Vergleich der Entscheidungsfaktoren für die Positionierung ...

1 Wetz, Franz Joseph, Haben Embryonen Würde? in: Körtner, Ulrich H.J., ... 5 Vgl. zum Beispiel: Kirsch, Werner, Entscheidungsprozeße, S. 248-252.
12MB Größe 3 Downloads 56 Ansichten
Wolf, Nadja: Entscheidungen über Leben und Tod: Vergleich der Entscheidungsfaktoren für die Positionierung gesellschaftlicher Akteure zu den Themen Sterbehilfe, Schwangerschaftsabbruch und Stammzellforschung, Hamburg, disserta Verlag, 2015 Buch-ISBN: 978-3-95425-816-1 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95425-817-8 Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2015

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und die Diplomica Verlag GmbH, die Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Alle Rechte vorbehalten © disserta Verlag, Imprint der Diplomica Verlag GmbH Hermannstal 119k, 22119 Hamburg http://www.disserta-verlag.de, Hamburg 2015 Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis A Einleitung ............................................................................................................................... 11 1

Problembeschreibung und Forschungsstand ..................................................................... 11

2

Fragestellung und Zielsetzung .......................................................................................... 14

3

Voraussetzungen und Eingrenzungen ............................................................................... 14

4

Methodischer Ansatz ......................................................................................................... 16

5

Gang der Untersuchung..................................................................................................... 18

B Entscheidungen über Leben und Tod – Vergleich der Entscheidungsfaktoren für die Positionierung gesellschaftlicher Akteure zu den Themen Sterbehilfe, Schwangerschaftsabbruch und Stammzellforschung ........................................................ 21 1

Thematische Einführungen ............................................................................................... 21 1.1 Reformen im politischen System .................................................................................. 21 1.2 Theoretische Grundlagen: Die Entscheidungstheorie ................................................... 26 1.3 Philosophischen Grundlagen ......................................................................................... 38 1.3.1

Grundlegende ethische Prinzipien ......................................................................... 40

1.3.2

Die Menschenwürde .............................................................................................. 42

1.3.3

Medizin- und Bioethik .......................................................................................... 43

1.3.4

Wissenschaftsethik und Technikfolgenabschätzung ............................................. 45

1.3.5

Wirtschaftsethik .................................................................................................... 49

1.3.6

Die Sozialethik ...................................................................................................... 50

1.3.7

Religionsethik........................................................................................................ 52

1.3.8

Weitere Konzepte, deren Inhalte zur Argumentation medizinethischer Fragen verwendet werden ( Feminismus, Psychologie, Anthropologie) .............. 54

1.3.9

Neuere, bereichsübergreifende ethische Konzepte ............................................... 59

1.4 Rechtliche Grundlagen .................................................................................................. 63 1.5 Medizinisch-biologische Grundlagen ........................................................................... 64 2

Entscheidungen über Leben und Tod – Vergleich der Entscheidungsfaktoren für die Positionierung gesellschaftlicher Akteure zu den Themen Sterbehilfe, Schwangerschaftsabbruch und Stammzellforschung: Darstellung und Analyse der Positionen gesellschaftlicher Akteure zu den drei Themenbereichen .............................. 66 2.1 Die Sterbehilfe............................................................................................................... 66 2.1.1

Einleitung .............................................................................................................. 66

2.1.1.1

Medizinisch-rechtliche Grundlagen .............................................................. 67

2.1.1.2

Historische Einführung ................................................................................. 72

2.1.2

Die Positionierung gesellschaftlicher Akteure: Darstellung und Analyse der Entscheidungsfaktoren .................................................................................... 91

2.1.2.1

Die Juristen.................................................................................................... 91

2.1.2.2

Die Mediziner ................................................................................................ 95

2.1.2.3

Organisationen Betroffener oder Stellvertreter ........................................... 104

2.1.2.4

Die Wählerschaft - Soziale Bewegungen .................................................... 112

2.1.2.5

Die Ethikräte ............................................................................................... 118

2.1.2.6

Die christlichen Kirchen.............................................................................. 123

2.1.2.7

Die Wirtschaftsunternehmen ....................................................................... 128

2.1.3

Zusammenfassung der Entscheidungsfaktoren für die Positionierung gesellschaftlicher Akteure zum Thema Sterbehilfe ............................................ 130

