Vor 100 Jahren: Ur-O-Pa zog in den Krieg

Jetzt wurden alle Türen eingerammt, alle Stockwerke, Gärten, Scheunen mit aufgepflanztem ...... Wir lesen Zeitungen von Hamburg u. einer sagt auch einmal ...
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U Am 4.8. überschritten deutsche Truppen die Grenze zum neutralen Königreich Belgien.

Vor 100 Jahren: Ur-O-Pa zog in den Krieg Aus meinem Kriegstagebuch vom 11.8. bis 21.9.19141 Do 6.8. 23 ½ Uhr Abmarsch aus der Kaserne der 31er Sa 8.8. 5 Uhr Ankunft in Aachen2, Quartier in Gschreiler.

Lüttich, belgische Stadt, ca. 30 km von der damaligen Grenze entfernt. Am 4.8. überschritten deutsche Truppen die Grenze zum neutralen Königreich Belgien. Plan war die Festung Lüttich, wegen Übergang über die Maas von strategischer Bedeutung, im Handstreich zu nehmen. Die Stadt konnte tatsächlich schnell eingenommen werden, nicht aber die Festungsanlagen. Erst der Einsatz der Kruppschen 42cm Mörsergeschützen brachte den Durchbruch (ein Augenzeuge: „Niemand kann sich eine Vorstellung von der durch die Explosion bewirkten Zerstörung machen. Es ist, als ob ein furchtbares Erdbeben das Unterste zuoberst gekehrt hätte.“) Der Widerstand in Lüttich verzögerte den Vormarsch der deutschen Armeen um 12 Tage, was letztlich zum Scheitern des Schlieffenplanes führte. (siehe ausführlichen Artikel in derFreitag 7.8.14)

11.8. Es geht 3h früh erst über Eerchen, wo wir das Bataillon trafen, nach Aachen, wo das Regiment zusammentraf (6h). Kurz hinter Aachen, wo unzählich viele Truppen liegen, wurde zuerst Halt gemacht. Ein Reservist widersetzt sich dem Befehl, u. wird festgenommen, u. nun können immer 2 Mann mit geladenem Gewehr ihn auf dem Marsch begleiten. Es wird immer heisser. Neben uns fahren Gussartillerie, u. Autos rasen hin u. her. Das erste Zeichen der Zerstörung ist ein verbranntes Auto. Die Häuser haben alle wegen der Einnahme von Lüttich geflaggt. Trotzdem man uns reichlich mit Wasser versorgt, bauen viele auf dem Wege ab. Es geht auf der Chaussee nach Lüttich. Jetzt wird die Küche angefahren, u. kaum ist das Essen im Geschirr, da geht es schon weiter. 12 ½ h wird mit Hurrah die Grenze bei Herbesthal überschritten. Jetzt mehren sich die Zeichen des Krieges: rechts u. links verbrannte Häuser, verdorrte Bäume, die zu Verhauen dienten. Kein Mensch zu sehn, die Bewohner scheinen ausgewandert. Auf die Truppen vor uns hat man geschossen aus den Häusern. Kinder u. Beim Überfall auf Belgien zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Battice aufgrund einer Frauen haben sich mit Revolvern bewaffnet u. Vergeltungsmaßnahme durch deutsche Truppen hinterrücks auf die Soldaten geschossen. Dafür hat man weitgehend zerstört. Angeblich hätten einige sich furchtbar gerächt. Ein ganzes Dorf - Battice - war Dorfbewohner als Heckenschützen (Franktireurs) völlig ausgebrannt, nur die Haustiere irrten auf den auf eine Ulanen-Schwadron geschossen. Da die Trümmern umher u. wurden Beute der räubernden Täter nicht zu ermitteln waren, trieben die Soldaten (Feldküchenkandidaten). Auch jetzt noch ist deutschen Soldaten die Einwohner zusammen, auf Patrouillen u. Radfahrer geschossen u. am Abend töteten 33 von ihnen und brannten anschließend 147 Häuser nieder. wurde 2 Soldaten, die im Graben zurückgeblieben h Battice hat heute ca. 4 000 Einw. waren, die Kehle abgeschnitten. In Julemont wurde 9 abends Quartier gemacht. Die z.T. verlassenen Häuser werden auf die verschiedenen Korporalschaften verteilt. Wir gehen in eines von diesen hinein u. durchsuchen es: nur die Kaninchen im Hof sind das einzig Lebendige, das wir finden. Am Markt wird eine Wache aufgestellt. Alles sammelt sich um den Brunnen, der von Ärzten untersucht ist, denn die Leute hier haben die Brunnen vergiftet. Darum müssen diese stets vordem probieren, bevor wir trinken. 12.8. Am nächsten Morgen geht es früh um 6h los, aber schon nach 2 Stden machen wir Halt, u. nach einiger Zeit kommt heraus, dass es überhaupt nicht weitergehen soll, sondern auf einer Wiese biwakiert werden soll. Es ist am Rande eines Dorfes, wo sich nun ein reges Leben entfaltet. Die Bewohner schaffen alle ihre Waffen herbei, das Haus des Pfarrers wird durchstöbert, der Weinkeller geleert u. eins seiner besten Schweine auf dem Hof geschlachtet. Mittags kamen die ersten 1 2

Orthographie, Abkürzungen und Unterstreichungen wie im Original Gelb unterlegte Ortsnamen finden sich auf der Karte

gefangenen Belgier durch. Man kann sich vorstellen, dass es nachts in den Zelten recht eng wurde, ich schlief unter freiem Himmel. Man hörte das stete Rufen der Vorposten. Die gr. Marinegeschütze schwiegen auch bald und so trat Ruhe ein.

The Fort de Pontisse is one of twelve forts built as part of the fortifications of Liège in the late 19th century in Belgium. It was built between 1881 and 1884. Liège first came under attack on 6 August 1914. When the Liège's fortifications proved unexpectedly stubborn, the Germans brought heavy siege artillery to bombard the forts with shells far larger than they were designed to resist. Pontisse was the first fort to come under bombardment from 42 cm artillery. It held out until 13 August 1914, when it surrendered, unable to resist any longer.

13.8. Nach diesem Ruhetag endlich wieder ein Marschtag. Über Troifontaisses ging es nach Wandre. Wir sollten das Fort Pontice stürmen. Da sich dieses inzwischen ergeben hat, was der Regimentsführer unter unsrem Hurra meldete, wandten wir uns über die Maaß, die wir um 1 ½ überschritten, auf Fort Liers zu. Von unserem Mittagsplatz Liers was heavily bombarded starting 13 May (?? kann 300m entfernt schlagen die ersten Granaten vom im Kontext eigentlich nur August gemeint sein). Liers' feindlichen Fort ein. Nun geht es auf die Höhe hinauf an neighbor, the Fort de Pontisse, surrendered the same einem alten Fort vorbei. Hier liegen Gewehre u. Tornister day, allowing the Germans to concentrate on Liers, von 89ern, die vor diesem Fort gefallen sind. Von einem war firing from the fort's vulnerable rear. Liers surrendered auch das Soldbuch noch da. Wir sehen jetzt das feindl. Fort on the 14th, with the interior of the fort uninhabitable due to dust, gun gas and sewage. vor uns: es ist ganz stumm geworden. Hinter uns aber feuert die Gussartillerie ihre Mörser hinein: ein grossartiges Schauspiel. Angesichts dessen wird auf freiem Feld biwakiert. Weit schaut man über das Land. Hier u. da Feuerschein von brennenden Dörfern. Welch buntes Leben auf dem Platz: einige sind Wasserholen gegangen; einige stellen unter Führung des Leutnants Haussuchungen an u. kommen mit allerlei Leckereien, bes. Wein, wieder an. Dann treiben sie ein Kalb herbei, das bald im Kessel schmort, ein guter Abendbraten, der leider erst um 10h ausgegeben wird. -

14.8. Die Nacht war kalt. Die Ruhe von einigen Böllerschüssen unterbrochen. Morgens Zelte abgebrochen u. in untätiger Ruhe verbracht. 8h wurde die weisse Fahne auf dem Fort vor uns gehisst. Genau 9 ¾ wehte schon die deutsch Flagge dort: das 1. Bat. hatte die Besatzung gefangen

abgeführt. Nachm. hiess es: Bat. antreten! Es geht auf das Dorf zu, von dessen Kirchturm die Flagge mit dem Roten Kreuz weht. Erst allmählich wird uns klar, worum es sich handelt. Der Hauptmann sprengt mit gezogenem Revolver voran u. befiehlt, das Dorf zu umstellen; 2 Bataillone waren dazu aufgeboten. Ein Zug von uns geh hinein, u. nun wird jedes Haus nach Waffen durchsucht. Alle Bewohner werden von Haus u. Herd zur Kirche getrieben. Man hatte nämlich auf Verwundete u. einen Arzt geschossen. Die Leute selbst ahnten gar nicht, worum es sich handelte. Einer lief noch zurück, um seinen Hut u. Mantel zu holen, andere waren ohne Habe mitgegangen. Jetzt wurden alle Türen eingerammt, alle Stockwerke, Gärten, Scheunen mit aufgepflanztem Seitengewehr durchsucht u. die ängstlichen Bewohner hinausgetrieben. Dann kommen wir zur Schule. Im Klassenzimmer liegen Tornister u. Stiefel der 89er hoch aufgestapelt u. Munition liegt dabei. Das Haus war verschlossen, der Lehrer „verreist“. Hatte man hier heimlich unsere Verwundeten erwürgt? Wir gehen in den Garten . Was ist das für ein Haufe frisch gegrabener Erde? Es wird befohlen nachzugraben u. 2 Leichen werden ausgegraben. Hier lag offensichtlich ein Verbrechen vor. Es wird Befehl gegeben, das Dorf anzuzünden u. schon schlagen die Flammen aus einigen Häusern, während sich etwa 350 Bewohner, meist Kinder u. Greise zum Dorfausgang bewegen. Es war ein schrecklich furchtbares Bild. Kinder jammerten, Greise lagen am Weg u. mussten auf Karren geschafft werden. Viel lieber wären sie in den Flammen umgekommen. Dazu das Wimmern der eingeschlossenen Haustiere. Wir kommen mit dem Hauptmann in die Kirche u. in das Haus des Pfarrers, der eben erst herangeholt war. Da lag sein Brevier u. Gebetbücher u. unten ein kühler Keller voll Wein. Dieser wurde fortgeschafft. Auch von einem Kolonialwarenladen wurde manches mitgenommen, so sehr auch der Schein, einen Raubzug zu begehen, vermieden werden sollte. Noch einmal wandte der Hauptmann mit mir sich ins brennende Dorf hinein u. zum Pfarrhaus. Wie wir eben bei einer Ananasdose sind, ertönt der Ruf des Majors, alles sollte sich sofort entfernen. Wir stürzen hinaus. Dichte Rauchwolken hüllen das Elend ein, noch einige Nachzügler, die sich schwer von ihrer Habe trennen konnten, u. dann bleibt eine Stätte des Jammers hinter uns. Der Zug zurück mit Körben voll Weinflaschen u. Butterfässern etc. glich doch einem Beutezug u. die Fama wird uns manches Weitere andichten. Abends vom Biwak aus sehen wir noch den Feuerschein: das Volk hat sich zerstreut: am schwersten sind die Unschuldigen betroffenen, sie müssen leiden für die Scharfmacher u. für eine Kirche, die zur Jagd auf wehrlose, verwundete Feinde aufruft. 15.8. Bis 11h nichts zu tun, ausser ½ Stde Exercieren, um die Disciplin etwas zu stärken. Dabei zeigte sich einer widersetzlich u. wurde an ein Wagenrad gebunden. Dies Vergnügen dauerte für uns nicht lange, denn um 12,15h liess der Major das Bataillon antreten. In Mullmort auf einer Wiese wurde Halt gemacht zum Mittagessen. Dann ging es nach 1 Stde Rast an dem furchtbar zerschossenen Fort de Liers vorbei. Bei diesem Marsch nach NW wurde die Bevölkerung viel freundlicher. Sie verkroch sich nicht in ihren Höhlen, sondern stand an der Strasse u. blickte uns freundlich nach. Die Sprache ist vlämisch, u. wir können uns auf Plattdeutsch einigermassen verständigen. Ein Aufruf war auf Deutsch, Vlämisch u. Französisch an die Bevölkerung Belgiens

