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wohnheiten, wie man sie in Paris hatte studieren können. Höfische Reprä- sentation war ein ... schen Erbfolgekrieg beendete, und dem Frieden von Lunéville, der 1801 das Ende des Heiligen Römischen .... Ernst von Diez, Hessisches Staatsarchiv. Darmstadt (künftig: HStAD), B 1 Nr. 123, und Vertrag vom 16.7.1577, ebda.
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MUSIK & JAGD

Die Darmstädter Landgrafen und ihre Jagdresidenzen Herausgegeben von Ursula Kramer

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Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst

Impressum: ISBN: 978-3-924522-42-1 Bestell-Nr.: ARE 2242 © 2013 Are Musik Verlag GmbH Postfach 210 143, D-55060 Mainz Herausgegeben von: Ursula Kramer Umschlagbild: Reiterbildnis eines Forstbediensteten in der Uniform eines Oberpiqueurs Um 1760. Zuschreibung: Georg Adam Eger Bildnachweis: Museum Jagdschloss Kranichstein Textlayout: Wolfgang Birtel, Lörzweiler Grafische Gestaltung: © 2013 Karin Schatz Druck und Verarbeitung: Hohnholt Reprografischer Betrieb, Bremen Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des Nachdrucks und der Übersetzung. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Werk oder Teile daraus in jedwedem technisch machbaren mechanischen, photomechanischen oder elektronischen Verfahren zu vervielfältigen und zu verbreiten. Printed in Germany

INHALT Vorwort

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Jürgen Rainer Wolf Staatsschuldenkrise und fürstliches Jagdvergnügen: Hessen-Darmstadt im 18. Jahrhundert

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Rouven Pons Buchhaltung fürstlicher Lebensleistung. Aspekte der hessen-darmstädtischen Jagdmalerei des 18. Jahrhunderts

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Gunter Quarg Die Jagdmedaillen Ludwigs VIII. von Hessen-Darmstadt

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Beate Sorg »Risuoni la Selva« – Jagd- und Musikkultur der Landgrafen Ernst Ludwig und Ludwig VIII. von Hessen-Darmstadt 115 Rashid-S. Pegah »Denn von rechts wegen sollen drei Oboen sein, … zwei Klarinetten, zwei Waldhörner, zwei Fagotte« Eine frühe Harmoniemusik am Darmstädter Hof

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Ursula Kramer Johann Samuel Endler und die Musik in den Jagdresidenzen der Darmstädter Landgrafen 169

Musik & Jagd in Kranichstein: Workshop zum Parforce-Horn, 16. September 2012 Gregor Steidle

Vorwort Der Schein trügt: Wer heute von der repräsentativen Süd-West-Front des Darmstädter Schlosses auf eine gleichermaßen adäquate Hofhaltung hinter diesen Mauern im 18. Jahrhundert schließt, irrt gewaltig. Das von Louis Remy de la Fosse geplante Bau-Projekt war einfach zu ambitioniert, als dass es vollumfänglich realisiert und mit (fürstlichem) Leben hätte gefüllt werden können. Eine Reihe von Gründen ließ gegen Ende der zweiten Dekade des 18. Jahrhunderts das Interesse an diesem Monumentalbau schwinden und begünstigte die verstärkte Bautätigkeit von Jagdhäusern und kleineren Residenzen in der näheren und weiteren Umgebung. Von Darmstadt als Lebensmittelpunkt der hiesigen Landgrafen konnte fortan nicht mehr die Rede sein. Aber wie hat man sich das Leben der Regenten de facto vorzustellen? Wenig ist bisher bekannt über Landgraf Ernst Ludwig und seinen Sohn und Nachfolger Ludwig VIII. – ausführliche biographische Studien sucht man bisher weitgehend vergeblich. Mit Blick auf Frankreich und den Hof des Sonnenkönigs aufgewachsen und erzogen, orientierte man sich auch ohne gewaltiges Stadtschloss im Zentrum der Residenz an den Lebensgewohnheiten, wie man sie in Paris hatte studieren können. Höfische Repräsentation war ein wichtiger Faktor, dazu trat das Ausleben persönlicher Neigungen. An erster Stelle stand hierbei die Jagd, deren intensive Pflege durch den Ausbau der Nebenresidenzen in hohem Maße befördert wurde. Welche Konsequenzen hatte nun diese Verlagerung fürstlichen Lebens in die hessischen Umgebung für den zweiten wichtigen Bereich, die Musik? Schließlich hatte Ernst Ludwig von seiner Mutter diese Neigung und Begabung übernommen und fortgeführt – durch eigene Musikausübung, durch Komposition und durch starkes Engagement für den Ausbau der Hofkapelle, insbesondere einst zur Etablierung einer stehenden Oper. Brach nun ab den 1720er Jahren eine neue, musik- bzw. generell »kulturlose« Zeit an?