2.2 Der künstliche Schwangerschaftsabbruch ................................................................... 136 2.2.1

Einleitung ............................................................................................................ 137

2.2.1.1

Medizinisch- rechtliche Grundlagen ........................................................... 137

2.2.1.2

Historische Einführung in das Thema ......................................................... 139

2.2.2

Die Positionierung gesellschaftlicher Akteure: Darstellung und Analyse der Entscheidungsfaktoren .................................................................................. 155

2.2.2.1

Die Juristen.................................................................................................. 155

2.2.2.2

Die Mediziner .............................................................................................. 161

2.2.2.3

Organisationen Betroffener oder Stellvertreter ........................................... 168

2.2.2.4

Die Wählerschaft - Soziale Bewegungen .................................................... 173

2.2.2.5

Die Ethikräte ............................................................................................... 179

2.2.2.6

Die christlichen Kirchen.............................................................................. 180

2.2.2.7

Die Wirtschaftsunternehmen ....................................................................... 186

2.2.3

Zusammenfassung der Entscheidungsfaktoren für die Positionierung gesellschaftlicher Akteure zum Thema Schwangerschaftsabbruch .................... 187

2.3 Die Stammzellforschung ............................................................................................. 193 2.3.1

Einleitung ............................................................................................................ 193

2.3.1.1

Medizinisch-rechtliche Grundlagen ............................................................ 194

2.3.1.2

Historische Einführung ............................................................................... 203

2.3.2

Darstellung und Analyse der Position ausgewählter Akteure ............................. 207

2.3.2.1

Die Juristen.................................................................................................. 207

2.3.2.2

Die Mediziner und Biologen ....................................................................... 212

2.3.2.3

Organisationen Betroffener oder Stellvertreter ........................................... 224

2.3.2.4

Die Wählerschaft - Soziale Bewegungen .................................................... 230

2.3.2.5

Die Ethikräte ............................................................................................... 241

2.3.2.6

Die christlichen Kirchen.............................................................................. 258

2.3.2.7

Die Wirtschaftsunternehmen ....................................................................... 266

2.3.3 3

Zusammenfassung der Entscheidungsfaktoren für die Positionierung gesellschaftlicher Akteure zum Thema Stammzellforschung............................. 277

Vergleich der Entscheidungsfaktoren ............................................................................. 283

C Zusammenfassung ............................................................................................................... 309 1

Die Zusammenfassung der Ergebnisse des Vergleichs der Entscheidungsfaktoren: ...... 309

2

Schlussbemerkung ........................................................................................................... 317

Literatur- und Online- und Quellenverzeichnis ..................................................................... 319 Verzeichnis des Anhangs .......................................................................................................... 365

A Einleitung 1 Problembeschreibung und Forschungsstand Veränderungen sind in pluralistisch strukturierten, föderalen parlamentarischen Demokratien wie Deutschland schwer durchsetzbar. Die institutionellen politischen Strukturen allein reichen oftmals aus, um Reformprozesse erheblich zu verlangsamen. Teilweise sind die Ursachen für Stagnationen aber auch weit grundlegender und tief in der Gesellschaft verankert. Besondere Schwierigkeiten sind zu erwarten, wenn eine Reform fest gefügte Traditionen aufbrechen will und die ins Auge gefassten Veränderungen substanzielle Fragen, wie ethische Grundsatzentscheidungen, berühren. Existenzielle Neuorientierungen, wie sie mit den in dieser Studie untersuchten thematischen Schwerpunkten notwendig werden und die genau an solchen weit anerkannten Grundsätzen rütteln, wie zum Beispiel dem allgemeinen Tötungsverbot, sind daher äußerst schwer zu erreichen. Die Änderungen von Regeln, die den Umgang mit Leben und Tod betreffen, werden deshalb auch in der Öffentlichkeit als besonders einschneidend wahrgenommen. Entsprechende Reformvorhaben lösen einen weitreichenden Diskussionsbedarf aus. Möglich sind Änderungen aber auch auf diesem Gebiet. Der Philosoph Franz Josef Wetz beschreibt dieses Phänomen folgendermaßen: „Offenbar werden wir von einer Logik des langsamen Heranschleichens beherrscht, die bislang normativ ausgeschlossene technische Praktiken schrittweise normalisiert, bis der Normbruch nicht mehr als solcher wahrgenommen wird. Hierbei werden im Kampf der Moderne gegen unvermeidliches Los nachgerade ethische wie auch rechtliche Grenzen verschoben, mehr und mehr den gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen angepasst.“1 Entsprechende Neuorientierungen sind in jüngster Zeit im Zuge der Auseinandersetzung mit den Themen Sterbehilfe, Schwangerschaftsabbruch und Stammzellforschung notwendig geworden. Liberalisierungen auf allen drei Themengebieten berühren zentrale Elemente des ethischen Grundwerteverständnisses dieser Gesellschaft, da sie an den, über Generationen tradierten, Vorstellungen über den Wert des Lebens rütteln. Die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen stellen Gesellschaft und Gesetzgebung vor Konfliktsituationen, für deren Lösung keine allgemein eindeutig anerkannte theoretisch-ethische Handlungsrichtlinie mehr existiert. Alle drei Themengebiete erfüllen damit in besonderer Weise das für reformstauverdächtige Vorhaben gel1

