Königs Erläuterungen und Materialien Band 397
Erläuterungen zu
Heinrich Böll
Billard um halb zehn von Horst Grobe
C. Bange Verlag – Hollfeld 1
Herausgegeben von Klaus Bahners, Gerd Eversberg und Reiner Poppe
Hinweis der Herausgeber: Die Rechtschreibung wurde der amtlichen Neuregelung angepasst.
1. Auflage 1999 ISBN 3-8044-1664-0 © 1999 by C. Bange Verlag, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Printed in Germany
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INHALT 1.
Vorbemerkung ............................................................
2.
Heinrich Böll – Leben und Werk
2.1
Kurzdarstellung .................................................................
6
2.2
Überblick über Heinrich Bölls Biografie ............................
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2.3
Werkübersicht ...................................................................
10
3.
Heinrich Böll und Charakteristika seines Schreibens ...................................................................
15
4.
5
Der Text
4.1
Der Gang der Handlung ...................................................
21
4.2
Anregungen für Billard um halb zehn ...............................
27
4.3
Religiöse Symbolik: Lamm und Büffel ..............................
32
4.4
Der Titel des Romans .......................................................
39
4.5
Erzählzeit und erzählte Zeit ..............................................
44
4.6
Die Personen des Romans ...............................................
51
4.7
Sachliche und sprachliche Erläuterungen ........................
70
5.
Aspekte zur Diskussion
5.1
Grundzüge des Werks ......................................................
77
5.2
Sichtweisen auf das Werk ................................................
81
6.
Stimmen der Kritik ....................................................
85
7.
Literatur (-Auswahl-) ................................................ 93
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1. VORBEMERKUNG Heinrich Bölls Roman Billard um halb zehn gehört zu den wichtigen Texten der neueren deutschen Literatur. Im Jahre 1959 erschienen, greift er wichtige damals tabuisierte Fragen auf. So wie später auch M. und A. Mitscherlich fragt er nach den Gründen für die Verdrängung der Vergangenheit und warnt vor den Folgen dieses Verhaltens. Die Ursache dafür sieht er in einem Grundzug der Gewalt, der sich seit dem Kaiserreich durch die deutsche Geschichte zieht. Gegen die Gefahr des Fortwirkens schreibt Böll in seinem Roman an. Mit den Möglichkeiten der modernen Prosa, die Böll an amerikanischen Autoren, insbesondere William Faulkner kennen lernte, spiegelt er deutsche Geschichte im Schicksal und in den Erinnerungen einer rheinischen Architektenfamilie über drei Generationen. Die Frage nach dem Herkommen der Gewalt und die Warnung vor der Wiederkehr verstärkte Bedenken gegen das politische Alltagsgeschehen und das herrschende öffentliche Klima, das durch das Wirtschaftswunder geprägt an einem Schlussstrich unter die Vergangenheit interessiert war. Mit seinem unablässigen Fragen störte Böll nachhaltig das Ruhebedürfnis eines Teils der Öffentlichkeit. Er stand im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion und war mehrere Jahrzehnte Wortführer eines anderen Teils der Öffentlichkeit, welche die politische Situation kritisierte und auf Veränderungen bedacht war. Auch wenn aus heutiger Sicht die Sehweise des Romans und seine ästhetische Gestalt nicht mehr überzeugen, so bleibt er doch ein literarisches Dokument, das einen wichtigen Blick auf die geistige Situation der jungen Bundesrepublik Deutschland ermöglicht, zumal manche Fragen mit der Wiedervereinigung Deutschlands in veränderter Gestalt wieder auftauchen und mit reicherer Erfahrung erörtert werden können. H.G.
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2. HEINRICH BÖLL – LEBEN UND WERK 2.1 Kurzdarstellung Heinrich Böll wurde am 21. Dezember 1917 in Köln als achtes Kind des Schreinermeisters Viktor Böll und seiner zweiten Ehefrau Maria geb. Hermanns geboren. Aus der ersten Ehe hatte der Vater drei Kinder, deren Mutter um die Jahrhundertwende verstorben war. Der Vater stammte aus Essen. Er hatte bei seinem Vater das Schreinerhandwerk erlernt. Er zog nach Köln und führte zusammen mit seinem Kompagnon Wilhelm Polls ein „Atelier für kirchliche Kunst“. Die Firma spezialisierte sich auf Bau und Restaurierung von kirchlichem und sakralem Mobiliar, insbesondere auf Schnitzarbeiten. Vor diesem Hintergrund ist die Berufsbezeichnung „Bildhauer“ verständlich, auch wenn der Vater Handwerksmeister war und im Betrieb für die kaufmännischen Belange zuständig war. Im Ersten Weltkrieg war er eingezogen worden; gegen Kriegsende leistete er Heimatdienst und bewachte die Hohenzollernbrücke in Köln. Durch den Wechsel von Essen nach Köln und seine erfolgreiche Berufstätigkeit gelangte er im Laufe der Jahre zu bürgerlichem Wohlstand. Auf Grund seiner Erfahrungen und seiner Aufstiegsorientierung war er gegen Preußen und das Militär eingestellt. Im Gefolge der Weltwirtschaftskrise geriet der väterliche Betrieb in Schwierigkeiten und Viktor Böll machte bankrott. Das Elternhaus musste verkauft werden, eine Mietwohnung wurde bezogen und finanzielle Beengtheit beherrschte den Familienalltag. Die menschliche Wärme des intakten Elternhauses und die Erfahrung der sozialen Deklassierung waren prägende Einflüsse auf den jungen Heinrich Böll. In politischer Hinsicht waren die Rheinlandbesetzung und das Heraufkommen des Nationalsozialismus wichtige Ereignisse, die in seine Jugendzeit fielen. Eine große Enttäuschung stellte für viele Katholiken das Konkordat der Kurie mit der Reichsregierung dar. Ihrer Opposition gegen die Nationalsozialisten wurde dadurch die Grundlage entzogen. 6
