U-Boot Krieg. Englisches Seemannslied.

14.11.2014 - ein schallendes Gelächter aus, und der arme Franzose konnte nicht begreifen ...... Strenge des Vaters nicht mehr fühlenden Kinder erziehen.
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Mobilmachung. Als das Wort “Mobilmachung” in aller Munde war, befand ich mich in Gotha in den Ferien. Ich war damals 12 Jahre alt und faßte den kommenden Krieg als etwas ganz Neues, Schönes und Wildes auf. Zu dieser Zeit gingen die Ferien zu Ende, und ich rüstete mich zur Heimreise. Mein Vater kam eigens von Halle nach Gotha, um mich abzuholen, weil in dem Trubel, der damals bei einer Reise herrschte, ein kleiner Junge leicht verunglücken konnte. Als wir abfuhren, herrschte auf dem Gothaer Bahnhof reges Leben. Soldaten über Soldaten wurden nach der Front gebracht und Reservisten reisten zu ihren Stellungsorten. Der Zug, in dem wir fuhren, war überfüllt. Zudem ging es so langsam, das man hätte nebenherlaufen können. Dies brachte die Spionagegefahr mit sich. An allen Brücken und Viadukten standen bewaffnete Zivilisten und bewachten sie. Je näher wir Halle kamen, desto voller wurde der Zug, weil eine Unmenge von Reservisten sich dort zu stellen hatten. Halle bot ein ganz verändertes Bild. Die Elektrischen waren mit den roten Mobilmachungszetteln, die Plakatsäulen mit den Warnungen vor Spionen beklebt. Aufgeregte oder begeisterte Menschen standen in den Straßen und besprachen

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Elektrische: in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebräuchliche Bezeichnung für Straßenbahn

die Ereignisse des Tages. Vor den Zeitungen warteten die Menschen auf Nachrichten. Kurz, Halle stand im Zeichen des Krieges. Zu Hause angekommen, sahen wir eine Frau aus unserem Hause aufgeregt hin und her laufen. Sie klagte, daß ihr Mann mit fort müsse, er käme bestimmt nicht wieder. Sie schimpfte einen Russen, der uns gegenüber wohnte, trotzdem der gute Mann sich bald darauf zum Roten Kreuz meldete. Das Gegenstück dieser Frau war meine Mutter. Mein Vater mußte sich auch bald stellen; aber sie war ruhig und gefaßt. Auch war mein Vater so ruhig wie möglich. Während unser Nachbar gleich sein Testament machte, dachte mein Vater garnicht daran, meine Mutter auf diese Weise zu ängstigen. Als die Schule wieder anging, wurden natürlich die neuesten Ereignisse mit dem Lehrer eingehend besprochen. Ich war der einzige von allen Schülern, dessen Vater gleich mit mußte.

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Mein Vater als Soldat. A. In den Garnisonen Halle a./d./S und Torgau Am 7. August, dem 6. Mobilmachungstag, mußte sich mein Vater stellen. In aller Frühe ging er schon weg und war mittags noch nicht zu Hause. Da machte ich mich auf, ihn in der Kaserne zu suchen. In der Kaserne I war reges Leben und Treiben. Auf dem Hof packten einige Soldaten ihre Tornister. Ein alter Veteran, der dabei stand, konnte nicht begreifen, daß die Soldaten Spaten hatten. ,,Was wollt ihr bloß mit den Spaten machen?” fragte er. ,,Jaja, Alterchen,” sagte ein Soldat, ,,Kartoffeln wollen wir buddeln.” Alles lachte. Bald gab ein anderer einen Witz zum besten und wieder wurde so herzhaft gelacht, als ob gar kein Krieg wäre. In der Kaserne befand sich die Meldestelle für Freiwillige. Ein ganzer Trupp Jugendwehr, junge Kerlchen von 16S17 Jahren meldeten sich dort. Die hintersten, die noch nicht an der Reihe waren, sahen zum Fenster hinaus und gaben in großsprecherischen Worten ihrem Mute Ausdruck. Wie viele haben draußen im Felde das Kanonenfieber bekommen! Trotz allen Suchens fand ich meinen Vater nicht und ging wieder nach Hause. Am Abend kam er, und ich erfuhr, daß er in eine Schule gekommen war, die die Abc Schützen räumen mußten. Sein Regiment war das 36. Infanterie-Regiment, Graf Blumenthal.

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Nach einigen Tagen kam er eingekleidet nach Hause. Ich muß sagen, besonders schneidig sah er in der abgetragenen blauen Uniform nicht aus, die bald zu lang, bald zu kurz war. Fast eine Woche blieb er in Halle. Indessen waren die großen Schlachten im Westen geschlagen, und ich dachte in meinem dummen Kopf, daß es doch schade wäre, daß mein Vater dort nicht dabei wäre. Ich wäre doch stolz auf ihn gewesen. Schließlich käme er garnicht mehr raus. Da wurde er ganz plötzlich am 2. September nach Torgau verladen. Er kam zu einem Gerichtsvollzieher in Quartier. In Torgau mußte er Ersatzreserve ausbilden, was nicht viel Spaß machte. Schließlich wurde er Bataillonsordonnanz im 232. Reserveinfanterieregiment, 8. Kompagnie. Einen sehr strengen Major wurde er bald los. Einmal kam er auf Urlaub, auch fuhr meine Mutter noch einmal hin, während ich zu Hause blieb. Kurz danach wurde er nach Altengrabow bei Magdeburg befördert. Dort wohnte auch meine Großmutter, und meine Tante, die ihre Schwiegermutter und ihren Bruder, nämlich meinen Vater, mal besuchen wollte, beschloß, nach Altengrabow zu fahren und ich durfte auch mit, was mich sehr freute.

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B. Mein Vater in Altengrabow und meine Reise dorthin. Zu dieser Zeit war die Zugverbindung nach Altengrabow sehr schlecht beschaffen. Der vorteilhafteste Zug ging abends 11 Uhr und fuhr die ganze Nacht hindurch. Mit diesem fuhren wir, d.h. meine Tante, mein Cousin und ich. Der Zug bummelte fürchterlich; denn es bestand immer noch Spionengefahr. Früh 4 Uhr waren wir in Magdeburg und un 7 Uhr in Altengrabow. Altengrabow ist kein Dorf, sondern ein Barackenlager inmitten einer Sandwüste, die man Truppenübungsplatz nennt. Das nächste Dorf ist Dörnitz, und dort wohnte meine Großmutter. Dahin gingen wir zuerst. Aber nun hieß es, meinen Vater unter den 3000 Mann herauszufinden. Lange, lange suchte ich, bis ich endlich das Quartier des Bataillonsstabs und dort meinen Vater fand. Es war gerade Essenszeit und da ich nicht noch einmal nach Dörnitz laufen wollte, aß ich mit meinem Vater. Oh, wie schmeckte dieses Soldatenessen! Zuhause war ich immer mäklich. Ich kam dahinter, daß meine Mutter des Essen zu nüchtern kochte, während es bei den Soldaten tüchtig gesalzen oder versalzen war, und das paßte mir. In Altengrabow gab es unendlich viel Soldaten, aber noch 5 mal so viel Franzosen waren hier, nämlich 15000. Lange Reihen von Soldaten zogen durch

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die Straßen; sie kamen ermüdet von der Übung zurück. Man kann sich denken, daß das Marschieren in dieser Sandwüste schon mehr als Marschieren ist. Mein Vater brauchte als Ordonnanz glücklicherweise nicht mitzumachen. S Ein Deserteur wurde eingebracht. Er blickte finster vor sich hin. Meine Großmutter war in der Franzosenküche beschäftigt und ging oftmals dorthin. Es schälten auch Franzosen dort Kartoffeln und ich sprach dann mit ihnen, soweit mein Französisch ausreichte. Ein Franzose erzählte mir von seiner Heimatstadt Montauban in Südfrankreich. Er gab mir auch ein Bild von ihr.

(Ansichtskarte von Montauban)

Ein anderer Franzose, der schon sehr alt war, schäkerte mit den Frauen, die dort Kartoffeln schälten. Die Frauen sagten mir, ich solle ihn fragen, was er im Zivilberuf sei. Ich fragte also: ,,Quelle est votre profession?”. Er sprach etwas von ,,commerce” oder commercier”, was ich nicht verstand. Ich sagte nun zu

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den Frauen: ,,Er ist Kommerzienrat”. Diese brachen in ein schallendes Gelächter aus, und der arme Franzose konnte nicht begreifen, daß sein Beruf zum Lachen wäre. Ein dritter Franzose war dort als Maschinist beschäftigt. Ich unterhielt mich öfter mit ihm, und einmal forderte er mich auf, nach Friedensschluß mit ihm nach Frankreich zu kommen. Ich entgegnete: ,,Mais il faut que j’ aille à l’ ecole”. ,,Hain” sagte er, das bedeutet etwa: ,,Achso”. Ferner forderte er mich auf, ihm Deutsch zu lernen. Er sprach Französisch vor und ich übersetzte. So sprach er: ,,Monsieur”. Ich sagte: ,,Mein Herr”. Jetzt wollte er nachsprechen, konnte aber mit dem bestenWillen nicht. Er sagte immer: ,,Main Err, Err, Err”. Schließlich gab er diesen Versuch auf. Auch konnte er ,,Feuer” nicht sprechen. Ich sagte ihm, er solle ,,Foi=er” sprechen, und da ging es etwas. Einige Worte schrieb ich ihm auf. Wenn ich mit meinem Cousin durch das Lager schlenderte, sprach ich immer hier und da die Franzosen an. Sie waren dann immer erfreut oder erstaunt, daß ein kleiner Junge von 12 Jahren Französisch spricht. Einmal half ich, einem Mißverständnisse vorzubeugen. Ein Trupp Franzosen zog einen Karren, und der Posten, der sie bewachte, befahl durch Gesten,

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sie sollten den Wagen mit der Hinterseite an einen Zaun stellen. Die Franzosen hatten ihn auch bald so weit, nur sollte er noch etwas nach links gedreht werden, was der Posten durch eine Handbewegung ausdrückte. Ein Franzose verstand diese falsch und rief den andern zu: ,,Tourner”. Jetzt wollten die Franzosen den Karren wieder umdrehen. Ich half dem Posten, indem ich sagte: ,,Un peu à gauche”. Jetzt wußten die Franzosen, was sie zu tun hatten. Wenn mein Vater frei hatte, ging ich mit ihm spazieren. Zu dieser Zeit spazierten auch die französischen Offiziere immer auf und ab. Sie wurden nicht bewacht; denn sie hatten ihr Ehrenwort gegeben, nicht zu entfliehen. Die deutschen Offiziere wurden von ihnen gegrüßt. Wir gingen auch öfter nach Dörnitz. Einmal schrieben wir nach Hause. Auf der Karte habe ich die Kriegsgefangenen gemalt. Text auf Bildseite

Anschriftseite

gestempelt

Kriegsgefangenenlager Altengrabow. Gruß Bernhard und Vater Schottländer Belgier Franzose Turko Zuave Engländer

Feld Postkarte ALTENGRABOW BZ. MAGDEBURG 9.10.14 6S7 N KGL. PREUSS. RESERVE-INF. REGT. No. 232II. BATAILLON Frau Martha Bültemann Halle S Wörmlitzerstr. 12 Liebe Frau Wir rücken nun jedenfalls schon Sonntag aus und sende ich Dir und den Kleinen nochmals herzliche Grüße +Küsse Dein Mann

Es ging schon die ganzen Tage, die ich in Altengrabow verbrachte, das Gerücht herum, daß mein Vater ins Feld käme. Am 19.9. war er nach Altengrabow gekommen, und am 12.10. kam er dann raus. Einige Tage vorher war ich abgefahren. -8-

C. Auf der Fahrt ins Feld. Mein Vater hatte schon früher immer geglaubt, er käme nach dem Westen. Er dachte bestimmt, er käme zu der Belagerungsarmee Antwerpens, die der kühne Beseler führte.

(Bildpostkarte v. Beseler)

Ich hatte ihn auch schon die nötigsten französischen Wörter gelehrt. Aber Kuchen, er kam nach dem Osten. Angenehm empfand er das nicht, denn die russische Kälte wurde von den Soldaten sehr gefürchtet. Die Fahrt ging zuerst nach Berlin.

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(Hier fehlt ein Bild)

Dann ging es über Frankfurt a/O nach Posen. Hier kam er abends 7 Uhr an. (Ansichtskarte) POSEN, BERLINER THOR 7 00Abends Gruß + Kuß an Euch Lieben Alle Feld POSTKARTE gestempelt:

POSEN W. 14.10.14 12S1 V. An Frau Martha Bültemann Halle S. Wörmlitzerstr. 12

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Die Fahrt ging weiter nach Hohensalza, das er am anderen Tage kurz nach Mitternacht passierte. Er war von der langen Fahrt wie zerschlagen. Hier wurde er auch gespeist. In aller Frühe lief der Zug in DeutschEylau ein. Infolge Mangels an Landkarten wußten die Soldaten nicht, wohin es überhaupt geht. Die Endstation war Neu-Jucha, 18 km nordwestlich von Lyck. Sie stiegen aus dem Zug aus und kamen sofort ins Feuer. Jedoch war mein Vater nicht am Gefecht beteiligt, weil er Ordonnanz beim Stabe war und sich deshalb hinter der Front befand. Ostpreußen war vollständig von den Russen zerstört. Aber der geniale Feldherr Hindenburg hatte es vor weiterem großem Schaden bewahrt. Jedoch saßen die Russen in Lyck noch fest, und die Aufgabe des 25. Reserve-Korps, wo mein Vater sich befand, war es, die Russen daraus zu vertreiben.

(Bildpostkarte von Hindenburg)

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D. In Ostpreußen. Als das 232. Infanterie-Regiment in Neu-Jucha aus dem Zuge stieg, griff es sofort in die Schlacht bei Lyck ein. Das war am 14.10. Die Schlacht dauerte etwa bis Ende Oktober. Lyck war zu Anfang des Krieges von den Russen besetzt worden. Zu dieser Zeit hatten die Deutschen nicht genug Streitkräfte in Ostpreußen und es entspannen sich nur kleinere Gefechte wie bei Johannesburg, Lyck, Stallupönen und Tilsit. (Bildpostkarte) DER WELTKRIEG gestempelt:

Sieg bei Stallupönen)

K.D. der 50. Res.-Division 25.3.15 9S10 V. Feldpost

An den Schüler Bernhard Bültemann Halle Saale Wörmlitzerstr. 12 part. L.

Gefr. Bültemann 8/232/ im Osten Lieber Junge! Auch Dir zum lieben Ostern recht viel Vergnügen in Delitzsch. Hast du gute Zensuren? Macht nur Alle nach Delitzsch. Zum 1 ten schicke ich Euch wieder etwas. Seid Alle recht herzlich gegrüßt und geküßt von Eurem Vater!

Die Deutschen zogen sich langsam zurück, trieben aber dann die Russen wieder aus dem Lande, nämlich durch die Schlacht bei Tannenberg. Nur die Grenzgebiete blieben in der Hand der Russen, und durch die Schlacht bei Lyck wurde ihnen auch der Südosten Ostpreußens wieder entrissen. Der Stab des 2. Bataillons befand sich in Lysken bei Lyck. Dort blieb mein Vater bis zum 19.10. Dann -12-

ging es durch das wiedergewonnene Gebiet nach Süden bis zur russischen Stadt Grajewo (20S24.10.). Mit Lebensmitteln war es hier schlecht bestellt, daher mußte meine Mutter ein Eßpaket schicken. Aber eins fand er endlich, nämlich Ruhe; denn bis jetzt war der Stab immer sehr vom Feind beunruhigt worden. Das Eßpaket kam aber nicht an. Am 26.10. mußten die Deutschen wieder aus Rußland heraus, und am 27.10., dem Geburtstag meines Vaters, entspann sich ein Gefecht bei Sentken, 10 km östlich Lyck. Dabei wurden 1400 Gefangene gemacht und 34 Geschütze erbeutet. Dann ging es nach Pissanitzen, 20 km östlich Lyck (28.10.), dann wieder nach Sentken (29.10.), und schließlich bis vor Lyck (30.10). Durch diese fortwährenden Märsche hatte mein Vater sehr zu leiden. Fast jede Nacht mußte er im Freien schlafen und zog sich dabei Rheumatismus zu. Am 30.10. gab es sogar Eisbahn; denn Flüsse und Teiche waren gefroren. Da wirkte auch die Kälte auf die Gesundheit der Soldaten. Richtig gesund war keiner. Täglich gingen sehr viele Kranke ab. Die Marschmanöver dauerten fort. Es wurden die Orte Ropehlow (?), Przykopken (?) (31.10.) Wissoken(?) (1.11.), Przykopken (2.11.) und Neuhoff (?) (3.S4.11) passiert. Am 8.11. wurde das Regiment in Widminnen, 32 km nordöstlich Lyck, verladen und nach Kl. Grunau bei Thorn gebracht (9.11.) Die Fahrt dauerte 20 St.

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Am 12.11. ging es, immer an der Grenze entlang, nach der Stadt Gollub, 40 km nordöstlich Thorn. Dort wurde drei Tage gerastet, und am 14.10. überschritt das 232. Regiment die Grenze bei Dobrzyn und rückte in Polen ein. Ansichtskarte: Gruß aus Dobrzyn handschriftlich: Gruß aus Rußland Feldpostkarte (ungestempelt) Frau Martha Bültemann Halle (Saale) Wörmlitzerstr. 12 14.11.14 Meine Lieben! Soeben gehen wir über die Grenze. Heute sollen es 40 km werden. Hoffentlich seid Ihr gesund. Mit den herzlichsten Grüßen Euer Vater Ist den (?) Küsel noch nicht fort II/232

Blatt mit hebräischem Text handschriftlicher Vermerk: Bültemann Andenken an Grajewo (Rußland) 20.10.14 Feldzug gegen Rußland

In Grajewo gefundene jüdische Schrift.

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E. Auf dem Marsch durch Polen. Von Dobrszin ging es südwärts nach Lipno (16.11.). Gruß aus Lipno

Fotopostkarte Lipno

Liebe Frau! Seit 4.11. von Dir nichts erhalten. Wenn Du diese Karte erhältst wird wohl auch spät werden. Hast Du meinen Brief erhalten? Ich bin gesund. Ihr auch? Nach unendlichen Schwierigkeiten sind wir hier angekommen. Wege sind nicht zu beschreiben. Innige Grüße Euch Lieben Allen Bültemann II/232/Osten Carte Postale Feld Postkarte 28.11.14 5S6 N Frau Martha Bültemann Halle/Saale Deutschland Von der Post nachgetragen: Wörmlitzerstr.12

gestempelt:

Bei diesem Vorstoß wurden 30000 gemacht. Das Vorwärtskommen war sehr schwierig, die Wege waren nicht zu beschreiben. Das Regiment, das 3000 Mann stark war, betrug jetzt 400 Mann. Die meisten waren krank. In Plozk ging es nicht weiter. Die Weichsel war wegen zu starken Eisganges nicht zu überschreiten. Ansichtskarte PLOCK

CARTE POSTALE S POCZTÓWKA 21.11.14 Liebe Frau + Kinder! Heute in Plozk eingerückt gehen wir per Bahn über die Weichsel gegen Warschau. Leider werde ich wohl von Euch kein Lebenszeichen bald bekommen. Post geht nicht. Herzliche Grüße Euer Vater Feld Postkarte BERLIN-TEMPELHOF 24.11.14 9S10 V Frau Martha Bültemann Halle S. Wörmlitzerstr. 12

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gestempelt

Trotzdem durchschnittlich 150 Kälte herrschten, war diese Rast ganz angenehm. Jetzt ging es wieder nach Thorn, um dort die Weichsel zu überschreiten. (30. 11.) Am anderen Ufer ging es dann weiter über Wloklawerz (2.12.), Kowal (3.12.) und Kutno (6.12.). Immer unter fortwährenden Kämpfen. Auch das Wetter war sehr schlecht. Tagsüber Regen, nachts Frost. Die Post funktionierte auch nicht. Immer weiter ging es auf Lodz zu. Aber bei Piontek (7.12.) wurde plötzlich nach links abgeschwenkt. In Donaratzin wurde vom 12.12. bis 16.12. gerastet. Beim Weitermarsch ging es, an dem brennenden Glownow vorbei, nach Skierniwize. Aber nach 2 Tagen wurde wieder Kehrt gemacht. Erst ging es nach Wola Makowska und dann nach Mokra Lewa. Am 23.12. ging es dann zurück nach Skieniwize. Hier fand der große Marsch durch Polen ein Ende. Ansichtskarte Skierniwize

gestempelt

auf der Bildseite handschriftlicher Vermerk: Gott strafe England. An der Rawka den 8/II15 Lieber Junge! Sende dir heute eine Ansicht von Skierniwize. Wie ist es jetzt auf dem Eise. Hoffentlich amüsiert Ihr Euch schön, ich nicht. Mit den besten Grüßen Dein Vater. Carte Postale S Pocztowka Feld Postkarte K.D.Feldpostexp. der 50. Res.-Div. 9.2.15 10-11 V An den Schüler Bernhard Bültemann Halle (Saale) Wörmlitzerstr. 12 part. l.

Skierniwieze mit der Kosakenkaserne.

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F. Bei und in Skierniwize und in Lodz. Das Weihnachtsfest kam immer näher; aber danach wurde nicht gefragt. Eine große Schlacht machte die Festesfreude zunichte. Es war ein Wunder, daß mein Vater noch gesund war, während viele Kameraden, die mit ihm ins Feld gekommen waren, als krank hinter die Front kamen. Da aber gesunde Leute gebraucht wurden, kam mein Vater auch nicht auf Urlaub. Auch wurden solche, die um Urlaub baten, als Drückeberger angesehen, und das wollte er nicht sein. Südöstlich von Skierniwize befand sich das Jagdschloß des Zaren, das von der Feldpost besetzt war. Hier holte er die Feldpost ab. Trotzdem das Schloß hinter der Front lag, schlugen die Granaten tüchtig ein. Als Ordonnanz kam er von einem Punkt der Front zum anderen. Heiligabend befand er sich in Midniwizwe. Sylvester wurde bei dem freundlichen Quartierwirt Joseph Madejski sehr gefeiert. Es gab Rotwein und Gänsebraten. Zeitungsausschnitt: “Vor der Entscheidung bei Warschau” mit handschriftlicher Randnotiz: Heiligabend 24/12 unterm Wagen geschlafen und Granatfeuer erhalten

Datumstempel 25 JUN 1917 -19-

Nachts war große Stimmung, auch Freudenschüsse. Am 10. Januar wurde er nach Lodz zum Abholen von Weihnachtspaketen kommandiert. Lodz Szpital Anny-Maryi dla dcieci handschriftlicher Vermerk: das eroberte Lodz Ansichtskarte

Bin zur Empfangnahme von uns. Weihnachtspaketen hier. Bis jetzt habe ich noch nichts für mich gefunden. Wir sind die ganze Nacht + Tag gefahren und bin ich todmüde. Hebt die Karte gut auf als Andenken. Sonst bin ich gesund und hoffe dasselbe von Euch. Geld angekommen. Besten Gruß Euer Vater Bültemann II/232 Stab 25 Res. Armeekorps CARTE POSTALE Pocztowka Feldpostkarte

gestempelt

K. D. FELD-POSTEXPED. 38. INFANT. DIV. II/I Frau handschr. Vermerk: erh. a. 28.1.15 Martha Bültemann Halle (Saale) Wörmlitzerstr. 12 p. l.

