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werden konnten, nun ohne Menschen- oder Tierversuche studiert werden können. Der ... die kognitive Psychologie, die Linguistik, die Philosophie, die kognitive ...
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Erschienen in KI 3/92, 95-98.

Über den Unterschied zwischen Logik-basierten und logischen Ansätzen zur Wissensrepräsentation Christian Freksa Universität Hamburg Einführung. Dieser Aufsatz ist ein Plädoyer für eine pluralistische Wissensrepräsentation in der KI und somit indirekt auch ein Plädoyer für die Logik. Wenn er dennoch als Beitrag gegen Logik in einem Sonderheft über Logik in der KI erscheint, so liegt der Grund darin, daß die Logik gelegentlich als das einzig nützliche und notwendige Repräsentationsmittel für die KI, ja sogar für die gesamte Kognitionswissenschaft postuliert wurde. Die innere Überzeugung von der Unanzweifelbarkeit dieser These ging bei einigen Logikern so weit, daß sie andere Positionen von vornherein als indiskutabel verwarfen und sich nicht ernsthaft mit ihnen auseinandersetzten. Die Starrheit der Pro Logik Position gehört – nicht zuletzt durch ernüchternde Erfahrungen, die bei dem Fifth Generation Computing Project in Japan gesammelt wurden – der Vergangenheit an; dennoch wird in der KI-Forschung und -Förderung immer wieder die Frage aufgeworfen, ob es einen universellen Repräsentationsansatz gebe, der allen Anforderungen an kognitive Systeme1 gleichermaßen gerecht werden könne. Diejenigen, die diese Frage positiv beantworten, sahen lange Zeit in der Prädikatenlogik erster Stufe solch einen universellen Ansatz und forderten, alles Wissen auf der Basis prädikatenlogischer Formeln zu repräsentieren. Das Ziel meines Beitrages ist es, den Lesern eine differenziertere Sichtweise nahezubringen, die zwar der Logik ihre Berechtigung bei der Erforschung kognitiver Systeme zugesteht, jedoch auch andere sinnvolle Grundlagen für die Wissensrepräsentation aufzeigt. Ich behaupte, daß mit anderen Repräsentationsgrundlagen als der Logik durchaus logisch, d.h. nach den Regeln der Logik, umgegangen werden kann. Ich vertrete somit die These, daß die Logik für bestimmte Fragestellungen ein geeignetes Repräsentationsmedium ist, daß es jedoch ein breites Spektrum kognitiver Fähigkeiten gibt, für deren Untersuchung eine andere Ausgangsbasis zugrundegelegt werden sollte.

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Ich ziehe es vor, über kognitive Systeme, kognitive Prozesse und kognitive Fähigkeiten zu sprechen als über ‘intelligente Systeme’ oder ‘intelligentes Verhalten’. Ich beziehe mich in meinen Ausführungen jedoch auf Leistungen, auf die in der KI-Forschung allgemein Bezug genommen wird.