gerichtet. Wir marschierten zu nächst auf der Strasse nach Tongres, bogen dann rechts nach Freeren ab, wo wir auf einer Wiese biwakierten. Die Leute saufen hier süsses Wasser, es war schwer, eine Pumpe im Dorf aufzutreiben. Man begnügt sich mit schmierigen Quellen, die hart am Wege sind. Nachts fing es an zu regnen. Da die Komp nicht genug Zeltbahnen mit sich führt, finden einige in den überfüllten Zelten keinen Platz. Sie schliefen draussen im Stroh u. wurden fix nass. 16.8. Bei der Parole wird bekannt gegeben, dass Franzosen, Belgier u. einige Engländer Stellung nördlich von Namur genommen hätten, 2 Armeekorps stark. Wir sollen sie mit 4 Armeekorps angreifen, unser Regiment sie umgehen. Die Belgier seien nicht als vollwertige Gegner zu achten, auch die Franzosen ? Gottlieb Graf von Haeseler (1836 - 1919) Wikipedia schreibt allerdings: Im Ersten Weltkrieg sind uns numerisch nicht überlegen. Es geht das Gerücht, erhielt er altersbedingt kein Kommando, Belfort sei von uns genommen. Wir vertrauen fest auf die begleitete aber als Beobachter das XVI. Armeebewährte Führung des alten Grafen Häseler, der die 1. Armee führt. Die 2. Armee ist durch Luxemburg gegangen. Korps, welches er bis 1903 befehligt hatte. Die 3. Armee, zu der wir gehören, steht in Belgien unter Führung von General von Einem. Die Bewohner haben Karl von Einem (1853 - 1934), Generaloberst im Brieftaube; sobald sie etwas über Truppenbewegungen Ersten Weltkrieg sowie von 1903 bis 1909 erfahren, schicken sie Tauben mit Meldung weiter. Heute Kriegsminister. Feldgottesdienst im Regiment. Leider war von der Predigt Ehrungen Karl von Einems durch Straßen- und nicht zu verstehen, u. so blieb die gewünschte Wirkung bei Platzbenennungen wurden in der Bundesrepublik wiederholt kritisiert und führten schließlich zu vielen aus. Umwidmungen. (Wikipedia)

17.8. Morgens 4 ½ geweckt u. 5 ½ Abmarsch. Es ging mit einigen Unterbrechungen zunächst nach SW, dann nach W um Tongres im Bogen herum. Wir marschieren am linken Flügel der 1. Armee, die sich gegen die franz-belgische Stellung wendet. Zu diesem Zweck ist es unmöglich, die Hauptstrassen zu, diese benutzt das 4. A.K. wir winden uns durch Nebenwege und Knicks über Vendomael, Brouckom, Voordt nach Aelst, vor dessen Rande wir das Biwak um 15 ½h aufschlagen. Die Landschaft nimmt erneut ausgesprochenen holländischen Tieflandcharakter an; grosse Pappelalleen schlängeln sich durch die hügeligen Felder u. Wiesen. Reizvoll u. friedlich liegt das Land da. Wie ein Misston klingt die Kriegsfanfare in das Idyll hinein, aber halb rechts verkündet ein brennendes Dorf ihre Schrecken. Andauernd sind wir von Flugzeugen begleitet u. haben nichts eiliger zu tun, als sie auf ihre Nationalität zu beobachten. Die deutschen tragen Der Begriff Flugzeugkokarde bezeichnet ein Hoheitszeichen auf militärischen Luftfahrzeugen, schwarzes Kreuz unter der Tragfläche, während die die in der Regel in den Nationalfarben des französischen eine blau-weiss-rote Kokarde tragen. Nun jeweiligen Staates gehalten sind. sind wir ziemlich nahe an die feindliche Stellung heran gerückt. Die Belgier haben nur 2 Armeekorps, die nicht so gut ausgebildet sind wie unsere, sie haben keine allgemeine Wehrpflicht, die Franzosen haben 2 Jahrgänge Rekruten. Ausserdem schiessen sie alle zu hoch, sodass wir unter ihrem Kugelregen lustig unsre Sprünge machen. Wenn sie bloss nicht wieder ausreissen u. wir noch weiter hinter ihnen herlaufen müssen. - Hier im Dorf sind keine Lebensmittel mehr zu haben. Es ist alles mit Soldaten Ein Schrapnell, auch Granatkartätsche genannt, überfüllt. Die Forts von Lüttich sind gefallen, so dass wir 6 ist eine Artilleriegranate, die mit Metallkugeln freie Armeekorps gegen den Feind schicken können. Er gefüllt ist. Diese werden kurz vor dem Ziel durch muss fallen! eine Treibladung nach vorn ausgestoßen und dem Ziel entgegengeschleudert. Eingesetzt wurden sie gegen 'Weichziele', also gegen berittene und 18.8. Nun glücklich am Feind. Nun kann ich dies in einem unberittene Truppen und ungepanzerte vom Feinde verlassenen Schützengraben aufzeichnen. Wir Fahrzeuge. Die Wirkung gegen aufrechte, stehen an der Chaussee nach Tirlemont. Über uns sausen ungedeckte Ziele war verheerend. die Schrapnells. Das erste was wir vom Feind sahen, waren seine im Graben zurückgelassenen Keks. Wir sollen die Artillerie unterstützen. Die Feldküche fährt auf. - Durch Tirlemont. Szene vor dem Bahnhof

Kumptich am Abend erreicht. Alarm. Einige belgische Abteilungen vor dem Dorfausgang. Auf der Chaussee nach Löwen. Dann links ab bis nach St. Georges, Loonbeek, Waterloo, Braine le Chateau. Hier Quartier beim Pfaffen. - 21.8. Ruhetag.

Nach der Einnahme von Löwen, kam es am 25.8. in Löwen zu Schießereien, angeblich durch belgische Freischärler ausgelöst. Als Strafaktion wurde die Stadt von den Deutschen in Brand gesteckt, 248 Bürger starben und auch die Universitätsbibliothek mit 100 000 Büchern wurde vernichtet. Die Zerstörung Löwens und die massenhafte Erschießung von Zivilisten gelten als eines der schlimmsten deutschen Kriegsverbrechen des Ersten Weltkriegs. Auch wenn beim Massaker von Dinant mehr Menschen getötet wurden, löste der Fall Löwen als „Kulturgreuel“ im Ausland ein großes Echo aus. Auch in Staaten, die nicht im Krieg mit Deutschland waren, führte die Zerstörung Löwens dazu, dass sich die öffentliche Meinung gegen Deutschland wandte.

22.8. Am nächsten Tag nach Braine le Comte marschiert. Ankunft 3h. In Bijouterie-Laden wird kampiert: strengstes Alarmquartier. Der Franzose hat sich aufgemacht, um Namur zu entsetzen. In dem Goldladen werden von der ganzen Strasse Lebensmittel für die Kompanie abgeladen. Nat. nahmen sich die Feldwebel das Beste, u. für die anderen Korporalschaften blieb herzlich wenig übrig. Nachts bei den Pferden im Stall geschlafen, doch konnte ich wegen des Fiebers u. der vielen Flöhe nicht schlafen. Die Familie des Goldwarenhändlers war sehr lebhaft u. sobald man nur eine Bitte äusserte, überschüttete sie uns mit einem Redeschwall, in dem sich mehr Drückerei als Bereitwilligkeit aussprach. Im Hof auf einer Kiste sitzt der Spieß. u. stellt die Zahl der fehlenden fest. Er spielt jetzt nicht mehr die Rolle wie in der Kaserne beim alten Papa v. Plato. 23.8. Am Morgen mit Fieber aufgewacht. Stellte mich dem Arzt, der mir nur riet, mein Halstuch etwas höher zu ziehen. Na, Meitmann, der andere 'Rabe des Odin' nahm mir meinen Tornister ab, sodass mir der folgende Marsch über Sognies u. St. Denis nach Aubourg nicht schwer fiel. Hinter Aubourg hatte der Feind sich verschanzt. Wir rücken zunächst aufs Feld in Deckung eines Waldes, währen die 35. Brigade u. ein Bat. der 85er den Feind angreifen. Der Kampf zieht sich von 12h bis abends hin. Die anderen Komp unsres Bat werden noch eingesetzt. Wir bleiben zur Deckung der Division u. erhalten nachher den ehrenvollen Auftrag, die Toten des Schlachtfeldes zu bergen. Das Schlachfeld war weit grösser. Links von uns rückt die 17. Div. heran. Mons, eine gr. Stadt im SW war vom 3 Korps angegriffen. Die Gegner waren Engländer. Einzelne Gefangene kommen an uns vorbei: breite Sportmütze, graue Lodenjacke, Wickelgamaschen. Schnürschuhe; sie sind gute Schützen und tüchtige Soldaten. Söldner. Unter einer Schar war ein Bursche von 15 Jahren, daneben ein Alter, der eben aus Indien

