Unser Schicksal liegt nicht in den Händen der Sterne - Buch.de

Aber mein Traum? Sonst träumte ich wenig bis gar nicht und konnte mich meistens auch nicht mehr daran erinnern. Klar, jetzt war es mir auch erst nach ein paar Minuten wieder einge- fallen, aber trotzdem, die Bilder waren einfach so unheimlich klar gewesen und ich hatte auch ein Gefühl, dass es, naja, wichtig war.
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Sophie Neudorfer

Unser Schicksal liegt nicht in den Händen der Sterne Fantasy

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© 2017 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2017 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Sophie Neudorfer Printed in Germany Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck

ISBN 978-3-8459-2270-6 ISBN 978-3-8459-2271-3 ISBN 978-3-8459-2272-0 ISBN 978-3-8459-2273-7 Mini-Buch ohne ISBN

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Kapitel 1 Als ich über eine große Lichtung blicke, sehe ich ihn. Mein Blick wird von ihm aufgefangen und lässt ihn nicht mehr los. Nicht weil der Junge so schön ist, obwohl er es ist, nein, sein aschfahles Gesicht veranlasst mich nur aus Mitleid, ihn anzublicken. In diesem kann ich den Schmerz sehen, der ihm zugefügt worden ist. Um ihn herum flimmert die Luft, als wäre er von Magie umgeben. Und um seine Handgelenke sprühen Funken, die wirken, als würden sie ihn an den Baum hinter ihm fesseln. Ich spüre etwas Übernatürliches an diesem Ort, vielleicht ist er das ja auch. Die Blumen, die hier wachsen, sind so schön, dass sie mir sofort unwirklich erscheinen. Ich versuche mich auf ihn zu zubewegen, doch meine Beine wollen mir nicht gehorchen. Eine schreckliche Gewissheit brennt sich in mein Bewusstsein: Der Junge ist dem Tode nahe und ich bin die einzige, die ihm helfen kann. Doch es gelingt mir einfach nicht, mich vom Fleck zu rühren… „Sina!“, holte mich die sanfte, aber bestimmte Stimme meiner Mutter aus dem Schlaf. Müde 4

schlug ich die Augen auf und spürte, wie mir das T-Shirt, in dem ich geschlafen hatte, an der Haut klebte, als wäre der Stoff zu einem Teil von mir geworden. Ich setzte mich auf und rieb mir mit den Händen den Schlaf aus den Augen. Am Rande nahm ich wahr, dass der Blick meiner Mutter immer noch auf mir ruhte, und so zwang ich mich zu einem verschlafenen Lächeln, worauf sie nur ergeben sagte: „Schatz, es wird Zeit. Ich weiß, dass du das jetzt noch nicht hören willst, aber die Mathearbeit wartet nicht.“ In ihrer Stimme schwang ein Unterton mit, der keine Widerrede zuließ und mich mehr oder weniger in die Gegenwart zurückholte. Das war aber auch gut so, denn es kam schon öfter vor, dass meine Mutter schwerere Geschütze auffahren musste, um mich aufzuwecken. Aber die Mehrheit unserer Gesellschaft waren eben keine Morgenmenschen und ich vertrat meine Kategorie mit ziemlicher Standhaftigkeit. „Schon gut, Mama, ich werde das Bett schon verlassen. Heute noch.“ Erst jetzt, lächelte 5

auch sie mir zu, stand auf und verließ den Raum. Müde fasste ich mir mit den Händen an den Nacken und gähnte. Danach streckte ich noch meine Finger und ließ die Füße über die Bettkante baumeln. Als meine nackten Fußsohlen den kalten Boden berührten, sah ich die Bilder wieder vor mir. Der verletzte Junge und mich selbst, unfähig mich zu bewegen, im Traum wie auch jetzt. Doch war das wirklich nur ein gewöhnlicher Traum? Ich hielt es immer schon für den größten Unsinn, wenn Mädchen davon redeten, dass sie ihrem Märchenprinzen im Schlaf begegnet wären und dass das jetzt natürlich auch im echten Leben passieren würde, aber mal ehrlich, das war ja auch ziemlich weit hergeholt. Aber mein Traum? Sonst träumte ich wenig bis gar nicht und konnte mich meistens auch nicht mehr daran erinnern. Klar, jetzt war es mir auch erst nach ein paar Minuten wieder eingefallen, aber trotzdem, die Bilder waren einfach so unheimlich klar gewesen und ich hatte auch ein Gefühl, dass es, naja, wichtig war. 6