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Es geht in diesem Aufsatz also nicht um die Frage, ob Wissen logisch oder unlogisch repräsentiert und verarbeitet werden soll, sondern um die Frage, ob Wissen immer auf der Grundlage der Logik (Logik-basiert) repräsentiert werden soll. Der Begriff logic programming oder programming in logic wird im Deutschen immer häufiger mit “logisches Programmieren” wiedergegeben. Hierdurch wird suggeriert, Verfahren, die nicht auf der Logik basieren, seien nicht logisch, außerlogisch, oder gar unlogisch. Diese Ausdrucksweise deutet auf eine Konfusion unterschiedlicher Repräsentationsebenen hin, die ich zunächst beleuchten werde. Wozu repräsentieren wir Wissen? Die Kognitionswissenschaft allgemein und die KI als Forschungsrichtung innerhalb der Kognitionswissenschaft hat es mit zwei Arten von Wissen zu tun: als ‘Wissenschaft vom Wissen’ [Bibel 1991] befaßt sie sich mit dem Wissens des untersuchten kognitiven Systems; als Wissenschaft schlechthin muß sie sich – ebenso wie andere Wissenschaften auch – damit auseinandersetzen, wie ihre Erkenntnisse über dieses Wissen (Metawissen) am besten präsentiert, vermittelt und mit anderen Erkenntnissen verglichen werden können. Im ersten Fall geht es bei der Wissensrepräsentation darum, bestimmte kognitive Leistungen zu ermöglichen (1) oder nachzuahmen, d.h. auf die gleiche Weise zu vollbringen, wie ein gegebenes Vorbild (2); im zweiten Fall geht es darum, bestimmte Leistungen zu analysieren und zu verstehen (3). Es werden also zwei unterschiedliche Wissensebenen angesprochen, wobei ich die erste als Objektebene und die zweite als Metaebene bezeichnen möchte. Diese beiden Wissensebenen werden bei der Diskussion um Wissensrepräsentationsansätze oft nicht auseinandergehalten, und zwar teils bewußt, da man die gleichen Muster und Prinzipien auf beiden Ebenen erkennen kann, teils unbewußt, wenn man sich nicht klar macht, daß verschiedene Zielsetzungen unterschiedliche Lösungen erfordern. Da die Repräsentation von Wissen in kognitiven Systemen eine Besonderheit von KI und Kognitionswissenschaft gegenüber anderen Wissenschaften darstellt, werde ich mich in meinen Ausführungen auf die Objektebene konzentrieren. Bei den Ansätzen zur Modellierung kognitiver Leistungen finden sich die beiden Repräsentationsebenen wieder: eine Forschungsrichtung innerhalb der KI, deren Ziel es ist, künstliche Systeme zu entwickeln, ist in erster Linie daran interessiert, daß von diesen Systemen eine bestimmte Leistung vollbracht wird; es geht dabei also vor allem darum, einen prinzipiell möglichen Weg zur Lösung bestimmter Aufgaben zu identifizieren und dieser Weg sollte bezüglich seiner Effizienz möglichst gut sein. Eine andere Forschungsrichtung, die Methoden der KI als Mittel zur Untersuchung natürlicher und künstlicher kognitiver Prozesse einsetzt, interessiert die Frage, wie diese Leistung unter ganz bestimmten Rahmenbedingungen

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vollbracht werden kann. Die dabei am häufigsten zugrundegelegten Rahmenbedingungen sind solche, denen biologische Wesen, insbesondere Menschen, ausgesetzt sind. Bei der ersten Ausrichtung (“KI”) stellt sich die Frage der Mächtigkeit: ist das Modellierungswerkzeug – d.h. der Repräsentations- und Verarbeitungsformalismus – ausdrucksstark genug, die gewünschte Leistung zu vollbringen? Hier erweisen sich Repräsentationsansätze mit starker Abstraktionsfähigkeit als vorteilhaft – dies ist übrigens die gleiche Anforderung, die an die Präsentation wissenschaftlicher Ergebnisse überhaupt gestellt wird, also auf der Metaebene relevant ist. Daher ist auch die Nützlichkeit der Logik auf dieser Ebene nicht umstritten. Bei der zweiten Ausrichtung (“Kognition”) steht die Frage der Adäquatheit einer Repräsentations- und Verarbeitungsform im Vordergrund: ist der Formalismus in der Lage, einen bestimmten Kognitionsvorgang unmittelbar abzubilden, d.h., den Lösungsweg direkt nachzuvollziehen anstatt ihn auf abstrakte Weise zu charakterisieren? Hier benötigt man Repräsentationsformen, die in Struktur und Verhalten die modellierte Welt widerspiegeln [Furbach et al. 1985]; Abstraktion kann sich hierfür nachteilig auswirken [Freksa 1991]. Die Reize der Logik. Die Sprache der Logik kann zunächst einmal als ein Werkzeug oder Medium für die Formalisierung von Sachverhalten oder Konzepten angesehen werden. Warum sollte man einen Repräsentationsansatz auf einem Werkzeug basieren und nicht ein Werkzeug nach den spezifischen Anforderungen gestalten? Der Grund, der hierfür angeführt wird (Bibel), ist einfach: Ein brauchbares Werkzeug zur Wissensrepräsentation zu entwickeln, ist außerordentlich schwierig und aufwendig; Logik ist ein Wissensrepräsentationswerkzeug, das bereits hoch entwickelt ist; ferner ist die Sprache der Logik durch ihre Fähigkeit, abstrakte Sachverhalte zu repräsentieren, sehr vielseitig; daher soll man den hohen Entwicklungsstand des verfügbaren Ansatzes ausnutzen, um mit möglichst wenig zusätzlichem Aufwand ein möglichst leistungsfähiges System bereitstellen zu können. Gemeinsam mit der unterstellten Universalität der Sprache Logik wird diese zu einem plausiblen Kandidaten für einen Universalformalismus (vgl. auch Hayes [1977]). Die Proponenten des Logik-basierten Ansatzes beziehen sich mit dieser Argumentation vorwiegend auf Zweck (1) und (3) einer Wissensrepräsentation, also auf die Konstruktion effizienter künstlicher Systeme bzw. die Analyse von Systemen (vgl. Bibel und Furbach [1992], in diesem Heft). Die Relevanz von Zweck (2), also die Untersuchung natürlicher Fähigkeiten mit Hilfe synthetischer Modelle, für den Erkenntnisgewinn wird von ihnen entweder ignoriert oder sie glauben, es reiche aus, auf der Metaebene über diesen Zweck zu räsonieren, wozu wiederum die Logik geeignet erscheint. Die wenigsten Vertreter des Logik-