„Zwei Raben sitzen auf seinen [Odins] Schultern und sagen ihm alles ins Ohr, was sie sehen und hören. Sie heißen Hugin und Munin. Bei Tagesanbruch entsendet er sie, um über die ganze Welt zu fliegen, und zur Frühstückszeit kehren sie zurück. Von ihnen erfährt er viele Neuigkeiten.“

Schlacht von Mons 23. u. 24.8. zwischen Verbänden der deutschen 1. Armee und den Hauptkräften der British Expeditionary Force (BEF): Mehrere 1000 Tote. Die deutschen Truppen hatten die britischen Verbände aus zum Teil idealen Verteidigungspositionen hinausgedrängt und das Schlachtfeld behauptet. Allerdings erwies sich der taktische Erfolg auf lange Sicht als ernster strategischer Fehlschlag. Die 1. Armee war frontal auf den äußersten linken Flügel des gegnerischen Aufmarsches gestoßen – und hatte diesen nicht, wie konzeptionell fest vorgesehen, mit ihren Hauptkräften umgangen. Bei Mons entzog sich die BEF der drohenden Umfassung und Vernichtung durch einen geordneten Rückzug.

Wikipedia: John Parr (* 1898 in Finchley, Vereinigtes Königreich; † 21. August 1914 in Obourg, Belgien) gilt als der erste britische Soldat, der im Ersten Weltkrieg getötet wurde. Parr war bei Kriegsausbruch erst 16 Jahre alt und damit eigentlich zu jung um in der Armee zu dienen. Es war aber nicht unüblich, dass junge Männer ihr Alter fälschten, um trotzdem akzeptiert zu werden. Parr wurde als Aufklärer mit dem Fahrrad eingesetzt. Er fuhr mit dem Fahrrad den vorrückenden Truppen voraus, um Informationen zu sammeln, die er dann schnellstmöglich an seine Vorgesetzten zurückmeldete. Am 21. August 1914 wurde Parr mit einem anderen Soldaten in Richtung des Ortes Obourg nördlich von Mons geschickt, um festzustellen, wo sich die deutschen Truppen befanden. Es wird angenommen, dass sie auf eine Kavalleriepatrouillie der deutschen Ersten Armee trafen und dass Parr in einem sich daraus ergebenden Feuergefecht getötet wurde, während sein Begleiter sich zurückzog, um die entsprechende Meldung zu machen. Parr liegt heute auf dem Soldatenfriedhof von St. Symphorien östlich von Mons begraben. Sein Grabstein gibt das falsche Alter von 20 Jahren für ihn an.

gekommen war. Nun lagen sie am Wege, jammerten nach Wasser. Schreckliche Bilder boten die Verwundeten, die bis zum späten Abend vorbeikamen. Und wir bei alledem nur Zuschauer!! Aubourg ist stark zusammengeschossen, die Bewohner sind geflüchtet. Eine Fabrik an der Bahn, deren Fenster mit Säcken ausgefüllt waren, hat uns viel zu schaffen gemacht, bis unsre Artillerie sie zusammen geschossen hat u. sie nun eine Leichenhalle ist. Nachts im Treibhaus eines Schlossgartens zur Bewachung der Division. 24.8. früh 5 ½ Abmarsch, das Bat. kommt zusammen. Erlebnisse werden ausgetauscht. Die Engländer sind zurückgegangen, Mons ist in unseren Händen. Die braven 85er haben viel Verluste. Nun erhalten wir wieder den Auftrag, unsere Artillerie zu decken, die noch einige Batterien niederkämpfen muss (ein ganzer Eisenbahnzug mit Geschützen wurde gestern gekapert). Fast unmütig über solch wenig ruhmvolle Aufgabe zogen wir auf der Chaussee nach Harmiguies ab. An der höchsten Stelle angelangt sehen wir über uns einen französischen Flieger kreisen. Die 17. Div. beschiesst ihn ohne Erfolg. Da richten die feindlichen Geschütze auf einmal auf uns das Feuer. Schnell haben sie sich auf die Chaussee eingeschossen. Ihre Geschosse schlagen dicht bei uns ein. Wir haben im Seitengraben Deckung genommen. Ein elender Zustand, wenn man nicht weiss, wohin man sich retten kann, u. auch nicht dem Feuer widerstehen kann. Jetzt suchen wir bessere Deckung durch Kriechen bis zur Biegung der Chaussee. Dicht bei uns schlagen die Schrapnells ein. Des Hauptmanns Pferd fällt tot zu Boden. Da vorne an der Ecke empfängt uns Gewehrfeuer aus dem nächsten Dorf. Es muss ein Patrouille gewesen sein, denn nachdem das Dorf von unsrer Artillerie beschossen war, ist alles leer, u. wir haben freien Zugang zum Requirieren. So sitzen Beschlagnahmung von zivilen Sachgütern für Heereszwecke wir nun dort in der Mittagshitze. Auch die beiden anderen Züge sammeln sich mit 4 Verlusten. In ein Patrizierhaus wird die Companie in Deckung geführt. Posten bleiben auf den Höhen, u. wir beobachten wie unsre Truppen allenthalben vorgehen. Ab und zu schlagen noch Schrapnells bei uns ein. Im Hause wurde eifrig requiriert, Feldwebel? auch war ein Klavier u. eine Geige da, über die Felder Lübke u. ich uns gleich hermachten. Aber der Hauptmann winkte ab. Draussen von der Veranda ein Blick ins friedliche Land über das Dorf auf die dahinter liegenden Höhen: welch ein Friede, den wir Menschen immer wieder zerstören müssen! Um 7 wird nach Nouvelles abmarschiert. Dort treffen wir mit dem Bat. zusammen. Nach kurzer Ruhe unter dem Sternenhimmel geht es um 10 zum Nachtmarsch nach SW bis vor Genly. 25.8. Dort wird unter freiem Himmel bivaquiert. Ich schlief fein in meinem Stroh ein, die Sterne des Himmels hielten Wacht. - morgens früh ging es weiter. Wir umgehen die Festung Maubeuge Vordem sollen wir einen Ausfall der dort eingeschlossenen Engländer u. Franzosen verhüten u graben uns nachm. auf freiem Felde bei Tessnier sur Hon ein. Um 2 nachm. wird auf der Strasse Sart-la-Bruyere bis Bavay die französische Grenze unter Hurra überschritten. Unseren schönen Graben vor Tessnieres müssen wir bei Dunkel verlassen, um eine vom 1. Bat. verlassene Stellung zu beziehen. Der Stab des Hauptmanns baut sich ein Zelt. Von jeder Gruppe sollen 2 Mann beobachten. Der 2. Zug findet seinen Graben überhaupt nicht. Macht auch nichts, denn um 1 Uhr,

Als eine Stadtfeste ist Maubeuge eine alte Bastionsbefestigung, die als Zentrum eines umfassten Lagers mit ca. 25 Kilometer Durchmesser diente. Sie wurde zum größten Teil nach dem Krieg von 1870/71 erbaut; nach dem Aufkommen der Brisanzgranate um 1890 wurde sie modernisiert und verstärkt. Am 28. August 1914 stießen 60.000 deutsche Soldaten auf den Festungsring von Maubeuge und begannen sofort mit dessen Belagerung. Die Artillerie beschoss und zerschoss die Verteidigungsanlagen nach und nach mit ihren Granaten. Mit ihrem veralteten Material konnte die französische Verteidigung sich nicht adäquat wehren. Am 7. September gab der Festungsgouverneur General Joseph Fournier die Kapitulation bekannt. Die Deutschen machten bei der Kapitulation der Festungsstadt etwa 45.000 Gefangene.

26.8., als wir im ersten Schlummer lagen, kommt Befehl zum Abrücken. Am Marktplatz sammelt sich das Bat. Auf der Strasse nach Bavay treffen wir mit der ganzen Brigade zusammen. Alles drängt sich auf dem Weg entlang. Durch das ganz entvölkerte Bavay geht es schnell, bis wir um 5 ½ ganz ermüdet in Mecquignies ankommen. Nun waren wir den ganzen Tag ohne Essen u. die Nacht auch noch unterwegs, aber trotzdem dachten wir nicht an Schlaf. Uns wurde ein Haus als Quartier angewiesen, aus dem die Bewohner geflohen waren. Die Türen wurden schnell erbrochen, u. nun gerieten wir in einen Kaufladen, in dem ungeheuer viel zu holen war: Unterhosen, Nägel, Fusslappen, Keks, Marmelade: alles lag bald kreuz u.quer durcheinander. Dann wurde geschlafen u. gegessen. Um 4 ¼ marschierten wir ab. Hinter Obies kamen wir durch einen schönen gr. Wald, den wir bis Dunkelwerden noch nicht verlassen haben. An einer Kreuzung hielt der Regimentsstab u. verteilte Quartiere. Um 10 rückten wir nach unsrem Quartier bei Dunkelheit. Keiner von den Führern (wir gingen mit der 7. Komp) wusste recht den Weg. Das gab viel Unmut. Dazu setzte noch ein Landregen ein. So zogen wir durch den finstren Wald. Endlich kam ein Verhau u. eine Kate. Der Kätner sollte uns führen. Er schien total besoffen, brachte uns aber um 1 Uhr nach Preux-au-Bois. Während die Züge je auf ein Haus verteilt wurden, klopften wir mit dem Hauptmann an einer Spelunke an. Als geöffnet wurde, empfing uns ein grässlicher Schnapsgeruch u die verzerrten Gesichter von 4 verkommenen Gestalten. Da war nicht gut schlafen. Drum nahmen wir den Hühnerstall, dessen Bewohner gewiss in irgend einem Kochkessel der vor uns durchgekommenen Truppen schmorten u. ruhten 5 Stunden von des Tages Last aus 27.8. Heute morgen wird endlich ¼ Brot pro Mann empfangen. Aber was ist das? Bei unvollkommener Verpflegung sind wir schon ganz schwach geworden. Die Bewohner rücken auch nichts heraus. Auch liegen in den einzelnen Orten zuviel Truppen, als dass man noch etwas kaufen könnte. Viele der Bewohner verliessen ihre Dörfer. Gestern kamen sie in ihre verwüsteten Häuser

