Vom Wert der Werte: Über Sinn und Unsinn von Wertediskussionen. Ein Plädoyer für weniger, dafür gelebte Werte
Werte sind persönliche Überzeugungen darüber, was wir für besonders wichtig halten. Sie sind Glaubenssätze in Bezug auf richtig, falsch, gut und böse. Jemandem Gewalt anzutun, ist falsch, einem Gebrechlichen über die Straße zu helfen, ist gut. Doch: Den Chef einer Terroreinheit in seinem Versteck zu töten oder Menschen für die Staatssicherheit abzuhören und zu überwachen, ist etwas anderes. Gar nicht so leicht mit diesen Werten! Werte entwickeln sich, indem uns ein Vorbild vormacht, was wir tun, sagen und glauben sollen. Die Umgebung – zunächst die Eltern – prägt von Geburt an unsere Wertvorstellungen. Die meisten Werte werden uns durch Strafe und Belohnung einprogrammiert, über Nähe und Distanz. Die Ausbildung von Werten geschieht keineswegs nur durch Vorbildfunktion und Einflussnahme der Eltern. Sie vollzieht sich auch am Arbeitsplatz, wo das gleiche Prinzip von Lob und Kritik, Beförderung und Abmahnung und alle Nuancen dazwischen gilt. Wie bei der Erziehung von Kindern. Deswegen ist es schwer, befördert zu werden, wenn man nicht ähnliche Werte vertritt wie der Chef. Werte verändern sich mit unseren Zielen und mit unserem Selbstbild. So definieren frisch Verliebte „Liebe“ als Leidenschaft. Wenn aus dieser Leidenschaft ein Kind entsteht, so versteht die Frau Liebe eher als Unterstützung. Hoffentlich bekommt der Mann diese Werteveränderung dann mit …
Grundlegende Werte Werte könnten nicht grundlegend sein, wenn es zu viele von ihnen gäbe. Sie sind wie Säulen, auf denen unser Gemeinwesen ruht. Insofern ist unsere Gesellschaft kein Tausendfüßler. Es gibt viele unterschiedliche Werte, die allerdings erstaunlich ähnlich funktionieren. Daher fahren wir mit wenigen, tiefgehenden und dauerhaften Wertvorstellungen weitaus besser als mit vielen Werten, die flach und austauschbar sind. Halten wir es mit dem Volksmund: Weniger ist mehr. Dass grundlegende Werte „tief“ sind, sieht man daran, dass sie auf allen gesellschaftlichen Ebenen tragfähig sind. Respekt, Vertrauen und Verantwortung funktionieren in Freundschaft und Liebe, in Erziehung und Ausbildung, im Verein, am Arbeitsplatz und in der Politik gleichermaßen – wenn man bereit ist, ihnen zu folgen. Wer sich intensiver mit Werten beschäftigt, wird die Ähnlichkeit in der Tiefe klar erkennen. Niemand würde nach tieferem Durchdenken bezweifeln, dass Respekt mit dadurch entsteht, wenn Vertrauen und damit Zutrauen im Raume ist. Verantwortung bedeutet sicher nicht dasselbe wie Respekt und Vertrauen. Dennoch hat Verantwortung ganz viel mit Vertrauen und Respekt zu tun. Und umgekehrt. Werte sind also keine unabhängig im Raum stehenden Säulen, sondern schaffen ein gemeinsames Gebilde, auf dem das Miteinander ruht.
Der Werteüberfluss und seine Folgen Ob in sozialen Bezügen, in der Kindererziehung oder im Unternehmen: Zu viele Werte verwirren und führen zu Orientierungslosigkeit. Das kostet unnötig Zeit und Energie. In Wertediskussionen kommt es häufig vor, dass viel mit Werten um sich geworfen wird, ohne dadurch Wertekonflikte auf einer tieferen Ebene grundlegend zu lösen. Sie verharren an der Oberfläche. Dabei sollen diese Werte doch das genaue Gegenteil sein – auf Dauer angelegte, tiefe und festgefügte und verbindliche Säulen menschlichen Handelns. Gerade in der Mitarbeiterführung zeigt sich sehr deutlich, ob jemand tiefe Werte lebt oder ethischen Modewellen nacheifert. Wer bei wichtigen Change-Prozessen nicht auf wenigen kraftvollen Werten ruht, der
schlingert in extremen Situationen von einem zum anderen und endet handlungs- und führungsunfähig. Die Orientierung im Sturm geht verloren.
