Atommüll – wohin?

gendem vollständigen Namen »Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte«, ... einer Bevölkerungsbefragung durch den »Arbeitskreis Auswahlverfahren.
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Ulrich Dornsiepen

Atommüll – wohin?

Widmung Für meine Kinder

Danksagung Wie fast jedes Sachbuch so ist auch dieses mit der Hilfe von Kollegen und Freunden entstanden. Mein besonderer Dank gilt: Prof. Dr. G. Kowalzcyk (Frankfurt) für seine Hilfe bei der Suche nach Literatur. Meinen Kollegen Dr. K. Hammerschmidt (Berlin) und Dr. R. Petschick (Frankfurt) für wertvolle Kommentare zu wichtigen Teilen der Kapitel 2 und 3 Dem Mitarbeiter der WBG Dr. J. Seeling für sein Engagement eine vage Idee in ein konkretes Buchprojekt umzusetzen und für seine verständnisvolle Geduld und konstruktive Kritik bei der Fertigstellung des Buches und schließlich Frau Dr. G. Bucher (Offenbach) dafür, dass sie mich einige Male davor bewahrt hat »den ganzen Schlamassel hinzuschmeißen«.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Lektorat: Beatrix Föllner, Nettetal Layout, Satz und Prepress: TypoGraphik Anette Klinge, Gelnhausen Umschlaggestaltung: Christian Hahn, Frankfurt a. M. Umschlagabbildung: dkimages-fotolia.com Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-3123-6

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-3124-3 eBook (epub): 978-3-8062-3125-0

Inhalt Vorwort I. Einleitung II. Physikalische Grundlagen Atommodelle Die Kernenergie und die Spaltung von Atomkernen Radioaktive Strahlung Radioaktiver Abfall aus Kernkraftwerken

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III. Geologische Grundlagen und Konzepte der Endlagerung

25 Geologische Grundlagen 26 Anforderungen an die Geologie eines Endlagers 49 Neue erweiterte Konzepte zur Endlagerung und zur Suche nach einem Endlager 96

IV. Geplante und bestehende Endlager Schacht Asse II, das große Problem Das Endlager für radioaktive Abfälle – Morsleben (ERAM), das Erbe der DDR Schacht Konrad – das ehemalige Eisenerzbergwerk Der Salzstock Gorleben – der große Zankapfel

V. Schlussbetrachtungen Was haben wir? – Ein kleiner zusammenfassender Überblick Vergessene Ausschlusskriterien – zusätzliche V Vorgaben Welche Möglichkeiten bleiben? Endlich Schluss

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Anhang Literaturverzeichnis Abbildungsnachweis Stratigraphische Tabellen für Deutschland Register

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Vorwort Die Frage der »endgültigen« Lagerung von Atommüll ist ein Problem von nationaler Tragweite, dessen Lösung immer dringender wird, bisher aber sehr kontrovers diskutiert wird und mit vielen Emotionen verknüpft ist. Es besteht in Deutschland Konsens, diese Abfälle innerhalb der Landesgrenzen dauerhaft in tief liegenden Gesteinsschichten zu lagern. In den letzten zehn Jahren sind ein knappes Dutzend Bücher zum Thema Endlager erschienen. Diese Publikationen richten sich in erster Linie an spezialisierte Fachleute. Lediglich der Physiker Klaus Stierstadt bemüht sich in seinem Buch (Stierstadt 2010), ein breiteres Laienpublikum anzusprechen. Als Physiker betont er verständlicherweise die physikalische Problematik der Endlagerung von Atommüll. Die Endlagerung in tief liegenden Gesteinsschichten ist aber in erster Linie ein geologisches Problem und daher auch nur von geologischer Seite her zu lösen. Deshalb will dieses Buch versuchen, die Problematik der Endlagerung objektiv und ideologiefrei unter besonderer Berücksichtigung der geologischen Fragen allgemein verständlich für interessierte Laien darzustellen, ohne auf den Anspruch wissenschaftlicher Korrektheit zu verzichten. Ein solches Buch erscheint nötig, da zwar die Information und Beteiligung breiter, betroffener Bevölkerungsteile eingefordert wird, aber selten versucht wird, die offenen geologischen Fragen und ihre wissenschaftliche Lösung verständlich zu machen.