Wetz, Franz Joseph, Haben Embryonen Würde? in: Körtner, Ulrich H.J., Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin?, S. 38.

11

tende Kriterium einer erschwerten Mehrheitsbildung. Diese drei Fälle sind auch deshalb interessant, weil sie sich deutlich hinsichtlich des Reformstadiums unterscheiden. Während in der Frage der Sterbehilfe über Jahrhunderte kaum politische Neuerungen auftraten, wurden auf dem Gebiet des Schwangerschaftsabbruchs nach jahrzehntelangen Diskussionen Liberalisierungen durchgesetzt und in bedingtem Umfang war dies im Bereich der Stammzellforschung sogar innerhalb weniger Jahre zu beobachten. Wie bereits angedeutet, müssen zur Erklärung sämtlicher politischer Veränderungen und deren Geschwindigkeit eine Vielzahl von grundsätzlichen Faktoren herangezogen werden. Hierzu gehören zum Beispiel das Staatssystem, das Wahlrecht oder das Parteiensystem2, um nur einige zu nennen. Aber auch die gesellschaftlichen Akteure bilden einen besonders wichtigen Einflussfaktor. Dies gilt insbesondere für Themengebiete dritter Ordnung, die als schlecht strukturiert zu bezeichnen sind. In solchen Fällen kann auch gesellschaftlichen Gruppen mit vergleichsweise geringer institutioneller Macht de facto die Position von Vetospielern zufallen. Da sie in der Summe die Wählerschaft ausmachen, kann ihre Haltung mehrheitsbildend sein. Bei existentiellen Neuorientierungen, in denen ethische Grundüberzeugungen in Frage gestellt werden, wird angenommen, dass insbesondere tradierte Wertvorstellungen die Positionierung der beteiligten Akteure maßgeblich bestimmen. Gerade in den hier thematisierten, ethisch tief verankerten Bereichen hängt daher das Tempo des Reformprozesses und unter Umständen sogar die Reformfähigkeit an sich, ganz maßgeblich davon ab, wie sich diese Akteure positionieren. Der bei der Positionierung gesellschaftlicher Akteure ablaufende Meinungsbildungsprozess wiederum ist, den Annahmen der Entscheidungstheorie folgend, abhängig von bestimmten Entscheidungsfaktoren. Es stellt sich mithin also die Frage, ob es konkrete Faktoren gibt, die Veränderungsprozesse speziell in diesem Bereich beeinflussen und sich später grundsätzlich vereinfachend oder erschwerend auf die Durchsetzung von Reformbestrebungen auswirken. Diese zu kennen und für die drei unterschiedlichen Bereiche zu vergleichen, kann zum besseren Verständnis der Reformfähigkeit zu ethischen Fragen beitragen. Die Kenntnis und Beachtung dieser Faktoren kann ferner bei zukünftigen politischen Prozessen im medizinischethischen Bereich von Bedeutung sein. Denn sie erlauben, die Ursachen für die Positionierung gesellschaftlicher Akteure auf diesem Gebiet zu durchschauen und einzuplanen.

2

Vgl. Nohlen, Dieter, Wahlrecht und Parteiensystem.

