Ziehen an einem Strang oder in alle Winde verweht

Eurosystems die Deutsche Bun- desbank vor einem gewaltigen. Berg uneinbringlicher Forderun- gen stehen würde. Die einzig denkbare Lösung sei das Modell.
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WIRTSCHAFT & FINANZEN

Luxemburger Wort Donnerstag, den 21. Juni 2012

Bericht von der 14. Konferenz „ECB and Its Watchers“ in Frankfurt

Ziehen an einem Strang oder in alle Winde verweht Was die Europäische Zentralbank in der Eurokrise leisten kann und wo ihre Grenzen sind VON THOMAS SEIDEL

Mit einer nunmehr vierzehnjährigen Tradition fand am vergangenen Freitag in Frankfurt am Main die alljährliche Konferenz der Beobachter der EZB statt. Unter weltweiter medialer Beachtung diskutierten Fachleute die aktuellen Entwicklungen und ihre Auswirkungen innerhalb und außerhalb der Europäischen Zentralbank (EZB). Noch vor einem Jahr prägten der Franzose Trichet als Präsident und der Deutsche Stark als Chefvolkswirt das öffentliche Gesicht der EZB. Der eine eher eloquent, der andere eher preußisch in seinem Auftritt. Dieses Mal, mit dem Italiener Mario Draghi als Präsident und dem Belgier Peter Praet als neuer Chefvolkswirt, ist schon die Außenwirkung deutlich anders. Es zeigt sich, dass der deutsche Einfluss in dieser Institution geschwunden ist. Gleich zu Beginn machte Draghi deutlich, was die EZB in der allgegenwärtigen Euro-Krise zu leisten in der Lage sei und wo ihre Grenzen lägen. Sein Kernpunkt ist, es gäbe kein Inflationsrisiko im Euroraum, aber die bestehenden Probleme seien ursächlich der ökonomischen und fiskalischen Heterogenität in den Euroländern geschuldet. Das sei nicht neu und im Prinzip auch in den USA so. Zusätzlich bestünde allerdings in Europa ein Problem der Fragmentation bei der Steuer- und Wachstumspolitik und im Aufsichtsrecht. Draghi bezeichnete die Vorgehensweise der nationalen Finanzkontrolleure als zur Zeit kontraproduktiv. Der EZB-Präsident stellte klar, der einzige Weg aus der Eurokrise sei eine, in Richtung Brüssel, zentralistischere Vorgehensweise. Freilich könne keine weitere Souveränität der europäischen Länder an die EU abgegeben werden, ohne im Gegenzug eine intensivere demokratische Legitimität der europäischen Institutionen herzustellen. Das seien Aufgaben, die die EZB nicht selbst angehen könne, gleichwohl aber immer deutlicher adressieren werde. Das Signal an die Märkte müsse sein, dass man an einem Strang ziehe. Dafür eigne sich, wie bei der Euroeinführung in den 1990er-Jahren, die Definition eines Hauptziels, verbunden mit einem Zeitplan sowie einem erkennbaren Weg dahin. Die gegenwärtige Krise zeige, Preisstabilität und Finanzstabilität seien nicht notwendigerweise gleichzeitig erreichbar. Aber in den Augen des EZB-Präsidenten sei das Schlimmste in puncto Eurokrise überwunden, wenngleich es aber weiterhin noch eine Anzahl seriöser Probleme gebe. Ist die EZB-Liquidität angemessen oder exzessiv? Heftig umstritten ist in Zeiten der Eurokrise die Liquiditätspolitik der EZB. Hier gab die WatchersKonferenz die Gelegenheit, die bisherige Politik der EZB zu unter-

