Rezension: Lucio Cornelio Silla – G.F. Händel

06.06.2015 - Tyrannen Roms aus der Spätphase der Republik Sinn, eines willkürlichen ... Frage 2: Der renommierte britische Regisseur Stephen Lawless hat inszeniert,. Bühnenbild und Kostüme ... Wenn man so will französische,.
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Online erschienen: www.mdrfigaro.de , 06.06.15

MDR Figaro, Figaro am Morgen, 06.06. 2015, . 08.40 Uhr

Rezension: Lucio Cornelio Silla – G.F. Händel Opernhaus Halle Anmoderation: Mit einem echten Thriller und einer Rarität wartet die Oper Halle am Beginn der diesjährigen Händelfestspiele auf, mit der Oper „Lucio Cornelio Silla“. Die noch nie in diesem Jahrhundert szenisch aufgeführt wurde. Gestern Abend war in Halle Premiere. Dieter David Scholz war für uns dabei. Frage 1: Herr Scholz, „Lucio Cornelio Silla“ gilt als kürzeste der Opern Händels, als die mit dem schlechtesten Libretto, und es ist nicht ganz geklärt, ob sie zu Lebzeiten Händels je aufgeführt wurde. Was ist dran, an diesen Vorurteilen.? Die treffen alle zu. Die Oper dauert nur zwei Stunden. Was nicht gegen sie spricht. Im Gegenteil. Ein menschliches Maß, zumal bei subtropischen Temperaturen im Zuschauerraum. Man weiß wirklich nichts Genaues über die Entstehungs- und Aufführungsgeschichte des Stücks. Die Meinungen der Gelehrten gehen auseinander. Ob es zu Lebzeiten je eine Aufführung gab, etwa am Queens Theatre, 1713 ist nicht mehr nachzuprüfen. Dass das Stück an einem Liebhabertheater aufgeführt wurde, wie gelegentlich behauptet wird, ist unwahrscheinlich angesichts der anspruchsvollen und virtuosen Gesangspartien. Das Libretto von Giacomo Rossi mit seiner verwirrenden Fülle an Geschehnissen und absurden Handlungsumschwüngen ist wirklich nicht ganz nachzuvollziehen und grenzt ans Unglaubwürdige. Was sicher ist, daß dieses Stück wohl ein Auftragswerk des Duc d´Aumont de Rochbaron, eines Sonderbotschafters Ludwigs des Vierzehnten am Englischen Hof war. Und so darf das Stück in seiner kruden Drastik vielleicht verstanden werden als chiffriertes politisches Manifest gegen den in der Gestalt des größenwahnsinnigen Silla porträtierten Duke of Marlborough, des Oberbefehlshabers der englischen Streitkräfte, der ein Feindbild der Franzosen war. Und da macht natürlich – wenn auch noch so opernhaft verknappt und überzeichnet - die Figur eines der grausamsten und widersprüchlichsten Tyrannen Roms aus der Spätphase der Republik Sinn, eines willkürlichen Gewaltherrschers und erotischen Wüstlings sondergleichen. Frage 2: Der renommierte britische Regisseur Stephen Lawless hat inszeniert, Bühnenbild und Kostüme verantwortet Frank Philipp Schlößmann, der in die-

sem Jahr auch den „Tristan“ in Bayreuth ausstattet. Wie bringen die beiden das Stück auf die Bühne? Ich habe es ja eben schon angedeutet: das Stück ist wohl eine Spiegelung aktueller Politik im Gewand römischer Geschichte. Wenn man so will französische, antienglische Propaganda. Stephen Lawless und Frank Philipp Schlossmann drehen den Spieß nun um und dechiffrieren diese römische Geschichte aus der Sicht von heute auf Gewaltherrschaften im 20. Jahrhundert . Sie zeigen das Stück im italienischen Mussolini-Faschismus, in massiv und schwarz weiß gebauten römischen Zimmerfluchten auf der Drehbühne des Halleschen Opernhauses. Es wird auch gespielt mit dem Medium Film. Immer wieder gibt es Kriegsfilmüberblendungen. LucioSilla tritt auf wie der Duce persönlich. Gezeigt werden Aufstieg und Abgang, erotische Maßlosigkeit, Personenkult und Psychogramm eines Diktators. Lawless zeigt den allmählichen Verfall Sillas, der mit seinem willkürlichen Verhalten selbst vor seinem unmittelbaren Umfeld, nicht halt macht und am Ende ganz überraschend seinen Rücktritt erklärt. Doch Lawlesss und Schlößmann trauen dem relativ glimpflichen Ausgang nicht und zeigen im dritten Akt, wie Silla von den gegen ihn aufbegehrenden engsten Vertrauten in der eigenen Badewanne ertränkt wird, allerdings auf nicht ganz nachvollziehbare Weise wieder ins Leben zurückkehrt. Das kommt im Stück allerdings nicht vor. Und statt des Schiffbruchs auf hoher See und wunderbarer Rettung endet die Inszenierung mit einer Apotheose des Diktators vor Zypressenhain. Alle Verschwörer, mit gepackten Koffern antretend, sinken, wie erschossen in sich zusammen, der Diktator triumphiert in Heldenpose. Ein Bombardierungsvideo beendet die Aufführung. Das ist etwas dick aufgetragen und ein weit vom Stück entfernter Kommentar aus heutiger Sicht. Nichts desto trotz eine insgesamt schlüssige, eine sehenswerte Produktion. Frage 3: A und O aller Händelopern sind die Sänger. Wie hat man das Stück denn in Halle sängerisch besetzt? Die Sängerbesetzung dieser in diesem Jahrhundert zum ersten Mal auf der Bühne gezeigten Oper ist durch die Bank ausgezeichnet. Der florentinische Counter Filippo Mineccia singt und spielt einen glaubwürdig unsympathischen, narzisstisch gestörten Silla alias Mussolini. Für seinen Leibarzt Lepido hat man den amerikanischen Counter Jeffrey Kim verpflichtet, der vor drei Jahren erstmals in Halle zu hören war. Und die vorzügliche Damenriege mit Ines Lex Antigone Papoulkas und Eva Bauchmüller wird eindrucksvoll angeführt von Romelia Lichtenstein, die nach wie vor eine imposante Barocksängerin ist.

Frage 4: Das Händelfestspielorchester spielt in diesem Jahr zum ersten Mal unter Leitung des Alte-Musik-Spezialisten Enrico Onofri, der sich mit dem Ensemble Il Giardino Armonico einen Namen gemacht hat. Wie hat er das Stück musikalisch reanimiert? Außerordentlich temperamentvoll, kraftvoll und markant in Phrasierung wie Farbgebung. Das torsohaft erhaltene Stück ist ja erst vor gut zwanzig Jahren von dem hochangesehenen Oxford-Professor Terenc Best, einem der beiden leitenden Editoren der Halleschen Händel-Ausgabe, rekonstruiert und in einer aufführbaren Partitur vorgelegt worden. Die szenische Uraufführung dieser Fassung lag bei Enricco Onofri in besten Händen. Er hat dem Stück das gegeben, was s braucht: Vitalität und Drive.