12

Dass eine solche Untersuchung notwendig ist, lässt sich bei Betrachtung der bisherigen Forschungslage auf diesem Feld erkennen. Das Vorhandensein bestimmter gesellschaftlicher Grundvoraussetzungen als Basis für Reformen, ist in der Politikwissenschaft, der Soziologie und auch der Psychologie allgemein anerkannt. Auch wird in der einschlägigen Literatur grundsätzlich nicht bestritten, dass sich ethische Entscheidungen ändern und diese Änderungen von bestimmten Voraussetzungen abhängig sind. Faktoren, welche die Liberalisierung ethischer Grundsatzentscheidungen beeinflussen, sind dennoch bisher nur sehr allgemein dargestellt worden. Einzelne Werke3 versuchen grundsätzliche Zugänge zum Thema Reformen zu liefern und beziehen sich dabei nur gelegentlich auf konkrete Reformvorhaben. Eine Untersuchung der Gründe für die Positionierung spezifischer Akteure zu realen ethischen Problemen ist bisher noch nicht durchgeführt worden. Das gilt zumindest bezüglich des hier untersuchten Themenkomplexes. Nur wenige Werke beschäftigen sich überhaupt mit den drei hier untersuchten Themenfeldern gemeinsam, obwohl ihr Zusammenhang durchaus bekannt ist.4 Auch die Entscheidungstheorie, die hier als theoretische Grundlage der Untersuchung dient, bestätigt nur allgemein die Annahme, dass grundsätzliche Entscheidungsfaktoren die Positionierung gesellschaftlicher Akteure, auch in Bezug auf ethische Fragestellungen, beeinflussen. Sie hält aber dennoch keine konkreten Beispiele bereit, anhand derer diese Faktoren nachweislich zusammengefasst würden. Um vergangene politische Veränderungen zu einem bestimmten ethischen Problemkomplex erklären oder zukünftige Entwicklungen beeinflussen zu können, ist daher eine genauere Untersuchung der ihnen zugrunde liegenden Entscheidungsfaktoren sinnvoll. Schon seit einigen Jahren wird gefordert, auf dem Gebiet der Entscheidungstheorie mehr einmalige politische Prozesse zu untersuchen, um deskriptive Bestätigungen der normativen Ansätze zu gewinnen.5 So kann diese Studie vielleicht dazu beitragen, auch das theoretische Forschungsfeld mit einem weiteren Impuls zu bereichern, wenngleich dies nicht das vorrangige Ziel der Studie ist.

3

Vgl. zum Beispiel: Vorländer, Hans, Politische Reform in der Demokratie. Vgl. zum Beispiel: Leist, Anton, Um Leben und Tod. 5 Vgl. zum Beispiel: Kirsch, Werner, Entscheidungsprozeße, S. 248-252. 4

13

2 Fragestellung und Zielsetzung Es soll in dieser Studie die Frage beantwortet werden, ob sich bestimmte Entscheidungsfaktoren definieren lassen, die Erklärungswert für die unterschiedlich weit vorangeschrittenen Liberalisierungsprozesse bieten. Ziel dieser Studie muss es also sein, in einem ersten Schritt solche Entscheidungsfaktoren zu entdecken. Diese sollen sich aus der Analyse der Positionierung ausgewählter gesellschaftlicher Akteure ergeben. Hierzu werden die Positionen von sieben ausgewählten gesellschaftlichen Akteuren zu den Themen Sterbehilfe, Abtreibung und Stammzellforschung untersucht. Aus den dargestellten Positionen werden die Entscheidungsfaktoren abgeleitet. Schließlich werden diese Entscheidungsfaktoren unter dem Gesichtspunkt verglichen, ob sie zu den drei Entscheidungssituationen in unterschiedlicher Weise vorlagen und somit Erklärungswert für die unterschiedlich weit vorangeschrittenen und unterschiedlich schnell durchgeführten Liberalisierungsprozesse haben.

