Vom Glueck verfolgt

nach dem Brot, dem Kern allen Übels, und würde es Lilly am ... „Jonas kommt bald und holt mich ab. Bis dahin will ich fertig sein!“ Jonas? Shit, dann muss ich ...
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Anouk Ferez

Vom Glück verfolgt Roman

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© 2015 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2015 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: fotolia, #40360172 - Schornsteinfeger 3b © Fiedels Printed in Germany

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ISBN 978-3-8459-1528-9 ISBN 978-3-8459-1529-6 ISBN 978-3-8459-1530-2 ISBN 978-3-8459-1531-9 Mini-Buch ohne ISBN

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Schwarzer Montag

Eigentlich sind Montage echt schlimm. Besonders solch ein Montagmorgen. Eigentlich ist alles schlimm, wenn man Lucy Flemming heißt. Ach ja, das bin übrigens ich. Gestatten, der größte Pechvogel unter der Sonne! Hm, es kann wohl nicht jeder ein Sonntagskind sein, so wie Lilly. Der Unterschied zwischen mir und meiner älteren Schwester wird besonders deutlich, wenn ich genau neben ihr sitze, so wie jetzt gerade. Kaum zu glauben, dass ich mit diesem engelsgleichen Wesen so eng verwandt bin. Ob man sie damals vertauscht hat? Selbst wenn sie sich einen ganzen Toast quer reinstopft, ist Lilly bildhübsch. Klar, ihre Haare haben ja auch die gleiche goldene Farbe wie der dicke Tropfen Honig, der gerade ihre 4

Hand heruntertropft und brav auf der Serviette landet – und nicht auf ihrem neuen, pinken Oberteil. (Solche Pannen unterlaufen nämlich ausschließlich mir. Logisch, ich habe ja auch das Pech gepachtet!) Bei Lillys himbeerfarbenen Traum von einem Top handelt es sich übrigens um haargenau das Shirt, auf das ich schon seit Wochen scharf bin – und das es leider nicht in meiner Größe gab. Natürlich nicht. Die blöde Trulla von Verkäuferin sagte, ich sei eben viel zu klein und dünn für mein Alter. Mit dreizehn sei man heutzutage schließlich längst in der Pubertät und runde sich an gewissen Stellen. Wie selbstherrlich die ihren gewaltigen Bug zu mir herüber geschwenkt hat! Sicher braucht sie für den tonnenweise Stahlverstärkung. Das Leben ist echt gemein: Warum sind die Ressourcen so ungleich verteilt? Abends habe ich noch lange wachgelegen und mich gefragt, warum die Natur mich bisher ausgespart hat. Und ob mit mir wirklich 5

alles in Ordnung ist. Hm, vielleicht liegt es auch daran, dass ich genau genommen noch zwölf bin. Bis zu meinem 13. Geburtstag sind es noch ein paar Tage. Bis dahin kann sich ja noch so einiges tun. „Die Hoffnung stirbt eben zuletzt“, sagt Lilly immer. In diesem Fall gebe ich ihr recht. Wenigstens ist der heutige Montag nicht gar so übel wie sonst. Zumindest fängt er gut an. Mama tut uns nämlich einen riesengroßen Gefallen: Sie ist bereits bei der Arbeit. Meine Mutter ist Tierärztin und hat eine gut laufende Praxis in der Stadt. Dass sie morgens oft früh raus muss (naja, genau genommen ist 6.00 Uhr noch mitten in der Nacht) stört niemanden, nicht mal sie selbst. Fast habe ich den Verdacht, sie fühlt sich unter den Katzen, Kötern und Nagern wohler als an unserem Familientisch. Wir Mädels haben heute später Unterricht. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass ich mir ruhig noch eine Stulle schmieren kann. Wer 6

weiß, vielleicht passt mir so ein cooles pinkes Top dann wirklich irgendwann. Ob man Fett beschwören kann, sich an genau den richtigen Stellen anzusetzen? Ich werde nachher Stine fragen. Hm. Oder doch besser Cora? Die kennt sich bestens mit derlei Fragen aus, seitdem sie die „Mädels Madness“ abonniert. Momentan muss ich leider das Beste aus dem machen, was ich habe. Prüfend blicke ich an mir herab: Das Shirt, das ich mir vorhin übergeworfen habe, ist gar nicht mal so übel. Orange mit weißen Streifen, das bringt meine grauen Augen zum Leuchten. Die sehen dann fast blau aus, wie Lillys. Okay, okay, die Betonung liegt auf „fast“. Mein Fräulein Schwester wird bald sechzehn und schminkt sich täglich – obwohl sie das nicht nötig hätte. Wenn ich mal so alt bin, wäre ich schon froh, so hübsch zu sein wie Lilly, wenn sie einen ihrer vermeintlich schlechten Tage hat. (Ich sage „vermeintlich“, weil es in