Am 13.1. befand er sich wieder in Skierniwize. Kalenderblatt: 20. Januar: Schützengraben hinter Bahn Schanzen 21. Januar: Schützengraben hinter Bahn Schanzen Abends abgelöst in Ruhestellung 22. Januar: Ruhestelle 23. Januar: Ruhestelle Abends Schützengraben

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G. Im Schützengraben a. d. Rawka. Am 16.1. geschah etwas für ihn nicht sehr Angenehmes. Er kam vom Stabe weg in die Kompagnie zurück; also an die Front. Die Russen lagen 300 m davon entfernt. Über das Leben im Schützengraben soll ein Auszug aus dem primitiven Tagebuch vom 16. bis 31. Januar Zeugnis ablegen. Man ersieht daraus, daß er manchmal gefährliche Posten, wie Horchposten, stehen mußte. Kalenderblatt 16. Januar

in die Compagnie versetzt Bahnhof Ruda Ruhe

17. Januar

Ruhe

18. Januar

Schützengraben rechts Bahn Unteroffiziersposten 4S6 morgens Horchposten

19. Januar

Schützengraben rechts Bahn Schanzen

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Kalenderblatt 24. Januar

Scheinangriff 7 h morgens

25. Januar

Ruhe

27. Januar

Ruhestellung

28. Januar

Horchposten

29. Januar

Unteroffizierposten 6S12 rechts

30. Januar

Unteroffizierposten 12S6 Schwere Beschießung auf der linken Front, furchtbares Artilleriefeuer unsererseits

31. Januar

Oben Horchposten

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Hier sei ein Auszug aus einer Karte, die er am 6. 2. schrieb: ,,Nach 5 Wochen im Schützengraben sind wir gestern Nacht zurückgezogen worden, d.h. in Reserve, 2 km hinter den Graben und können endlich mal schlafen. Ich für mein Teil bin aber zweimal täglich vorn beim Rittmeister, da ich schon wieder Gefechtsordonnanz geworden bin. Wir sind auch hier photographiert worden; vielleicht kommen wir in die Zeitung. Foto, rückseitig beschriftet: Bültemann 8/232

Ich muß doch hier recht gut angeschrieben sein. Wenn etwas Gewissenhaftes auszuführen ist, bin ich dabei; aber gefährlich. Hier gibt es wunderbare Kartoffeln, welche wir uns trocken schmecken lassen. Nach den neuesten Berichten scheinen wir bald vorzugehen; denn der Russe hat von uns furchtbare Verluste erlitten. Tag und Nacht haben wir gekämpft, hauptsächlich auf dem linken Flügel.” Mitte Februar kam er wieder in den Schützengraben. Bei der Kompagnie befand sich jetzt auch noch ein Bültemann; es ist dies besonders bemerkenswert, weil es in unsrer Gegend keine anderen Bültemanns gibt. In Westdeutschland scheinen sie häufiger zu sein; denn dieser war aus Hannover.

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Das Osterfest kam heran. Unser Vater schickte eine niedliche polnische Osterkarte. 21/3 15 Meine Lieben! Auch zum lieben Osterfest kann ich nur in Gedanken bei Euch sein. Wünsche Euch lieben Allen recht frohes Fest. Wie denkst Du über Willi? Ich überlasse es Dir! Heute Karte + 3 Briefe erhalten. Du bestätigst Geld immer noch nicht vom 3/3. Herzlich grüßend Euer Vater Heute alles erhalten 22/3 gestempelt

Gefr. Bültemann 8/232 im Felde 25.3.15 Frau handschr. Vermerk: erh. 30.3. Martha Bültemann nebst Kindern Halle (Saale) Wörmlitzerstr. 12

Hier eine Karte vom 1. April: Heute Nacht sind wir zu 4 tägiger Erholung und Exerzieren in die Kosakenkaserne zu Skierniwize gekommen. Wir haben herrliches Wetter, aber nachts kalt. Im übrigen befinde ich mich wohl.”

Ansichtskarte Skierniewize

gestempelt:

Mein liebes Friedchen! Recht schönen Dank für den schönen Brief, ich habe mich sehr gefreut. Hast Du Deine schöne Zensuren bekommen? und Bernhard? Gib Allen für mich einen schönen Kuß, auch Du seist gegrüßt und herzl. geküßt von Deinem lieben Vater. Frohes Ostern! Abs. Gefr. d. Landwehr Bültemann Carte Postale S Pocztowka Feldpost K. D. Feldpostexp. der 50. Res.-Div. 25.3.15 9S10 V Frl. handschr. Vermerk: erh. a. 30.3. Elfriede Bültemann Halle (Saale) Wörmlitzerstr. 12 part. l. -24-

Eine Karte vom 6.4.1915. Skierniewize 6/4 15 Liebe Frau, liebe Kinder! Heute Abend 11 Uhr geht es wieder in den Schützengraben. Wir hatten hier tüchtige Funktion. Also einesteils sind wir froh das es wieder fort geht. Sonst geht es mir gesundheitlich gut und sende Euch Lieben Alle herzliche Grüße + Küsse Euer Vater Feldpostkarte Absender: Gefr. der Landwehr Bültemann 8/232 im Osten in Absenderfeld eingedruckt: Wer Gott vertraut, fest um sich haut, hat wohl gebaut! Frau Martha Bültemann Halle Saale Wörmlitzerstr. 12 p. l.

Ein Auszug aus einer Feldpostkarte vom 18.4.15: ,,Schützengraben an der Rawka. Wir hatten vorige Nacht großen Erfolg. Russen viele Tote. Wir gar keine. Heute morgen 5 Uhr habe ich einen alten Landwehrmann, beim Arbeiten verwundet, in Sicherheit gebracht, trotz Kugeln. Jaja! Austria versagt jetzt. Wenn sie alle so wären wie wir, wäre es hier vorbei. S Im Stacheldraht liegen tote Russen. Hier ist das schönste Wetter; nur nachts Eis. Man wird hier direkt rauh. Fürchtest du Dich nicht vor Deinem Mann, wenn er zurückkommt? Und er kommt zurück!” Dieser alte Landwehrmann kam zufälligerweise nach Halle ins Lazarett. Er war mit dem Lazarettzug

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Fotopostkarte “Lazarettzug” Rückseite nicht beschrieben, eingedruckter Text:

Wohlfahrtskarte des Arbeitsausschusses der ländlichen Kreise Sachsen-Anhalt, Halle a. d. Saale für Verband- und Erfrischungsstellen im Ostheer und dem Vereinslazarettzug ,,A4"

nach Deutschland befördert worden. Ich habe ihn auch mal besucht und somit gleich die Einrichtung eines Lazaretts kennengelernt. Für den Beistand meines Vaters bedankte er sich folgendermaßen: Halle den 25.4.1915 Lieber Kamerad! Vor allem sage ich meinen herzlichsten Dank für Deinen Beistand in der schweren Stunde, und bitte Dich, sprich den anderen Kam. meinen Dank aus. L. Freund, ich habe es gut . . . (wegen Poststempeln nicht lesbar) . . . und alle Kameraden und sei auch Du herzlich gegrüßt. Herzlich Dein Großkopf Abs. Wehrm. Karl Großkopf Res. Inf. Regt. 232 zur Zeit im Lazarett Volkspark Halle a/S Feldpostkarte gestempelt:

KÖNIGL. RES.-LAZARETT ,,Volkspark” HALLE (SAALE)2 25.4.1915 8S9 N Gefr. Rob. Bildemann Res. Inf. Reg. 232. 8 Comp. (wegen Poststempel nicht lesbar) Zur Zeit im (? ? ?) Osten

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Auszug aus einer Karte vom 7. Mai: ,,Eben war ich auf Unteroffizierposten. Hier ein recht schönes Gewitter, daß uns das Wasser zum Fenster und zur Decke in den Unterstand läuft.” Zu meines kleinen Bruders Geburtstag schickte er eine hübsche Karte: Feldpostkarte (Antwort) Abs.: Gefreiter Bültemann 25 Reserve Armeekorps 50 Reserve Division 232 Regt. Nr. II Bataillon 8 Komp. An den kleinen Gerhard Bültemann Halle (Saale) Wörmlitzerstr.12 p. l.

Ich hatte Ende Mai eine Partie nach Dessau mit der Jugendwehr unternommen: (Zeitungsausschnitt)

In Wörlitz schickte ich meinem Vater eine Karte, worauf er mir antwortete:

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Anschriftseite gestempelt 22.5.15

Schützengraben a/d Rawka 30/5 15 Lieber Junge! Deine liebe Karte aus der Partie habe ich erhalten. Hoffentlich hast Du etwas dabei gelernt und Eindrücke gesammelt. Mutter schrieb, daß Du einen furchtbaren Hunger mit nach Hause gebracht hast. Wie habt Ihr Puppis Geburtstag gestern verlebt. War er da auf früh? Na wartet nur wenn ich erst wieder zu Hause bin dann kriegt er aber Senge. Na erst noch Italien, diese Leierkastenmänner. Mit den besten Grüßen an Euch Alle Euer Vater Anschriftseite:

Feldpost Korrespondenzkarte Portofrei Absender: Gefr. Bültemann 8/232 An den Schüler Bernh. Bültemann Halle (Saale) Wörmlitzerstr. 12 p. l.

Am 2. Juni wurde mein Vater ganz plötzlich verladen und nach Thorn gebracht. Wahrscheinlich ging es zu einem anderen Kriegsschauplatz. Nach welchem war unbekannt. Gruß aus Thorn Ansichtspostkarte

Anschriftseite

gestempelt:

Lieber Junge Heute am 1. Feiertag habe ich Euer Paketchen mit den 3 Briefen von dir Mutter und Elfriedchen erhalten, abgesandt am 4/Dezember und habe mich über Euch recht gefreut. Sei nur der Mutter recht brav. Diese Nacht schlugen die russ. Granaten wieder tüchtig ein. Wir stehen jetzt 8 km westlich von Skieriniwize. Herzl. Gruß Dein Vater Bültemann Res. Reg. 232 II Stab 25 Res. Korps Feld POSTKARTE An den Schüler Bernhard Bültemann Halle (Saale) Wörmlitzerstr. 12 partr K.D. Feldpostexp. der 50. Res.-Div. 26.12.14 10S11 V -28-

H. Fahrt nach Galizien und Tod. Von Thorn ging die Fahrt über Hohensalza und Kreuzburg. Von hier bekamen wir eine Karte, die aus militärischen Gründen verzögert war. 6.6. nachts 12 Uhr Herzl. Grüße und Kuß an Euch alle Lieben Kreuzburg a/Oder nach den Karpathen Gefr. Bültemann 8/232 107 Res. Division Feld Postkarte Frau Martha Bültemann Halle S Wörmlitzerstr. 12 p. l..

Weiter ging es über Krakau nach Tarnow. Hier war die Bahnstrecke zu Ende, und es wurde marschiert. Meinem Vater fiel das Marschieren sehr schwer. Er selbst hat es nie geschrieben; aber ich schließe es aus folgender Tatsache: Mein Schulkamerad sagte mir eines Tages, sein Onkel hätte in Hohensalza einen Bültemann aus Halle getroffen, mit ihm gesprochen und auch gesagt: ,,Kamerad, bist Du verwundet. Was hast Du am Bein?” ,,Nein” hat mein Vater gesagt, ,,ich habe wunde Füße, und voller Blasen”.

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Postkarte

Anschriftseite

Also hat er den Marsch von Tornow bis Jaroslau nur unter großer Mühe mitgemacht. Er schrieb auch am 9. Juni aus Jaroslau: ,,Wir stehen in der Gegend von Jaroslau und werden ja sehen, was hier kommt. Wir haben hier in den Bergen große Strapazen auszuhalten, und es fällt mir sehr schwer. Auch bin ich nicht so auf dem Damme.” Dies war die letzte Karte. Am 25. Juni schrieb ein Kamerad, daß er am 13. Juni früh 7 Uhr beim Sturmangriff gefallen sei. Was diese Nachricht hervorrief, kann sich jeder denken. Wir glaubten sie nicht, denn wir bekamen keinen Nachlaß geschickt. Ein Brief an den Feldwebel wurde so beantwortet: ,,Nach Aussage von Kameraden, die den Gefreiten Bültemann tot gesehen haben, ist dieser für tot erklärt worden. Nachlaßsachen und Erkennungsmarke sind vom Sanitätsbureau nicht eingegangen.” Ein anderer Kamerad sagte aus, er wäre beim Schanzen gefallen und nicht beim Sturmangriff. Noch ein anderer behauptete, er hätte neben ihm auf dem Schlachtfeld gelegen, als er verwundet war. Was sollten wir glauben? Nun hegten wir noch die Hoffnung, daß er in

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russische Gefangenschaft gekommen wäre. Dies war aber insofern eine schwache Hoffnung, als ja an diesem Tage die Deutschen die Offensive ergriffen hatten. Die andere Möglichkeit wäre, daß bei der Schnelligkeit, mit der alles vor sich ging, die Toten mit Sachen und allem beerdigt wurden. Noch eine andere Möglichkeit ist, daß Sanitäter die Sachen an sich genommen; denn mein Vater hatte 20 M Löhnung bei sich, und es gibt auch Sanitäter, die der Versuchung erliegen. Wir warteten also in großer Erregung. Manchmal kamen von uns geschickte Karten mit der Aufschrift zurück ,,Den Heldentod fürs Vaterland gestorben”. Wir mußten also nun daran glauben. S Meine Mutter reiste nach Berlin, um bei der Nachlaßstelle etwas zu erfahren. Aber kein Nachlaß war vorhanden. Solch ein trefflicher Mann mußte fallen! Wenn man seine zuversichtlichen Karten liest, kann man es nicht glauben. Immer die Besten sind’s!

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Russisches. Es sind nicht etwa russische Zustände, die ich beschreiben will, sondern russische militärische Ausrüstungsgegenstände und andere Sachen. An der Uniform sind Knöpfe. Hier ist solch ein Knopf, d.h. er ist nur gemalt, das Original läßt sich hier nicht unterbringen. Seiner Form nach ist er ziemlich gewölbt, im Gegensatz zu den deutschen. Anscheinend ist er vernickelt. Die Öse ist größer als bei den deutschen. Hier ist eine furchtbar schmutzige Postkarte. Die Mitteilung ist natürlich nicht zu entziffern. Wer Russisch kann, soll es tun. (die russische Postkarte fehlt)

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Weiter ist hier eine russische Fahrkarte. Wie ich als Nichtrusse ersehen kann, ist sie dritter Klasse. Wo sie gelöst ist und bis wohin sie gilt, kann ich nicht entziffern. Die ,,3,22" betrifft wahrscheinlich den Kostenpunkt. Wahrscheinlich sind Rubel gemeint. Das ,,K” (Kopeken) kann ich mir nicht erklären. Ferner eine Achselklappe eines Regiments, das Friedensuniformen trägt. Die Regimentsnummer ist mit Farbe daraufgemalt. Die Achselklappe besteht aus folgenden Teilen: die Vorderseite, eine Papiereinlage,

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der Rückseite und einem schwanzähnlichen Anhang, der wiederum aus zwei zusammengeklebten Teilen besteht. die ganze Achselklappe ist im Verhältnis zu den deutschen sehr groß. Durch die Papiereinlage wird sie auch sehr dick und plump.

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Diese Achselklappe besteht ebenfalls aus den Teilen, die oben angeführt wurden. Man muß sagen, sie ist praktisch eingerichtet: auf der Vorderseite ist die Friedens-, und auf der Rückseite die Kriegsfarbe. Ohne Mühe kann die Achselklappe umgedreht werden, so daß sie entweder ,,rot” oder ,,feldgrau” zeigt, je nach Bedarf. Die Nummer ist wie bei der vorigen gemalt, während sie bei den deutschen gestickt ist. Im Gegensatz zu der vorigen ist sie sehr schmal.

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Die Einlage besteht aus übereinandergeklebten, dünnen Papierstreifen. Vielleicht war sie früher einmal feste Pappe; aber durch Regen ist sie aufgeweicht worden. An den Anhängseln kann man die Farbe der russische Uniformen erkennen. Sie ist mehr grün als grau. Da sie sich im Winter der Umgebung nicht anpaßt, werden sowohl von Russen als auch von Deutschen Schneehemden über die Uniform gezogen.

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Eine Siegesfeier. Eine starke, französische Festung war gefallen S Maubeuge, und in meiner Heimatstadt wurde an diesem Tage eine Siegesfeier auf dem Marktplatz angeordnet.

Ansichtskarte: Halle a. S. Marktplatz mit Rathaus (ohne Text auf Rückseite)

Zeitungsausschnitt

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Von allen Seiten strömten die Menschen dem Marktplatz zu. Auch mein Freund und ich machten uns auf. In einer Ecke des Platzes (x) stellte sich ein hallischer Gesangverein auf und eröffnete die Feier mit dem Danklied: ,,Wir treten zum Beten”. Mit dem Gesang der Männer mischte sich das Läuten der Glocken des Roten Turmes. Dann hielt der Vorstand des Vereines eine Ansprache, worin er die großen Leistungen unserer Truppen hervorhob und ein Lob auf die Heerführer und den Kaiser ausbrachte. Zuletzt stimmte alles in den Ruf: ,,Hurra, Hurra, Hurra!” ein. Der Verein sang dann noch mehrere patriotische Lieder und Märsche und beschloß die eindrucksvolle Feier mit dem Liede: ,,Heil dir im Siegerkranz” in das die Menge begeistert einstimmte.

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Russische Eroberungspolitik. Das russische Reich wurde durch Germanen, und zwar durch den normannischen Volksstamm der ,,Rus” gegründet, nach dem das heutige Rußland auch seinen Namen hat. Der Führer der ,,Rus” war Rurik, dessen Geschlecht von 862S1598 in Rußland regierte. Beim Regierungsantritt Peters des Großen reichte Rußland bereits vom Nördlichen Eismeer bis zum Kaspischen Meer; (siehe Karte [Nr1]) aber es war noch abgeschnitten von der Ostsee und dem Schwarzen Meer. Unter dem Zaren Peter dem Großen (1689 S 1725) tritt die Eroberungspölitik Rußlands in ein neues Stadium. Es galt, den Zugang zum Meere zu gewinnen! Nach 20 jährigem Kampf wurden die an der Ostsee gelegenen Länder Livland, Esthland und Ingermanland genommen [2]. In der Eroberung Konstantinopels sah Peter der Große das Endziel der russischen Politik, um dem europäische Rußland einen Ausgang nach dem Mittelländischen Meer zu schaffen, während seine Pläne zur Eroberung Persiens darauf gerichtet waren, den asiatischen Besitzungen Rußlands den Zugang zum Persischen Meerbusen und damit zum Indischen Ozean zu bahnen. Alle Nachfolger Peters

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des Großen haben leidenschaftlich die Erreichung dieser beiden Ziele angestrebt. Die auf der Karte unter 3 bezeichneten Gebiete erwarb Katharina II. von Rußland (1762S1796). Unter ihr fand die Teilung Polens statt. Im Jahre 1764 hatte sie Stanislaus August von Poniatowski auf den polnischen Königsthron gesetzt, und nun verlor er einen Teil seines Landes an sie. Auch das Herzogtum (Zeitungsausschnitt: Rußlandkarte) (Zeitungsausschnitt: Portrait des Polenkönigs)

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Kurland fiel unter ihrer Regierung an Rußland, ferner die Ukraine und die Krim am Schwarzen Meer. Unter Zar Alexander I. (1801S1825) fiel das Großherzogtum Warschau an Rußland; Schweden mußte Finnland; die Türkei Beßarabien; Persien große Ländereien am Kaspischen Meer mit Baku an Rußland abtreten [4]. Alle diese Gebiete spielen im jetzigen Weltkrieg eine hochbedeutende Rolle. Zar Nikolaus I. (1825S1855) eroberte Teile des Persischen Reiches am Kaspischen Meer [5] und hielt dann den Zeitpunkt für gekommen, gegen die Türken vorzugehen. Im Russisch-Türkischen Kriege (1828/ 29) erkämpfte er das Recht der freien Durchfahrt durch den Bosporus und die Dardanellen. Nun trat Rußland immer rücksichtsloser gegen die Türken auf und zeigte unverhüllt seine wahren Absichten. Die Engländer fühlten sich dadurch in ihren Interessen schwer geschädigt, und im Bunde mit Frankreich und der Türkei griffen sie die Russen in der Krim an und belagerten Sewastopol (1855). Da starb Zar Nikolaus I. Sein Sohn und Nachfolger Zar Alexander II. (1855S1881) setzte den Krieg fort, wurde aber geschlagen. Nach der Eroberung von Sewastopol mußte

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Rußland die Unabhängigkeit und territoriale Unverletzlichkeit der Türkei im Pariser Frieden (1856) anerkennen. Die gemachten Eroberungen wurden gegenseitig wieder herausgegeben, nur Beßarabien mußte Rußland an die Fürstentümer Moldau und Walachei, die später zum Königreich Rumänien vereinigt wurden, abtreten. Außerdem wurde das russische Protektorat über diese beiden Fürstentümer für aufgehoben erklärt. Zar Alexander II. gab nun sein Ziel, Konstantinopel zu erobern, zunächst auf und vergrößerte durch blutige Kriege jetzt Rußlands asiatische Besitzungen, indem er den Kaukasus (1856S1861) und Turkestan [6] eroberte. Daraus entwickelten sich Differenzen zwischen Rußland und England, das den Vorstoß gegen seine Kolonie Indien nicht dulden konnte; dagegen gestalteten sich die Beziehungen Rußlands zu Preußen immer freundschaftlicher. Da Zar Alexander II. wußte, daß Oesterreich-Ungarn die Eroberung Konstantinopels durch Rußland nie dulden würde, suchte er die Freundschaft Preußens, um die damaligen Interessengegensätze, die zwischen Österreich und Preußen bestanden, für seine politischen Zwecke auszunützen. Als Rußland sich von seinen letzten Kriegen wieder erholt hatte, erklärte Zar Alexander II. der Türkei den Krieg (1877).