3 Voraussetzungen und Eingrenzungen Diese Studie befasst sich mit einem Themenkomplex, der in der Entscheidungstheorie als „schlecht strukturiert“ bezeichnet wird und somit zu den kompliziertesten Bereichen gehört, in denen Entscheidungen getroffen werden. Um den Rahmen der Studie nicht zu sprengen, müssen daher einige Festlegungen getroffen und Einschränkungen vorgenommen werden. Zunächst wird aus dem weiten medizinisch-ethischen Entscheidungsproblemfeld eine Auswahl von drei bestimmten Themen herausgenommen: Die Sterbehilfe, die Abtreibung und die Stammzellforschung. Die Auswahl der Themen hängt mit deren tendenzieller Vergleichbarkeit zusammen. Diese wird vorausgesetzt, da in allen drei Bereichen die Frage einer zumindest partiellen Neubestimmung existentieller Grundfragen zu Tötungsdelikten angeschnitten wird. Mit dem thematischen Schwerpunkt, der sich mit der Positionierung zur Stammzellforschung befasst, sind zwei medizinische Eingriffsmöglichkeiten inhaltlich so stark verbunden, dass sie zusätzlich in das Untersuchungsfeld fallen. Zum einen die Präimplantationsdiagnostik, da auch hierbei totipotente Zellen zerstört werden müssen. Zum anderen das Verfahren des Klonens, da dieses zur Gewinnung von embryonalen Stammzellen angewandt werden könnte.

14

Auch kann nur eine kleine aber doch repräsentative Auswahl an Akteuren hinsichtlich ihrer Entscheidungen untersucht werden. Deren Auswahl erfolgt nach dem Kriterium der Intensität ihrer Beteiligung an der thematischen Auseinandersetzung. Die Auswahl konzentriert sich auf solche Akteure, die sich mindestens zu einer der drei Fragestellungen besonders konkret positioniert haben. Um später auch vergleichen zu können, inwieweit sich die Entscheidungen der einzelnen Akteure zu den drei Untersuchungsbereichen durch geänderte Entscheidungsfaktoren erklären lassen, werden jeweils die gleichen Akteursgruppen betrachtet. Die Untersuchung der Entscheidungsfaktoren beschränkt sich auf solche, die sich explizit auf die hier gestellten Fragestellungen beziehen. Deren Bestimmung erfolgt auf der Grundlage der Entscheidungskriterien, die entweder von den Akteuren selbst zur Argumentation herangezogen wurden oder die aus dem Zusammenhang ersichtlich sind. Grundsätzliche weitere Faktoren, die jegliche Entscheidungen beeinflussen, wie zum Beispiel strukturelle Faktoren, die sich aus dem hierarchischen Aufbau der Organisation ergeben, werden nicht berücksichtigt. Auch nicht berücksichtigt werden können psychologische Ursachen für Entscheidungsfindungen. Auch wird explizit darauf hingewiesen, dass es nicht Ziel der Untersuchung ist, die Durchsetzungsfähigkeit einzelner Akteure zu bestimmen. Wie weiter unten ausgeführt wird, ist diese abhängig von bestimmten Machtverhältnissen, die hier nicht im Detail thematisiert werden können, da dies den Rahmen der Studie sprengen würde. Die Studie wird von einem politikwissenschaftlichen Erkenntnisinteresse geleitet. Dessen Umsetzung erfordert jedoch einen interdisziplinären Ansatz. So fließen auch medizinische, juristische, philosophische und historische Problemstellungen ein. Zugleich wird auf eine Bewertung aus ethischer, rechtlicher oder medizinischer Perspektive verzichtet. Sämtliche aus diesen Fachgebieten entnommenen Hintergrundinformationen dienen nur dem besseren Verständnis der Studie und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Zeitlich konzentriert sich die Studie in erster Linie auf die Entwicklung der Positionen zwischen 1945 bis Ende 2006. Die Studie beschäftigt sich in allen Teilen nur auf ethische Entscheidungen, die sich auf den Umgang mit der Beendigung des Lebens von Menschen beziehen, nicht auf den Umgang mit Tieren oder Pflanzen. Eine geographische Beschränkung auf Deutschland, beziehungsweise teilweise Westdeutschland, ist notwendig und sinnvoll, weil die ethischen Werte und Regelungen in verschiedenen Ländern und Kulturen variieren. Trotzdem wird eine komplette Ausklammerung des internationalen, besonders des europäischen Umfelds, aufgrund der weitreichenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verzahnung nicht möglich sein. 15

Die genannten Einschränkungen ergeben sich aufgrund der Komplexität des Themas und zeigen, dass zu einem vollen Verständnis der Entscheidungsprozesse in schlecht strukturierten Bereichen auch weiterhin noch Fragen offen bleiben müssen. Hier nicht behandelte Entscheidungsfaktoren können Ansatzpunkte für weitere Forschungsprojekte sein. Die Studie sieht sich daher als Teilstück eines Forschungsprozesses, den es auf diesem Gebiet noch zu beschreiten gilt.