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Im September 2012 trafen sich Musiker, Musikwissenschaftler, Historiker und Kulturanthropologen im Jagdschloss Kranichstein, um an historischem Ort der Frage nachzugehen, wie sich das landgräfliche Leben in den Jagdresidenzen im Allgemeinen und Kranichstein (als bevorzugtem Aufenthaltsort von Ludwig VIII.) im Besonderen gestaltet hat. Umgeben von Georg Adam Egers raumgreifender Hirschgalerie wurde schnell klar: Die Favorisierung dieses räumlich so idyllisch gelegenen Jagdschlosses bedeutete mitnichten den Weg »auf’s Land« zuungunsten kultureller Veredelung und Repräsentation; die gewaltigen, in Öl gebannten Wilddarstellungen bilden gleichsam das Bindeglied zwischen körperlichem Jagdvergnügen und stilisierender delectatio. Großformatig die Geweihe an den Wänden – klein und gewichtig eine beispiellose Sammlung an eigens geprägten Münzen: für die Dokumentation des fürstlichen Plaisirs gab es verschiedene Medien. Dass die Jagd nicht nur eine kostspielige Angelegenheit war, sondern die hessische Residenz spätestens zum Ende der Amtszeit von Ludwig VIII. beinahe vollständig in den Ruin getrieben hatte, legt die Rücksichtslosigkeit und Selbstherrlichkeit der Landesfürsten unmissverständlich offen und lässt damit zugleich erschreckende Parallelen bis in die Gegenwart zu – zahlen musste die nachfolgende Generation. Weniger offensichtlich fallen demgegenüber die klingenden Zeugnisse höfischen Lebens in den Dekaden nach 1720 aus. Dennoch: Es dürfte vor allem der angestammten Rolle der Hofkapelle als selbstverständlichem Teil fürstlicher Lebenshaltung geschuldet sein, dass sich die diesbezügliche Dokumentation eher bescheiden ausnimmt. Nachlassverzeichnisse mit aufgelisteten Instrumenten, Neujahrsgratifikationen und die Erwähnung von Regimentsmusikern in Eingaben und Briefen zeugen jedoch von weiterem, bislang unberücksichtigt gebliebenem Potential zur Erforschung musikalischen Lebens, das ganz offensichtlich auch in den Jagdhäusern bzw. Nebenresidenzen weitergeführt wurde. Der vorliegende Band vereint die Vorträge, die am 15. und 16. September 2012 im Jagdschloss Kranichstein gehalten wurden. Abrundung erfuhren diese durch ein Konzert mit thematisch passenden Programmpunkten –

