Rechtsgutachen Anreizregulierung - ANGA Verband Deutscher ...

Wettbewerbs- und Steuerrecht, München/Or- dinarius an ...... 46 Zur Rechtslage in der Schweiz, wo sich die privaten Rundfunkveranstalter einer umfassenden ...
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Zeitschrift für Informations-, Telekommunikationsund Medienrecht

MMR

MultiMedia und Recht Herausgeber: Dietrich Beese . Dorothee Belz . Dr. Michael Bertrams . Prof. Dr. Herbert Burkert . Prof. Dr. Oliver Castendyk . Jürgen Doetz . Prof. Dr. CarlEugen Eberle . Prof. Dr. Reto M. Hilty . Prof. Dr. Thomas Hoeren . Prof. Dr. Bernd Holznagel . Dr. Christine Kahlen . Prof. Dr. Günter Knieps . Wolfgang Kopf . Christopher Kuner . Matthias Kurth . Prof. Dr. Wernhard Möschel . Robert Queck . Prof. Dr. Peter Raue . Dr. Wolfgang von Reinersdorff . Prof. Dr. Alexander Roßnagel . Prof. Dr. Joachim Scherer . Dr. Raimund Schütz . Prof. Dr. Ulrich Sieber . Dr. Axel Spies . Prof. Dr. Gerald Spindler . Prof. Dr. Eike Ullmann

HUBERTUS GERSDORF

Anreizregulierung zu Lasten Dritter? (Verfassungs-)Rechtliche Bewertung einer anreizorientierten Regulierung des privaten Rundfunks zu Lasten der Kabelnetzbetreiber

MMR-Beilage www.mmr.de

6/2012 Seiten 1–16 15. Jahrgang · 11. Juni 2012 Verlag C.H.Beck München 1830201206

Inhaltsverzeichnis A. Gegenstand des Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Steuerungs- und Vollzugsprobleme bei der Implementierung der Vielfaltsvorgaben für den privaten Rundfunk . .

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C. Konzept der Landesmedienanstalten für eine rundfunkspezifische Anreizregulierung . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Erfahrungen aus anderen Regulierungsfeldern: Anreizregulierung im Bereich der Netzwirtschaften . . . . . . . .

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E. Grundsätzliche rechtspolitische Einwände gegen eine rundfunkspezifische Anreizregulierung . . . . . . . . . . .

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F. (Verfassungs-)Rechtliche Bewertung einer rundfunkspezifischen Anreizregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vereinbarkeit mit der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vereinbarkeit mit den Grundrechten der Netzbetreiber aus Art. 14 und 12 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundrechtliche Schutzpositionen der Netzbetreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rundfunkspezifische Anreizregulierung auf dem Prüfstand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . a) Anreizeffekt durch Must-Carry? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anreizeffekt durch Must-Be-Found? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vergünstigungen bei der Kabeleinspeisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Primäre Verantwortlichkeit des Rundfunks zur Verwirklichung des Normziels des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG . . . (2) Subsidiäre Verantwortlichkeit der Netzbetreiber zur Verwirklichung des Normziels des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG

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G. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gegenstand des Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Steuerungs- und Vollzugsprobleme bei der Implementierung der Vielfaltsvorgaben für den privaten Rundfunk III. Erfahrungen aus anderen Regulierungsfeldern: Anreizregulierung im Bereich der Netzwirtschaften . . . . . . IV. Grundsätzliche rechtspolitische Einwände gegen eine rundfunkspezifische Anreizregulierung . . . . . . . . . V. (Verfassungs-)Rechtliche Bewertung einer rundfunkspezifischen Anreizregulierung . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinbarkeit mit der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinbarkeit mit den Grundrechten der Netzbetreiber aus Art. 14 und 12 GG . . . . . . . . . . . . . . .

