Schinkel oder Die Ökonomie des Ästhetischen

Triffst du nur das Zauberwort. Joseph von Eichendorff .... Ladendorfs Sicht zu erwähnen, der in der hoch zu Ross reitenden Gestalt Fortuna erkennt8; inwieweit ...
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Schinkel oder Die Ökonomie des Ästhetischen

Schläft ein Lied in allen Dingen, Die da träumen fort und fort, Und die Welt hebt an zu klingen, Triffst du nur das Zauberwort. Joseph von Eichendorff

Reinhart Strecke

SCHINKEL oder Die Ökonomie des Ästhetischen

Lukas Verlag

Titelbild: Die Factoreien von Manchester, nach Schinkels Aufzeichnungen seiner Englandreise 1826

© by Lukas Verlag Erstausgabe, 1. Auflage 2017 Alle Rechte vorbehalten Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte Kollwitzstraße 57 D 10405 Berlin www.lukasverlag.com Gestaltung: Lukas Verlag Druck: Elbe-Druckerei Wittenberg Printed in Germany ISBN 978-3-86732-295-9

Zur Sache

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I.  Verlorene Illusionen. Sieben Millionen, Araber und Ischia

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II. Schinkels Dilemma. Neue Herausforderungen, verkannte Lösungen

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III. Ökonomiebau statt Prachtbau: das öffentliche Bauwesen

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IV. Ästhetik als Wissenschaft

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V. Architektur ganz ohne Pathos

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VI. Die Stadt richtet sich neu aus und ein

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VII. Schinkel zwischen Reform und Revolution

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Bildnachweise 112

Zur Sache

So sehr sich die Literatur zu Schinkel auch verzweigt, eine Lesart behauptet sich nach wie vor als bestimmend, selten nur in Frage gestellt und vielleicht derzeit (gleichsam im Schatten des Wiederaufbaus von Berliner Schloss und Potsdamer Garnisonskirche, während dem Erhalt der Friedrichswerderschen Kirche die nötigen Fürsprecher fehlen) mehr denn je: die bei den Deutschen seit dem 19. Jahrhundert weit verbreitete immer gleiche Geschichte vom Genie, das allein Künstler sein will im Dienste des Guten, Schönen und Wahren. Einmal mehr bleibt mit Hans Magnus Enzensberger zu konstatieren: »Da ist zu wenig Welt drin.«1 Selbst da, wo man Schinkel historisch fassen möchte, verschieben sich allenfalls die Kulissen, der Bühnenzettel bleibt jedoch der gleiche, solange nicht die für das Verständnis der damaligen Zeit so aufschlussreichen Fragen ernst genommen werden, wie sie bahnbrechend seit Kosellecks »Preußen zwischen Reform und Revolution« gestellt sind. Daher sei hier zunächst herausgestellt, wie sehr Schinkel schon bald die in Preußen wieder tonangebende Reaktion miterleben musste (Kap. I) und die Desillusionierung des Reformbeamtentums auch ihn tangierte (Kap. II), zumal im Wissen um den damaligen Wandel vom Pracht- zum Ökonomiebau, den später so genannten »öffentlichen Arbeiten«, mit allen seinen Konflikten (Kap. III). In der Auseinandersetzung um die Folgen dieses Paradigmenwechsels im Ästhetischen bezog Schinkel eindeutig Position und trug er konsequent dem in einer systematischen Mathematisierung gründenden Bruch Rechnung (Kap. IV). Unter dem Eindruck seiner England-Reise und der in der Folge errichteten Bauten (Gewerbeakademie, Bauakademie) bzw. Planungen (Kaufhaus, Bibliothek) wird einsichtig, wie sich ihm eine autonome Ästhetik des öffentlichen Bauwesens erschließt; in der Ökonomie des Ästhetischen gewinnt die moderne Architektur Form, und eine ungekannte »Welt hebt an zu klingen« (Kap. V). Erst recht sind diese Bauten der Modernität im heutigen Verständnis zuzuordnen, wenn sie im Zusammenhang mit den urbanen Veränderungen der aufkommenden Industrie- und Großstädte gesehen werden (Kap. VI). Von daher ist es nur folgerichtig, dass es, alles andere als apolitisch, Junghegelianer waren, denen erstmals an einer Darstellung von Schinkels Leben und Werk gelegen war (Kap. VII).

1

Die Presse, 23.10.2010.