Vorwort

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I. Einleitung Im Jahre 2002 hat der sogenannte »AkEnd«, das ist eine Expertenkommission mit folgendem vollständigen Namen »Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte«, einen Abschlussbericht vorgelegt, der über zweihundert Seiten lang und im Internet unter dem Stichwort »AkEnd« verfügbar ist (AkEnd 2002). Wir werden uns im Laufe dieses Buches noch eingehend mit diesem Abschlussbericht beschäftigen. Er ist sozusagen die »Bibel« für die Suche nach einem Endlagerstandort in Deutschland und wird immer wieder für diese Frage herangezogen. In dem Schlussteil dieses Berichtes wird ausgiebig auf die soziologisch-politischen Probleme der Endlagersuche eingegangen. Zu diesem Zweck hat der Arbeitskreis auch Bevölkerungsbefragungen durchgeführt. Ein Ergebnis der Befragungen zeigt das ganze Dilemma der im Augenblick so verfahrenen Situation in der Endlagersuche in Deutschland. Deshalb seien hier zwei Originaltabellen aus diesem Bericht abgebildet (AkEnd 2002, Abb. 1.1).

Aus diesen Tabellen geht hervor, dass etwa 90 % der Befragten es als mehr oder weniger dringlich, über 50 % sogar als sehr dringlich, erachten, dass das Endlagerproblem gelöst wird, aber auch, dass 80 % gegen die Einrichtung eines Endlagers in ihrer Region sind. Dies ist einerseits verwunderlich, andererseits eine durchaus verständliche Reaktion der Betroffenen und zeigt ganz deutlich, welches Unbehagen gegenüber der radioaktiven Strahlung herrscht. Die Gefahr, die von der radioaktiven Strahlung ausgeht, wird von der Bevölkerung realisiert. Sie wird aber als unheimlich und heimtückisch empfunden, da man sie mit den menschlichen Sinnen nicht wahrnehmen kann. Man riecht sie nicht, hört sie nicht, sieht sie nicht und spürt sie nicht auf der Haut. Man benötigt spezielle Messgeräte, um sie überhaupt feststellen zu können. Neben der Radioaktivität besitzen einige Elemente wie Uran, Thorium und Plutonium auch noch eine hohe Toxizität. Ferner kommt hinzu, dass im Laufe der jüngeren Geschichte der Atomkraftnutzung und der Suche nach einem Endlager von Atommüll haarsträubende Fehler in Bezug auf Information und Einbeziehen der betroffenen Bevölkerung gemacht worden sind (Tiggemann 2004, Möller 2009, Hocke & Grunwald (HG.) 2006). Das hat natürlich zu einem erhöhten Misstrauen gegenüber Atomindustrie und Politik geführt. Weiterhin wurde die Suche dadurch erschwert, dass die politischen Parteien in Deutschland bis zum Frühjahr 2013 keinen Konsens in dieser Frage gefunden hatten und die bestehenden Meinungsverschiedenheiten zur eigenen Profilierung benutzten und damit auf Wählerfang gingen. Nachdem eine zehn Jahre dauernde Unterbrechung der Untersuchung des Salzstocks Gorleben abgelaufen ist, wurde im ersten Halbjahr 2013 ein Parteien übergreifender Kompromiss gefunden. Er besteht darin, im Frühjahr 2014 eine Expertenkommission zu etablieren, die mit der Suche

Einleitung

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Abb. 1.1 Ergebnisse einer Bevölkerungsbefragung durch den »Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte« (AkEnd 2002) zur Endlagerung atomarer Abfälle in Deutschland.

