Trisomie 13 bei einem 4 ja¨ hrigen Jungen - Springer Link

Das Screening-ERG ist normal. Die visuell evozierten Potentiale sind auf der rechten Hemisphäre in ihrer Amplitude ge- mindert, linksseitig sind sie unauffällig.
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K Monatsschr Kinderheilkd (1997) 145: 482–484  Springer-Verlag 1997

Zusammenfassung Der Fall eines 4 ja¨hrigen Jungen mit Trisomie 13 wird beschrieben. Der Junge weist keine erkennbaren kardialen oder zerebralen Mißbildungen auf, leidet jedoch an schwerer psychomotorischer Retardierung, Muskelhypotonie, zerebralen Krampfanfa¨llen, bilateralem Buphthalmus und bilateraler Atrophie des N. opticus. In allen analysierten Mitosen aus Lymphozyten und Hautfibroblasten fand sich eine Trisomie 13. Diskussion: Dieser Fall soll daran erinnern, daß Trisomie 13 mit einem langfristigen U¨berleben vereinbar ist.

Schlu¨sselwo¨rter Chromosomenaberration – Psychomotorische Entwicklungsverzo¨gerung – Trisomie 13

Trisomie 13 bei einem 4 ja¨hrigen Jungen

F. Rauch1, Silke van Koningsbruggen1, J. V. Leonard2 und D. Michalk1 Universita¨ts-Kinderklinik, Ko¨ln 2 Great Ormond Street Hospital for Children, London, Großbritannien

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Trisomie 13 oder Patau-Syndrom ist eine Chromosomensto¨rung, die bei Lebendgeborenen mit einer Pra¨valenz zwischen 1 : 20 000 und 1 : 29 000 auftritt [3, 12]. Die Prognose ist i. allg. extrem schlecht: In 2 populationsbezogenen Studien lag der Median des Sterbealters bei 2,5 und 4 Tagen [3, 12]. Allerdings ist in ¨ berleben bis Einzelfa¨llen auch ein U zum 5. Lebensjahr und la¨nger beschrieben worden [1, 2, 6, 10, 11, 13]. Wir schildern hier den Fall eines 4 ja¨hrigen Jungen mit Trisomie 13.

Fallbericht Der Junge ist das 6. Kind einer 35 ja¨hrigen VI. Gravida und eines 47 ja¨hrigen Vaters. Beide Eltern sind kuwaitischer Abstammung und sind nicht verwandt. Die 5 Geschwister des Jungen sind gesund. Das Kind wurde in der 39. SSW bei Querlage durch Sectio geboren. Das Geburtsgewicht betrug 3960 g, die Ko¨rperla¨nge lag bei 53 cm. Folgende dysmorphe Stigmata fielen bei der Geburt auf: große vordere und hintere Fontanellen mit normalen Scha¨delna¨hten, milder Brachyzephalus mit einem Defekt der Kopfhaut u¨ber der vorderen Fontanelle, bilateraler Buphthalmus, große bulbo¨se Nase, tiefsitzende Ohren, kleines pra¨aurikula¨res Anha¨ngsel am linken Ohr, großer Mamillenabstand, Inguinalhernie, linker Hoden nicht deszendiert, postaxiale Hexadaktylie der rechten Hand, leichtgradiger Calcaneus varus.

Dr. F. Rauch, Universita¨ts-Kinderklinik, Josef-Stelzmann-Straße 9, D-50924 Ko¨ln