Vielleicht würde das alles so nicht passieren, aber möglicherweise war es ja so eine Art Zeichen? Mir entkam ein morgendliches Schnauben. Tja, schön langsam wurde ich auch noch verrückt. Noch immer ein bisschen steif schlug ich den Weg zu meinem Kleiderschrank ein. Der war meinem Bett von allen meinen morgendlichen Stationen am nächsten und bei einem Morgenmuffel wie mir ist das nicht ganz unbedeutend. In der Zeit, in der ich vor dem Kleiderschrank stehe und mir überlege, was ich anziehe, kann ich mich so schon etwas erholen. Als ich die Schranktüren öffnete, erschlug mich fast ein Kleiderstoß. Meine Mutter nervte meine Unordnung total, aber ich hielt das Ganze immer für ein gesundes Chaos. Heute war einer dieser Tage, wo ich am liebsten in einer Jogginghose zur Schule gegangen wäre, doch die Tatsache, dass meine Selbstachtung zwar nicht gerade riesig war, aber trotzdem noch nicht die Größe einer Traube angenommen hatte, hielt mich davon ab. Als Alternative fischte ich mir deshalb 7

einen weiten Pulli aus dem Kleiderchaos heraus, auf dem ein Aufdruck meiner Lieblingsbaseballmannschaft war und eine gemütliche Jeans. Kurz bevor ich den Raum verließ, prägte ich ihn mir noch einmal genau ein. Ich weiß selbst nicht wieso, aber irgendwie fühlte es sich richtig an. Als hätte man eine Ahnung, dass man sich von etwas trennen müsste und man es deshalb noch einmal richtig genießen möchte. Mein Zimmer war groß und freundlich. Die Wände waren weiß, was den Raum noch größer wirken ließ, mit Postern von meiner Lieblingsrockband und Bildern von mir und Mama bedeckt. Ich hatte immer schon ein Himmelbett gewollt und vor wenigen Jahren war mir dieser Wunsch erfüllt worden. Nun stand es unter einem Dachfenster, sodass ich nachts in die Sterne blicken konnte. Das Chaos in meinem Kleiderschrank fand sich auch auf meinem Schreibtisch wieder. Genauer gesagt, sah es aus, als hätte eine Bombe darauf eingeschlagen. Das Zimmer komplett machte mein mit Büchern überfüll8

tes Regal. Dieses quoll beinahe schon über, aber ich genoss es, so viele Persönlichkeiten und Lebensgeschichten in nur einem Raum versammelt zu haben. Inmitten der ganzen Unordnung fand man in jedem Winkel eines wieder, mich – Sina. Wenn ich traurig war oder einfach nur alleine sein wollte, hatten mich diese Wände aufgefangen. Nichts sonst konnte mich mehr aufheitern, als eines meiner Lieblingsbücher oder der Kissenberg auf meinem Bett. Nachdem ich mich im Bad fertig gemacht hatte, wagte ich den Abstieg zur Küche, die im unteren Stock unseres kleinen Reihenhauses lag. Wir lebten vielleicht nicht wie die Könige, aber das war okay so, ich war trotzdem stolz auf Mum, weil sie das alles alleine geschafft hatte. Und vor allem gab es nicht viele Häuser, in denen so wenige Personen wohnten, aber so viel Leben und Liebe war. Da ich so schlecht geschlafen hatte, war mir die Lust an einem Frühstück vergangen, also packte ich das Brot, das mir Mama bereitgestellt hat9

te, einfach ein und machte mich gleich auf den Weg zur Schule. Es war zwar nicht weit bis zu meiner Straßenbahnstation, aber trotzdem brauchte ich eine halbe Ewigkeit. Den ganzen Weg über blieben meine Gedanken an dem Jungen hängen. Er hatte so bleich ausgesehen, so hilflos... Sina, es war nur ein Traum, ermahnte ich mich, doch es half nichts. Ich konnte ihn einfach nicht vergessen und wie so oft bei Dingen, an die man versucht nicht zu denken, tut man es letztendlich doch. Trotzdem gehörte dieser Traum zu der Sorte von Problemen, die ich in meinem Leben gerade gar nicht brauchen konnte und zwar vor allem, weil es ja eigentlich nur ein Traum war. Die Prüfungszeit in der Schule war gerade an ihrem Höhepunkt angelangt und Mama arbeitete alte Geschichten wieder auf. Mein Vater hatte mich und meine Mutter verlassen, als ich gerade mal fünf war. Ich kann mich also kaum an ihn erinnern, aber natürlich hatte mir Mama genug über ihn erzählt. Mein Dad war ein Wel10

tenbummler und Idealist. Er ertrug den Gedanken einfach nicht, sesshaft zu werden. Tja, und leider hatte es da auf einmal mich gegeben, weshalb er bei Mama bleiben hätte müssen. Irgendwie verstand ich ihn auch. Einen Vogel soll man ja auch nicht einsperren. Um ehrlich zu sein, war ich ihm nicht einmal böse. Sicher fehlt irgendetwas, wenn man keinen Vater hat, aber ich kannte es ja gar nicht anders. Doch wenn ich mir so die anderen Mädchen in meiner Schule ansah, wurde mir immer klar, welch ein Glück ich mit meiner Mum hatte. Da wir immer nur zu zweit gewesen waren, waren wir das Dreamteam schlechthin und auch wenn wir uns manchmal stritten, verstanden wir uns besser als die meisten. Außerdem konnte meine Mutter echt cool sein, selbst wenn es auf den ersten Blick nicht immer so wirkte. Und dafür konnte ich meinem Vater gar nicht böse sein, denn er hat mich und Mama so nahe zusammengebracht. Trotzdem glaubte ich, dass meine Mutter nie wirklich über die Sache mit meinem Dad 11