nach einem Standort für Endlager für hochradioaktiven Abfall einen Ergebnis offenen Neuanfang starten soll. Somit sind »unabhängige« Wissenschaftler gefragt, die Bevölkerung unvoreingenommen und objektiv zu informieren. Für die Physik hat dies Stierstadt (2010) versucht. Für die Geologie soll hiermit der Versuch gewagt werden. Ferner soll gezeigt werden, wie weit der Kenntnisstand der geologischen Wissenschaften in Endlagerfragen gekommen ist und wo somit die Expertenkommission ihren Neuanfang starten kann.

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II. Physikalische Grundlagen

Atommodelle Schon die »Alten Griechen«, zumindest einige, hatten die Vorstellung, dass die Materie aus kleinsten, unteilbaren Bausteinen aufgebaut wird. Diese nannten sie »Atomos«, das heißt soviel wie das »Unteilbare«. Mit den »Alten Griechen« meinen wir die Politiker, Philosophen und Naturwissenschaftler der griechischen Staaten aus den Jahren 600 bis 100 vor Christus. Wie viele der Erkenntnisse und Ideen aus dieser Zeit so ist auch die Vorstellung von den Atomen in Vergessenheit geraten. Erst im Zeitalter der Aufklärung, im 18. Jahrhundert, wurde diese Idee wieder aufgegriffen und vom Ende des 19. Jahrhunderts bis etwa 1930 wurden die Grundlagen für die heutigen Atommodelle erarbeitet. Ich werde jetzt hier nur vereinfachte Modelle vorstellen soweit sie für die Diskussion über ein Atommüllendlager notwendig sind. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um Schulwissen. Wer dieses noch beherrscht oder selber Physiker oder Chemiker ist, möge dieses Kapitel überschlagen. Wer mehr wissen möchte, schaue bei Stierstadt (2010) und der dort angegebenen Literatur nach oder besorge sich ein Lehrbuch oder Handbuch der Physik oder Chemie. Leider hatten die »Alten Griechen« nicht recht mit ihrer Idee der Unteilbarkeit der Atome, denn sonst hätten wir das Problem mit dem Atommüll nicht. Wir benutzen nämlich den Zerfall und die Teilung von Atomen, um die dabei frei werdende Energie in elektrische Energie umzuwandeln. Hierzu sei noch eine Bemerkung erlaubt. Im allgemeinen, neuen Sprachgebrauch wird von Energiegewinnung oder erneuerbarer Energie gesprochen. Dies ist wissenschaftlich gesehen Unsinn, denn einer der wesentlichen Lehrsätze der Physik ist der Erhaltungssatz der Energie. Das heißt, man kann keine Energie gewinnen oder erneuern, sondern man kann nur eine Energieform in eine andere überführen. Dennoch hat es sich dermaßen eingebürgert von Energiegewinnung zu reden, dass es nicht weise wäre, dies ändern zu wollen. Eine der wesentlichen Erkenntnisse der Forschung an Atomen ist, dass sie unendlich klein sind. In der Wissenschaft benutzt man Potenzen der Zahl 10, um sehr große und sehr kleine Zahlen darzustellen. Teilweise auch deshalb, weil es im englischen und deutschen Sprachgebrauch zu unterschiedlichen Bezeichnungen gekommen ist. Eine Milliarde im Deutschen ist eine Billion im Englischen, während bei uns eine Billion 1000 Milliarden sind. So schreibt man eine Million als 106 , das bedeutet eine 1 mit 6 Nullen nach der 1. 1021 ist dann eine Zahl bestehend aus einer 1 mit 21 Nullen nach der 1.