zurück u. sammelten unter reichlich Tränen ihre übrig gebliebenen Habseligkeiten auf. Uns fielen einige Zeitungen in den Händen voll von Der Erste Weltkrieg fügte Le Cateau-Cambrésis Gehässigkeiten gegen die Deutschen u. von schwere Schäden zu. In der Schlacht von Le erlogenen Siegen. So wird Stimmung gemacht. Cateau am 26. August 1914 widersetzten sich Aber bei uns ist es nicht viel besser. Jeder denkt britische Soldaten dem deutschen Vormarsch und nur an sich u. wenn es zu doll wird, wünscht er ermöglichten so den Franzosen, sich für die sich eine Kugel durch den Kopf. Dazu kommt der Marneschlacht neu aufzustellen. Die englischen in fast jedem Hause gefundene Wein, der die Batterien wurden schnell zerschlagen und die Deutschen nahmen nach einem erbitterten Leute schlaff u. gereizt macht. Unser heutiger Straßenkampf Le Cateau ein. Im Oktober 1918 Marsch führte uns über Fontaine au Bois u Pommereuil nach Le Cateau. Der Weg führte über wurden die Reste der Stadt durch eine deutsche Kanonade völlig zerstört. das Schlachtfeld von gestern, wo unsre braven 72er zuerst mit 3 feindl. Divisionen den Kampf aufnahmen u. von andren Regimentern unterstützt den Feind aus Le Cateau hinaustrieben. Wir wohnten mit dem Hauptmann zusammen in einem Bürgerquartier. Die Leute sind freundlich, doch vorsichtig. In der Stadt liegen fast 3 Armeecorps. Abends 10 Uhr erhält der 3. Zug den Auftrag, in Montay englische und franz. Verwundete zu bewachen. Ich musste in den Häusern umhergehen u. einen Feldwebel holen. Schließlich finde ich einen auf einem Bett liegen, gar nicht gewillt mitzugehen. Hatte wohl Angst. 28.8. Der Zug wurde bis 10 ½ von einem verwundeten Major zurückbehalten, bis dieser von uns abgeholt wurde. Die Verwundeten, meist 66er u. 86er erzählten uns von dem Gang der Schlacht gestern. Zuerst drohte das ganze Regiment 72 aufgerieben zu werden, als es sich unvorsichtig nach Le Cateau hineinwagte u. fast umstellt wäre, dann kam Ersatz: das 3. Armeekorps hatte den Feind durch umgreifen an den Flügeln geschlagen. 40 000 gegen 100 000. Viele Gefangene. Doch wurde die Verfolgung durch Drahthindernisse erschwert. Inzwischen war das ganz 9. Armeekorps um 8 von Le Cateau abmarschiert. Wir gingen um 245 aus unsrem Quartier, das wir 5 mit dem Hauptmann bezogen hatten, also am Ende des Korps. Wir kamen über das Schlachtfeld. Die Von den 40.000 Alliierten waren 7.812 getötet, Feinde hatten sich überall frisch eingegraben u verwundet, oder gefangengenommen. 38 waren - ein Beweis von aufopferungsvoller Treue Geschütze mussten von den Alliierten zurückgelassen werden; die Mehrzahl konnte - im Graben erschossen. 45 feindl. Geschützte untauglich gemacht werden. Auf deutscher Seite standen noch auf dem Feld, die Toten hart an ihnen, mit den Händen noch ihr Geschütz fassend. waren etwa 3000 Mann gefallen, verwundet oder gefangengenommen. Dann gings weiter an stinkenden Pferdeleichen u Gefallenen vorbei stracks nach Süden durch Reumont, Maretz nach Brankourt. Das letztere Dorf wird umgangen, auf Schleichwegen die Kirche erreicht u. in ihrer Nähe werden die Häuser für die einzelnen Züge verteilt. 4

28.8. Es heisst, der allgemeine Kriegsplan sei, so schnell wie möglich Paris zu erreiche. Dort sollen sich die 3 Armeen treffen u. Frankreich zu einem Frieden zwingen. So stehen also noch grosse Marschtage bevor.

Die deutsche Angriffsplanung nach dem Schlieffen-Plan aus dem Jahr 1905

29.8. Über Ioncourt bis Bellenglise, Beauvois Quivieres bis Guizancourt Dort Massenquartier in elenden, niedrigen Baracken. Der Stab: Meitmann, Schweiger, Mitnowski, Görlitz u. ich, die Feldwebel Kurth u. Weede beim Hauptmann. Wir kochen uns auf dem Hof über Holzfeuer 3 Hühner u. 1 tüchtigen Topf Kartoffeln. Am Gitter nach der Strasse kamen die vielen Nachzügler vorbei, die auf dem anstrengenden Marsch nicht mehr mit konnten, u. schauten sehnsüchtig auf unser köstliches Mahl. Felder Deutsch-Französische Krieg 1870/71: Das Gefecht Weede hat den Auftrag für uns zu requirieren. Der bei Beaumont fand am 30. August 1870 im Hauptmann ist zufrieden, wenn er ein gutes Lager, eine Vorfeld der Schlacht von Sedan statt. Teile der Flasche Wein u. warmes Abendessen hat. Um 11 kamen deutschen 3. und 4. Armee schlugen Teile der wir erst zur Ruhe. französischen Châlons-Armee, die die eingeschlossene Rheinarmee entsetzen wollte, sich nun aber nach Sedan zurückzog und drei Tage später kapitulierte. 11 000 Soldaten starben.

30.8. Jahrestag der Schlacht bei Beaumont. Es geht über Croix, Moyennes, Hombleux bis Cassy. Plötzlich wird Kehrt gemacht. Statt nach SW geht es nun stracks nach O u. dann SO. Man sagt, der Feind sei abermals aufs Haupt geschlagen u. zöge sich nun nach SO zurück u. sollte von uns bis zur Erschlaffung verfolgt werden. Freilich, wer zuerst erschlafft sein wird, sagt man nicht. Denn auf dem bei wieder wolkenlosen Himmel u. starker Hitze zurückgelegten Marsch bauten viele ab. Von der 7. Komp. fehlten allein 100 Mann. In ganzen Kolonnen fielen sie zur Seite. Darum soll für die Komp. ein Wagen requiriert erden, auf den alle Tornister gelegt werden. Diese drücken am meisten auf die Füsse u. auf das Herz. Wir gehören nun zur 2. Armee. Von unsrer Komp. werden Vorposten aufgestellt. Einige Schüsse fielen nachts. Sonst wurde unser Schlaf nicht viel gestört. Wir schliefen im Graben unter dem glänzenden Sternenhimmel. Ruhig stieg am Horizont der Mond auf. Ja, nach Ruhe sehnen wir uns. In der Ferne rauschte ein Wald. Im stillen Säuseln vernimmst Du Gottes Stimme, aber im Lärm der Schlacht ist Er dir fern. Die Landschaft wird immer lieblicher. Die Dörfer sehen einfach kläglich aus. Einstöckige Lehmkaten mit schiefen Fenstern u. ungepflegten

Strassen. Die Leute, schmutzig u. hässlich, sind uns aber recht gefällig u. schleppen sich an Wassereimern fast tot. Die Gegend ist von Pappelalleen durchzogen, die wie grosse Orgelpfeifen erhaben in der Gegend stehen. Viele Siege werden uns gemeldet u. mit Hurra wird die Anerkennung aufgenommen, die der Kaiser an die 1. Armee gerichtet hat. Darin wird der Sieg bei Tannenberg über die Russen und unserer Flotte über die englische3 gemeldet.

Die Schlacht bei Tannenberg war eine Schlacht des Ersten Weltkrieges und fand in der Gegend südlich von Allenstein in Ostpreußen vom 26. bis 30. August 1914 zwischen deutschen und russischen Armeen statt. Die deutsche Seite stellte hierbei 153.000 Mann, die russische Seite 191.000 Soldaten ins Feld. Sie endete mit einem Sieg der deutschen Truppen und der Zerschlagung der ins südliche Ostpreußen eingedrungenen russischen Kräfte. Ca. 33 000 Tote. Anfänglich in den deutschen Medien als „Schlacht bei Allenstein“ bezeichnet, wurde sie auf Wunsch Paul von Hindenburgs kurze Zeit danach zu Propagandazwecken in Schlacht bei Tannenberg umbenannt. Tatsächlich liegt nicht die Ortschaft Tannenberg (heute Stębark) unmittelbar im Hauptkampfgebiet, sondern Hohenstein. Mit der Namensgebung sollte die in der deutschen Geschichtsschreibung als Schlacht bei Tannenberg bezeichnete Niederlage der Ritter des Deutschen Ordens gegen die Polnisch-Litauische Union im Jahre 1410 überstrahlt werden.

31.8. Heute morgen ging es kurz nach 7 los. Das Bat. war schon vor uns. Wir holten es später ein. Mitten auf dem Marsch fuhr der Wagen an die Kolonnen heran, der für die Tornister requiriert wer. Endlich den Affen los!! Nun geht es mit frischen Mut, die Mundharmonika im Munde weiter. Wahnsinnige Hitze! An uns ziehen vorüber grosse Wagen mit Bauern, die ihre Wohnungen verlassen. Vor Trosly sur Loire wird 3 Std. Halt gemacht. Bei Dunkelheit marschieren wir in das Nest ein. Wir sollen auf Vorposten die Linien am Canal bei Guny besetzen. Auf dem Aus: Der Postillion von Nikolaus Lenau, 1843: Marsch kommen uns 5 herrenlose Rosse entgegen. Also ihre Reiter abgeschossen? Die Komp geht in je 2 Rotten rechts u. links der Strasse Schlummernd lagen Wies und Hain, Jeder Pfad verlassen; vorsichtig vor. In Guny huschen 2 Radfahrer an uns vorbei. Sonst Niemand als der Mondenschein Stille: „Niemand als der Mondenschein wachte auf der Strassen.“ Ein Wachte auf der Straßen. Müller muss uns den Weg nach dem pont de Coucy zeigen. Dort auf der Brücke begegnen uns 3 Husaren: sie suchen ihre Pferde, sie sind mit feindlichen Reitern zusammengeraten. Die Umgegend wird durchsucht. 2 Züge besetzen die nächsten Brücken über den Canal. Der Hauptmann bleibt beim 1. Zug. Der Bürgermeister des Dorfes wird herangeholt und verbringt die Nacht als Geisel bei der Wache. -

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Tatsächlich war es anders: Am 28. August unternahmen die Briten einen überraschenden Vorstoß gegen die Vorpostenlinien in der Deutschen Bucht, daraus entwickelte sich das für die deutsche Hochseeflotte verlustreiche erste Seegefecht bei Helgoland. In der Folge befahl Kaiser Wilhelm II. als oberster Befehlshaber der Flotte die zukünftige Zurückhaltung und Vermeidung von Aktionen, die zu größeren Verlusten führen könnten (1. Oktober).