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Zeitschrift für Informations-, Telekommunikationsund Medienrecht

MMR

MultiMedia und Recht HERAUSGEBER Dietrich Beese, Rechtsanwalt, Hamburg – Dorothee Belz, Director Legal & Corporate Affairs, Microsoft Deutschland GmbH, Unterschleißheim – Dr. Michael Bertrams, Präsident VerfGH und OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Münster – Prof. Dr. Herbert Burkert, Forschungsstelle für Informationsrecht, Universität St. Gallen – RA Prof. Dr. Oliver Castendyk, MSc. (LSE), Direktor Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen e.V., Berlin – Jürgen Doetz, Präsident Verband Privater Rundfunk und Telemedien e.V. (VPRT), Berlin/Präsident der Fernsehakademie Mitteldeutschland, Leipzig – Prof. Dr. Carl-Eugen Eberle, Justitiar ZDF, Mainz – Prof. Dr. Reto M. Hilty, Direktor am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München/Ordinarius an der Universität Zürich – Prof. Dr. Thomas Hoeren, Direktor der Zivilrechtlichen Abteilung des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht, Universität Münster – Prof. Dr. Bernd Holznagel, Direktor der Öffentlich-rechtlichen Abteilung des Instituts für Informations-, Telekommunikationsund Medienrecht, Universität Münster – Dr. Christine Kahlen, Leiterin Öffentlichkeitsarbeit, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Berlin – Prof. Dr. Günter Knieps, Direktor des Instituts für Verkehrswissenschaft und Regionalpolitik, Universität Freiburg – Wolfgang Kopf, Leiter des Zentralbereichs Politische Interessenvertretung und Regulierung, Deutsche Telekom AG, Bonn – Christopher Kuner J.D., LL.M., Attorney at Law, Hunton & Williams, Brüssel – Matthias Kurth, Präsident der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, Bonn – Prof. Dr. Wernhard Möschel, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim BMWi/Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Universität Tübingen – Robert Queck, Maˆıtre de Conferences, Centre ´ de Recherches Informatique et Droit (CRID), Universität Namur, Belgien – RA Prof. Dr. Peter Raue, Raue L.L.P., Berlin – RA Dr. Wolfgang von Reinersdorff, Justitiar Deutsche Netzmarketing GmbH, Köln/Heuking Kühn Lüer Wojtek, Hamburg – Prof. Dr. Alexander Roßnagel, Universität Kassel/Leiter der Projektgruppe verfassungsverträgliche Technikgestaltung (provet) – RA Prof. Dr. Joachim Scherer, Baker & McKenzie, Frankfurt a.M. – RA Dr. Raimund Schütz, Loschelder Rechtsanwälte, Köln – Prof. Dr. Ulrich Sieber, Direktor und Leiter der strafrechtlichen Abteilung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg / Honorarprofessor und Leiter des Rechtsinformatikzentrums an der Ludwig-Maximilians-Universität, München – RA Dr. Axel Spies, Bingham McCutchen, Washington DC – Prof. Dr. Gerald Spindler, Universität Göttingen – Prof. Dr. Eike Ullmann, Vors. Richter des I. Zivilsenats am BGH a.D., Karlsruhe REDAKTION Anke Zimmer-Helfrich, Chefredakteurin – RAin Ruth Schrödl, Redakteurin – Marianne Gerstmeyr, Redaktionsassistentin Wilhelmstr. 9, 80801 München

BEILAGE

6/2012 HUBERTUS GERSDORF

Anreizregulierung zu Lasten Dritter? (Verfassungs-)Rechtliche Bewertung einer anreizorientierten Regulierung des privaten Rundfunks zu Lasten der Kabelnetzbetreiber

U

m den privaten Rundfunk zu einer Erhöhung der Informations- und Nachrichtenanteile in seinen Programmen zu bewegen, wird derzeit über die Einführung eines Systems der Anreizregulierung im Rundfunkrecht diskutiert: Sofern einzelne private Rundfunkveranstalter bestimmte – vom Gesetzgeber bzw. von den Landesmedienanstalten festgelegte – Qualitätsstandards erfüllen, sollen sie quid pro quo in den Genuss von Vergünstigungen gelangen. Solche Privilegien können im Verzicht auf Regulierung etwa im Bereich der Werbung oder in der Gewährung von Vergünstigungen beim Zugang zu Infrastrukturen (Must-Carry, Must-Be-Found in Navigatoren bzw. EPGs, kostenloser oder vergünstigter Zugang zu Infrastrukturen) bestehen.

