Weintourismus - Buch.de

Vertrieb ....................................................................................... 49. 3 NACHFRAGE IM WEINTOURISMUS ...................................................... 55. 3.1. Weinkonsumenten .
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Weintourismus

Schriftenreihe Dienstleistungsmanagement: Tourismus, Sport, Kultur Herausgegeben von Prof. Dr. Axel Dreyer

BAND 16 Axel Dreyer Professor für Tourismusmanagement an der Hochschule Harz, Honorarprofessor an der Universität Göttingen

Juliane Ratz M.A. Tourism & Destination Development

Juliane Berauer M.A. Tourism & Destination Development

Weintourismus Marketing für Weinregionen und Winzer 2. überarb. und erw. Aufl.

ISBN: 978-3-941817-05-0 978-3-941817-25-8 978-3-941817-26-5 978-3-941817-06-7

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ITD-VERLAG, Elmshorn Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

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Weintourismus

INHALTSVERZEICHNIS VORWORT zur 1. Auflage .............................................................................. 6 VORWORT zur 2. Auflage .............................................................................. 7 1 GRUNDLAGEN DES WEINTOURISMUS .................................................. 9 1.1 Wer ist eigentlich Weintourist? Begriffsabgrenzung ..................... 9 1.2 Weintouristische Institutionen und Weintourismusstudien .......... 13 1.3 Synergieeffekte zwischen Weinbau und Tourismus ................... 14 1.4 Nationale Unterschiede in der weintouristischen Entwicklung .... 19 1.4.1 Alte Weinwelt ..................................................................... 22 1.4.2 Neue Weinwelt ................................................................... 26 2 MARKETINGINSTRUMENTE IM WEINTOURISMUS ............................. 33 2.1 Grundlegendes ........................................................................... 33 2.1.1 Strategisches Marketing im Weintourismus ....................... 33 2.1.2 Operatives Marketing im Weintourismus ............................ 35 2.2 Produkt ....................................................................................... 38 2.3 Kommunikation ........................................................................... 40 2.4 Vertrieb ....................................................................................... 49 3 NACHFRAGE IM WEINTOURISMUS ...................................................... 55 3.1 Weinkonsumenten ...................................................................... 55 3.2 Weintouristen ............................................................................. 62 4 ANGEBOTE IM WEINTOURISMUS ........................................................ 70 4.1 Weintourismus auf Destinationsebene ....................................... 72 4.1.1 Verknüpfung von Wein mit anderen Themen ..................... 72 4.1.2 Weintouristische Routen/Kooperationen ............................ 74 4.2 Angebote auf Leistungsträgerebene........................................... 81 4.2.1 Verkostungen ..................................................................... 81 4.2.2 Weinkeller-Besichtigung ..................................................... 84 4.2.3 Exkurs: Weinarchitektur ..................................................... 86 4.2.4 Straußwirtschaften/Winzer-Gastronomie ........................... 90 4.2.5 Hoffeste und Events ........................................................... 92 4.2.6 Beherbergung für Weintouristen ...................................... 103 4.2.7 Regionale Gastronomie und Kulinarik .............................. 105 4.2.8 Weinerlebniswelten .......................................................... 107 5 ZUKUNFT DES WEINTOURISMUS ...................................................... 110 LITERATUR ................................................................................................. 117 VERZEICHNIS ÜBER ERGÄNZENDE LITERATUR ................................... 130

