Reisetagebuch Alpenüberquerung E5 Oberstdorf-Meran

aus 12 Teilnehmern, wobei der Jüngste 23 Jahre alt war und die Älteste 63 Jahre. Geführt wurden wir von unserem Bergführer Mathies Sinz, der im zarten Alter ...
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Reisetagebuch Alpenüberquerung E5 Oberstdorf-Meran Mein Name ist Felix Schüßeler und als 27-Jähriger hatte ich im Juli 2018 das Vergnügen gemeinsam mit meiner Familie und weiteren Teilnehmern die Alpen auf dem Fernwanderweg E5 von Oberstdorf nach Meran zu überwinden. Unsere Gruppe bestand aus 12 Teilnehmern, wobei der Jüngste 23 Jahre alt war und die Älteste 63 Jahre. Geführt wurden wir von unserem Bergführer Mathies Sinz, der im zarten Alter von 17 Jahren seine erste Gruppe über die Alpen gebracht hatte und über eine dementsprechend hohe Erfahrung verfügte. Meine Erlebnisse, Gedanken und Eindrücke möchte ich im Folgendeneinerseits um sie für die Zukunft zu konservieren, aber auch um anderen Menschen, die überlegen eine solches Abenteuer anzutreten, einen Einblick zu geben. Samstag – Tag 1: „Verlass deine Komfortzone“ Treffpunkt am Bahnhof Oberstdorf am OASE Stützpunkt. Die Bergführer der beiden Reisegruppen kontrollierten das Gewicht der Wanderrucksäcke. Ich stellte mit meinem viel zu schweren 65 Liter fassenden Rucksack einen neuen Rekord von 15 Kilo auf (8-10 Kilo waren je nach Statur erlaubt) , was zu Verwunderung und kameradschaftlicher Belustigung führte. Von der OASE wurde mir ein leichterer Rucksack zur Verfügung gestellt und unter Anleitung der Bergführer packte ich meinen Rucksack erneut. Nachdem alle Teilnehmer startklar waren, brachen wir zum Aufstieg zur Kemptner-Hütte auf. Diese große Schutzhütte bietet bis zu 300 Menschen Kost und Logis. Dank der guten Reiseorganisation durch OASE war uns ein Schlafplatz und Verpflegung in allen Hütten sicher. Als ich meinen Rucksack auspackte fiel mir auf, dass ich in der Hektik des Geschehens beim Umpacken meines Rucksacks meine Hüttenklamotten sowie die ein oder andere Unterhose vergessen hatte. In der ersten Nacht auf den Bergen musste ich mich als ein Schläfer, der nachts die komplette Breite seines Bettes in Anspruch nimmt, erst an die Beengtheit des Hüttenschlafsacks gewöhnen.

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Sonntag – Tag 2: „Wenn man einmal in einem Bergsee gebadet hat, hat man danach das Gefühl noch nie so sauber gewesen zu sein“ Geweckt wurde ich vom Glockenläuten der am Hang grasenden Kühe. Nach einer Katzenwäsche und nahrhaften Frühstück brachen wir um 07:45 Uhr bei bestem Wetter auf. Nachdem die erste Tagesetappe einem ein Gefühl für das Wandern vermittelt hatte, sollten die Berge heute schon mehr von uns abverlangen. Nach der ersten Teilstrecke entschied sich die Gruppe gemeinschaftlich gegen das Einkehren in einer Hütte. Unser Bergführer Mathies nutze das frei gewordene Zeitfenster und führte uns zu einem Wasserfall, der sich aus eiskaltem Schmelzwasser speiste und an dessen Fuß das Wasser einen kleinen Bergpool ausgehöhlt hatte. Mich eingeschlossen badeten einige von unserer Reisegruppe im Wasser, dessen Kälte zwar ein stechendes Gefühl auf der Haut verursachte, einen jedoch nach dem anstrengenden Wandern unfassbar erfrischte und belebte. Wenn man einmal in einem Bergsee gebadet hat, hat man danach das Gefühl noch nie so sauber gewesen zu sein.

Anschließend machten wir uns an den Aufstieg zum Kaiserjochhaus. Diese Hütte war wesentlich kleiner als die vom Vorabend und versprühte einen ganz anderen Charme. Der Aufstieg zu dieser Hütte war fordernd und schweißte uns als Gruppe zusammen. Man motivierte und spornte sich gegenseitig mit Witzen und ablenkenden Gesprächen an. Obwohl man sich erst zwei Tage kannte, verband die Gruppe schon ein Wir-Gefühl, was sich nicht zuletzt aus dem Respekt gegenüber allen anderen ergab, da jeder dieselben Herausforderungen, Höhenmeter und inneren Kämpfe zu bewältigen hatte. Bei einem Kakao mit Rum genoss ich abends gemeinsam mit meiner Freundin den Sonnenuntergang, dessen Farbenspiel auf einer Höhe von 2310 Metern über NN einzigartig und wunderschön war. Die letzten Sonnenstrahlen tauchten die Wolken in orange und lila und verabschiedeten uns Wanderer zeitig ins Nachtlager.