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basierten Ansatzes vertreten offen den Standpunkt, biologische Vorbilder für kognitive Prozesse seien Logik-basiert, wenngleich es Äußerungen gibt, die darauf hindeuten, daß ihre Autoren sich überhaupt keine andere Repräsentationsgrundlage vorstellen können2. Der in Kowalskis Zitat erkennbare Sachverhalt, nämlich daß auf der Grundlage einer bestimmten Disposition nur bestimmte Lösungswege erkannt werden, deutet auf ein interessantes Phänomen hin, für das sich Kognitionsforscher, Wissenschaftstheoretiker und kognitiv orientierte Pädagogen besonders interessieren: die vorhandenen Repräsentationsstrukturen sind ausschlaggebend dafür, was für Gedanken gedacht und was für Schlüsse gezogen werden. Diese Erkenntnis ist ausschlaggebend dafür, daß sich die Kognitionsforschung für eine Vielfalt von Repräsentations- und Verarbeitungsansätzen und Paradigmen interessiert; nur so – so meinen die Proponenten dieses pluralistischen Ansatzes – wird man der Vielfalt der in der Natur vorkommenden kognitiven Phänomene auf die Spur kommen und ihre jeweilige Bedeutung erkennen können. Ob solch eine Vielfalt von Repräsentationsansätzen im Nachhinein mit einer einheitlichen Beschreibungssprache wie der Prädikatenlogik beschrieben und analysiert werden kann, ist eine ganz andere Frage. Dem Logik-basierten Ansatz zugrundeliegende Annahmen. Die Attraktivität des Logik-Ansatzes wird gestützt von der Vorstellung, die Welt könne durch wahre und falsche Aussagen vollständig charakterisiert werden und beliebige Aufgaben könnten prinzipiell in die Form zu beweisender Theoreme gebracht werden. Der Lösungsweg spielt dabei zunächst eine untergeordnete Rolle; entscheidend ist, daß der Beweis zu einer Entscheidung darüber führt, ob das zu beweisende Theorem wahr oder falsch ist. Die Klasse von Aufgaben, die auf diese Weise charakterisiert werden können, gilt traditionsgemäß als besonders interessant; seit dem Altertum befassen sich Intellektuelle mit der Ableitung logisch korrekter Inferenzen aus formalisierten Gegebenheiten. Dabei steht der Wahrheitsbegriff im Mittelpunkt; aus ihm leitet sich der in der Logik verwendete Äquivalenzbegriff ab. Formeln gelten als logisch äquivalent, wenn sie bezüglich der Wahrheitswerte ihrer Terme identisch sind – in welcher Weise die Formeln mit der modellierten Domäne zusammenhängen, spielt dabei keine Rolle. Bei dem Logik-basierten Wissensrepräsentationsansatz tritt der Aspekt der für eine Aufgabenlösung verwendeten Konzepte sowie des für den Lösungsprozeß erforderlichen Aufwandes gegenüber dem schließlich zu erwartenden Resultat in den Hintergrund. Als Konsequenz aus der Abstraktion von der Zeit ergeben sich beispielsweise Schwierigkeiten für die 2

Von Bob Kowalski beispielsweise stammt das folgende Zitat: “There is only one language suitable for representing information – whether declarative or procedural – and that is first-order predicate logic. There is only one intelligent way to process information – and that is by applying deductive inference methods. The AI community might have realised this sooner if it weren’t so insular” [Kowalski 1980].