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Weintourismus

VORWORT ZUR 1. AUFLAGE In der Tourismusbranche dominiert nicht mehr alleine der „sun & beach“-Urlaub. Andere Tourismusformen gewinnen – zumindest für den Zweiturlaub – an Bedeutung. Spezialund Nischenmärkte werden nicht nur für die großen Reiseveranstalter immer wichtiger, sondern stellen oft auch die Existenz für kleinere Veranstalter und Incoming-Agenturen dar. Für Destinationen mit einer Spezialausrichtung ist diese Entwicklung positiv; und nicht nur das: die Orientierung auf ein spezielles Marktsegment bedeutet oft auch eine Alleinstellung im Wettbewerb. Das vorliegende Buch behandelt den Spezialmarkt des Weintourismus. Während dieser für Reisekonzerne nur eine Randerscheinung darstellt, ist er für viele Weinbaugebiete ein wichtiges ökonomisches Standbein. Übergreifend über alle Marktteilnehmer ist festzustellen, dass die Bedeutung des Weintourismus zunimmt. Auf Reisen spielen leibliche Genüsse und regionale Produkte eine immer bedeutendere Rolle. In Deutschland brachte z.B. AMEROPA, der Reiseveranstalter der Deutschen Bahn, jüngst einen eigenen Katalog zu Genuss und Wein heraus und auch andere große Veranstalter bieten neue Produkte in diesem Segment an. In den Wein-Destinationen wird der Wettbewerb intensiver und die großen überregionalen deutschen Tageszeitungen widmen sich in ihren Reiseteilen immer häufiger interessanten Weinbaugebieten mit ihren touristischen Möglichkeiten, weil dies gerade für ihre Leserschaft von Interesse ist. Die wissenschaftliche Aufarbeitung des Weintourismus hat in der deutschsprachigen Literatur dagegen noch Nachholbedarf. Ende 2009 wurde deshalb in der deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft (DGT e. V.), der als Mitglieder auch zahlreiche Wissenschaftler aus Österreich und der Schweiz angehören, ein Arbeitskreis Weintourismus gegründet. Parallel entstand aus kleineren Forschungsprojekten, die maßgeblich von Juliane Müller erarbeitet wurden, das vorliegende Buch. Beide Autoren wünschen sich nun, dass auf dieser Basis die wissenschaftliche Aufarbeitung vorangetrieben wird. Inhaltlich soll dieses Buch einen Überblick über die bisherigen Forschungen im Weintourismus bieten. Verarbeitet wurde die relevante Literatur zum Weintourismus im deutschund englischsprachigen Raum. Dabei wurde deutlich, dass die Intensität der wissenschaftlichen Beschäftigung im englischen Sprachraum (zum Beispiel Australien) weiter fortgeschritten ist. Mit der vorliegenden Ausarbeitung besteht auf Grund der zahlreich verwendeten Quellen die Möglichkeit, an die bestehenden Forschungen anzuknüpfen. Der bibliografische Stil lässt schnelle Rückschlüsse auf die jeweiligen Autoren zu und das umfangreiche Quellenverzeichnis bietet hoffentlich eine wertvolle Hilfe für weitere Forschungen. Im April 2010 fand die erste wissenschaftliche Tagung des Arbeitskreises Weintourismus der DGT in Freyburg an der Unstrut statt. Dort, in Europas nördlichstem Qualitätsweinbaugebiet, befindet sich auch der Sitz von Deutschlands größter Sektkellerei, Rotkäppchen-Mumm. Das Unternehmen unterstützte nicht nur das Symposium, sondern mit seinem Wissenschaftssponsoring auch diese Veröffentlichung und ihre Verbreitung an alle Teilnehmer. Herzlichen Dank dafür. Juliane Müller und Axel Dreyer Wernigerode 6

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VORWORT ZUR 2. AUFLAGE In den letzten vier Jahren hat die Beschäftigung mit dem Weintourismus deutlich an Dynamik gewonnen. Zahlreiche junge Winzer haben in der jüngeren Vergangenheit den Betrieb von ihren Eltern übernommen; sie sind gut gebildet, haben Weinbau (z.B. an der Hochschule Geisenheim) studiert und denken ökonomisch. Der frische Wind, den sie mitbringen, tut der Branche gut. Nicht nur die Weine werden qualitativ immer besser, sondern auch die Ausrichtung auf die Kundschaft macht erfreuliche Fortschritte. So wird beispielsweise der Verkauf ab Hof („cellar door sales“) von immer mehr Winzern als wichtiges Standbein erkannt, das es auszubauen gilt. Hier kommen die Touristen ins Spiel. Sie machen einen Großteil der Kunden vor Ort aus. Und jeder Gast bietet die Chance, einen Stammkunden zu halten oder neu dazu zu gewinnen! Auch auf Seiten der Wissenschaft hat der Weintourismus an Bedeutung zugenommen. Eine Reihe von Organisationen und Institutionen haben das Thema fest im wissenschaftlichen Tagungsprogramm verankert. Und auch in den Branchenverbänden ist der Weintourismus Gegenstand von Tagungen. Eine Reihe von Beispielen zeigt dies:  