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Klinischer Verlauf Der unmittelbare postpartale Verlauf war unauffa¨llig. Am 2. Lebenstag entwickelte das Kind eine Pneumonie, die mit i. v.-Antibiotika behandelt wurde, aber keine maschinelle Beatmung erforderlich machte. Im Alter von 3 Wochen fiel eine nicht reponierbare Inguinalhernie links auf, die mit Orchidopexie und Herniorraphie behandelt wurde. Der linke Hoden involutierte in der Folge. Im Alter von 3 Monaten wurde der Junge wegen kongenitalen Glaukoms einer bilateralen Goniotomie unterzogen. Ein CT des Scha¨dels zeigte zu diesem Zeitpunkt keine Auffa¨lligkeiten. Die Chromosomenanalyse aus peripheren Lymphozyten ergab eine Trisomie 13 in allen 25 untersuchten Mitosen. Im Alter von 9 Monaten wurden Konkremente in beiden Nierenbecken und ein bilateraler vesikoureteraler Reflux (Grad II links, Grad I rechts) diagnostiziert und eine bilaterale Pyelolithotomie durchgefu¨hrt. Die Konkremente bestanden aus Kalziumphosphatkristallen auf einer Matrix aus Candida. Eine antibiotische Dauerprophylaxe gegen Harnwegsinfekte wurde angesetzt, worauf es zu keinen weiteren Harnwegsinfekten kam. Im Alter von 10 Monaten entwickelte das Kind 2- bis 3 mal pro Woche auftretende generalisierte zerebrale Krampfanfa¨lle, die mit einer Kombination aus Clonazepam, Valproat und Carbamazepin kontrollierbar waren. Danach blieb der klinische Zustand des Jungen stabil, Krankenhausaufenthalte waren nicht mehr erforderlich. Da die Eltern gegenu¨ber dem betreuenden Kinderarzt auf eine Optimierung der psychomotorischen Entwicklungsmo¨glichkeiten dra¨ngten, wurde das Kind im Alter von 4 Jahren erstmals in unsere Klinik eingewiesen.

Monatsschr Kinderheilkd (1997) 145: 482–484  Springer-Verlag 1997

Trisomy 13 in a four-yearold boy F. Rauch, S. van Koningsbruggen, J. V. Leonard and D. Michalk Summary The case of a four-year old boy with trisomy 13 is described. The boy does not have detectable cardiac or cerebral malformations. However, he suffers from severe psychomotor delay, muscular hypotonia, cerebral convulsions, bilateral buphthalmos and bilateral optic nerve atrophy. Trisomy 13 was detected in all mitoses analysed in lymphocytes and in skin fibroblasts. Discussion: This case should serve as a reminder that trisomy 13 is compatible with longterm survival.

Key words Chromosomal aberration – Psychomotor delay – Trisomy 13

Untersuchungen im Alter von 4 Jahren Ko¨rperlicher Untersuchungsbefund: Gewicht 25,0 kg (4 kg u¨ber der 97. Perzentile fu¨r deutsche Jungen), Gro¨ße 101 cm (25. Perzentile), Kopfumfang 49 cm (im Normbereich). Der Junge erscheint adipo¨s und hat eine große bulbo¨se Nase und tiefsitzende Ohren. Es finden sich narbig vera¨nderte, unbehaarte Defekte der Kopfhaut frontal (3– 4 cm im Durchmesser) und okzipital (ca. 4 cm) ohne Mitbeteiligung der Scha¨delknochen. Die Finger- und Zehenna¨gel sind hyperkonvex. Am ulnaren Rand der rechten Hand ist ein kleiner Stumpf als Residuum eines abgeschnu¨rten 6. Fingers zu sehen. Herz- und Lungenuntersuchungen sind auffa¨llig. Das Abdomen ist weich, die Peristaltik regelrecht, es besteht keine Hepatosplenomegalie. Der rechte Hoden ist intraskrotal palpabel, das linke Skrotalfach ist leer. Es findet sich ein Mikropenis. Der Muskeltonus ist herabgesetzt, die Muskeleigenreflexe symmetrisch. Der Junge kann nicht sitzen und muß gefu¨ttert werden. Er produziert lallende Sprache und besitzt kein Sprachversta¨ndnis. Auf Ansprache und Musik reagiert er meist mit einem La¨cheln. Eine Augenuntersuchung in Narkose zeigt bilaterale zentrale Katarakte und eine Myopie von 23 dpt rechts und 25 dpt links. Die Korneae sind glatt und durchscheinend, aber abnorm geformt (Keratoglobus). Beide N. optici sind porzellanweiß und atrophiert. Weiterfu¨hrende Untersuchungen: Blutbild und Serumchemie sind unauffa¨llig. Im EKG finden sich ein Sinusrhythmus mit einem AV-Block I. Grads, aber keine Hypertrophiezeichen. Die Echokardiographie ergibt einen normalen Befund. Das EEG (unter antikonvulsiver Therapie) zeigt eine generalisierte hypersynchrone Aktivita¨t und eine fokale hypersynchrone Aktivita¨t u¨ber dem rechten Hinterhaupt. Das Screening-ERG ist normal. Die visuell evozierten Potentiale sind auf der rechten Hemispha¨re in ihrer Amplitude gemindert, linksseitig sind sie unauffa¨llig. Die auditiv evozierten Potentiale zeigen eine Ho¨rschwellenanhebung um 10–20 dB. Die Chromosomenanalyse aus peripheren Lymphozyten ergibt 47, XY + 13 in allen Mitosen. Die Chromosomenanalyse aus Hautfibroblasten zeigt ein identisches Ergebnis in allen 50 untersuchten Mitosen.

