Tino

6. „Die spinnt doch, das weißt du“, erwiderte. Tino, „Statt Geister, sind es jetzt Vampire.“ Leo zuckte zusammen. Angst hatte er keine, hatte sich aber erschrocken.
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Jacqueline J. J. Stocker

Sekundenschritte Fantasy

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© 2014 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2014 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Jacqueline J. J. Stocker Printed in Germany

AAVAA print+design Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck:

ISBN 978-3-8459-1171-7 ISBN 978-3-8459-1172-4 ISBN 978-3-8459-1173-1 ISBN 978-3-8459-1174-8 Mini-Buch ohne ISBN

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Miese Behauptungen

Es war ein ganz normaler Tag, wie jeder andere. Zumindest dachte sich Tino das. In Wirklichkeit sollte sich an diesem Tag sein ganzes Leben verändern! Langsam in Sekundenschritten ging Tino zu seinem Kumpel Leo. Der wartete schon in der Pause auf ihn, an den Halfpipes (für alle die, die nicht wissen, was eine Halfpipe ist - überhaupt nicht schlimm-: Auf so einer kann man mit dem Skateboard fahren, die gibt es in verschiedenen Größen. Man kann aber auch nur oben sitzen, wo man sich mit dem Skateboard abdrücken würde, um in die kleine Wölbung hinunter zu sausen). Wie jeden Tag in den Pausen saß Leo ganz oben auf der Halfpipe. Es war zwar keine 4

kleine, aber auch keine so wirklich große; hier auf dem Schulhof gab es noch größere. Jedoch fragte sich Tino, wie Leo es schaffte, sich dort oben hinzusetzen. Immer musste ihm Leo helfen. „He, hat die alte Neumalkluge dich endlich gehen lassen?“, lachte Leo, „Wurd´ ja mal Zeit.“ Tino sprang auf die Halfpipe. Wie jedes Mal versuchte er es, auch dort oben, sich neben Leo hinzusetzen. Leider erfolglos. Leo lachte. Dann streckte er ihm seine Hand entgegen. In Sekundenschritte war Tino oben, und saß neben Leo. Leo amüsierte sich mal wieder. „Das kriegen wir auch noch hin“, meinte er, „Und jetzt erzähl mal: Was hat Frau Baumgarten heute wieder erzählt?“ Tino zuckte mit den Schultern. An das, was sich Frau Baumgarten diesmal geleistet hatte, wollte er nicht mehr denken.

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„Die spinnt doch, das weißt du“, erwiderte Tino, „Statt Geister, sind es jetzt Vampire.“ Leo zuckte zusammen. Angst hatte er keine, hatte sich aber erschrocken. „Was meinst du?“ „Ja, Frau Baumgarten ... sie übertreibt mal wieder“, zuckte Tino mit den Schultern, „Jetzt bin ich in ihren Augen ... ein Vampir.“ Tino grinste etwas, um das Ganze auf die leichte Schulter zu nehmen. Merkwürdigerweise lachte Leo nicht. Normalerweise war er der, der immer was zu lachen hatte. Er hatte zwar nicht bei Frau Baumgarten Unterricht, wusste aber sehr viel über sie, wegen Tino. Leider waren Tino und Leo nicht in derselben Klasse. Tino ging in die 8., Leo in die 9. Klasse. Leo wäre eigentlich schon in der 10., aber er war einmal sitzen geblieben, wegen Religion... Mit dem Direktor hatte man nicht darüber reden können, für ihn war eine Sechs sofort weg! – Und das in Religion! Das Fach, was niemand bräuchte... 6

„Ach, Frau Baumgarten wird auch dies vergessen“, meinte Tino, „Das mit den Geistern hat eh nur drei Tage gedauert. Ich frage mich bloß, warum sie immer auf Ideen kommt, wenn sie mich sieht. Kann sie das nicht bei anderen Schülern machen?“ Leo nickte missmutig. „Dass mit den Geistern war ja schwachsinnig, aber das mit den Vampiren, da wird sie wohl leider etwas länger dran glauben“, meinte er, „Ich kann zwar nicht wirklich verstehen, warum sie denkt, dass du ein Vampir sein solltest, so blass bist du nicht mal, aber das ist das Problem.“ „Was für ein Problem?“, wollte Tino wissen. Leo zuckte mit den Schultern. „Du weißt doch, wie abergläubisch Menschen sind“, erklärte er, „und Frau Baumgarten ist noch mehr abergläubisch. Vampire sehen den Menschen im Aussehen so gut wie gleich aus, doch gibt es ein paar Merk-“ „Warum erzählst du mir das? Das weiß ich doch“, musste Tino einfach unterbrechen, 7