 

Die Tagung der Winzergenossenschaften im Deutschen Raiffeisenverband fand 2012 zum Thema Weintourismus statt, das Staatsweingut Weinsberg und die Architektenkammer Baden-Württemberg veranstalteten 2014 ein internationales Symposium „Kunde. Gast. Tourist_ Architektur. Wein. Genuss!“, die Academy of Wine Business Research (AWBR) widmete sich auf ihrer Jahrestagung 2014 an der Hochschule Geisenheim in mehreren Sessions dem Thema Weintourismus, Gleiches gilt für die Jahrestagungen der American Association of Wine Business (AAWE) und der European Association of Wine Business (EuAWE) und in der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft (DGT) tagte die Kommission Weintourismus seit der ersten Auflage dieses Buches 2012 in Oppenheim und 2013 an der Europäischen Akademie EURAC) in Bozen/Südtirol; für 2015 ist eine internationale Konferenz im Oktober in Wien geplant.

Die Liste ließe sich fortsetzen, zeugt aber auch so schon von der steigenden ökonomischen und wissenschaftlichen Bedeutung dieser ursprünglichen touristischen Nische. Aufschwung erhält der Weintourismus durch die gleichzeitig steigende Nachfrage nach dem (im Grunde genommen als übergeordnet anzusehenden) kulinarischen Tourismus. In der zweiten Auflage des Buches sind einige bedeutsame Aspekte vertieft worden (u. a. zum Direktvertrieb) und die Anschaulichkeit wurde durch eine besser strukturierte Gliederung sowie die zusätzliche Aufnahme von Beispielen und Fotos verbessert; einige sprachliche Ungereimtheiten wurden beseitigt. Die Autoren hoffen, dass dieses Buch weiteren und intensiveren Forschungen im Weintourismus dienlich ist. Zahlreiche Aspekte wurden angesprochen, eine vertiefende Analyse ist überall möglich. Das Zusammenwirken von Wein und Tourismus bietet zahlreiche Forschungsfelder, z.B. zur Wertschöpfung in den Weinregionen, zum Ausbau regionaler Produkte in Verbindung mit Wein und Tourismus, zu den Hemmnissen bzw. Erfolgsfakto7

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ren betrieblicher Kooperationen oder zum ökonomisch und sozial vertretbaren Maß der Erlebnisinszenierung weintouristischer Angebote, um nur einige aktuelle zu nennen. An der Hochschule Harz - unweit der Saale-Unstrut-Weinregion gelegen - werden wir die Forschungsarbeit fortsetzen. In der zweiten Auflage wurde das Autorenteam um Juliane Ratz erweitert, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Harz an einer ganzen Reihe von Forschungsbeiträgen zum Weintourismus beteiligt war. Juliane Müller ist die dritte im Bunde geblieben, neu ist jedoch ihr Name - sie heißt jetzt Berauer.

Axel Dreyer, Juliane Ratz, Juliane Berauer, Wernigerode und München im Frühjahr 2015

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GRUNDLAGEN DES WEINTOURISMUS

1.1 WER IST EIGENTLICH WEINTOURIST? BEGRIFFSABGRENZUNG Vor der Vinothek fahren landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge auf. Es ist 16:00 Uhr. Die Arbeiter genehmigen sich ein Gläschen Vernatsch vom Kalterersee zum Feierabend. Wir befinden uns in der „Ersten + Neuen“-Genossenschaft in Kaltern/Südtirol. Hinten an der Verkostungstheke steht ein Pärchen mit norddeutschem Akzent, das an der Kleidung erkennbar mit dem Fahrrad gekommen ist und „Grauer“ (ein Grauburgunder) und „Stern“ (ein Sauvignon Blanc) probiert. Draußen wird ein Auto aus München mit Weinkartons beladen. Ein buntes Völkchen Weintrinker hat sich hier eingefunden – Einheimische und Touristen. Sind die besagten Reisenden nun Weintouristen? Ein buntes Völkchen im Verkostungsraum der „Ersten und Neuen“ in Kaltern

Foto:

Dreyer

Was ist eigentlich Weintourismus? Was verstehen wir darunter? Zu Beginn ist es unumgänglich, diese Frage zu diskutieren, um das Erkenntnisobjekt und die dazu gehörenden relevanten Bereiche abzustecken. Zahlreiche Autoren, insbesondere im englischsprachigen Raum, haben sich dieser Frage gewidmet; dies wird im Folgenden diskutiert. Die meisten Überlegungen haben einen starken Nachfragebezug. Für die folgenden Ausführungen wird der Schwerpunkt auf Reisen liegen, bei denen der Wein als gewichtiger Rei9

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segrund anzusehen ist. Die „Auch“-Weintouristen, für die der Wein bei ihrer Urlaubsreise eher eine nebensächliche Rolle spielt (siehe analoge Abgrenzungen im Kulturtourismus), sind sicher für den Weinabsatz bedeutend; diese weisen aber eben nicht die weintouristi1 schen Besonderheiten auf, um die es in diesem Buch gehen soll. In der Tourismuswissenschaft existiert keine allgemeingültige Definition des Begriffs Weintourismus. Dennoch ist eine Vielzahl verschiedener Definitionsansätze zu finden. Der Begriff Weintourismus wurde zum ersten Mal zu Beginn der 1990er Jahre von der Austra2 lian Tourist Commission aufgegriffen. Im englischsprachigen Raum, insbesondere in Australien und Neuseeland, erfolgt dagegen seither eine intensivere wissenschaftliche Betrachtung dieser Thematik. Die Zahl der deutschsprachigen Veröffentlichungen zum Thema Weintourismus haben seit 2010 zugenommen. Nachfolgend fassen wir einen Teil der existierenden Definitionsansätze zusammen. Laut Europäischer Charta des Weintourismus werden unter Aktivitäten im Wein- und Tourismussektor all jene Aktivitäten oder Ressourcen des Tourismus und der Unterhaltung sowie Bewirtung verstanden, bei denen der Wein und die lokale Gastronomie der jeweili3 gen Gebiete mit der Kultur – materiell oder nicht – verbunden sind. JÄTZOLD stellt ebenfalls den engen Bezug des Weintourismus zum Kulturtourismus heraus. Er ordnet Reisen 4 in Weinregionen dem gastronomischen Kulturtourismus zu. Dieser übergeordneten Sichtweise wird die internationale Diskussion zum Begriff des Terroir noch stärker gerecht. Im Gegensatz zur engen Sichtweise, in der das Terroir unmittelbar den Boden und das Klima, in dem der Wein wächst, bezeichnet, wird von zahlreichen Autoren das Terroir umfassender gesehen. Hier wird die Kultur ebenfalls betont und zwar in Form der Traditi5 on, Lebenskultur, regionalen Identität und Sprache (Dialekte) einer Region. HALL definiert Weintourismus als „visitation to vineyards, wineries, wine festivals and wine shows for which grape wine tasting and/or experiencing the attributes of a grape wine 6 region are the prime motivating factors for visitors.“ Diese hauptsächlich nachfrageorien7 tierte Begriffsbestimmung wird von vielen Autoren aufgegriffen und ergänzt. ALI-KNIGHT betont dabei vor allem die Wichtigkeit von Erlebnissen im Weintourismus zum Ziel der 8 Befriedigung von Kundenwünschen. MACIONIS sieht den Weintourismus aus einem speziellen Interesse am Produkt Wein begründet. Die Motivation des Reisenden erfolgt daher vor allem aufgrund der Merkmale der Weinregion und der weinbezogenen Aktivitäten und 9 Erlebnisse vor Ort. JOHNSON stellt dagegen den Wunsch des Reisenden nach Erholung in den Vordergrund; dabei werden andere Reisemotive außer Acht gelassen, weshalb dieser 10 Ansatz nicht als umfassend angesehen werden kann.