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Für den deutschen Sprachgebrauch ergibt sich: 1 Million = 106 1 Milliarde = 109 1 Billion = 1012 1 Billiarde = 1015 1 Trillion = 1018 1 Trilliarde = 1021 usw. Will man kleine Zahlen bezeichnen, so nimmt man den Bruchteil einer 1, ein tausendstel ist 1 geteilt durch 1000, ergibt 0,001 geschrieben als 10–3.also eine Zahl mit 3 Nullen vor der 1 und ein Komma nach der ersten Null. Eine Zahl 10–21 ist somit eine 1 geteilt durch 1021 also eine Zahl mit 21 Nullen vor der 1 und ein Komma nach der ersten Null. Mit diesen Zahlen können wir die Kleinheit eines Atoms ausdrücken. Der Durchmesser eines Atoms ist etwa der zehn millionste Teil eines Millimeters also 10–7 Millimeter. Damit man sich diese Dimension in etwa vorstellen kann, gibt Stierstadt (2010) ein anschauliches Beispiel. Man nimmt einen Fingerhut voll Wasser. In diesem Fingerhut befinden sich einhundert Trilliarden Atome, also 1023, ausgeschrieben 100 000 000 000 000 000 000 000. Die so winzigen Atome bestehen dann auch noch aus einem noch kleineren Kern und einer Hülle. In der Hülle kreisen Elektronen um den Kern. Die Elektronen besitzen sehr wenig Masse, haben aber eine negativ elektrische Ladung. Der Kern besteht aus Masseteilchen, den Nukleonen. Diese sind elektrisch positiv geladene Protonen und elektrisch neutrale Neutronen. Sie sind sehr dicht im Kern zusammengepackt und enthalten den größten Teil der Masse eines Atoms. Die Masse eines Protons ist etwa gleich groß wie die eines Neutrons. Jedes Atom hat genauso viele Protonen wie Elektronen, sodass ein Atom eine ausgeglichene Ladung aufweist.

Abb. 2.1 Vereinfachtes Atommodell.

Wenn allerdings ein Atom ein oder mehrere Elektronen verliert oder dazu bekommt, verändert sich der Ladungszustand und es wird zum Ion. Verliert es Elektronen, bekommt es eine positive Ladung, umgekehrt eine negative Ladung. Ein Atom wird dadurch zu einem positiv oder negativ geladenen Ion. Ein Natriumatom

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wird durch den Verlust eines Elektron zu einem positiv geladenen Natriumion, geschrieben Na+. Ein Sauerstoffatom wird durch Zugewinn von zwei Elektronen zu einem zweifach negativ geladenen Sauerstoffion, geschrieben O2–. Solche Ionisierungsprozesse treten bei chemischen Reaktionen auf oder werden durch intensive Bestrahlung in Gang gesetzt. Die Anzahl der Protonen im Kern bestimmt den chemischen Charakter eines Atoms, also um welches chemische Element es sich handelt. So besitzt der Wasserstoff 1 Proton, Uran dagegen 92 Protonen. Neben den Protonen existieren auch Neutronen im Kern. Beide zusammen ergeben die Massenzahl eines Elements. Die Massenzahl (A) ist gleich der Summe aus der Anzahl der Protonen (Z) und Neutronen (N). Es gilt: A = Z + N. Nun besitzt nicht jedes Element die gleiche Anzahl an Neutronen wie Protonen. Die Atome solcher Elemente mit gleicher Protonenzahl, aber unterschiedlicher Neutronenzahl nennt man Isotope. Beim Wasserstoff mit der Protonenzahl 1 kennt man 3 Isotope, eines ohne Neutron, und zwei, die ein oder zwei Neutronen haben. Beim Uran mit der Protonenzahl 92 können 126 bis 150 Neutronen im Kern vorhanden sein. Dementsprechend gibt es Uranisotope mit der Massenzahl 218 bis 242. In der Natur kommen die Uranisotope Uran-234, Uran-235 und Uran-238 am häufigsten vor. Hier ist eine Möglichkeit gegeben ein Isotop zu bezeichnen: Man hängt die Massenzahl an den Namen oder an das chemische Symbol des Elements, wie oben geschehen. Die wissenschaftlich gebräuchlichste Methode ist die Massenzahl als Hochzahl vor das chemische Symbol zu setzen. Für den radioaktiven Kohlenstoff zum Beispiel erhält man so 14C. Der Kern ist etwa zehntausend bis hunderttausend Mal kleiner als das gesamte Atom, misst also zwischen 10-11 und 10-12 Millimeter, je nachdem welchen Atomkern wir betrachten. Ein Wasserstoffkern mit nur einem Proton ist um den Faktor 10 kleiner als ein Urankern mit 238 Nukleonen. Stierstadt (2010) hat ein anschauliches Beispiel geliefert, wie man sich die Größenverhältnisse in einem Atom vorstellen kann. Wenn man den Kern eines Atoms um den Faktor eine Billion (1012) vergrößert, wird er so groß wie ein Stecknadelkopf (1 Millimeter). Die Hülle hat dann einen Durchmesser von 100 Metern. Ein echter Stecknadelkopf würde mit dieser Vergrößerung annähernd so groß wie unsere Sonne werden.

