Tomas Böhm, Suzanne Kaplan - Libreka

Hans-Dieter König: George W. Bush und der fanatische Krieg gegen den Terrorismus. Eine ... Burkard Sievers (Hg.): Psychodynamik von Organisationen.
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»Die Autoren besprechen ausführlich, wie sich dieses Prinzip in konkreten Situationen äußert, sei es auf dem Spielplatz, in Paarbeziehungen, in der Sexualität, als Reaktion auf den Holocaust, in Ruanda, im ehemaligen Jugoslawien, folglich überall, wo Rache eine Rolle spielen kann.« Marion M. Oliner, Ph.D., Psychoanalytikerin in New York und Mitglied der New Yorker Freudian Society, IPA und NPAP »Dieses verdienstvolle Buch von zwei erfahrenen Psychoanalytikern erklärt die Mecha-

nismen der Rache und zeigt Wege zu ihrer Überwindung.« Werner G. Jeanrond, Professor of Divinity, University of Glasgow

Tomas Böhm, Suzanne Kaplan Rache

In diesem Buch wird Rache als primitive, destruktive Kraft beschrieben, die allen Individuen, Gruppen und Gesellschaften innewohnt – ein zerstörerisches Potenzial, das sich unter bestimmten Umständen mit Macht den Weg an die Oberfläche bahnt. Das Motiv der Rache findet sich in der psychologischen Verknüpfung von Vorurteilen, Verfolgung, Rassismus und Gewalt.

Tomas Böhm, Suzanne Kaplan

Rache

Zur Psychodynamik einer unheimlichen Lust und ihrer Zähmung

»Es ist zu wünschen, dass es zahlreiche Leser findet aus den Bereichen Psychotherapie, Psychoanalyse, Sozialarbeit, Pädagogik, Strafrecht und Politik. Es ist jedoch auch für jeden Interessierten geeignet, denn es ist, ohne vereinfachend zu sein, gut lesbar geschrieben.« Helmut Hinz, Arzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Tübingen

Tomas Böhm,Arzt, Psychoanalytiker und Autor,

arbeitet in Stockholm. Er beschäftigt sich u.a. mit Xenophobie, Vorurteilen und der Täterperspektive im Völkermord, speziell mit dem Genozid in Ruanda.

Suzanne Kaplan, Psychologin und Psychoana-

lytikerin mit Praxis in Stockholm, Doktor in Erziehungswissenschaften, Forschungsbeauftragte beim Programm für Holocaust- und Genozidforschung an der Universität von Uppsala. Schwerpunkte: extreme Traumata bei Kindern in Verbindung mit Völkermord.