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vergleichbar Egers Gemälden fand das Thema der Jagd auch Eingang in die Kunstmusik, indem etwa Christoph Graupner in seinem Prolog M’invita a la Caccia von 1719 mithilfe von zwei Hörnerpaaren die Jagdkonstellation auch räumlich in Tönen abbildet – und einem Workshop zur Rolle der Hörner als Bestandteil zeitgenössischer Kunstmusik wie ihrer Funktion als Signalinstrument bei der Jagd. Der Dank der Herausgeberin gilt allen aktiv Mitwirkenden dieser Veranstaltung sowie im Besonderen der Gastgeberin an historischem Ort, Onno Faller, für ein gelungenes Projekt zur Aufarbeitung höfischer Lebenskultur. Mögen die Leser der verschriftlichten Beiträge daraus im Nachhinein ebenfalls Gewinn ziehen. Gewidmet ist der vorliegende Band der Christoph-Graupner-Gesellschaft zu ihrem zehnjährigen Bestehen im Jahr 2013.

Darmstadt, im Mai 2013

Ursula Kramer

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Staatsschuldenkrise und fürstliches Jagdvergnügen: Hessen-Darmstadt im 18. Jahrhundert1 von Jürgen Rainer Wolf 1. Vorgeschichte: Zur Territorialentwicklung Hessen-Darmstadts bis zum Tod Ludwigs VII. Die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt im 18. Jahrhundert, oder besser noch zwischen dem Frieden von Rijswijk vom 30.9.1697, der den Pfälzischen Erbfolgekrieg beendete, und dem Frieden von Lunéville, der 1801 das Ende des Heiligen Römischen Reiches einleitete, bietet das seltene Beispiel einer Staatskonsolidierung nach einer existenzbedrohenden Krise, deren Höhepunkt durch den Tod des Jägerlandgrafen Ludwig VIII. am 17.10.1768 im Darmstädter Theater eingeleitet wurde.2 Das Jagdvergnügen der Fürsten seit 1688 war ein bestimmendes Leitthema der Landesgeschichte, ihre seit den 60er Jahren des 17. Jahrhunderts aufgetürmte Schuldenlast dominierte ihr Verhältnis zu den Landständen, der eigenen Beamtenschaft und der Bevölkerung und war ausschlaggebend für die spezifische Ausformung eines Absolutismus. Erst ab 1776 konsolidierten sich die Verhältnisse nach einem Vergleich mit den Hauptgläubigern. Die Forschung hat sich seit etwa 40 Jahren intensiv mit diesen Fragen beschäftigt, wohl wissend, dass seit der Brandnacht des 11.9.1944 nur noch ein Bruchteil des Quellenmaterials zur Verfügung steht. In den MagazinRegalen des Staatsarchivs im Darmstädter Schloss verbrannten damals nicht nur die trotz Kassationen noch immer umfangreichen Serien der

1 Der Vortrag fußt auf dem 1992 der Historischen Kommission für Hessen in Marburg vom Verfasser übergebenen Manuskript zum Beitrag: I. Die weltlichen Territorien. 3. Landgrafschaften Hessen-Darmstadt und Hessen-Homburg, 134 S. 2 Zur Biographie vgl. Eckhart G. Franz (Hrsg.), Haus Hessen. Biografisches Lexikon, Darmstadt 2012, S. 303–305.

