Die Jagd auf Hitlers Schädel

seiner Frau in Frankfurt am Main. TÖDLICHE VERBLENDUNG Das alte Tagebuch eines SS-Soldaten im. Archiv eines Fernsehsenders ist der Schlüssel zu einem düsteren Geheim- .... brachen und Friedrich Diehls Gesicht wärmten, öffnete.
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HENNING BREKENKAMP

Die Jagd auf Hitlers Schädel

T Ö D L I C H E V E R B L E N D U N G Das alte Tagebuch eines SS-Soldaten im Archiv eines Fernsehsenders ist der Schlüssel zu einem düsteren Geheimnis, das die Geschichtsschreibung verändern wird. Als Praktikant Markus Weidental es 65 Jahre nach dem Ende des Krieges durch Zufall entdeckt, beginnt ein tödliches Wettrennen um den echten Schädel Adolf Hitlers. Die hübsche Marie Knecht entpuppt sich als eiskalte Killerin einer geheimen Neonazi-Vereinigung, die den Sender infiltriert hat und rücksichtslos nur ein Ziel verfolgt: Adolf Hitler zu einem Gott zu erheben und Deutschland in ein Viertes Reich zu führen. Doch wie konnten die Überreste Hitlers 1945 aus dem Kessel Berlins überhaupt hinausgelangen? Die Antwort liegt tief unter den Straßen Berlins, denn dort, verborgen in der Dunkelheit, gibt es weit mehr, als man zu träumen wagt. Henning Brekenkamp, geboren 1975 in Bielefeld, war nach seinem Politikstudium in der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte tätig. Durch seine Arbeit an TV-Dokumentationen begann der Autor sich für ungelöste Fälle und Mysterien der NS-Zeit zu interessieren und zog viel Inspiration aus der täglichen Arbeit mit Zeitzeugenberichten und -interviews. Nach Stationen in der ZDF-Chefredaktion und dem ZDFMarketing, wechselte er 2008 zu 3sat. Als persönlicher Referent beriet er den 3sat-Programmchef unter anderem in strategischen Fragen. Seit 2013 ist er Chef vom Dienst für 3sat und ZDFkultur. 2010 begann die umfangreiche Recherche für seinen Debütroman ›Die Jagd auf Hitlers Schädel‹. Henning Brekenkamp ist seit 2012 verheiratet und lebt mit seiner Frau in Frankfurt am Main.

HENNING BREKENKAMP

Die Jagd auf Hitlers Schädel

Thriller

Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet: www.gmeiner-verlag.de © 2015 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2015 Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt Herstellung: Mirjam Hecht Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung eines Fotos von: © chalabala / Fotolia.com Druck: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany ISBN 978-3-8392-4667-2

Für meine Großväter Roland Gelbhaar und Walter Brekenkamp

KAPITEL 1 Schweiz, Silvaplanersee, 31. Dezember 2009, 23:32 Uhr Seine Beine zitterten und jeder Atemzug brannte wie Feuer in den Lungen. Als er seine Oberschenkel einen kurzen Moment nicht mehr spürte und er wie von einem riesigen Magneten zu Boden gezogen wurde, fühlte er den eiskalten Schnee, wie er sich tief in die Ärmel seines Smokings schob. »Du musst weiter«, befahl er sich mit letzter Kraft, doch das Adrenalin, das schon seit Stunden seinen Körper durchdrang, schien nun endgültig erschöpft zu sein. In immer kürzeren Abständen versagten ihm seine übersäuerten Muskeln den Gehorsam. Die Erschöpfung der vergangenen halben Stunde, in der er orientierungslos in der Dunkelheit auf dem zugefrorenen Silvaplanersee umhergeirrt war, war qualvoll. Das fahle Licht des Mondes, das durch den Schnee reflektiert wurde, verwandelte sich in Kombination mit den dicken Nebelschwaden zu einer dunkelgrauen trüben Masse, die kaum einen Anhaltspunkt bot, wo er sich auf dem See befand. Eine Unterscheidung zwischen Boden und Nachthimmel war unmöglich und ein Horizont nicht zu erkennen. Nicht einmal der schwächste Lichtschein der kleinen Orte Surley und Silvaplana am Rand des Sees, die nicht weiter als 100 Meter entfernt sein konnten, drang durch den eiskalten und milchigen Vorhang. Als er sich trotzdem eine kleine Pause gewährte, spürte er, wie ihm das warme und metallisch schmeckende Blut aus dem 7