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Vgl. Dreyer, A. (2012), S. 240. Vgl. ACIL Consulting (2002), Internet: www.aciltasman.com.au. Vgl. arev (2005), Internet: www.arev.org. 4 Vgl. Jätzold, R. (1993), S. 137. 5 Vgl. u.a. Croce, E.; Perri, G. (2010), S. 19. 6 Hall, C.M. et al. (2002), S. 3. 7 Vgl. Torterat, M. (2007), Internet: www.veilleinfotourisme.fr. 8 Vgl. Ali-Knight, J.; Carlsen, J. (2001), Internet: www.unisa.edu.au. 9 Vgl. Macionis, N. (1996), S. 265. 10 Vgl. Hall, C.M. et al. (2002), S. 5. 2 3

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Die Winemakers’ Federation of Australia (WFA) beschreibt den Weintourismus als „visitation to wineries and wine regions to experience the unique qualities of contemporary (..) lifestyle associated with the enjoyment of wine at its source – including wine & food, landscape and 11 cultural activities.” Der Besuch einer Weinregion ist laut WFA durch verschiedene Merkmale und Erlebnisse gekennzeichnet. Demzufolge beinhaltet er meist eine Weinverkostung und den Genuss von regionalen gastronomischen Produkten, das Erkunden der Landschaft vor Ort sowie kulturelle und naturbezogene Aktivitäten in der Weinregion. Weintourismus kann 12 in Form eines Tagesausflugs oder einer Mehrtagesreise erfolgen. Die South Australian Tourism Commission setzt die Aktivitäten im Weintourismus in den Mittelpunkt der Begriffsbestimmung. „Wine tourism can range from a visit to a single cellar door outlet while en-route to a main holiday destination to intensive week long, live-in 13 experiences focused on the wine process.” Diese vor allem nachfrageorientierten Definitionen können allerdings nicht als ausreichend angesehen werden. Laut GETZ wird der Weintourismus durch drei Hauptperspektiven bestimmt. Dazu zählen neben den Nachfragern sowohl die Weinproduzenten als auch die Tourismusorganisationen in der Destination. Demzufolge beschreibt er den Weintourismus als „travel related to the appeal of wineries and wine country, a form of niche marketing and destination development and an opportunity for direct sales and marketing on 14 the part of the wine industry.” Das war aus seiner kanadischen Sicht im Jahr 2000 sicher richtig, aber auch in den kanadischen Weinbaugebieten hat sich seither viel getan – dort hat der Weintourismus sein Nischendasein verlassen. Auch in Deutschland ist der Weintourismus ein Stück weit aus seiner Nische herausgetreten. Einige Aspekte dürfen als Argumentationshilfe dienen: Die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) hat das Jahr 15 2012 zum Themenjahr der Weinkultur erhoben und das Deutsche Weininstitut (DWI) kommuniziert den Weintourismus – u. a. mit einem MERIAN-Reiseführer zu den schöns16 ten Zielen in Deutschlands Weinregionen . Im Jahr 2014 wurde zwischen den beiden Institutionen ein Kooperationsvertrag unterzeichnet, um die Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen zu bündeln und somit die deutschen Weinregionen als attraktives Reise17 ziel auch im Ausland stärker zu vertreten. Auch Deutschlands größter Club, der ADAC, hat sich mit seiner Jahresgabe 2011 dem kulinarischen Tourismus verschrieben. Blättert 18 man das Heft durch, fällt auf, dass die Weinregionen einen zentralen Raum einnehmen. Im Ergebnis kann man festhalten, dass es keine einheitliche Definition des Weintourismus gibt. Dennoch können folgende Merkmale herausgestellt werden:   

die Beschäftigung mit dem Wein ist ein hauptsächliches Reisemotiv, die Destination besitzt einen Bezug zum Wein (Weinregion, Weinstädtchen etc.), im Rahmen der touristischen Aktivitäten vor Ort steht das Produkt Wein im Vordergrund.

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WFA (2002a), Internet: www.wfa.org.au. Vgl. WFA (2002b), Internet: www.wfa.org.au. South Australian Tourism Commission (Hg.) (1997), Internet: www.tourism.sa.gov.au, S. 4. 14 Getz, D. (2000), S. 4. 15 Vgl. DZT (2012), Internet: www.germany.travel.de, S. 1. 16 Weber, C. (2011), S. 1ff.. 17 Vgl. Deutsches Weininstitut GmbH (2014a), Internet: www.deutscheweine.de. 18 ADAC (Hg.) (2011). 12 13

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Darüber hinaus wird von der Mehrzahl der Autoren angemerkt:  

die Kooperation verschiedener Akteure – sowohl aus der Wein- als auch aus der Tourismusbranche – ist grundlegend, ja sogar systemimmanent und 19 es gibt eine enge Verbindung zwischen Wein- und Kulturtourismus.

