Wurdulac - 2 - Daniel Djiurin-Markovic-pdf AWS

fühlsregung erkannt, die ihm auch nur den ge- ringsten Aufschluss eines Gedankens hätten vermitteln können. Es war das Zögern gewesen, dass den geheimnisvollen Krieger verraten hatte. Der Schmied hatte sich umgedreht und den. Wald angestarrt, so als hätte er irgendein Ge- räusch wahrgenommen, mit dem er nicht ...
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Daniel Djurin – Markovich

Wurdulac Band 2 Fantasy / Horror

© 2013 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2013 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag, Berlin Coverbild: D. Markovich Printed in Germany ISBN 978-3-8459-0631-6 AAVAA Verlag www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt .

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Kapitel I

Das heiße Wasser hatte die Müdigkeit aus seinem Körper vertrieben. Michael fühlte sich wie Neugeboren, als er sich mit einem Lumpen abtrocknete und zur Pritsche lief. Er zog die Kleidung an, die ihm der Asiat zurechtgelegt hatte und band abschließend die Schnur um seine schwarze Stoffhose fest. Michael setzte sich auf den harten Schlafplatz, um in seine ausgefransten Armeestiefel zu schlüpfen. Er blickte auf seine Hände herab und betrachtete die Wundstellen, die durch die Belastungen der letzten Stunden erneut aufgebrochen waren. Trotz der Eile verharrte er einen Augenblick und genoss die Ruhe im Zimmer. Er allein hatte es tatsächlich geschafft! Sämtliche Beile und Speerspitzen waren gestählt und geschärft. Und wenn sie auch nur eine notdürftige Lösung darstellten und keineswegs Schusswaffen ersetzten konnten, so würden sie dennoch ihrer Pflicht im Kampf nachkommen und nicht gleich beim ersten Wi3

derstand stumpf werden. Der Blonde hatte sein Bestes gegeben und das musste für den Augenblick ausreichen. Michaels Grinsen erstarb. Er sah zu Boden und stopfte die Enden der Schnürsenkel in die Stiefel. Wie oft hatte er ihm bei seinen Schmiedearbeiten beigestanden, obwohl dringendere Angelegenheiten auf ihn warteten? Er war mit ihm durchs ganze Land gereist und hatte seine obskuren Auktionsstücke bereitwillig mitfinanziert. Und er war bei jedem gottverdammten Turnier aufgetaucht, damit er ihn anfeuern und seine Gegner in Grund und Boden fluchen konnte. Michael wusste es nicht einmal mehr, weshalb er sich so dagegen gesträubt hatte, das Erbe seines Vaters, die Verwaltung der Walker-Ranch, anzutreten. Gedankenverloren schüttelte er den Kopf und stand auf. Die blauen Augen des Amerikaners wanderten zu den geschwungenen Schriftzeichen und mysteriösen Symbolen, die auf schneeweißen Pergamentrollen aufgezeichnet waren und die vier Wände des Asiaten schmückten. Er blickte zu den beiden Schwertern, die mit derselben 4

schwarzen Ummantelung versehen waren wie das des Ronins. Die Katanas hingen über dem Bett von Kuang-Tse, dicht beieinander und in Griffweite. Doch aus einem unbestimmten Gefühl heraus vermutete Michael, dass die Waffen lediglich zum Gedenken an jemanden dienten. Familie. Seine Finger strichen über die glänzende Hülle und glitten zum Ort hinab. Er hatte die erstbeste Gelegenheit genutzt und sich sang und klanglos aus dem Staub gemacht. Kein Wort des Abschieds und auch kein Wort des Dankes. Das letzte Geleit war bereits vonstatten gegangen, als man ihn über seinen Tod in Kenntnis gesetzt hatte. Michaels Mund wurde zu einem dünnen Strich. Ob sie ihm jemals verziehen hatte? Aber wieso sollte sie? Die Briefe, die er ihr Tag für Tag geschrieben hatte, billige Erklärungsversuche, Worte ohne echte Bedeutung, waren ausnahmslos ungeöffnet zurückgekommen. Michael zog die Hand von dem Schwert und verharrte einen Augenblick. Der Blonde wandte sich dem Waffenarsenal des Stummen zu und sah ein halbes Dutzend geschwungener Langbogen, die zu beiden Seiten 5