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Modellierung interaktiver Prozesse. Neben beliebig viel verfügbarer Zeit geht der Logik-Ansatz zunächst auch von beliebig verfügbarem Speicher und perfektem Gedächtnis aus. In realen Situationen sind diese Anforderungen an die Ressourcen von vornherein nicht erfüllt. Proponenten des Logik-Ansatzes als Universalrepräsentationsmittel gehen vielfach davon aus, bei der Formalisierung von Problemen seien keine gravierenden Schwierigkeiten zu erwarten – entsprechend wenig erfährt man daher, wie die Formalisierung einer Domäne zustandekommt. Die Hauptenergie wird in die Entwicklung von Verfahren zum Umgang mit bereits formalisiertem Wissen investiert. Vielfach wird auch davon ausgegangen, daß man die reale Welt auf abgeschlossene Weltmodelle abbilden könne – und wolle. Wenn wir jedoch die kognitiven Prozesse in der Natur begreifen wollen, so müssen wir uns der Frage nach der Konzeptbildung stellen und ein Verarbeitungsmodell anstreben, das robust in bezug auf die vorgenommenen Idealisierungen ist. Ist Wahrheit die Grundlage für kognitive Prozesse und Intelligenz? Wahrheit ist ein abstraktes Konzept. Von einem biologischen und einem technischen Standpunkt kann man anzweifeln, daß die abstrakte Ebene, die die Logik so vielseitig und daher attraktiv macht, als Grundlage für konkrete kognitive Prozesse geeignet ist (vgl Brooks [1991]). Ein Grund für den Zweifel läßt sich wie folgt umreißen: die KI hat sich von Anfang an mit Aufgaben auseinandergesetzt, die von einem intellektuellen Standpunkt betrachtet für erwachsene Menschen als schwierig galten: Schachspielen, Kryptarithmetik, Theorembeweisen, etc. (vgl. auch das von Bibel und Furbach [1992] aufgeführte Ziel der Intellektik, in diesem Heft). Implizit wurde unterstellt, die ‘einfacheren’ kognitiven Aufgaben, die sogar Kinder oder Tiere bewältigen, könne man automatisch mit den anspruchsvollen Methoden miterledigen. Diese Annahme erwies sich als ein Irrtum: fundamentale kognitive Fähigkeiten wie Sehen, Hören, Erkennen, Sprechen, Verstehen, Assoziieren, u.v.a.m. sind mit den hochentwickelten Methoden abstrakter Repräsentationen viel schwieriger zu realisieren als intellektuell anspruchsvolle Fähigkeiten wie beispielsweise Schachspielen [Minsky 1984]. Auf der anderen Seite gibt es vergleichsweise primitive Ansätze mit viel geringerer Abstraktion, die in diesen Bereichen verblüffende Leistungen vollbringen. Man kann aufgrund dieser Erfahrungen und aufgrund entwicklungsbiologischer Überlegungen nun den Standpunkt vertreten, wir sollten zunächst Systeme konzipieren, die wenig abstrakte Leistungen ermöglichen, also nicht Logik- bzw. Wahrheit-basiert sind; höhere kognitive Funktionen könnten dann – ähnlich wie beim menschlichen Gehirn – auf den niedrigeren aufbauen, anstatt umgekehrt (vgl. Freksa [1991]).

