8 Lesung: 1. Korintherbrief 12,12–28

12 So wie unser Leib aus vielen Gliedern besteht und diese Glieder einen Leib bilden, so besteht auch die Gemeinde Christi aus vielen Gliedern und ist doch.
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Francesco Mordasini, Reformierte Kirche Dielsdorf, 16. November 2014

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Lesung: 1. Korintherbrief 12,12–28 12 So wie unser Leib aus vielen Gliedern besteht und diese Glieder einen Leib bilden, so besteht auch die Gemeinde Christi aus vielen Gliedern und ist doch ein einziger Leib. 13 Wir haben alle denselben Geist empfangen und geh¨oren durch die Taufe zu dem einen Leib Christi, ganz gleich, ob wir nun Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie sind; alle sind wir mit demselben Geist erf¨ ullt. 14 Nun besteht ein K¨orper aus vielen einzelnen Gliedern, nicht nur aus einem einzigen. 15 Selbst wenn der Fuß behaupten w¨ urde: “Ich geh¨ore nicht zum Leib, weil ich keine Hand bin!”, er bliebe trotzdem ein Teil des K¨orpers. 16 Und wenn das Ohr erkl¨aren w¨ urde: “Ich bin kein Auge, darum geh¨ore ich nicht zum Leib!”, es geh¨orte dennoch dazu. 17 Angenommen, der ganze K¨orper best¨ unde nur aus Augen, wie k¨onnten wir dann h¨oren? Oder der ganze Leib best¨ unde nur aus Ohren, wie k¨onnten wir dann riechen? 18 Deshalb hat Gott jedem einzelnen Glied des K¨orpers seine besondere Aufgabe gegeben, so wie er es wollte. 19 Was f¨ ur ein sonderbarer Leib w¨are das, der nur einen K¨orperteil h¨atte! 20 Aber so ist es ja auch nicht, sondern viele einzelne Glieder bilden gemeinsam den einen Leib. 21 Darum kann das Auge nicht zur Hand sagen: “Ich brauche dich nicht!” Und der Kopf kann nicht zu den F¨ ußen sagen: “Ihr seid u ¨berfl¨ ussig!” 22 Vielmehr sind gerade die Teile des K¨orpers, die schwach und unbedeutend erscheinen, besonders wichtig.

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23 Wenn uns an unserem K¨orper etwas nicht gef¨allt, dann geben wir uns die gr¨oßte M¨ uhe, es sch¨oner zu machen; und was uns anst¨oßig erscheint, das kleiden wir besonders sorgf¨altig. 24 Denn was nicht anst¨oßig ist, muss auch nicht besonders bekleidet werden. Gott aber hat unseren Leib so zusammengef¨ ugt, dass die unwichtig erscheinenden Glieder in Wirklichkeit besonders wichtig sind. 25 Unser Leib soll eine Einheit sein, in der jedes einzelne K¨orperteil f¨ ur das andere da ist. 26 Leidet ein Teil des K¨orpers, so leiden alle anderen mit, und wird ein Teil geehrt, freuen sich auch alle anderen. 27 Ihr alle seid der eine Leib Christi, und jeder Einzelne von euch geh¨ort als ein Teil dazu. 28 Jedem hat Gott seine ganz bestimmte Aufgabe in der Gemeinde zugeteilt.

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Predigt: Verschiedene Funktionen, eine gemeinsame Aufgabe in der Kirchgemeinde

Liebe Gemeinde Vor zwei Wochen haben wir uns anl¨asslich des Reformationssonntags Gedanken u ¨ber die Kirchgemeinde gemacht. Wir leben in einer Zeit, in der es in Bezug auf die Identit¨at der Kirchgemeinde viel Unsicherheit gibt. Hat eine Kirchgemeinde eine Identit¨at? Wozu dient eine Kirchgemeinde wirklich? Viele denken, dass die Kirche eine Sache der Vergangenheit ist. Viele denken, dass sie dem Evolutionsprinzip zum Opfer fallen wird. Die Kirchgemeinde wird von vielen als ein Dinosaurier der Vergangenheit empfunden. Sie sind u ¨berzeugt, dass auch sie irgendwann, wie die Dinosaurier einst, verschwinden wird. Wir k¨onnen ohne die Kirche leben. Viele denken aber, dass die Kirche immer noch eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft spielt. Sie erf¨ ullt wichtige Funktionen, die der Staat nicht abdecken kann. Sie ist sozial engagiert. Sie hilft, wo sie kann. Sie steht denen bei, die trauern, die krank oder allein