EZB-Sitz in Frankfurt: „Europas Signal an die Märkte muss sein, dass man an einem Strang zieht“, betont Mario Draghi. (FOTO: AP)

suchen. Peter Praet, der neue Chefvolkswirt, wies darauf hin, Hauptziel der EZB bleibe die Inflationsbekämpfung. Gleichzeitig müsse aber die Europäische Zentralbank den Euroraum mit ausreichender Liquidität versorgen. Als letzte Quelle sei bei nicht funktionierenden Geldmärkten das eine Aufgabe der Europäischen Zentralbank. Freilich könne die Geldpolitik der EZB nicht die Grundprobleme des Geldmarktes lösen, sondern nur darauf reagieren. Flankiert wurde diese Aussage durch einen Beitrag von Lucrezia Reichlin von der London Business School. Ihre Untersuchungen kämen zu dem Schluss, die Liquiditätspolitik der EZB sei schon deswegen nicht exzessiv, weil sie im zurückliegenden Zeitraum zu keiner nennenswerten Inflation geführt hat. Im Gegenteil, diese Politik sei deshalb erfolgreich, weil sie dafür sorge, Zinsunterschiede zu drücken, eine Kernschmelze im Euroraum zu verhindern und den plötzlich fehlenden Interbankenmarkt zu ersetzen. Bis dahin hatte man bei allen Beiträgen tunlichst vermieden, den Namen Griechenland auch nur in den Mund zu nehmen. Damit brach dann Frau Reichlin. Sie prophezeite, bei einem Ausscheiden Griechenlands aus dem Eurosystem drohe vor allem das europäische Zentralbankzahlungssystem Target Schaden zu nehmen. Staatsschuldenproblem: EZB zu sehr darin verstrickt? Das Reizwort des Tages wurde denn auch die Debatte um die Target-2-Salden. Der deutsche Volkswirt Hans-Werner Sinn hat schon vor einiger Zeit die Hypothese aufgestellt, im Euro-Interbankenverrechnungssystem Target-2 hätten sich seit Bestehen des

Euro gewaltige Forderungen der Deutschen Bundesbank gegen die meisten anderen europäischen Zentralbanken angehäuft. Die Rede ist hier von um die einhundert Milliarden Euro. Ursache seien der Überhang von Forderungen der Deutschen Wirtschaft aus Ausfuhren in andere Euro-Länder, die aber, anders als in dem von Sinn exemplarisch genannten USFederal-System, nicht jährlich gegeneinander verrechnet würden und daher immer weiter anstiegen. Sinn befürchtet nun, dass im Falle eines Zusammenbruchs des Eurosystems die Deutsche Bundesbank vor einem gewaltigen Berg uneinbringlicher Forderungen stehen würde. Die einzig denkbare Lösung sei das Modell eines Gegensatzpaars: Deutsche Inflation versus Abwertung der Eurosüdländer. Seine Untersuchungen zeigten aber, dass weder das eine Szenario noch das andere realistisch seien, da aus politischen Gründen eine notwendige Abwertung, im Falle Griechenlands zum Beispiel bis zu 30 Prozent, wegen der drohenden Radikalisierung der politischen Parteien nicht wirklich angegangen würde. Bei dem Niederländer Willem Buiter, zurzeit Chefökonom bei Citi Investment Research & Analysis, fällt diese Hypothese auf beißende Kritik. Buiter ging so weit, seinen im Saal anwesenden Kollegen Sinn des Nonsens zu beschuldigen. Das wiederum führte zu heftigen Reaktionen aus dem Publikum, die vor allem meinten, solcherart lasse sich im Rahmen dieser Veranstaltung nicht argumentieren. In der Tat ließ Buiter es an jeglichen Fakten fehlen, mit denen er die klar untermauerten Argumente seines Standeskollegen hätte widerlegen können.

Diese Debatte zeigte mehr von der Zerrissenheit der Teilnehmer untereinander als von der kritischen Beobachtung der Handlungsweise der EZB. Von diesem Gezänk hob sich in angenehmer Weise die Gastrede des portugiesischen Finanzministers Vitor Gaspar ab. Gaspar identifizierte mit bemerkenswerter Klarheit die Ursache für das bei weitem zu hohe Kreditvolumen einiger EuroLänder. Erst der Beitritt einiger Südländer zum Euro hätte diese Staaten in eine für sie extreme Niedrigzinszone gebracht. Weil Geld auf einmal billig war, hatte sich das Kreditvolumen aufgeblasen und zu den heute kaum mehr bewältigbaren Staatsschuldenproblemen geführt. Demonstration der Gelassenheit für was immer kommt Man ist sich einig, die EZB wird weiterhin situationsgerecht tun, was sie vor allem in puncto Liquidität in den zurückliegenden zwölf Monaten gemacht hat. Der Politik obliegt es weiterhin, die Ursachen von Fehlentwicklungen im EuroRaum zu beseitigen. Bemerkenswert war, zwei Tage vor der sogenannten griechischen Schicksalswahl, die spürbare Gelassenheit aller Teilnehmer, gleich ob man nun gemeinsam für den Euro einstehen wird, oder ob das Projekt Euro in alle Winde verweht. Zusammengefasst war die Stimmung von Teilnehmern und Beobachtern eher „business as usual“. Eine Prognose für die Entwicklung des kommenden Jahres ist schwierig. Dennoch kann man die Konferenz mit dem Eindruck verlassen, dass, was immer auch kommen mag, die Dinge werden so oder so weitergehen. Zweifel am Fortbestand des Euro und der Funktion der Europäischen Zentralbank sind jedenfalls nicht aufgekommen.