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Rußland siegte, und im Frieden zu St. Stefano [1878] mußte die Türkei die Unabhängigkeit Montenegros, Serbiens und Rumäniens anerkennen, während Bulgarien ein selbständiges Fürstentum wurde; das aber der Türkei noch tributpflichtig blieb. Rumänien mußte an Rußland die Provinz Beßarabien abtreten. Die Rumänen waren darüber sehr entrüstet, denn im Türkenkriege hatten sie den Russen bei Plewna und am Schipkapaß unschätzbare Kriegshilfe geleistet. (Noch heute ist die Sehnsucht der Rumänen darauf gerichtet, Beßarabien von Rußland zurückzuerhalten!) Durch den Krieg gegen die Türken hatte Rußland endlich erreicht, was es wollte. Es hatte die Türkei geschwächt, sah in den neuen Staatenbildungen: Montenegro, Serbien, Bulgarien und Rumänien nur russische Vasallenstaaten und glaubte, daß sein Ziel, die Eroberung Konstantinopels nahe gerückt sei. S Die Friedensbedingungen von St. Stefano wurden durch den Berliner Kongreß, der unter dem Vorsitz Bismarcks am 13. Juni 1878 in Berlin eröffnet wurde, noch etwas abgeändert: Oesterreich-Ungarn erhielt die Verwaltung Bosniens und der Herzogewina, und England die Verwaltung der Insel Zypern. Deutschland wurde nun der unbegründete Vorwurf gemacht, daß es Rußland um die Früchte des Krieges gebracht habe, und schon

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ein Jahr darauf, im Sommer 1879, wurde in Paris über ein Russisch-Französisches Bündnis verhandelt. Am 13. März 1881 wurde Zar Alexander II. ermordet, und Zar Alexander III. gelangte auf den Thron (1881 S1894). Unter ihm griff eine hochgradige deutschfeindliche Stimmung immer mehr um sich. Unter seinem Nachfolger, dem willenlosen, schwachen Zar Nikolaus II. brach der Krieg zwischen Japan und Rußland aus (1904), in dem Rußland Niederlagen auf Niederlagen erlitt. England und Frankreich hatten Rußland inzwischen ihr Geld und ihre Freundschaft angeboten, um Deutschland zu vernichten, während Rußlands Ziel dahin ging, Oesterreich von der Landkarte zu streichen, um den Weg nach Konstantinopel frei zu bekommen. Nikolaus II. hatte gehofft, die im Japanischen Krieg erlittenen Niederlagen durch einen neuen, siegreichen Krieg auszugleichen, doch die russischen Armeen sanken im jetzigen Weltkrieg ins Grab. Um Konstantinopel zu erobern, sind die Franzosen und Engländer an den Dardanellen gelandet. Dieses Unternehmen verspricht keinen Erfolg und wird früher oder später scheitern. Am Persischen Meerbusen könnte Rußland ans freie Meer gelangen; aber da stößt es auf englische Interessen. Die Geschichte Rußlands zeigt, mit welcher Zähigkeit es seine Eroberungspolitik betreibt. Und trotzdem sollen wir die Anstifter des Krieges sein.

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Der Ulanengaul. Es reiten die Reiter, die Lanzen gefällt, Zum Angriff mit Hurra über das Feld. Es heulen und prasseln vom Feinde her, Granaten, Schrappnell, Maschinengewehr. Vom Gaule, da sinket ein Reitersmann, Aus tödlicher Wunde das Blut ihm rann. Er stürzet zu Boden, nach ,,Mutter” ein Schrei. Er strecket die Glieder, es ist vorbei. Die Reiter, sie stürmen den feindlichen Wall, Es donnert ins Land der Zusammenprall. Sie kämpfen voll Zorn, voll Wut und Wucht, Sie jagen und schlagen den Feind in die Flucht. Der Gaul steht neben dem toten Ulan, Er wartet und wartet und schnuppert ihn an. Kein leuchtender Blick, kein freundlicher Klang,

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Mit dem er sonst seinen Hals umschlang. Das Auge blieb starr, der Mund blieb hart, Es hebt sich kein Arm und streicht ihn zart. Da warf der Gaul seinen Kopf empor, Der Atem stieg heiß aus dem Nüstern hervor. Er wiehert vor Angst, S er hatte ihn gern S Er wieherte laut: Helft meinem Herrn! Es kommen die Reiter mit Jubelgeschrei, Die Lanzen hoch schwingend, vom Siege herbei. Zwei steigen vom Sattel und packen ihn an Und tragen zum Grabe den toten Ulan. Nach folgte der Gaul, sein Kopf war dicht An seines toten Herrn Gesicht. Sie graben das Grab, sie betten ihn d’rein, Nur einmal leis wiehert der Gaul hinein. Sie beteten kurz, sie deckten ihn zu: ,,Kamerad, schlaf’ du in ewiger Ruh’!” Sie nehmen den Gaul, sie führen ihn fort S Verlassen lag der traurige Ort. Sie plaudern so froh von Sieg und Glück, Der Gaul, er schaute noch immer zurück. Der Hügel verschwand, er sah ihn nicht mehr, Da kam es heraus, von Sehnsucht so schwer, So lockend und leis, so lockend und laut, Durch Dunkel und Dämmern der wiehernde Laut. Durch Dunkel und Nacht es klang und klang Das Wiehern des Gaules, unendlich bang Hinüber, hinüber zum toten Herrn.

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U-Boot Krieg. Englisches Seemannslied. 1)

Ich weiß nicht was soll es bedeuten: Der Dampfer ist ganz gesund, Da geht er mit all’ seinen Leuten Ganz plötzlich zertrümmert zu Grund. Die Luft ist vom Sturm nicht durchflogen Und ruhig lieget das Meer Britannien beherrschet die Wogen: Wo kommt nur der Untergang her?

2)

Die Frage läßt England nicht schlafen, Es haßt sie mit Ach und Weh’, Es läßt seine Dreadnoughts im Hafen Und schickt sie nicht mehr in die See. Ich glaube, es kommt zum Bankrotte mit Englands allmächtigem Wahn Und das hat das deutsche U-Boot mit seinen Torpedos getan!

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Das Sanitätswesen. Viele Opfer forderte der Krieg; aber die Zahl der Toten würde vielemal größer sein, wenn wir kein geordnetes Sanitätswesen hätten. Dieses entsteht bei Ausbruch des Krieges nicht mit einem Schlage, sondern wird im Frieden sorgfältig eingerichtet und verbessert.

(Rotes Kreuz Feldpostkarte)

Die einfachen Grundsätze der Menschlichkeit gebieten solche Maßregeln. Eine wohlorganisierte Sanitätskolonne verhindert nicht nur, daß sich Verwundete verbluten, sondern bewirkt auch, daß diese von ansteckenden,

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gefährlichen Krankheiten, wie Cholera, Typhus, Ruhr u.a. verschont bleiben. Als der Krieg ausbrach, reichte die Zahl der männlichen Sanitätskräfte nicht aus, und unzählige junge Mädchen meldeten sich zum ,,Roten Kreuz”. Viele wurden nicht genommen. Glücklich waren die, die genommen wurden. In ihrer jugendlichen Begeisterung wollte jede sofort ins Feld. Aber so schnell ging das nicht. Eine gründliche Ausbildung war unumgänglich notwendig. Dann ging es hinaus ins Feld. Manches feine adlige Fräulein mußte da erkennen, daß Nerven zu solcher Tätigkeit gehören, und daß sich die kräftigeren Bürgertöchter eher daran gewöhnen. Ein besonderes Verdienst gebührt unseren Sanitätshunden. Der Verwundete, der im dichten Gestrüpp, im Graben, im Felsbruch, hinter dem Hügel und Erdwall oder nahe am Abgrund schmachtet, wird von dem

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Sanitätshund vermöge seines wunderbaren Instinkts gefunden. Ein Oberstabsarzt und Kommandeur einer Sanitäts-Kompagnie schreibt: ,,Bei Beginn des sogenannten Karpathenfeldzuges wurden die Sanitätshundeführer ebenso wie der überwiegende Teil der Krankenträger den Regimentern direkt zugeteilt, da vorauszusehen war, daß sich die Hunde im Gebirgskriege unmittelbar an der Front besonders wertvoll erweisen würden. Die der hiesigen Stellung eigentümlichen Verhältnisse lagen derart, daß ein Aufsuchen der Verwundeten erst bei Eintritt der Dunkelheit ermöglicht werden konnte. Das Gelände selbst waren zum Teil sehr steile Hänge, auf denen die Verwundeten mehrfach abgekugelt sind, durchsetzt mit unregelmäßig verstreuten Tannenanpflanzungen. Der Schnee war so hoch, daß die Leute zum Teil beim Angriff bis an die Brust versanken; also die denkbar ungünstigsten Verhältnisse für das Aufsuchen von Verwundeten. Glänzend war das allgemeine Urteil über die Tätigkeit der Hunde. Die Tiere arbeiteten auch im tiefsten Schnee mit der selben Findigkeit wie im Sommer. So z.B. verfolgte ein Hund die Spur von Verwundeten, die den Hang hinuntergerutscht und in einer Schlucht unbemerkt liegen geblieben waren und bei der recht erheblichen Kälte im Februar unfehlbar erfroren wären. Ein anderer wieder fand in ganz kurzer Zeit zehn Verwundete, die im tiefen Schnee eingesunken waren und vermißt wurden.

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Desgleichen wurde ein Offizierstellvertreter, der, von Schwäche und Müdigkeit übermannt, im Schnee niedergesunken war, von Hunden dem Führer gezeigt. Da hier im Gebirgskrieg fast täglich kleinere Kämpfe stattfinden, so hatten die Hunde in den letzten vier Wochen reichlich zu tun, haben aber trotzdem nie versagt und werden von allen Seiten aufs höchste geschätzt und geliebt.” Ähnliche Berichte sind in großer Zahl dem Deutschen Verein für Sanitätshunde aus der Front eingesandt, die alle Zeugnis geben von der Ausdauer und der Arbeitsfreudigkeit der Sanitätshunde, von denen einer allein 58 Mann das Leben gerettet hat. General-Feldmarschall von Hindenburg hat infolge dieser Berichte schon im Dezember 1914 den Befehl gegeben, sämtliche Sanitätskompagnien seiner Armee mit Hunden für die Verwundetensuche in möglichst großer Zahl auszurüsten.

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Einfluß des Krieges auf die Jugend. ,,Ein furchtbar wütend Schrecknis ist der Krieg” sagte schon Schiller. Das haben besonders die Bewohner der Landstriche gespürt, die vom Feinde besetzt sind. Aber auch im Inneren des Landes merkt man, daß Krieg ist. Das gilt besonders für den Kreis der Familie. Der Vater ist im Felde, und die mit Nahrungssorgen schon schwer geplagte Mutter muß die die Strenge des Vaters nicht mehr fühlenden Kinder erziehen. Diese nutzen das Fehlen des Vaters auch gehörig aus. Abends wird länger auf der Straße geblieben, die Schularbeiten werden flüchtiger gemacht. Ja, in meiner Schule kam der krasse Fall vor, daß ein 13-jähriger Junge eine Reise nach dem westlichen Kriegsschauplatz unternahm. Das Fahrgeld hatte er gestohlen. Er kam bis nach Trier. Es gelang ihm aber nicht, die luxemburgische Grenze zu überschreiten, da überall Posten standen. Von Hunger getrieben, meldete er sich der Polizei und wurde nach Hause gebracht. Aber lange hielt er es zu Hause nicht aus. Mit einem Klassengenossen reiste er wieder los und schrieb sogar, entweder aus Frechheit oder aus Dummheit, eine Karte an seine Mutter aus Eisenach. Aber noch vor Bebra wurde er gefaßt und zurückgebracht. Nur der Fürsprache seines Pastors, des Dompredigers Baumann in Halle, hatte er es zu verdanken, daß er nicht in die Erziehungsanstalt kam. So wurde er

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nur auf die Volksschule gebracht. Ein anderer Junge in derselben Schule ist auch ,,ausgerückt”. Er wollte das Grab seines Vaters besuchen. Was weiter aus ihm geworden ist, weiß ich nicht. Ein Hauptumstand zu der Reiselust dieser Früchtchen war das Lesen der Schundliteratur. Da wurde gelesen, daß ein Knabe im Güterzug mit Soldaten an die Front gereist sei, und sogleich faßte in den dummen Köpfen der Gedanke Platz: ,,Das kann ich auch mal so machen”. Und sonderbar, gerade jetzt im Kriege kamen immer mehr Arten solcher Bücher dazu: sie vermehrten sich wie die Ratten. Und der Knabe kaufte, las, verarbeitete das in seinem Dummkopfe, und man ,,sah die schönsten Früchte in ihm blühn”. Die Verwilderung der Jugend sah man besonders abends, wenn es dunkel war. Da striffen sie umher, rauchten, tranken, poussierten und trieben andres mehr. Um dem zu steuern, erließ der Kommandierende General des IV. Armeekorps, Freiherr v. Lynker, eine Verfügung, wonach Jugendlichen unter 18 Jahren das Trinken alkoholischer Getränke, das Rauchen und das Umhertreiben auf den Straßen nach 10 Uhr im Sommer und nach 8 Uhr im Winter verboten ist. Ausgeschlossen von dieser Verfügung sind Soldaten und Matrosen. Da wurde aber eine Unge-

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rechtigkeit begangen; denn Unteroffizierschüler, die höchstens 15½ Jahre alt waren, konnten tun, was ihnen beliebte. Mit dieser Verordnung waren besonders die Besitzer von Gasthäusern, Kinos und Theaters unzufrieden. Aber was half’s. ,,Das ist der Krieg”. (C’est la guerre” sagten die ,,Gebildeten”). Die Säuglinge, die man eigentlich nicht zur Jugend rechnen kann, werden auch sehr vom Krieg betroffen. die Milch wurde knapp, Cakes gab es nicht mehr und die Nährmittelpräparate verschwanden im Handel. Da hatte wohl manche Mutter Sorge um das Gedeihen ihres Kindes. Aber die Knappheit an Nährstoffen hatte ihr Gutes für die Mütter. Das habe ich besonders erfahren. In Friedenszeiten schmeckte mir kein Mittagsbrot, ich aß sehr wenig. Daher war ich ein kleiner, dürrer Kerl. Da kam der Krieg; die Nahrungsmittel wurden knapp und nach der Schmackhaftigkeit durfte nicht mehr gefragt werden. Da spürte ich, wohl zum erstenmal, den Hunger. Der Magen verlangte und nahm hin, was er bekam. So aß ich nachher alles und das zeigte sich auch bald am Wachstum des Körpers. Ich schoß erst mächtig in die Länge, erstarkte aber immer mehr. Dieser Fall kommt gewiß nicht oft vor. Im allgemeinen wirkte der Krieg sehr ungünstig auf die Jugend.

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Die Lebensmittelversorgung. Deutschland war von allem Weltverkehr abgeschnitten und auf sich selbst angewiesen. Deshalb mußte vor allem die Ernährung sichergestellt werden. Das wichtigste Nahrungsmittel war das Brot. In Friedenszeiten wurde viel Mehl vom Ausland bezogen. Jetzt waren wir auf die Erzeugnisse Deutschlands angewiesen, und diese reichten natürlich nicht hin, um alle Einwohner satt zu machen, wenn alle soviel essen wollten wie im Frieden. Deshalb mußte sich jeder einrichten. Um dieses gleichmäßig zu gestalten, wurde das Brotkartensystem eingeführt. Jeder erhielt eine Karte, auf die er eine bestimmte Menge Brot oder Mehl kaufen kann. Die Stadt Halle machte eine Ausnahme: sie verabreichte keine Karten, sondern Metallmarken. Das war gut, denn diese sahen jede Woche gleich aus, und wenn man eine Woche damit gespart hatte, so konnte man sie die andere Woche noch verwenden. Andernfalls war es auch nicht gut; denn wenn die Leute am Sonnabend ihre Marken bekamen, so holten sie darauf gleich Brot, weil dieses gewöhnlich schon alle war, und gerieten nach und nach immer tiefer in Schulden bei ihrem Bäcker. Bald wurde ein anderes wichtiges Nahrungsmittel knapp: die Butter. Plötzlich war sie wie vom Erd-

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boden verschwunden und einem Kaufmann, der das köstliche Gut noch zu verkaufen hatte, wurde der Laden belagert. Da gab es jeden Tag Polonaisen vor den Butterläden. Die Stadt konnte sich nicht entschließen, dem Übelstande zu steuern. Man kam allgemein zu der Meinung, daß sich die reichen Leute erst die Kammern füllen sollten, bis das Kartensystem eingeführt wurde. Endlich ermannte sich die Stadt, und es wurden Butterkarten ausgegeben. Kolonialwaren lagerten nur noch in den großen Speichern der Seestädte. Da kamen in Betracht: Kaffee, Kakao, Thee, Margarine. S Auch Hülsenfrüchte wurden knapp, und so wurden alle diese Sachen auf einen Schein, den Lebensmittelschein, verabreicht. Bei der Butterknappheit wurde vielfach geraten, Zucker aufs Brot zu streuen, mit der Begründung, daß Deutschland reich mit Zucker versorgt wäre. Aber plötzlich war er im Handel verschwunden. Wo war er geblieben? Wieder sagte man sich, daß Händler und reiche Leute alles aufgekauft und sich ordentlich versorgt hätten. Endlich wurden Zuckerkarten eingeführt, und jeder erhielt wöchentlich ½ Pfund Zucker. Bald wurden Kartoffelkarten eingeführt, denn man hatte eine Bestandsaufnahme der Ernte 1915 erheben lassen, und es hatte sich ergeben, daß die Ernte nicht gerade glänzend sei. Das war freilich

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ein Irrtum, denn die dummen Bauern hatten aus Furcht vor Beschlagnahme nicht alles angegeben. Weil nun die Kartoffel auch als Schweinefutter benötigt wird, ging man daran, einen hohen Prozentsatz von Schweinen abzuschlachten, um die Kartoffel der menschlichen Ernährung zu erhalten. In den Zeitungen wurde in dicken Lettern darauf hingewiesen: ,,Wer ist unser größter Feind? Das Schwein, denn es frißt die wichtigen Kartoffeln”. Das Verkehrte dieser Handlungsweise zeigte sich bald. Jeder Bauer hatte bald soviel Schwein abgeschlachtet, daß er nicht wußte, wohin damit, sodaß das Fleisch verdarb. Und bald kam heraus, daß noch genug Kartoffeln vorhanden waren. Die Bauern mußten ihre Kartoffeln zu einem Spottpreise verkaufen. Aber die Schweine waren dahingemordet, und die Fleischkarte wurde eingeführt. Bald folgte auch eine Milchkarte und eine Eierkarte. Mannigfache Verfehlungen wurden bei der Verteilung der Lebensmittel begangen, sowohl von den Reichsämtern, als auch von der Stadtverwaltung. Die beste Lebensmittelversorgung hatte wohl Straßburg, dessen einsichtsvoller Bürgermeister Dr. Schwander die große Bedeutung einer geordneten Lebensmittelversorgung schon in den ersten Kriegsmonaten erkannte und unabhängig vom Reiche eine geordnete

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Lebensmittelversorgung durchführte. Auch die Lebensmittelversorgung der Stadt Kassel ist musterhaft. Von Halle kann ich das gerade nicht sagen. Vor den Butterläden mußte man gewöhnlich 1 bis 2 Stunden stehen. Ehe die Milchkarten eingeführt wurden, holte ich ein halbes Jahr lang jeden Tag die Milch für meinen kleinen Bruder und mußte jedesmal ¾ Stunde vor dem Laden stehen. S In einer Volksschule von Halle, der Talamtschule wurde eine Städtische Lebensmittelverkaufsstelle eingerichtet. Dort stand ich einmal 4 Stunden nach Kartoffeln. Über diese Talamtschule ließe sich ein ganzes Buch schreiben. Was sich dort schon alles abgespielt hat! Halle hat wohl manchmal gezögert mit der Einführung von Karten irgendwelcher Art. Aber wenn dann die Karten da waren, dann war gewöhnlich nicht das da, was man darauf bekommen sollte, so daß der Bürger folgendes Kochrezept beherzigen konnte:

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Heldenverehrung. Schon bei den alten Griechen und Römern bestand die schöne Sitte der Heldenverehrung. Diese Gewohnheit hat sich bis in diese Zeit erhalten, und jetzt im Weltkriege werden besonders viele deutsche Helden die sich im Kampfe hervorgetan haben, für ihre Tapferkeit belohnt. Diese Ehrungen geschehen in mannigfacher Weise. Die hauptsächlichste Art der Heldenverehrung ist die Ordensverleihung. Am häufigsten wird das Eiserne Kreuz, ein preußischer Orden, verliehen. Außerdem gibt es noch die Orden und Ehrenzeichen der einzelnen Bundesstaaten und unsrer Verbündeten. Das Eiserne Kreuz, ist, wie der Name schon sagt, aus Eisen und ist mit einem Silberrand eingefaßt. Auf der Vorderseite befindet sich oben eine Krone, in der Mitte ein ,,W” und unten die Jahreszahl 1914. Die Rückseite bildet ein Eisernes Kreuz von 1813 ab. Man unterscheidet das Eiserne Kreuz erster und zweiter Klasse. Das Kreuz erster Klasse ist die höhere Auszeichnung. Das Eiserne Kreuz wurde am 10. März

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1813 von König Friedrich Wilhelm III. gestiftet und 1870 von Wilhelm I. und 1914 von Wilhelm II. erneuert. S Ein andrer preußischer Orden ist der ,,Pour le Merite”. Er wurde von Friedrich dem Großen gestiftet. Dieser hohe Orden wird nur an Offiziere verliehen. Ihn haben besonders viele Fliegeroffiziere erhalten. Von den Kriegsorden der Bundesstaaten sind zu nennen: Das Bayrische Militärverdienstkreuz, die Sächsische Tapferkeitsmedaille und das Anhaltinische Friedrichskreuz. Auch Kriegsorden unserer Verbündeten werden an deutsche Helden verliehen; z.B. der Eiserne Halbmond (Türkei), der Bulgarische Tapferkeitsorden und die Österreichische Tapferkeitsmedaille. Viele deutsche Helden haben diese Orden erhalten. Es kämpften ja auch viele deutsche Soldaten im österreichischen, türkischen oder bulgarischen Heere mit. Ohne die Deutschen hätten die Österrei-

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cher in Galizien im Sommer 1915 nicht so große Erfolge erringen können, und ohne die deutschen Offiziere im türkischen Heere hätte dasselbe nicht so organisiert werden können. Auf diesem Gebiet hat sich besonders Feldmarschall Freiherr von der Goltz, der leider in der Türkei starb, große Verdienste erworben. Mit der Ordensverleihung ist die Beförderung eng verbunden. Gemeine, die sich im Kampfe hervorgetan haben, werden zum Unteroffizier oder Feldwebel, und die Leutnants zu Oberleutnants und Hauptmann befördert. Unseren Feldgrauen ist die Aussicht auf Beförderung ein Ansporn zur Tapferkeit. Jeder Offizier ist bestrebt, eine Führerstelle zu erhalten, und wohl mancher General sucht durch hervorragende Führung den Feldmarschallsstab zu erlangen. Der Lohn bleibt auch meistens nicht aus. Höhere Offiziere, die etwas Außerordentliches geleistet haben, werden nicht nur durch Ordensverleihung und Beförderung, sondern auch durch Ehrenbezeugungen mannigfacher Art belohnt. Ein Beispiel bietet der neuerdings zum Generalstabschef ernannte Generalfeldmarschall von Benneckendorf-Hindenburg. Dieser hat bekanntlich Großes geleistet, und es sind ihm auch unzählige Ehrungen zuteil geworden. Er wurde zum Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Posen er-

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nannt, und sogar die oberschlesische Stadt Zabrze nennt sich jetzt ,,Hindenburg”. (Es ist auch gut, daß solch ein alter polnischer Name, bei dessen Aussprache man sich die Zunge bald zerbricht, in einen deutschen verwandelt. In der Provinz Posen ist das auch sehr angebracht). Ferner errichtete man in Berlin vor der Siegessäule den ,,Eisernen Hindenburg”, ein hölzernes Standbild, das benagelt wird. S Auch wurden Straßen nach ihm benannt, in den Zeitungen erschienen spaltenlange Artikel über seinen Lebenslauf, und Bücher, in denen Anekdoten über ihn zu lesen sind, erschienen.

