Wie ein Weltuntergang

von einem Weltuntergang, der in eine Familie hereinbricht – etwas, was viele Men- ... die Situation für Kinder: „Das habe ich bei den beiden Kindern meiner Schwester, von ... www.kirche-bremen.de · bremer kirchenzeitung März 2017 3.
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Charlotte Link: Sechs Jahre. Der Abschied von meiner Schwester. 320 Seiten, 19,99 Euro.

Wie ein Weltuntergang Über brutale Diagnosen, Einfühlungsvermögen und der Umgang mit Trauernden

„Da ist man in einen Abgrund gestoßen und kann auf die Frage nach dem Warum niemals alleine eine Antwort finden.“ – So beschreibt Charlotte Link ihre Ohnmacht, die sie noch immer empfindet, wenn sie an den Tod ihrer Schwester Franziska denkt. In „Sechs Jahre“, so lange dauerte die Leidensgeschichte, schrieb die Bestsellerautorin auf, wie sie die Tragödie an der Seite ihre Schwester erlebte. „Es ist die Geschichte von einem Weltuntergang, der in eine Familie hereinbricht – etwas, was viele Menschen erleben, wenn sie eine Krebsdiagnose bekommen. Ich war von den Geschehnissen traumatisiert, und das Aufschreiben war auch der Versuch, die Kontrolle darüber wiederzugewinnen.“

Allein das Signal „Ich bin für dich da“ hat geholfen 2012 starb Franziska mit 46 Jahren. „Nach so einem Einschnitt kann es nicht einfach weitergehen, auch wenn die Umwelt möchte, dass man möglichst schnell wieder funktioniert. Man spürt als Trauernder die Hilflosigkeit der anderen und baut eine Fassade auf, um nicht alle zu nerven. Das ist übermäßig anstrengend, und die Trauer ist natürlich nicht weg.“ Jeder Trauernde erinnere sein Umfeld daran, dass wir alle sterben müssen. „Darüber möchten wir nicht allzuviel nachdenken, deshalb wird das Thema oft schnell beiseite geschoben. Mir hat geholfen zu wissen, dass Menschen immer wieder ein offenes Ohr für mich hatten. Dieses Signal „Ich bin für Dich da“, auch wenn ich es nicht aufgegriffen habe, hat mich getröstet.“ Noch schwieriger ist die Situation für Kinder: „Das habe ich bei den beiden Kindern meiner Schwester, von denen eines noch sehr klein war, erlebt. Da ist Trauer erstmal gar nicht erkennbar, aber ein Vorhang geht zu. Erwachsene, zumal wenn sie selber trauern, sind damit überfordert. Deshalb sind Einrichtungen wie „Trauerland“ so wichtig. Denn dort gibt es Menschen, die wissen, wie sich Kinder öffnen können.“ Weil ihr diese Arbeit am Herzen liegt, war Charolotte Link kürzlich mit einer Benefizlesung zugunsten von Trauerland in Bremen zu Gast.

schränkten menschlichen Möglichkeiten nicht fassen kann. Aber ich hoffe darauf, dass ich nach meinem Tod eine Antwort bekomme. Diese Gewissheit wackelt auch mal, ich habe manchmal Zweifel und Ängste. Aber mich hält die Hoffnung aufrecht, dass ich meine Schwester wiedersehe. Vielleicht wird das ganz anders, als ich mir das jetzt vorstellen kann – aber daran halte ich mich fest.“ Mit ihrem Buch wird Link mittlerweile auch zu Medizinstudierenden eingeladen. „Von vielen Ärzten bekomme ich die positive Rückmeldung, dass sich dringend etwas ändern muss.“ Die Leser-Post füllt Körbe: „Viele Menschen fühlen sich in den großen Kliniken so schlecht aufgehoben.“ Der Austausch helfe ihr, die Kontrolle über ihr Leben wieder zu gewinnen. „Ich kann meinen Schmerz anders händeln. Diese Erfahrung möchte ich weitergeben, an Patienten wie Angehörige: Man fühlt sich nicht mehr so einsam mit seiner Tragödie, wenn man andere Menschen mit Namen, Gesichtern und Schicksalen vor sich hat, darüber mit anderen Betroffenen zu sprechen, tut gut.“ Gespräch: Matthias Dembski

| Foto: Blanvalet Verlag

Charlotte Link, Schriftstellerin

Kein Gefühl dafür, wie es sich für die Patienten anfühlt Charlotte Links Buch gibt Einblicke in den Krankenhausalltag, der für schwer kranke Patienten manchmal kaum erträglich ist: „Meine Schwester hat immer gesagt: Man müsste darüber schreiben, was mit Patienten passiert.“ Die Autorin hat ungeduldige, schroffe Ärzte erlebt. „Ein gereizter, manchmal auch herablassender Ton schlägt bei Sterbenskranken viel schlimmer durch als bei gesunden Menschen, die sich wehren können. Doch manche Ärzte haben kein Gefühl dafür, wie es sich auf der anderen Seite des Schreibtisches anfühlt. „Wir haben phantastische, sehr empathische Ärzte erlebt, aber leider auch negative Erfahrungen gemacht.“ Vieles hänge in solchen Ausnahmesituationen von der menschlichen Kompetenz ab – auch in der Seelsorge. „Mit meinem Gemeindepfarrer habe ich ein sehr gutes Gespräch geführt, als die Ärzte meiner Schwester nur noch wenige Monate gaben. Das hat mich aufgefangen, auch wenn er mir natürlich nicht sagen konnte: ‚Sie wird es schaffen!‘ Seine Worte ‚Der Wille Gottes wird geschehen‘ klingen zunächstmal nicht für jeden tröstlich. Aber für mich haben sie den Ärzten etwas von ihrer Allmacht genommen. Das hat mir Hoffnung gegeben.“ Sie habe auch gebetet, erinnert sich Charlotte Link: „Nicht nur Stoßgebete, sondern auch längere Gebete, dass es gut ausgehen möge.“ Dass dieser Wunsch nicht in Erfüllung gegangen ist, hat ihr Gottesbild nicht erschüttert: „Der Glaube ist immer in Bewegung. Wer sich in der Welt umschaut, findet vieles, was an einen gütigen und liebenden Gott zweifeln lässt. Ich habe das Bild, dass hinter allem eine Dimension steht, die ich mit meinen be-

Zentrum für trauernde Kinder und Jugendliche Spendenkonto: Sparkasse Bremen IBAN: DE11 2905 0101 0017 1999 77

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