„Wenn du mir jetzt weiß machen willst, dass es Vampire gibt, dann sage ich dir nur: Du spinnst ja!“ Leo musste lachen. Er lachte so, wie er es immer tat, wenn er Tino widersprach. Dieses Lachen dauerte länger als sonst. „Ich will dir doch nicht sagen, dass es welche gibt“, sagte Leo nun, „Ich will dir nur sagen, dass Frau Baumgarten länger bei ihrer jetzigen Meinung bleiben wird.“ Tino musste seufzen. Das konnte was ergeben. Am Freitag (jetzt war Montag) hatte Frau Baumgarten noch gemeint, Tino sei ein Geist und sei nur an dieser Schule, um ihr das Leben schwer zu machen. Obwohl es Tino überhaupt nicht auf sie abgesehen hatte und nur darauf aus gewesen, seinen Abschluss in zweieinhalb Jahren zu schaffen, war sie schon seit der 6. Klasse (als sie von einer anderen Schule gekommen war) aus gewesen, Tino das Leben schwer zu machen! Nur wegen ihr be-

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kam er in Geschichte und Erdkunde schlechte Noten. Leo rutschte von einer Seite zur anderen und wusste plötzlich nicht, wie er sitzen sollte. „Komm“, sprang er leichtfüßig auf die Halfpipe, runter vom Podest, „Ich kann nicht mehr so stillsitzen bleiben, lass uns mal etwas rumgehen.“ Tino sprang ebenfalls hinunter. Er wunderte sich immer, warum er nicht so gerade aufkommen konnte wie Leo. „He, sag mal: Was hast du in Sport?“, fragte Tino neugierig. „Was für ´ne Note? – 2“, antwortete Leo etwas verwundert, „Wieso?“ „Ach, nur so“, murmelte Tino. Die beiden Jungen – einer fünfzehn, der andere siebzehn – wanderten über den Schulhof. Erst noch schweigend, denn beide waren mit ihren Gedanken ganz wo anders. Tino wunderte sich, als alle, als sie Leo sahen, die Köpfe wegdrehten und plötzlich schwiegen. Obwohl Leo lächelte, hatten die meisten 9

Angst vor ihm. Leo war deshalb etwas traurig. Tino wunderte sich immer. Wenn Tino ganz ehrlich war, sah Leo im leichten Sonnenschein gut aus, das blasse Gesicht wirkte so eigenartig. Kein Wunder, dachte Tino, wenn Leo nur selten ans Tageslicht ging, deswegen kniff er jetzt auch die Augen etwas zu. Leos schwarze Augen sah man kaum. „Ach, du Schreck“, blieb Tino abrupt stehen. „Was hast du?“, wunderte sich Leo. Tino konnte nur geradeaus starren. Was sollte er tun? Dort drüben stand Frau Baumgarten! Leo erschrak, als er sie erblickte. Wie Tino befürchtet hatte, hatte Frau Baumgarten ihn schon längst gesehen. In Sekundenschritte kam sie auf ihn und Leo zu. Flucht war unmöglich! Tino und Frau Baumgarten sahen sich für Sekunden nur schweigsam an.

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Jetzt sagte Frau Baumgarten etwas: „Willst du mich denn nicht deinem Freund vorstellen?“ „Das ist Leo“, sagte Tino schnell. Leo verkrampfte sich merkwürdigerweise. „Einen wunderschönen Morgen, Frau Baumgarten“, begrüßte er sie schließlich. Frau Baumgarten sah etwas verwundert zu Tino. Sie hätte wohl nicht damit gerechnet, dass Leo ihren Namen kannte. „In welcher Klasse gehst du? – In die Neunte?“, wollte Frau Baumgarten wissen, „Bist du nicht ein Schüler von Frau Schneider?“ Leo nickte. Tino konnte sehr gut nachvollziehen, wieso Leo jetzt so still war und ihn der Mut verließ. Er sagte nämlich meistens: „So schlimm kann sie nicht sein.“ Da hatte er sich getäuscht. Egoistischerweise genoss es Tino, mal nicht im Mittelpunkt von Frau Baumgartens Interesse zu stehen. „Wie kommt es, dass ein viel älterer Schüler mit einem jüngeren die Pause verbringt?“, 11