1.9. In der Nacht blieb es ruhig. Wir rücken früh nach Trosly zurück, wo sich die Komp. sammelt. Hier wird ein Konfektionsladen belagert: bald sind wir alle mit neuen Hemden und seidenen Taschentüchern versehen. Abmarsch der Div. 10h. Wir kommen durch Vezaponin. Bei Fontenoy wird die Aisne überschritten, auf einer provisorischen Brücke. Die Fahrzeuge mussten auf einer Föhren4 übergesetzt werden. Dabei fiel die Feldküche der 7. Komp. ins Wasser, was bei der Truppe zuerst Bedauern, dann aber den alten Humor hervorrief. Um 2 ½ Rast unter einem Kiefernwäldchen (die ersten Kiefern, die ich in Belgien u. Frankreich sah). Der Marsch wird bei gr. Hitze fortgesetzt. Wir erreichen Valsery u. Mongobert, wo wir Quartier machen. Das Dorf liegt reizend hart am Walde. Die Bewohner wie fast überall ärmlich. Unsere Familie, bei der wir unterkamen, zählte 6 Köpfe in 2 kl. Zimmern. Die Leute gaben ihre Betten her u. wir 4 vom Stabe sorgten reichlich für des Hauptmanns Wohl. Die Häuser, fast alle verlassen, sind aus Stein. Gute Wegbezeichnungen! 4

Kiefer

Hinten von unsrem Quartier blickt man ins Tal, dahinter dunkler Wald. Der Vollmond scheint vom klaren Himmel durch die gr. Kastanien im Nachbargarten. Drunten weben die Elfen ihre Schleier der Nacht, ein geisterhaftes Treiben in stillem Frieden u. nun Krieg? Dort im Wald soll der Feind noch sein? Gestern morgen sind die letzten feindlichen Truppen durch den Ort gezogen. 3 Leute waren zurückgeblieben u. fielen in unsere Hände. 2.9. Ein süsser Traum, das Schönste im Kriege, wenn man daheim ist in Gedanken. Plötzlich weckt uns der Feldwebel. Alarm auf der ganzen Linie. Also los! „Raus marsch marsch“ 3 1/2h ist es. 4 ½ marschieren wir los durch den Wald. Links geht glutrot die Sonne auf. Hohe Bäume, dahinter blaue Berge. Nun geht es stundenlang ohne Rast. Bei dem malerisch gelegenen Longpont vorbei nach Neuilly St. Front, wo 3 Stden Rast gemacht wird. Dann in Mittagshitze weiter bis kurz vor ChateauThierry. Die Bewohner ahnen so wenig unser Kommen, dass wir noch einen ganz vergnügt fahrenden Eisenbahnzug abfassen. Thierry ist von franz. Truppen besetzt. Unsere Artillerie fährt auf der Höhe auf, wird plötzlich französisch angerufen. Die Geschütze stellen sich im Halbkreis auf u. feuern gegen ganz nahe in den Strassen ziehende Kolonnen. Ein schreckliches Bludbad. Inzwischen haben wir Schützengräben ausgehoben u. übernachten wieder unter freiem Himmel.

3.9. Blutrot geht die Sonne auf, als wir uns auf dem Marsch nach Thierry befinden. Die auf der anderen Seite der Marne sind noch von feindlicher Artillerie besetzt, die auf uns Schrapnells schiesst, als wir die Marne-Brücke überschreiten. ½ Stde im Schrapnell-Feuer. Dann geht es weiter auf die östl. Höhen, ohne Feuer zu erhalten. Gegen Mittag entspinnt sich ein furchtbares Verfolgungs-Gefecht. Unsere Artillerie schafft wieder das meiste. Während die Infanterie sich eingräbt, knallt sie auf feindl. Marschkolonnen. Dann gehen wir in langen Schützenlinien vor in s.östl. Richtung. Weil wir zu schnell vorgehen, geraten wir in unser eignes Art-feuer, u. weil wir falsche Front haben, werden wir oft von hinter uns liegenden feindl. Schützen befeuert. Das waren schreckliche Stunden. Der Feind ist zwar zurückgegangen, aber nicht geschlagen, u. durch die Unordnung haben wir viel Verluste. Eine Art.kolonne, die zum Biwak auffährt, erhält plötzlich aus dem Walde mörderisches Feuer. Sie protzt sofort unter Hura auf d. Chaussee ab u. bringt den Feind zum Schweigen. Verluste! Nachher lagen links u. rechts der Strasse tote Pferde. Ein herrenloses Geschütz rannte Genauso wie die Bundswehr ihre STAN (Stärkemit 6 Pferden dem Feinde zu. Wir haben viel Bagage u. und Ausrüstungsnachweisung) hat, hatte die einige Gefangene erobert. Biwak auf dem Schlachtfeld in preußische Armee ihren Etat, bzw. Stellenplan. Heu u. Stroh. Beförderungen und Stellenbesetzungen konnten im Frieden nur bei verfügbaren Stellen vorgenommen werden. Beförderungen wurden 4.9. Morgens um 8h setzt der Geschützdonner wieder ein. ausgesprochen "bei Eignung, entsprechender Mit veränderter Front gehen Schützenlinien vor. Das 7. Leistung und Verfügbarkeit einer Stelle". Armeekorps ist schon auf dem Marsch nach Süden u. Insbesondere im Kriege kam es aber auch vor, treibt den Feind in regelloser Flucht vor sich her. Der daß Mannschaften auf dem Wege der Verfolgungsmarsch erreicht Courboin. Dahinter wird bald Auszeichnung für Tapferkeit im Kampf zum Halt gemacht. Wir warten auf das Regiment. Inzwischen Unteroffizier befördert wurden. Das waren dann werden wir beiden Entfernungsschätzer als Beobachter außeretatmäßige Beförderungen zu sogenannten bei einem Gehöft ausgestellt, in dem es Milch u. Eier gab. "überzähligen" oder überetatmäßigen Unteroffizieren, die auf Vorschlag der Um 2 ½ geht es weiter, aber um 5 ½ Halt, da vor uns bei Kompaniechefs durch die Montmirail feindl. Artillerie steht, gegen die unsere erst Regimentskommandeure ausgesprochen wurde. h auffährt. Übernachtung auf freiem Felde. 11 zur Ruhe. Allerdings blieben die meist nicht lange Unterwegs waren Beförderungen bekannt gemacht: Ich überzählig, weil durch Feindeinwirkung in aller werde „überzähliger Unteroffizier“. Woher die Tressen5 Regel schnell eine etatmäßige Stelle als herkriegen? Kein Brot, nur Essen aus der Feldküche, die Gruppenführer frei wurde. Bezahlt wurden die wie ihre Aufgabe meisterhaft erfüllt. Sobald Zeit ist, gehen die normale Unteroffiziere. 3 Köche los in die Höfe u. holen Schweine u. Hammel etc. herbei, die dann vor aller Augen geschlachtet werden. Kartoffeln u. Rüben liefern die Felder.

5.9. Um 5h marschbereit. Wir kommen wegen des langsamen Rückzuges des Feindes nur wenig vorwärts. Wir stehen dem Generalkommando zur Verfügung. Heute wird Post verteilt. Ich erhalte 2 Karten von zuhause. Einen Brief habe ich nicht erhalten. Man weiss zuhause auch nicht, was man hier gern wissen möchte. Manche haben Zeitungen erhalten, die eifrig studiert werden: „Auf allen Linien siegreich“. Nun schon 2 Wochen lang ohne Rast immer auf dem Marsch u. seit 3 Tagen überhaupt nicht unter Dach u. Fach, keine Gelegenheit zum Waschen, nicht einmal genug Wasser zum Trinken, u. das man kriegt, ist oft so schlecht u. trübe, dass man es mit Alkohol desinfizieren muss. In La Celle länger gerastet. Der Hauptmann besteigt mit seinen Getreuen den Kirchturm des Dorfes, wo Artilleristen ihr Fernrohr aufgebaut haben. Mit Unterbrechungen geht es weiter. Unterweg an einer franz. gänzlich zusammengeschossenen Batterie vorbei. 26 Pferdeleichen lagen kreuz u. quer durcheinander. Nun sollten wir Biwak beziehen aber mitten ins Essen kommt Nachricht, dass wir zur Deckung des Brigadestabs in ein benachbartes Gehöft sollen. Also los! Um 8 ¾ kommen wir in der malerischen ferme6 an. In 3 gr. Scheunen werden die Züge untergebracht. ---5 6

Gold- oder Silberfäden an der Uniform, die den Dienstgrad abbilden Franz.: Farmhaus

Die Erste Schlacht an der Marne fand vom 5. bis 12. September 1914 entlang der Marne östlich von Paris statt. Der am 2. August begonnene deutsche Vormarsch der fünf Armeen des rechten deutschen Flügels verlief bis zur Marneschlacht durchaus erfolgreich, wurde aber am 5.September durch eine überraschende französisch-englische Gegenoffensive unter Marschall Joseph Joffre und Sir John French gestoppt, ab 9. September sogar in einen taktischen Rückzug der Deutschen an die Aisne verwandelt. Die Schlacht markiert damit den ersten Wendepunkt des Ersten Weltkrieges und das Scheitern des Schlieffen-Plans. Der Plan der deutschen Heeresleitung unter Generaloberst Helmuth von Moltke, Frankreich mit seinen geballten Hauptkräften in kurzer Zeit besiegen zu können, war nach dieser Schlacht endgültig gescheitert. Die Alliierten gewannen durch ihren taktischen Sieg endgültig Zeit, weitere Verstärkungen aus ihren Kolonien an die Westfront heranzuholen und die anfängliche deutsche Überlegenheit an Truppenzahl auszugleichen. Zudem fand sich die deutsche Heeresleitung nach der Marneschlacht damit ab, an allen bisher angegriffenen Frontabschnitten in die Defensive geworfen worden zu sein. Die weitgestreckte Westfront erstarrte im Stellungskrieg, der sich zum Grabenkrieg entwickelte. Generalleutnant Erich von Falkenhayn eröffnete Reichskanzler Bethmann Hollweg am 18. November 1914, dass der Krieg aufgrund des Fehlschlages an der Marne und bei Ypern sowie angesichts der gegnerischen Ressourcen für Deutschland verloren sei, und plädierte für einen Verhandlungsfrieden, was jedoch abgelehnt wurde.