Ohne Selbstwert kein stabiles Wertesystem Wie wirken Werte? Werte sind die wichtigsten Motivatoren! Nicht alles, was Sie motiviert, motiviert auch andere! Ihre Werte bestimmen zum großen Teil mit, wie Sie etwas wahrnehmen und einschätzen. Ein ehrgeiziger Karrierist deutet den cholerischen Anfall eines Vorgesetzten anders als ein Gewerkschafter mit ausgeprägtem Gerechtigkeitsstreben. Diese individuelle Wahrnehmung beeinflusst, wie Sie darauf reagieren und handeln. Beachten Sie Ihre und die Werte anderer, sprechen wir von einem „wertschätzenden Führungsstil“. Eine weitere Wirkung von Werten zeigt sich in ihrer Spiegelwirkung von innen nach außen. Wer sich selbst gegenüber respektlos ist, wird keinen Respekt anderen gegenüber entwickeln. Wer kein Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten hat, wird Mitmenschen ebenso misstrauen. Und wer sich mit Eigenverantwortung schwer tut, wird seiner Umwelt nur eine Scheinverantwortung entgegenbringen und zugestehen. Ein pubertierender Jugendlicher fordert übermäßig viel Respekt von seinem Umfeld ein. Im Prozess des Erwachsenwerdens kommt dann die Einsicht, dass man erst etwas geben muss, bevor man etwas bekommen kann. Ich muss andere also erst respektieren, bevor ich Respekt erfahren kann. Leider scheinen auch nicht alle Erwachsenen, dieses Prinzip verstanden zu haben. Sie werfen anderen vor, was sie selbst nicht vorleben. Gleichzeitig sind sie immer schnell darin, andere moralisch in Frage zu stellen. In der Führungsverantwortung führen solche Defizite zu einer gefährlichen Spirale. Wer seinen Selbstwert nicht spürt, wird alles tun, um seine fehlende Bestätigung von außen zu erhalten. Er wird dazu neigen, seine Mitarbeiter zu schonen, indem er sie zu wenig fordert und nicht konsequent genug entwickelt. Auf der anderen Seite überfordert er sich, weil ihm der Mut und das Vermögen zum Delegieren fehlen. Damit tut er weder sich noch seinen Mitarbeitern einen Gefallen. Im Kern betrügt er sogar sein Unternehmen um die Führungsqualitäten, für die er bezahlt wird. Wir sehen hier sehr schön, wie Werte mit dem Wert zusammenhängen, den man sich selbst und anderen beimisst. Wenn ich jemanden wertschätze, äußert sich das, indem ich ihn einem höheren Wertesystem folgend behandle. Doch Vorsicht! Es ist modern, von Wertschätzung wortreich und wohlfeil zu predigen. Das ist dann aber schon Makulatur, sobald die ersten Entscheidungen anstehen. Deswegen gilt: weniger darüber reden als danach handeln!
Mangelnde Wertschätzung führt zu Misstrauen Wir können einen Mangel an Vertrauen, Respekt und Verantwortung anderen gegenüber als einen Mangel an Wertschätzung zusammenfassen. Dies ist deshalb möglich, weil alle diese Werte im Endeffekt zum gleichen Unwert führen: Misstrauen. Dieses Misstrauen ist global und wirkt sich auf allen Ebenen aus. Das könnte dann so aussehen: •
Ich habe kein Vertrauen in die Fähigkeiten anderer und übernehme alle halbwegs wichtigen Aufgaben selbst. Damit degradiere ich meine Mitmenschen zu Marionetten und zerstöre ihre Kreativität. Mich selbst überfordere ich dabei. In einem Unternehmen werde ich mit dieser Einstellung zum Flaschenhals. Meine Fehlerquote erhöht sich.
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Ich folge Lenins Maxime „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Viel besser wäre: Vertrauen ist gut, Kontrolle auch. Denn akzeptierte Kontrolle ist eine vertrauensbildende Maßnahme! Vertrauen und Zutrauen lässt Menschen das Beste aus sich herausholen.
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Ich traue anderen keine Kritikfähigkeit zu und werde sie schonen, wenn klare Worte angebracht sind. Weil ich selbst nicht kritikfähig bin. Ich könnte dann auch versucht sein, Sündenböcke zu suchen, wenn mein Versagen die Ursache für Fehler ist.
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Der wesentliche Wert meiner Mitmenschen ist der, meine schlechte Selbstwahrnehmung zu überdecken. Deshalb werde ich sie meist so behandeln, dass sie mir nach dem Mund reden. Deswegen seien Sie vorsichtig, wenn Sie zu viele angenehme Dinge hören!