Diese Anreizregulierung zu Lasten der Infrastrukturbetreiber entspricht nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und ist mit den grundrechtlichen Positionen der Netzbetreiber nicht vereinbar. Die Einräumung eines Must-Carry-Status bei der Kabelweiterverbreitung bzw. eines Must-BeFound in Navigatoren begründet keinen wirtschaftlichen Vorteil für die betreffenden privaten Veranstalter, der die mit der Produktion von Informations- und Nachrichtensendungen verbundenen Kosten auch nur annähernd aufwiegen könnte. Solche Anreizelemente erweisen sich als von vornherein ungeeignet, eine Erhöhung der Informations- und Nachrichtenanteile in den privaten Rundfunkprogrammen zu bewirken, und vermögen deshalb Eingriffe in die Grundrechte der Netzbetreiber nicht zu rechtfertigen. Ebenso wäre eine gesetzliche Verpflichtung der Kabelnetzbetreiber, bestimmte private Rundfunkprogramme unentgeltlich, zu Selbstkostenentgelten oder zu einem regulierten, vergleichsweise niedrigeren Entgelt in die Kabelnetze einzuspeisen, um hierdurch Anreize für die Erhöhung der Informations- und Nachrichtenangebote im privaten Rundfunk zu setzen, verfassungswidrig. Diese Anreizregulierung zu Lasten der Kabelnetzbetreiber widerspräche der grundrechtlichen Verantwortlichkeitsteilung zwischen Rundfunkveranstaltern und Netzbetreibern. Kraft der dienenden Funktion des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist es primär Aufgabe des Rundfunks, die mit dem Programmversorgungsauftrag verbundenen Kosten zu übernehmen. Die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgende Verantwortlichkeit des Rundfunks darf nicht beliebig auf Dritte übergewälzt werden. c Der vorliegende Beitrag ist ein Rechtsgutachten im Auftrag der ANGA Verband Deutscher Kabelnetzbetreiber e.V.

A. Gegenstand des Gutachtens Im Zentrum der Gewährleistungsgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG steht der publizistische Wettbewerb, der „Lebenselement der Meinungsfreiheit“1 ist. Eine nüchterne Analyse der Programmleistungen des privaten Rundfunks zeigt jedoch, dass sich die mit der Einführung des privaten Rundfunks verbundenen programmlichen Erwartungen nicht in jeder Hinsicht erfüllt haben. Der publizistische Wettbewerb zwischen öffentlichrechtlichem und privatem Rundfunk vollzieht sich nicht in allen Bereichen gleichermaßen. Während dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk bei Nachrichten- und Informationssendungen in qualitativer und quantitativer Hinsicht gemeinhin hohe Kompetenz attestiert wird, sind die Programmleistungen des privaten Rundfunks in seiner Gesamtheit in diesen Bereichen eher als unterkomplex zu bewerten. Dass die an die Veranstaltung privaten Rundfunks gestellten Programmerwartungen mit der Programmrealität nicht (immer) übereinstimmen, ist kein neuartiges Phänomen, sondern kennzeichnet den privaten Rundfunk bereits seit dessen Einführung in den 80er Jahren. Neu sind hingegen Überlegungen, den privaten Rundfunk durch eine anreizorientierte Regulierung zu einer Ausweitung der programmlichen Leistungen insbesondere in den Bereichen Nachrichten und Information zu veranlassen. Im Gegensatz zu früheren Steuerungsansätzen, die auf imperativen Einwirkungen (Gebote und Verbote) gründeten, beruht das anreizorientierte Regulierungsmodell auf der Einräumung von Optionen, von denen private Veranstalter Gebrauch machen können, ohne hierzu rechtlich verpflichtet zu sein: Sofern einzelne private Rundfunkveranstalter bestimmte – vom Gesetzgeber bzw. den Landesmedienanstalten festgelegte – Qualitätsstandards erfüllen, gelangen sie quid pro quo in den Genuss von – durch den Gesetzgeber bzw. durch die Landesmedienanstalten definierten – Vergünstigungen. Solche Privilegien können im Verzicht auf Regulierung etwa im Bereich der Werbung oder in der Gewährung von Vergünstigungen beim Zugang zu Infrastrukturen (Must-Carry, Must-Be-Found in Navigatoren bzw. EPGs, kostenloser oder vergünstigter Zugang zu Infrastrukturen) bestehen.2 Gegenstand des vorliegenden Gutachtens ist die Frage, wie ein solches anreizorientiertes Regulierungsmodell (verfassungs-) rechtlich zu bewerten ist. Hierbei wird der Fokus insbesondere auf die Infrastrukturbetreiber gerichtet. Vor allem gilt es zu klären, ob der Gesetzgeber berechtigt ist, die vom privaten Rundfunk – kraft seiner grundrechtlich dienenden Funktion (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) – zu tragenden (programmlichen und damit auch) wirtschaftlichen Lasten im Zuge einer Anreizregulierung auf die Betreiber von Infrastrukturen (anteilig) überzuwälzen.