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Staatsschuldenkrise und fürstliches Jagdvergnügen Rentkammer-, Kriegskassen-, Kabinettskassen- und Schlossbaurechnungen, sondern auch die gesamte Pertinenzabteilung IV mit der Überlieferung zur Landesstatistik und den Landesvisitationen sowie Teile der in der Pertinenzabteilung XIV organisierten Unterlagen, darunter allein 36 Konvolute zu Forstpersonal und Forstgebäuden sowie 28 Konvolute zu Jagden.3 Dieses Material war bis dahin so gut wie nicht benutzt worden. Wenn wir uns also heute mit den Interdependenzen zwischen dem Territorium, den Herrscherpersönlichkeiten, ihren kulturellen Initiativen, dem Umgang mit ihren Landständen und ihren Untertanen sowie ihrer Finanzwirtschaft befassen, sind wir in hohem Maße auf eine Überlieferung angewiesen, deren Erhaltung zufällig ist. Dabei sind die schriftlichen Quellen zur Herrschaft des Landgrafen Ernst Ludwig umfangreicher, während Sachzeugnisse zu Landgraf Ludwig VIII. – wie in Kranichstein zu sehen – überwiegen. Die vor zehn Jahren veröffentlichten Landtagsabschiede4 bieten uns immerhin Korrekturmöglichkeiten am Bild absolutistischer Landesherrschaft und Gravamina der Stände sowie Berichte von Beamten. Aber auch Gemeinderechnungen geben Einblicke in die Belastungen der Untertanen. Das Territorium Hessen-Darmstadt war zweihundert Jahre zuvor 1567 durch die im Testament Philipps des Großmütigen5 enthaltenen Teilungsbestimmungen für den jüngsten Sohn aus der Ehe mit Christina von Sachsen6 geschaffen worden. Der gerade zwanzigjährige Georg I. erhielt mit der Obergrafschaft Katzenelnbogen nur ein Achtel des Gesamterbes7. Es

3 Hessisches Staatsarchiv und Stadtarchiv Darmstadt, Übersicht über die Bestände, bearbeitet von Albrecht Eckhardt unter Mitwirkung von Carl Horst Hoferichter, Hans Georg Ruppel und anderen (= Darmstädter Archivschriften 1), Darmstadt 1975², S. 29–30 und S. 49. Friedrich Battenberg (Hrsg.), Die Bestände des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt (= Darmstädter Archivschriften 12), Darmstadt 1997, untersetzt S. 124 den Bestand C 5 »[ehem. Rechnungsbestand: Kriegsverlust, siehe Vorbemerkung]« nicht mehr; vgl. aber ausführlich Abteilung IV, S. 151–152 sowie XIV, S. 154–155. 4 Karl Murk (Bearb. und Hrsg.), Hessen-Darmstädtische Landtagsabschiede 1648–1806. Nach Vorarbeiten von Heinrich Maulhardt und Jürgen Rainer Wolf (= Vorgeschichte und Geschichte des Parlamentarismus in Hessen 28), Darmstadt 2002. 5 Zur Biographie vgl. Franz, Haus Hessen (wie Anm. 2), S. 60–63. 6 Zur Biographie vgl. Franz, Haus Hessen (wie Anm. 2), S. 64. 7 Die Angaben zur Territorialgeschichte der Landgrafschaft orientieren sich an Friedrich Knöpp, Geschichte der Territorien und ihrer Archive im Großherzogtum Hessen, Manuskript, Darmstadt 1938. Zur Biographie Georgs I. vgl. Franz, Haus Hessen (wie Anm.2), S. 267–269.

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Jürgen Rainer Wolf umfasste die Ämter Darmstadt mit Bessungen, Darmstadt, Weiterstadt, Arheilgen, Wixhausen, Erzhausen, Nieder-Ramstadt, Ober-Ramstadt, Eschollbrücken, Pfungstadt und Griesheim, Lichtenberg mit Rohrbach, Nieder-Modau, Roßdorf, Reinheim, Groß-Bieberau, dem mit den Grafschaften Löwenstein und Erbach gemeinschaftlichen Wersau und dem mit Erbach gemeinschaftlichen Brensbach, Zwingenberg mit Auerbach und Alsbach, Jägersburg mit Groß-Rohrheim und Schwanheim, Dornberg mit Biebesheim, Stockstadt, Crumstadt, Goddelau, Wolfskehlen, Leeheim und Dornheim, Rüsselsheim mit Groß-Gerau, Trebur, Rüsselsheim, Raunheim und dem mit Kurmainz gemeinschaftlichen Bischofsheim, schließlich das mit Württemberg gemeinschaftliche Kürnbach, insgesamt ein wenig geschlossenes Gebiet von ca. 1300 km² mit ca. 20 000 Einwohnern.8 Sehr langsam konnte dieses Territorium9 erweitert werden. Als Basis größerer Machtausübung war die Obergrafschaft aber für Georg I. kaum ausreichend. Das gemeinsame Vorgehen der vier Landgrafen-Brüder gegen die Söhne ihres Vaters aus der Nebenehe mit Margarete von der Saale10 führte 1577 zum Einzug von deren abgeteiltem Besitz.11 Für Landgraf Georg bedeutete dieser Zugewinn von Schloss Bickenbach, also dem Alsbacher Schloss, einem Viertel des mit Hessen-Kassel und Kurpfalz gemeinschaftlichen Amtes Umstadt mit Groß-Zimmern, Groß- und Klein-Umstadt und Habitzheim, dessen Untergerichtsbarkeit den Grafen von LöwensteinWertheim gehörte, eine gewisse Arrondierung. Zwei Jahre später gelang es ihm, die kurmainzische Hälfte von Bischofsheim zu erwerben; gleich-

