„Ich nehme es mit jedem auf“

04.11.2015 - Der Vater von vier Kindern ser- ... schen in Thailand, Malaysia und ... Kindern. „Solange sie an der Spitze steht und das Land regieren wird.
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6 WELTPOLITIK

M ITTW OCH , 4. NOVEMBER 2015

Aung San Suu Kyi wurde insgesamt 15 Jahre unter Hausarrest gestellt. Ihr demokratisches Bestreben gefährde die staatliche Sicherheit, lautete die Begründung des Militärs.

„Ich nehme es mit jedem auf“ Aung San Suu Kyi wird in Myanmar fast wie eine Heilige verehrt. Alles spricht dafür, dass sie die Wahl am Sonntag gewinnt. Doch ihren Sieg hat das Militär schon einmal ignoriert. WILLI GERMUND

Das unscheinbare Häuschen am Straßenrand fällt trotz der beiden blutroten Wahlplakate mit einem tanzenden Pfau kaum auf. Der kleine Lieferwagen vor der Tür ist ebenso alltäglich wie das üppige Gebüsch, das zum Ende von Myanmars Regenzeit überall am Wegesrand wuchert. Aber die 40-jährige Yu Yu Khaing, die in dem lokalen Büro der National Development Party (NDP) sitzt, sticht nicht nur wegen ihres Mutes aus der Menge der 93 Parteien heraus, die sich bei der ersten echten Wahl des Landes seit 25 Jahren um ein Amt bewerben. Die Mutter von zwei Kindern zeigt für eine Wahlkämpferin auch ungewöhnliche Bescheidenheit. „Ich habe vielleicht eine Chance von einem Prozent, bei der Parlamentswahl am kommenden Sonntag hier im Wahlkreis Kahmuw zu gewinnen“, sagt sie und tupft sich Schweiß von der Stirn. „Yu Yu ein Prozent“ nennen Nachbarn die Kandidatin, die in ihrer Gegend eine

NAYPYIDAW.

Stunde Autofahrt südlich der früheren Hauptstadt Rangun gegen Myanmars „Superfrau“ antritt. So nennt der 38-jährige Myo San voll grenzenloser Ehrfurcht die Spitzenkandidatin der National League for Democracy (NLD), Friedensnobelpreisträgerin und Widerstandsikone Aung San Suu Kyi. „Es ist unwichtig, wen die Partei als Kandidaten in den Wahlkreisen aufstellt“, sagt der muslimische Vater von vier Kindern. „Solange sie an der Spitze

SN-THEMA

Wahl in Myanmar

steht und das Land regieren wird. Denn sie wird schon alles so richten, wie es gut für uns ist.“ Vor exakt einem Vierteljahrhundert trugen die abgrundtiefe Abneigung der Birmanen für die seit Jahrzehnten herrschenden Militärs und die schier grenzenlose Verehrung für die Tochter des Unabhängigkeitshelden Aung San die Lady, wie sie im Volksmund heißt, schon einmal auf einer Welle der Begeisterung zu einem Wahltriumph und in ein 25 Jahre dauerndes Unterdrückungsregime. Die Generäle ignorierten das ungeliebte Resultat und wirtschafteten Myanmar weiter zu einem der ärmsten Länder Asiens herunter. Nun will es Suu Kyi noch einmal wissen. „Ich nehme es mit jedem auf, ich habe keine Angst, solange ihr hinter mir steht“, rief sie bei einem Wahlkampfauftritt am vergangenen Sonntag in der Hafenstadt Rangun von der Bühne. Gegenwärtig regieren die Generäle mithilfe des 2012 ernannten Präsidenten Thein Sein. Ein Viertel der Parlamentssitze ist laut der von

der Junta diktierten Verfassung ohnehin für das Militär reserviert. Die überwiegend aus ehemaligen Offizieren bestehende offizielle Regierungspartei USDP stellt die Mehrheit der Parlamentarier und hofft, beim Urnengang am Sonntag verhindern zu können, dass Aung San Suu Kyi diesmal die absolute Mehrheit im Parlament holt. Wahlumfragen gibt es in Myanmar nicht. Analysten trauen der NLD aber einen hohen Sieg zu. Die Partei müsste mindestens 333 der verfügbaren 498 Sitze gewinnen, um die Regierung stellen zu können. Die Regierungspartei braucht nur 167 Sitze. Zusammen mit dem Militär hätte sie dann die Mehrheit. Suu Kyi will bei einem Sieg als Erstes die Verfassung ändern. Doch viele fürchten eine Wiederholung der Geschichte und dass die Generäle ein Ergebnis zugunsten Suu Kyis erneut ignorieren könnten. Aung San Suu Kyi warnt ihre Anhänger vorsichtshalber schon jetzt vor unbedachten Aktionen: „Wartet auf meine Anweisungen.“

BILD: SN/APA/EPA/LYNN BO BO

Bitterarm, aber voller Potenzial

Geopolitisch Myanmar liegt zwischen den aufstrebenden Mächten Indien und China. Beide Länder, ebenso wie die USA, wollen einen Fuß in der Tür haben. Über Myanmar kann China den Weg zum Indischen Ozean abkürzen. Es hat seinen Einfluss unter der Junta in Myanmar stark ausgebaut. Indien und die USA wollen China das Feld in dem rohstoffreichen Land nicht allein überlassen.