Bölls Elternhaus war gut katholisch gewesen, und zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft fanden dort sogar Treffen von katholischen Jugendverbänden statt. Die bis in den Alltag und in die persönlichen Beziehungen in Familie, Schule und Öffentlichkeit hinein wirkenden Veränderungen nahm der junge Heinrich Böll mit wachsender Bedrückung wahr. Eine klare Berufsvorstellung hatte er nicht entwickelt; mit einer Lehre im Buchhandel und der Immatrikulation an der Universität nahm er Anlauf zu einer Ausbildung, doch durch den Zweiten Weltkrieg verlief sein Leben gänzlich anders. Er wurde zur Wehrmacht eingezogen und als Infanterist nahm er am gesamten Krieg an vielen Fronten teil. Aus der Kriegsgefangenschaft wurde er 1945 entlassen und kehrte in das zerstörte Köln zurück. Schon während seiner Lehrzeit hatte er erste Schreibversuche unternommen. Die Erfahrungen des Krieges, der Gefangenschaft und die Not der Nachkriegsjahre drängten jetzt zur literarischen Gestaltung. Seine Familie konnte er davon nicht unterhalten. Seit 1942 war er mit der Lehrerin Annemarie geb. Czech verheiratet. Drei Söhne wurden in den Jahren zwischen 1947 und 1950 geboren. Auch wenn Böll durch gelegentliche Einkünfte aus schriftstellerischer Tätigkeit und für kurze Zeit durch sein Gehalt als Angestellter der Stadt Köln zum Familieneinkommen beitrug, blieben doch die Bezüge seiner Ehefrau die sichere finanzielle Grundlage der Familie Seine erste Buchpublikation erschien 1949. Seitdem beteiligte er sich mit Erzählungen, Satiren, Hörspielen und Romanen an vorderster Front am literarischen Leben und griff immer wieder vehement in die politische Diskussion ein. Dies geschah auch in Form von Reden, Interviews und Beiträgen in der Presse. Nach der Aufarbeitung der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegserfahrung, für die der Begriff der „Trümmerliteratur“ geprägt wurde, brachte die Entwicklung der Bundesrepublik neue Themen hervor. Mit vielen Intellektuellen teilte Böll die kritische Beurteilung der Gründungsphase der Bundesrepublik unter den Kanzlern Adenauer, Erhard und Kiesinger, deren markante Merkmale für ihn u.a. Wirtschaftswunder, Remilitarisierung und 7
restaurative Tendenzen waren. Er setzt sich für den Politikwechsel ein, der 1969 mit der Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler und seiner Ostpolitik zustande kam. Durch sein prononciertes Engagement stand er viele Jahre im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung in der Bundesrepublik. Wenn auch die Anlässe wechseln, so bekämpft er immer Tendenzen und Erscheinungen, welche die Demokratie als Lebensform gefährden und die Würde des Einzelnen herabsetzen, auch und gerade des Schwachen. Achtung und Wertschätzung der Person und des Schriftstellers Heinrich Böll schlugen sich in vielen Preisen und Ehrungen nieder, deren Höhepunkt die Verleihung des Nobelpreises für Literatur im Jahre 1972 darstellte. Zugleich gab es in der Politik und Presse massive öffentliche Hetzkampagnen gegen ihn. Im Ausland genoss Böll hohes Ansehen, und als Präsident des Internationalen PEN-Clubs setzte er sich mit Nachdruck und Erfolg für dissidente Schriftsteller ein. Heinrich Böll starb am 16. Juli 1985 nach längerer Krankheit in seinem Haus in der Eifel. Er ist in Bornheim-Merten beigesetzt.
2.2 Überblick über Heinrich Bölls Biografie Jahr
Ereignis Kindheit und Jugend
1917
Heinrich Böll am 21. Dezember in Köln geboren; Vater: Viktor Böll, Schreinermeister; Mutter: Maria geb. Hermanns
1924-1928
Besuch der katholischen Grundschule Köln-Raderthal
1928
Eintritt in das Kaiser-Wilhelm-Gymnasium; Abitur 1937
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1937-1938
Abgebrochene Lehre im Buchhandel (Buchhandlung Lempertz in Bonn)
1938-1939
Reichsarbeitsdienst
1939
Immatrikulation an der Universität Köln; Fächer: Germanistik, Klassische Philologie Kriegszeit
1939-1945
Einzug zur Wehrmacht, Soldat bis Kriegsende; Einsatz in Deutschland, Polen, Frankreich, Sowjetunion, Rumänien, Ungarn; Lazarettaufenthalte; Kriegsgefangenenfreundschaft
1942
Heirat mit Annemarie geb. Czech Nachkriegsjahre
1945
Rückkehr nach Köln; Geburt und Tod des Sohns Christoph
1947
Geburt des Sohns Raimund
1948
Geburt des Sohns René
1950
Geburt des Sohns Vincent
1951
Einladung zur Tagung und Preis der Gruppe 47
1954
Erster Aufenthalt in Irland
1955
Erneuter Aufenthalt in Irland
1958
Kauf eines Hauses in Irland
1963
Aufenthalt in Irland
1964
Poetik-Vorlesungen an der Universität Frankfurt
1970-1972
Präsident des PEN-Club der Bundesrepublik Deutschland 9