Mund und aus der Nase quoll und wie schwarzes zähflüssiges Öl auf den Schnee tropfte. Er zwang sich dazu, den Atem kurz anzuhalten, und sah sich in alle Richtungen um. Erkennen konnte er jedoch nichts. Lediglich den schwachen Klang von Musik konnte er vor sich in der Ferne ausmachen. Doch ohne seine Brille, die er irgendwo auf dem See verloren hatte, war der 68-jährige Schweizer Rechtsanwalt und Notar hilflos. Er entschloss sich, nach ein paar mühsamen mehr gekrochenen als gelaufenen Metern wiederum kurz nach der Musik zu horchen und dann zu versuchen, weiter in die Richtung vorzudringen, aus der sie kam. Als er der Musik etwas näher zu sein schien, keimte Hoffnung in ihm auf und für einen kurzen Moment spürte er sogar einen kleinen Triumph über seine Verfolger. Er wusste, dass ihn jetzt nur noch eine große Menschenmenge am Rande des Sees retten würde. Offenbar wurden ganz in seiner Nähe die letzten Minuten des Jahres in einer rauschenden Silvesterparty gefeiert. Mit großer Mühe sammelte er nochmals seine Kräfte, richtete sich auf und quälte sich weiter vorwärts. Als er dem Ufer wieder einige Meter näher gekommen war, mischte sich Stimmengemurmel und leises Gläserklirren unter die Musik. Verzweifelt versuchte er, um Hilfe zu rufen, aber die Kraft fehlte ihm dazu. Außerdem schien ihm die Gefahr zu groß zu sein, seine Verfolger auf sich aufmerksam zu machen. Er bildete sich ein, ihre Nähe sprichwörtlich im Nacken spüren zu können, und drehte sich abermals ängstlich um. Würden sie ihn einholen, bevor er die Menschenmenge erreichte, wäre dies sein sicherer Tod. Noch einmal hielt er den Atem an und lauschte in die Dunkelheit. Die Situation wirkte surreal, 8

fast zynisch, so nah am Ziel zu sein und es dennoch nicht sehen zu können. Plötzlich erkannte er in seinem Augenwinkel schemenhaft einen Umriss, einen Schatten, der aus dem Nichts langsam auf ihn zukam. Sein Herz begann zu pulsieren. Er zwang sich, leise zu atmen und sich so klein zu machen, wie es ging. Doch gegen den weißen Untergrund brauchte der Schatten, der beim Näherkommen eine bullige Gestalt annahm, nur einen kurzen Moment, um ihn wie ein Raubtier zu fixieren und schnell durch den tiefen Schnee auf ihn zuzurennen. »Du entwischst mir nicht noch mal, alter Mann!«, raunte die bullige Gestalt mit einer tiefen und sonoren Stimme und alles, was er dann spürte, war ein dumpfer harter Schlag in sein Gesicht.

KAPITEL 2 Berlin, Regierungsviertel, 30. April 1945, 18:14 Uhr Als die letzten Sonnenstrahlen des Tages für einen kurzen Moment die sonst graue Wolkendecke über Berlin durchbrachen und Friedrich Diehls Gesicht wärmten, öffnete er die Augen und sah zum Himmel hoch. Schlagartig fiel ihm ein, wie ihm schon in der Hitlerjugend beigebracht wurde, in Kampfsituationen niemals direkt in die Sonne zu blicken, da das Auge danach für Minuten nicht mehr volle 9