B. Steuerungs- und Vollzugsprobleme bei der Implementierung der Vielfaltsvorgaben für den privaten Rundfunk Die Sicherung von Meinungsvielfalt im Rundfunk, insbesondere die Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht, ist ein zentrales Anliegen des Rundfunkrechts. Insoweit ist zwischen den programmlichen Anforderungen an die Veranstaltung privaten Rundfunks, dem sogenannten Programmrecht (vgl. etwa § 25 RStV), und dem rundfunkspezifischen Konzentrationsrecht (vgl. §§ 26 ff. RStV) zu unterscheiden.3 Während das Konzentrationsrecht durch materielle Vorgaben hinreichend ausgeformt ist, ist der Konkretisierungsgrad im Bereich des Programmrechts eher gering. Dies mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass es dem Gesetzgeber erhebliche Schwierigkeiten bereitet, die vom privaten Rundfunk zu erfüllenden Vielfaltsstandards zu bestimmen, ohne dabei die grundrechtlich besonders geschützte Programmfreiheit der Veranstalter4 übermäßig zu beschränken.5 2 Gersdorf: Anreizregulierung zu Lasten Dritter?

Zur Sicherung von Meinungsvielfalt im Rundfunk kommen grundsätzlich verschiedene Modelle in Betracht.6 Beim binnenpluralistischen Modell muss jeder Veranstalter dafür Sorge tragen, dass sich in seinem Programm die Gesamtheit der bestehenden gesellschaftlichen Meinungen angemessen widerspiegelt. Zu unterscheiden sind insoweit zwei Gestaltungsformen. Bei dem materiellen binnenpluralistischen Modell unterliegt der Veranstalter allein diesen weitreichenden programmbezogenen Vorgaben, während bei dem Modell des materiell-organisatorischen Binnenpluralismus die materiellen Zielsetzungen durch eine binnenpluralistische Organisationsverfassung flankiert werden. Prototyp für letzteres Modell ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Die binnenpluralistische Zusammensetzung der Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks soll dafür Sorge tragen, dass alle bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Kräfte sowie Gruppen im Gesamtprogramm angemessen zu Wort kommen und das Programm nicht einseitig einer Partei oder Gruppe, einer Interessengemeinschaft, einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung dient.7 Auf diese Weise sollen sich die besonderen Erwartungen an die publizistische Vielfalt und Leistungskraft erfüllen. Im Gegensatz zur binnenpluralistischen Konzeption ist der einzelne private Anbieter nach dem außenpluralistischen Modell nicht zur Berücksichtigung sämtlicher Meinungen in seinem Programm verpflichtet. Vielmehr ergibt sich die gebotene Vielfalt aus der Addition der Vielzahl der wirtschaftlich und publizistisch miteinander konkurrierenden privaten Rundfunkprogramme. Der Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens aus dem Jahr 1987 (RStV 1987) beruhte auf einer Kombination von binnen- und außenpluralistischen Elementen.8 Art. 8 Abs. 1 RStV 1987 sah vor, dass im privaten Rundfunk inhaltlich die Vielfalt der Meinungen im Wesentlichen zum Ausdruck zu bringen ist. Nach Art. 8 Abs. 2 RStV war jedes der zugelassenen Rundfunkprogramme zur Meinungsvielfalt verpflichtet (binnenpluralistisches Modell), solange und soweit nicht mindestens drei im Geltungsbereich des GG veranstaltete private Vollprogramme von verschiedenen Veranstaltern bundesweit verbreitet wurden. Die (widerlegbare) Vermutungsregel des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 RStV 1987 bestimmte, dass dem Vielfaltsgebot des Art. 8 Abs. 1 RStV entsprochen war, wenn mindestens drei Vollprogramme bundesweit verbreitet wurden (außenpluralistisches Modell). Die Vermutung konnte gem. Art. 8 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 RStV 1987 durch eine vielfaltsverneinende Feststellung der Landesmedienanstalten widerlegt werden. In diesem Fall wäre jedes Programm zur umfassenden Vielfalt verpflichtet gewesen (Art. 8 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 RStV 1987).