8 Diese Zahlen bei Karl Ernst Demandt, Geschichte des Landes Hessen, Kassel/Basel 1959, S. 299. Winfried Noack, Landgraf Georg I. von Hessen und die Obergrafschaft Katzenelnbogen (1567–1596), Darmstadt 1966, S. 70 schätzt 21.000 Einwohner. 9 Wilhelm Müller, Hessisches Ortsnamenbuch. Erster Band. Starkenburg, Darmstadt 1937, S. 321. Dieser Band bietet auch Hinweise auf die durch die Zerstörung Darmstadts am 11.9.1944 im Staatsarchiv verbrannten Rechnungsbestände sowie die in den Pertinenzabteilungen organisierten Unterlagen zur Landesstatistik und zur Jagd. Der zweite Band Müllers für Oberhessen kam über Notizen nicht hinaus. 10 Zur Biographie vgl. Franz, Haus Hessen (wie Anm. 2), S. 65–66. 11 Vgl. die Abrede zwischen den Landgrafen-Brüdern Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, Ludwig IV. von Hessen-Marburg und Georg I. von Hessen-Darmstadt vom 19.6.1570 über die Untersuchung der Untaten des Grafen Christoph Ernst von Diez, Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (künftig: HStAD), B 1 Nr. 123, und Vertrag vom 16.7.1577, ebda. Nr. 47.

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Staatsschuldenkrise und fürstliches Jagdvergnügen zeitig wurde gemeinherrschaftlicher Besitz ausgetauscht.12 Noch bedeutender war der Gewinn der drei überlebenden Brüder aus dem Erbe Philipps II. von Hessen-Rheinfels13 am 20.11.1583. Jetzt gelang Hessen-Darmstadt unter Neuregelung der Verteilung des Besitzes der Grafen von Diez14 der Erwerb der Ämter Schotten, Stornfels mit Ulfa, Gericht Widdersheim mit Ober-Widdersheim sowie Homburg vor der Höhe mit Oberstedten, Homburg, Gonzenheim, Seulberg, Köppern und des mit Solms-Laubach gemeinschaftlichen Petterweil. Die Einkünfte aus dem Güldenrheinzoll zu St. Goar und den zwei Turnosen (hochwertige reine Silbermünze) auf dem Zoll zu Boppard wurden jetzt gedrittelt. Damit war eine Grundstruktur künftiger Territorialentwicklung angedeutet: die erkennbaren Schwerpunkte lagen in den späteren Provinzen Starkenburg und Oberhessen, daneben am Rhein, und es war absehbar, daß es Ziel des Hauses HessenDarmstadt sein würde, die Teile zusammenzufügen. Während Georg I. sein Territorium durch Inbesitznahme ererbten Landes erweitern konnte, ging sein Sohn15 Ludwig V. in Erwartung des Marburger Erbes schon bald den Weg des Zukaufs. 1600 erwarb er von Isenburg-Ronneburg das Amt Kelsterbach16 mit Ginsheim, Nauheim, Mörfelden, Kelsterbach und Langen für mehr als 300.000 Gulden. Dabei waren auch Überlegungen maßgebend, den Rückfall des Gebietes an die reformierte Linie der Isenburger Grafen zu unterbinden. Nach der Wiederverheiratung der Witwe Philipps II. von Hessen-Rheinfels17 1599 fiel

