So tun, als ob

Einbandabbildung: Anonym, Capitan Spezzamonti e Bagattino, o.J.. Bibliografische ..... 10. Inhaltsverzeichnis. 5.4.1 Frederick Kroon: So tun, als ob man Bezug nehmen würde . . . . 185 .... Schiffer 2003. 3. Z.B. Lewis 1983, Woodbridge 2005.
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Mercolli ·

Was haben Lügen, Plagiieren, Schauspielern und Tagträumen gemeinsam? Ihnen allen liegt ein So-Tun-als-ob zugrunde. Der vielschichtige Begriff des So-Tuns-als-ob wird in diesem Buch einer eingehenden Analyse unterzogen, wobei in taxonomischer Weise verschiedene Arten von So-Tun-als-ob identifiziert werden. So-Tun-als-ob spielt nicht nur im Alltag, sondern auch in den aktuellen fiktionalitätstheoretischen Diskussionen eine wichtige Rolle. Eine Vielzahl von Theorien zieht den Begriff heran, um verschiedene Phänomene zu erklären, z.B. fiktionale Rede, Rede über Fiktion oder negative Existenzaussagen. In der vorliegenden Studie wird anhand der erarbeiteten Begriffsanalyse von So-Tun-alsob gezeigt, dass einerseits diese Inanspruchnahme des Begriffs auf keiner einheitlichen Auffassung von So-Tun-als-ob basiert und dass andererseits seine Schlüsselrolle in den fiktionalitätstheoretischen Debatten nur bedingt gerechtfertigt ist. Da der Begriff des So-Tuns-als-ob auch in anderen Disziplinen zum Begriffsinventar gehört, sind die Ergebnisse interdisziplinär in der Entwicklungspsychologie, den Kognitionswissenschaften, der Literatur- und Kunsttheorie anwendbar.

So tun, als ob

Laura Mercolli

So tun, als ob

Analyse und Systematik eines ungewöhnlichen Begriffs mit einer Anwendung auf Theorien der Fiktionalität

ISBN 978-3-89785-761-2

Mercolli · So tun, als ob

Laura Mercolli

So tun, als ob Analyse und Systematik eines ungewöhnlichen Begriffs mit einer Anwendung auf Theorien der Fiktionalität

mentis PADERBORN

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und der Karl Jaberg-Stiftung Einbandabbildung: Anonym, Capitan Spezzamonti e Bagattino, o.J.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier ∞ ISO 9706

© 2012 mentis Verlag GmbH Schulze-Delitzsch-Straße 19, D-33100 Paderborn www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Einbandgestaltung: Anna Braungart, Tübingen Satz: Rhema – Tim Doherty, Münster [ChH] (www.rhema-verlag.de) Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978-3-89785-761-2

Ai miei genitori

Inhaltsverzeichnis

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 1.1 1.2 1.2.1 1.2.1.1 1.2.1.2 1.2.2 1.2.2.1 1.2.2.2 1.2.2.3 1.2.2.4 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.3.1 1.3.3.2 1.3.4 1.3.4.1 1.3.4.2 1.3.5 1.3.6 1.4 1.4.1 1.4.2 1.5

Systematik des Begriffs . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interpersonales STAO . . . . . . . . . . . . . . . . Intransparentes STAO . . . . . . . . . . . . . . . . STAO, Täuschungsversuch und Täuschung . Zusammenfassung intransparentes STAO . . Transparentes STAO . . . . . . . . . . . . . . . . . Transparenz durch Gegengrund . . . . . . . . . Transparenz durch Entkräftung . . . . . . . . . . Transparentes STAO: alternative Explikation? Zusammenfassung transparentes STAO . . . . Vorstellungs-STAO . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele und einige begriffliche Merkmale . . Erster Vorschlag: Kontrafaktischer Ansatz . . Zweiter Vorschlag: Mentale Verursachung . . . Vorstellen als mögliches Explicans . . . . . . . . Explikation und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . Dritter Vorschlag: Assoziation . . . . . . . . . . Erläuterungen zum Ähnlichkeitsbegriff . . . . Erläuterungen zum Assoziationsbegriff . . . . Kommentar zur Explikation . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung Vorstellungs-STAO . . . . Unbeabsichtigtes STAO . . . . . . . . . . . . . . Unwissentliches STAO . . . . . . . . . . . . . . . Versehentliches STAO . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse der Systematik . . . . . . . . . . . . .