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Ähnlich wie Hindenburg erging es Mackensen, Weddigen und andern. Auch der gefallene Fliegerheld, Oberleutnant Immelmann, ist viel geehrt worden. Alle unsere Helden haben diese Ehrungen vollauf verdient. Diese Ehrungen sind jedoch nur da, um dem Betreffenden zu zeigen, daß man seine Tapferkeit anerkennt. Der schönste Lohn ist ihm das Bewußtsein treuer Pflichterfüllung.

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Kriegserklärungen. 1914 28. Juli 2. August 3. August 4. August 5. August 5. August 5. August 6. August 6. August 11. August 13. August 24. August 25. August 27. August 2. November 5. November 6. November

Österreich-Ungarn an Serbien. Deutschland an Rußland. Deutschland an Frankreich. England an Deutschland. Österreich-Ungarn an Rußland. Montenegro an Österreich-Ungarn. Belgien an Deutschland. Serbien an Deutschland. Montenegro an Deutschland. Frankreich an Österreich-Ungarn. England an Österreich-Ungarn. Deutschland an Japan. Österreich-Ungarn an Japan. Österreich-Ungarn an Belgien. Serbien an Türkei. England an Türkei. Frankreich an Türkei. Verhältnis 3 : 7.

Deutschland Österreich-Ungarn Türkei

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gegen

England. Frankreich. Rußland. Japan. Belgien. Serbien. Montenegro.

1915. 23. Mai 21. August 14. Oktober 15. Oktober 16. Oktober 19. Oktober

Italien an Österreich-Ungarn. Italien an Türkei. Bulgarien an Serbien. England an Bulgarien. Frankreich an Bulgarien. Italien an Bulgarien. Verhältnis 1 : 2.

Deutschland Österreich-Ungarn Türkei Bulgarien

gegen

England. Frankreich. Rußland. Belgien. Serbien. Montenegro. Italien.

1916. 9. März 13. März 26. August 27. August 28. August 30. August

Deutschland an Portugal. Österreich-Ungarn an Portugal. Italien an Deutschland. Rumänien an Österreich-Ungarn. Deutschland an Rumänien. Bulgarien an Rumänien. Verhältnis 4 : 9.

Deutschland Österreich-Ungarn Türkei Bulgarien

gegen

England. Frankreich. Rußland. Belgien. Serbien. Italien. Portugal. Rumänien. -65-

(Die Montenegriner streckten am 25.1.1916 die Waffen.)

Emden-Ayesha.

(Nach Zeitungsberichten.) 15.9.1914 Der deutsche Kreuzer ,,Emden”,Kommandant Fregattenkapitän von Müller, beendet eine erfolgreiche Kaperfahrt im Golf v. Bengalen. Er hat vom 10.S15. September 7 englische Dampfer versenkt. Die Besatzungen wurden in Kalkutta an Land gebracht. S Unsere ,,Emden”, die sich aus den Kohlevorräten der gekaperten Dampfer für lange Zeit versorgt, hat dem englischen Handel einen Schlag von 20 Millionen zugefügt und den Seehandelsverkehr zwischen Vorderund Hinterindien vollständig unterbunden. 23.9.1914 Kreuzer ,,Emden” taucht vor Madras in Vorderindien auf und schießt mehrere Öltanks in Brand.

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24.9.1914. Kreuzer ,, Emden” ankert angesichts der französischen Besitzung Pondichéry vor der Coromandelküste in Vorderindien, um nach kurzer Zeit wieder zu verschwinden. 29.9.1914. Die britische Admiralität gibt bekannt, daß unser Kreuzer ,,Emden” weitere 6 Schiffe englischer Nationalität und einen Kohlendampfer im Indischen Ozean genommen hat. Die Besatzungen treffen auf der ,,Gyfedale” in Colombo ein. 21.10.1914 Die ,,Emden” hat neuerdings 4 englische Dampfer mit 33000 Tonnen und das ganz neue Baggerschiff ,,Ponrabbel” versenkt und den Dampfer ,,Exford” (6000 T.) gekapert. 23.10.1914 Die ,,Emden” versenkt den nach Singapore bestimmten japanischen Passagierdampfer ,,Kasamata Maru”. Die Shanghaier Versicherungsgesellschaft nimmt für Fahrten über Singapore keine Versicherungen mehr an. 1.11.1914 Dem Kommandanten der ,,Emden”, Fregatten-

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kapitän v. Müller, wird das Eiserne Kreuz II. und I. Klasse, allen Offizieren, Beamten, Deckoffizieren und 50 Unteroffizieren und Mannschaften das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen. 1.11.1914 Morgens kurz vor 6 Uhr nähert sich der Kreuzer ,,Emden”, auf den englische, französische, japanische und russische Kriegsschiffe seit längerer Zeit Jagd machen, der Kokosinsel Keeling, südwestlich von Sumatra im Indischen Ozean, um die dort befindliche drahtlose Station zu zerstören und die Kabel zu zerschneiden. Während die ,,Emden” ein Landungskommando von 40 Mann unter dem Befehl des Kapitänleutnants v. Mücke zur Insel entsendet, schickt diese nach allen Richtungen Funksprüche aus, die trotz des Dazwischentretens der drahtlosen Station des Kreuzers ihre Ziele erreichen und den englisch-australischen Kreuzer ,,Sidney” herbeirufen. Die Landungsabteilung wird nach der Zerstörung der drahtlosen Station durch das Aufsuchen der Kabel so lange aufgehalten, daß die ,,Emden” bei Sichtung des Feindes gezwungen wird, den Hafen zu verlassen, ohne die Mannschaft an Bord nehmen zu können. Sie fährt der herankommenden ,,Sidney” mit Volldampf entgegen und trifft sie in kurzer Zeit zehnmal, während der Engländer sich erst allmählich auf die Entfernung einschießt. Dann aber geht er, in Besitz der weiter tragenden Geschütze, außer

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Schußweite der ,,Emden”, und nun gelingt es ihm, drei Schornsteine und den Vormast wegzuschießen und das Achterdeck des deutschen Schiffes in Brand zu setzen. Da die ,,Emden” sich inzwischen völlig verschossen hat und ein Versuch, auf Torpedoschußweite an den Feind heranzukommen, mißglückt, so läuft sie schließlich in voller Fahrt auf die Klippen nördlich von Keeling auf. Nachdem die ,,Sidney” noch zwei Breitseiten in das hilflose Wrack hineingefeuert hat, wendet sie sich gegen das Begleitschiff der ,,Emden”, den ehemals englischen Kohlendampfer ,,Buresk”, und verfolgt es; bevor sie es wegnehmen kann, wird es von seiner deutschen Besatzung versenkt. Am Nachmittag wendet sich endlich die ,,Sidney” wieder dem Wrack der ,,Emden” zu und feuerte, da die Aufforderung, die Flagge zu streichen, unbeantwortet bleibt, noch einmal ihre Geschütze gegen sie ab. Schließlich läßt der Kommandant der ,,Emden”, nachdem er die Flagge im Meer versenkt hat, eine weiße Flagge zeigen, zum Zeichen, daß er keinen Widerstand mehr zu leisten vermag. Das Wrack ist völlig zerschossen, an Bord befinden sich 129 Tote und 8 Schwerverletzte. Elf Offiziere, darunter der Kapitän v. Müller und Prinz Joseph zu Hohenzollern, und 200 Mann geraten in Gefangenschaft. Der Besatzung werden alle kriegerischen Ehren erwiesen, die Offiziere behalten ihre Degen. S Die Landungsabteilung der ,,Emden” hat sich unterdessen des alten Dreimastschoners ,,Ayesha” bemächtigt, auf dem sie entkommt.

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18.11.1914 Der ,,Emden”-Kapitän v. Müller ist nach Sidney gebracht worden. 28.11.1914 Das Landungskorps der ,,Emden” (Kapitänleutnant v. Mücke, Oberleutnant z.S. Gießling, Leutnant z.S. Schmidt und 47 Mann) trifft auf dem mit 4 Maschinengewehren bewaffneten Dreimastschoner ,,Ayesha” nach 19-stündiger Fahrt durch den Indischen Ozean in Padang (an der Südküste von Sumatra) ein. Die ,,Ayesha” wird von den im Schutzhafen ankernden deutschen Schiffen mit Jubel begrüßt und, da sie bestimmungsgemäß nur 24 Stunden bleiben darf, sofort mit Lebensmitteln, Kleidung, Tabak und Bier reichlich versorgt. 10.12.1914 Abends, 12 Tage nach der Abfahrt der ,,Ayesha”, verläßt der deutsche kleine 1700 TonnenDampfer ,,Choising” das schützende Gewässer des neutralen Hafens von Padang auf Sumatra, um der ,,Emden”-Mannschaft zu folgen. 14.12.1914 Der kleine deutsche Dampfer ,,Choising” trifft nachmittags nahe der Küste von Sumatra im Indischen Ozean die ,,Ayesha” und fährt mit ihr zusammen weiter. 16.12.1914 Die Besatzung der ,,Ayesha” wird an Bord der

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,,Choising” überführt und der Dreimaster, der die ,,Emden”-Leute sechs Wochen getragen hat, im Ozean versenkt. 9.1.1915 Am frühen Morgen setzt die ,,Choising”, die in der Nacht vom 7. zum 8.1. glücklich durch die Straße Bab-el-Mandeb ins Rote Meer gelangt ist, unbemerkt von englischen und französischen Kriegsschiffen die 3 Offiziere und 44 Mann der ,,Emden” bei Kap Mujirmelah, südlich von Hodeida an der arabischen Westküste an Land. 14.3.1915 Kapitänleutnant v. Mücke segelt mit der ,,Ayesha”-Mannschaft in zwei Schiffen von Hodeida ab. 3.4.1915 Die ,,Ayesha”-Mannschaften unter Kapitänleutnant v. Mücke werden durch Truppen des Emirs von Mekka aus ihrer gefährlichen Lage befreit und setzen den Marsch nach Dschidda fort. 9.5.1915 In Damaskus wird die deutsche ,,Ayesha”Mannschaft von der Bevölkerung und den Behörden festlich empfangen.

% Die ,,Ayesha”-Mannschaft kehrt in die Heimat zurück und Kapitänleutnant v. Mücke schreibt seine beiden Bücher ,,Emden” und ,,Ayesha”.

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Die Schule im Kriege. Bei Ausbruch des Krieges mußten sich zwei Lehrer der Mittelschule (Torstraße), in die ich ging, stellen. Die übrigen Lehrer waren schon ältere Herren oder hatten nicht gedient. Wir meinten, jene kämen auf keinen Fall mehr an die Reihe, denn wir dachten, der Krieg dauert höchstens bis zu Weihnachten 1914. Aber bald kam der ungediente Landsturm dran, und einige Lehrer wurden eingezogen, manche aber wurden reklamiert. Unter den ersteren befand sich Herr Vinz, der Zeichenlehrer. Bald bekamen wir einen anderen Zeichenlehrer, einen noch sehr jungen Herrn. Eigentlich war er garnicht mehr so jung; er war 24 Jahre alt; aber er fühlte sich wie ein Zwanzigjähriger. Auch sein Äußeres gab ihm ein sehr jugendliches Aussehen; denn er hatte keinen Bart und trug Halbschuhe mit sehr breiten und herabbaumelnden Schnürbändern. Er wurde gleich belacht und zeigte sich bald als sehr unenergisch. Der Zeichenunterricht war bei ihm auch ganz anders als Herrn Vinzens Unterricht; denn dieser war äußerst streng und war mehr Feldwebel als Lehrer. Herr Hecht dagegen ließ uns große Freiheit; wir durften tun, was uns beliebte. Wenn uns Herr Vinz einmal in einer Zeichenstunde beobachtet hätte, so würde er die Hände über dem Kopfe zusammenge-

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schlagen haben. Es herrschte eine heillose Unordnung. Während früher die Zeichenblöcke jeder Klasse im Zeichensaal ihren bestimmten Platz hatten, lag jetzt alles kunderbunt durcheinander. Manche unserer Zeichenblöcke lagen bei denen der Mädchen, manche waren mit anderen Namen beschrieben und andre waren garnicht vorhanden. Es war ein Chaos, ein Tohu-wa-bohu. Trotzdem fanden wir den Unterricht bei Herrn Hecht großartig. Wir erlaubten uns auch oft Frechheiten, die er aber weiter nicht übelnahm. Einmal unternahm er einen Ausflug mit uns. Da ging es lustig her. Es wurden Ringkämpfe ausgefochten, bei denen sich der Lehrer auch beteiligte. Manchmal überfielen wir ihn, und dann teilte er kräftige Hiebe aus. Es war einfach großartig. Abends kauften wir uns in einem Dorfe Zigaretten und qualmten wie Schornsteine. Einer besaß die Frechheit, Herrn Hecht eine Zigarette anzubieten. Er wies sie lachend ab und sagte: ,,Raucht euer Kraut allein”. Aber die Herrlichkeit sollte nicht mehr lange dauern. Schon war Herr Vinz wieder in Halle und stolzierte mit strengem Blick an uns vorbei. Da geschah das Ungeheure. Herr Vinz kam wieder zurück zur Schule, und Herr Hecht wurde entlassen und bekam eine Anstellung in den Frankeschen Stiftungen, wo er, wie man sagt, eine etwas strengere Unterrichts-

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weise einführte. Traurig deklamierten wir:

Und verschwunden nach kurzem, verderblichem Streit War die ordnungslose, die schöne Zeit, Und ein Vinz war wieder auf Erden.

Nun begann Herr Vinz eine vollständige Reformation des Zeichensaales und brachte das Kunststück auch fertig. Aber uns konnte er nur schwer wieder zur Raison bringen. Die kurze Herrschaft des Herrn Hecht hatte genügt, uns zu Raudis zu machen. Das ist der Krieg!! Als noch mehr Lehrer eingezogen wurden, mußten Lehrerinnen eingestellt werden. Die Frau meines Klassenlehrers (siehe Bild, Seite 2 dieses Buches) stellte sich auch zur Verfügung. Sie war früher Lehrerin gewesen und nahm nun den alten Beruf wieder auf. Wir hatten gehofft, auch eine Lehrerin in einem Fach zu bekommen, um bei dieser Vertreterin des schönen Geschlechts ordentlich faulenzen zu können. S Überhaupt waren wir viel fauler geworden. Mündliche Arbeiten wurden in der Pause angefangen und schriftliche zuhause nur notdürftig angefertigt. Daran war auch der eine Lehrer schuld, der zu bequem war, uns zu ordentlicher Arbeit anzuleiten. Aber nun war dieser Lehrer in gewissem Sinne auch nicht daran schuld, sondern der Krieg. Denn in normalen Zeiten hatte dieser Lehrer nur die untersten Klassen, und durch den Lehrermangel mußte er höhere Klassen

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leider ist dieses Bild nicht mehr vorhanden

übernehmen. Also der Krieg war’s, der Krieg! Er war auch daran schuld, daß wir zügelloser und fauler wurden. In der zweiten Klasse bekamen wir als Mathelehrer einen Kriegsinvaliden. Er hatte den linken Arm verloren, an dessen Stelle ihm ein künstlicher Arm angebracht worden war. Es war bewundernswert, wie er sich mit einem Arm zu helfen wußte. Manches brachte er aber trotz aller Mühe nicht fertig. Geometrische Figuren konnte er zum Beispiel mit dem Lineal nicht zeichnen; aber mit freier Hand gelangen sie ihm verhältnismäßig gut. Sein Taschenmesser war mit einem Knopf versehen, auf den er drückte, wenn er es aufmachen wollte. Ohne diese Vorrichtung wäre ihm das nicht gelungen. Dieser Lehrer war ein feiner Kerl. Er verstand es, uns zu fesseln, und wir gingen bei ihm mit Lust und Liebe an die Arbeit. Einen Gefallenen hatte diese Schule glücklicherweise noch nicht zu beklagen, was eigentlich zu verwundern ist, da doch schon sehr viele Lehrer gefallen sind. Daraus erklärt es sich auch, daß jetzt soviele Lehrerinnen eingestellt werden, was allerdings für die männliche Schuljugend nicht gut ist, da diese verweiblicht wird. Daher ist es zu begrüßen, daß viele junge Leute jetzt Lehrer werden. Auch ich werde diesen

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Beruf ergreifen. S Im Gegensatz zu unserer Schule hatte die Alte Volksschule, von der ich als Freischüler auf die Mittelschule kam und welche auch meine Schwester besucht, den Verlust des Lehrers K. Bönicke zu beklagen, den ich als Zeichen- und Gesangslehrer hatte, und der mir wegen seines lustigen Wesens sehr gut gefiel. Für ihn wurde in der Alten Volksschule ein Gedenkschild zum Besten der Kriegerwaisen von dieser Schule genagelt, wobei sich meine Schwester auch beteiligte. Eine Erscheinung im Schulleben, die im Frieden nicht vorkam, erweckte bei uns immer Freude: Siegesfrei! Das war jedesmal ein Jubel, wenn es zwei oder drei Stunden freigab. Als Mitte 1915 der Siegeszug durch Rußland begann und eine Festung nach der anderen fiel, gab es sehr oft Siegesfrei. Da fielen die Festungen Nowo-Georgiowsk, Kowno, Grodno, Luzk Rowno und Brest-Litowsk.

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Als am 31. Juni 1916 der erste große Sieg der deutschen über die englische Flotte unter der genialen Führung des Admirals Scheer bei Skagerrak erfochten wurde, wurde die Schule den ganzen Tag geschlossen. Auch wenn eine Kriegsanleihe ein günstiges Ergebnis gezeitigt hatte, wurde das als Sieg betrachtet und ,,Ade!” Schule für 2 Stunden. Eine andere, schreckliche Erscheinung des Krieges war der Kohlenmangel, der sich im Schulleben sehr lästig bemerkbar machte. Wir hatten immer notdürftig geheizte Klassenzimmer und mußte Mäntel und Handschuhe anziehen. Schließlich wurden die Zimmer gar nicht mehr geheizt, und wir saßen dann jeden Tag eine Stunde im kalten Zimmer und froren ganz erbärmlich. Dann wurden Turnübungen in der Klasse gemacht, damit wir wenigstens etwas warm wurden. Nachher wurde die Schule aber gänzlich geschlossen, und wir hatten Kohlenferien. Das alles brachte der Krieg mit sich; oh! dieser unselige Krieg!

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Das neue Königreich Polen. Als ich am 6. November 1916 aus der Kirche kam, las ich in einer Kriegszeitung des ,,General-Anzeigers”, die in einem Schaufenster hing, die fettgedruckte Überschrift: ,,Proklamation des neuen Königreichs Polen”, welche sogleich mein Interesse erregte, denn zu dieser Zeit beschäftigte ich mich gern mit territorialen Veränderungen, die in der letzen Zeit in Europa vor sich gegangen waren. Und nun erregte die Er-

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richtung eines neuen europäischen Staates mein besonderes Interesse. Ich blieb daher sogleich stehen und las die Verfügung der beiden Herrscher Wilhelm II. und Franz Joseph I., wonach Polen ein unabhängiges Königreich mit monarchistischer Verfassung werden sollte. Die Zeitungen stimmten im allgemeinen diesem Akte zu. Erfuhren wir doch nun durch die polnischen Soldaten eine Vergrößerung unseres Heeres, die uns sehr zu statten kam. Aber die Nachteile dieser Handlungsweise wurden erst später recht erkannt. Wie leicht konnte das neue Königreich Polen Absichten auf die zum gr. Teil mit Polen bewohnten preußischen Provinzen Posen und Westpreußen zeigen. Westpreußen würde besonders von den Polen begehrt sein, weil sie dann Danzig in ihren Besitz bekämen und damit den Zugang zum Meer. Sie würden mit allen Mitteln danach streben, das Polen des 16. und 17. Jahrhunderts wiederherzustellen, das damals ein großes und mächtiges Reich war. Das ist der Traum der gebildeten Polen. Auch Sienkiewicz, der polnische Nationaldichter bringt diesen Wunsch in dem Buch ,,Der kleine Ritter”, in dem das mächtige Königreich Polen des 17. Jahrhunderts geschildert wird, zum Ausdruck. Wenn man dies Buch liest, merkt man auch, daß der Pole heißblütig und unruhig ist und uns viel schaden kann. Wir kommen zu dem Ergebnis, daß der Akt vom 5. November 1916 verfehlt war. Hoffentlich wird diese verfehlte Politik auf irgend eine Weise wieder gut gemacht.

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Meine Mutter bei der Post. In Friedenszeiten hätte man sich nicht vorstellen können, daß eine Frau den Beruf eines Mannes ergreift. Aber im Kriege ist das möglich geworden. Der Mann steht vor dem Feinde, und die Frau muß ihn er-

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setzen, so gut sie kann. So ergriff nach und nach die Frau alle möglichen Berufe, die früher von Männern ausgeübt wurden, wie Gemeindedienerin, Schornsteinfegerin, Eilbotin, Eisenbahn- und Postbeamtin. Auch die Kleidung der Männer übernahm oft die Frau in ihrem neuen Berufe. Da sind vor allem die Hosen der Eisenbahnerinnen. Wohl jeder hat zu Anfang darüber gelacht, aber allmählich hat man sich doch an den Anblick gewöhnt.

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Ferner trugen die weiblichen Halleschen Eilboten Hosen, und auch die Fensterputzerinnen. Als noch Frieden war, sah ich einmal im Kino ein Zukunftsbild. Da trugen im Jahre 2000 die Männer Röcke und die Frauen Hosen. Na, der Anfang dazu ist gemacht. In diese Reihe der weiblichen Kämpfer in der Heimat trat auch meine Mutter. Durch einen höheren Postbeamten, der früher mit meinem Vater zusammen in der Lotterie spielte, erhielt sie eine Fürsprache. Denn es war damals alles besetzt und selten wurde eine Aushelferin angenommen. Meine Mutter erhielt nun eine Anstellung. Sie wurde auf dem Bahnhof beschäftigt und mußte Pakete ausladen. Die Zeiteinteilung war damals so, daß sie den ersten Tag von abends 10 Uhr bis frühmorgens 7 Uhr Nachtdienst hatte, und dann den zweiten Tag von 1S10 Uhr Tagesdienst. Am dritten Tage hatte sie frei und arbeitete am vierten Tage von 1S10 Uhr. Am fünften Tage begann der Dienst um 7 Uhr früh und dauerte bis 4 Uhr nachmittags. Abends 10 Uhr begann wieder der Nachtdienst, es ging also wieder so los wie am ersten Tage. Jeden zweiten Sonntag hatte sie frei. Dieser Dienst war für sie ganz erträglich. Sie hatte wöchentlich einen oder zwei Tage frei und konnte nachholen, was sie in den anderen Tagen versäumt hatte. Mein kleiner Bruder wurde von meiner Schwester in Obhut genommen. Diese führte auch die Wirtschaft, so gut sie konnte.

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Postkarte Textseite

Anschriftseite

gestempelt

Und ich wurde schon mit mir selbst fertig. Als das Weihnachtsfest immer näher rückte, hatte meine Mutter immer mehr zu tun. Eines Tages wurde die Diensteinteilung verändert; es wurde der 8-Stunden Dienst eingeführt. Da hatte meine Mutter von morgens 6 bis nachmittags 2 Uhr Dienst, von 2 bis 6 Uhr frei und von 10 Uhr bis frühmorgens 6 Uhr wieder Dienst usw. Das war sehr aufreibend, und meine Mutter war froh, daß sie nach Neujahr, als der lebhafte Paketverkehr vorüber war, entlassen wurde. Als sie sich wieder erholt hatte, bewarb sie sich zum zweiten Male um eine Stelle, die etwas leichter sein sollte. Es dauerte nicht lange, da bekam sie folgenden Bescheid: Kaiserliches Postamt 2.