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Montag – Tag 3: „Der dritte Tag ist immer der Beschwerlichste“ Aufstehen um 06:00 Uhr. Die zweite Nacht auf den Bergen schlief sich schon wesentlich besser als die erste, wobei das bestimmt auch der Erschöpfung und dem ein oder anderen Belohnungsgetränk vom Vorabend geschuldet war. Ich persönlich kann ausgetrockneten Wandererkehlen einen „Russ“ empfehlen, das aus Hefeweizen und Limonade gemixt wird. Um 07:30 Uhr machte sich ein Teil der Gruppe an den Aufstieg zum Gipfelkreuz des Berges Grießkopf, an dessen Fuß die Schutzhütte liegt. Obwohl dieser Aufstieg nicht Teil des Fernwanderweges E5 ist, wollten uns die Bergführer die Aussicht vom Gipfel des Berges nicht vorenthalten. Dieses Addon oblag der Entscheidung jedes Einzelnen. Der Aufstieg war fordernd und löste in mir erstmals ein Gefühl von Verbundenheit mit dem Berg aus. Beim Aufstieg verzieh der Berg einem Nichts, hatte ich ihn jedoch erst erklommen, bekam ich wahrhaft das Gefühl sich das Recht verdient zu haben auf ihm zu stehen. Als aktiver Wintersportler, der den ein oder anderen Gipfel schon per Lift erreicht hatte, bewegte ich mich zwar auch in den Bergen, ein derartiges Gefühl war mir jedoch bis dato verwehrt geblieben. Der anschließende Abstieg von 1200 Höhenmetern und der Transfer zur VenetBergbahn zog sich etwas, bevor eine ausgiebige Mittagspause auf der Alm zelebriert wurde. Danach begann die Wanderung über den Grad des Berges hin zur Galflunalm. Rückblickend bewerte ich diesen Tag als den sowohl physisch wie auch psychisch herausforderndsten, da sich der Weg - insbesondere zum Ende der Etappe hin – ins Endlose zu ziehen schien und das Terrain anspruchsvoll war. Ausdrücklich loben möchte ich an dieser Stelle unseren Bergführer Mathies, der uns mit seinen topografischen Kenntnissen stets den richten Weg wies, aber auch immer flotte Sprüche und Witze parat hatte und damit für gute Laune sorgte. Mit Feingefühl und einer guten Menschenkenntnis konnte er immer einschätzen, wessen Gemüt wann besonderen Zuspruch brauchte. Belohnt wurden wir abends mit leckeren selbstgemachten Kasspatzln und hausgemachtem Zirbenschnaps - einem Likör welcher aus den Zapfen der dort ansässigen Tannen destilliert wird.

Dienstag – Tag 4: „Der erste Gletscher meines Lebens“ Das durch das Fenster einfallende Sonnenlicht weckte mich um 06:30 Uhr. Die erste Nacht in der ich ohne Unterbrechungen durchgeschlafen hatte. Ich musste mich eben erst an das Nächtigen in den Bergen gewöhnen, was rückblickend aber einfach zu der Gesamterfahrung „Sich in den Bergen bewegen“ gehört. Der Vermittlung dieses Gefühls verschreiben sich die Bergführer der OASE genauso wie der sicheren Begleitung ihrer Schützlinge über die Alpen. Nach einem Frühstück mit Brot und Brötchen machten wir uns an den Abstieg über 500 Höhenmeter. Wir passierten wieder die Baumgrenze und 3

wanderten durch Wälder, deren Schatten angesichts des Sonnenscheins – der uns vom ersten Wandertag an durchgehend begleitet hatte – eine willkommene Abwechslung war. Im Tal angekommen wartete ein Bus, der uns ins nächste Tal brachte. Von dort aus stiegen wir 500 Höhenmeter hinauf zum Gletscher Stüberl, in das wir einkehrten. Diese Hütte tat sich durch eine außergewöhnlich leckere Küche und äußerst gut gemeinte Portionierung hervor, was einem Wanderer nur Recht sein kann. Bevor wir uns an den Aufstieg zur nächsten Schutzhütte – der Braunschweiger Hütte – machten, gaben wir unsere Wanderrucksäcke an einer Materialseilbahn ab. Der Aufstieg, bei dem 900 Höhenmeter überwunden wurden, war von einfachen Kletterpassagen gesäumt. Oben angekommen bot sich mir zum ersten Mal in meinem Leben der Anblick eines Gletschers. Dieser überwältigte mich und vermittelte mir angesichts seiner Größe Demut vor der Natur.