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15 15 18 25 27 28 28 30 31 33 35 35 35 39 41 41 44 45 46 48 49 50 51 51 52 53

2 2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.3.1.1 2.3.1.2

Begriffliche Merkmale . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Urheber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Verhältnis von Urheber und Adressat Ist Identität möglich? . . . . . . . . . . . . . . . Was alles schiefgehen kann . . . . . . . . . . .

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55 55 55 56 58 58 59

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Inhaltsverzeichnis

2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.5 2.5.1 2.6 2.7 2.7.1 2.8

Der Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Offensichtlich falsche Sachverhalte . . . . . . . . . . . Offensichtlich wahre Sachverhalte . . . . . . . . . . . p bewahrheitet sich beim STAO-Akt . . . . . . . . . Sachverhalte, die sich auf den Adressaten beziehen Das Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Verhältnis von Inhalt und Mittel . . . . . . . . Kombinierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Iterierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermeintliche Iteration . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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60 61 61 63 64 64 66 67 68 70 71

3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.3.1 3.2.3.2 3.2.3.3 3.2.4 3.2.4.1 3.2.4.2 3.2.4.3 3.2.4.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.3.1 3.3.3.2 3.3.3.3 3.3.4 3.3.4.1 3.3.4.2 3.3.4.3 3.3.4.4 3.3.4.5 3.3.5 3.3.5.1 3.3.5.2

Abgrenzung von anderen Begriffen . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Täuschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Explikation von Täuschen . . . . . . . . . . . . . . . . Arten der Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beabsichtigte Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . Unbeabsichtigte Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkundung des Begriffsfeldes der Täuschung . . . Verheimlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manipulieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezifische Arten des Täuschungsversuchs . . . . . Spezifische Arten der Täuschung . . . . . . . . . . . . Lügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der paradigmatische Fall von Lügen . . . . . . . . . Grundpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Moralisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Mainstream . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Zwischenweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Worüber Einigkeit herrscht . . . . . . . . . . . . . . . Lügen ist adressatengerichtet . . . . . . . . . . . . . . Lügen ist kein Erfolgsverb . . . . . . . . . . . . . . . . Nicht alle Falschheiten sind Lügen . . . . . . . . . . . Man kann mit wahren Aussagen täuschen wollen S muss nicht wissen, dass p falsch ist . . . . . . . . . Woran sich die Geister scheiden . . . . . . . . . . . . Inwiefern sagt S etwas? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welchen doxastischen Zustand muss S einnehmen?

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73 73 73 73 74 79 79 80 84 85 85 86 86 89 90 90 91 93 93 95 95 96 96 97 97 98 99 99 100 104

9

Inhaltsverzeichnis

3.3.5.3 3.3.5.4 3.3.6 3.3.7 3.3.7.1 3.3.7.2 3.4

Ist die Täuschungsabsicht notwendig? . . . . . Ist die Falschheit von p notwendig? . . . . . . . Eigene Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lügen und STAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wodurch sich Lügen von STAO unterscheidet Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 106 . 109 . 111 . 112 . 112 . 113 . 115

4 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.4 4.4.1 4.4.2 4.5 4.5.1 4.5.2 4.6 4.6.1 4.6.2 4.7

Ein Blick auf bestehende Positionen . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gilbert Ryle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . STAO als komplexe Rollenhandlung . . . . . . . . . . . . . . Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . John L. Austin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . STAO als Vertuschungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. E. M. Anscombe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . STAO als absichtliches Erwecken eines falschen Eindrucks Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alan M. Leslie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der metarepräsentationale Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Shaun Nichols und Stephen Stich . . . . . . . . . . . . . . . . Der boxologische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.1.1 5.2.1.2 5.2.1.3 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.3 5.3.1 5.3.1.1 5.3.1.2 5.4

Anwendung der Systematik . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fiktionale Rede als So-Tun-als-ob . . . . . . . . . . . . John R. Searle: So tun, als ob man q behauptete . . Darstellung von Searles Idee . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendung der Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . Leistungsfähigkeit des STAO-Begriffs . . . . . . . . . Schiffer, Thomasson u. a.: So tun, als ob s wahr wäre Gregory Currie: STAO liegt beim Rezipienten . . . Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der ontologische Status fiktiver Objekte . . . . . . . . Kendall Walton: Antirealist dank STAO? . . . . . . . Darstellung von Waltons Strategie . . . . . . . . . . . . Anwendung der STAO-Systematik . . . . . . . . . . . Die Analyse negativer Existenzaussagen . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