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I.  Verlorene Illusionen. Sieben Millionen, Araber und Ischia

Die immer schwerer zu überschauende Literatur zu Karl Friedrich Schinkel vor Augen, sind es vorderhand die umfassend angelegten Darstellungen seines Lebenswerks, die noch Übersicht verschaffen. Besonders vielversprechend nahm sich hier die jüngste Gesamtschau aus, die das Berliner Kupferstichkabinett Schinkel gewidmet hat und seinem Erbe als Architekt, Maler, Zeichner, aber auch Bühnenbildner und Designer.2 Katalog und ein zugehöriges Studienbuch sind von Anlage und Zielsetzung um so aufschlussreicher als der naheliegende Vergleich mit den entsprechenden Ausstellungen anlässlich seines 200. Geburtstages erkennen lässt, welche weiteren Einsichten die Forschung seitdem tatsächlich gewonnen hat3, war doch schon dort das ganze Spektrum von Schinkels Schaffen und Wirken differenziert aufgefächert bis hin zu seinen Möbelentwürfen oder seinem Anteil an der Gewerbeförderung in Preußen. Erhöhte Aufmerksamkeit kam, so gesehen, den Exponaten zu, die, nachdem sie lange als verschollen galten, nunmehr erneut im Original zu sehen waren. Neben einfühlsamen Bildnissen seiner Kinder Marie, Susanne und Karl war es insbesondere eine Beuth gewidmete, seit den 1990er Jahren wieder aufgefundene Schinkel-Zeichnung4, die zugleich zur attraktiven Umschlagillustration des Studienbuchs avancierte: Beuth auf Pegasus über einer Fabrikstadt reitend. Lange Zeit war diese panoramaartige Komposition nicht weiter beachtet worden, und zunächst lediglich an entlegener Stelle, in einer Abhandlung über die Gewerbeförderung in Preußen abgedruckt worden.5 Noch 1980/81 resümierte Christine Hoffmeister: »In der umfangreichen Schinkel-Literatur ist dieses Aquarell nur äußerst selten erwähnt, m. W. nirgends abgebildet und seine soziale Repräsentanz nie gewürdigt worden.«6 Das Manko, dass das Flugbild nicht in der Ausstellung gezeigt werden konnte (die Zeichnung galt seit Kriegsende als verschollen) und im Katalog dem Kapitel »Reise durch England, Schottland und Wales« lediglich als unscharfe Schwarzweißaufnahme beigegeben war, wog sie mit dessen um so eindrücklicheren 2 Karl Friedrich Schinkel. Geschichte und Poesie, Katalog hg. v. Hein-Th. Schulze Altcappenberg u. a., Berlin 2012 sowie Karl Friedrich Schinkel. Geschichte und Poesie, Studienbuch hg. v. Hein-Th. Schulze Altcappenberg und Rolf H. Johannsen, Berlin 2011. 3 Hier ist zunächst an die unter Federführung von Gottfried Riemann vom (damals Ost-)Berliner Kupferstichkabinett und der Sammlung der Zeichnungen gezeigte Ausstellung gedacht; insbesondere für die Malerei bliebe sie durch die in (West-) Berlin von Helmut Börsch-Supan kuratierte Ausstellung zu ergänzen. 4 Gottfried Riemann: Ahnung und Gegenwart. Zeichnungen und Aquarelle der deutschen Romantik im Berliner Kupferstichkabinett, Berlin 1994, S. 156. 5 Conrad Matschoss: Preußens Gewerbeförderung und ihre großen Männer, Berlin 1921, S. 72. 6 Christine Hoffmeister: Schinkel und die englische industrielle Revolution, in: Karl Friedrich Schinkel. Katalog zur Ausstellung der Staatlichen Museen zu Berlin, Berlin 1982, S. 387–392, S. 391, Anm. 26.

