Theaterstück Pro und Contra entwicklungspolitischer ... - WordPress.com

als Backpacker durch die Gegend reisen, sondern „Lernen durch tatkräftiges Helfen“ in. Nicaragua. Bei dir hört sich das so nach einem Abenteuerurlaub an. 1.
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Baustein Entwicklungspolitik und Abhängigkeiten

Theaterstück Pro und Contra entwicklungspolitischer Freiwilligendienste (Ein_e Freiwillige_r liegt im Bett. Vor dem Einschlafen fragt er_sie sich): FW: Wow, in einer Woche beginnt mein weltwärts-Jahr! Fast alle Vorbereitungen sind getroffen. Ich bin ja schon ganz aufgeregt! Manchmal frage ich mich, ob das wirklich so gut ist was ich da unten vorhabe. (Auftakt: Engel kommt herein“geschwebt“.) Engel: Schöne neue Welt – ich komme! Ich freue mich schon so auf meinen Aufenthalt in Nicaragua. Ich habe mich ausführlich darauf vorbereitet, ich habe einiges gelesen und mich gut informiert. Außerdem habe ich auch Spanisch gelernt – ja ich bin überzeugt davon – ich habe alles gemacht, damit die Erfahrung vor Ort möglichst intensiv wird, produktiv, schön, effektiv, nützlich, lehrreich. Ich freue mich so! (Teufel stapft herein, wirft dem Engel einen abwertenden Blick zu und spricht zum Schlafenden)... Teufel: Mich beschleicht das Gefühl, du hast bei deinen Vorbereitungen vieles außer Acht gelassen, oder vielleicht sogar mit Absicht übersehen? Schließlich willst du ja nicht ein Jahr als Backpacker durch die Gegend reisen, sondern „Lernen durch tatkräftiges Helfen“ in Nicaragua. Bei dir hört sich das so nach einem Abenteuerurlaub an. 1. Ungleichheiten Engel: Gut, ich weiß schon, ich werde viele Arme treffen, Ausgeschlossene, Kranke. Aber ich fahre ja nicht in dicken SUVs durch die Gegend, nein, ich werde den Menschen auf gleicher Augenhöhe begegnen. Ich werde genauso leben wie sie, dasselbe essen, auf denselben Strohmatten schlafen, dieselbe Arbeit verrichten. So kann ich sie von meiner Solidarität und meinem Engagement überzeugen, und ihnen zeigen, dass wir alle auf dieser einen Welt zusammenhalten müssen. Teufel: Auf gleicher Augenhöhe? Bist du wirklich so naiv? Materielle Armut ist das eine, doch schlimmer ist das Fehlen von Lebensperspektiven und Entfaltungsmöglichkeiten. Die wirkliche Armut kennst du gar nicht. Schon der Augenblick, in dem du in Nicaragua aus dem Flugzeug steigen wirst, könnte die Ungleichheit nicht deutlicher machen: Allein dass du da bist, zeigt die unglaublichen Ressourcen an Zeit und Geld, über die du verfügst. Du hast Dein Rückflug-Ticket in der Tasche, hast den perfekten Impfschutz und sowieso eine Krankenversicherung mit der du dich in den besten Privatkrankenhäusern versorgen lassen kannst. Außerdem verfügst du über ein großzügiges Taschengeld, das den Durchschnittslohn in Nicaragua bei weitem überschreitet. Wie viele der Leute, denen du begegnen wirst, werden über die selben Möglichkeiten verfügen? Sieh der Tatsache in die Augen: Gewinner bleibt Gewinner. Deutsch bleibt Deutsch. Privilegiert bleibt privilegiert. Engel-Teufel-Theater. © ASA weltwärts. www.asa-programm.de