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Psychosozial-Verlag

Tomas Böhm, Suzanne Kaplan Rache

Folgende Titel sind u.a. in der Reihe »Psyche und Gesellschaft« erschienen: Ali Magoudi: Mitterand auf der Couch. Ein psychoanalytisches Rendezvous mit dem französischen Staatspräsidenten. 2007. Marcus Emmerich: Jenseits von Individuum und Gesellschaft. Zur Problematik einer psychoanalytischen Theorie und Gesellschaft. 2007. Angela Kühner: Kollektive Traumata. Konzepte, Argumente, Perspektiven. 2007. Florian Steger (Hg.): Was ist krank? Stigmatisierung und Diskriminierung in Medizin und Psychotherapie. 2007. Boris Friele: Psychotherapie, Emanzipation und Radikaler Konstruktivismus. Eine kritische Analyse des systemischen Denkens in der klinischen Psychologie und sozialen Arbeit. 2008. Hans-Dieter König: George W. Bush und der fanatische Krieg gegen den Terrorismus. Eine psychoanalytische Studie zum Autoritarismus in Amerika. 2008. Robert Heim, Emilio Modena (Hg.): Unterwegs in der vaterlosen Gesellschaft. Zur Sozialpsychologie Alexander Mitscherlichs. 2008. Hans-Joachim Busch, Angelika Ebrecht (Hg.): Liebe im Kapitalismus. 2008. Angela Kühner: Trauma und kollektives Gedächtnis. 2008. Burkard Sievers (Hg.): Psychodynamik von Organisationen. Freie Assoziationen zu unbewussten Prozessen in Organisationen. 2009. Lu Seegers, Jürgen Reulecke (Hg.): Die »Generation der Kriegskinder«. Historische Hintergründe und Deutungen. 2009. Christoph Seidler, Michael J. Froese (Hg.): Traumatisierungen in (Ost-)Deutschland. 2009. Hans-Jürgen Wirth: Narcissism and Power. Psychoanalysis of Mental Disorders in Politics. 2009. Hans Bosse: Der fremde Mann. Angst und Verlangen – Gruppenanalytische Untersuchungen in Papua-Neuguinea. 2010. Benjamin Faust: School-Shooting. Jugendliche Amokläufer zwischen Anpassung und Exklusion. 2010. Jan Lohl: Gefühlserbschaft und Rechtsextremismus. Eine sozialpsychologische Studie zu Generationengeschichte des Nationalsozialismus. 2010. Markus Brunner, Jan Lohl, Rolf Pohl, Sebastian Winter (Hg.): Volksgemeinschaft, Täterschaft und Antisemitismus. 2011. Hans-Jürgen Wirth: Narzissmus und Macht. Zur Psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik. 4., korrigierte Auflage 2011. Oliver Decker, Christoph Türcke, Tobias Grave (Hg.): Geld. Kritische Theorie und Psychoanalytische Praxis. 2011. Johann August Schülein, Hans-Jürgen Wirth (Hg.): Analytische Sozialpsychologie. Klassische und neuere Perspektiven. 2011. Antje Haag: Versuch über die moderne Seele Chinas. Eindrücke einer Psychoanalytikerin. 2011.

Psyche und Gesellschaft

Herausgegeben von Johann August Schülein und Hans-Jürgen Wirth

Tomas Böhm, Suzanne Kaplan

Rache Zur Psychodynamik einer unheimlichen Lust und ihrer Zähmung Aus dem Schwedischen von Stefanie Busam Golay Mit einem Vorwort von Vamik D. Volkan

Psychosozial-Verlag

Publiziert mit freundlicher Unterstützung der Baumgart-Stiftung Titel der Originalausgabe: »Hämnd. Och att avsta fran att ge igen« © 2006 Thomas Böhm und Suzanne Kaplan Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. E-Book-Ausgabe 2014 der 2., um ein Vorwort ergänzte Auflage 2012 Deutschen Erstveröffentlichung © 2009 Psychosozial-Verlag Walltorstr. 10, D-35390 Gießen Fon: 06 41 - 96 99 78 - 18; Fax: 06 41 - 96 99 78 - 19 E-Mail: [email protected] www.psychosozial-verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Umschlagabbildung: © Paula Kaplan Böhm, ohne Titel Umschlaggestaltung & Satz: Hanspeter Ludwig, Wetzlar www.imaginary-world.de ISBN Print-Ausgabe 978-3-8379-2192-2 ISBN E-Book-PDF 978-3-8379-6652-7

Für Theodor, Minna, Anya, Adam, Elias, Samuel, Isac und alle anderen Enkelkinder auf der Welt

Inhalt

Vorwort 11 Vamik D. Volkan Die Autoren und ihr Buch 23 Einleitung 29

Teil I: D  ie Rache und ihre Ursachen

Präludium – Sara, Jean und Lotta werden gekränkt

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1 Der Begriff »Rache« Rache und verwandte Begriffe Rachefantasien und Rachehandlungen Mehrdeutigkeiten – Rache oder Rechtfertigung Rache im Alltagskontext Rache in Literatur und Film

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2 Die Rachespirale Neid, Gekränktheit und Wut Trauma Einkapselung von Gefühlen Verletzlichkeit Vergleich und Neid Dialog und Genugtuung Können »ganz normale« Menschen zu Rächern werden? Der »Schatten unserer Vorfahren« Beispiele für das destruktive Potenzial »ganz normaler« Menschen