12 Noack (wie Anm. 8), S. 179. 13 Zur Biographie vgl. Franz, Haus Hessen (wie Anm. 2), S. 72–74. 14 Abschied der Räte über die Teilung der Ämter der Grafschaften Katzenelnbogen und Diez, Treysa 11. 4. 1584, HStAD, B 1 Nr. 53. Da Georgs I. Anteil den Wert eines Drittels nicht erreichte, musste Wilhelm IV. den Betrag von 10.000 Gulden ausbezahlen. Weitere Teilungsverträge ebda. Die Einkünfte aus dem Anteil des bis zu seinem Tod am 20.4.1603 in Ziegenhain inhaftierten Grafen Christoph Ernst von Diez wurden bis dahin deponiert. Vgl. auch Karl Ernst Demandt, Rheinfels und andere Katzenelnbogener Burgen als Residenzen, Verwaltungszentren und Festungen 1350-1650 (Arbeiten der Hessischen Historischen Kommission NF 5), Darmstadt 1990. 15 Zur Biographie vgl. Franz, Haus Hessen (wie Anm. 2), S. 269–271. 16 Vgl. Jürgen Rainer Wolf, »Zur gescheiterten Ansiedlung französischsprachiger Religionsflüchtlinge in Kelsterbach«, in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde (künftig: AHG) NF (46) 1988, S. 349–359, hier S. 350. Verträge HStAD, A 6 Nr. 1304– 1307. 17 Vgl. Franz, Haus Hessen (wie Anm. 2), S. 74.

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Jürgen Rainer Wolf ihm aus ihrem Wittumsamt Braubach mit Braubach, Dachsenhausen, Gemmerich und der Hälfte von Bad Ems abermals ein Drittel zu. Ganz andere Dimensionen aber hatte das Erbe des kinderlos am 9.10.1604 in Marburg verstorbenen Landgrafen Ludwig IV., mit dem das Oberfürstentum Hessen zur Teilung zwischen den beiden übrigen Linien anstand.18 Unbestritten fielen der jüngeren Linie aus dem Marburger Erbe gemäß dem Teilungsverdikt der Landstände die Ämter Gießen mit Steinbach, Großen-Linden, Heuchelheim, Wieseck, Kirchberg, Rodheim a. d. Bieber, dazu das reichsritterschaftliche Busecker Tal mit Albach, Reiskirchen, Beuern, Großen-Buseck und Rödgen, Allendorf mit Allendorf a. d. L. und Londorf, Grünberg mit der gleichnamigen Stadt, Queckborn, Wirberg, Winnerod und Merlau, Homberg a. d. Ohm mit der Stadt, Ober-Ofleiden, Maulbach und Ehringshausen, Burg-Gemünden mit Nieder- und Burg-Gemünden, das Oberamt Alsfeld mit Amt und Stadt, Eudorf, Heidelbach und Holzburg, Romrod mit Ober-Breidenbach, Hopfgarten und Billertshausen, Gericht Schwarz mit Brauerschwend und Schwarz, die Ämter Kirtorf mit dem Amtssitz und den mit den Schenken zu Schweinsberg gemeinschaftlichen Dörfern Ober-Gleen, Lehrbach, Wahlen, Grebenau mit der Stadt und Udenhausen, Ulrichstein mit den Gerichten Bobenhausen und Felda, zu dem Stumpertenrod und Meiches zählten, Nidda mit Wallernhausen, dem zu 19/20 den Krug von Nidda gehörenden Geiß-Nidda, Eichelsdorf und Leidhecken, dem Gericht Rodheim mit Langd, dem Gericht Burkhards mit Wingershausen, Breungeshain und Herchenhain, Gericht Crainfeld, den Ämtern Lißberg mit zwei Sechsteln von Effolderbach und Schwickartshausen, Bingenheim mit Dauernheim, Echzell und Berstadt, Butzbach mit dem Diede zum Fürstensteinschen Langenhain, Ostheim, Hoch-Weisel, Münster, Philippseck und der Hälfte Butzbachs, Rosbach mit Ober- und Nieder-Rosbach, den unter hessischer Oberhoheit stehenden RiedeselLanden aus Amt Lauterbach mit Wallenrod, Maar, Angersbach, den Gerichten Ober-Ohmen mit Groß-Eichen und Engelrod mit Hopfmannsfeld und Frischborn sowie schließlich dem Hessischen Anteil am Hüttenberg mit Ebers-, Lang-, Kirch- und Pohl-Göns, Ober- und Nieder-Kleen, Dornholzhausen, Hochelheim, Hörnsheim, Groß-Rechtenbach, Lützel-Linden, Allendorf, Dutenhofen, Annerod und Leihgestern zu. Sie konnte schon