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Lillys Leben eigentlich nur Glückssträhnen gibt, die sich nahtlos aneinanderreihen!) Ich wäre schon vollkommen zufrieden damit, so auszusehen wie sie, wenn sie gerade über „Twilight“ geflennt hat und glaubt, sie gleiche einem Meerschweinchen mit Bindehautentzündung. Was natürlich nicht stimmt. Mädchen wie Lilly sehen nicht verheult, sondern „zu Tränen gerührt“ aus. Ja, so schön wie sie möchte ich mal sein. Ich hab nämlich echt keinen Bock mehr, mich immer mit meiner „schönen Seele“ trösten zu lassen. Jungs sind in der Regel keine Psychoanalytiker, die sehen so etwas nicht! „Ooooops!“ Lilly kichert und piekt mich unsanft in die Seite. „Ich glaube, du hast gerade etwas verloren!“ Auch das noch! Meine fett bestrichene Stulle ist quer über mein T-Shirt gesegelt und von dort aus mitten in meinem Schoß gelandet. Natürlich mit der beschmierten Seite nach unten. Nuss-Nougat-Creme. (Wenn schon Schei8

ße, dann mit Anlauf!) Welcher Depp hat eigentlich vor Millionen von Fernsehzuschauern behauptet, dieses zähe, klebrige, braune Zeug sorge für einen guten Start in den Tag? Na, ganz sicher nicht in meinen! Lilly angelt ein Fläschchen aus Mamas Kramkiste. Schwungvoll kippt sie dessen scharf riechenden Inhalt über einen Lappen und wedelt mit dem tropfnassen Teil vor meiner Nase herum. Will die mich jetzt betäuben oder was? „Nimm schon“, kommandiert sie und zeigt mit der Chemiekeule auf meine Hose. Folgsam presse ich das triefende, miefende Tuch auf die kackbraune Stelle auf meiner Jeans. Wer weiß, vielleicht passiert ein Wunder und man kann noch etwas retten – please! Naja. Derlei Phänomene gehören wohl nur ins Werbefernsehen. Jedenfalls nicht ins Leben eines Unglücksraben, so viel steht fest. Der Fleck ist jetzt doppelt so groß wie vorher und sieht aus wie die Reste flüssiger Babykacke. 9

„Doppel-Oooops“, seufzt Lilly und verkündet mit betont zerknirschter Miene: „Lesen hilft manchmal. Hier steht’s: Eignet sich nicht für Teppiche und Textilen. Sorry, Lu.“ Was passiert jetzt? Lösen sich meine Klamotten nun auf oder was? Oh Mann, das war die einzige Jeans, die nicht schlabbert. Die so etwas Ähnliches wie eine Figur enthüllt. Und mein Shirt ist auch hin. Chemieunfall. Kleine Spritzer haben stellenweise die Farbe aus dem Orange gezogen. Wutentbrannt greife ich nach dem Brot, dem Kern allen Übels, und würde es Lilly am liebsten ins Gesicht reiben. Stattdessen schleudere ich es unter wüsten Verwünschungen in die Biotonne. „Jetzt sei nicht sauer, kannst dir doch ein neues schmieren!“, schlägt Lilly aufmunternd vor. Manchmal kann ich nicht glauben, dass sie so eine lange Leitung hat. Toll. Unter einem gemütlichen Frühstück stelle ich mir etwas anderes vor, als in versauten Klamotten am Tisch zu sitzen. Allerdings hab ich keine Ahnung, was ich stattdessen an10

ziehen könnte. Meine Cordhose und dazu den gelben Pulli? Fällt aus! Ich hasse VAusschnitte (die lassen mich noch magerer erscheinen) und der Schnitt der Hose ist ein absolutes No-go. Das blaue Top? Auf keinen Fall: Das macht mich furchtbar blass! Den schwarzen Rock (sieht aus wie aus dem Altkleidersack, da gehört er auch rein) und dazu die rote Bluse? Bin ich bescheuert? In puncto Klamotten gibt es nur eine Sache, die ich noch mehr hasse als Blusen: Stehkragenblusen! Und genau so ein Monstrum ist dieses scharlachrote Teil. „Hey, ich hol dir schnell deinen Pyjama von oben“, bietet Lilly selbstlos an. Verwundert blicke ich auf. So kenne ich sie ja gar nicht. „Brauchst dir nichts drauf einzubilden“, erklärt sie. „Ich will nur nicht riskieren, dass du Pechvogel die Treppe runterfällst. Jetzt, wo Ma nicht da ist und das ganze Theater mit Notarzt und so dann an mir hängen bleibt.“

