Studie Neue Rückenschule - Die Rückenschule

... die Absolvierung der Rücken- schule zu einer positiven Entwicklung der bestehen- .... Kondition und Koordination – waren Wissensvermitt- lung (Anatomie ...
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Studie Neue Rückenschule

R. Tutzschke, C. Borys, B. Nodop, C. Anders, O. Rößler, B. Strauß, H.-C. Scholle

Die Neue Rückenschule Ergebnisse zur Wirksamkeit – Fazit für die Praxis

Friedrich-Schiller-Universität Jena Bild: FSU/Günther

In Deutschland liegt die Lebenszeitprävalenz für Rückenschmerzen nach aktuellen Angaben des Robert-Koch-Institutes (RKI) bei 74 bis 85 % (Gesundheitsberichterstattung Rückenschmerz RKI 2012). Hierbei handelt es sich größtenteils um sogenannte unspezifische/nichtspezifische Rückenschmerzen, , d.h. es können keine spezifischen Ursachen, wie z.B. ein die Beschwerden erklärender Bandscheibenvorfall, nachgewiesen werden. In der Regel klingen diese akuten Schmerzen nach kurzer Zeit ohne weitere Folgen ab. 8

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Bei einem Teil der Betroffenen treten jedoch wiederholt Rückenschmerzen mit der Möglichkeit einer Chronifizierung auf. Nach eingetretener Chronifizierung (Beschwerdedauer über 3 Monate) wird von einem chronisch unspezifischen/nichtspezifischen Rückenschmerz (CURS) gesprochen. Derartige Beschwerdebilder verursachen dem Gesundheitssystem hohe direkte und indirekte Kosten. In Deutschland wird von zweistelligen Milliardenbeträgen ausgegangen (Statistisches Bundesamt, Krankheitskosten 2008; Gesundheitsberichterstattung Rückenschmerz RKI 2012). Mit dem Rückenschul-Ansatz wird seit der Gründung der ersten Rückenschule im Jahr 1969 in Schweden (Zachrisson-Forssel 1980) insbesondere versucht, Wiederholungen von unspezifischen Rückenschmerzepisoden zu vermeiden und der Chronifizierung von Rückenschmerzen vorzubeugen. Die ersten Rückenschulen hatten einen vorwiegend edukativen Charakter, d.h. die Aufklärung und Unterrichtung zu Problemen des Rückens standen im Vordergrund. Später kamen auch Rückenschul-Ansätze mit biomechanischer, medizinisch-psychologischer und sportpädagogischer Orientierung hinzu. In den 1990iger Jahren wurde die Rückenschule zunehmend kritisiert, wobei in diesen Publikationen von einem rein biomechanisch-edukativen Rückenschul-Ansatz ausgegangen wurde (Lühmann et al 1999, Airaksinen et al. 2004). Als Reaktion auf diese Kritik wurde 2004 die Konföderation der deutschen Rückenschulen (KddR) mit dem Ziel der „gemeinsamen Weiterentwicklung der präventiven Rückenschule“ gegründet. Aus dieser Initiative entwickelte sich die Neue Rückenschule mit biopsychosozialem Ansatz (Kempf 2010). Multimodale biopsychosoziale Konzepte bei chronischem Rückenschmerz wurden bereits 2004 in den europäischen Leitlinien (European guidelines for the management of chronic non-specific low back pain, Airaksinen et al. 2004; www.backpaineurope.org) empfohlen. Die Wirkung der Neuen Rückenschule auf biologische und psychologische Charakteristika der Rückenschulteilnehmer wurde jedoch erstmals in der hier vorgestellten Studie komplex überprüft. Neben diesem Hauptziel ist auch die Nachhaltigkeit der Neuen Rückenschule evaluiert worden. Da Effekte im Rahmen der Primärprävention methodisch schwer nachweisbar sind (www.versorgungsleitlinien.de, Kreuzschmerz), wurden in der dargestellten Studie Rückenschulteilnehmer unter einer überwiegend sekundärpräventiven Zielstellung analysiert. So wurde bei Rückenschulteilnehmern, die mehrheitlich bereits Erfahrung mit unspezifischen Rückenschmerzen hatten, untersucht, ob es nach der Rückenschule z.B. zu einer poDIE SÄULE 2/2013

Die Neue Rückenschule: eine präventive Maßnahme mit langfristigem Wirkungsnachweis

sitiven Entwicklung der bestehenden subjektiv erlebten Funktionsbeeinträchtigung, der Schmerzintensität und der rückenschmerzbedingten Arbeitsunfähigkeitstage kommt.

Fragestellung und Studiendesign Kernziele der Neuen Rückenschule mit ihrem biopsychosozialen Ansatz sind die Stärkung der physischen und psychosozialen Gesundheitsressourcen. Diese beiden Aspekte müssen sich deshalb auch im Untersuchungsdesign der Evaluierung widerspiegeln. Somit wurden folgende Fragestellungen in der Studie geprüft: 1. Sind die physischen Gesundheitsressourcen der Rückenschulteilnehmer durch koordinativ- und haltemotorische Aufgaben der Rumpfmuskulatur zu analysieren und mittels Oberflächen-EMG-Messungen (OEMG) zu kennzeichnen? Die eingesetzten Tests (Propriomed, Deviator, s. Abb. 1) waren nicht Bestandteil der im Rahmen der Studie verwendeten Übungen der Neuen Rückenschule, sind jedoch hinsichtlich der Fragestellung in Veröffentlichungen als wirksam beschrieben (Anders et al. 2008 a, b). 2.