Abb. 2.2 Aufbau und Größe verschiedener Atomkerne (aus Stierstadt 2010).

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Abb. 2.3 Größenvergleich zwischen Atomkern und Stecknadelkopf. Vergrößert man einen Atomkern auf die Größe eines Stecknadelkopfes, würde letzterer bei gleicher Vergrößerung etwa so groß wie unserer Sonne werden (aus Stierstadt 2010).

Die positiv geladenen Protonen halten die negativen Elektronen in Bahnen um den Atomkern. Allerdings bewegen sich die Elektronen nicht alle auf der gleichen Bahn. Je mehr Elektronen vorhanden sind umso mehr Bahnen oder Schalen hat ein Atom, in denen sich die Elektronen bewegen. Das Element Wasserstoff hat nur eine Schale, Uran dagegen sieben. Die Schalen werden von innen nach außen mit Buchstaben des Alphabets K bis Q bezeichnet, wobei die K-Schale die innerste, dem Kern am nächsten stehende, und Q die äußerste Schale ist. Die K-Schale kann maximal zwei Elektronen, die nächste L-Schale maximal acht Elektronen und die äußerste Schale, die Q-Schale, könnte bis zu 98 Elektronen auff nehmen. An Beispiel des Urans sieht man, dass die Atome nicht immer die maximale Belegung einer Schale ausnutzen. Uran besitzt 92 Protonen und 92 Elektronen, könnte demnach alle Elektronen auf der äußersten Schale unterbringen. Es tut dies aber nicht, sondern hat die O-, P- und Q-Schale nicht voll besetzt. Die Schalen stellen Energieniveaus dar, die man mit ganzen Zahlen ausdrückt n =1 bis 7 und auch wieder von innen nach außen zählt. Das heißt, die Innenschale hat das niedrigste, die äußerste das höchste Energieniveau. Wenn ein Elektron von einem niedrigen Energieniveau in ein höheres gebracht werden soll, muss man die gleiche Menge an Energie zuführen, die den Unterschied zwischen den Energieniveaus ausmacht. Springt ein Elektron wieder zurück, so wird die Energie in Form von elektromagnetischen Wellen (Licht oder Röntgenstrahlen) wieder abgegeben. Auf diese Weise entstehen z. B. die Polarlichter. Wir alle kennen einen Ventilator, der aus zwei, drei oder vier Rotorblättern besteht. Wenn ein Ventilator sehr schnell läuft, sehen wir die einzelnen Rotorblätter nicht mehr. Wir nehmen nur eine Ebene wahr, in der sich die Rotorblätter bewegen, und können nicht sehen, wo sich die einzelnen Rotorblätter im Augenblick befinden.