18 Zur Biographie vgl. Franz, Haus Hessen (wie Anm. 2), S. 70–71.

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Staatsschuldenkrise und fürstliches Jagdvergnügen damit ihr Territorium nahezu verdoppeln. Die Absicht Ludwigs V., durch den Erbvereinigungsvertrag vom 13.8.1606 mit seinen Brüdern eine Deputat-Lösung anstelle territorialer Abspaltungen zu installieren, hat sich allerdings nicht ganz verwirklichen lassen.19 Es ist hier nicht der Ort, auf die Wege der hessen-darmstädtischen Politik an der Seite der habsburgischen Kaiser einzugehen, die mit der Einreichung einer Klage beim Kaiserlichen Reichshofrat in Prag am 10.12.1606 gegen den calvinistisch gewordenen Vetter Landgraf Moritz20 auf Herausgabe der restlichen Marburger Erbschaft ihren Anfang nahm und letztlich erst im Westfälischen Frieden endete. Der unter Vermittlung Herzog Ernsts des Frommen von Sachsen-Gotha endgültig am 15.9.1649 geschlossene und im Februar des folgenden Jahres ratifizierte Ausgleichs-Vertrag21 bedeutete gleichwohl nicht die Wiederherstellung des territorialen Status von 1604, die hälftige Teilung. Hessen-Darmstadt blieben aus dem Reichshofratsurteil vom 11.4.1623 die oberhessischen Ämter Biedenkopf mit Gerichten Dautphe einschließlich Holzhausen, Buchenau und Eckelshausen sowie Dexbach und Battenberg mit Frohnhausen, Hatzfeld, Dodenau, Bromskirchen, Battenfeld und Laisa, schließlich die Herrschaften Itter mit Kirch-Lotheim, Vöhl, Thal-Itter, Obernburg und Eimelrod sowie Eppstein mit Delkenheim, Nordenstadt, Wallau, Diedenbergen, Breckenheim, Igstadt, Medenbach, Lorsbach, Ober- und Nieder-Liederbach. Dazu zählte auch die Hälfte der sonst kurmainzischen Kellerei Eppstein. Der mit Isenburg am 24.11.1642 geschlossene Vergleich22 hatte die vom Kaiser geschenkte Grafschaft restituiert, beließ aber dem Landgrafen das Amt Cleeberg und brachte die Anerkennung des Verkaufs des Amtes Kelsterbach.