Sind die psychischen Gesundheitsressourcen der Rückenschulteilnehmer durch Kennwerte zu charakterisieren, die u.a. schmerzbezogene Kognitionen und Schmerzbewältigungsverhalten, Depressivität sowie krankheitsbezogene Kontrollüberzeugungen erfassen?

Es wurde erwartet, dass die Absolvierung der Rückenschule zu einer positiven Entwicklung der bestehenden subjektiv erlebten Funktionsbeeinträchtigung, der Schmerzintensität und der rückenschmerzbedingten Arbeitsunfähigkeitstage führt. 9

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Es wurde angenommen, dass während der 3-monatigen Wartezeit (Untersuchungszeitpunkte vor Beginn der Rückenschule) keine signifikanten Parameterveränderungen nachweisbar sind. Ein signifikant positiver Verlauf wurde für den Zeitraum der 3-monatigen Rückenschulintervention erwartet. Diese positiven Auswirkungen der Rückenschulintervention wurden in abgeschwächter Form auch für die späteren Untersuchungszeitpunkte (3 und 12 Monate nach Abschluss der Rückenschule) erwartet.

OEMG-Untersuchung Abbildung 1: Analyse der koordinativ motorischen und haltemotorischen Kennwerte der Rückenschulteilnehmer mittels OEMG-Methoden. Die motorischen Aufgaben waren nicht Bestandteil der Rückenschulübungen. Es wurde das OEMG von funktionell wichtigen Rumpfund ausgewählten Beinmuskeln analysiert. Dazu gehörten der M. rectus abdominis (ra), M. obliquus abdominis internus (oi), M. obliquus abdominis externus (oe), M. multifidus lumbalis (mf ), M. longissimus (lo), M. biceps femoris (bf ) und M. rectus femoris (rf ).

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Abb.2: OEMG-Elektrodenlokalisation

OEMG-Elektrodenlokalisation Der Studienablauf, insbesondere die Untersuchungszeitpunkte und die Anzahl der Rückenschulteilnehmer, sind aus Abbildung 3 zu entnehmen.

untersucht (N=56; sogenannte „matched pairs“). Dabei wurden das individuelle Alter und der Body-Mass-Index (BMI) der Gruppe der Rückenschulteilnehmer und der Kontrollpersonen berücksichtigt.

Zusätzlich wurde eine ausreichende Anzahl von Kontrollpersonen mit den genannten OEMG-Methoden

Die Datenauswertung wurde mit der Statistiksoftware SPSS (Version 19.0) durchgeführt (uni- und multivaria-

Abb.1: haltemotorische Aufgabe: graduell abgestufte Kippung des Oberkörpers (Deviator, BFMC, Leipzig), Bild: UKJ

koordinativ motorische Aufgabe (Propriomed, HAIDER Bioswing, Pullenreuth), Bild: UKJ

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Abb. 3: Studienablauf

te Varianzanalysen unter Berücksichtigung von Messwiederholungen und Effektstärken).

Rückenschulintervention Die Rückenschulintervention wurde über 12 Wochen à 1,5 Stunden von drei Rückenschullehrern durchgeführt, die eine Ausbildung nach dem aktuellen Curriculum der KddR erhalten haben (Kempf 2010). Inhalte während der Rückenschulintervention – zusätzlich zum Training von Kondition und Koordination – waren Wissensvermittlung (Anatomie, Muskelfunktion, Verhaltenstheorien, Schmerz- und Stressbewältigung u.v.m.), Körperwahrnehmung, Haltungsschulungen, Entspannung sowie die Entwicklung selbstverantwortlicher Handlungsanreize und die Zielbindung im Hinblick auf eine langfristige gesundheitssportliche Aktivität (Kempf 2010). Jede Rückenschul-Gruppe umfasste maximal 10 Teilnehmer.

Ergebnisse Soziographische Daten Die Gesamtgruppe der Rückenschulteilnehmer bestand überwiegend aus einer Population mit sekundärpräventiver Zielstellung. Die Studienteilnehmer (N=88 mit vollständigen Daten zu Untersuchungsbeginn (Fragebögen)) waren durchschnittlich 47,2 Jahre alt und wiesen ein hohes Bildungsniveau auf (67 % Abitur bzw. Fachhochschulreife). 79,5 % der Rückenschulteilnehmer waren berufstätig. DIE SÄULE 2/2013

Psychologische Daten Die Schmerzintensität und funktionelle Beeinträchtigung der Untersuchten lagen mit Werten unterhalb von 30 % auf der Numerischen Ratingskala (NRS; auf Basis des Deutschen Schmerzfragebogens, s. Pfingsten et al. 2007) auf grundsätzlich niedrigem Niveau. Die Effektstärken (Maß für Bedeutsamkeit von Ergebnissen) der signifikanten Veränderungen (p