hinweggekommen war, dafür redete sie viel zu oft über ihn und das, obwohl die Sache schon über zehn Jahre her war. Außerdem tat es ihr nicht gut, alleine zu sein, dabei sah meine Mum für ihr Alter wirklich nicht schlecht aus, um ehrlich zu sein, war es geradezu unheimlich, wie jung sie mit ihren vierzig Jahren noch aussah. Weshalb es mir manchmal so vorkam, als würde sie gar nicht älter werden. Nicht eine graue Strähne durchzog ihr kupferfarbenes Haar und auch ihre Haut war makellos, sie hatte noch nicht eine Falte. Und ihre markanten Züge machten sie zu einer der attraktivsten Frauen, die ich kannte. Als ich noch klein war, dachte ich immer, meine Mutter wäre ein Engel, der mich vor allem beschützt. Ich war ihr nie recht ähnlich. Nicht nur wegen meiner langen, dunkelbraunen Locken und den weichen Gesichtszügen, sondern auch weil ich beinahe einen Kopf größer war als sie. Während sie sich anmutig bewegte, wirkte ich daneben wie der größte Tollpatsch, der ich leider auch war. Bei Wettspie12

len, wo es um Geschicklichkeit ging, sah ich lieber zu, bevor ein größeres Unglück geschehen konnte. Nur unsere Augen glichen sich. Das Moosgrün strahlte einen schon von weitem an und ich kannte sonst nicht eine Person, deren Augenfarbe der meinen und der meiner Mutter auch nur ähnelte. Mama hatte es wahrscheinlich auch nicht recht einfach mit mir. Mit meinen sechszehn Jahren war ich fast schon zur Rebellion gezwungen. So sieht es die Natur nun mal vor. Während ich versuchte meinen Patz in dieser Welt zu finden, vergaß ich hin und wieder einfach, dass es auch noch andere Dinge gab, die meine Aufmerksamkeit erforderten, die Schule zum Beispiel. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass wir Kinder uns absichtlich in die gegengesetzte Richtung bewegen, als die, die unsere Eltern vorziehen würden. Ich als Beteiligte nehme einfach an, dass wir uns mit diesen kleinen Triumphen unseren Platz in dieser Welt erkämpfen wollen. Und als eine der Kämpferinnen in vorderster Front sage ich, 13

dass das manchmal echt anstrengend sein kann. Oft frage ich mich, ob es das überhaupt wert ist und dann, naja, letztendlich streiten wir wieder über irgendeine Kleinigkeit und ich vergesse meine guten Vorsätze. Aber ich schätze, dass soll so sein. Hoffe ich zumindest, wenigstens sind alle anderen genauso. Am Ende kann ich mich immer noch auf den Gruppenzwang hinausreden. Als die Tür zu meiner Haltestelle aufging, wurde ich plötzlich aus meinen Gedanken gerissen. Unsere Schule war eines dieser Gebäude, wo man sich beim Betreten des Geländes schon dachte, wo es denn zu den Folterkammern ginge. Man möchte jetzt meinen, dass ich einfach maßlos übertreibe, aber die graue Hauswand und das schreckliche Graffiti taten ihr Übriges. Zur ganz persönlichen Hölle für mich machten es all die Pärchen, die immer vor dem Schuleingang herumhingen. In meinem Kopf hörte ich sie förmlich: „Du bist die Liebe meines Lebens!“ „Nein, du bist die Liebe meines Lebens!“ und immer so weiter. Ich 14

musste ein Schnauben unterdrücken. Sie wird von der Liebe ihres Lebens vermutlich bald verlassen werden und nur fünf Kilo mehr und ein Vorratsschrank voll Schokoladeneis werden zurückbleiben und er wird eben diese Worte zu einer anderen sagen. Vor allem, wie will man mit sechzehn wissen, wer die richtige Person für einen ist, wenn man es überhaupt irgendwann mal herausfinden sollte? Ich bin nicht gefühllos oder so, aber ich vertrete einfach die Überzeugung, dass die Liebe kein Konzept für die Ewigkeit ist. Vielleicht, weil die Sache mit meinen Eltern auch nicht funktioniert hatte oder weil ich es einfach noch nicht besser wusste. Der Vormittag in der Schule zog sich unendlich lang hin. Ich war wirklich kein Fan davon, stundenlang in einem stickigen Klassenzimmer zu sitzen und so zu tun, als würde mich interessieren, was der Lehrer erzählte. Nicht, dass mein Desinteresse nicht offensichtlich gewesen wäre. Nach der Schule zog es mich, anstatt auf den Weg nach Hause, in den Wald. Auch wenn 15