Sehstärke entwickeln könne. Doch das war ihm angesichts der Geschehnisse der vergangenen halben Stunde egal. Regungslos blieb er auf dem Boden des mit Schutt, Dreck und Trümmern übersäten kleinen Innenhofs liegen und ließ die Sonnenstrahlen seinen klammen Kampfanzug wärmen. Zum ersten Mal seit Tagen gewährte sich der 26-jährige SS-Untersturmführer bewusst eine kurze Pause und empfand es als Glücksgefühl und Rebellion zugleich, mit zusammengekniffenen Augen direkt in die Sonne zu schauen und die Helligkeit in sich aufzusaugen. Nach tagelangem Ringen triumphierte seine menschliche Seite nun wenigstens für einen kurzen Moment über seine Soldatendisziplin. Langsam hob er den Arm und verdeckte die Sonne mit seiner blutverschmierten Hand, sodass er den blauen Himmel hinter der tristen Wolkendecke und den dunkel vorüberziehenden Rauchschwaden sehen konnte. Es schien ihm wie eine fremde Welt, die sich ihm für einen kurzen Augenblick offenbarte und deren Schönheit er schon längst vergessen hatte. Ein kleines Fenster, das es ihm gestattete, wenigstens für einen kurzen Moment aus seiner grausamen Realität entfliehen zu dürfen, und ihn an bessere unbeschwerte Zeiten erinnerte. Trotz der drohenden Gefahr, durch russische Soldaten jede Sekunde entdeckt zu werden, ließ er seinen Gedanken und Erinnerungen freien Lauf, die ihn weit weg, zurück in seine Heimat in die endlosen Weinberge rund um Bockenheim in der Pfalz trugen. Der Sommer 1940 zog sich an der Deutschen Weinstraße bis tief in den Oktober, die Abende waren noch ungewöhnlich warm und das Laub der Bäume und Weinreben leuchtete in bunten Herbstfarben. Er kannte Charlotte bereits seit seinen Kindertagen und wusste schon 10

früh, dass sie die Liebe seines Lebens sein würde. Bereits in ihrer Jugend und in der Volksschule war sie im Gegensatz zu allen anderen Mädchen aus Bockenheim äußerst mutig. Sie ging keinem Streit aus dem Weg, gab Widerworte und weigerte sich vehement, sich von der konservativen und biederen Bauerngesellschaft der Pfalz vereinnahmen zu lassen. Oft, wenn sie mit ihrer forschen und aufmüpfigen Art bei Lehrern und Eltern für Unmut sorgte, flüchteten sie gemeinsam in die Weinberge. Dort versteckten sie sich zwischen den Reben und träumten von einer besseren Zukunft. Die Rollenverteilung war schon zu dieser Zeit zwischen beiden klar entschieden, denn in Friedrich hatte Charlotte einen willigen Zuhörer gefunden, der ihren kindlichen Ausschweifungen geduldig folgte. Sie redete, er hörte zu. Auch wenn er ihre oft wirren Gedankengänge nicht immer nachvollziehen konnte, liebte er es, ihr einfach nur zuzuhören und dem Klang ihrer Stimme zu lauschen. In diesen Momenten spürte Friedrich das kribbelnde Gefühl des Verliebtseins in seinem Bauch und schwor sich, Charlotte alles zu ermöglichen, sie aus dem seelenfressenden pfälzischen Kaff zu befreien und sie gegen alles und jeden bis aufs Blut zu verteidigen. Doch je älter er wurde, spürte er tief in seinem Herzen, dass er ihr eines Tages, um sie nicht zu verlieren, mehr bieten müsste als nur eine starke schützende Hand. Es musste etwas ebenso Besonderes sein wie ihr Wunsch, in einer großen deutschen Stadt studieren zu wollen, etwas, bei dem sie mit Stolz zu ihm aufsehen würde, und etwas, was er als Sohn eines einfachen Landarbeiters erreichen konnte. Die Jugenderinnerungen an Charlotte und die unbeschwerten Tage vor seiner Aufnahme an der SS-Junkerschule in Bad Tölz 11

1940  gehörten zu den schönsten seines noch jungen Lebens. »Wie konnte das alles nur passieren?«, fragte er sich leise und schloss die Augen, als die Sonne wieder hinter der Wolkendecke verschwand. Dann hörte er erneut das Artilleriefeuer, die Maschinengewehrsalven und ohrenbetäubenden Explosionen, die die Straßen Berlins durchzogen, und er spürte, wie die Realität, der er nicht länger entkommen konnte, mit einem mulmigen Gefühl aus Angst und Übelkeit langsam und kalt wieder in ihn zurückkroch. Die Illusion der bunten Herbstfarben und der süßen Erinnerungen wandelte sich zu aschfahlen grauen Tönen und Gerüchen nach verbranntem Schwefel, Verwesung und feuchter modriger Erde.