2. Helfen Engel: Ach Teufelchen. Du siehst das ein bisschen pessimistisch, wie ich finde. Schließlich will ich ja nur das Beste der Leute vor Ort, schließlich bin ich nicht irgendein dahergelaufener Tourist oder so. Nein, ich möchte den Leuten begegnen, ich möchte sie verstehen und vor allem möchte ich ihnen helfen! Ich bringe frische Ideen mit und opfere ein ganzes Lebensjahr, um dort in dem Waisenhaus, in dem ich eingesetzt werde, mit anzupacken. Ich weiß, ich kann die Welt nicht retten, aber im Kleinen kann ich die Welt der Menschen dort ein wenig besser machen! Teufel: Hui liebes Engelchen, das ist aber ein edles Motiv, etwas Gutes tun! Du denkst, du kannst helfen? Ich glaube, hier liegt ein grundlegendes Missverständnis vor! Derjenigen, der geholfen werden muss, bist in erster Linie du selbst! Schließlich kennst du dich doch gar nicht vor Ort aus! Weißt erstmal gar nicht, was du tun sollst. Und überhaupt - sieh der Realität ins Auge: Du bist eine unqualifizierte Weißnase! Wie viel wirst du schon beitragen können? Dein Wissen passt in den deutschen Kontext, und du hast keine Ahnung, was die Leute dort wirklich brauchen! Unqualifizierte Arbeitskräfte gibt es in Nicaragua doch schon genug! Du bist doch mehr eine Belastung als eine Bereicherung! 3. Kulturelle Einbahnstraße/Migrationsregime Engel: Hm, Teufel, ich finde, du lässt das fruchtbare, gegenseitige Lernen total außer Acht! Ich bin mir sicher, ich kann sooo viel von denen lernen und die auch von mir. Ich nehme soviel mit über die nicaraguanische Kultur, und gleichzeitig bin ich dort ein Botschafter Deutschlands. Ich kann so zur Völkerverständigung beitragen. Und außerdem - wer weiß, vielleicht können ja richtige Freundschaften entstehen und dann kommen mich meine neuen nicaraguanischen Freund_innen einfach nächstes Jahr hier in Deutschland besuchen, das wär schön! Teufel: Na klar! Frieden und Völkerverständigung durch globales Lernen, dass ich nicht lache! Du befindest Dich auf einer kulturellen Einbahnstraße mein Schätzchen. Hast du schon mal daran gedacht, dass deine nicaraguanischen „Freund_innen“ eben nicht einfach so nach Deutschland kommen können, während du als Europäer_in mit EU-Pass und Kreditkarte ganz selbstverständlich in alle Welt reisen kannst? Passkontrolle bereits vor dem Abflug? Weitergabe der persönlichen Daten durch die Fluggesellschaft an die Migrationsbehörden? Fingerabdrücke, Kontrolle, Ausziehen, Abführmittel, Befragung, Registrierung, Bürokratie? Das hast du noch nicht erlebt auf Reisen! Es gibt keine Nicaraguaner_innen, die einen Freiwilligendienst in Deutschland machen, und die wird es so schnell auch nicht geben. 4. Engagement in Deutschland Engel: Ach, was für eine ungerechte Welt. Ich finde, alle sollten so frei sein wie ich! Aber wenn die Nicaraguaner_innen schon nicht hierher kommen können, dann bin ich ihnen wenigstens schuldig, das dort Erlernte hier in Deutschland weiterzugeben. Zurück in Deutschland werde ich mich dann dafür engagieren, dass alle Menschen auf der Welt eine faire Chance bekommen. Engel-Teufel-Theater. © ASA weltwärts. www.asa-programm.de

Teufel: Ha, und schon wieder so ein leeres Versprechen: Engagement in Deutschland! Schön wäre das ja, aber hast du überhaupt auch nur eine vage Vorstellung, wie dieses Engagement aussehen könnte? Hast du schon jemals versucht, dich um die brüllenden Immigrantenkinder in deinem Hinterhof zu kümmern, oder dich für die Kassiererin bei Lidl einzusetzen? Warum musst du unbedingt bis nach Nicaragua fahren, um mit deinem Engagement anzufangen? 5. Lebenslauf pimpen Engel: Ach Teufelchen, immer diese Fragen. Ich will mich einfach nur im sozialen Bereich engagieren und vielleicht springt sogar eine Idee dabei heraus, was ich beruflich in Zukunft machen könnte? Mit Kindern arbeiten ist etwas, was ich mir auch für später in Deutschland vorstellen kann. Und so kann ich im Waisenhaus in Nicaragua eine helfende Hand sein, und mich selber weiterbilden und orientieren, ob ich in diese Richtung weitergehen möchte. Außerdem wird ein Auslandsaufenthalt auch immer wichtiger, um persönliche Reife und Belastungsfähigkeit zu beweisen. Teufel: Wenn ich dich da so reden höre, kommt mir dein ganzer Einsatz eher wie eine neue Form kolonialer Ausbeutung vor. Worum geht´s dir denn wirklich? Darum, deinen Lebenslauf aufzupeppen mit „sozialer Kompetenz“ und „interkultureller Erfahrung“? Von der Elite-Uni bis zum Arbeitgeber, alle werden deinen freiwilligen-Einsatz als Beweis für Schlüsselqualifikationen und Charakterstärke sehen. Und die Partnerorganisation in Nicaragua, was wird die davon haben? Sie werden dich betreuen, dir die Arbeit erklären und dafür sorgen, dass du eine erfüllende Aufgabe findest, bei der du möglichst keinen Schaden anrichtest. 6. Auf der Suche nach uns selbst Engel: Also jetzt mal langsam, langsam bitte. Du bist echt ziemlich gemein, was Du mir hier alles vorwirfst. Als ob ich das alles nur machen würde, um meinen Lebenslauf zu pimpen! Bestimmt lerne ich auch so viel über mich selbst, bestimmt verändere ich mich. Ja, Selbstverwirklichung, das erhoffe ich mir. Und dann komme ich zurück und kann meinen Freunden und meiner Familie von meinen tollen Erfahrung berichten, die werden bestimmt begeistert davon sein, was ich spannendes erlebt habe und überhaupt – was für eine spannende Person ich selbst bin! Teufel: Ist das nicht der eigentliche Grund deiner Reise, ein Egotrip ins Elend? Du hoffst, Sinn und Erfüllung in einer anderen Welt zu finden. Du willst in der Fremde eine andere Lebensweise und Identität ausprobieren können und das alles, wie praktisch, in der privilegierten Rolle einer Freiwilligen mit Rückflugticket und Betreuung. Du stattest den Benachteiligten einen Besuch ab, begibst Dich für eine Weile zu ihnen, mischst Dich unter diejenigen, mit denen Du in Deinem wahren Leben niemals Kontakt haben würdest – Campesin@s, Straßenkinder, Ausgebeutete - und dafür erwartest Du insgeheim Anerkennung und Lob von Familie und Freunden. Von deinen exotischen Erfahrungen werden bestimmt alle total beeindruckt sein.