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Andere Grundlagen für die Wissensrepräsentation. Neben der Wahrheit von Aussagen und der logischen Korrektheit von Schlüssen gibt es bei der Erforschung und Modellierung kognitiver Prozesse eine Reihe anderer Aspekte, die von Interesse sind. Gehen wir beispielsweise davon aus, daß Perzeption und Handlungsfähigkeit in Raum und Zeit die Grundlage für kognitive Fähigkeiten bilden, so liegt es nahe, zunächst Wissen über Raum und Zeit zu repräsentieren. Aspekte, die hierbei eine fundamentale Rolle spielen, sind Konzepte wie Nachbarschaft, Ähnlichkeit, und Analogie. An perzeptionsbasierte Systeme muß die Forderung gestellt werden, daß sie grundsätzlich mit unvollständigem und unscharfem Wissen operieren – eine Forderung, die in der Natur von vornherein erfüllt ist, in der Logik jedoch ‘durch die Hintertüre’ eingeführt werden muß. Weitere Repräsentationsansätze, die auf jeweils andere Aspekte kognitiver Prozesse ausgerichtet sind, werden in der KI und in der Kognitionswissenschaft erfolgreich eingesetzt: Zu nennen sind Semantische Netze, Frames, Scripts, Produktionssysteme und Neuronale Netze. Erfolgreich heißt hier nicht, daß diese Ansätze universellen Charakter haben, sondern daß sie bestimmte Aspekte in geeigneter Weise darstellen – ähnlich wie bestimmte Regionen des menschlichen Gehirns spezielle Aspekte menschlicher Wissensverarbeitung bewältigen, die von anderen nicht geleistet werden. Sloman [1985] führt weitere Gründe für die Bereitstellung vielfältiger Wissensrepräsentationsformalismen an. Ein besonderer Reiz der KI liegt darin, daß komplexe kognitive Zusammenhänge, die bisher nur an lebenden Wesen – und zwar vorwiegend mit invasiven Methoden – untersucht werden konnten, nun ohne Menschen- oder Tierversuche studiert werden können. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt bei der Konzeption von Repräsentations- und Verarbeitungsstrukturen, die synthetisiert und auf ihr Verhalten hin untersucht werden können. Der Neurobiologe Braitenberg [1986] demonstriert dieses Verfahren, das er ‘Analyse durch Synthese’ nennt, eindrucksvoll an primitiven künstlichen Wesen, die er mit Unterstützung von Erkenntnissen über die Biologie konzipiert hat. Diese Forschungsrichtung wäre schlecht beraten, sich auf eine von vornherein festgelegte Repräsentationssprache mit der ihr inhärenten Struktur festzulegen und darauf basierende Verarbeitungsverfahren zu entwickeln; sie lebt geradezu davon, daß sie über grundlegende Zusammenhänge spekuliert und investiert dementsprechend ihre Hauptenergie in die Konzeption situationsadäquater Strukturen. Solch einem Ansatz liegt die nicht unbegründete Vorstellung zugrunde, daß die Verarbeitungsverfahren bei einer adäquaten Repräsentationsstruktur ganz einfach werden können, und daß der Aufwand für ihre Entwicklung gering gehalten werden kann, wenn erst die geeigneten Repräsentationsstrukturen gefunden sind.

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Quintessenz. Bei der Repräsentation von Wissen gibt es unterschiedliche Grundlagen, von denen wir ausgehen können. In der Kognitionsforschung liefern insbesondere die Neurowissenschaften, die kognitive Psychologie, die Linguistik, die Philosophie, die kognitive Anthropologie und die KI die Ideen für Repräsentationsansätze: Die Neurowissenschaften orientieren sich an anatomischen und physiologischen Zusammenhängen; die kognitive Psychologie untersucht dynamische Zusammenhänge bei der Lösung von Aufgaben; die Linguistik orientiert sich an Strukturen, die bei der Generierung und beim Verstehen natürlicher Sprache zutage treten; Philosophie des Geistes und Philosophie der Sprache setzen sich mit prinzipiellen Randbedingungen auseinander, die bei der Repräsentation von Wissen berücksichtigt werden sollten; die Untersuchungen verschiedener Kulturen durch kognitive Anthropologen geben Anhaltspunkte darauf, daß bestimmte funktionale kognitive Zusammenhänge prinzipieller Natur sind während andere eher willkürlich gelöst sind. Die KI kann einerseits selbst Repräsentationsansätze konzipieren und andererseits Repräsentationsmittel für die auf vielfältigen Wegen durch andere Disziplinen gewonnenen Erkenntnisse zur Verfügung stellen. Sie sollte dies möglichst auf eine Art und Weise bewerkstelligen, daß die Repräsentationen unmittelbar in den Domänen der beitragenden Disziplinen interpretierbar sind; nur so ist ein fruchtbarer Austausch in beiden Richtungen möglich. Die KI kann somit einen wesentlichen Beitrag zur naturwissenschaftlichen Erkenntnis in der Kognitionswissenschaft leisten und bleibt nicht auf ihre ingenieurswissenschaftliche Leistung beschränkt (vgl. auch Hotz [1990]). Der Beitrag anderer Disziplinen wird auch von Logik-Proponenten in zunehmendem Maße erkannt. So schlug beispielsweise Bibel [1980] die Bezeichnung ‘Intellektik’ als Namen für das Gebiet der KI vor, während er nun diese Bezeichnung für eine Obermenge von KI und Kognitionswissenschaft verstanden wissen möchte [Bibel & Furbach 1992]. Umso weniger begreiflich ist es allerdings, daß ein Ansatz, der für eine spezielle Forschungsrichtung innerhalb der KI von besonderer Bedeutung ist, die anderen Forschungsrichtungen auf Randpositionen verdrängen soll; dies wird jedoch von Bibel und Furbach effektiv vorgeschlagen wird – oder was sollte sonst der Begriff der ‘zentralen Bedeutung der Logik’ in diesem Zusammenhang aussagen? Ich bin mit Bibel und Furbach sicherlich einer Meinung in der Beurteilung der Relevanz der Logik für die Analyse von Wissensrepräsentationsansätzen; da diese Bedeutung jedoch nicht auf die Wissensrepräsentation oder die KI beschränkt ist, sondern grundlegend für die wissenschaftliche Methode zumindest in den erklärenden Wissenschaften ganz allgemein ist, kann dieser Aspekt in dem angesprochenen Beitrag kaum gemeint sein.

