Wohlstand

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Woran sich

HANS DIEFENBACHER ROLAND ZIESCHANK

Wohlstand wirklich

messen lässt

ALTERNATIVEN ZUM BRUTTOINLANDSPRODUKT

Dieses Buch wurde klimaneutral hergestellt. CO2-Emissionen vermeiden, reduzieren, kompensieren – nach diesem Grundsatz handelt der oekom verlag. Unvermeidbare Emissionen kompensiert der Verlag durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt. Mehr Informationen finden Sie unter www.oekom.de. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 oekom verlag, München Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH, Waltherstraße 29, 80337 München Lektorat: Heike Tiller, München Gestaltung + Satz: Heike Tiller, München Umschlaggestaltung + Umschlagillustration: Torge Stoffers, Leipzig Druck: Erhardi Druck, Regensburg Der Innenteil dieses Buches wurde auf 100%igem Recyclingpapier gedruckt, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany. ISBN 978-3-86581-215-5 e-ISBN 978-3-86581-620-7

Hans Diefenbacher Roland Zieschank

Woran sich Wohlstand wirklich messen lässt Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt

7 Prolog: Wachstum – die herrschende Orientierung 13 Wachstum – eine notwendige Relativierung oder: die Produktion von illusionärem Wohlstand 35 Wachstum als Illusion 39 Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt – die internationale Dimension 55 Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt – die Diskussion in Deutschland 69 Wohlstand, Lebensqualität, Glück – Alternativen zur Wachstumsorientierung? 75 Welches Wachstum? Schlussfolgerungen für die politische Debatte 81 Zusammenfassung und Epilog: Plädoyer für eine Politik der Selbstbegrenzung – mehr Werte statt Mehrwert 95 Anhang: Variablen für den Nationalen Wohlfahrtsindex (NWI) Abkürzungen Literaturhinweise zur Vertiefung einzelner Kapitel 107 Weiterführende Literatur

Veränderung auf Veränderung. Es ist eben nicht, wie die Wissenschaftler uns, mit beträchtlichem Erfolg, weiszumachen suchen, fünf Minuten vor zwölf, es besteht daher keinerlei Anlass zur Panik, da es – Dir brauche ich das wohl nicht zu sagen – bereits dreiviertel drei ist, und jede Panik wäre eine müßige und unangemessene Anstrengung. Das wird Dir auch gern jeder Manager bestätigen, allerdings aus entgegengesetzten Gründen. Zwar eilt die Wissenschaft uns weit voraus, aber die Wissenschaftler [selbst] rennen weit hinter ihr her und versuchen, sie wieder einzufangen, vergeblich natürlich. Ich sehe sie da rennen, über Stock und Stein, mit Schmetterlingsnetzen und Botanisiertrommeln, als seien sie von gestern, was sie natürlich nicht sind, sie sind von vorgestern. WOLFGANG HILDESHEIMER: Mitteilungen an Max

über den Stand der Dinge und anderes, 1983

Prolog: Wachstum – die herrschende Orientierung

Der Kreis gab sich geschlossen. Wissenschaftler, höhere Staatsbeamte und Politiker sowie Vertreter von Wirtschaftsverbänden und Aktionsgruppen kamen nach längeren Diskussionen zu der gemeinsamen Auffassung, »dass das heutige System der volkswirtschaftlichen Rechnungslegung, in dessen Mittelpunkt die Bruttosozialproduktrechnung steht, nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist«. Dieses Zitat aus einem Fachbuch zur Wirtschafts- und Umweltberichterstattung von Christian Leipert und Roland Zieschank liest sich wie eine Diagnose der aktuellen Situation auf internationaler Ebene. Doch es hat selbst bereits einige Höhen und Tiefen der Geschichte überdauert, denn es stammt aus dem Jahr 1989. Offensichtlich war damals, vor über 20 Jahren, die Zeit für eine umfassende Erörterung der zentralen Kenngrößen, mit denen Ökonomen die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes beschreiben, noch nicht reif. Im Gegenteil, das Statistische Bundesamt hatte damals die Berechnung und Ver-

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Prolog: Wachstum – die herrschende Orientierung

öffentlichung eines »Ökosozialprodukts« abgelehnt: Man befürchtete, damit in fachlicher Hinsicht Grenzen zu überschreiten. Die Entscheidung wurde Anfang dieses Jahrzehnts durch die Arbeit eines Wissenschaftlichen Beirats noch einmal bestätigt. Aber ist die Zeit jetzt reif? Und wenn ja, warum? Warum scheint man nun auch zunehmend in der Politik nicht mehr zufrieden mit den alten Orientierungsmarken? Vor allem in den letzten beiden Jahren wurden in nahezu beängstigendem Ausmaß Aktivitäten entwickelt: Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hat eine Kommission eingesetzt (unter anderem bestehend aus mehreren Nobelpreisträgern), die ein neues Wohlfahrtsmaß vorschlagen soll. Dem folgte Bundeskanzlerin Angela Merkel: Im Dezember 2010 arbeiteten die Wirtschaftsweisen in Deutschland im Auftrag des deutschfranzösischen Ministerrats eine Expertise aus, in der ein umfassendes Indikatorensystem zu den Themen Wirtschaftsleistung, Lebensqualität und Nachhaltigkeit verlangt wird. Doch damit nicht genug: Einmütig setzten alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien im selben Monat eine neue Enquetekommission »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft« ein, die bis zum Ende der Legislaturperiode unter anderem einen »ganzheitlichen Wohlstands- beziehungsweise Fortschrittsindikator« entwickeln soll. Da steht das Europäische Parlament nicht nach: Dessen Umweltausschuss stimmte im November 2010 einem Gesetz zur Umweltökonomischen Gesamtrechnung

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Prolog: Wachstum – die herrschende Orientierung

zu, demzufolge ab 2012 alle Mitglieder der Europäischen Union Daten für ein »Ökosozialprodukt« liefern sollen. Das Unbehagen über die Begleiterscheinungen unserer alle Lebensbereiche durchdringenden Wirtschaftsweise ist nicht neu. Neu ist allerdings, dass die klassische Kritik am Versagen des Marktes wiederauflebt und zeitlich mit den jüngsten Krisen des Finanz- und Wirtschaftssystems und neuen politischen Anforderungen an dessen Gestaltung zusammenfällt. Dennoch sind all die genannten, fast hektischen Aktivitäten so angelegt, dass sich nichts ändern muss – jedenfalls nicht schnell: Nachdem man mehr als 20 Jahre nichts getan hat, um längst vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse in eine Veränderung der amtlichen Statistik und der politischen Praxis umzusetzen, erlaubt man sich jetzt – wieder einmal – eine lange Periode, in der Kommissionen tagen und Studien erarbeitet und diskutiert werden. Viel mehr noch: Trotz dieser erstaunlichen Entwicklungen fällt ein Blick auf die Art und Weise, wie in der Öffentlichkeit, in der Politik und auch in den Medien über Wirtschaft geredet wird, außerordentlich ernüchternd aus. Nach wie vor ist pures Wachstum, gemessen als Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts, die zentrale Orientierungsgröße von Wirtschaft und Politik, Medien und Öffentlichkeit. Wie bei der sprichwörtlichen Frage, wer zuerst da gewesen sei, die Henne oder das Ei, ist es mittlerweile nicht mehr besonders wichtig zu erforschen, ob es die Politiker waren, die sich zuerst auf das Leitbild des quantitativen Wachstums des Bruttoinlandsprodukts verständigt haben, oder die Wirtschafts-

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