4 Methodischer Ansatz Zur Beantwortung der hier gestellten Frage werden zwei methodische Schritte durchgeführt. Die Methode, die zur Analyse der Faktoren gewählt wurde, ist eine deskriptive Untersuchung der Positionierungen bestimmter Akteure. Um zu erkennen, inwieweit diese Faktoren zu den drei Themenbereichen unterschiedlich vorlagen, und somit Erklärungspotential für die unterschiedlich weit entwickelten Liberalisierungsprozesse bieten, werden diese anschließend verglichen. Zunächst werden also die Positionen der Akteure zu den drei Themen betrachtet, so dass sich die Entscheidungsfaktoren ergeben, die für die Position bestimmend waren. Eine solche Methode entspricht dem Vorgehen der deskriptiven Entscheidungstheorie. Mit der deskriptiven Entscheidungstheorie wird versucht, Entscheidungsfaktoren für reale Entscheidungsprozesse zu ermitteln und die Entscheidung somit transparent zu machen. Wie später in der Studie noch gezeigt wird, befindet sich die hier zugrunde gelegte Methode der deskriptiven Entscheidungstheorie noch in der Konzeption. Das heißt, es liegt kein umfassendes Entscheidungsmodell vor, das auf die vielfältigen Entscheidungsprozesse der Politik angewandt werden könnte. Unter Umständen ist die Konzeption eines komplexen Gesamtmodells aufgrund der sehr differenten Entscheidungssituationen auch gar nicht möglich. Es wurde aber versucht, auf Faktoren aufmerksam zu machen, die sich bereits aus vorhandenen theoretischen Ansätzen ableiten ließen. Günter Bamberg definiert aber explizit, dass die deskriptive Enzscheidungstheorie „nicht von gegeben Prämissen ausgehen kann, sondern deren Zustandekommen zum Untersuchungsobjekt erheben muss und dass sie empirisch beobachtete Begrenzungen der Rationalität in ihre Aussagen einbeziehen muss.“ Die Formalstruktur einer solchen Untersuchung setzt sich, laut Bamberg6, aus zwei Elementen zusammen: Die Beschreibung empirisch gewonne6

Bamberg, Günter, Betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie, S. 5.

16

ner Aussagen über den Sachverhalt (Explannandum) und die Formulierung eines Gesetzes, das für die Erklärung des infrage stehenden Sachverhaltes relevant ist, beziehungsweise das Festlegen von Bedingungen, die eine Gesetzesaussage fixieren (Explanans). Der Erklärungswert ergibt sich also aus der Ermittlung eines unbekannten Explanans aus einem bekannten Explanandum. In diesem konkreten Fall gilt es die Positionierung verschiedener Akteure zu den drei Fragestellungen darzustellen (Explanandum). Als Explanans sind die verschiedenen Entscheidungsfaktoren zu ermitteln. Der Vergleich der Entscheidungsfaktoren soll Aufschluss darüber geben, inwieweit die unterschiedlich weit vorangeschrittenen Liberalisierungsprozesse hiermit erklärt werden können. Ein wesentlicher Anspruch der Studie besteht also darin, die Positionierungen der Akteure zu den unterschiedlichen Themenbereichen zu erfassen und darzustellen. Eine so umfassende Betrachtung einer derart großen Zahl an Akteursgruppen zu allen drei Bereichen gibt es bisher noch nicht. Aus der Analyse dieser Positionen ergeben sich jeweils die Entscheidungsfaktoren für die drei Untersuchungsschwerpunkte. Bei dieser Vorgehensweise stellte sich zunächst das Problem der Auswahl der Akteure. Um möglichst viele Entscheidungsfaktoren zu ermitteln, erscheint es weniger wichtig, welche Akteure ausgewählt werden, als dass eine hinreichend große Zahl ausgewählt wird, deren Positionierung möglichst deutlich zu erkennen ist. Als weiteres Problem stellte sich heraus, dass nicht jeder Akteur zu jedem der Themen eine Position bezog. Um aber eine gewisse Kontinuität zu wahren, sollten zu jedem Thema die gleichen Akteursgruppen untersucht werden. Es wurden daher möglichst breit gefächerte Akteursgruppen ausgewählt, so dass die Einbeziehung verschiedener Einzelakteure möglich war. So konnte etwa aus der Akteursgruppe der Juristen zum Thema Sterbehilfe schwerpunktmäßig auf Stellungnahmen des Juristentages zurückgegriffen werden, während zu einem anderen Thema die Einschätzungen des BVG maßgeblich waren. Bei der Auswahl der Akteursgruppen wurde darauf geachtet, dass Mitglieder der Akteursgruppe möglichst zu jedem Thema Stellung bezogen. Gelegentlich mussten aber auch Akteursgruppen gewählt werden, die sich nur zu einem Thema positionierten, dann aber umso entscheidender. Ein Beispiel wäre die Akteursgruppe der Wirtschaftsunternehmen, die sich nur zum Thema Stammzellforschung positionierte. Die nächste Herausforderung war das Erkennen und Benennen der Entscheidungsfaktoren. Hierbei ergab sich das Problem, aus den Argumentationen der Akteure und aus der Betrachtung des Gesamtzusammenhangs möglichst viele Faktoren abzulesen, aber auch zu erkennen, wenn sich mehrere untergeordnete Gesichtspunkte unter einem gemeinsamen Faktor zusammenfassen ließen. Ein