5.4.1 5.4.1.1 5.4.1.2 5.4.1.3 5.5

Frederick Kroon: So tun, als ob man Bezug nehmen würde Darstellung von Kroons Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendung der STAO-Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . Leistungsfähigkeit des STAO-Begriffs . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse der Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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185 185 187 189 192

6

Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis

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206

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Personenregister Sachregister

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Danksagung Dieses Buch ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die 2010 von der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern angenommen wurde. Ohne die Hilfe von verschiedener Seite wäre die vorliegende Arbeit in dieser Form nicht möglich gewesen. In erster Linie möchte ich meinen beiden Betreuern danken. Klaus Petrus und Andreas Kemmerling haben sich nicht nur bereitwillig Zeit genommen, um mir in inhaltlichen Fragen zur Seite zu stehen, sie haben mich auch stets in meinem Vorhaben ermutigt. Ich habe von ihnen als philosophische Lehrer viel gelernt. Für die anregenden Diskussionen und wertvollen Hinweise möchte ich den Teilnehmenden der Kolloquien in Heidelberg und Bern und Béatrice Lienemann meinen Dank aussprechen. Sie haben die Entstehung dieser Arbeit stückweise mitverfolgt und mit Argusaugen wunde Punkte aufgespürt. Durch ihre Hilfe ist die Arbeit an Unzulänglichkeiten ärmer geworden. Lorenzo Mercolli und Beate Sachsenweger danke ich dafür, dass ich ihr technisches Know-how anzapfen durfte. Meinen Eltern bin ich für ihre vorbehaltlose Unterstützung nicht philosophischer Art dankbar. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet. Ganz besonderer Dank gebührt Lukas Rosenberger. Er hat geduldig zugehört und kritisch kommentiert und ist mittlerweile zum Experten in Sachen So-Tunals-ob geworden. Seine Unterstützung und Liebe sind grösser als ich zu hoffen wagte. Schliesslich möchte ich dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, dem Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD) und der Paul und Getrud Hofer-Wild-Stiftung für die grosszügige finanzielle Unterstützung während des Promotionsstudiums und dem Schweizerischen Nationalfonds sowie der Karl Jaberg-Stiftung für die Gewährung der Druckkostenzuschüsse danken. Bern, Herbst 2011

Laura Mercolli

Einleitung So-Tun-als-ob begegnet uns, wenn der Präsidentschaftskandidat seinen Wahlkampf bestreitet, wenn wir im Kino sitzen oder wenn Vreneli im Kindergarten Bärenfamilie spielt. Wir betreiben Imagepflege, schlüpfen in Rollen, machen jemandem ein X für ein U vor, verheimlichen, tarnen, lügen, plagiieren, erdichten, fabulieren – So-Tun-als-ob ist ein steter Begleiter in unseren sozialen, literarischen und virtuellen Realitäten. Allein die Vielschichtigkeit des Begriffs und seine Einbettung in ein weitläufiges und komplexes Begriffsnetz machen eine sprachphilosophische Beschäftigung mit dem Begriff des So-Tuns-als-ob interessant und lohnenswert, zumal das Feld in dieser Hinsicht ein kaum beackertes ist. Was bedeutet »so tun, als ob«? Was ist der Unterschied zwischen Sein und Schein, zwischen Tun und So-Tun-als-ob? Auf welche verschiedenen Arten können wir so tun, als ob? Das sind die Fragen, denen ich mich als Erstes zuwenden werde. In Kapitel 1, welches das erste Kernstück der Arbeit konstituiert, werde ich eine Systematik der verschiedenen Typen von So-Tun-als-ob entwickeln und mit Explikationen der Typen von So-Tun-als-ob eine detaillierte Begriffsanalyse vorlegen. Ich betreibe, wie es bei Grice programmatisch heisst, linguistic botanizing, 1 das Auffächern und Systematisieren eines Begriffs entlang begrifflich-logischer Dimensionen. In Kapitel 2 erarbeite ich die wichtigsten begrifflichen Merkmale von So-Tun-als-ob und in Kapitel 3 nehme ich verwandte Begriffe wie Lügen, Täuschen oder Verheimlichen unter die Lupe. Die Untersuchung zum Begriff des So-Tuns-als-ob beschliesse ich mit einer Diskussion der in spärlicher Anzahl bereits vorhandenen Explikationen (Kapitel 4). Die Entwicklung einer Systematik des Begriffs des So-Tuns-als-ob geschieht jedoch nicht nur um ihrer selbst willen. Es gibt eine zusätzliche Motivation hinter der vorliegenden Arbeit: Der Begriff des So-Tuns-als-ob findet nicht nur im Alltag seine Verbreitung, sondern auch in wissenschaftlichen Theorien. So wird der Begriff des So-Tuns-als-ob beispielsweise in den jüngeren und jüngsten philosophischen Debatten um das Phänomen der Fiktionalität von verschiedener Seite als Schlüsselbegriff in Anspruch genommen. Er soll dabei ganz Unterschiedliches leisten: Erstens greifen verschiedene Exponenten auf ihn zurück, um den Unterschied zwischen fiktionaler Rede und Rede über Fiktion zu erklären. 2 Zweitens wird versucht, ihn fruchtbar zu machen für eine Analyse von Wahrheit oder Wahrheit in der Fiktion. 3 Drittens wird die Auffassung vertreten, dass sämtliche Kontexte, in denen Namen fiktiver Personen oder Gegenstände vorkommen, mit einem So-Tun-als-ob in Verbindung gebracht werden können. Dadurch soll ein 1