Mittwoch – Tag 5: „So stelle ich es mir auf dem Mond vor“ Am Morgen des fünften Tages hatte ich einen regelrechten Lagerkoller. Das Hüttenleben während der Alpenüberquerung war für mich zu einem Paradoxon geworden. Einerseits sehnte ich mich nach einer anstrengenden Tagesetappe nach einem kalten Getränk und der Geborgenheit der Hütte. Andererseits war ich jedoch auch jedes Mal froh, diese am nächsten Morgen wieder zu verlassen, da man immer auf engstem Raum von sehr vielen Menschen umgeben war. Aber auch diese Erfahrung möchte ich rückblickend nicht missen. Dennoch sehnte ich mich nach etwas Privatsphäre. Mein Unbehagen war nach 30 Minuten Wanderung jedoch schon wieder verflogen und an Stelle dessen war wieder diese Faszination von der einen umgebenden Landschaft getreten. Im Morgenlicht sahen die von Gletschern und Eis bedeckten Berggipfel unwirklich aus und das Licht brach sich auf so mannigfaltige Weise, dass ich gar nicht genug Fotos machen konnte. An einem wunderschönen Bergsee machten wir an diesem Tag eine ausgedehnte Rast und machten uns anschließend an den Abstieg ins Örtchen Vent. In dieser Nacht sollten wir im 4SterneHotel „Vent“ quartieren und die Vorfreude aller Teilnehmer auf ein eigenes Badezimmer und ein großes Bett war unverkennbar.

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Donnerstag – Tag 6: „Zieleinlauf auf Ötzis Spuren“ Der Morgen des letzten Wandertages begann mit einem luxuriösen Hotelfrühstück. Rührei und Speck, Brötchen aus weißem Mehl und frische Säfte, waren nach dem stets leckeren aber einfachen Hüttenfrühstücken eine willkommene Abwechslung. Bei der letzten Etappe galt es einen Aufstieg von 1200 Höhenmetern hinauf zur Similaun-Hütte zu bewältigen, die auf 3019 Metern genau auf der Grenze zwischen Österreich und Italien liegt. Dieser Aufstieg durch die vegetationsarme Landschaft, die noch bis vor zehn Jahren komplett von Gletschern bedeckt war und in der 1991 die vom Eis konservierte Mumie des Eiszeitmenschen „Ötzi“ gefunden worden war, fiel jetzt - nachdem die Waden- und Oberschenkelmuskeln gestählt und eingelaufen waren - vergleichsweise leicht.

An der Hütte angekommen fiel der Blick unweigerlich runter ins Tal auf den azurblauen VernalStausee. Obgleich dieser noch nicht in Meran sondern in Vorort Unserfrau liegt, markierte der ihm zu Fuß liegende Tiesenhof das Ende unserer Wanderung. Das Gefühl es nun bald geschafft zu haben beflügelte mich während des Abstiegs und je näher der Stausee kam, desto größer wurden die Schritte. Unten angekommen beglückwünschten sich alle Teilnehmer mit Handschlägen und Umarmungen. Alle waren glücklich, erleichtert und stolz die Alpen zu Fuß überquert und damit gewissermaßen bezwungen zu haben. Von 5

den vergangenen körperlichen und psychischen Anstrengungen, den überwältigenden Panoramen von Berggipfeln und Alpenwiesen und dem herrlichen Wetter war dieses Ziel in den vergangenen Tagen manchmal überschattet gewesen. Am Ziel angekommen übermannte es meine Wanderkumpanen und mich dafür umso mehr. Jetzt wo ich diesen Bericht mehrere Wochen nach dem Zieleinlauf schreibe, habe ich schon vielen Freunden und Bekannten von diesem Abenteuer erzählt und es hat viele Momente gegeben, in denen ich mich in die Berge zurückgesehnt habe. Abgesehen von der Alpenüberquerung per se, die einem von den OASE-Bergführern noch in Form einer netten Urkunde bescheinigt wurde, habe ich dieser Reise Erfahrungen und Eindrücke zu verdanken, die naturgemäß gar nicht alle in einem solchen Bericht wiedergegeben werden können. Wenn man sich für dieses Vorhaben entscheidet, wird man zunächst aus dem gewohnten Wohlfühlkorridor herausgerissen. Belohnt wird man mit phantastischen Panoramen, Grenzerfahrungen und Bekanntschaften mit Menschen, die diese Reise entweder aus genau denselben Beweggründen wie man selbst angetreten haben oder auch aus völlig anderen, was zu interessanten Begegnungen führt. In jedem Fall war dies nicht die letzte meiner Wanderungen!

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