Hinsichtlich des Stellenwertes der Thematik Wein im Rahmen der Reisemotivation kann der Weintourismus verschiedenartig abgegrenzt werden. Ist das Interesse am Wein wesentlicher Reisegrund, wird vom Weintourismus im engeren Sinne gesprochen. Weintourismus im weiteren Sinne liegt vor, wenn der Genuss von lokalen Weinen und die Besichtigung der Weinberge der Destination lediglich Teilbereiche eines umfassenderen Motivbündels darstellen. Diese Abgrenzung erfolgt in Analogie zu den Ausführungen von DREYER/MENZEL/ ENDREß zum Markt des Wandertourismus. Weintourismus im engeren Sinne beinhaltet demnach Aktivitäten von Personen, die an Orte außerhalb ihrer gewohnten Umgebung reisen und bei denen die Thematik Wein einen wesentlichen Faktor im Rahmen der Reisemotivation darstellt. Vom Weinurlaub kann gesprochen werden, wenn die 20 vorübergehende Abwesenheit vom Wohnort mindestens eine Übernachtung einschließt. Abb. 1:

Beziehungen zwischen Tourismus und Wein

Quelle:

In Anlehnung an Dreyer, A. et al. (2010), S. 39.

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Vgl. Dreyer, A. (2012), S. 240. Vgl. Dreyer, A. et al. (2010), S. 40.

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1.2 WEINTOURISTISCHE INSTITUTIONEN UND WEINTOURISMUSSTUDIEN Organisationen, die sich alleine dem Weintourismus widmen, gibt es in Deutschland nicht. Dennoch ist der Weintourismus Teil zahlreicher Branchen- und Wissenschaftsinstitutionen. In der Wirtschaft reicht dies von Weinbauverbänden über Winzervereinigungen bis hin zu Tourismusorganisationen der Weinregionen. Die nationalen Weinvermarktungsorganisationen zahlreicher Nationen widmen sich zudem mehr oder weniger umfangreich dem Weintourismus. Beispielhaft seien Australien und Deutschland genannt (siehe auch das Vorwort zur 2. Auflage und Kapitel 1.1). Forscher aus aller Welt beschäftigen sich mit dem Thema. Unter anderem werden Ergebnisse im International Journal of Wine Business Research (IJWBR), dem offiziellen Organ der Academy of Wine Business Research (AWBR) und dem Journal of Wine Economics veröffentlicht. In der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft (DGT) besteht seit 2009 ein Arbeitskreis Weintourismus, der seit 2014 zur Kommission Weintourismus/Kulinarik geworden ist. Die in bisher drei Symposien diskutierten Forschungsergeb21 nisse wurden in Tagungsbänden veröffentlicht. Dem Thema Weinwirtschaft und damit auch dem Weintourismus widmen sich zahlreiche Verbände, wobei es in der Regel eine zentrale Organisation in den jeweiligen Ländern gibt. Bei exemplarischer Betrachtung wichtiger Erzeugerländer sind dies unter anderem: „Conseil Interprofessionnel des Vins de Provence“ in Frankreich, „Wines of South Afrika (WOSA)“ in Südafrika oder „Vinos de Chile“ in Chile. In Italien herrscht bereits eine stärkere Konzentration auf den Weintourismus vor. Es existiert ein italienischer Weintourismusverband; im „Movimento Turismo del Vino“ sind ca. 1.000 Weingüter und Kellereien ver22 eint, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen. Eine zwischenstaatliche, internationale Organisation mit anerkannter wissenschaftlichtechnischer Zuständigkeit in den Bereichen Rebe, Wein, weinhaltige Getränke, Tafeltrauben, Rosinen und anderen Reberzeugnissen ist die Internationale Organisation für Rebe und Wein (OIV) mit Sitz in Paris; sie vertritt die Interessen von derzeit 45 Mitgliedsstaaten. In Deutschland fungiert das Deutsche Weininstitut (DWI) mit Sitz in Mainz als zentrale Marketing- und Kommunikationsorganisation für die deutsche Weinwirtschaft, die auch die Kommunikation weintouristischer Angebote übernimmt. Durch nationale und internationale Marketingaktivitäten fördert das DWI die Qualität und den Absatz der Weine aus den 13 deutschen Anbaugebieten. Zu den weiteren Kernaufgaben zählen Messebeteiligungen, regelmäßige Informationsdienste (z.B. in Form der jährlich erscheinenenden deutschen Weinstatistik) und das Angebot von Schulungen und Seminaren. Enge Zusammenarbeit besteht hier mit der Deutschen Weinakademie, aber auch mit touristischen Institutionen wie z.B. der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT), die für das Tourismusmarketing im Ausland zuständig ist. Zum Schwerpunkt Wein und Tourismus unterstützt das DWI bei der Etablierung von Wein- und Reisemessen, der Organisation von Events wie beispielsweise Weinwanderwochenenden, aber auch mit Schulungen von Mitarbeitern aus Gastronomie