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Habe ich schon mal erwähnt, dass ich Prinzessin Lillifee-Schlafanzüge peinlich finde? (Und zwar bereits seitdem ich eingeschult bin!) Und ausgerechnet mit so einem Teil kommt Lilly angeschleppt. Wortlos grinsend wirft sie mir die schweinchenrosa Geschmacksverirrung über, bevor sie wie eine Style Queen aus der Küche schwebt und Kurs auf ihre Kosmetikbar nimmt. Es klingelt heftig an der Tür. „Mach du auf!“, ruft Lilly mit bewegungslosen Lippen aus dem Bad. Sie klingt dabei wie ein BotoxOpfer. Sicher trägt sie gerade wieder dieses Lipgloss auf, das nach Erdbeere schmeckt. Eigentlich schmeckt es nicht wirklich nach Erdbeere, sondern nach etwas Undefinierbarem. Aber vielleicht liegt’s bloß daran, dass ich es neulich in aller Hast ausprobiert habe – nach Genuss einer Leberwurststulle. Es klingelt erneut. Klingeln? Was sage ich, es röhrt! Sicher ist das Paps, der wieder seinen Schlüssel und wichtige Akten vergessen hat. 12

Und auf seine miese Laune habe ich nach meinem Klamotten-Fiasko so rein gar keine Lust. „Kannst du nicht eben öffnen?“, beschwöre ich meine Schwester. „Bist du verrückt?“, kreischt Lilly gegen den Spiegel. „Jonas kommt bald und holt mich ab. Bis dahin will ich fertig sein!“ Jonas? Shit, dann muss ich mich beeilen. Panikartig schaue ich an mir herab: gelbgelockte Fee auf quietschrosa Pyjamaoberteil. Keine Frage: Umziehen geht definitiv vor Zähneputzen! Schnell überprüfe ich meinen Atem: riecht nach Nuss-Nougat. Das ist okay. Zum Glück ist die Fleischwurst mit Knoblauch seit gestern Abend leer. Der Klingelton erinnert inzwischen an die Posaunen von Jericho. Manchmal ist es wirklich besser, nachzugeben. Schwungvoll öffne ich die Tür und zwinge mir ein Lächeln ins Gesicht. „Hallo, Paps!“ „Hi Prinzessin“, sagt Jonas, grinst, und knufft Lillifee in beide Backen – und mich da13

bei in den Bauchnabel. Wenn sich die Erde jetzt nicht sofort auftut und mich verschluckt, schreie ich. Stattdessen schreie ich, weil Lilly mir mit ihren spitzen Absätzen auf den Fuß getreten ist. Sie hat es auf einmal furchtbar eilig, zur Tür zu stöckeln. Wie immer, wenn Jonas zu uns kommt. Genauer gesagt zu ihr kommt. Um sie abzuholen. Ist es eigentlich unfair, sie dafür zu hassen? Lilly ist in weniger als einer Sekunde aus dem Haus. Nicht mal entschuldigt hat sie sich. Jonas dreht sich noch einmal nach mir um: „Schickes Outfit!“ Vor lauter Wut und Enttäuschung möchte ich mir am liebsten die Haare raufen. Leider bleiben meine Finger sofort hängen. Nein, ich fasse es nicht, die Zöpfe! Wie konnte ich das bloß vergessen? Und warum hat Lilly, dieses Biest, mir nichts gesagt? Da sitze ich Trottel in aller Seelenruhe am Frühstückstisch mit einer Frisur à la Whoopi Goldberg – und mache mir einen Kopf über einen Fleck auf meiner Jeans. 14

Ich könnte mir augenblicklich in den Hintern beißen, wenn ich denn einen hätte. Gibt es auf dieser Welt auch nur eine einzige Peinlichkeit, die mir nicht unterläuft? Heute hätte der Tag sein sollen. Der Tag, an dem ich top aussehe. Der Tag, an dem ich einen bleibenden Eindruck bei Jonas hinterlasse – und zwar zur Abwechslung mal einen positiven! Allerdings erst heute Nachmittag, beim Reitunterricht – und nicht morgens um 8.30 Uhr als schweinchenrosa Rastalockenqueen. Nur wegen dem anstehenden Springreittraining habe ich mir gestern Abend diese Heidenarbeit gemacht. Stundenlang habe ich meine aschblonden Spaghetti-Haare zu lauter Zöpfchen geflochten, und zwar bis auf die allerletzte Strähne! Nur so (behaupten die in der „Mädchen“) sei eine gleichmäßige Verteilung der Locken nach dem Öffnen gewährleistet. Schnurstracks renne ich ins Badezimmer. Mir bleibt nur noch eine halbe Stunde Zeit, bis ich los muss. Ungeduldig zerre ich am ersten Zopfband. Autsch, diese Schmerzen! Viel15