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sind. Sie beteiligt sich an der Ausbildung von Kindern und Jugendlichen und in der Unterst¨ utzung von jungen Erwachsenen, von Familien und Senioren. F¨ ur viele sind diese ¨ Uberlegungen sehr wertvoll und sie finden, dass die Existenz der Kirche damit gerechtfertigt ist. Aber die Kirche, insbesondere die Kirchgemeinde Dielsdorf, macht viel mehr als das. F¨ ur einige ist die Kirchgemeinde ein Ort, wo man sich wohl und angenommen f¨ uhlt, egal wie man ist und von welchem Hintergrund man kommt. Es ist ein Ort, in dem man im Glauben wachsen kann, und wo man ermutigt wird, den Glauben in Taten umzusetzen. Es ist auch ein o↵ener Ort f¨ ur den Austausch, wo man Unterst¨ utzung und Gemeinschaft erleben kann. F¨ ur verschiedene Leute ist also die Kirche, die Kirchgemeinde, etwas anderes. F¨ ur einige muss sie nicht sein. Sie ist unwesentlich. F¨ ur andere ist sie wichtig. F¨ ur andere ist sie notwendig, ja, lebensnotwendig. Deshalb ist es nicht einfach, die Frage zu beantworten: Wozu ist die Kirche da? Hat sie eine Identit¨at? Kann man sich mit der Kirche identifizieren? Auch in der Zeit, als sich die Kirche zuerst entwickelte, bedeutete sie verschiedene Dinge f¨ ur verschiedene Leute. Damals wurden die Christen h¨aufig verfolgt und ihre Versammlungsorten zerst¨ort. Dies geschieht noch heute in einigen L¨andern. Damals mussten sich die Christen heimlich tre↵en. Ich denke, dass das Wort “Tre↵en” ein Schl¨ usselwort ist. Wir haben das letzte Mal gesehen, dass die Kirche das erste Gef¨aß war, in dem der soziale Stand eine zweitrangige Rolle spielte. Sklave und freie Menschen, Reichen und Armen, M¨anner und Frauen, Juden und nicht-Juden, adlige und Normalb¨ urger, trafen sich. Sie pflegten eine enge Gemeinschaft, obwohl sie aus grunds¨atzlich entgegengesetzten sozialen Schichten kamen. Was f¨ uhrte sie zusammen? Es war diese gemeinsame Erfahrung mit Jesus Christus. Sie wussten zwar, dass Jesus gestorben war, aber sie glaubten, dass er nach dem Tod auferstand. Sie wussten, dass Jesus Christus durch den Heiligen Geist in den Menschen wirken konnte. Er o↵enbarte Ihnen wer der Sohn Gottes ist, dass sie die Vergebung Gottes brauchten, und sp¨ urten, dass sie Vergebung bekommen hatten und mit Gott vers¨ohnt waren. Wir sind mit dem Wort Christentum vertraut. Die Zeit in der wir heute in der Schweiz leben, wird post-christliche Zeit genannt. Damit will man eine Kultur beze-