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Siehe Dreyer, A. (2011); Scherhag, K. (2013); Lun, L.; Dreyer, A.; Pechlaner, H.; Schamel, G. (2013). Vgl. Movimento Turismuis del Vino (2014), Internet: www.movimentoturismovino.it.

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und Handel. Neben dieser bundesweiten Institution existiert darüber hinaus eine Vielzahl an Weinorganisationen auf Landesebene. Bei diesen Weinbauverbänden, die sich auf die einzelnen Weinanbaugebiete beziehen, handelt es sich um Mitgliedsverbände des Deutschen Weinbauverbands (DWV). In einigen besonders vorbildlichen Fällen gibt es Bürogemeinschaften von Weinbau- und Tourismusverbänden, was Synergien bei der Entwicklung und Verbesserung des Weintourismus zur Folge hat. Bestes Beispiel sind der Ahrwein e.V. und Ahrtal-Tourismus unter einem Dach in Bad Neuenahr sowie der Weinbauverband Sachsen und der Tourismusverband Sächsisches Elbland in Meißen.

1.3 SYNERGIEEFFEKTE ZWISCHEN WEINBAU UND TOURISMUS Neben der bloßen Definition des Begriffs Weintourismus ist in der Literatur eine Vielzahl von Konzepten und Modellen zu finden, die die Beziehung von Weinbau und Tourismus zum Gegenstand haben. Beide bilden eine Symbiose. Deutlich wird, dass Weinbau und Tourismus voneinander profitieren können. Durch den Weinbau prägen die Winzer die Landschaft innerhalb der Weinregion, die zu einem Attraktivitätsfaktor für den Tourismus wird. Zusätzliche – gerne auch von Touristen genutzte – Angebote wie Weinfeste, Weinlokale/ Straußwirtschaften und Weinkellerbesuche ermöglichen eine Verkostung der Weine und anderen lokalen Produkte. Oft münden diese Aktivitäten im Kauf der probierten Weine. Davon profitieren wiederum die Winzer, denen sich neue Kundenkreise und Ver24 marktungsmöglichkeiten erschließen. In einer einfachen, dreigliedrigen Darstellung fasst GETZ sein Modell des Weintourismus zusammen. Hierbei steht das Zusammenspiel von Anbietern, Nachfragern und Destinationsmanagement im Vordergrund. Bekannt geworden ist auch das komplexere Modell von Hall, das nachstehend zu sehen ist. In beiden Systemen erfolgt eine Betrachtung von Angebot und Nachfrage im Weintourismus. HALL bildet dabei detailliert das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure aus dem Wein- und Tourismussektor ab. Darüber hinaus steht die Wahrnehmung des weintouristischen Erlebnisses durch den Reisenden im Mittelpunkt. GETZ stellt insbesondere verschiedene Aktivitäten auf Anbieter- und Nachfrageseite gegenüber. Außerdem wird auf wesentliche Aufgaben der Destinationsmanagementorganisation hingewiesen; diese bildet das Bindeglied zwischen Anbietern und Reisenden in der Weinregion.

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Vgl. Deutsches Weininstitut GmbH (2014a), Internet: www.deutscheweine.de. Vgl. Mertesdorf, A. (2003), S. 36; Antz, C.; Dreyer, A.; Linne, M. (2006), S. 36.

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