17

Beispiel hiefür wäre der Entscheidungsfaktor der Praktikabilität, der verschiedene Aspekte zusammenfasst, die für eine Positionierung verantwortlich waren. Ein neuer Entscheidungsfaktor wurde immer dann definiert, wenn sich der Sachverhalt, der eine bestimmte Positionierung beeinflusste, nicht mehr logisch einem anderen Entscheidungsfaktor zuordnen ließ. Probleme ergaben sich auch aus dem Umstand, dass nahezu alle Entscheidungsfaktoren interpretierbar waren. Bei der Benennung der Faktoren musste deshalb darauf geachtet werden, dass gegensätzliche Interpretationen möglich waren und somit nicht nur eine Position zugelassen wurde. Aus der Bearbeitung des Themas in Form der Darstellung der Positionen sollte sich am Ende jeden Kapitels ermitteln lassen, welche Entscheidungsfaktoren für Positionierungen verantwortlich waren und in welcher Form sie zu den Einzelthemen vorlagen. Da es sich um eine sehr komplexe Entscheidungssituation handelt, konnten nicht alle beteiligten Akteure untersucht werden. Auch mussten in Bezug auf die zu ermittelnden Entscheidungsfaktoren Einschränkungen vorgenommen werden. So konnten psychologische Entscheidungsfaktoren, die sich auf die Interpretation von anderen Entscheidungsfaktoren auswirkten, nur dort einbezogen werden, wo sie sich objektiv und als Massenphänomen ergaben. Strukturelle Entscheidungsfaktoren, wie innere Machtstrukturen oder Informationsbeschaffungswege, die sich besonders auf den Zielbildungsprozess auswirken, wurden komplett ausgeklammert, da die Berücksichtigung dieser Faktoren eine so intensive Beschäftigung mit den Einzelakteuren vorausgesetzt hätte, wie das im Rahmen dieser Studie nicht zu leisten war. Die hier vorgenommene Auswahl und Benennung der Faktoren ist somit nicht die einzig mögliche, sie ist aber besonders geeignet, um den Vergleich zu erlauben. Die hier vorgenommene Auswahl und Benennung der Faktoren ist somit nicht die einzig mögliche, sie ist aber besonders geeignet, um den Vergleich zu erlauben. Der zweite methodische Schritt, der Vergleich, soll schließlich den zweiten Teil der Forschungsfrage beantworten. Es soll erkannt werden, ob die Faktoren zu den drei Themenbereichen insoweit unterschiedlich vorlagen, dass sich aus diesen Unterschieden Erklärungspotential für die ungleich weit vorangeschrittenen Liberalisierungsprozesse ergibt.