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Seit kurzem gibt es u.a. durch interdisziplinäre Graduiertenkollegs auch in Deutschland verstärkte und erfolgversprechende Bemühungen, verschiedene Disziplinen zu gemeinsamen Projekten in der Kognitionsforschung zusammenzuführen. Diese kooperativen Forschungen erfordern eine große Bereitschaft der Beteiligten, unvertraute Forschungsparadigmen kennenund schätzenzulernen (vgl. Becker [1992]). Es ist für die gemeinsame Sache wenig hilfreich, wenn diese Bemühungen von Proponenten einzelner Ansätze durch einseitige Bewertungen polarisiert werden. Die Erforschung kognitiver Strukturen und Prozesse ist ein äußerst komplexes Vorhaben, dessen Umfang eher mit dem der Physik der Neuzeit als mit dem der Informatik des 20. Jahrhunderts vergleichbar ist. Wir sollten niemandem vormachen, daß eine verhältnismäßig bescheidene Anzahl von Forschern die offenen Fragen in wenigen Jahren beantwortet haben werden – besonders als Vertreter der KI sollten wir uns nach vielen nicht in Erfüllung gegangener Prognosen in Bescheidenheit üben. Die Erfolge der KI sind allgegenwärtig; vielfach sind dies jedoch nicht die antizipierten Erfolge, sondern Nebenprodukte, die in intellektuell vielseitigen Forschungsumgebungen durch ungewöhnlich große Freiräume ermöglicht wurden. Die zu erwartenden Erkenntnisse in der Kognitionsforschung, die sich letztlich in den technologischen Entwicklungen der KI widerspiegeln werden, leben von einer Vielfalt von Ideen. Das KI-Geschäft wird durch Vielfalt belebt, nicht durch Einheitlichkeit. Dank. Ich danke Uli Furbach für Kommentare zu einer früheren Version dieses Papiers. Literatur. Bibel, W., “Intellektik” statt “KI” – ein ernstgemeinter Vorschlag. Rundbrief der Fachgruppe Künstliche Intelligenz in der Gesellschaft für Informatik 22, 15-16, Dezember 1980. Bibel, W., Die Wissenschaft vom Wissen, Saarbrücker Hefte, Heft 65, S.10-18, Mai 1991. Bibel, W., Furbach, U., Logik, KI und Intellektik, KI 3/1992. Becker, B., Künstliche Intelligenz – Konzepte, Systeme, Verheißungen, Campus, Frankfurt 1992. Braitenberg, V., Vehicles, MIT Press, Cambridge 1986. Brooks, R., Intelligence without reason, IJCAI-91, 569-595, Morgan Kaufmann Publishers, San Mateo 1991. Freksa, C., Qualitative spatial reasoning. In: Mark, D.M., Frank, A.U. (eds.) Cognitive and Linguistic Aspects of Geographic Space, Kluwer, Dordrecht 1991.

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Furbach, U., Dirlich, G., Freksa, C., Towards a theory of knowledge representation systems. In: Bibel, W. & Petkoff, B. (eds.), Artificial Intelligence: Methodology, Systems, Applications, pp. 77-84, Elsevier, Amsterdam 1985. Hayes, P.J., In defence of logic. Proc. 5th Intern. Conf. on Artificial Intelligence, 559-565, Cambridge, Mass. 1977. Hotz, G., Was ist künstliche Intelligenz? Studium generale an der Universität Würzburg im Sommersemester 1990. Kowalski, R.A. Beitrag zum special issue on knowledge representation, SIGART newsletter No 70, S.44, Feb. 1980. Minsky, M., The Society of Mind, Simon and Schuster, New York 1984. Sloman, A., Why we need many knowledge representation formalisms. In: M. Bramer, ed., Research and Development in Expert Systems, Proc. BCS Expert Systems Conf. 1984, Cambridge University Press 1985.