1 Vgl. BVerfGE 74, 297, 332. 2 Vgl. hierzu noch im Einzelnen unter C. 3 Vgl. zur Unterscheidung von Programm- und Konzentrationsrecht Rossen-Stadtfeldt, in: Hahn/Vesting (Hrsg.), Beck’scher Komm. zum Rundfunkrecht, 2. Aufl. 2008, § 25 RStV Rdnr. 23; zuletzt Gersdorf, in: LRZ (Hrsg.), 15 Jahre privater Rundfunk in Mecklenburg-Vorpommern, Bestandsaufnahme und Programmanalyse, 2009, S. 11, 17. 4 Die Programmfreiheit bildet den Kern der grundrechtlichen Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, vgl. BVerfGE 59, 231, 258; 87, 181, 201; 90, 60, 87; 95, 220, 234; 97, 228, 268 = MMR 1998, 202 m. Anm. Holznagel; 97, 298, 310 = MMR 1998, 196 m. Anm. Westphal; 114, 371, 389 = MMR 2006, 87; vgl. hierzu noch unter F. I. bei Fußn. 56. 5 Zu den Gründen für die Absenkung der vielfaltsbezogenen Programmanforderungen an die Veranstaltung privaten Rundfunks vgl. hierzu noch MMR-Beilage 6/ 2012, S. 3 re. Sp. nach Fußn. 13. 6 Gersdorf (o. Fußn. 3), S. 11, 17. 7 BVerfGE 83, 238, 333; s.a. bereits BVerfGE 12, 205, 262 f.; 31, 314, 326; 57, 295, 321 f.; 60, 53, 65 f.; vgl. zuletzt Gersdorf, Legitimation und Limitierung von Onlineangeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Konzeption der Kommunikationsverfassung des 21. Jahrhunderts, 2009, S. 113. 8 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Rossen-Stadtfeldt (o. Fußn. 3), § 25 RStV Rdnr. 19 ff.; von Danwitz, AfP 2002, 771 ff.; Janik, AfP 2002, 106 ff. MMR-Beilage 6/2012