Halle (Saale) 12.1.17

Sie können wieder im Postdienst beschäftigt werden. Meldung morgen 8¼ Uhr Vorm. im Zimmer 77. I.A. Punschwitz Durch Eilboten Postsache

HALLE (SAALE) 2 12.1.17 6S7 N

Postkarte Frau Marta Bültemann Halle (Saale) Dryanderstr. 20

Sie erhielt eine Stelle als Briefkastenleererin. Dieser Dienst war nicht so schwer wie das Paketausladen; aber immer noch schwer genug für eine Frau. Wenn alle Kästen geleert waren, war die Tasche mächtig schwer. Das weiß ich aus Erfahrung, denn ich habe oft tragen geholfen. Auch war das viele Laufen sehr anstrengend für meine Mutter, die nicht gerade stark gebaut war. Außerdem gingen durch das viele Laufen eine Menge Schuhsohlen zum Teufel. Schließlich wurde meine Mutter krank und erbat ihre Entlassung, die ihr auch gewährt wurde. -84-

Das deutsche Friedensangebot Mehr als zwei Jahre tobte der furchtbare Weltkrieg, und auch nicht die kleinste Aussicht auf Frieden war vorhanden. Die Friedenssehnsucht der Völker wurde immer größer; doch die leitenden Staatsmänner der Entente wollten von Frieden nichts wissen. Sie kehrten sich nicht an die Friedenssehnsucht der Völker, an die Friedensrufe der Neutralen und ließen die zahlreichen Reden des deutschen Reichskanzlers, in denen er unsere Friedensbereitschaft ausdrückte, außer Acht. Ihr Ziel war die Vernichtung Deutschlands, und die Friedensschreie der Völker ließen sie vollständig kalt. Da teilte ganz urplötzlich der deutsche Kaiser am 12. Dezember 1916 seinen Soldaten mit, daß er an die feindlichen Regierungen ein Friedensangebot erlassen habe. Mit großem Jubel wurde diese Nachricht vom deutschen Volke aufgenommen und der Wortlaut der Note spannend erwartet. Ich sagte mir, daß die Feinde das Friedensangebot als Zeichen der Schwäche hinstellen würden; aber die jüngsten Erfolge in Rumänien hatten doch unsere Stärke genügend bezeugt. Im Reichstag verlas dann der Kanzler die Note; in ihr werden erstens die furchtbaren Opfer des Krieges erwähnt; zweitens wird die gegenwärtige Macht der Zentralmächte betont, drittens wird ein Vorschlag zu

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einer Friedenskonferenz gemacht und viertens die Entschlossenheit der Zentralmächte, den Krieg bei Ablehnung des Vorschlages bis zum Äußersten fortzusetzen, ausgedrückt. Die Wirkung der Note spiegelte sich in den spaltenlangen Artikeln der Zeitung, die ich eifrig las. Die deutsche Presse drückte im allgemeinen ihre vollkommene Zufriedenheit über diesen Schritt des Kaisers aus, ebenso die der übrigen Zentralmächte. Nur die konservative Presse war mit dem Angebot nicht zufrieden. Auch die Neutralen lobten das Menschlichkeitsgefühl des Kaisers; manche Zeitungen meinten jedoch, daß das Angebot an der Hartnäckigkeit der Feinde scheitern werde; immerhin sei man dem Frieden schon erheblich näher gekommen. Aber was sagte die feindliche Presse zu dem Angebot? Sie erging sich in Schmähworten gegen den Kaiser, der das Friedensangebot unter dem Deckmantel der Menschlichkeit und Gerechtigkeit an die Entente machte, um ihr eine Falle zu stellen. Man konnte es den Feinden auch nicht verdenken, daß sie das Wort ,,Falle” so oft gebrauchten; denn wenn die Entente ihr Ziel, die Vernichtung Deutschlands, erreichen wollte, konnte sie zu dieser Zeit, wo die militärische Lage durch die Erfolge in Rumänien für sie so ungünstig war, keine Friedenskonferenz beschicken, auf der ihr Deutschland als Sieger die Bedingungen auferlegt hätte. Sie konnte also

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der Friedensnote nicht zustimmen. Hätte sie jedoch direkt abgelehnt, so würde das die Unzufriedenheit der Neutralen hervorgerufen haben. Folgedessen befand sich Herr Briand, der die Antwort abfassen sollte, in großer Verlegenheit, und deshalb ließ sie auch solange auf sich warten. Währenddessen hatte auch Amerika eine Friedensnote abgeschickt, und so konnte Herr Briand nicht länger warten und mußte Antwort geben. Vier Wochen hatte es gedauert, ehe die Antwortnote der Entente erschien. Sie enthielt eine glatte, wenn auch indirekte Ablehnung. Sie verlangte erstens die Wiederherstellung der eroberten Länder, zweitens Zurückgabe der besetzten Gebiete, drittens Sühne für die Schäden des Krieges und endlich Bürgschaften für einen dauerhaften Frieden. Was zu diesen Bedingungen zu sagen ist, darüber ist sich jeder Deutsche klar. Wir können sie unmöglich erfüllen. Es würde unsere Vernichtung bedeuten. Auch der Kaiser sprach seine Entrüstung in einem Aufrufe aus, in dem die Worte vorkommen: ,,Unsere Feinde haben die Maske fallen lassen”. Ja, sie haben die Maske fallen lassen, und das war das Zeichen für uns, den Krieg mit allen Mitteln, die es gibt, fortzusetzen; denn es handelt sich um Sein oder Nichtsein unseres Vaterlandes.

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Winter 1916=17. Diesen Winter werde ich wohl nie vergessen. Er war der schrecklichste von allen Wintern, die ich erlebt habe. In Friedenszeiten wäre er wohl noch erträglich gewesen. Da waren Stube, Küche und die Schulzimmer von einer behaglichen Wärme erfüllt. Wenn man ins Freie gehen mußte oder wollte, konnte man sich dicke Mäntel, warme Handschuhe und Pulswärmer anziehen. Auch war man nicht mit Nahrungssorgen geplagt. Ferner hatte man des Abends eine hellleuchtende Gaslampe. Alle diese schönen Sachen gab es im Kriegswinter 1916/17 garnicht oder nur zum Teil. Infolge des Kohlenmangels waren Küche, Wohnstube und Schulzimmer notdürftig geheizt. Es waren zu Anfang des Winters noch keine Kohlenkarten ausgegeben worden. Da mußte man sich eines Zentners Kohle wegen ein paar Stunden in furchtbarer Kälte anstellen. Wir hatten damals Kohlenferien; nur die Konfirmandenstunde wurde gehalten. Als diese eines Tages aus war, fuhr ich mit der ungeheizten Elektrischen nach einer Kohlenhandlung, wo meine Mutter und meine Schwester schon auf mich warteten. Sie hatten sich in einem zugigen Hofe an einem Büro angestellt, um die Scheine, die zum Einkauf von Kohle berechtigten, in Empfang zu nehmen. Ich lief unterdessen immer auf dem Hofe umher, um warm zu werden. In meiner dünnen Pelerine, ohne Handschuhe, fror ich ganz erbärmlich. Die Füße waren wie Eisklumpen.

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Als meine Mutter und meine Schwester endlich, unter vielem Schubsen, Drängen und Schimpfen der hallischen Weiber, die Scheine erlangt hatten, stellten meine Mutter und ich, mit einem Sack, uns an der Eisenbahnlore an, wo ein Mann die Kohlen verteilte. Dort fror ich noch viel mehr und redete mir allmählich ein, daß Hände und Füße nicht mehr vorhanden wären. Es war aber auch alles Gefühl aus den Füßen geschwunden. Als ich nach endlosem Warten meine Kohlen in Empfang nahm, war ich nicht imstande, den Sack zuzubinden, so daß es meine Mutter tun mußte. Auf dem Rückwege fiel der Schlitten, auf den ich die Kohlen geladen hatte, mehrmals um, aber ich hatte nicht die Kraft, ihn aufzurichten. Das Weinen war mir näher als das Lachen. Zu Hause angekommen fand ich eine kalte Stube und nichts zu essen vor. Es wurde erst mit schlechten Kohlen geheizt und dann ein Teller Kohlrüben ohne Fleisch gegessen. Ebenso schlimm wie der Kohlenmangel war der Mangel an Nahrungsmitteln. Wir waren schließlich gezwungen, jeden Mittag abwechselnd Kohlrüben und Mohrrüben zu essen. Es war traurig. Wenn ich mich an den Tisch setzte, stand der Teller mit Kohlrüben da und glotzte mich höhnisch an. Dann nahm ich mir am liebsten ein Buch vor, las und aß die Kohlrüben ganz mechanisch, ohne jeden Geschmack hinunter. Aber die Kohlrüben hielten höchstens drei Stunden vor. Dann

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knurrte der Magen ganz jämmerlich. dann schrie ich nach Brot, und schweren Herzens gab mir meine Mutter, soviel sie konnte. Natürlich reichte das Brot wieder nicht und es mußte gepumpt werden. Oh, das war eine Zeit! In diesem Winter war ich mit Kleidungsstücken nicht gut versehen. Aber wie hätte man auch in diesen teuren Zeiten neue Sachen kaufen können. Meine Pelerine mußte eben gehen. Einen neuen Mantel hätte ich gern gehabt; aber nicht bloß, weil ich in der Pelerine fror, sondern weil sie schon mächtig schäbig war, und ich war damals der edlen Weiblichkeit wegen etwas eitel. Handschuhe wollte ich nicht haben; es schien mir unmännlich, diese zu tragen. Die Schuhe waren auch nicht mehr standfest. Wenn Regenwetter war, hatte ich immer nasse Füße, und die Folge davon waren Husten und Schnupfen. Wenn ich ins Freie ging, fror ich immer sehr an die Ohren; aber ich weigerte mich standhaft, Ohrenschützer zu tragen. Die Ohren sollten eben auch nicht verwöhnt werden. S Ich durfte mich eben nicht beklagen, daß ich immer fror und mußte die Folgen dieser bald an Eigensinn grenzenden Abneigung gegen jeden Kälteschutz tragen. Durch den Kohlenmangel trat auch Lichtmangel ein. Die Gaslampe durfte nicht so lange gebrannt werden, wie man gerne gewollt hätte. Wenn man zuviel verbrauchte, mußte man Strafe bezahlen. So war dieser Winter in jeder Beziehung schrecklich.

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Meine Verwandten im Felde. Onkel Wilhelm. Onkel Wilhelm ist der älteste Bruder meines Vaters und wohnt in Kassel. Als der Krieg ausbrach, war er bereits fünfzig Jahre gewesen. Die kriegerische Begeisterung der ersten Kriegsmonate ergriff, wie meinen Vater, auch ihn. Trotz seines Alters meldete er sich freiwillig zum Bewachen von Bahnstrecken. Er wurde angenommen, mit einem Gewehr versehen, das er als Soldat gehabt hatte und daher in seinem Gebrauch geübt war und bekam die Binde um den Arm. Er stand an einer Brücke der Bahnstrecke Kassel-Köln Wache. Einmal führte er auch einen Transport junger Soldaten, die von Osten nach dem Westen kamen. Er schrieb mir von Lauterbach in Oberhessen eine Karte. Später, als die Bewachung der Eisenbahnstrecken nicht mehr unumgänglich notwendig war, wurde er entlassen.

Onkel Hugo. Onkel Hugo ist der nächstältere Bruder meines Vaters und wohnt in Delitzsch. Er hatte in Torgau bei den Husaren gedient, wurde aber bei Kriegsausbruch als Infanterist und zwar Landsturm, eingezogen. Er kam zuerst nach Bitterfeld und mußte die Luftschiffhalle bewachen. Dann wurde er nach Gardelegen (Altmark) versetzt.

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Er mußte dort die Gefangenen bewachen. Als einmal ein hallischer Landsturmmann nach Gardelegen versetzt werden wollte und mit einem Gardelegener zu tauschen wünschte, tauschte mein Onkel mit ihm und kam nach Halle. Er wurde dem Landsturmbataillon IV 31 zugeteilt, das in der einen Hälfte der Liebenauer Schule lag. Die andere Hälfte der Schule wurde vormittags von Knaben und nachmittags von Mädchen besucht. Mein Onkel besuchte uns oft und ich ging auch oft zu ihm. Mir gefiel das ungebundene Soldatenleben. Die alten Leute waren oft ausgelassen wie die Kinder. Einmal forderte ein baumlanger Kerl meinen Onkel auf, sich mit ihm zu ringen. Mein Onkel ist ziemlich klein von Gestalt und sagte daher, er hätte keine Zeit. Als aber die anderen Kameraden meinten, er hätte Angst, da wollte er doch nicht zurückstehen und nahm es mit dem Langen auf. Da er aber ziemlich kräftig ist, warf er den langen Soldaten, worauf die anderen ein großes Hallo anstimmten. S Mein Onkel war, im Gegensatz zu meinem Vater und Onkel Wilhelm nicht so begeistert vom Kriege. Er drückte sich, wo er nur konnte. Auch nahm er sich oft eigenmächtig Urlaub. Er fing dies aber schlau an; denn ohne Urlaubsschein wurde er auf dem hallischen Bahnhof nicht durchgelassen. Er fuhr deshalb mit der Elektrischen bis Reideburg, lief bis Peißen und stieg

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dort in den Zug, der nach Delitzsch fährt. Ebenso machte er es bei der Rückkehr. S Oft wurden Übungsmärsche unternommen. Einmal lief ich mit zum Exerzierplatz bei Beesen, wo sich eine große Munitionsfabrik und eine Flugzeugstation befindet. Ich beobachtete die verschiedenen Übungen mit großem Interesse. Bestaubt und hungrig kehrten wir nach Halle zurück.S Zu dieser Zeit reiste ich nach Kassel zu Onkel Wilhelm und während ich fort war, wurde mein Onkel einem Munitionstransport zugeteilt. Er war sechs Wochen unterwegs und durchreiste Galizien, Polen, Litauen und kehrte über Ostpreußen nach der Heimat zurück. Ich war schon längst wieder von Kassel zurück. Eines Tages sagt mein Schulfreund zu mir: ,,Du, ist dein Vater wiedergekommen” (Mein Vater war damals schon gefallen oder vielmehr vermißt). Ich bekam einen großen Schreck, sah aber nachher, daß Onkel Hugo es war, der wiedergekommen war. Die Ähnlichkeit der Brüder hatte meinen Schulfreund getäuscht. S Da Onkel Hugo schon über 45 Jahre alt war und starke Krampfadern hatte, reklamierte ihn meine Tante. Die Reklamation wurde erneuert mit der Begründung, daß er (als Fischhändler) den Kreis Delitzsch mit Fisch versorgen müsse. Die Reklamation mußte öfter erneuert werden; aber schließlich wurde er vollständig entlassen.

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Onkel Otto. Onkel Otto ist der jüngste Bruder meines Vaters. Von ihm kann ich nicht viel schreiben; denn er stand nicht im brieflichen Verkehr mit uns. Das kam daher, weil er vor dem Kriege ein unstetes Wanderleben führte und sich nicht um seine Verwandtschaft bekümmerte. Er wurde als ungedienter Landsturm eingezogen und kam nach Mecklenburg in eine kleine Stadt. Dann kam er ins Feld, und wo er jetzt steckt, weiß ich nicht. So haben vier Söhne meiner Großmutter dem Vaterlande gedient und außerdem noch zwei Schwiegersöhne, nämlich

Onkel Karl und Onkel Moritz. Onkel Karl wurde ebenfalls als ungedienter Landsturm eingezogen und kam nach dem Osten. Onkel Moritz war schon 47 Jahre, als er eingezogen wurde. Von ihm weiß ich, daß er oft darüber schimpfte, daß sie ,,solch einen alten Kerl noch eingezogen haben.” Meine Großmutter ist stolz auf ihre sechs Soldaten. Aber sie kann sich nicht trösten über den Verlust ihres Lieblingssohnes, meines Vaters. Alles, was sie noch von ihm hat, wie Karten, Briefe, Bilder bewahrt sie wie Heiligtümer auf und wenn sie sie ansieht, fängt sie wie ein Kind an zu weinen.

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Vetter Bruno. Vetter Bruno ist der älteste Sohn des Bruders meiner Mutter. Er wohnte zu Reichenau b/Zittau. Als der Krieg ausbrach, kam er sofort ins Feld. Als siebenter in der Kompanie erwarb er sich das Eiserne Kreuz, das zu damaliger Zeit noch etwas wert war. Jetzt allerdings bekommt es fast jeder Soldat. Bei einem Gefecht in der Champagne bekam er eine Kugel in den linken Oberarm und eine in den Rücken. Er kam ins Lazarett nach Düsseldorf und wurde dort am 4. Dezember 1914 operiert, da sich viel Eiter in der Wunde festgesetzt hatte. Während seiner Krankheit schickte ihm meine Mutter oft Paketchen mit Keks, Zigaretten, Wurst und dergleichen, worüber er immer hocherfreut war. Kurze Zeit danach wurde er nach Zittau befördert und kam auch durch Halle. Aber so nahe er uns war, besuchen konnte er uns nicht, und wir wußten nichts von seiner Durchreise. Er kam in das Reservelazarett nach Zittau, Liebe Tante, nebst Deiner lieben Familie, habe heute deine Karte dankend erhalten, und habe auch gleich im voraus Dank für dein Paketchen. Wie gehts denn dir und deinen lieben, sind alle gesund und munter, ich fahre diese Woche in die Heimat, bin am 4. d.M. operiert worden, da sich viel Eiter festgesetzt hatte, Mit dem schreiben gehts nicht gut (???) Werde dir aus Zittau auch schreiben dorthin komme ich vorläufig. Es grüßt Dich nebst all Deinen lieben Dein Neffe Bruno

Ansichtskarte Düsseldorf

Feldpostkarte Frau Martha Bültemann Halle/Saale Wörmlitzerstr. 12 p. l.

Anschrift

Br. Paetz 9/102 Städtisches Krankenhaus

Absender

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der reichsten und auch schönsten Stadt der Oberlausitz. Dort war zwar nicht solch schönes Leben wie in Düsseldorf, aber der Besuch konnte häufiger stattfinden. In Zittau heilte der Arm allmählich, blieb aber etwas steif. Nach hinten kann er ihn nicht ganz ausstrecken. Auch ist er etwas kürzer als der andre. S Cousin Bruno betreibt aber trotzdem sein Barbiergeschäft. S S Sein Bruder Hugo ist ebenfalls eingezogen worden und befindet sich vor Riga. S S Sein Vetter Hugo (natürlich auch mein Vetter) wurde bei dem großen Rückzug an der Marne verwundet und gefangengenommen. Er befindet sich in Südfrankreich. Ansichtskarte Zittau

Anschrift

gestempelt

Zittau 29.1.15. Liebe Cousine Elfriede! Die herzlichsten Grüße aus meiner Vaterstadt sowie meinen Dank für Dein Paket Keks welche ich mir zum Kaffee recht gut schmecken lassen werde sendet Dir Dein Vetter Bruno Feldpostkarte Fräulein Elfriede Bültemann Halle/Saale Wörmlitzerstr. No. 12 p. l. ZITTAU 29.1.15. 4S5 N

Base Anna. Diese ist eigentlich nicht im Felde gewesen. Sie lebt in D.-S-W-Afrika und wurde bei Kriegsausbruch in Windhuk interniert. Sie hat sich jetzt mit einem Engländer verheiratet. (Cousine Anna ist die Tochter des oben erwähnten Onkels Wilhelm)

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Kriegsküche. Im Herbst 1916 wurde in vielen Städten das Essenmarken (Soldener Kriegsküche)

System der Massenspeisungen eingeführt. Auch die Stadt Halle richtete eine Kriegsküche ein. Nachdem meine Mutter von anderen Leuten gehört hatte, daß das Essen gut sei, traten wir auch bei. Das Essen war auch ganz gut; außerdem hatte meine Mutter die Erleichterung, daß sie nicht zu kochen brauchte. Das Essen wurde in Portionen verteilt. Unsere Familie, die aus meiner Mutter, mir, meiner Schwester und meinem kleinen Bruder bestand, nahm zuerst drei, und als das zu viel war, zwei Portionen. Das Essen war, nach meiner Meinung, so gut, daß wir verwöhnt wurden, und als es einigemale nicht ganz nach Wunsch ausfiel und auch der Preis erhöht wurde, traten wir aus. Als aber meine Mutter später bei der Post eine Anstellung fand (siehe unten), war sie gezwungen, wieder in die Kriegsküche einzutreten. Wenn sie keine Beschäftigung gehabt hätte, hätte sie nicht in die Kriegsküche eintreten können, denn dies war neuerdings nur arbeitenden Frauen erlaubt worden. Das Essen war aber erheblich schlechter als es zur Zeit unseres erstmaligen Beitrittes war. Es ging ja auch immer mehr dem Winter zu, und die Nahrungsmittel wurden knapp.

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Jeden Tag mußte ich nun das Essen im Gasthaus ,,Zum letzten Dreier” holen. Dort war ein großer Saal freigemacht worden, in dem die Verteilung vor sich ging. Es waren auch Tische und Stühle aufgestellt, an denen die Arbeiter der umliegenden Maschinenfabriken und die Wachmannschaften des gegenüberliegenden Gefangenenlagers ihr Mittagbrot verzehrten. Manchmal mußte ich mich anstellen und warten, denn das Essen kam öfters später an. Dieses wurde auf dem Schlachthofe unter der Leitung von feinen Damen gekocht. In großen Kesseln wurde es mit der Elektrischen nach den verschiedenen Verteilungsstellen gebracht. Wenn ich meine Portion hatte, ging ich eilig nachhause, um mich ordentlich dranzuhalten. Denn zu dieser Zeit war ich immer von großem Hunger geplagt. Als der Winter ins Land zog, wurde das Essen in der Kriegsküche immer schlechter. Schließlich wurden uns auch noch die Kartoffelkarten zum größten Teil abgeschnitten. Aber wenn einer nun dächte, daß in dem Essen recht viel Kartoffeln wären, so irrte er gewaltig. Keine einzige Kartoffel war darin! Da merkten wir doch, daß wir mit der Kriegsküche zu kurz kamen und traten aus.