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ichnen, die entweder negativ oder gleichg¨ ultig gegen¨ uber dem Christentum eingestellt ist. Das Postchristentum ist keine positive Beschreibung. Wie soll man die Einstellung beschreiben, die praktisch alles M¨ogliche akzeptiert, aber bitte nur nicht das Christentum? Damals, vor zwei tausend Jahren, wurde der Name “Christen” von der Kirche zuerst verwendet. Diese Gemeinschaft, die aus sehr unterschiedlichen Menschen bestand, hatte in Jesus Christus einen starken gemeinsamen Nenner. Der Apostel Paulus verwendete ein Bild, um den gemeinsamen Nenner der Christen aufzuzeigen: Es ist das Bild des Leibes. Jesus Christus ist das Haupt, wir sind die Glieder des Leibes. Wir haben es vorhin gelesen, dass f¨ ur Paulus die Gemeinde mit einem Leib verglichen werden kann. Die Kirchgemeinde besteht also aus Menschen, die an Christus glauben und ihm vertrauen. Die Frage ist nun: In welchem Verh¨altnis stehen die Christen zu einander? 12 So wie unser Leib aus vielen Gliedern besteht und diese Glieder einen Leib bilden, so besteht auch die Gemeinde Christi aus vielen Gliedern und ist doch ein einziger Leib. Wir haben vor zwei Wochen gesehen, dass Paulus mit diesem Bild der Kirchgemeinde als K¨orper mit vielen Gliedern sagen will, dass jeder Christ und jede Christin Teil der Kirchgemeinde ist. Jede und jeder hat eine Funktion in der Kirchgemeinde und jede und jeder ist wichtig in der Kirchgemeinde. Genauso wie der K¨orper alle seinen Glieder braucht, um richtig zu funktionieren und um gesund zu bleiben, so ist eine Kirchgemeinde wirklich Kirchgemeinde, wenn alle aktiv sind, wenn alle ihrem Glauben durch Taten Ausdruck geben. Diese Glaubenstaten k¨onnen sehr unterschiedlich sein. Auch kleine Taten sind wichitig: Jemandem beim Einkaufen helfen, jemanden zuh¨oren, jemanden einladen, aufr¨aumen, putzen, ein Gebet f¨ ur jemanden sprechen, eine Predigt vorbereiten, die Kinder unterrichten, Entscheidungen f¨ ur die Liegenschaften tre↵en, usw. Verschiedene Menschen haben verschiedene Funktionen in der Kirchgemeinde. Aber alle Funktionen sind wichtig, weil sie die Funktion der anderen erm¨oglichen. Paulus betont, dass kein Glied der Kirchgemeinde unwichtig ist. In seinem Bild des Leibes sagt Paulus, dass der Fuss nicht weniger wichtig als das Auge ist. Das Auge hilft dem Fuss und ohne Fuss w¨ urde der ganze K¨orper ausser Gleichgewicht geraten. F¨ ur Paulus ist eine Kirchgemeinde nur dann Leib Christi, wenn alle Glieder eine Funktion haben und sie erf¨ ullen. F¨ ur ihn ist es ausgeschlossen, dass die Kirchgemeinde aus Zuh¨orern

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oder aus Zuschauern besteht. Alle spielen eine Rolle. Jede und jeder hilft dem anderen beziehungsweise erm¨achtigt den anderen. Das gilt auch f¨ ur die scheinbar wichtigeren Funktionen in einer Kirchgemeinde. Kein Glied darf so prominent werden, dass es im Zentrum steht, und dass alle Glieder diesem einen Glied dienen. Wir haben vor zwei Wochen das Beispiel des Papsts gemacht. Heute nicht mehr, aber fr¨ uher konnten die P¨apste echte Despoten sein. Aber die Gefahr, dass ein Glied seine Funktion zu wichtig macht, besteht auch hier in unserer Kirchgemeinde. Die Funktion des Pfarrers ist sicher wichtig. Aber auch der Pfarrer ist nicht gleich Kirche. Er alleine bildet keine Kirche. Ohne die anderen Funktionen in der Kirchgemeinde k¨onnte der Pfarrer seine Aufgabe nicht erf¨ ullen. Die Mitarbeiter, die Kirchenpflege und die Freiwilligen erm¨oglichen die Funktion des Pfarrers. Und der Pfarrer erm¨achtigt die Glieder, sodass sie ihre Aufgabe erf¨ ullen k¨onnen. Alle arbeiten zusammen. Kein Glied des Leibes, keine Funktion darf zu prominent zu wichtig werden. Sonst funktioniert die Gemeinde nicht als Leib Christi. Es braucht alle im Leib Christi. Die Kirchgemeinde in Korinth war von Prominenz und vom Schein fasziniert. Viele wollten wichtig sein. Viele sch¨atzten sich selbst falsch ein: Sie dachten, sie seien besser und h¨oher als andere. Dadurch wurden aber auch diejenigen von dieser Gedankenweise beeinflusst und get¨auscht, die nicht das Gr¨osste und Beste suchten und nach keinen Ruhm strebten. Sie dachten: Weil ich nicht prominent bin und nicht versuche prominent zu sein, dann bin ich unwichtig. Mit dem Bild der Kirchgemeinde als Leib Christi steuert Paulus dagegen an, ja, er widerspricht, dieser eigenartigen menschlichen Lust nach Gr¨osse, Prominenz, und Status in der Gemeinde. Er ermutigt diejenigen, die denken sie seinen unwichtig, und gleichzeitig ¨ stellt er die Uberheblichen zur¨ uck an ihren Platz. Paulus sagt: Niemand soll sich u ¨ber andere erheben und h¨oher von sich denken, als es angemessen ist. (R¨omer 12,3) 25 Unser Leib soll eine Einheit sein, in der jedes einzelne K¨orperteil f¨ ur das andere da ist. 27 Ihr alle seid der eine Leib Christi, und jeder Einzelne von euch geh¨ort als ein Teil dazu.