59 59 60 62 63 66 68 70 71 72 7

Inhalt

Die frühere psychoanalytische Sichtweise auf die Racheproblematik Die aktuelle psychoanalytische Sichtweise auf die Racheproblematik

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3 Die Gruppe – eine Brutstätte für Rache Feindlichkeit im Alltag Vorurteile Vorurteile und Orthodoxie Zusammenspiel verschiedener Ebenen Grausamkeit, Trauma und Gegengewichte Klassische sozialpsychologische Untersuchungen Horizontale und vertikale Beziehungen Kräfte, die den mentalen Raum schließen

81 81 82 84 86 88 90 99 102

4 Die Gesellschaft als Arena für Rache Rache und Kultur Rache und Religion Rache unter dem Deckmantel anderer Motive Rache in der Gesellschaft Traumatisierte Gesellschaften Massenpsychologie und Ich-Analyse Volkan über die Großgruppe Die Bedeutung der Kollektivideologie

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Teil II:Die Rachehandlung

8

73

Interludium – Sara, Jean und Lotta haben Rachefantasien

127

5 Rächen – Fantasie oder Handlung »Dem werd’ ich zeigen, was er mir angetan hat« Hass gegenüber Minderheiten Der Weg des Bösen Führer und Geführte Von Menschen gemachte Katastrophen Zurück zum Phänomen der Rachespirale Igra über die Rache

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Inhalt

Völkermörder Wut und Hass 6 Der Mann als Täter – Rache aus der Geschlechterperspektive Männergewalt gegen Frauen Gesellschaft und Perspektive Psychologische Dynamik bei Paaren mit gewalttätigen Männern Psychologische Hintergrundfaktoren für die Gewalt von Männern gegen Frauen Interviews mit Männern, die Frauen misshandeln Wie kann man misshandelnde Männer verstehen? Gestörte Bindung und fehlende Empathie Interviews mit misshandelten Frauen 7 Völkermord – die extreme kollektive Rache Wallers Modell Der Völkermord in Ruanda Die Stimmung in Ruanda Führung und Gruppenphänomene Täter in Ruanda Die Identität des Täters Rachemorde nach der Machtübernahme der RPF

Teil III:Der Verzicht auf Rache

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151 152 153 154 156 158 163 165 166 169 169 177 183 185 188 189 195

Postludium – Sara, Jean und Lotta schaffen psychischen Raum

199

8 Widerstand – Raumschaffen Individueller Widerstand Anerkennen, Verzeihen und Versöhnen Jungen auf dem Schulhof Mädchen auf dem Schulhof

203 204 206 208 210

9 Der Verzicht auf Rache Gegengewichte

211 211 9

Inhalt

Rache und Gerechtigkeit Idealisten Der Hintergrund des Helfers Versöhnung oder Akzeptanz Versöhnung in der Gesellschaft Soziale Rekonstruktion Die »Alte Brücke« in Mostar Schule – Zukunft

213 214 217 218 218 220 221 222

10 Nach dem Völkermord – die Zukunft Das Beispiel Kultur Gacaca – ein Schritt zur Veränderung? Politisierung der Erinnerung und Versöhnung Der Wunsch nach Vergessen »Was passiert ist, kann nicht rückgängig gemacht werden« Der Umgang mit Frustration und Wut

225 226 228 231 233 235 235

11 Leben mit der Erfahrung psychischer Traumatisierung Erinnerung und Bindung Psychisches Trauma Schamgefühle Dissoziation

237 237 239 239 240

12 Die professionelle Hilfe Raumschaffende Gespräche mit Überlebenden Rache in der klinischen Praxis – Psychotherapie Therapie von Männern, die Frauen misshandeln Dem Traumatisierten zuhören Stellvertretendes Trauma Interview mit einem Traumatherapeuten Begriffsmodelle und Rache