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Das Nationalitätenprinzip. Wie ich schon früher sagte, interessierte ich mich sehr für territoriale Veränderungen. Da beschäftigte mich die Frage: ,,Wie wird die zukünftige Karte von Europa aussehen?” Ich hatte sie mir früher schon einmal beantwortet und eine Karte gezeichnet, die die staatlichen Veränderungen nach dem Kriege in meinem Sinne zeigte. Deutschland trug natürlich den Löwenanteil davon. Aber später sagte ich mir, daß meine Gedanken zu annexionistisch seien. Diese Karte mag etwa so ausgesehen haben: wie folgende Karte. In späteren Zeiten hörte ich viel von dem sogenannten Nationalitätenprinzip. Die Völker sollten nach diesem Grundsatz voneinander geschieden werden, damit nicht immerfort Streitigkeiten in Staaten mit gemischter Bevölkerung entstehen sollten und damit nicht eine Nation die andere unterdrücke. Das klang mir sehr schön und edel; vielleicht hatte es auch die Zeitung, die ich las, der Hallische General-Anzeiger, verstan-

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den, mich für diese Idee zu begeistern. Im übergroßen Eifer setzte ich mich hin und arbeitete diese Idee nach meinem Sinne aus. Da mußte ich aber manchen inneren Kampf bestehen, als ich an Deutschland kam, das doch auch außerdeutsche Bevölkerung hat. Mein Patriotismus hätte es aber nie zugelassen, daß etwa die polnischen Landesteile an Polen, die litauischen Gebiete an Litauen, die dänischen an Dänemark und die französischen an Frankreich fallen sollten. Andererseits hätte ich gern, dem Nationalitätenprinzip gehorchend, alle diese Landesteile von Deutschland abgetrennt. Aber der Patriotismus siegte; ich drückte beide Augen zu und ließ Deutschland unverändert. Dieser innere Zwist hätte mich eigentlich gleich auf den Gedanken bringen können, daß das Nationalitätenprinzip eine Utopie sei. Aber ich war eben damals noch zu dumm, und ferner knobelte ich zu gern über solche Sachen, als daß ich diese Idee fallen gelassen hätte. Ich arbeitete sie also aus, und als ich sie meinem Freunde zur Kritik vorlegte, war dieser auch ganz begeistert und rief sogar aus: ,,Du wirst noch einmal ein berühmter Mann.” Höchst geschmeichelt, behauptete ich dasselbe von ihm; denn er war auch solch ein Utopist, hatte jedoch für Politik nicht soviel Sinn wie für Sprachen- Länder- und Völkerkunde und hielt mir manchmal lange Vorträge über Sanskrit, Hyroglyphen, Inkas, Azteken und andere Sachen, die er alle erforschen wollte.

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Aber ich bin zu weit abgeschweift. Ich will nun meine Aufzeichnungen, die ich mir sorgfältig aufbewahrt habe, wiedergeben: Scheidung der Völker nach Nationalitäten in Europa.

1. Albanien. Es erhält Teile von Serbien und Montenegro. Die neue Grenze verläuft von Kan über Ipek, Alexinetz, Wranja, Üsküb bis Ochrida-See. Jedoch kommen Alexinetz und Üsküb nicht an Albanien. S Es verliert nichts. 2. Belgien. Es wird geteilt: Deutschland erhält die Provinzen Lüttich, Limburg, Antwerpen, Ost- und Westflandern und Brüssel. Frankreich erhält die übrigen Provinzen. 3. Bulgarien. Es erhält a) Mazedonien. Die Grenze ist die albanische und biegt bei Alexinetz nach Saitschar ab. b) Dobrudscha und Südbessarabien. Die Grenze bilden die Donau bis Galatz, die Linie Galatz, Bendary, Akkerman. S Es verliert nichts. 4. Deutschland. Es erhält Nordbelgien (siehe oben) und Französisch-Flandern mit Dünkirchen. Beide Landesteile werden als Reichsland Flandern vereinigt. S Es wird gestärkt durch den Beitritt Deutsch-Österreichs als Bundesstaat. Zu diesem gehören: a) Österreichisch-Schlesien b) Deutsch-Böhmen (Grenze Brünn, Iglau, Budweis, Pilsen, Leitmeritz S Josephstadt S Zwittau S Olmütz S Troppau. c) Ober- und Niederösterreich d) Salzburg e) Tirol ohne Trentino f) Vorarlberg g) Kärnten h) Steiermark Der König von Österreich wird deutscher Bundesfürst. Deutschland verliert nichts. 5. Frankreich. Es erhält die normannischen Inseln von England und Südbelgien (siehe oben). Es verliert -101-

Französisch-Flandern an Deutschland und die Insel Korsika an Italien. 6. Großbritannien. Es erhält in Europa nichts. Es verliert die normannischen Inseln an Frankreich, Malta an Italien und Cypern an die Türkei. 7. Italien. Es erhält Korsika von Frankreich, Malta von Großbritannien Trentino von Österreich-Ungarn und Monaco und S. Marino. (Es muß Somali-Land an Deutschland abtreten.) 8. Monaco. Es fällt an Italien. 9. Montenegro. Es fällt an Albanien und Ungarn. 10. Österreich-Ungarn. Es wird gespalten, indem Österreich deutscher Bundesstaat wird. Der übrige Teil heißt fortan ,,Vereinigte slawische und magyarische Staaten”. Sie bestehen aus: a) Tschechisch-Böhmen f) Bukowina b) fast Ungarn g) Krain c) Mähren h) Dalmatien d) Kroatien-Slawonien i) Küstenland e) Ruthenisch-Galizien j) Bosnien-Herzogewina erworbene Landesteile: l) Teile von Serbien m) Teile von Montenegro Es verliert die Gebiete von N. Banya und Hatzeg an Rumänien; Polnisch-Galizien an Polen. S Da viele Deutsche in Ungarn wohnen bekommen die ,,Vereinigten slawisch-magyarischen Staaten” einen habsburgischen Erzherzog zum König. 11. Polen. Es besteht aus Kongreßpolen ohne das Njemen-Gebiet und aus Polnisch-Galizien.

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12. Portugal. Es bleibt in Europa unverändert. 13. Rumänien. Es erhält den Nordteil von Bessarabien (Grenze siehe bei Bulgarien) von Rußland und die Gebiete von N. Banya und Hatzech von Ungarn. Es verliert die Dobrudscha an Bulgarien. 14. Rußland. Es erhält in Europa nichts. Es lösen sich von ihm ab als selbstständige Staaten a) Ukraine. Die Grenze verläuft von Noworossüsk (am schwarzen Meer) nach Jekaterinodar, Rostow, Lugansk, Woronesch, Bjelograd, die alte Grenze von Kleinrußland entlang bis zur Pripjetmündung, Pinsk, Bjelastok, Cholm, ungarische Grenze. b) Finnland. Zu dem früheren Großfürstentum Finnland kommt noch das Gebiet von Petrosawodsk und Estland. c) Polen. Siehe oben. d) Littauen. Die Grenze : Suwalki S Grodno S Wilna S Dünaburg S estländische Grenze. e) Weißrußland. Die Grenze: littauische Grenze S deutsche Grenze S polnische Grenze S ukrainische Grenze S Brjansk S Smolensk S Dünaburg. Ferner verliert es Beßarabien an Rumänien und Bulgarien, Kaukasus ohne das Gebiet von Jekaterinodar und die kalmükischen Landstriche an die Türkei. 15. San Marino. Es fällt an Italien. 16. Serbien. Es fällt an Ungarn, Bulgarien und Albanien. 17. Türkei. Sie erhält den Kaukasus und Landstriche am kaspischen Meer von Rußland und Cypern von England.

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Das hallesche Gefangenlager. Die Maschinenfabrik von Wernicke in der Merseburger Straße wurde als Kriegsgefangenenlager eingerichtet. Als die ersten Gefangenen dort einzogen, hatte ich mich auch eingefunden, um diese zu betrachten. Sie waren meistens schlecht angezogen, nur die Russen hatten schöne, lange und haltbare Stiefel an, während die Schnürschuhe der Franzosen mit den dazugehörigen Gamaschen nicht sehr dauerhaft aussahen. Da ich mich für Rassenkunde interessierte, studierte ich die Gesichter der Gefangenen. Die Franzosen hatten meist schöngeformte Nasen und Spitzbärte, sogenannte Henri quatre. Die Augen und das Haar waren meist schwarz, das Haar vielfach auch blond, was die Franzosen als Mischvolk zwischen Germanen und Romanen erkennen läßt. Von Gestalt waren sie mittelgroß, vielfach aber auch klein. Der Gesichtsausdruck war meist gleichmütig, oft aber auch sehr verbissen. S Die Russen hatten meist Vollbärte, ungekämmtes langes Haar und wulstige Nasen. Die Augen waren manchmal schwarz, manchmal aber auch wasserhell. Der Gesichtsausdruck war stumpf und

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und gleichgültig, manchmal sogar beschränkt. Meistens waren die Russen plump in ihren Bewegungen. Manche waren wahre Riesen. S Die Engländer waren auch lange Kerle, aber spindeldürr. Auch die Backenknochen standen sehr hervor. Der Gesichtsausdruck war oft auch sehr verbissen. Fast alle waren bartlos, wodurch sie ein eigenartiges Gesicht bekamen, das man wohl als Yankee-Gesicht bezeichnet, weil die Amerikaner auch ein solches haben. Wenn ich am Gefangenlager vorbeikam, kletterte ich auf das Gesims eines zugemauerten Fensters gegenüber dem Lager und beobachtete das Leben und Treiben in dem Lager. Die Gefangenen gingen meist spazieren und zwar ziemlich schnell, als wenn sie es bezahlt kriegten. Die Russen spielten manchmal ein Spiel, das ich nicht kannte. Nun will ich noch eine Beschreibung des Lagers folgen lassen: Es wird begrenzt von der Merseburger-, der Ladenberg und der Turm-Straße. Die vierte Seite des Lagers bildet die Rückwand der Wernicke’schen Fabrik. Auf dem Dache dieser Fabrik befindet sich ein zwei Meter hoher Stacheldrahtzaun. Auch in der Ladenberg- und der Turm-Straße waren sowohl der Bretterzaun des Hofes als auch ein davorstehender kleinerer Zaun mit Stacheldraht versehen. Der Haupteingang war in der Merseburgerstraße. Neben ihm befand sich die Wachtstube, wo sich vielleicht 10 oder 15 Wachtmannschaf-

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ten aufhielten. Daneben war ein Garten, wo die Wachmannschaften in ihren Freistunden Karten spielten. Im Hintergrund dieses Gartens saß oft ein vornehmer Franzose im Krankenstuhl. An den Garten schlossen sich die Wohnräume der höheren Offiziere an (I.) und daran die Wohnung der niederen Offiziere (II.) [Es waren nämlich nur Offiziere im Lager; die Mannschaften befanden sich im Gefangenlager zu Merseburg]. In der Ladenbergstraße standen zwei und in der Turmstraße ein Posten. Die Laternen waren nach den Posten zu abgeblendet, damit ein entfliehender Gefangener den Posten nicht sehen sollte. Jeden Sonnabend durften die Gefangenen unter Bewachung spazieren gehen und Einkäufe machen. Ich habe manchmal gestaunt, wie viel sie einkauften.

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Richard Zander. Wer Richard Zander eigentlich ist und was er ist, weiß ich selbst nicht. Gesehen habe ich ihn auch nie. Wie ich mit ihm bekannt wurde, ist eine Geschichte für sich. Das war so: Meine Schwester ging bei dem Domprediger Lic. Baumann in den Kindergottesdienst. Dieser war zu Anfang des Krieges als Feldprediger nach Frankreich gezogen, und zwar wirkte er bei dem Kaiser FranzGrenadierregiment Nr. 2. Er kehrte nach ¼ jährlicher Tätigkeit in die Heimat zurück. Als nun das Weihnachtsfest herannahte, forderte er seine Kindergottesdienstbesucher auf, selbigem Regiment Liebesgaben zu schicken. Die Kinder machten Pakete zurecht, legten in jedes ihre Adresse, und der Herr Domprediger schickte die Pakete dem ,,Franzer”-Regiment zu. Es dauerte nicht lange, da erhielt meine Schwester als erste Antwort, und zwar von dem Grenadier Richard

Ansichtskarte Marktplatz Halle Bild- u. Textseite

,,In der Heimat da giebt’s ein Wiedersehn!” und wenn ich dann nach Halle käm, dann sucht ich die kleine Bültemann auf vielleicht ist sie auch groß, doch das macht nichts aus Ich würde ihr danken für die Bescherung und mir wär’s eine besondere Ehrung wenn ich vor die Eltern der Spenderin mit dem Kreuz aus Eisen träte hin, und zu Herrn u. Frau Bültemann sagen, nach 5 Jahr komm ich noch einmal nach ,,Ellen” ?? fragen Rich. Zander (Douai in Frankreich)

Anschriftseite

Feldpostkarte An die Schülerin E. Bültemann Halle a./S. Wörmlitzerstr. 12 p. l. Garde Armeekorps 1 Kompagnie 2 “ Division Graf Klinkert Kaiser ,,Franz” Garde Regiment Nr. 2 1 Bataillon K. D. FELDPOSTEXPED. 2. GARDE-INF. DIV. 31/12 -108-

Zander. Dieser schien poetisch veranlagt zu sein, denn er setzte seine Antwort in Gedichtform, wie nebenstehende Karte zeigt. Allerdings scheint das Gedicht in Eile entstanden zu sein; denn Reime, wie ,,Wiedersehn” und ,,käm” und ,,auf” und ,,aus” sind doch wohl nicht statthaft. Er will also, wenn er nach Halle käme, meine Schwester aufsuchen. Aus der Schrift derselben hat er vielleicht gemerkt, daß sie erst 10 Jahre zählt; aber er hat doch noch ein wenig Hoffnung, daß sie größer sei und er eine angenehme Bekanntschaft machen kann. Ja, ja, die Soldaten!! Anscheinend hat er das Eiserne Kreuz. Und nach 5 Jahren will er wiederkommen. Er muß vielleicht 12 Jahre dienen und hat 7 Jahre schon abgebrummt. Demnach müßte er etwa 27 Jahre zählen. Er schreibt hier, er will nach ,,Ella??” fragen. Meine Schwester, die Elfriede heißt, hatte nämlich als Adresse geschrieben ,,E. Bültemann”. Nun hat Richard Zander angenommen, sie heiße Ella, hat aber noch 2 Fragezeichen hinter den Namen gesetzt.S Das wären also meine Folgerungen aus dieser Karte. S Meine Schwester war natürlich hocherfreut, so schnell Antwort erhalten zu haben und bildete sich nicht wenig ein auf ihre neue Bekanntschaft. Meine Mutter nannte sie scherzhaft ,,Richards Braut”. Meine Schwester drängelte nun die Mutter, daß sie noch ein Paket abschicken sollte, und so kaufte meine Mutter ein Paket ,,Leibniz-Keks” und ließ ihn von meiner

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Schwester hinschicken. Bald erhielten wir folgende hübsche Antwort: So wie hier die 5 ,,Blauen” den ,,Leibnitz Ceks” verknacken So wollen wir Feldgrauen die ,,Franzosen” zu Hackepeter hacken. R. Z. Sei gegrüßt von Deinem Freund Richard Zander

Auf der Rückseite schrieb er: Frankreich (Arras) Kleine Elfriede! Nimm hier meinen innigsten Dank für die Erfrischung, die ich hier im Schützengraben bekommen habe, entgegen. So manchmal stelle ich mir im Geist die Frage: ,,Wie mag diese kleine, holde Spenderin aussehen, die ihre tapferen Krieger nicht vergißt?” Zu dieser Zeit ließen meine Mutter, meine Schwester, mein kleiner Bruder und ich uns photographieren, und wir schickten ihm ein Bild hin. Er antwortete mit folgenden Zeilen:

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Frankreich, zwischen Arras und Ypern. Meine kleine Freundin! ,,Nimm meinen innigsten Dank für die schönen Zigarren, die ich hier im Schützengraben erhalten habe, entgegen. Du brauchst nicht gerade immer etwas zu schicken; eine schöne Ansichtskarte von Halle freut mich auch schon sehr. Jetzt weiß ich wenigstens, wie du aussiehst S bist ja ein kleines reizendes Mädelchen. Es grüßt dich dein Freund Rich. Zander Nun möchte ich ein paar Zeilen an deine liebe Mama richten: Ihnen, Frau Bültemann, danke ich für die Photographie. Also Ihr Gatte ist auch im Felde; möge Gott geben, daß er wieder gesund zurückkehrt. Ich werde die Photographie stets als Andenken aufbewahren. Nun seien Sie gegrüßt von Rich. Zander Einen Gruß an Bernhard u. Gerhard” Danach schrieb ich auch mal an ihn und erhielt aus Dixmuiden folgende hübsche Karte:

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Er schrieb: ,,Mein kleiner Freund! Ich war aufrichtig erstaunt, auch von Dir ein Zeichen zu bekommen. Ich danke Dir herzlich dafür, ebenso Deiner Mutter, die doch jedenfalls die Anregung dazu gegeben hat. Ich werde Dir in nächster Zeit eine kleine Beschreibung von der Front schicken. Bis auf weiteres Dein großer Freund Rich. Zander.” Meine Schwester erhielt an demselben Tag eine Karte, wo er schrieb: ,,Meine kleine Freundin! Aus Frankreich schicke ich Dir einen Kartengruß. Wir haben jetzt sehr wenig Zeit und müssen Tag und Nacht wachen, und daher werde ich einen Brief in den nächsten Tagen schreiben, und dann sollst Du auch Näheres über mich erfahren. Vielleicht schicke ich Dir eine Photographie. Einen schönen Gruß an Deine Mutter. Es grüßt usw. Der Brief blieb aber aus, und stattdessen kam eine Karte aus dem Elsaß, von der Hochkönigsburg bei

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Schlettstadt. Er schrieb: Kl. Elfriede! Wie Du aus der Karte siehst, bin ich nicht mehr in Frankreich, sondern auf deutschem Boden und zwar im Elsaß in den Vogesen. Jetzt wollen wir die Franzosen auch hier raustreiben. Es gr. usw. Lange Zeit darauf erhielten wir die Nachricht, daß er verwundet sei. Er schrieb: Reserve Lazarett ,,Lipine” Kr. Beuthen (Ober-Schlesien)

Meine kleine Freundin! und Du, mein lieber Freund Bernhard; gewiß werdet Ihr euch wundern, von mir so lange nichts gehört zu haben. Aber die Ursache war folgende: Wie ich Euch ja mitgeteilt habe, kamen wir von Frankreich in die Vogesen und von da nach Österreich und Rußland; es durfte niemand schreiben. Und die letzten vier Wochen waren wir immer im Gefecht mit den Russen. Wir haben dieselben auch aus den Karpathen vertrieben; aber bei einem Gefecht wurde ich auch verwundet. Ich erhielt einen Schulterschuß. Die Kugel drang mir durch die linke Schulter bis in den Oberarm, wo dieselbe steckenblieb. Hier im Lazarett hat man mir dieselbe herausgeholt. Ich hoffe wieder bald hergestellt zu sein, um meine Pflicht für das Vaterland, für das ich schon einmal geblutet habe, wieder zu erfüllen. Grüßt schön Eure Mutter und seid gegrüßt von Eurem Freund Richard Zander. Er war also bei der großen Offensive im Sommer

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1915 dabeigewesen, die auch mein Vater mitmachte und wobei er fiel. Bald darauf schickte uns Richard Zander eine Photographie aus dem Reservelazarett zu Lipno: Fotopostkarte

Besten Gruß an Fam. Bültemann Reservelazarett Lipine Kr. Beuthen O/Schl. d. 29. 5. 15 Meine kleinen Freunde! Hier endlich eine Ansicht wo auch ich oben bin S Rechts von der einen Krankenschwester mit dem Buch in der Hand Ich habe noch um das suchen zu erleichtern ein X gemacht. Es grüßt Euch euer Rch. Zander

Anschriftseite

gestempelt

Feldpost An Geschwister Bültemann Halle a/Saale Wörmlitzer 12 p. l. LIPINE 29. 5. 15. 3 S 7 N

Er sitzt rechts von der katholischen Schwester. Es scheinen größtenteils Leichtverwundete zu sein, die sich in diesem Lazarett befinden. Eine Überraschung wurde uns zuteil, als wir eines Tages von ihm einen Gruß aus Halle bekamen. Es war genau der selbe Fall wie damals bei meinem Vetter Bruno, der auch durch Halle fuhr. Es grüßt herzlichst Rich. Zander

Ansichtskarte

Halle d. 11. 6. 15 Liebe Frau Bültemann u. meine lieben kl. Freunde! Gewiß werdet Ihr erstaunt sein von mir aus Halle einen Gruß zu bekommen, wir sind gerade mit einem Lazarettzug durchgefahren, hatten eine Stunde Aufenthalt. Ich weiß noch nicht bestimmt wo die Reise hingeht, jedenfalls nach Magdeburg in ein Lazarett.

Anschriftseite

Familie Bültemann Halle a/Saale Wörmlitzerstr.12

Marktplatz von Halle

gestempelt eingedruckter Text

HALLE (SAALE) 2 11. 6. 15 10 S 11 V Unseren tapferen Kriegern Verkehrsverein Halle (Saale)

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Richard Zander schrieb auf dieser Karte, daß er im Lazarettzug durch Halle führe und wahrscheinlich in ein Lazarett nach Magdeburg käme. Bald wußten wir wo er sich befand: Er schrieb: Meine Lieben! Hier eine Ansicht von meinem neuen Aufenthaltsorte, es ist hier sehr schön. Hier werde ich schneller genesen. Hoffentlich habt Ihr die Karte aus Halle erhalten. Ich habe mich aufrichtig gefreut, einmal Halle zu sehen; leider war es mir nicht vergönnt, mich persönlich für alles zu bedanken, na, vielleicht später. Es grüßt Alle Richard Zander. Nach der Ansicht zu urteilen muß es dort wahrhaftig sehr schön sein. Er war aber leider nur vierzehn Tage dort. Dann kam er nach Berlin. Wir bekamen eine Karte, wo er schrieb: Endlich bin ich in Berlin ange-

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langt. Ich sehe es als meine Pflicht an, sofort ein Zeichen zu senden. Ich bin allerdings noch in Behandlung. Es grüßt Alle R. Z.