19 HStAD, B 1 Nr. 614; vgl. insgesamt zu den zahlreichen vertraglichen Regelungen mit Installierung von Sonderterritorien der Agnaten wegen der Unmöglichkeit, die ErsatzGeldzahlungen aufzubringen, Jürgen Rainer Wolf, Abteilung B 1: Urkunden des Großherzoglich Hessischen Hausarchivs [1241] 1319–1894 (= Repertorien des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt 37), Darmstadt 1995. 20 Zur Biographie vgl. Franz, Haus Hessen (wie Anm. 2), S. 83–86. 21 HStAD, B 1 Nr. 559–564 und 566–567, Nr. 565 Vertrag vom 20. 2. 1650 insbesondere über die halbe Herrschaft Itter. 22 HStAD, A 6 Nr. 1312–1315.

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Jürgen Rainer Wolf Obwohl Hessen-Darmstadts Großmachtpläne gescheitert waren, wurde die Politik der territorialen Arrondierung von Georg II. nach 1648 weiterverfolgt.23 Schon 1621 hatte der Verkauf des Dorfes Langwaden von den Grafen Johann Kasimir von Erbach-Breuberg, Ludwig von Erbach-Erbach und Georg Albrecht von Erbach-Fürstenau an Landgraf Ludwig V. den Rückzug der Erbacher aus ihren Positionen an der Bergstraße angedeutet.24 Georg II. kaufte 1653 den Anteil der Witwe Johanna Maria Eva von Seebach geb. von Rodenstein an der Burg Rodenstein samt Fränkisch-Crumbach, Erlau, Michelbach, Neunkirchen, Steinau und Lützelbach, wozu noch zwei Viertel der Kleinen Rodensteiner Mark kamen.25 1658 verkaufte dann Graf Johann Christoph Ferdinand von Heusenstamm dem Landgrafen sein Reichslehen Gräfenhausen für 22.000 Gulden.26 Der Abschluss der Verhandlungen mit Graf Emanuel Maximilian Wilhelm von Schönburg auf Wesel, den Georg II. nicht mehr erlebte, brachte 1661 die allodiale Hälfte des Dorfes Eberstadt für 21.000 Gulden an Hessen-Darmstadt; ihm folgte im folgenden Jahr mit Erlaubnis des Lehensherrn Kurmainz der Kauf von Burg und Herrschaft Frankenstein mit der anderen Hälfte von Eberstadt, den Dörfern Ober-, Nieder- und Schmal-Beerbach, Allertshofen und Stettbach für 88.000 Gulden von den Brüdern Johann Daniel, Johann Friedrich und Johann Peter von Frankenstein. Diese Käufe vollzogen sich parallel zu dem durch den Erbantritt27 Ludwigs VI. notwendigen Kassensturz, der das ganze Ausmaß der nicht nur aus dem Dreißigjährigen Kriegsgeschehen resultierenden Schwierigkeiten deutlich machte. Letztlich ging es um die Frage, wie die in der Primogeniturordnung Ludwigs V. vom 26.4.1602, die eine Realteilung mit den Brüdern verhindern sollte, festgelegten Apanagen der Agnaten aufgebracht und berechnet werden sollten. Schon kurz danach hatte fehlendes Geld die Errichtung der Sekundogeniturherrschaften Hessen-Homburg, Hessen-Braubach, Hessen-Butzbach und Itter erzwungen. Der Versuch der leitenden Beamten, jetzt einen Etat aufzustellen, um überhaupt Einnahmen und Ausgabe-Belastungen erfolgreich kalkulieren zu

23 Zur Biographie vgl. Franz, Haus Hessen (wie Anm. 2), S. 276–278. 24 HStAD, E 12 Nr. 77/3. 25 Müller, Ortsnamenbuch (wie Anm. 9), S. 322 und 605. 1692 Rückverkauf der zwei Viertel der Kleinen Rodensteiner Mark an die von Seebach. 26 Müller, Ortsnamenbuch (wie Anm. 9), S. 606. 27 Zur Biographie vgl. Franz, Haus Hessen (wie Anm. 2), S. 282–284.

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