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Erst wenn wir einen Finger zu weit vorstrecken, machen wir die schmerzliche Bekanntschaft mit den sich drehenden Rotoren. So ähnlich müssen wir uns auch die Verhältnisse in einer Elektronenhülle vorstellen. Die Elektronen kreisen mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit von etwa 40 000 km pro Sekunde um den Atomkern. (Zur Erinnerung: Die Lichtgeschwindigkeit beträgt 300 000 km pro Sekunde). Bei solchen Geschwindigkeiten kann man natürlich nicht sagen, wo ein Elektron sich in einem bestimmten Augenblick befindet. Hinzu kommt, dass die Elektronen sich nicht nur in den kreisförmigen Schalen bewegen, sondern zusätzlich sehr komplizierte Bewegungen in Keulen und Schläuchen ausführen. Sie bewegen sich dabei in rotationssymmetrisch verteilten dreidimensionalen Gebilden um den Kern, die man Orbitale nennt.

Abb. 2.4 Schnitt durch eine Symmetrieebene von Orbitalen, der die möglichen Formen der Orbitalen zeigt: Kugelschalen, Keulen und schlauchförmige Gebilde (aus Stierstadt 2010).

Die Elektronen haben, wie gesagt, im Vergleich zu den Protonen und Neutronen sehr wenig Masse. Man kann dies genau ausrechnen und kommt zu dem Resultat, dass ein Proton 1836 Mal mehr Masse hat als ein Elektron, aufgerundet etwa 2000 Mal mehr. Wenn man das in Prozent umrechnet kommt heraus, dass mehr als 99,9 % der Masse eines Atoms im Kern steckt. Da der Kern nur ein Zehntausendstel bis Hunderttausendstel der Gesamtgröße eines Atoms ausmacht, bedeutet dies auch, dass ein Atom zu mehr als 99,99 % aus Leere, aus Nichts besteht. Wenden wir diese Erkenntnisse auf ein Wasserstoffatom an und denken uns, dass ein Elektron ein Samen einer Pusteblume, also eines Löwenzahns, ist. Davon schneiden wir den Samen ab und behalten nur den kleinen, leichten Fallschirmpuschel. Dieser kreist nun mit irrsinniger Geschwindigkeit auf wahnwitzigen Orbitalen in einem Durchmesser von 100 Metern um einen Kern, sodass uns das Ganze wie ein großer Ballon erscheint. (Zum Vergleich: Die Länge eines Fußballfeldes beträgt etwa 100 Meter.) Der Kern besteht aus 1836 solcher kleinen Fallschirmpuschel, zusammengepresst auf die Größe eines Stecknadelkopfes. Beim Uran wären es 92 Puschel verteilt auf 7 Schalen und etwa 440 000 Puschel (238 Nukleonen mal 1836) im Kern zusammengepresst zu einer kleinen Murmel mit einem Zentimeter Durchmesser. Das Atommodell wurde aufgrund von theoretischen Überlegungen und den Beobachtungen der Auswirkungen der Strahlung von Protonen, Neutronen und

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Elektronen entwickelt. Mit modernen Elektronenmikroskopen kann man heute ein Atom sichtbar machen. Mit einem Atomkraftrastermikroskop lässt sich die Elektronendichte in einem Feststoff bestimmen. Bereits 1945, also nur 7 Jahre nachdem die Spaltbarkeit eines Atomkerns durch Otto Hahn, Lise Meitner und Fritz Strassmann nachgewiesen wurde, explodierten die Atombomben in Nagasaki und Hiroshima. Diese Explosionen haben auf tragische Weise gezeigt, wie viel Energie in den Atomkernen steckt, was dann zur »friedlichen« Nutzung der Atomenergie führte und uns die Problematik der Endlagerung von Atommüll bescherte.