KAPITEL 3 Schweiz, Silvaplanersee, 31. Dezember 2009, 23:56 Uhr Als Arno Vetterli zu sich kam, erkannte er schemenhaft ein hübsches, rundes, fast mädchenhaftes Gesicht einer jungen Frau. »Wach auf!«, befahl sie ihm mit einer festen Stimme. Es dauerte einige Sekunden, bis Arno Vetterli klar wurde, dass ihn neben dem bulligen Mann nun auch seine Verfolgerin eingeholt hatte. »Wir haben schon viel zu viel Zeit mit Ihnen vergeudet, Herr Vetterli.« Erst jetzt spürte 12

er die riesigen Hände des bulligen Mannes, die sich tief in seinen Nacken und seine Haare eingegraben hatten und die ihn so fest hielten, dass er seinen Kopf kaum bewegen konnte. Die hübsche junge Frau, von der er in der Dunkelheit nur grob die Gesichtszüge erkennen konnte, beugte sich langsam zu ihm herunter. »Im Gegensatz zu meinem Partner will ich Ihnen keine Schmerzen zufügen, aber wenn Sie sich weiter derart unkooperativ verhalten, muss ich ihm befehlen, genau das zu tun. Und da ihr Schweizer dies bekanntermaßen zu schätzen wisst: Er versteht sein Handwerk, glauben Sie mir.« Sie kam noch ein Stück näher, sodass er die Wärme ihrer Wangen in seinem eiskalten Gesicht spürte. »Also, zum letzten Mal, Herr Vetterli«, flüsterte sie ihm ins Ohr »Wo ist es?« Benommen sah er sie an, doch selbst wenn er ihr es hätte sagen wollen, lähmten ihn die Angst und Kälte so sehr, dass er kaum eine Silbe artikulieren konnte. Sein Unterkiefer war von den Schlägen des bulligen Mannes stark geschwollen und von der Kälte steif gefroren. Alles, was Arno Vetterli von sich geben konnte, war ein leises Stöhnen. »Na gut, Herr Vetterli, wenn Sie nicht mit uns zusammenarbeiten wollen, werden wir Sie leider dazu zwingen müssen.« Sie sah zu Ihrem Begleiter. »Du weißt, was du zu tun hast!« Der bullige Mann nickte kurz, packte Arno Vetterli an seinen gefesselten Beinen und drückte sie in ein Loch, das er zuvor mit einer kleinen Axt in die Eisdecke des Sees geschlagen hatte und das gerade groß genug war, dass ein erwachsener Mann hindurchpasste. Sekunden später brannte das eisige Wasser wie Feuer auf der Haut seiner Beine. Arno Vetterli schrie vor Schmerzen. Instinktiv 13

versuchte er, sich mit seinen Händen abzustützen, spürte aber, wie sie hinter seinem Rücken fest verbunden waren. Panik durchdrang ihn. Doch so sehr er sich auch dagegen wehrte, der bullige Mann war stärker und schob seinen Körper bis zur Brust in das schwarze Wasser des Sees. Er versuchte, Worte mit seinen Lippen zu formen, aber die Kälte lähmte seine Atmung binnen Sekunden. »Wo ist es?«, schrie die junge Frau ihn an, »dann lassen wir dich gehen!« Aber von einem Augenblick auf den anderen konnte Arno Vetterli sie weder verstehen noch spürte er die eisige Kälte der Wassers. Alles, was er nun fühlte, war ein kurzer starker Stich in seinem Herzen. Sein heftiges Zittern ließ nach, und wie eine warme Decke legte sich ein Gefühl der völligen Geborgenheit und Sicherheit um ihn. Ganz langsam löste sich sein starrer Blick von den dunklen Augenhöhlen der jungen Frau und er sah zum Nachthimmel hoch. Vor ihm offenbarte sich die Schönheit vieler goldener und glitzernder Lichtblitze, die wie riesige gleißende Feuerblumen hinter einem dichten weißen Schleier in der Ferne hervortraten. Als er langsam unter die dicke Eisplatte in das schwarze Wasser glitt, spürte er nichts außer einer beruhigenden und unendlichen Stille und das erlösende Gefühl der absoluten Hingabe. Langsam versank sein regungsloser Körper in der dunklen Tiefe des Silvaplanersees.

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