Schlacht bei Esternay 6.9. Morgens heisst es: heute Ruhetag: „denn es ist ja heute Sonntag für uns junge Leut“. Wie freuten wir uns, uns nach 4 Tagen einmal wieder die Hände zu waschen u. unsre völlig verrosteten Gewehre zu reinigen u. unsere Tornister zu erhalten! Da heisst es plötzlich: Aufbrechen! Schnell wird gegessen, u. dann geht es los, dem Bataillon nach. Allmählich entwickelt sich das Reg. zur Linie des ganzen Korps. Der Feind steht im SO vor Esternay. Furchtbarer Kanonendonner. Bedecktes Gelände. Beim Vorgehen erhalten wir schon Flankenfeuer aus dem Walde. Die Leute schrecken zusammen, kommen aber schließlich in Deckung eines brennenden Gehöftes. Nun geht die Schützenlinie weiter vor. Um 4h wird „Rasch vorwärts“ geblasen. Dort gehen schon die franz. Schützenlinien Schritt für Schritt zurück. Unsere Leute folgen in rasendem Tempo, sie gehen gar nicht erst in Stellung, sondern schlagen gleich stehend freihändig auf die Feinde an. Unser Hauptmann springt vor wie eine Gummipuppe. Da vorne steht eine Batterie, die wollen wir stürmen: Hurra! Da plötzlich speit die Batterie ihre Schrapnells in unsere Reihe. Das nun Folgende ist zu grausig, als dass es beschrieben werden könnte. Es war bald kein Stein mehr da, der nicht aufgewühlt wäre. Die vorderen Linien gehen vor. Die Unterstützung schwärmt aus. Ein Augenblick Stille. O, diese schreckliche Stille: jetzt richten sie sich auf unsere Reihen ein. Unsere eigne Artillerie schweigt. Es ist zum Wahnsinnig werden. Da, nun geht der Lärm wieder los. Die feindlichen Geschütze bestreichen den Boden. Ein wahrer Kugelregen ergiesst sich über die Truppen. Immer mehr bleiben zurück, sich krümmend vor Schmerzen. Major Lüdersen neben uns verwundet. Ltn. Wemeyer tot. Da ergreift den Hauptmann die Angst. Er geht in den Wald zurück. Die vorderen Schützenlinien gehen über die Höhe vor u. werden von feindl. Flankenfeuer empfangen, das aus einem vollbesetzten Dorfe (Courgivaux) kommt. Von dort kommt soeben ein ganzes franz. Bat. zur Verstärkung in Kolonnen. Ihm gegenüber können wir uns mit unseren schwachen Kräften nicht halten. Die Linie wankt. Die Unterstützung war schon vordem zurückgegangen. Nun bricht auch die vordere Linie auseinander. Einige stürzen in das Dorf, können aber wegen der Übermacht nichts weiter ausrichten, als einige Franzosen aufzuspiessen. Da geht alles zurück bis auf die Chaussee, die wir überschritten hatten. Hier besetzen wir eine Stellung im Graben. Noch einige Minuten lang sind wir dem feindl. Feuer ausgesetzt. Dann tritt Abendruhe ein. Der Hauptmann war zuerst zurückgegangen. Seine Komp. sammelt sich wieder bei dem brennenden Gehöft. Warum hatte man uns so schlecht aufgeklärt, dass wir solch ein planloses Vorgehen veranstalten? Wo war die Führung? Alles zerstreut. - Es ist Nacht. Der Mond scheint auf das grausige Schlachtfeld. Wir gehen mit einer Patrouille vor, um den verwundeten Major u Ltn. Wemeier zu holen. Dieses jämmerliche Stöhnen der Verwundeten! Es war schrecklich. Der Major wird aus Feindeshand gerettet, denn die Franzosen hatten sich auch schon um ihn bemüht, aber er hatte, unterstützt von unsren Granaten, die bei ihnen einschlagen, sie abgewimmelt. Den toten Ltn brachten wir in einer Zeltbahn zurück. Nun kamen erst die Krankenträger vorsichtig auf das Feld hinausgehend. Denn 1 000 m vor der Chaussee schanzte schon der Feind. Unsere Verteidigungslinie blieb über Nacht an der Chaussee. Es fielen noch einige Schüsse. Dann war alles ruhig. Ich habe vielleicht noch nie die Nacht so herbeigesehnt wie gestern.

Dass wir mit dem Leben davon kamen, schreiben wir einer höheren Macht zu. Unser Leben ist uns neu geschenkt. Ich hatte nur an der Seite einen Zünder empfangen, der an meiner Tasche abprallte. Unsere Komp ist auf Friedensstärke zusammengeschrumpft. Da gab es viel zu erzählen. An einer andren Chaussee lagen wir die Nacht. Die ganze Linie des 9. Korps war zurückgegangen, weil man den Feind unterschätzt hatte. Unser Angriff musste scheitern, aber wie ungern gingen wir zurück! Wenn wir den Feind vor Augen haben, gehen wir Deutschen drauf. Es liegt an der Führung, wenn sie unseren Drang nach vorne nicht in rechte Bahnen leitet. Wir haben 28 Verwundete, 2 Tote u 18 Vermisste; letztere werden wohl gefangen sein. 7.9. Eine düstre Stimmung liegt auf allem. Es kommt Befehl, wir sollen nach Norden abrücken, um der 3. Armee Platz zur Entfaltung zu geben. Keiner glaubt das! Folgt etwa der Feind doch? Sind wir geschlagen? Trotzdem sieht die Marschkolonne lustig aus: der Hauptmann auf seinem Pferd mit einem Regenschirm sich gegen die Sonne schützend. Ein Musketier auf einem requirieren Esel. Mancher mit Wanderstock in der Hand. Wir schleppen einen Gefangenen mit uns. Die Umgegend sieht trostlos aus. Allenthalben an der Strasse Pferdeleiche, auf einer Weide 26 tote Kühe, wie Spielzeug durcheinander. Welch ein Glück fürs Vaterland, dass der Krieg in Feindesland getragen ist! - Wir marschieren also nach Norden über Viels-Maisons, das wir in Dunkelheit passieren. Dann geht es noch 12 km in die Nacht hinaus, um 11 ¼ kommen wir schliesslich in unsrem Quartier an. Ein kleines Dorf, dicht mit Truppen gefüllt. Der Hauptmann schläft in der Mairie7, in der schon franz. Soldaten eine grässliche Verwüstung angerichtet haben. . Um 1h müde u. abgespannt zur Ruhe. -

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Bürgermeisterei

8.9. Schon nach 3 Std. um 4 geht es los, weiter nach Norden. Seit 2 Tagen ist eine Schlacht im gange u. trotzdem es gut steht, müssen wir hin 4 ½ h Abmarsch über Chézy sur Marne an Chateau Thierry vorbei über Busiaries nach Mareuil - Es war einer der anstrengendsten Märsche, die wir gehabt haben. Die Nachtruhe hatte gefehlt u. dann die Hitze. Es geht lautlos u. gedrückt. Einige Kompagnien sitzen auf Lastautos. Als wir an einer Kleinbahn kamen, versuchten einige eine Strecke mit dem Wagen fortzukommen, aber nur kurze Zeit. Als wir vor Mareuil 1 Stde Rast gemacht hatten, hiess es: weiter, u. so ging es um 8h im Dunkeln bis 12h . Aus einem für uns bestimmten Quartier hauste die 17. Division. So mussten wir wieder heraus u. irrten umher, bis wir in einem Walde zum Schlaf hinsanken. Die Kompagnie zählte grade noch 80 Mann. Ich selbst fiel kurz vor der Rast einfach zur Seite u. konnte nicht mehr aufstehen. Später kam ich nach. Um 9h hatten wir in 10 Minuten Mittag gegessen, seitdem nichts gegessen als etwas Brot. Den ganzen Tag in furchtbaren Staub marschiert, das machte schlapp. Und die Ungewissheit, in der man uns über das Ziel dieses Gewaltmarsches hielt. Die Nacht in Nähe von Bargny. Die Aufgabe, die unser Korps in den letzten Tagen zu leisten hatte, war folgende: Um den geschlagenen Gegner bis zur Erschöpfung zu verfolgen, hatten wir uns von der 1. Armee nach Osten hin getrennt. Wir trafen die Flanke des uns weit überlegenen Gegners bei Ch. Thierry u. trieben ihn vor uns her. Nun vereinigt er sich mit der von der 3. Armee aus dem Elsass hergetriebenen Truppen, die um Esternay standen. Sie wollten sich mit den von Pads kommenden Ersatztruppen vereinigen. Um sie abzuschneiden, sollte das 9. u. 3. Korps diese Übermacht aufhalten. Dies leisteten wir am 6.9. zufriedenstellend u.

