines Geblüts und einflussreicher Standesherren in die Kathedrale zu Reims ein, um seine Salbung entgegenzunehmen. Die Kirche erstrahlte im prächtigsten Festschmuck. Überall leuchteten Samtvorhänge und Wandteppiche in den schönsten Farben. Auf dem Altar lag die Krone Karls des Großen, daneben das Schwert, das Zepter, die Hand der Gerechtigkeit und die goldenen Sporen. Der König legte die Hand auf das Evangelium und gelobte im Namen Jesu Christi, dass das ganze seiner Gewalt übergebene christliche Volk der Kirche Gottes allzeit wahrhaften Frieden halten werde und er jedermann, welchen Standes er auch sei, Raubsucht und Sittenverderbnis untersagen werde. Er schwor, in allen seinen Urteilssprüchen Billigkeit und Barmherzigkeit zu gebieten und mit allen seinen Kräften danach zu trachten, alle ihm von der Kirche als Ket15