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Hier ist er, der Richard Zander. Er scheint ziemlich lang zu sein; na ja, er ist ja auch bei der Garde. Aber schneidig gekleidet ist er! Feine Gamaschen, tadellose Schuhe. Er scheint also Bimbo zu haben. Er schrieb auf dieser Karte: ,,Sende Ihnen eine Aufnahme von mir; ich bin hier noch immer in Behandlung, sonst geht’s einigermaßen gut. Bitte Frl. Arndt und Frau Münx zu grüßen.” Fräulein Arndt war ein Fräulein im Hause, die, vielleicht um eine gute Partie zu machen, ihn hatte grüßen lassen. Frau Münx war die Fleischermeisterin, die auch zwei Söhne im Felde hatte. (der eine ist nachher gefallen. Was mich betrifft, hatte ich bei seinem Wegzuge das bestimmte Gefühl, daß er nie wiederkommt.) Diese gab fleißig zu, wenn meine Mutter ein Päckchen an ihn (Zander) schickte. S S Meine Mutter reiste zu dieser Zeit nach Berlin, um wegen des Verbleibs der Sachen meines Vaters auf dem Kriegsministerium nachzuforschen. Sie schrieb Richard Zander von dort eine Karte, die er aber verspätet bekam, da er auf Wache war. Sonst hätte sie ihn vielleicht sprechen können. Weihnachten und Neujahr befand er sich immer noch in Berlin. Dann hörten wir lange, lange Zeit nichts mehr von ihm. Ende Juni bekamen wir endlich ein Zeichen von ihm; und zwar wieder aus den Karpathen. Er schrieb, daß es ihm gut gehe. Auf einer späteren Karte schrieb er, daß sie öfters ihren Standort

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wechseln und daß Wiederschreiben zwecklos wäre. Danach erhielten wir wiederum lange Zeit keine Nachricht. Endlich erhielten wir folgenden Brief. Dieser Brief ist nicht mit kopiert, liegt zusammengefaltet dem Original bei

vermutlich Tante Else, die Tochter von Onkel Hugo (siehe S. 91)

Datumstempel: 4. Mai 1916

Im russischen Schützengraben in der nähe von Dünaburg d. 31. 10. 16. Liebe Frau Bültemann und Kinder, nach langer Zeit muß ich wieder einmal ein Zeichen von mir geben. Wie es mir scheint sind verschiedene Briefe die ich an Sie geschrieben habe nicht angekommen aus mir unbekannter Ursache, und zwar in der Zeit war ich im Sommer in der Bukowina war dann wieder verwundet und ebenfalls aus dem Lazarett hatte ich Ihnen auch geschrieben, bekam aber keine Antwort was mir sehr leid getan hatt, denn grade während meinem Krankheitslager habe ich Sehnsucht nach einem Brief von der kleinen Freundin gehabt. Ich will falls Sie es nicht aus meinen Briefen erfahren haben noch kurz mittteilen wie es mir in der Zeit erging. Ich kam im Juni nach der Bukowina wo grade die große Russenoffensive war wurde ende August auf einem Patroulliengang durch eine feindliche Handgranate am Kopfe verletzt, kam ins Lazarett, dann wieder nach der Garnison nach Berlin hier wurde ich wegen des großen Mangels an aktiven Soldaten wieder Felddienstfähig geschrieben, und kam dann zu einem von der Garde neu zusammen gestellten Regiment (408). Anfang Oktober kam das Regiment nach dem Lockstädter Truppenlager und am 21. Okt. rückten wir von da nach Russland. Wir liegen hier in der nähe der Düna, das ganze Gelände ist unter Wasser und zwar haben die Russen dasselbe von der ,,Düna” hergeleitet um uns ertrinken zu lassen. Aber die Deutschen sind immer erfinderisch, gehen nicht zurück sondern bauen unsere Unterstände und Schützengräben einfach auf Pfählen über Wasser. Wir leben hier alle wie die Urmenschen zur Pfahlbauzeit. Ich würde mich sehr freuen ein Schreiben von Ihnen zu bekommen. Herzlichsten Gruß an alle Richard Zander Gruß an Nichte in Delitsch

Die ,,Nichte” ist meine Cousine in Delitzsch. Die Weiber sind ja verrückt auf die Soldaten. Dieses war das letzte Zeichen. Vielleicht ruht er schon längst in Rußlands kühler Erde. Es tut mir sehr leid um ihn. Wenn es mir doch vergönnt wäre, eine Nachricht noch zu erhalten, so würde ich an dieser Stelle mit Freuden davon berichten. -118-

Liebesgaben. Obwohl früher unsere Soldaten ausreichend zu essen bekamen, so fehlte ihnen doch manches, was sie zu Hause zu essen gewohnt waren. Mit ihrem kärglichen Lohn können sie sich nicht viel kaufen, und so sind ihnen die Liebesgaben, die sie aus der Heimat bekommen, sehr erwünscht. Das wußte meine Mutter; denn sie hatte ja selbst den Mann im Felde, und so schickte sie denn manchem Verwandten und Bekannten eine kleine Erfrischung. Wie sehr sich die Soldaten darüber freuen, sah man schon bei Richard Zander. Auch die zahlreichen Dankschreiben, die ich hier anführen will, bezeugen das. Ich sprach schon früher von einer Fleischersfrau Münx. Diese hatte zwei Söhne, Paul und Herrmann, im Felde. Hier ist ein Schreiben von Paul: Liebe Familie Bültemann! Haben Sie vielen Dank für Ihr Paket, welches ich heute erhielt. Es hat mich gefreut, daß Sie auch an mich gedacht haben. Aber nun ein Täßchen heißen Kaffee dazu, das läßt man sich wohl gefallen. Mit bestem Gruß Ihr Paul Münx. Hier ein Schreiben von Herrmann, der gefallen ist. Er befand sich in der Nähe des Ortes, wo mein Vater lag: Liebe Familie Bültemann! Habe Ihr Paket mit vielem Dank erhalten und mich sehr darüber gefreut. Leider habe ich Herrn Bültemann noch nicht getroffen. Habe wenig Zeit, ein andermal

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mehr.

Viele Grüße H. Münx Schützengraben, abends 6 Uhr.

Ein anderes Schreiben von ihm: Werthe Familie Bültemann! Habe Ihr Päckchen mit vielem Dank erhalten. Habe mich sehr darüber gefreut. Mir geht es soweit noch gut, und ich denke doch, daß es Herrn Bültemann, sowie Ihnen und Ihren Kindern auch gut geht und wir der guten Zeit bald entgegensehen können. Mit deutschem Gruß H. Münx 1/226. Auch an die Söhne meiner Patin, der Frau Schmidt, schickte meine Mutter. Der eine, Rudolf, schrieb: Werte Frau Bültemann! Das Paket habe ich erhalten und sage meinen herzlichsten Dank. Die Schokolade und der Honigkuchen schmeckten mir sehr gut. Sonst geht es mir noch gut. Am 18. 2. war ich und noch zwei Kameraden durch Einschlagen einer Granate verschüttet. Meine Eltern wissen mehr Bescheid. Gestern Nacht sind wir von den 27ern (Halberstadt) im Schützengraben abgelöst und haben nun 12 Tage Ruhe. Was machen denn Elfriede und Bernhard? Hoffentlich wird der Krieg bald ein Ende haben, daß wir wieder gesund in die Heimat zurückkehren. Mit vielen herzlichen Grüßen Rudolf Schmidt. Der andere Sohn, Hans Schmidt, der mit einem anderen Bruder am selben Tag gefallen ist, schrieb: Liebe, werte Frau Bültemann! Hierdurch meinen herzlichsten, heißen Dank für

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das erhaltene Paket. Ich habe mich sehr darüber gefreut, wo es noch so unverhofft kam. Geschmeckt hat es vorzüglich. Es geht mir gut, bin gesund und hoffe Gleiches von Ihnen und den Kindern. Was macht Ihr Herr Gemahl? Hoffentlich geht es ihm auch gut. Haben jetzt ganz schönes Wetter. Wir wünschen uns alle bald in die Heimat zurück. Es grüßt Sie und die Kinder herzlich Hans Schmidt. Einem gewissen Landsturmmann Paul Müller, dessen Familie ihm wegen großer Armut nichts schicken konnte, schickte meine Mutter auch ein Paket. Er schrieb: Liebe Familie Bültemann! Soeben im Besitz Ihres Paketes. Mit Tränen in den Augen habe ich es geöffnet. Groß war die Freude, als ich den Inhalt bemerkte; denn es ist hier gar nicht reichlich, nirgends ein Stück Wurst zu bekommen. Wir müssen hier tatsächlich Hunger leiden. Wir tun es gern und wünschen nur, daß wir in diesem Kriege als Sieger hervorgehen. Es ist eine Freude zu sehen, mit welcher Todesverachtung unsere Soldaten sich auf den Feind stürzen. Weiter wünschen wir, daß bald Frieden sein möchte und wir Pfingsten zuhause feiern können. Liebe Familie Bültemann, sage hiermit viel tausendmal Dank für die schöne Liebesgabe, Wurst und Strümpfe. Viele Grüße von Paul Müller. Ein andermal schrieb der Jäger Hans Schmidt: Geehrte, liebe Frau Bültemann!

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Am 2. Feiertag erhielt ich das liebe Paketchen, wofür ich herzlich danke. Ich habe mich sehr gefreut; denn rauchen tut man mehr als essen. Die Nächte sind lang, und am Tage, bei der Wärme, hat man keinen Appetit. Mir geht es gut und bin gesund, was ich von Ihnen allen doch hoffentlich auch hoffen kann. Die Feiertage im Schützengraben verlebt, liegen wir jetzt 10 Tage darin; das war unser Pfingstvergnügen hier zum Schützenfest. Das vergangene Jahr haben wir es anders verlebt; oft denkt man an die Zeit; man wünscht sich oft einen Topf Bier. Hier muß man mit Kaffee oder Wasser zufrieden sein. Was macht Bernhard und Elfriede? Sie gehen doch wohl schon in die Schule. Das Wetter ist schön; wenn bloß nicht die Gewitter wären. Man muß in Wind und Wetter wachen. Es muß doch bald ein Ende nehmen. (Ja, für ihn nahm es bald ein Ende.) Mit nochmaligem Dank grüßt Sie und die Kinder bis aufs Wiedersehn Hans Schmidt. Zwei Häuser von uns entfernt wohnte ein gewisser Her Beck. Wir waren gut bekannt mit ihm, und als er als Landsturmmann eingezogen wurde, schickte ihm meine Mutter öfters ein Päckchen. Er schrieb: Sehr geehrte Frau Bültemann! Mit sehr großer Freude empfing ich heute Ihre Liebesgabe. Meinen besten Dank dafür. Das hatte ich nicht erwartet, daß Sie mir so eine große Freude machten. Ich werde die Wurst im Gedenken an Sie verzehren. Es ist hier eine gefährliche Stelle. Die Kampffront

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heißt Loos und La Basseé. Hier ist alle Tage Artilleriefeuer. Wir haben da sehr drunter zu leiden. Hoffentlich ist der Krieg bald zu Ende. Geehrte Frau Bültemann, seien Sie nebst Kindern recht herzlich gegrüßt, und ich will hoffen, daß die paar Zeilen Sie, nebst Kindern, bei bester Gesundheit antreffen. Mit aller Hochachtung Otto Beck. Herr Beck war sehr lang. Er war als der ,,lange Beck” in der Straße allgemein bekannt. Als er eingezogen wurde, war er der längste im Rekrutendepot. Folgende interessante Karte gibt über seine Größe Aufschluß. Der größte und die kleinsten Vaterlandsverteidiger des 1. u. 2. Rekruten-Depots 1. Ersatz-Batal. Füs. Regt. No. 36

Er wurde später verwundet und kam in ein Lazarett nach Nürnberg und dann nach Torgau.

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Text auf der Bildseite

Ansichtskarte Nürnberg

Anschriftseite

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Geehrte Frau Bültemann! Befinde mich in Nürnberg im Lazarett und am Sonnabend gehts nach Torgau. Sende Ihnen und Ihren lieben Kindern die besten Grüße von hier. Otto Beck Feldpostkarte Abs. Landstm. O. Beck Reservelazarett 2 Nürnberg-Ludwigsfeld Baracke 17 Frau Bültemann Halle a/S Wörmlitzerstr. 12 NÜRNBERG 10. 2. 16. 4 S 5 N

Als ich sechs Jahre alt war und in die achte Volksschulklasse kam, wurden wir Kleinen in den Pausen von großen Jungen aus der I. Klasse herumgeführt. Ein solcher Großer, der auch einen Bruder in meiner Klasse hatte, war Fritz Radeck. Später, nach etwa sechs Jahren trat dieser in das Kontor, wo mein Vater war, ein, und als mein Vater gefallen war, wurde er an dessen Stelle zum Kontorboten angestellt. Er blieb aber nicht lange dort; denn er wurde eingezogen und kam nach Eisleben. Meine Mutter schickte ihm einmal ein Päckchen. Er schrieb: Werthe Frau Bültemann! Erhielt am Freitag Ihre werte Sendung und habe mich sehr darüber gefreut; denn es kam sehr unverhofft. Habe mir alles gut schmecken lassen. Mir geht es soweit ganz gut, bin noch gesund und munter, was ich auch von Ihnen hoffen darf, sowie von den lieben Kleinen. Sage Ihnen vielen Dank für die Sendung und

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grüße Sie, nebst den Kleinen.

Ihr Fritz Radsch.

In demselben Kontor, wo dieser Fritz Radsch war, war auch ein gewisser Herr Ferrari beschäftigt. Es war kein Italiener, wie man dem Namen nach annehmen könnte, sondern ein echter, guter Deutscher mit glühender Vaterlandsliebe. Es war ein Duzfreund meines Vaters. Er schickte drei Söhne ins Feld. Einer wurde bei dem großen Rückzug an der Marne 1914 vermißt und seitdem ist über ihn keine Nachricht eingelaufen. Der andere Sohn, Hugo, fiel im Jahre 1916. Meine Mutter schickte ihm auch öfters Pakete. Er schrieb zurück: Sehr geehrte Frau Bültemann! Sende Ihnen von Frankreichs Fluren die besten Grüße. Kann Ihnen mitteilen, daß es mir noch gut geht und ich von Ihnen desgleichen. In der Hoffnung auf baldigen Frieden bleibe ich Ihr Musketier Hugo Ferrari. Auf Wiedersehn. Als aber die Lebensmittel immer knapper wurden, konnte meine Mutter nicht mehr schicken. Aber als sie es noch konnte, da hat sie es getan mit allen Kräften. An zehn Soldaten, an Hans und Rudolf Schmidt, Hermann und Paul Münx, Paul Müller, Otto Beck, Fritz Radsch, Hugo Ferrari, Richard Zander und meinen Vater hat sie geschickt. Sie hat sich dadurch ein Verdienst fürs Vaterland erworben.

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Die russische Revolution. An einem Märztage des Jahres 1917 sagte uns unser Klassenlehrer, der frühmorgens schon die Zeitung bekam, daß in Rußland die Revolution ausgebrochen sei. Wir waren alle höchst überrascht. Daß es schon lange in Rußland gärte, davon war nicht viel nach Deutschland durchgedrungen. die Presse lag unter der Faust der Zensur, die die russischen Machthaber recht streng sein ließen. Es sollte nichts über die Mißstände im großen russischen Reiche nach außen dringen. Es waren aber auch furchtbare Verhältnisse. Zunächst die militärischen. Es waren schlechte Führer, die Rußland in den Krieg schickte. Man denke an Rennekamp, Nikolai-Nikolajewitsch. Auch Brussilow, der durch die große Offensive im Herbst 1916 Rußland den Sieg

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bringen sollte, erwies sich als unfähig. Die niederen Offiziere waren nichts weniger als tüchtig. Mit Peitschenhieben trieben sie die Soldaten in den Kampf. Sie sorgten nicht für die Verpflegung der Mannschaften. ,,Der Krieg muß die Truppe ernähren!” sagten sie. So wurden die russischen Soldaten von ohnmächtigem Haß gegen ihre Offiziere erfüllt. S Die Mißstände in der Landwirtschaftwaren ebenso schlimm. Der russische Ackerboden ist sehr fruchtbar; aber die Mißwirtschaft der Agrarier hat es dahin gebracht, daß der russische Bauer nur den zwölften Teil des deutschen Ernteertrags erzielen kann. Die Bauern wurden von den Adligen noch wie Leibeigene behandelt und so wurden auch die Bauern von ohnmächtigem Haß gegen die Adligen erfüllt. S Die Bauern fühlten aber die Last des Krieges nicht so wie die Arbeiter in den Städten. Durch die fürchterlichen Zustände im Eisenbahnwesen konnten die Nahrungsmittel nicht so schnell in die Städte befördert werden. So herrschten oft Hungersnöte, besonders in Petersburg. Dagegen wußten sich die Reichen durch großzügige Bestechungen (diese sind in Rußland an der Tagesordnung) schon Lebensmittel zu beschaffen. Dadurch wurde der Haß der Arbeiter gegen die Höheren noch mehr gesteigert. Aber noch mehr wurde die Regierung gehaßt. Der Zar war vor Attentaten nicht sicher. Die Regierung war zumeist aus kriegshetzerischen Ministern zusammengesetzt. Und wenn wirklich einmal ein friedensfreundlicher Ministerpräsident am Ruder war,

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so sorgte schon der englische Botschafter, George Buchanan dafür, daß er abtrat. So z. B. wühlte er gegen den Ministerpräsidenten Stürmer, der friedensfreundlich war. Er bestach die anderen Minister, so daß schließlich Stürmer abgehen mußte. Trepow trat an seine Stelle. Dieser machte keine Anstalten zum Frieden, trotz der Kriegsmüdigkeit des Volkes, die in vielen Bittprozessionen für baldigen Frieden zum Ausdruck kam.

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,,Weh, wenn sich im Schoß der Städte der Feuerzunder still gehäuft, das Volk, zerreißend seine Kette, zur Eigenhilfe schrecklich greift.” Ja, Arbeiter, Bauern und Soldaten zerrissen die Kette. Der Volksaufstand brach los. Der Zar und sämtliche Minister wurden gefangengenommen. Einmal hieß es, der Botschafter Buchanan sei getötet worden. Ich freute mich schon, daß diesen Menschen endlich das Verderben ereilt habe. Aber die Nachricht war falsch. S Es bildete sich nun der sogenannte ,,Arbeiter und Soldatenrat.” Dieser stellte sehr ideale und theoretische Grundsätze auf: Jeder Bürger galt soviel wie der andere, keiner mehr, keiner weniger. Das Land der Fürsten und Agrarier sollte verteilt werden. Die Fremdvölker Rußlands sollten das Selbstbestimmungsrecht erhalten usw. S Die Revolution war aber nicht vollständig. Noch stand der frühere Kadettenführer Miljokow an der Spitze des Staates. Dieser wurde dann gestürzt und von Kerenski, einem Advokaten, abgelöst. Das war zweifellos ein tüchtiger Mann; aber die Last war für ihn zu schwer. Hätte er den Krieg beendet, hätte er sich vielleicht halten können. So wurde aber eine neue Revolution durchgeführt, die Lenin und Trotzki ans Ruder brachte und die dann endlich zu dem lang ersehnten Frieden führen sollte.

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Konfirmation. Meine Konfirmation stand ganz im Zeichen des Krieges. Wie eine Friedenskonfirmation aussieht, kann ich mir garnicht vorstellen. Ich weiß bloß, daß, als ich etwa 12 Jahre war, die Großen, die konfirmiert wurden, am Montag nach der Konfirmation nicht zur Schule kamen weil sie zuviel gegessen und getrunken hatten. Dieser Brauch hatte sich auch bis zur Jetztzeit erhalten; aber er war keineswegs gerechtfertigt; denn es gab wahrhaftig nicht viel zu essen und zu trinken. Aber nicht nur auf diesem Gebiet, sondern auch auf anderen Gebieten spürte man den Krieg. Ich denke zuerst an die Anzugsfrage. Für mich war diese Frage nicht schwierig zu lösen; denn ich ließ einen Anzug meines Vaters umändern. Aber für die anderen! Die Sachen waren meist sehr schäbig, so grob, daß es aussah, als könnten sie höchstens ein Jahr reichen, und dabei waren sie neu! Ein anständiger Anzug hätte 200 S 300 Mark gekostet, was natürlich keiner bezahlen konnte. Mit Schuhen kam ich auch noch glücklich weg. Wir konnten in Delitzsch ein Paar hintenrum erwischen, die verhältnismäßig billig waren (20 M). Auch gab uns der Chef der Fabrik, wo mein Vater angestellt war, 30 M zu Schuhen, so daß ich sogar so glücklich war, zwei Paar zu haben. Andere waren nicht so gut weggekommen. Manche hatten sich allerdings schon ein Jahr vorher Stiefel gekauft, als hätten sie geahnt, daß nächstes Jahr noch Krieg ist. Bei einer Konfirmation zu Friedenszeiten wären

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wohl zahlreiche Gäste geladen worden. Aber meine Konfirmation fand nur im engeren Kreise statt. Es waren Verwandte, und dann noch mein Freund. Glücklicherweise waren wir nicht ganz ohne Lebensmittel. Eine Woche vor der Konfirmation war ich nach Stennewitz, einem Dorf in der Nähe Halles, gegangen und hatte ein Stück Butter erstanden. Dabei wäre ich bald noch reingefallen. Wenn meine Verwandten in Delitzsch nicht gerade auch Konfirmation gehabt hätten, würden diese vielleicht auch etwas mitgebracht haben. Trotz des Krieges ging die Feier ganz lustig vor sich. Mein Freund und ich musizierten und die anderen sangen dazu. Meine Mutter hatte auch vorher Mehl gespart und Kuchen gebacken. Ich war jedenfalls seit langer Zeit wieder einmal satt, was eine wahre Seltenheit war. Es waren auch einige Frauen dort und so wurde viel erzählt. Auch mein Großvater, der 1866 und 1870/71 mitgemacht hatte, erzählte von seinen Erlebnissen. Dabei wurde aber auch der jetzige Krieg genügend besprochen, wie dieses Thema ja überhaupt immer das Hauptthema ist. Mein Großvater versicherte immer wieder, daß der Krieg 1866 und auch der von 70 garnichts gegen diesen Krieg seien. Damals kannte man auch noch nicht den langwierigen Stellungskrieg. S Auch das Friedensthema wurde gern berührt. Meine Mutter meinte, daß wenigstens meine Schwester in Frieden Konfirmation haben werde. 1919 ist es soweit. Ob da der Krieg zu Ende sein wird? Ich glaube es nicht!

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Nach Unruhstadt. Als ich Konfirmation hatte, wußte ich noch nicht, daß ich in wenig Wochen schon auf der Präparandenanstalt zu Unruhstadt sein werde. Ich wollte nämlich noch die I. Klasse der Mittelschule durchmachen. Etwa am 2. April 1917 ging ich auf Anraten des Herrn Dompredigers Baumann zu dem Unruhstädter Präparanden Kurt Fischer, der mir etwas von dem Leben und Treiben in Unruhstadt erzählen sollte. Als dieser hörte, daß ich erst das folgende Jahr nach Unruhstadt kommen wollte, riet er mir dringend davon ab. Er meinte, ich würde ohne die Vorkenntnisse der III. Klasse schwer mitkommen. Ich sah das schließlich ein, beriet mit meiner Mutter und dem Herrn Domprediger darüber und meldete mich in Unruhstadt. Es waren nur noch etwa 10 Tage bis zur Aufnahmeprüfung, und so mußte ich mich sehr beeilen, um alles zurecht zu machen. Es mußte ein ärztliches Attest beschafft werden. Der Arzt, zu dem ich ging, stellte fest, daß ich einen Herzfehler habe, meinte aber, ich könne trotzdem Lehrer werden. Der Kreisarzt in Delitzsch, der die dortigen Präparanden untersucht, hätte mich mit dem Herzfehler auf keinen Fall aufgenommen. Dann mußte ein Führungszeugnis von der Polizei geholt werden. Na, diese Sache war nicht gefährlich, wenn man auch in dieser Zeit leicht mit der Polizei in Berührung kommen konnte, nämlich, wenn man sich nach acht Uhr auf der Straße herumtrieb, was ich, zu meiner Schande, öfters tat. Na, ich habe das bald verlernt. Unruh-

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stadt mit seiner strengen Zucht hat’s zuwege gebracht. Ich dampfte nun also los, nachdem ich von wenigen Abschied genommen hatte. die meisten wußten nicht, daß ich fortfuhr; denn die Sache ging zu schnell. Ich besuchte erst noch einen lieben Freund in Guben, der vor 1½ Jahren in Halle wohnte. Hier erhielt ich einen Brief von meiner Mutter, worin sie schrieb, daß mein kleiner Bruder, der schwer an Lungenentzündung darniederlag, die Krisis überstanden habe. Am 12. 4. fuhr ich weiter und kam nachmittags ¾5 Uhr in Unruhstadt an. Mein schwerer Koffer, den ich die ganze Reise lang im Koupee mitgehabt hatte, wurde von einem ulkigen Manne, dessen Namen ,,Ottel” ich später kennen lernte, abgenommen. Ich war eine große Sorge los. Nun ging ich auf Pension Richter, denn dahin wollte ich gern weil da viele Hallenser waren. Am Abend aber wies mir der Herr Vorsteher die Pension Woitschitzke an. Zum Abendbrot gab es vier, nach meiner Meinung, dicke Stullen, und ich dachte: ,,Wenn das immer so ist, dann kannst du ja hier leben.” Denn ich war garnicht gewöhnt, zum Abendbrot Stullen zu bekommen. Zuhause gab es immer Gekochtes. Am Morgen war die Aufnahmeprüfung. Sie war nicht besonders schwer. Es wäre mir ziemlich gleichgültig gewesen, wenn ich sie nicht bestanden hätte; denn dann hätte ich die I. Mittelschulklasse noch besucht. Als ich bestanden hatte und nach Hause ging, traf ich meine Mutter, die inzwischen nachgekommen war. S S Nun war ich Präparand.