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28 Jedem hat Gott seine ganz bestimmte Aufgabe in der Gemeinde zugeteilt. Paulus verwendet das Bild des Leibes an zwei Stellen: Die erste ist unser Text, 1. Korinterbrief 12 und die Zweite ist im R¨omerbrief Kapitel 12. Es ist wirklich interessant zu merken, dass an beiden Stellen, sobald Paulus das Bild der Kirchgemeinde als Leib Christi abgeschlossen hat, beginnt er u ¨ber die Liebe zu reden. Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass die ber¨ uhmte Liebesstelle von Paulus im 1. Korintherbrief Kapitel 13 steht. Sie wird h¨aufig f¨ ur Trauungen gew¨ahlt. Aber im Originaltext ist die Liebe auf die Kirchgemeinde, auf den Leib Christi bezogen. Der Punkt, den Paulus im 1. Korintherbrief 13 macht, ist der Folgende: Er sagt: “Schaut, die Kirchgemeinde besteht aus viele Gliedern. Jede und jeder hat eine Aufgabe, verschiedene Funktionen. Alle tragen bei. Aber ich sage euch, dass jede Funktion, jedes Glied nicht u ¨bersch¨atzt werden darf. Es gibt n¨amlich eine Aufgabe, die f¨ ur alle gleich ist. Wir sind alle verschieden, aber diese eine Aufgabe ist f¨ ur alle identisch und wenn wir diese Aufgabe nicht erf¨ ullen, dann ist auch unsere Funktion, unser scheinbarer Status in der Kirchgemeinde wirklich nutzlos und sogar sch¨adlich. Diese Aufgabe ist die Liebe f¨ ur einander.” Im R¨omerbrief sagt Paulus 9 T¨auscht nicht nur vor, andere zu lieben, sondern liebt sie wirklich. (R¨omer 12,9) Und im 1. Korintherbrief 13 sagt Paulus: “Wenn ich auch der beste Prediger w¨are, aber keine Liebe h¨atte, dann w¨are meine Predigt leer und nutzlos. Wenn ich auch so viel Glauben h¨atte, um Bergen zu versetzten, aber keine Liebe h¨atte, dann w¨are mein Glaube leer. Wenn ich so gut wie ein Engel singen k¨onnte oder so m¨achtig wie ein Engel w¨are aber keine Liebe h¨atte, dann w¨are alles sinnlos. Wenn ich wunder tun, Menschen heilen k¨onnte und dabei keine Liebe h¨atte, dann w¨are alles umsonst.” F¨ ur Paulus ist die Kirchgemeinde ohne Zweifel Leib Christi, wenn die einzelne Glieder nicht prominent werden, sondern wenn die Liebe f¨ ureinander Prominent ist. Wir sind Leib Christi, wenn wir unsere Funktion erf¨ ullen, wenn wir die Aufgabe, die uns Gott gegeben hat, wahrnehmen, aber alles in der Liebe gemacht und gesagt wird. Die Arbeit, die wir in der Kirchgemeinde tun, ist gef¨ahrdet, die Identit¨at der Kirchgemeinde wird schwach, wenn wir diese eine, gemeinsame, wunderbare Aufgabe nicht mit allen unseren Kr¨aften ber¨ ucksichtigen und ihr die Priorit¨at geben.

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Heute gebe ich euch ein neues Gebot: Liebt einander! So wie ich euch geliebt habe, so sollt ihr euch auch untereinander lieben. 35 An eurer Liebe zueinander wird jeder erkennen, dass ihr meine J¨ unger seid. (Johannes 13,34-35) Diese Aufgabe, kommt zu uns allen, die Glieder des Leibes direkt vom Haupt des Leibes, von Jesus Christus: “Liebt einander. Das zeichnet euch aus als Leib Christi.” F¨ ur Paulus sind wir nur dann Leib Christi, wir sind nur dann wahrhaftig Kirche, wenn wir diese Liebe aus¨ uben uns sie miteinander leben. Amen!