trieben die Leute nach SO. Die 3. Armee sollte sie weiter verfolgen, darum zogen wir nach Norden u. halfen unseren im Gefecht liegenden Truppen. Hier bei Nanteuil geht seit 3 Tagen eine gr. Entscheidungsschlacht vor sich. Wenn der Gegner hier zurückgeworfen wird, steht uns der Weg zu den Forts von Paris frei 9.9. Am Morgen wachte ich auf u. fand dass ich nicht an der richtigen Stelle lag, ohne mein Gewehr zusammengesetzt zu haben. Ich war also einfach über die letzte Maßnahme in der Nacht eingeschlafen. Heute morgen lagen wir nun schon am Rande des Schlachtfeldes. Unser Bat. geht bis an den Rand des Waldes vor. Ein scharfer, langer Artillerie-Kampf, u. dann gehen wir weiter vor. Wieder ist es der Fall, daß die Schützenlinie zu schnell vorgeht u. von der eigenen Art. beschossen wird. Es wird andauernd „das Ganze halt“ geblasen. Unseren Truppen ist die Ruhe zu gönnen. Zu einem Sturmangriff wären wir wohl nicht mehr fähig. Alles sinkt beim Halt in die Binsen. Rechts schlagen die feindl. Granaten hart vor der Linie ein. Wir bleiben verschont. Wir kommen durch herrlichen Wald, in dem es viel Brombeeren gibt, das einzige, wovon wir uns heute nähren können. Wir bleiben in Reserve liegen u. sehen dem Artilleriekampf zu. Dabei schiesen sie auf unsre eignen Linien. Der Hauptm. fragt neulich einen Bumser, ob sie denn gar nicht das Ziel sähen, auf das sie schössen u. erhielt die dreiste Antwort: wir schiessen nur auf eigne Truppen! Nachts Biwak am Walde. 2 Feldküchen, die sich verirrt hatten, werden gleich für unsere Komp. in Beschlag genommen, sodass wir 3fach Essen hatten. Die 17. Div. hatte die Orte Fresnoy-Boissy gestürmt. 10.9. Nachts 3h geht es los u. zwar nach Osten zurück, weil wir aus dem Bereich der franz. schweren Artillerie heraus müssen. Bei Gondreville, Crépy vorbei. Bei Pontdron wird gehalten, von der Strasse abgebogen u. auf der Höhe ausgeschwärmt. Es sollen sich feindl. Schwadronen gezeigt haben. Aber nur eine kleine Patrouille zu sehn. Nachdem wieder gesammelt ist, marschieren wir weiter nach Pierrefonds, einer malerisch gelegenen Stadt mit malerischem Schloss (*Siehe Karte!)8, das mich an Wernigerode erinnert. Hart am Teich mit Aussicht auf die alten Zinnen da droben wohnten wir, freuten uns, etwas Zeit für uns zu haben. Es werden Hemden und Hosen gekauft u. man wäscht sich. Mit den Leuten verständigen wir uns leicht, sie haben schon deutsche Soldaten gehabt. Darum

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Karte nicht vorhanden

ist auch nichts Essbares mehr in der Stadt zu haben. Unsere beiden Kompagnie Bäcker backen 60 Brote für uns, die wir aber nur mit einem gr. Kampf gegen das Generalkomando einbrachten. Wir haben die Aufgabe die gesamte auf Paris ziehende deutsche Armee in der Flanke zu decken. Von Boulogne sind noch Engländer zu erwarten. 11.9. Heute erster Regentag. Wir marschieren erst um 8 ½ h los auf der Chaussee nach Attichy. Mitten drin halten wir 4 Stunden bei furchtbarem Regen. Dann geht es etwas weiter auf d. Chaussee. Bei dem Dorf Cuise Lamotte wird auf den Höhen ein Schützengraben ausgehoben. Bis Dunkelwerden droben, dann Quartier im Dorf, zu dem wir auf Schleichwegen mit Hindernissen gelangten. Die Hindernisse waren durch Unfähigkeit von Führern verursacht. Heute war Freudentag: Post von zuhause: 3 Briefe u. 5 Karten. 12.9. Der Schützengraben wird früh 7h besetzt. Während die übrigen Truppen nachrücken, bleiben wir als Nachhut zurück. Dann rücken auch wir ab, verfolgt von feindlicher Artillerie. Bei Attichy geht es über die Aisne, wo die Brücke schon fertig zum Sprengen hergerichtet war. Andauernd verfolgt uns feindliches Feuer. Hinter dem Ort ging es einen Hohlweg hinauf auf die Höhe des andren Ufers. Hier hatte sich die ganz Bagage festgefahren, wir kamen schwer hindurch. Oben ging es auf Schleichwegen weiter. Trotzdem wurden wir von feindlichen Granaten hart bedrängt. Wir kommen durch Autreches, von wo uns die feindl. Schrapnells wieder verdrängen. Dann geht es auf die Höhe, wo die 84er u. 86er sich schon eingegraben haben. Wir graben uns hinter der 6. u. 7. Kompagnie als Unterstützung ein. In einem Hohlweg bauen wir, der Stab, dem Hauptmann u. uns eine nette Strohhütte. In der Nähe wurde ein Baum gefällt, der uns die Stöcke lieferte. Abends furchtbarer Regen! In diesem wurde ich hinausgeschickt, um den Bataillonsstab zu suchen, der Adjutant sollte zum Regiment kommen. Schliesslich fand ich den Stab in einer engen Höhle, ganz fein in Deckung. Gänzlich durchnässt kam ich wieder in unsre Hundehütte. Brot u. Speck war unser köstliches Abendbrot. Dann ging es zur Ruhe. 13.9. Heute starker Wind, weniger Regen. Hinter einem Strohhaufen liegt der „Stab“, hinter dem 2. Zuge. Es beginnt ein furchtbarer Artilleriekampf, die Granaten schlagen ganz in unserer Nähe ein. Von der Schützenlinie werden 2 Mann verwundet. So liegen wir den ganzen Tag. Ab u. zu starkes Gewehrfeuer, dann wieder friedliche Stille. Wir lesen Zeitungen von Hamburg u. einer sagt auch einmal, dass ja heute Sonntag sei. Ja, wer denkt daran? Unsere Feldküche versorgt uns mit Mittagessen. Doch ist sie in grosser Gefahr, ein Pferd ist schon getötet. Die Leute übernachten wieder im Graben, wir verkriechen uns ins Stroh. Abends bei Dunkelwerden gehen die 85er vor. In dem nahen Wald vor uns entsteht ein heftiges Gewehrgeknatter u. Hurra-Schreien. Die Unsrigen blasen „rasch vorwärts“, während auch das französische Signal ertönt: nachher kommen sie mit zahlreichen Gefangenen zurück. 14.9. Nachts ist es nass u. feucht. Die Schützengräben werden morgens mit Unterschlupf u. Verbindungsgräben ausgebaut. Dabei wird der grosse Fehler gemacht, dass nicht 1 m Erde über den Unterschlüpfen gelassen werden, sondern sie nur mit Stroh gedeckt werden u. ein gr. Sandhaufen davor aufgeworfen wird. Auch sind sie durchaus nicht unkenntlich gemacht. Der Zugführer u. der Hauptmann dahinter in Strohhütten, wohl gegen Infantrie, aber nicht gegen Artillerie gedeckt. Das sollte sich rächen! Heute den ganzen Tag in wartender, ungewisser Haltung zugebracht. Abends wurde in einem Dorf an unsrer Flanke die 1/31 mit dem Regimentstab von Franzosen überfallen. Hartes Gefecht! Auch auf unsrer Linie nachts feindlicher Angriff, aber nicht ernst.

Die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz war ein Großverband und die dazugehörige Kommandobehörde des deutschen Heeres während des Ersten Weltkrieges (1914–1918). Sie umfasste mehrere Armeen. Formal war der älteste Sohn des Kaisers Wilhelm II, Kronprinz Wilhelm von Preußen ihr Oberbefehlshaber. De facto war der Kronprinz jedoch vom Kaiser angewiesen, dem Ratschlag seines Generalstabschefs zu folgen.

15.9. (geschrieben am 20.9.) Nun wird es wieder besseres Wetter. Die Wolken ziehen über den blauen Himmel fort. Schon der 4. Schlachttag, hauptsächlich von der Artillerie ausgefochten. Wir sollen in dieser Stellung bleiben, bis die Armee des Kronprinzen den Feind richtig gefasst hat. Es ist ja Tatsache, dass unsere 1. Armee, besonders unsere 4. 9. u. 7. Korps viel zu schnell vorgerückt sind. Die wahnsinnige Jagd auf den Feind, die sich auch von einer Übermacht wie bei Nesles u. Esternay nicht halten liess, ist unsrem Korps teuer zu stehen gekommen. So hatten die nachrückenden Truppen eine gr. Aufgabe zu bewältigen u. neben den ungeheuren Märschen auch verlustreiche Das Buch Jesus Sirach oder Ecclesiasticus ist ein von der reformatorischen Kirche Schlachten. Bei Fresnoy war nicht als Teil der Bibel anerkanntes Buch des Alten Testaments, entstanden im uns der Feind überlegen, wir frühen zweiten vorchristlichen Jahrhundert (vor 175 v. Chr). Opa muss hier also eine katholische Bibel zur Hand gehabt haben. Es wird zu den Büchern der mussten zurück u. unsre Weisheitsliteratur gerechnet. Nachhut hatte bei Das Buch Jesus Sirach, Kapitel 2 Pierrefonds u Cuise-Lamotte Sir 2,1 Mein Sohn, wenn du dem Herrn dienen willst, / dann mach dich auf Prüfung gefasst! gr. Verlust. Nun stehen wir Sir 2,2 Sei tapfer und stark, / zur Zeit der Heimsuchung überstürze nichts! hier wieder gegen Sir 2,3 Hänge am Herrn und weiche nicht ab, / damit du am Ende erhöht wirst. Übermacht u. müssen die Sir 2,4 Nimm alles an, was über dich kommen mag, / halt aus in vielfacher Konzentration unsrer Bedrängnis! Truppen erst abwarten. Sir 2,5 Denn im Feuer wird das Gold geprüft / und jeder, der Gott gefällt, im Heute morgen war es Schmelzofen der Bedrängnis. zunächst recht gemütlich ... vor der Hütte. Ich las gerade Sir 2,18 Besser ist es, in die Hände des Herrn zu fallen / als in die Hände der Menschen. Denn wie seine Größe, so ist sein Erbarmen, / und wie sein Name, so in der Bibel bei Sir. 2 von sind auch seine Werke. der Weisheit. Da platzt plötzlich die erste Granate 10 m vor uns u. mit kolossaler Gewalt stürzen die Sandklösse auf uns nieder. Wir flüchten in die Hütte u. legen uns platt nebeneinander auf den Boden. Nun geht es gewaltig los, als ob der Feind es auf unseren Haufen abgesehen hätte, vielleicht einen Beobachtungsposten dort vermutete. Gewaltig schlägt es auch im Graben ein. -9 1 Uhr! Ein Pfeifen u. Knallen. Ich schreie vor Schmerz auf u. fühle mein linkes Bein überhaupt nicht mehr. Die andren flüchten mit Ausnahme von Feldner Wede aus der Hütte in den Graben. Wede verbindet mich „Armer Kerl, hat viel Blut verloren.“ Er will Krankenträger suchen. Noch einige Bomben treffen den Haufen, dann glücklicherweise Ruhe. Jammernd liege ich da. Da kommt Meitmann, der gut Junge zu mir, bei meinem Anblick in Tränen ausbrechend wegen der bevorstehenden Trennung u. aus tiefem Mitleid. Dies war ein Augenblick, wo ich mich als Freund dieses prächtigen Menschen unendlich glücklich fühlte. Nach einer Stunde trugen mich 2 Krankenträger in die Höhle, in der der Regimentsstab lag, u. die nun schon von einer Menge von Verwundeten angefüllt war. Hier wurden wir verbunden. Der Hauptmann besuchte uns auch noch. Inzwischen hatte sich der Feind den Ausgang der Höhle zum Ziel eines wahnsinnigen Granatfeuers genommen. Die hohen Bäume ächzten u. über der Steindecke krachte es. Ein unangenehmes Gefühl beschlich uns Hilflose. Erst mit Einbruch der Dunkelheit konnten wir auf Krankenwagen gepackt zum nächsten Sammelpunkt befördert werden. Der Oberstleutnant rief jedem noch ein freundliches Wort nach u. bald ging es auf holperigem Weg hinaus in die dunkle Nacht. Nach einer Stunde Fahrt, die mir furchtbar viel Schmerzen verursachte, wurden wir in eine gr. Höhle ausgeladen. Man trug mich zwischen den Wölbungen u. Pfeilern hindurch an Pferden, Kranken u. Gesunden vorbei in einen Winkel, wo ich in in Stroh gelagert wurde. 1 Uhr nachts kam ich auf den primitiven Operationstisch, wo meine Wunde ausgewaschen u. ich in Narkose versetzt wurde, was sehr 9