fragte sie skeptisch, „Normalerweise wäre das doch so-...“ „Was ist bitte schon normal?“, erwiderte Leo mitten in ihrem Satz, „Außerdem bin ich erst siebzehn, zwei Jahre älter. – Ach, vielleicht ist Tino ja mein Bruder. Haben Sie sich das mal gedacht?“ Tino biss die Zähne aufeinander. Nein, Leo war nicht Tinos Bruder, noch nicht einmal Cousin. Trotzdem brachte er sich offenbar gerne für ihn in Gefahr. Frau Baumgarten fuhr zurück und hielt sich erschrocken die Brust. Manchmal wünschte sich Tino, sie würde einen kleinen Herzinfarkt bekommen und für mehrere Wochen ins Krankenhaus verschwinden. Dann hätte er wenigstens seine Ruhe vor ihr. „Tino Rouger“, rief Frau Baumgarten, „ist das wahr?“ Tino sah zu Boden und antwortete nicht. Eigentlich sollte er mit einem ‚Nein’ antworten, aber dann hätte Leo Ärger bekommen. 12

„Natürlich ist das wahr“, antwortete Leo, „Deshalb mag ich es nicht, wenn ich von ihm hören muss, wie Sie mit ihm umgehen.“ Tino riss erschrocken seine Augen auf und erstarrte. Was hatte Leo vor? Frau Baumgarten sah Tino böse an. „Wie ich mit ihm umgehe?“, sah sie nun Leo böse an, „Wenn du wirklich Tinos Bruder sein solltest, müsstest du doch wissen, wie Tino ist. Tino ist kein Musterschüler! Tino benimmt sich rebellisch! Tino gibt ständig Widerworte! Tino...“ „Was wollen Sie mir denn noch unterstellen?“, hielt es Tino nicht mehr aus, „Sie wissen doch ganz genau, dass das alles nicht wahr ist! Sie wissen ganz genau, dass Sie sich nur Sachen ausdenken, um mir das Leben schwer zu machen!“ „Das meine ich!“, rief Frau Baumgarten verärgert aus, „Du widersprichst mir am laufenden Band!“

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„Er widerspricht Ihnen nicht“, nahm Leo seinen ganzen Mut zusammen, „Er sagt Ihnen nur die Wahrheit.“ Da blähte sich Frau Baumgarten noch mehr verärgert auf. Tino war zwar nicht unbedingt ein Musterschüler, aber kein schlechter, rebellisch war er überhaupt nicht und Widerworte musste er leider öfters geben, da sie nicht aufhörte, ihn in einem anderen Licht darzustellen. Nur das war wahr, aber sie müsste wissen, warum! Frau Schneider, bei der Tino nur einmal Vertretung gehabt hatte, kam zufällig vorbei. Leo atmete erleichtert auf. Tino war auch erleichtert, sie zu sehen. Mit Frau Schneider konnte man sich wunderbar unterhalten. „Was ist hier los?“, fragte Frau Schneider. Tino wunderte sich, warum sie anscheinend Leo die Frage stellte. „Hier gibt es keine Probleme, wenn Sie das meinen“, klang Frau Baumgarten etwas klein-

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laut, „Ich hab mich nur ganz normal mit diesen beiden Schülern unterhalten.“ „Aha“, nickte Frau Schneider und wirkte nicht so befriedigt, „Ich kenne zwar den Schüler Tino Rouger nur flüchtig, aber ich frage mich wirklich, warum er sich eben lautstark zur Wehr gesetzt hat, Frau Baumgarten?“ Frau Baumgarten zuckte zusammen, als sie ihren Namen hörte. „Tino Rouger ist ein braver Schüler“, meinte Frau Schneider, „Man sieht es ihm doch an seinem Gesicht an, dass er keiner Fliege etwas zu leide tun könnte.“ Tino musste lächeln. Er wurde jedoch schnell traurig, als er merken musste, dass Frau Schneider mit ihrer Aussage nichts ändern werde. Leider war sie nicht seine Lehrerin. Leo war so ein Glückspilz. Leo strahlte. Frau Baumgarten zog sich langsam zurück. Tino vermutete, dass sie großen Respekt vor Frau Schneider hatte, da sie die beste Freundin des Direktors war. Würde Frau Schneider 15