des chinesischen Drachensymbols an der Wand befestigt waren. Die Köcher darunter enthielten die mannigfachsten Pfeilvarianten und waren für jede nur erdenkliche Jagdform geschaffen. Halbmondförmige Stahlspitzen, die sich wie Schwerthiebe in die Haut des Opfers bohrten und einen tödlichen Blutverlust hervorriefen, befanden sich neben dreizackigen Geschossen, deren Widerhaken an den Enden dem alleinigen Zweck dienten, dass das Fleisch in Stück gerissen wurde, sobald man den Versuch unternahm, sie aus der Wunde zu entfernen. Gebräuchliche Holzspitzen, wie er sie von den indianischen Pfeilen her kannte, wurden von zwei Zoll dicken, dolchartigen Klingen und keilförmigen Steinplatten abgelöst, die imstande waren, Knochen zu zerschmettern. Michaels Interesse galt jedoch etwas Anderem. Er hob eine der Gürteltaschen von dem Tisch auf, in denen die sonderbaren schwarzmetallenen Sterne aufbewahrt wurden, und entnahm eines der Wurfgeschosse daraus. Michael berührte eine der unzähligen Zacken und sah, dass sie mühelos in seine Haut eindrang und dort einen 6

winzigen Blutstropfen hinterließ. Er leckte sich über den Finger und stellte sich die wohl alles entscheidende Frage, wie man diese Wurfsterne benutzen konnte, ohne sich selbst dabei zu verletzen? Michael legte den Stern flach auf die Hand und begutachtete die vielen Symbole an den Zacken. Er umfasste die Waffe mit Daumenund Zeigefinger, doch es fühlte sich irgendwie falsch an, so als ob noch ein Finger fehlen würde, um sie besser zu kontrollieren. Instinktiv legte sich sein Mittelfinger dazu, sodass er einen besseren Halt darauf verspürte. Michael deutete einen Wurf aus dem Handgelenk heraus an und nickte zufrieden. »Teuflisches Ding«, flüsterte Michael und steckte die messerscharfe Waffe zurück in die Tasche. Nachdenklich blickte er auf die Ansammlung von kurzen Hölzern, die mit stählernen Sicheln verbunden waren. Daneben lagerten, fein säuberlich aufgeschichtet zu einem Kreis, meterlange Kettenglieder, an deren Ende eine Stichwaffe prangte. Michael lief an zahllosen runden Metallsplittern und weiteren namenlosen Waffen vorbei, die er nie zuvor zu Gesicht bekommen 7

hatte, bis er den Schrein erreichte und stehen blieb. Er sah, wie sich die schwelende Glut über die Räucherstäbchen hermachte, sie waren fast abgerannt und würden in Kürze die Erde in der sie steckten erreichen. Nichts, außer der Asche, würde mehr darauf hindeuten, dass sie jemals existiert hatten. Michael blickte durch das Fenster und sah ein Lichtermeer aus brennenden Fackeln, die Flammen wurden von schwachen Windböen sanft in Bewegung versetzt und glitten, wie in einem kollektiven tranceartigen Zustand, gleichsam mit der Luft dahin. Die Tür ging auf. Michael zog den Mantel an und folgte dem Ronin hinaus. Der stumme Freund des Priesters bedeutete ihm mit einer knappen Geste sich vor dem neuen Schwert, das auf einem seidenen Tuch ausgebreitet war, auf den Boden zu setzen. Michael begriff zwar nicht, was er vorhatte, aber er wollte ihn mit Sicherheit nicht danach fragen oder womöglich entgegen seiner Bitte handeln. Zum einen, weil sie einander ohnehin nicht verstanden. Und zum anderen, weil er noch immer 8