Diskussion Bei diesem Jungen finden sich nur einige der typischen Zeichen der Trisomie 13: Tiefsitzende Ohren, Katarakte, Kopfhautdefekt, Mikropenis,

Hexadaktylie, zerebrale Krampfanfa¨lle und eine schwere psychomotorische Entwicklungsretardierung. Hingegen fehlen sonst ha¨ufig bei Trisomie 13 auftretende Befunde wie Mikrozephalie, Lippenspalte, hoher Gaumen und Herzfehler. Es ist gegenwa¨rtig noch nicht gekla¨rt, warum das Mißbildungsmuster bei Trisomie 13 ein so hohes Maß an Variabilita¨t aufweist. Bemerkenswert ist jedoch, daß sogar bei monozygoten Zwillingen mit Trisomie 13 Unterschiede im Ausmaß der Mißbildungen beschrieben wurden, was die Rolle nicht-genetischer Faktoren bei der Entstehung der Mißbildungen unterstreicht [8]. Die meisten Kinder mit Trisomie 13 sterben innerhalb der ersten Lebenstage. Nach unserer Kenntnis werden in der Literatur allerdings 12 Kinder beschrieben, die 5 Jahre und a¨lter wurden [1, 2, 4, 6, 7, 10, 11, 13], wobei die Ma¨dchen i. allg. la¨nger zu u¨berleben scheinen [1]. Dementsprechend waren nur 3 der 12 Kinder ¨ berlebenszeit Jungen. mit langer U Die genaue Todesursache bei Trisomie 13 bleibt meist unklar. In den meisten Fa¨llen sind die Herzfehler nicht lethal [12], jedoch ko¨nnten die zerebralen Mißbildungen fu¨r die schlechte Prognose verantwortlich sein [5, 9, 10]. Es erscheint wahrscheinlich, daß bei unserem Patienten das Fehlen gro¨ßerer struktureller kardialer und zerebraler Mißbildungen zu dem relativ gu¨nstigen klinischen Verlauf beigetragen hat. Ei¨ berlebensnige Fa¨lle mit la¨ngerer U zeit ko¨nnten auf Mosaikformen zuru¨ckzufu¨hren sein [5]. Im hier dargestellten Fall zeigen alle Zellen aus 2 verschiedenen Geweben eine Trisomie 13, so daß ein Mosaik sehr unwahrscheinlich erscheint. Dieser Bericht soll daran erinnern, daß die Diagnose einer Trisomie 13 nicht zwangsla¨ufig mit einem Versterben in der Neonatalperiode einhergehen muß. In manchen Fa¨llen mu¨ssen die Eltern darauf vorbereitet werden, viele Jahre mit einem schwerstbehinderten Kind zu leben. Wir danken Frau Dr. S. Schlensker fu¨r die Durchfu¨hrung der zytogenetischen Studien.

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