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Schilderung in einem eigenen »Schinkel und die englische industrielle Revolution« überschriebenen Beitrag auf. Von daher dürften gerade der seitdem auch in der Kunstgeschichte dieser Zeichnung beigemessene zentrale Stellenwert und der nunmehr am Original wieder zu verifizierende Befund deutlich werden lassen, ob und inwieweit sich das Erkenntnisinteresse der Schinkel-Forschung zwischenzeitlich spezifiziert und geschärft hat. Schinkel hatte das Blatt 1837 seinem Förderer, Freund und Weggefährten dediziert: Seifenblasend auf dem geflügelten Pferd reitend überschaut er eine prosperierende Industriestadt: vor einem bergigen Horizont erstrecken sich weitläufige Fabrikanlagen mit einem planvoll ausgebauten Fluss- und Kanalsystem für schweren Transportverkehr, überall qualmende Schlote zeugen von der Wucht der Industrialisierung; am unteren Bildrand aufquellende Rauchschwaden sind indessen au fond aufgerissen, und ein Blick in Beuths Arbeitszimmer tut sich auf, das dieser Utopie gleichsam zugrunde zu liegen scheint. Die Identifizierung ist durch Beuths eigenen Kommentar verbürgt: »Unter Andeutung eines Zimmers, welches ich zuerst im Gewerbe-Institut bewohnte. Ich schwebe über einer von mir gegründeten Fabrikstadt auf dem Pegasus und mache Seifenblasen.«7 Hoffmeister folgt Beuths Darstellung, nicht ohne in den Anmerkungen auch Heinz Ladendorfs Sicht zu erwähnen, der in der hoch zu Ross reitenden Gestalt Fortuna erkennt8; inwieweit Ladendorf Beuths Interpretation präsent war und von ihm abgelehnt wurde, bleibt allerdings offen. Dem Bildverständnis des Beschenkten kommt jedoch umso mehr Bedeutung zu, als es nicht zuletzt im gemeinsamen Gedankenaustausch mit dem Schenkenden gründen dürfte. Den allein beiden Freunden zugänglichen Anspielungen muss es dann auch nicht unbedingt widersprechen, wenn auf der wieder aufgefundenen Zeichnung die reitende Gestalt durchaus weibliche Züge zeigt9; für das Gesamtverständnis entscheidend ist, wie Beuth dieses persönlich gedachte Präsent aufgenommen hat und er sich in der reitenden Gestalt personifiziert sehen konnte. Entsprechend stellen auch Riemann sowie Börsch-Supan Beuths Ritt auf Pegasus nicht in Frage. Beuths Deutung wird umso stimmiger, als Hoffmeister die Zeichnung nachvollziehbar mit Eindrücken in Verbindung setzte, die Beuth und Schinkel 1826 auf ihrer gemeinsamen Reise durch England, Schottland und Wales gewonnen haben. Weitere Indizien hierfür zeigten dann Reinhard Wegener und Gottfried Riemann auf. Wegener macht auf die Übereinstimmungen zwischen einzelnen Brennöfen dieser Industriestadt und den Potteries von Newcastle aufmerksam, die Schinkel vor Ort gezeichnet hat.10 7 Aus Schinkels Nachlass, hg. v. Alfred von Wolzogen, Bd. 2, Berlin 1862, S. 337. 8 Heinz Ladendorf: Fragen der Motivuntersuchung, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HumboldtUniversität zu Berlin, Jg. 5 (1955/56), Nr. 2, S. 161–166, S. 164. 9 Hein-Th. Schulze Altcappenberg: »Letzte Lebensphilosophie«. Die Allegorien auf Peter Beuth, in: Karl Friedrich Schinkel. Geschichte und Poesie, das Studienbuch (wie Anm. 2), S. 199–210, S. 205. Altcappenbergs Fortuna-Deutung geht leider nicht auf Ladendorf ein. 10 Die Reise nach Frankreich und England im Jahre 1826, Schinkel Lebenswerk, Bd. 16, bearb. v. Reinhard Wegner, München 1990, Abb. 60.

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Beuth auf Pegasus. Ungeachtet aller verlorenen Illusionen (ausgebliebener Ministerruhm, unerfüllt gebliebene Lebensentwürfe) blieb Beuth die heroische Leistung, Preußen den Weg in eine prosperierende industrielle Zukunft eröffnet zu haben.

Riemann hebt auf Eindrücke besonders in Manchester und Birmingham ab, auf die hier angespielt wird.11 Auf die Zeit der England-Reise verweist auch die Präzisierung von Helmut Börsch-Supan, dass gerade das Arbeitszimmer wiedergegeben ist, das Beuth noch zur damaligen Zeit nutzte, bevor dann 1828/29 das Mezzanin des als Gewerbe-Institut eingerichteten Palais Creutz zu einem vollwertigen Geschoss und zu Beuths Dienstwohnung ausgebaut wurde.12

11 Riemann (wie Anm. 4), S. 156. 12 Helmut Börsch-Supan: Bild-Erfindungen, Schinkel Lebenswerk, Bd. 20, München 2007, S. 536.

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