die waffenbehangene Wand vor Augen hatte und dabei an Alans Worte denken musste. Er nickte zögerlich und beobachtete den Asiaten, wie er sich andächtig vor dem mattglänzenden Katana verneigte und langsam in die Knie absenkte. Michael tat es ihm nach und setzte sich vor dem vollendeten Schwert hin, als ihn die Perfektion des Stahles schier blendete. Der stumme Samurai ließ sich vor der zu Stahl gewordenen Perfektion nieder und tauchte den Stecken mit dem Watteballen in die Ölschale. Er wusste zwar nicht viel über den Jüngling, aber genug, um zu erkennen, dass auch er Dinge erlebt hatte, die das Chi eines Mannes beeinflussten. Er schloss die Augen und leitete die Zeremonie der Erweckung ein. Der stumme Krieger senkte den Wattebausch zum Ort des Schwertes und berührte ihn mit tiefer Demut, sodass nur ein einziger Tropfen darauf zurückblieb. Er wiederholte die Prozedur an der Klingenspitze und in der Mitte des Schwertes. Der Stumme verneigte sich ehrerbietend vor dem Gott des Stahles, bevor er den schnurgewickelten Griff umfasste und die Schneide wendete. Er legte das Katana 9

auf das weiße Seidentuch zurück und vollführte auf der leblosen Seite der Klinge denselben Ritus. Kuang-Tse spürte, wie die Urgewalt durch ihn hindurchströmte und sein Chi erfasste. Sein untertäniger Geist vereinte sich für einen kurzen Augenblick mit dem allumfassenden Wesen, dem er ewige Treue geschworen hatte und entließ die Kraft, damit sie aus seiner Hand in den Wattebausch und anschließend auf das neugeborene Element übergehen konnte. Er sah herab auf sein Werk und verneigte sich erneut vor der unsichtbaren Gottheit, die einen Teil seiner Seele genommen und in den Stahl übertragen hatte. Der herrenlose Kodex-Krieger streckte seinen Arm aus und nahm das Schwert behutsam in die Hand. Der Russe und seine Tochter waren bereits seit einer Stunde in der Schenke, wo er seine Rede vor dem widerspenstigen Gremium und seinen Gefolgsleuten abhalten musste. Michael wartete noch einen Moment ab und räusperte sich, so leise es ging. Er stand langsam auf und hoffte darauf, dass der Stumme nichts dagegen hatte. Er hatte nichts dagegen. 10

Michael trat einen Schritt zurück und starrte auf den Rücken des Ronins, da er offenbar nichts dergleichen vorhatte. Er kauerte vor dem Schwert und ließ seinen Blick über die Klinge schweifen, um es umzudrehen und von Neuem anzusehen. Von daher blieb ihm nichts weiter übrig, als weiterhin abzuwarten und, vor allen Dingen keine falsche Bewegung zu machen. Michaels Gedanken umkreisten eine, zumindest seiner Meinung nach, ebenso formvollendete Zigarette. Kuang-Tse erhob sich mit dem Schwert und ging zur Werkbank, auf der die schwarze Hülle des Neugeborenen ruhte. Er führte die Klingenspitze an die Öffnung und schob das Katana mit äußerster Vorsicht ein, sodass der erste Gesang des Stahles kurzzeitig erklang und sein Herz mit Stolz erfüllte. Sanft legte er das Schwert in die leere Halterung und begann die Tragegurte über seinem Gewand zu befestigen. Nachdem er seinen Mantel angezogen und sein Katana in der Rückenhalterung gesteckt hatte, drehte er sich zum Jüngling um, der sich seines starken Geistes noch nicht bewusst war. Sollte er die Möglichkeit 11

erhalten, würde er sich des blonden Gaijin annehmen und seinen Kern herausschleifen. Der Langhaarige nickte ihm kurz zu und verließ mit dem blonden Amerikaner den planenbehangenen Verschlag seiner Baracke. Entschlossen eilte er durch die lodernden Flammenherde der Fackeln zum Gemeindesaal und vernahm die Stimme seines Freundes aus dem steinernen Gebäude heraus, in das einst Dissidenten und Sträflinge untergebracht werden sollten. Eine Ironie des Schicksals, wenn man bedachte, dass der unvollendete Gulag zu ihrem Heim geworden war. Der Sohn eines entehrten Samurais öffnete die Tür und verharrte plötzlich. Er kehrte dem Eingang den Rücken zu und spähte an dem stockenden Texaner, der einen unschuldigen Blick aufsetzte, vorbei zum Waldrand. Kuang-Tse errichtete einen leeren Raum in seinem Verstand und verbannte jene widrige Geräuschkulisse, die von den Siedlern aus der Schenke ausging und sein Gehör beeinträchtigte, in eine entlegene Kammer seines Geistes, damit er sich einzig auf die Veränderung konzentrieren konnte. Der Ronin erhörte den unnatürlichen Klang, der sich in 12