243 243 245 248 251 253 255 259

261 Abschließende Diskussion über das Phänomen der Rache Literatur 265

10

Vorwort Vamik D. Volkan

Tomas Böhm und Suzanne Kaplan legen dar, dass Rache ein wesentlicher Faktor in der psychischen Wechselwirkung zwischen Opfer und Täter ist. Eine Einzelperson oder eine Gruppe von Einzelpersonen ruft Scham, Demütigung, Hilflosigkeit und eine komplexe Trauer in einem Menschen hervor, der dadurch traumatisiert wird und sich in Rachefantasien vertieft. Manchmal begehen diese viktimisierten Menschen Taten, die von Rache motiviert sind. Die Reaktion aller Traumaopfer ist mit dem verknüpft, was in ihrer Innenwelt bereits existiert: mit ihren unterschiedlichen unbewussten Fantasien, seelischen Konflikten, ihrer Abwehr und Resilienz. Dieser Umstand ändert jedoch nichts an der Rolle, die ein äußeres traumatisierendes Ereignis – ausgelöst von einer anderen Person oder einer kleinen oder großen Gruppe von Menschen – für das Auftreten von traumabedingten Affekten, Rachefantasien oder -handlungen spielt. Die Autoren rufen uns in Erinnerung, dass Rache auch in der Literatur ein Motiv ist – beispielsweise im antiken griechischen Drama und in Shakespeares Theaterstücken –, was nicht überrascht, da wir es fast täglich in unserem allzu menschlichen individuellen und kollektiven Verhalten beobachten. Dessen ungeachtet hat uns die Psychoanalyse keine hinreichende Auseinandersetzung mit und keine hinreichenden Erkenntnisse zu diesem Motiv geliefert. Für diese relative Vernachlässigung möchte ich einige Gründe anführen. In seinen frühen Versuchen, psychoanalytische Theorien zu entwickeln, gab Sigmund Freud die Vorstellung auf, dass die sexuelle Verführung von Kindern aus der Außenwelt herrühre, und konzentrierte sich im Hinblick auf Entwicklungspsychopathologien stattdessen auf die Stimuli, die von den eigenen Wünschen und Fantasien des Kindes ausgingen. Da die frühen Psy11

Vorwort

choanalytiker dieser Tradition folgten, übernahm die klassische Psychoanalyse, als sie die in der Entwicklung befindliche kindliche Psyche ins Auge fasste, diese Abwertung von einer von der Außenwelt ausgehenden tatsächlichen Verführung und verallgemeinerte sie dahin gehend, dass dies auch die Abwertung von der Rolle äußerer traumatisierender Ereignisse bei allen ihren Patienten umfasste (Volkan 2006a). Diese Abwertung führte dazu, dass sich die klinische Psychoanalyse primär zu einem Untersuchungsinstrument für die Innenwelt eines Menschen entwickelte, mit Erklärungen zur Bedeutung der individuellen psychologischen Prozesse bei ihrer Herausbildung. Dies war meiner Ansicht nach ein Grund, der – relativ gesehen – die Untersuchung von Rachefantasien und -handlungen in der klinischen Praxis und die gezielte Beschäftigung mit den Verursachern der Ereignisse behinderte, die einen Patienten traumatisierten. Mir kommt ein weiterer, dieses Mal auf gesellschaftlicher Ebene angesiedelter Grund in den Sinn, warum die Psychoanalyse zur Rache bewegende traumatisierende Ereignisse vernachlässigt. Er ist mir 2006 bewusst geworden, als Österreich turnusgemäß den Vorsitz in der Europäischen Union übernahm. Österreich erklärte dieses Jahr zum Mozart- und Freud-Jahr, und ich hatte damals die Ehre, als Freud-Fulbright-Professor der SigmundFreud-Privatstiftung in Wien zu sein, wozu ein einsemestriger Lehrauftrag in politischer Psychologie an der Universität Wien sowie ein Büro in der Berggasse 19 gehörten. Während der vier Monate, die ich in Freuds Haus arbeitete und während derer ich versuchte, anlässlich von Freuds 100. Geburtstag ein internationales Treffen zwischen Psychoanalytikern und Diplomaten zu organisieren, stellte ich mir Freud an genau diesem Ort vor, als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen. Ich dachte über seine Antwort auf einen Brief von Albert Einstein aus dem Jahr 1932 nach; dem Jahr, bevor Adolf Hitler zum Diktator Deutschlands wurde. Einstein wollte wissen, ob es einen Weg gebe, die Menschen vom Verhängnis des Kriegs zu befreien, und fragte sich, wie es einer kleinen Gruppe machthungriger Menschen gelingen könne, sich den Willen der Mehrheit dienstbar zu machen und sie dazu zu bringen, einen Krieg zu erdulden (Freud 1933b [1932]). Zu dieser Zeit war Freud von Antisemitismus umgeben. War seine pessimistische Antwort an Einstein ein Versuch, die drohende Gefahr für sich selbst, seine Familie und Nachbarn zu verleugnen? Ich kam zu dem Schluss, dass dies zutreffen könnte, obwohl Freud sich natürlich bewusst war, was in Europa vor sich ging. Wie 12