5 Gang der Untersuchung In der thematischen Einführung zu dieser Studie werden die Grundlagen zum Verständnis der hier untersuchten Themenfelder geliefert. Die Einführung erstreckt sich auf fünf Bereiche: Zunächst wird im Abschnitt „Reformen im politischen System“ die Bedeutung gesellschaftli-

18

cher Akteure für politische Veränderungen herausgestellt. Anschließend wird in die Entscheidungstheorie als theoretische Grundlage für die Untersuchung der Positionierung der gesellschaftlichen Akteure zu den drei genannten medizinischen Eingriffmöglichkeiten eingeführt. Im Gliederungsabschnitt „Philosophische Grundlagen“ wird hernach dargestellt, welche philosophisch-ethischen Angebote zur Klärung von Fragen vorliegen, die den Umgang mit Leben und Tod betreffen. Auch wird erläutert, weshalb diese zur endgültigen Klärung der Fragen nicht ausreichend sind. Überblickartig werden dann grundsätzliche rechtliche Orientierungen zum Umgang mit Leben und Tod gegeben. Detaillierte rechtliche Regelungen zu den Einzelfällen werden in den spezifischen Einleitungen zu den drei Untersuchungsthemen dargestellt. Unter der Überschrift „Medizinisch-biologische Grundlagen“ wird schließlich die Entwicklung des Menschen von der Geburt bis zu seinem Tod mit den medizinischen Fachbegriffen beschrieben und grundsätzliche medizinische Eingriffsmöglichkeiten in diesen Ablauf werden genannt. Der Hauptteil der Studie gliedert sich nach den drei Themenbereichen Sterbehilfe, Abtreibung und Stammzellforschung. Jedem Themenkomplex wird wiederum eine kurze spezifische Einleitung vorausgeschickt, in der die grundlegenden medizinischen und rechtlichen Voraussetzungen zu den Einzelthemen dargelegt werden und eine historische Einführung in das Thema gegeben wird. Dies ist notwendig, um die Ausgangslage für die Positionierung der einzelnen Akteure darzustellen und Argumente für bestimmte Positionen in den richtigen Zusammenhang zu setzen. Da sich, im Sinne einer Pfadabhängigkeit oder Kausalitätskette, historische Entwicklungen und historisch verankerte Ansichten auf aktuelle Entscheidungen auswirken7, wird angenommen, dass sie die Positionierung der Akteure in besonderem Maße beeinflussen. Auf die themenspezifischen Einleitungen folgen die Untersuchungen zur Positionierung der einzelnen gesellschaftlichen Akteure im zeitlichen Verlauf, so dass auch Positionsveränderungen erkannt werden können. Untersucht werden die Positionen folgender Akteursgruppen: Akteure aus dem Bereich Recht, Akteure aus dem Bereich Medizin, Betroffene oder Stellvertreter, Soziale Bewegungen innerhalb der Wählerschaft, Ethikräte, Kirchen und Akteure aus der Wirtschaft. Auf der Grundlage dieser Erhebung werden die Entscheidungsfaktoren ermittelt, welche für die jeweilige Positionierung oder eben auch für das Fehlen der Positionierung ausschlaggebend waren.

7

Vgl. Ackermann, Rolf, Pfadabhängigkeit, Institutionen und Regelreform.

19

Die erkannten Entscheidungsfaktoren werden in einem Zwischenfazit zusammengefasst und es wird dargestellt, wie sie in dem untersuchten Fall vorlagen, soweit sich dies aus der Untersuchung der Positionierungen ergibt. In drei Teilen werden auf diese Weise die Themen Sterbehilfe, Abtreibung und Stammzellforschung analysiert. Die Entscheidungsfaktoren, die sich aus der jeweils vorangegangen Untersuchung bereits ergeben haben, werden auf ihre Eignung und Übertragbarkeit zur Untersuchung der Veränderungen überprüft, die bei den Positionierungen der Akteure festgestellt werden konnte. Neue entscheidende Faktoren werden hinzugefügt. Die Entscheidungsfaktoren werden durch diesen Aufbau immer weiter überprüft und verfeinert werden. Ein Vergleich der Faktoren, bezogen auf die drei Untersuchungsbereiche, soll anschließend zeigen, inwieweit sich aus den Unterschieden oder Übereinstimmungen Erklärungspotential für die unterschiedlich weit vorangeschrittenen Liberalisierungsbemühungen ergibt. Zum Schluss werden die Ergebnisse der Studie zusammengefasst.

20