Grice 1986, 57. Z.B. Searle 1979, Schiffer 2003. 3 Z.B. Lewis 1983, Woodbridge 2005. 2

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Einleitung

Antirealismus bezüglich fiktiver Entitäten ermöglicht werden. Diese Position wird am prominentesten von Kendall Walton vertreten. 4 Der Begriff des So-Tuns-als-ob wird viertens verwendet, um zu einer zufriedenstellenden Analyse negativer Existenzaussagen zu gelangen. 5 Fünftens soll er gewissen Sprachphilosophen zufolge als Basis für eine Lösung des Problems der Informativität von Identitätsaussagen dienen. 6 Schliesslich wird auf den Begriff rekurriert, um emotionale Anteilnahme an fiktionalem Geschehen zu erklären. 7 Die Tatsache, dass der Begriff des So-Tuns-als-ob in unterschiedlichen Theorien zur Erklärung unterschiedlicher Phänomene herangezogen wird, lässt vermuten, dass nicht alle vom Gleichen sprechen, wenn sie den Ausdruck »so tun, als ob« verwenden. Dies umso mehr, als der Begriff jeweils unhinterfragt übernommen wird und sich jede Theorie diejenigen Bedeutungsaspekte zunutze macht, die ihr gerade dienlich sind. Die begriffliche Konfusion, die ich den betreffenden Philosophen diagnostiziere, lässt weiter vermuten, dass der herangezogene Begriff des So-Tuns-als-ob nicht in allen Fällen das Geforderte zu leisten vermag. Diese Vermutungen können mit Hilfe meiner Begriffsanalyse überprüft werden. In Kapitel 5, dem zweiten Kernstück der Arbeit, wende ich deshalb die in Kapitel 1 ausgearbeitete Systematik des Begriffs des So-Tuns-als-ob auf einige der genannten Fiktionalitätstheorien an. Dabei rekonstruiere ich die Rolle, die der Begriff in der jeweiligen Theorie spielt, und kläre, auf welchen Begriff unter dem Etikett »so tun, als ob« letztendlich rekurriert wird. Die Ergebnisse sind vielfältig: Es werden nicht nur unterschiedliche Typen von So-Tun-als-ob in Anspruch genommen, auch andere alltagssprachliche Begriffe und eigens für ihren Zweck konstruierte theoretische Begriffe werden unter dem Etikett »so tun, als ob« zur Erklärung fiktionaler Phänomene herangezogen. Der Erfolg der verschiedenen Inanspruchnahmen eines (Pseudo-)So-Tuns-als-ob ist allerdings bescheiden. Die Anwendung meiner Systematik des Begriffs des So-Tuns-als-ob ermöglicht nämlich nicht nur die Formulierung neuer Einwände aus einer begrifflichen Perspektive, sie ermöglicht auch die Untersuchung der Leistungsfähigkeit des Begriffs. Wie sich herausstellen wird, leistet der herangezogene Begriff das Geforderte meistens nicht: weil er nicht das gesamte Phänomen erklären kann, weil er unvollständig ist oder weil er für die Erklärung des betreffenden Phänomens schlicht überflüssig ist. Der Status als Schlüsselbegriff von Fiktionalitätstheorien, den der Begriff des So-Tuns-als-ob gegenwärtig innehat, erweist sich damit als nur bedingt gerechtfertigt.

4

Z.B. in Walton 1978b, Walton 1990 oder Walton 2000. Z.B. Evans 1982, Kroon 2003b. 6 Z.B. Crimmins 1998, Kroon 2001. 7 Z.B. Walton 1978a, Friend 2000. 5