Opa hat vom 6.8. bis zu seiner Kriegsverletzung am 15.9. über 550 km Fußweg zurückgelegt.

langsam ging u. mein Herz angriff, dabei wurde mir der Stiefel ausgezogen. Aus der Narkose erwachte ich bald u. fand mich in einer sehr angenehmen Lage (ich kann nämlich den Fuss gar nicht bewegen) im Stroh. Aber starkes Fieber. 16. Dies war wohl der schlimmste Krankentag bis jetzt. Um 12 wurden wir verladen, wieder in diese wackeligen Krankenwagen in die 6 Kranke zu dreien übereinander hineinpassen. Und dann ging es los, von dieser Höhle auf die Strasse. Durch manchen Ort u. an den verschiedenen Truppen vorbei, die uns auch oft etwas zu essen gaben, bis nach Chauny, wo wir ca 5h ankamen. Ich hatte starkes Fieber, wozu noch durch die Rüttelei starke Schmerzen kamen. Halbtot kam ich in Chauny an. Die Strassen der Stadt wimmelten von deutschen Automobilen, von denen hier 200 sein sollen. Lange dauerte es, bis wir ausgeladen wurden. Endlich wurde auch ich in das Massenlazarett hineingetragen. Die Zustände hier zu schildern ist fast eine zu grosse Zumutung für alle, die es nicht mit erlebten. Ich wurde in ein Zimmer des Hauses (Priesterseminar) getragen, wo dicht an dicht die Verwundeten auf Stroh lagen. Eine Ecke genügte für mich. Welch ein Betrieb in diesem ca 1500 Kranke beherbergenden Hause! Auf den Gängen, in den Zimmern sassen oder lagen Kranke. Ärzte u. Sanitäter eilten geschäftig durch einander. Zwischen Kommandorufen der leitenden Ärzte das furchtbare Stöhnen der Verwundeten. In unserer Stube wälzt sich dort einer herum, ein anderer pisst ins Stroh. Dann wird Essen herumgetragen. Nicht alle können allein essen. Dabei nur 2 Hülfen, die sich schon kaputt rennen. 17. Hier treffe ich einige von meiner Kompagnie. Das Ersatzbataillon

marschiert vorbei, hat schon schwere Verluste gehabt. Plötzlich heisst es: für alle Krankenpfleger. Alarm! Von einem Flieger war gemeldet, dass Franzosen im Anmarsch auf Chauny sind. Schließlich stellt sich das aber als eine französische Gefangenen -Kompagnie heraus. Heute lag ich ziemlich trübsinnig herum. Auch hatte ich Fieber 18. Die Nacht fast gar nicht geschlafen. Erst gegen Abend kam ich zum Operationszimmer, wo mir das Bein geschient u. die Wunde verbunden wurde. Nun wurde ich in den Schwerkrankensaal gebracht. Das Bild in diesem 67 Kranke bergenden Raum war noch jammervoller als vordem. Das Stöhnen u. Schreien der am Kopf Getroffenen, das Winseln u. Röcheln der Lungenkranke war schrecklich. Wie entstellt sind manche! Und doch ergeben in ihr Schicksal. Dies Leiden zeigt den Menschen in seiner wahren Grösse. Abends spät kam noch ein Feldkaplan durch, der sich mit jedem eingehend unterhielt. Am nächsten Tag kam auch ein Feldprobst, der sich aber nur erkundigt, ob hier jemand von seiner Division läge. Wir sehr haben diese armen Menschen doch den Trost nötig, ja, dass man sie nur auf andre Gedanken bringt u. ihnen freundlich zuredet. 19. Am Morgen geriet einer in einen Tobsuchtsanfall. Am Mittag starb mein Nebenmann. Auf der andren Seite liegt einer im Starrkrampf. Hier habe ich nun Bilder herster, edelster Weiblichkeit an den Schwestern vom Roten Kreuz! Wie ihnen jeder Schmerzensruf zu Herzen ging! Wie gütig sie zusprachen u. Worte des Trostes u. der Hoffnung bei der Hand hatten, ohne dabei einen Augenblick die Hände in den Schoss zu legen. Eine Schwester fragte mich nach meinem Beruf: ich sei so ganz anders als die Meisten. Es gab natürlich andauernd zu tun. Schwester hier u. Schwester da. Auch die Brüder leisteten viel, namentlichdie Diakone. 20.9. Heute ist wieder Sonntag u. zwar mit dem glücklichen Ausgang, dass wir mit einem Lazarettzug fort befördert werden. Ein Oberarzt trat in die Tür u. sucht sich die Leute dazu aus. Ganz am Schluss wurde er auf mich aufmerksam u. sagte: Auch der junge Kerl soll noch mit! Der Zug hatte 45 Wagen 4. Klasse, welche je 12 Betten in der Längsrichtung hatten. Jeder hat einen kleinen Tisch am Bett, auch ein Klosett in in jedem Wagen eingebaut. Die Aufsicht hat ein Sanitäter. Um 7 Uhr Abfahrt mit 10 km „Geschwindigkeit“ in der Stunde u. vielen Anhalten. 21.9. Über mir erkrankt einer an Genickstarre u. wird hinausgebracht. In St. Quentin längerer Aufenthalt. ------Hier enden die stenographischen Aufzeichnungen! Wir kamen nach mehreren Tagen in Hamburg-Venloer Bahnhof an. Von dort schon wurden die Angehörigen telefonisch benachrichtigt. Dann wurden wir in die neu erbaute Frauenklinik an der Finkenau gebracht. Nachdem wir einige Zeit in der Turnhalle der gegenüberliegenden Hilfsschule gelegen hatten, kam ich auf den Operationstisch u. wurde vom Granatsplitter „entbunden“. Ich erhielt ein Bett in einem 3-Bettenzimmer, das unter der Leitung von Schw. Frieda stand. Ich hatte sehr liebe Zimmergenossen, unter ihnen Schmersahl u. Friedr. Vick. Mit diesem 16jährigen Kriegsfreiwilligen verband mich für mehrere Jahre enge Freundschaft, bis der Krieg uns trennt. Dem Lazarett gehörte ich 15 Monate an, um es noch zweimal später wieder aufzusuchen. Im ganzen Verlauf meiner Teilnahme am Kriege sehe ich eine wunderbare Führung Gottes.

Opas Kriegsweg durch Belgien und in Frankreich Violett: Marschstrecke, Schwarz: Krankentransport, Orange: heutige Landesgrenzen (und blau, keine Flüsse, sondern Radfernweg)

Einige Infos zur Familiengeschichte: und Fotos von Opa Ernst (1888 - 1917), der Älteste Bruder von Opa, sollte eigentlich den Hamburger Getreidegroßhandel seines Vaters Hugo (1861-1941, verheiratet mit Margarethe, geb. Hamel, 1863 - 1946) übernehmen. Er fiel Anfang 1917 mit 28 Jahren in Frankreich an der Somme. Die zweitälteste, Margarete, 'Tante Gretel' (1889 1946) heiratete Emil Puhl, der seine Karriere bei der Deutschen Reichsbank machte und für die Nazis als geschäftsführender Vizepräsident durch den Verkauf des Raubgoldes z.B. an die Schweiz ein wichtiger Devisenbeschaffer war - er wurde nach 1945 als Kriegsverbrecher zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt. Gretel nahm sich sich ein Jahr nach Kriegsende das Leben. Emil hatte bei seinen Besuchen Opa schon früh über die massenhafte Ermordung der Juden informiert. Opa, Hugo, (1891 - 1977) hatte sein Theologiestudium in den Jahren 1910 - 12 in Göttingen, Leipzig und Tübingen bis Kriegsausbruch praktisch abgeschlossen. Wegen seiner schweren Kriegsverwundung musste er fast zwei Jahre im Krankenhaus verbringen und war erst nach weiteren acht Jahren beschwerdefrei, aber weiterhin leicht gehbehindert und er konnte nicht mehr radfahren. Als Pastor wirkte Opa erst in Hoheluft, dann in Fuhlsbüttel und ab 1928 fast 35 Jahre in der Ansgarkirche in Langenhorn, wo er seit 1929 mit unserer Oma das Pfarrhaus am Timmweg 8 bewohnte. Friedrich (1896 - 1918), der Jüngste, wollte Architekt werden. Er fiel wenig Wochen vor Kriegsschluss in Frankreich mit 22 Jahren. Vielen Dank an Wikipedia, dem ich die Anmerkungen zum Tagebuch weitgehend entnommen habe.

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