Die Kernenergie und die Spaltung von Atomkernen Otto Hahn, Lise Meitner und Fritz Strassmann haben gezeigt, dass man Atomkerne mit Neutronen spalten kann und dass dabei große Mengen von Energie freigesetzt werden. Woher kommt diese Energie? Der Atomkern besteht aus Protonen und Neutronen. Die Protonen haben alle die gleiche positive Ladung und stoßen sich gegenseitig ab. Sie müssten also ständig auseinander fliegen. Sie werden durch eine fundamentale Kraft, die Kernkraft darin gehindert. Diese Kernkraft hat eine sehr geringe Reichweite. Im Prinzip beschränkt sich ihre Reichweite auf den winzigen Atomkern. Der Zusammenhalt geht von der Masse der Neutronen aus. Denn sobald ein Atomkern mehr als ein Proton enthält, befinden sich gleichviel oder mehr Neutronen im Kern. Je mehr Protonen im Kern vorhanden sind, umso mehr Neutronen werden benötigt, um den Kern zusammenzuhalten. Beim Helium mit zwei Protonen genügen zwei Neutronen. Schon ab vier Protonen sind mehr Neutronen im Kern vorhanden als Protonen. Beim Gold mit 79 Protonen sind 118 Neutronen notwendig, um einen stabilen Zusammenhalt zu gewährleisten. Dennoch wird der Zusammenhalt eines Atomkerns immer schwächer je mehr Protonen der Kern enthält. So ist er am schwächsten im Kern des Urans, das mit 92 Protonen das schwerste natürlich vorkommende Element ist. Wenn ein frei umher fliegendes Neutron zufällig auf einen Urankern trifft, so beeinträchtigt es den Zusammenhalt. Fällt der Stoß relativ schwach aus, so wird der Urankern nur zu Schwingungen angeregt und er sendet Strahlen aus, sogenannte Gammastrahlen. Wenn der Stoß heftiger erfolgt, platzt der Urankern und zerfällt in zwei oder, sehr selten, in mehrere kleinere Atomkerne. Dabei werden noch 2 oder 3 Neutronen freigesetzt, die prompten Spaltneutronen. Diesen Vorgang nennt man Kernspaltung. Die Teile fliegen mit großer Geschwindigkeit auseinander, da sie sich gegenseitig abstoßen. Die Kernkraft kann diese Teile nicht mehr zusammenhalten, da sich diese außerhalb ihrer Reichweite befinden. Die Kernteile fliegen mit großer Geschwindigkeit auseinander und die Bewegungsenergie wird teilweise umgesetzt in Wärmeenergie, die man in elektrische Energie umwandelt kann. Dies geschieht in den Kernkraftwerken, die etwa ein Drittel der bei der Kernspaltung frei werdenden Wärmeenergie zur Stromerzeugung nutzen. (Zur Funktion von Kernkraftwerken gibt Stierstadt 2010 einen kleinen Überblick. Wenn jemand mehr dazu erfahren möchte, sollte er die dort angegebene Literatur lesen).

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Abb. 2.5 Kernspaltung durch ein Neutron. a) Kernschwingung; b) Spaltung von Uran in Krypton, Barium und drei Neutronen (aus Stierstadt 2010).