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7. Umdeutungen und Rassismus Engel: Also mir reicht´s gleich, du bist echt total negativ drauf, richtig in Rage geredet hast du dich. Jetzt entspann dich doch mal etwas und mach dich doch mal frei davon, so schlimm kann das doch alles gar nicht sein, wie Du das hier schilderst. Stell Dir bloß folgende Szene vor: Ich ziehe durch die Straßen von Estelí, dann kann ich an einer dieser traditionellen Tanzveranstaltungen teilnehmen, bei dem alle diese wundervollen bunten Kleider tragen und viel singen und so viel tanzen! Die sind glücklich mit dem, was sie haben, die können sich eben ganz anders freuen als wir! Verstehst Du? Obwohl sie arm sind, geht es denen gut, sie lachen viel mehr, machen Musik, tanzen und überhaupt haben die sowieso viel mehr positive Lebensenergie als wir hier in Europa. Teufel: Klar, eine Nicaraguanerin im knallbunten Rüschenkleid ist cool, halt irgendwie authentisch. Aber bei der Vorstellung, selbst Trachtengewand der schwäbischen Alb anzuziehen, fängst du albern an zu kichern. Warum sollen die Menschen in Nicaragua ihre Traditionen bewahren, wenn du das selbst für dich ablehnst? Da misst du wohl mit zweierlei Maß, gestehst den Nicaraguaner_innen nicht zu, ebenfalls Modernisierung und Veränderung zu wollen. Die nicaraguanische Karrierefrau im Hosenanzug und mit Handy entspricht nicht deinen Erwartungen, die wirst du nicht fotografieren, weil sie dir nicht typisch vorkommt. Rassismus nennt man das! Arm, aber glücklich, meinst du? Und würdest du mit ihnen tauschen wollen? Wohl kaum. Für dich selbst zählt ein selbsterfülltes und erfolgreiches Leben, die Nicaraguaner_innen hingegen sollen unbeschwert und ursprünglich leben, eben ohne den ganzen Luxus und Konsum, auf den du doch nie verzichten würdest. Dann kannst du hin- und wieder eintauchen in „ihre Welt“ und ein bisschen Abenteuer erleben. Aber ist es nicht eigentlich eine Welt, die du alleine dir in deinem Kopf konstruierst und die gar nicht der Wirklichkeit entspricht? 8. Resümee Engel: Sag mal, was willst Du eigentlich? Du musst doch selbst zugeben, dass sich die Sichtweise auf die Welt ändert, wenn man selbst betroffen und involviert ist. Wie kann den sonst eine 18-jährige Heranwachsende für die mannigfaltigen zukünftigen Probleme einer globalisierten und immer enger zusammenrückenden Welt sensibilisiert werden? Klar, das ist eigentlich eine Frage der Erziehung – doch wer kann diese Aufgabe übernehmen? Das Schulsystem? Nach 13 Jahren bin ich mir sicher, die Schule kann es nicht. Die Medien? Da sind wir uns wahrscheinlich mal ausnahmsweise einig, dass die Medien dies auch nicht leisten. Wenn mir also jene Zusammenhänge nicht über Dritte vermittelt werden können, ist es dann nicht das Beste, es durch eigene Erfahrung zu lernen? Willst du wirklich, Dass ich zu Hause bleibe? Zu Hause bleiben kann doch keine Lösung sein! Teufel: Das musst du schon selber wissen. Aber hoffentlich ist dir wenigstens klar, dass du selber am meisten von deinem Aufenthalt profitieren wirst. Denn dein Aufenthalt wird finanziert durch öffentliche, also staatliche Gelder. Investiert wird in junge deutsche Menschen, deren neu gewonnene Kompetenzen später in der eigenen Gesellschaft produktiv verwertet werden sollen. Die Menschen und Organisationen im Süden gehen praktisch leer aus. Wenn du einen Freiwilligendienst machst, dann hoffentlich wenigstens mit Respekt, Vorsicht, Zurückhaltung und Dankbarkeit.

Engel-Teufel-Theater. © ASA weltwärts. www.asa-programm.de

Engel: Ja, denn zu Hause bleiben ist keine Lösung. Teufel: In die Fremde fahren auch nicht. Engel: Weißt Du was? Ich sag Tschüß, mit Dir komme ich nicht auf einen grünen Zweig! Teufel: Danke gleichfalls. (Beide gehen in unterschiedliche Richtungen ab.)

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