Vamik D. Volkan

Peter Loewenberg (1991) und Leo Rangell (2003) uns in Erinnerung rufen, erzeugen einige Aspekte der Geschichte von Großgruppen Angst. Freuds Pessimismus bezüglich der Funktion der Psychoanalyse in Großgruppenfragen und hinsichtlich eines Eingreifens zur Vermeidung von Kriegen, der in seiner Antwort auf Einsteins Brief zutage tritt, spiegelte sich bei vielen seiner Anhänger wider. Dies war meiner Ansicht nach auch einer der wesentlichen Gründe, für lange Zeit den Beitrag zu begrenzen, den die Psychoanalyse zum Verständnis von traumatisierenden externen Massenbewegungen und Großgruppenkonflikten wie ethnischen, nationalen, religiösen und ideologischen Konflikten leisten kann, selbst wenn einige Analytiker wie Edward Glover (1947), Franco Fornari (1966), Robert Waelder (1971) oder Alexander und Margarete Mitscherlich (A. Mitscherlich 1971; Mitscherlich/Mitscherlich 1967) versucht haben, solchen Untersuchungen die Türen zu öffnen. Diese Zurückhaltung wirkte sich zweifellos auch auf das klinische Setting aus. Melanie Klein (1961) zum Beispiel schenkte dem Krieg keine Beachtung, als sie 1941 einen Jungen namens Richard behandelte. Harold Blums Darstellung eines jüdischen Patienten, der zu einer weiteren Analyse zu ihm kam (1985), veranschaulicht das Ausmaß, in dem gegenseitige Widerstände vorherrschen, wenn sowohl der Analytiker als auch der Analysand der gleichen Großgruppe angehören, die durch ein äußeres geschichtliches Ereignis massiv traumatisiert worden ist. Der erste, ebenfalls jüdische Analytiker von Blums Patient hatte es nicht geschafft, das gemeinsame Trauma ihrer Großgruppe, das ihnen durch die Nationalsozialisten zugefügt worden war, im Material seines Analysanden zu »hören«. Ich frage mich, wie viele jüdische Analytiker nach dem Zweiten Weltkrieg so waren wie der frühere Analytiker von Blums Patient und wie viele von ihnen – ohne sich dessen bewusst zu sein – die Anwendung der psychoanalytischen Therapie in einer Art und Weise beeinflussten, die tendenziell die Augen vor der auf den Holocaust bezogenen äußeren Realität verschloss. Ich meine, dass einige von denen, die im Bereich der Psychoanalyse sehr einflussreich waren – sowohl in den USA als auch anderswo –, ihre Befangenheit zu einer theoretischen Haltung mit dem Namen »klassische Analyse« zuspitzten, die den Schwerpunkt allein auf die Modifikation der inneren Wünsche, Fantasien, seelischen Konflikte und der Abwehr des Analysanden legte, ohne den äußeren Umständen viel Beachtung zu schenken (Volkan 2006a). Wir wissen heute, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Deutschland einen so13