die Melodie des Windes eingeschlichen hatte und blickte zu den wogenden Ästen der Bäume, bis er den Ursprung des Ungleichgewichts ausmachte. Der stumme Krieger sah Michael für einen flüchtigen Moment in die Augen und betrat die stickige Behausung der weltabgewandten Siedlung. Er hoffte, dass ihm noch genügend Zeit blieb, um seinen Freund zu warnen. Das Knarren der Holztür drang an sein Ohr, als sie der Jüngling hinter sich zuzog. Der Gemeindesaal des entlegenen Ortes war von Bänken, Stühlen und Tischen vollständig zugestellt, sodass sie sich an stehenden und sitzenden Dorfbewohnern vorbeischlängeln mussten und nur langsam vorwärts kamen. Der stumme Krieger und Michael arbeiteten sich durch den schmalen Mittelgang zur Küchenfront der Baracke vor, um von da aus zum provisorischen Podium aus zusammengeschobenen Tischen zu gelangen, das an der Stirnseite des Mauerwerks errichtet worden war. Die heiße abgestandene Luft, die sich mit dem durchdringenden Geruch der flackernden Öllampen vermischte, raubte Michael den Atem. 13

Darauf konzentriert, niemandem auf die Füße zu treten, bemühte sich Michael, den Abstand zum Asiaten zu verringern. Kuang-Tse richtete sein Augenmerk nur auf die Tochter und ihren Vater, die hinter dem Tischpult nahe des Kamins Platz genommen hatten, damit sie von sämtlichen Dorfbewohnern gesehen werden konnten. Der starrsinnige Altenrat, der es sich auf einer Bank vor der schwelenden Glut der Feuerstelle bequem gemacht hatte, und gleich einem Rudel hungriger Hyänen auf eine Chance wartete, den Russen zu denunzieren, bedachte den Priester der Gemeinde mit selbstgefälligen Blicken. Michael hatte in den unergründlichen Gesichtszügen des Asiaten keinerlei Anzeichen einer Gefühlsregung erkannt, die ihm auch nur den geringsten Aufschluss eines Gedankens hätten vermitteln können. Es war das Zögern gewesen, dass den geheimnisvollen Krieger verraten hatte. Der Schmied hatte sich umgedreht und den Wald angestarrt, so als hätte er irgendein Geräusch wahrgenommen, mit dem er nicht im Geringsten gerechnet hatte. Einen Angriff der blutsaugenden Nachtwesen schloss Michael jeden14

falls aus, da sein Schwert im Rückenhalfter stecken geblieben war. Die Gefahr, die der Asiat im Geäst der Bäume erfasst hatte, verlangte anscheinend nach einer subtileren Maßnahme. Was auch immer den Argwohn des Stummen geweckt und ihn für einen kurzen Moment seiner Fassung beraubt hatte: es bedeutete auf jeden Fall gewaltigen Ärger. Michael blieb nichts weiter übrig, als dem Krieger zu folgen und den sitzenden Männern und Frauen im Vorbeigehen beschwichtigend zuzunicken. Der Stumme blieb vor der Bankreihe der Greisen stehen und suchte Blickkontakt zu seinem Freund, was jedoch misslang. Der Priester war in seine Ansprache vertieft und beachtete ihn nicht weiter. Michael wollte Kyras Vater ein Handzeichen geben, doch Kuang-Tse packte seinen erhobenen Arm und hielt ihn mit einem eindeutigen Blick, der keine Widerrede duldete, davon ab, Sergej bei seiner Rede zu unterbrechen. Die blauen Augen des Texaners wanderten zu der schwarzhaarigen Schönheit, die den skeptischen Blicken ihrer Leute unerschütterlich standhielt und nur beiläufig zu ihm herübersah. 15