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Otto Group will kein Amazon-Klon sein Hamburg. Der Handels- und Dienstleistungskonzern Otto setzt verstärkt auf Service und Finanzdienstleistungen. Im laufenden Jahr sollen diese beiden Unternehmensbereiche einen Anteil von bis zu 20 Prozent am Konzernumsatz erreichen, sagte Hans-Otto Schrader, der Vorstandschef der Otto Group, am Mittwoch in Hamburg. Gegenwärtig sind es 17 Prozent. Die beiden Sparten wachsen schneller als das Stammgeschäft Versand- und Einzelhandel und liefern auch mehr Gewinn ab. Das Handelsgeschäft war im abgelaufenen Geschäftsjahr nur geringfügig gewachsen, vor allem wegen Schwierigkeiten in Frankreich und verstärkter Konkurrenz im Online-Handel. Insgesamt wuchs der Umsatz um 1,7 Prozent auf 11,6 Milliarden Euro, während der Jahresüberschuss von 181 auf 23 Millionen Euro zurückging. Das war auch auf steigende Rohstoffund Einkaufskosten zurückzuführen.„ Damit haben wir uns in einem schwierigen Umfeld gut behauptet“, sagte Schrader. Im Online-Markt habe es die Otto Group mit einem aggressiven Wettbewerb zu tun. Dennoch war der E-Commerce abermals der Wachstumstreiber des Handelsgeschäfts; weltweit legte Otto hier um 9,2 Prozent oder 500 Millionen Euro zu. 53 Prozent des Geschäfts entfallen auf ECommerce-Umsätze. (dpa)

Audiotechnik-Spezialist Sennheiser mit Rekordjahr Wedemark. Der Audiotechnik-Spezialist Sennheiser hat im vergangenen Jahr dank eines starken Auslandsgeschäfts ein Rekordergebnis erzielt. Das Unternehmen aus Wedemark bei Hannover verdiente nach Steuern 45,7 Millionen Euro und konnte seinen Gewinn damit fast verdoppeln. Wie Sennheiser am Mittwoch mitteilte, lag der Gewinn 93 Prozent über dem Wert des bisherigen Bestjahres 2010. Der Umsatz legte um 13,5 Prozent auf 531 Millionen Euro zu. In Europa, dem Nahen Osten und in Afrika, aber auch in Asien seien die Erlöse kräftig gewachsen, berichtete Firmenchef Volker Bartels. Wichtigster Absatzmarkt bleibe aber Europa hier wurden etwa 325 Millionen Euro umgesetzt. (dpa)

Heimvernetzung beschert „Milliardenmarkt“ Berlin. Neue Geräte zur Heimvernetzung lassen in der Branche der Unterhaltungselektronik die Kassen klingen. In diesem Jahr erwartet der Branchenverband einen Umsatz von 18,3 Milliarden Euro mit vernetzbaren Lösungen - und damit rund 13 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. „Die Vernetzung von Computern, Smartphones und Fernsehern wird in immer mehr Haushalten zum Standard“, sagte Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Verbands, am Mittwoch. Inzwischen machten vernetzbare Produkte fast zwei Drittel des Umsatzes von Informations- und Kommunikationstechnik bei privaten Konsumenten aus. Das Internet werde zunehmend zum „interaktiven Kanal des klassischen Fernsehprogramms“, sagte Rohleder. (dpa)