Es hat sich gezeigt, dass man Uran-235 am besten spalten kann, während die anderen Uranisotope ein Neutron entweder ablenken und abbremsen oder einfangen. Ein Uran-235- Kern fängt auch ein Neutron ein und wird zu einem Uran-236. Die meisten dieser Isotope zerfallen aber sofort in zwei Teile und eine geringe Anzahl zerfällt nicht. Man sollte meinen, dass dann zwei Atomkerne mit der Massenzahl 118 (236 : 2 = 118) entstehen würden. Der Uran-236 Kern zerfällt aber unsymmetrisch, wobei die neu entstandenen Kerne gehäuft Massenzahlen zwischen 85 und 106 und zwischen 131 und 147 haben. Typische Elementpaare, die durch Uranspaltung entstehen sind: Barium-Krypton, Caesium-Rubidium, Xenon-Strontium, Jod-Yttrium. Wichtig zu bemerken ist, dass mit Krypton und Xenon zwei Gase dabei entstehen. Je nach Elementpaar werden dabei noch zwei oder drei Spaltneutronen freigesetzt. Man braucht also ein Neutron, um einen Uran-235-Kern zu spalten. Wo nimmt man das her? Dies ist sehr einfach, denn Uran- und Thoriumkerne spalten sich spontan, wobei Neutronen freigesetzt werden. Treffen diese Neutronen wieder auf einen Urankern, so spalten sie diesen und setzen wieder Neutronen frei usw. Je mehr Urankerne vorhanden sind, umso häufiger kommt es zu einer Spaltung. Wenn man nur über eine kleine Masse Uran verfügt, treffen die Neutronen auf andere Atomkerne, die nicht spaltbar sind. Je mehr Masse an Uran vorhanden ist, desto größer ist die Chance einer durch Neutronen verursachten Kernspaltung. Man hat errechnet, dass in einer Kugel aus Uran-235 mit einem Durchmesser von 16,8 cm und einer Masse von 46,4 kg für jedes gespaltene Uranatom ein weiteres gespalten wird. Dieser Vorgang wird als »Kettenreaktion« bezeichnet und die 46,4 kg werden »kritische Masse« genannt. Wenn man die Uranmasse mit einem Stoff ummantelt, der die nach außen fliegenden Neutronen reflektiert (Wasser, Graphit oder Beryllium) kann man die »kritische Masse« auf 16 kg reduzieren (Stierstadt 2010). Wenn eine Kettenreaktion in Gang gesetzt wird, führt dies unmittelbar zu einer Explosion (Atombombe). In einem Reaktor möchte man keine Atomexplosion hervorrufen, sondern eine kontrollierbare Wärmeentwicklung erhalten. Dies wird einmal erreicht, indem man die Geometrie

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Abb. 2.6 Schematische Darstellung einer Kettenreaktion mit Neutronen der ersten drei Generationen (n1, n2, n3) und den Spaltprodukten (A, B) (aus Stierstadt 2010).

der Uranmasse verändert. Anstatt einer Kugel nimmt man lange dünne Stäbe, die in einer bestimmten Entfernung zueinander angebracht werden. Zum anderen schiebt man Bremsstäbe zwischen die Uranstäbe, die die Neutronen abbremsen und mit denen man die Reaktortätigkeit und Wärmeentwicklung steuern kann.

Radioaktive Strahlung Die meisten Atomkerne sind instabil, dadurch radioaktiv und senden Strahlen aus. Diese Strahlen sind schädlich für Organismen. Der Mensch und die Biosphäre müssen deshalb davor geschützt werden. Für die Endlagerproblematik sind vier Strahlenarten von Bedeutung: Alphastrahlen, Betastrahlen, Gammastrahlen und Neutronenstrahlen. Sie unterscheiden sich in ihrer Natur und in ihrer Fähigkeit Materie zu durchdringen. Energiereichere Strahlen durchdringen größere Massen als energieärmere. Alphastrahlen bestehen aus Teilen eines Atomkerns, nämlich zwei Protonen und zwei Neutronen, das entspricht einem Heliumkern. Sie haben eine geringe Reichweite und können schon von sehr wenig Materie aufgehalten werden. Betastrahlen sind energiereiche Elektronen und dringen um ein Vielfaches weiter durch Materie als Alphastrahlen. Gammastrahlen bestehen nicht aus einer Teilchenstrahlung wie die Alpha- und Betastrahlen, sondern haben eine Natur wie elektromagnetische Wellen, vergleichbar mit Röntgenstrahlen oder Lichtstrahlen. Im Gegensatz zu diesen Strahlen, die in der Elektronenhülle eines Atoms entstehen, haben Gammastrahlen ihren Ursprung im Atomkern. Sie werden von der Materie nicht aufgehalten, aber kontinuierlich abgeschwächt bis sie wirkungslos sind. Ähnlich verhalten sich die Neutronenstrahlen, die etwa im gleichen

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