Rohstoffe Myanmar hat riesige Gas- und einige Ölvorkommen vor der Küste, Teakholz in den Bergen, Edelsteine im Boden und große Flüsse, die Wasserkraft generieren können. Vor allem Nachbarländer wie Thailand wollen Geschäfte machen. Aber die Gesetze etwa zum Investoren-, Patentoder Rechtsschutz sind teils noch vage, es fehlen viele Umsetzungsverordnungen, und in den Behörden, die die Einhaltung der Vorschriften überwachen sollen, mangelt es an qualifizierten Mitarbeitern.

Mönche führen Kreuzzug in Schlachthöfen In Myanmar machen Mönche der muslimischen Minderheit das Leben zur Hölle. DALA. Am nördlichen Ufer des Yang-

on-Flusses schimmert hinter den Silhouetten rostiger Frachter die Skyline von Myanmars früherer Hauptstadt Rangun mit ihrer Mischung verkommener, von Grünspan überzogener Gebäude und nagelneuer Hochhäuser. Auf der südlichen Seite der lehmigen Fluten haben Myanmars neue Zeiten ein anderes Gesicht. Altersschwache Busse bringen Frauen in schicken Sarongs, die mit Thanaka-Creme ihre Wangen vor der Sonne schützen, zur Flussfähre. An den Marktständen gibt es spottbillige Mobiltelefone und Fische, aber kein Rindfleisch. „Wir hatten drei Schlachthöfe“, sagt der 38-jährige Myo San. „Jetzt gibt es nur noch einen hier in Dala.“

Der Vater von vier Kindern serviert seiner Familie seit einem halben Jahr ausschließlich Fisch. „Rindfleisch ist zu teuer“, sagt der Muslim. „Seitdem zwei Schlachthöfe hier geschlossen haben. Der dritte beliefert vor allem Rangun.“ Der wirkliche Grund für den fleischlosen Speiseplan der Familie Myo San ist freilich der Schlachthof-Kreuzzug der fanatischen buddhistischen Mönche von Ma Ba Tha, der extremistischen „Vereinigung für den Schutz von Rasse und Religion“ unter Führung von Ashin Wirathu. Infolge ihrer rassistischen Hetzkampagnen hausen mittlerweile Zehntausende von Rohingyas im Westen des Landes in Ghettos. Damit nicht genug, versuchen Wirathu

und seine Gefolgsleute seit einigen Monaten, muslimischen Geschäftsleuten in anderen Landesteilen das Leben schwer zu machen. „In 20 der 38 Townships der Irawady-Region wurden mittlerweile die Schlachthöfe geschlossen“, sagt Wunna Shwe, Generalsekretär von Myanmars Islamic Religious Affairs Council, dem Islamischen Religionsrat des südostasiatischen Landes. Die Region des IrawadyDeltas errang nach dem verheerenden Wirbelsturm „Nargis“ im Jahr 2008 traurige Berühmtheit. Jetzt sammeln die Mönche von Ma Ba Tha dort Geld und kaufen bei den Behörden die Metzgerlizenzen auf, die traditionell von islamischen Myanmaren erworben wurden. Muslime essen kein Schweine-

fleisch. Kühe werden von Buddhisten, die an Reinkarnation glauben, zwar verehrt, gelten aber anders als bei Hindus nicht als heilig. Der Religionsgelehrte Wunna Shwe sitzt im Zentrum von Rangun in einer Seitenstraße in einem versteckten Büro, das über ein finsteres Treppenhaus mit krummen und ausgetretenen Holzstiegen zu erreichen ist. Er weiß, dass der Schlachthof-Kreuzzug der Mönche, die Myanmar laut eigenem Programm „sauber und rein“ erhalten wollen, eine von vielen Schikanen ist, mit denen Muslime in Myanmar in diesen Tagen drangsaliert werden. „Uns würden in dieser Sache klare Regeln der Behörden genügen“, sagt Wunna Shwe. „Die Schlachthoffrage ist zweitrangig gemessen am

Entzug unserer Bürgerrechte und der systematischen Diskriminierung.“ Bei blutigen Unruhen im Jahr 2012 kamen Dutzende Menschen ums Leben, 140.000 Rohingyas wurden vertrieben und in Internierungslager gesteckt. Im Frühjahr kamen Flüchtlingsboote mit Tausenden völlig ausgemergelten Menschen in Thailand, Malaysia und Indonesien an. Die neue Regierung muss die Rohingya-Frage lösen, um neue Flüchtlingsdramen zu verhindern. Bisher schweigt Aung San Suu Kyi aber zu dem Konflikt. Sie will die Wahl gewinnen und es sich mit den Buddhisten im Westen nicht verderben – also taucht sie ab, was die Rohingyas betrifft.