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Die Übermacht der Feinde. Wenn die Qualität unserer Feinde der Quantität entspräche, wären die Mittelmächte längst besiegt. Glücklicherweise ist das nicht der Fall. Bei den Russen besonders entspricht die Qualität nicht der Quantität. Diese war es, auf die England und Frankreich ihre Hoffnung setzten. Die russische Dampfwalze sollte die deutschen Heere vernichten. Aber es kam anders. Die Deutschen, die sich erst zurückziehen mußten, drängten den russischen Koloß wieder zurück. Die deutsche Qualität siegte über die russische Quantität. Auch die Franzosen waren in der Übermacht. Sie wurden gewaltig verstärkt durch Marokkaner, Neger und anderes Gesindel. Ebenso die Engländer. In deren Gefolge waren Inder, Kanadier, Australier usw. In diesem Kriege kämpfen aber nicht nur die Heere, sondern ganze Völker. Ein richtiges Bild von der zahlenmäßigen Überlegenheit der Feinde kann man sich daher am besten machen, wenn man die Anzahl der Bewohner und der Quadratkilometer mit der Größe und Bewohnerzahl der Erdoberfläche oder der Mittelmächte vergleicht. Die Rechnung stimmt allerdings nicht genau; denn eigentlich müßte man die Anzahl der Soldaten einandergegenüberstellen, und da würden die Mittelmächte im Verhältnis zu ihrer Bewohnerzahl mehr Truppen aufzuweisen haben. Das festzustellen ist nur mit großer Mühe möglich, und dann stimmt die Rechnung auch noch nicht. S Jetzt sollen die Zahlen sprechen.

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Staaten 1. England 2. Rußland 3. Frankreich 4. Belgien 5. Portugal 6. Italien 7. Rumänien 8. Serbien 9. Japan Insgesamt in Millionen

qkm(in Mill.) Bewohner (in Mill.) 32,02 22,66 11,54 2,43 2,90 1,79 0,14 0,09 0,67

400 130 97 25,8 13,5 34 7,5 4 63

74,24

774,8

Die Erdoberfläche ist rund 125 Millionen qkm groß. Demnach sind also rund 3/5 der Erdoberfläche feindliches Gebiet. Und wer weiß, ob sich das nicht noch vergrößert, denn Amerika droht in den Krieg einzutreten. Dagegen beträgt das Gebiet der Mittelmächte 5 883 000 qkm. Das sind noch weniger als einzwölftel von dem des Feindes. Das Verhältnis ist etwa 2 : 25. S Die Bewohnerzahl der Erde beträgt 1 550 000 000 Einwohner. Die Völker der Feinde bilden also gerade die Hälfte davon. Die Völker der Mittelmächte betragen 152 000 000 Menschen. Das ist noch weniger als ein fünftel von dem des Feindes. Das Verhältnis ist hier etwa 5 : 25. Hoffen wir, daß wir trotz der Überlegenheit des Feindes die Oberhand behalten.

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Besetzte Gebiete. S 22 310 qkm 29 000 qkm 280 450 qkm 100 000 qkm 85 867 qkm 14 180 qkm 20 040 qkm 551 847 qkm

Frankreich Belgien Rußland Rumänien Serbien Montenegro Albanien

+ 900 qkm S 28 231 qkm S S S S 29 131 qkm

Die Zahlen reden auch hier wieder eine mächtige Sprache. Anfang 1917 waren 551 847 qkm von den Mittelmächten besetzt. Das ist ein Gebiet größer als das Deutsche Reich (540 000 qkm). Dagegen hat der Feind von unserem Gebiet nur 29 131 qkm in der Hand. Das ist ein Gebiet, so groß wie Belgien. Es ist ein wahres Glück für Deutschland, daß nur 900 qkm im Elsaß besetzt sind. Wenn die Franzosen erst ElsaßLothringen besetzt hätten, würden sie es um keinen Preis wiederherausgeben. Wir können die besetzten feindlichen Gebiete als Faustpfand beim Friedensschluß benutzen. Höchstens Kurland, Livland und Estland könnten wir annektieren. Vielleicht würde sich das flämische Belgien Deutschland anschließen. Aber man weiß ja nicht, in welcher Verfassung Europa nach dem Krieg sein wird. Vielleicht werden Amerika und Japan seine führende Stelle ersetzen(!!)

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Sprachreinigung. Als der Krieg ausbrach und England und Frankreich unsere Feinde waren, ging man sofort an eine Reinigung unserer von französischen und englischen Ausdrücken durchseuchten Sprache. Der ,,Deutsche Sprachverein” entfaltete eine rege Tätigkeit. An allen Straßenecken ließ er Plakate anschlagen, die die Aufforderung enthielten, Deutsch zu sprechen. Unter den Unterzeichneten befand sich auch unser Lehrer Simon, den ich nie vergessen werde, denn er hat mich wohl jeden Tag einmal verwichst. Diese Unterzeichneten wollten über zweifelhafte Fälle Auskunft geben. S An den Ladentüren befanden sich oft Plakate mit folgender Inschrift: ,, Grüße Deutsch! Weg mit dem französische Adieu! Der Deutsche grüßt Guten Tag, Auf Wiedersehn, Mit Gott, Lebewohl!” Es war auch bewundernswert, wie schnell das ,,Adieu” verschwand. Nach ein paar Monaten sagte es kein Mensch mehr. Höchstens noch die Bauern, die sich sehr langsam an Neuerungen gewöhnen konnten. Die Begeisterung war eben in jenen Monaten so groß, daß man alles fremdländische auf einmal haßte. Im Straßenbild merkte man auch die Sprachreinigung. In Halle wurde aus einem ,,Hotel Bristol” der ,,Preußische Hof” und in Berlin bekam das ,,Cafe Piccadelli “ den Namen ,,Vaterland”. Der ,,Five o’clock” Thee wurde abgeschafft und an seine Stelle trat der ,,5 Uhr Tee”. Das Wort ,,Modes” an den Modehäusern verschwand. Es wurde durch ,,Herren- und Damen-Bekleidung” ersetzt. Allgemein regte man sich auf über den Vermerk

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der ,,Berliner Illustrierten Zeitung”: ,,Copyright by Ullstein u. Comp.” Da ließ aber die ,,B. I. Z.” erklären, daß dieser Vermerk sie vor Nachdruck in Amerika schütze. S In Kreisen der Gelehrten hat aber die Sprachreinigung noch nicht viel Anhänger gefunden. Es läßt sich ja nicht bestreiten, daß man für gewisse fremde Ausdrücke keine treffende deutsche Übersetzung findet. Z. B. das Wort ,,Interesse”. Am besten könnte man es mit ,,Teilnahme” übersetzen; aber das trifft den Sinn nicht. Deshalb gebraucht man dieses Wort noch häufig. Wie gesagt, braucht man in Gelehrtenkreisen noch viel Fremdwörter. Da spricht man von Fakultät, von Sozietät, Utopie, Sentimentalität; von sensibel, eudämonistisch, phlegmatisch usw. Es hielte ja teilweise schwer, diese Wörter zu verdeutschen; aber könnte man sie nicht weglassen oder wenigstens umschreiben? Wenn das wäre, könnten sich auch Kreise aus dem Volke eine höhere Bildung aneignen. Manche meinen, die Bildung bestehe in der Kenntnis von recht vielen Fremdwörtern. Das ist natürlich recht töricht. Erfreulicherweise macht der Kampf gegen die Fremdwörter Fortschritte. Die früher so tief eingewurzelte Ansicht, daß alles Fremdländische geschmackvoll und besser als das Deutsche sei, ist so ziemlich geschwunden. Das zeigt sich auch in der Mode und der Literatur. Jene richtet sich jetzt nicht mehr nach Paris, und diese ist frei von ausländischen Elementen.

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Meine Reise nach Berlin. Am 25. Mai 1917 begannen die Pfingstferien. Ich wollte während dieser kurzen Zeit nicht nach Halle fahren. In dem öden Unruhstadt wollte ich auf keinen Fall bleiben, und so kam es mir denn sehr gelegen, als mich meine Verwandten einluden, Pfingsten in Berlin zu verleben. Ehe ich abfuhr, besorgte ich noch etwas Quark für die Berliner; den ich sagte mir, daß die doch nicht viel zu essen hätten. Um ½3 Uhr fuhren wir ab. Kameraden, die auch nach Berlin fuhren, wählten die Strecke über Bentschen. Ich fuhr aber über Guben, denn ich wollte meinen Freund in Guben besuchen. Die Strecke von Züllichau nach Guben fuhren nur wenige Kameraden, nämlich die aus Sorau und dann noch Scharfenberg und Fischer, die nach Halle reisten. In Guben kam ich ¾5 Uhr an. Mein Freund und seine Schwester holten mich ab. 7 Uhr 19 ging der Zug nach Berlin ab. Ich hatte also nur 2½ Stunden Aufenthalt. Die Zeit brachten wir in angeregten Gespräche zu. Mein Freund und seine Schwester schimpften über das kleinstädtische Guben. Sie hatten früher in Halle gewohnt und wurden 1916 nach Guben versetzt. Der Vater, ein Postsekretär, hatte sich zu Anfang des Krieges freiwillig zur Feldpost gemeldet; denn er dachte ja nicht, daß der Krieg so lange dauern würde. Trotzdem er im Felde war und auch nicht viel Aussicht auf bal-

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digen Frieden vorhanden war, wurde er nach Guben versetzt. Und wie gesagt, seine Frau und die Kinder, konnten sich in Guben nicht einleben. Meine Mutter konnte das nicht verstehen, denn sie ist aus Guben gebürtig. Sie behauptet, daß es eine sehr schöne Stadt sei, besonders während der Baumblüte. Ansichtskarte Guben

Anschriftseite gestempelt

Lieber Freund! Vielen Dank für Deinen 1. Brief nebst Photographie. Wie Du aus der Karte ersiehst, so ist bei uns Baumblüte. Wenn du hier ankommst, dann teile es mir mit. Bei uns gibt es am 25. Ferien. Bis auf Wiedersehen sei herzlich gegrüßt von Deinem Freund Gerhard Herrn Präparandenschüler B. Bültemann Unruhstadt (Posen) Kreis Bomst Ring 199 GUBEN 13. 5. 17. 5S6 N.

Ich muß ihr darin recht geben; denn während der Baumblüte ist es wirklich schön. Wiederum kann ich auch verstehen; daß es einem aus der Großstadt, die ihm Genüsse mannigfaltigster Art geboten hat, in einer Mittelstadt nicht gefällt. Mir geht es ja in Unruhstadt auch so, und zwischen Guben und Unruhstadt ist außerdem gar kein Vergleich.

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Nun zurück zum Thema! Also um ¼8 Uhr fuhr ich weiter nach Berlin. Die Fahrt ging an dem alten Zisterzienserkloster Neuzelle vorbei, das jetzt zu einer Lehrerbildungsanstalt eingerichtet ist. Mein Freund Borgis hatte oft bedauert, daß ich dort nicht wäre. Bald kam ich nach Frankfurt a/O. Ich hätte gern die Stadt gesehen, aber es ging weiter. Als ich aus Frankfurt hinaus war, kam auf einmal ein Mann ins Abteil und forderte von jedem einen Ausweis über seine Person. Mich hat er glücklicherweise übersehen. Ich hatte zudem keinen Ausweis. Aber einen fünfzehnjährigen Jungen hätte er doch wohl nicht als Spion angesehen. Je näher der Zug Berlin kam, desto voller wurde er. Es war unterdes dunkel geworden und von weitem sah man die Lichter der Millionenstadt herüberschimmern. Von Fürstenwalde ab fuhr der Zug durch bis zum Schlesischen Bahnhof; denn diese Strecke ist dem Vorortverkehr angeschlossen. Auf dem Schlesischen Bahnhof stiegen viele Leute aus. Jetzt sauste der Zug durch die Riesenstadt, oft zwischen den Häusern hindurch. Ich stieg Bahnhof Zoologischer Garten aus. Vergebens suchte ich meinen Vetter, der mich abholen wollte. Schließlich ging ich hinunter mit dem Gedanken, mich schon durchfragen zu wollen in dieser fremden, großen Stadt bei Nacht. Da kam mir unten mein Vetter entgegen. Er hatte keine Bahnsteigkarte bekommen können, weil

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nämlich während der Pfingstreisezeit ein zu großer Trubel herrschte. Wir gingen nun nach der Wohnung meiner Verwandten. Sie wohnten in Moabit, Waldstraße. Quer durch den Tiergarten gingen wir. Bei meinen Verwandten habe ich erst mal ordentlich gegessen. Ich habe ausgerechnet, daß ich an diesem Tage 17 Stullen gegessen habe, eine wahre Seltenheit. Am anderen Morgen (es war der Sonnabend vor Pfingsten) habe ich erst mal wieder ordentlich geschlafen. Denn wenn man sechs Wochen lang (außer Sonntags) früh ¾6 Uhr aufstehen mußte, also nur reichlich sieben Stunden geschlafen hatte, dann hatte man das Ausschlafen dringend nötig. Um über das Essen in Berlin zu sprechen, nun, es war besser als in Unruhstadt. Allerdings hatte mein Onkel kurz vorher eine Hamsterfahrt in die Gegend von Lissa i/P. gemacht und reichlich Kartoffeln, Eier und Brot mitgebracht. Er hatte als Soldat bei den 46ern in Posen gedient und dort polnisch gelernt. Das war ihm bei seiner Hamsterfahrt zu statten gekommen. Er hat auch immer so getan, als wenn er katholisch wäre, indem er sich bekreuzigte und sonstigen katholischen Quatsch machte. Damit fand er bei den Polen natürlich gleich Anklang. An jenem Sonnabend kam mein Vetter um 1 Uhr aus dem Geschäft und wir machten einen längeren Spaziergang durch die Stadt. Wir gingen durch den

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Tiergarten. Da fielen uns die vielen Raupen an den Bäumen auf, die alles nahezu kahl gefressen hatten. Auch auf dem Wege lagen sie in Massen. Manchmal fielen welche von den Bäumen herunter, den Spaziergängern auf den Kopf. Es war eine furchtbare Raupenplage in diesem Jahr. Hier zeigte sich wieder der Einfluß des Krieges. In Friedenszeiten wurden die Bäume immer sorgfältig nach Raupen abgesucht. Aber jetzt im Kriege fehlen die Arbeitskräfte. Dann besuchten wir den Eisernen Hindenburg. Eine Karte vom ,,Eisernen Hindenburg”

Gewaltig stand er da mit seinem breiten Schwerte. Ein Stück weiter hinter befindet sich die Siegessäule.

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Diese Karte ist im Original nicht vorhanden!

Fast scheint es, als wolle die Siegesgöttin mit dem Lorbeerkranz herunterschweben und ihn Hindenburg aufs Haupt legen. Wir besichtigten alle Sehenswürdigkeiten dieser Gegend, nämlich das Reichstagsgebäude, das Brandenburger Tor, Pariser Platz. Dann gingen wir unter den Linden spazieren. Hier herrschte großer Betrieb. Eine Menge fremder Botschaften befinden sich hier und wechseln mit den zahlreichen Cafes und Hotels ab. Das berühmteste ist wohl das Hotel Adlon. Es war mir in frischer Erinnerung; denn kürzlich hatten sich dort Vertreter der rechten Parteien zusammengefunden und den Beschluß gefaßt, die Politik des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg nicht zu billigen (sog. Kanzlerfronde.) Wenn hohe Persönlichkeiten aus fremden Ländern oder auch aus dem Reiche aus politischen oder sonstigen Gründen nach Berlin kommen, so nehmen sie gewöhnlich im Hotel Adlon Wohnung. Bald kamen wir zur Universität mit den Denkmälern der beiden Humboldt. Auf der anderen Seite steht das Opernhaus. Weiterhin kommt das Zeughaus. Dann gingen wir über die Schloßbrücke und sahen zur Rechten das Schloß liegen. Vor dem Schloß ist ein ungeheurer Verkehr. Man hat deshalb eine Straßenbahnlinie, die den Verkehrsstrom gerade querte, unterführt. Sie fährt plötzlich in einen Tunnel hinein und kommt auf der anderen Seite wieder hervor. Meine Cousine sagte, man hätte das getan, damit der Kaiser, wenn er

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ausführe, mehr Platz hätte. Es wird aber wohl des Verkehrs wegen so eingerichtet worden sein. Wir gingen nun zu einer Untergrundbahnstation und fuhren nach Hause. In unserem Abteil waren auch zwei (wunderschöne) Spreewälderinnen, die in ihrer kleidsamen Tracht sehr von den prosaischen Berlinern abstachen. Am Charlottenburger Knie stiegen wir aus und gingen nach Hause. Der Stadtteil, in dem mein Onkel wohnt, ist Moabit, das als Arbeiterviertel verschrieen ist. Nach meiner Meinung verdient das dieser Stadtteil nicht, denn es sind meist schöne, breite Straßen mit einer Promenade in der Mitte. Die Wohnungen sind sehr gesund. Meistens haben sie einen Balkon. Wenn man das Arbeiterviertel in Halle mit Moabit vergleicht, so ist dieses Gold dagegen. In jenem sind die Häuser höchstens dreistöckig; denn es sind meist alte Häuser (es ist dies nämlich der Stadtteil Glaucha, wo August Herrmann Franke wirkte.) Die Straßen sind eng und winklig und Balkone gibt es selbstverständlich auch nicht. Also Moabit verdient diese Behandlung nicht. Die Arbeiter lachen auch darüber; sie fühlen sich ganz wohl in ihrer Haut und möchten mit keinem Beamten tauschen. Manche verdienen an 200 M in der Woche. Mein Onkel z. B. ist Schlosser und verdient ,,einen derben Draht” (wie man in Halle sagt.) Außerdem wird er immer reklamiert. Er hütet sich natürlich auch,

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einen Streik mitzumachen, denn diejenigen werden sofort eingezogen. Am Pfingstsonntag machten meine Cousine und ich eine Reise nach Potsdam. ,,Potsdam in Weimar, die Wurzeln deutscher Kraft” so hieß ein Vortrag, den Prof. Dr.-Ing M. Kloß in der Technische Hochschule zu Berlin am 26. Januar 1917 hielt. Wenn Potsdam unbedeutend wäre, hätte dieser Mann den Vortrag nicht gehalten; es muß also irgendeine Bedeutung haben, und zwar in militärischer Beziehung. Hier hat der preußische Militarismus seinen Ursprung, den unsere Feinde so oft schmähen, dem wir es aber verdanken, daß wir noch nicht vernichtet sind. Ein gefangener Italiener z. B., mit dem ich einst sprach, sagte mir, natürlich in Zeichensprache: ,,In Deutschland Kinder Schule Soldat spielen S Militarismus.” Ich bedeutete ihm, daß dieser Militarismus gut für uns sei, worüber er erstaunte; denn er hatte gedacht, daß ich ihn ableugnen wolle. Mit dem preußischen Militarismus ist aber der Name Friedrichs des Großen eng verknüpft. Potsdam mußte also auch mit Friedrich dem Großen etwas zu tun gehabt haben. Und zwar sehr viel. Hatte er hier nicht sein berühmtes Schloß Sanssouci? Wir haben es auch besucht; leider konnten wir es nicht besichtigen. Vor dem Schlosse befindet sich ein Springbrunnen, der einen 36 m hohen Wasserstrahl entsendet. Der Springbrunnen in Wilhelmshöhe bei Kassel, den ich auch gesehen habe, ist allerdings noch

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einmal so hoch. Nahe bei Sanssouci befindet sich die bekannte Historische Mühle. Wohl jeder in Deutschland kennt die Geschichte von Friedrich dem Großen und dem Müller. S Der Park von Sanssouci wird von einer schnurgeraden Straße durchschnitten. Sie endet am Neuen Palais, das auch unter Friedrich dem Großen erbaut wurde. Gegenüber erblicken wir ein andres Schloß, genannt die Communs. Das ist die Wohnung der Hofherren. Während des Sommers weilt nämlich der Kaiser im Neuen Palais; d. h. nur im Frieden; jetzt befindet er sich im Großen Hauptquartier. Vom Neuen Palais schwenkten wir links ab und gelangten nach Station Wildpark. Hier ist noch ein Extrabahnhof angebaut, der für den Kaiser bestimmt ist, wenn er zur Jagd geht. Hier ist nämlich ein großes kaiserliches Jagdrevier. Der Kaiser jagt überhaupt gern. Auch in Letzlingen (in der Altmark) und in Rominten (Ostpreußen) befinden sich große kaiserliche Jagdreviere. S Von Wildpark fuhren wir nach Berlin. Am Pfingstmontag gingen wir nicht aus. Meine Cousine besuchte uns nämlich. Sie ist Kinderfräulein bei dem Maschinenfabrikanten Schwarzlose in Charlottenburg. Ihre Eltern wohnen in Gotha i/Thür. Sie erzählte unter anderm auch, daß jene Schwarzloses für vieles Geld manches kaufen können, was andere Leute nicht zu sehen bekommen. In Berlin ist ja überhaupt

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für schweres Geld alles zu haben. Der Verkauf vollzieht sich natürlich hintenrum. Es ist ja aber auch wahr. Mit dem, was einem zugeteilt wird, kann man nicht auskommen. Ich weiß noch, wie ich einmal (im Winter 1916/17) von meiner Mutter meine wöchentliche Brotration verlangte, da ich nie satt wurde. Aber was geschah? So genau ich mir mein Brot auch einteilte, ich kam doch nicht aus. Und so geht es in allem. In Unruhstadt, auf Pension Woitschitzke, wurde ich auch nicht satt. Manchmal sparte sich meine Mutter das Brot vom Munde ab und schickte es mir, oder sie backte einen Kuchen vom sauer ersparten Mehle. Und wenn das dann alle war, dann mußte ich mich aufs ,,Stullen schnurren” verlegen. Da wurden denn die guten Bauernjungs mit den großen Futterkisten himmelhoch gebeten, ein gutes Werk an dem knurrenden Magen zu tun. Schließlich ließ sich einer bereden und stillte mit seiner Stulle meinen jämmerlichen Hunger. Sonntags wurde nach Chwalin gegangen und dort den Bauern von unserem großen Hunger erzählt. Einer, der immer mit mir ging, mit Namen C., gebrauchte oft das anschauliche Bild von unseren Stullen, durch die man die Sonne noch bei Sonnenfinsternis sehen könne. Er wollte damit sagen, wie dünn unsere Stullen seien, die wir bekommen. Aber ich bin schon wieder zu weit vom Thema abgekommen. Fortsetzung folgt!

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