Orientierung versus Orientierungslosigkeit Durch Zickzackkurse (Wertelosigkeit) werden Mitmenschen unglaublich verunsichert. In allen oben genannten Punkten wird eine immense Ambivalenz offenbar. Einerseits werden andere mit Samthandschuhen angefasst, wenn deutliche Worte und klares Handeln nötig wären. Andererseits wird drangsaliert und zu Unrecht kritisiert, wenn mangelnde Charakterstärke zu Orientierungslosigkeit führt. Was anfangs oberflächlich gut tut, torpediert mittelfristig jede Beziehung und die Qualität der Ergebnisse. Mangelnde Wertestabilität führt zu einem Mangel an Selbstwertgefühl und damit zu einem Defizit im gesamten Wertesystem. Das gilt auch umgekehrt. Ein stabiles, gelebtes Wertesystem stabilisiert den Selbstwert von Menschen. Es scheint trivial, um Werte zu wissen und von ihnen zu reden. Aber es ist umso schwieriger, sie wirklich immer konsequenter zu leben. Personen mit Führungsverantwortung, die in ihrem Umfeld Menschen in ihrem Selbstwert torpedieren, werden mit einem schwachen Team und Charakterschwachen belohnt. Wie Fahnen im Wind. Auch hier hören wir den weisen Volksmund sagen: Der Fisch fängt immer am Kopf an zu stinken. Bitte legen Sie sich kein stärkeres Parfüm zum Übertünchen des Fischgeruches zu, sondern leben Sie die Werte Verantwortung, Respekt und Vertrauen immer intensiver. Es lohnt sich. Für Sie selbst und andere. So kann jeder der Beste werden, der er sein kann. Ihr Boris Grundl
» 5. Jahresforum für betriebliches Gesundheitsmanagement am 16. / 17. Juni in Wien Das fünfte Jahresforum für betriebliches Gesundheitsmanagement in Wien rückt näher. Diskutiert wird dieses Jahr unter anderem die Rolle und Verantwortung von Führungskräften. Am zweiten Konferenztag werde ich während des Abschlussplenums um 15:15 Uhr zur „Magie des Wandels“ sprechen. Weitere Informationen finden Sie hier. » Gedankenspiele im Rosengarten am Pöstlingberg am 12. Juli Bei der Sommerakademie im Rosengarten geht es gleich um zwei Themen, die Menschen umtreiben: Veränderung begleitet uns alle ein ganzes Leben lang. Beruflich wie privat, ob wir wollen oder nicht. Mein erster Vortrag um 18:30 Uhr dreht sich auch hier um „Die Magie des Wandels – Veränderung als Chance“. Um 20 Uhr geht es weiter mit „Leading simple – Führen kann so einfach sein“. Zur Anmeldung und zu weiteren Informationen kommen Sie hier.
» Neu in unserer Hörseminarreihe: Das Modul zum Thema Ablehnung ist online Selbstführung und Mitarbeiterführung: Sie suchen wirksamen Input zu diesen Themen? In unserer zehnteiligen Hörseminarreihe, exklusiv für das Netzwerk der Grundl Leadership Akademie produziert, finden
Sie jeden Monat eine extra Portion Können und Wirken für Ihren Führungsalltag. Das Juni-Modul finden Sie hier.
» Ergebnisorientierte Führung international: Ein Interview im Podcast von Contriber „It’s all about the vision to develop yourself to become the best you can possibly be.” Im Podcast von Contriber habe ich mit Guerric de Ternay über ergebnisorientierte Führung, die Überwindung von Krisen und das gesprochen, was eine gute Führungskraft ausmacht. Hören Sie selbst rein.
» Von der Krise zur Chance Es gibt Momente im Leben, die alles verändern. Mein Moment ereignete sich in Mexiko. Mein Klippensprung führte mich in ein komplett neues Leben. Lesen Sie mehr über die Macht des Neustarts im Fleet Magazine.
» Einfach mal eine Entscheidung treffen Wir leben in einer zwiegespaltenen Welt. Der Druck, funktionieren zu müssen, kommt von allen Seiten und nimmt ständig zu. Der Selbstoptimierungswahn kennt keine Grenzen. Fühlen Sie sich selbst stimmig? Tun Sie das, was Sie wollen? In meinem Artikel „Einfach mal eine Entscheidung treffen!“ in Network Karriere habe ich meine Sicht auf das Thema geschildert.