§ 20 RStV 1991 griff die Regelungen zur programmbezogenen Vielfaltssicherung des RStV 1987 auf und schrieb sie im Wesentlichen fort.9 Insbesondere die vermutungsgesteuerte Festlegung auf ein außenpluralistisches Modell blieb bestehen, solange und soweit mindestens drei private Fernsehvollprogramme bundesweit verbreitet wurden. Allerdings bestand im Vergleich zum RStV 1987 insoweit eine Abweichung, als die programmrechtlichen Vorgaben des § 20 RStV 1991 nur für bundesweit verbreitete Fernsehprogramme galten.10 Das in den RStV 1987 und 1991 vorgesehene Programmrecht wurde durch den RStV 1996 konsequent fortgeschrieben und den damaligen Gegebenheiten angepasst. Seit dem RStV 1996 gilt für das bundesweit veranstaltete und verbreitete Fernsehen ein außenpluralistisches Ordnungskonzept. Die noch in den RStV 1987 und 1991 vorgesehene Möglichkeit eines Modellwechsels zu einem binnenpluralistischen System wurde fallengelassen. Für die Festlegung auf ein außenpluralistisches Modell waren weniger die Schwierigkeiten entscheidend, die i.R.e. binnenpluralistischen Modells mit der Implementierung des unbestimmten und konkretisierungsbedürftigen Vielfaltsmaßstabs verbunden sind. Ebenso wenig waren der medienpolitische Druck zu Gunsten einer Liberalisierung und Deregulierung des Rundfunkwesens sowie strukturelle Unzulänglichkeiten einer Medienaufsicht maßgeblich für die Systementscheidung des Gesetzgebers im Jahr 1996.11 Vielmehr beruhte die Festlegung auf ein außenpluralistisches Modell schlicht auf der Erkenntnis, dass im Jahr 1996 (mehr als) drei Fernsehprogramme bundesweit verbreitet wurden und damit die Voraussetzungen der Vermutungsregeln der RStV 1987 und 1991 erfüllt waren. Da der Gesetzgeber hinreichend sicher prognostizieren konnte, dass die Mindestgrenze von drei bundesweit verbreiteten Fernsehprogrammen auch künftig nicht unterschritten würde, war es nur konsequent, auf Ausfallsicherungen zu verzichten und anstelle der Vermutungsregelungen der RStV 1987 und 1991 ein außenpluralistisches Modell für die Veranstaltung und Verbreitung bundesweiten Fernsehens vorzusehen.12 Mit der Systementscheidung zu Gunsten eines außenpluralistischen Ordnungsmodells im RStV 1996 hat der Gesetzgeber die Vielfaltsanforderungen an den einzelnen Rundfunkveranstalter mit Bedacht verringert. Die von Verfassungs wegen gebotene Vielfalt soll sich nicht mehr im einzelnen Programm, sondern in der Gesamtheit der privaten Rundfunkprogramme widerspiegeln. Die vom Gesetzgeber getroffene Systementscheidung für ein außenpluralistisches Ordnungsmodell, die bereits im RStV 1987 konzeptionell angelegt war und im RStV 1996 verbindlich festgeschrieben wurde, beruht auf einem Bündel von Motiven, die nicht nur medienpolitischer, sondern auch teilweise verfassungsrechtlicher Natur sind. Zwar hat das BVerfG deutlich ge9 Vgl. Stock, RuF 1992, 189, 210 ff. m.w.Nw. 10 Rossen-Stadtfeldt (o. Fußn. 3), § 25 RStV Rdnr. 20. 11 Vgl. in diesem Sinne Rossen-Stadtfeldt (o. Fußn. 3), § 25 RStV Rdnr. 21 f. 12 So die Begr. zu § 25 RStV 1996, LT-Drs. (MV) 2/1877, S. 64. 13 Vgl. zuletzt BVerfGE 121, 30, 50 = MMR 2008, 591 m. Anm. Holznagel; Hain, K&R 2010, 638, 639. 14 Vgl. BVerfGE 73, 118, 171; 121, 30, 50 f.; zu dieser verfassungsrechtlichen Direktive vgl. zuletzt Hain, K&R 2010, 638 f.; Gersdorf (o. Fußn. 7), S. 33 f. 15 BVerfGE 73, 118, 157. 16 Vgl. zum besonderen grundrechtlichen Schutz der Programmfreiheit der Rundfunkveranstalter BVerfGE 59, 231, 258; 87, 181, 201; 90, 60, 87; 95, 220, 234; 97, 228, 268; 97, 298, 310; 114, 371, 389. 17 Zu diesem System der Funktionentrennung vgl. grundlegend BVerfGE 97, 298, 310 ff. 18 Zur Legitimation und Reichweite der Satzungsermächtigung ausf. Cornils, Ausgestaltungsgesetzesvorbehalt und staatsfreie Normsetzung im Rundfunkrecht, 2011, passim; zur Rechtsnatur rundfunkrechtlicher Richtlinien Bornemann, ZUM 2012, 89 ff.

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macht, dass die vom Gericht entwickelte Konzeption der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als dienende Freiheit nicht nur für den öffentlich-rechtlichen, sondern auch für den privaten Rundfunk gilt;13 vor allem im Verhältnis zum privaten Rundfunk entfaltet die Funktion des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als dienende Freiheit besondere Bedeutung. Das Gericht hat jedoch stets zugleich betont, dass der Gesetzgeber mit Blick auf die besonderen Finanzierungsmodalitäten des privaten Rundfunks nicht die gleichen Anforderungen an die innere Ausgestaltung privater Veranstalter wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorschreiben müsse. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verlange für den privaten Rundfunk keine binnenpluralistische Organisation, weil damit diese Form der Veranstaltung von Rundfunksendungen um das Grundelement privater autonomer Gestaltung und Entscheidung und damit um ihre eigentliche Substanz gebracht würde.14 Neben diesen auf die Organisation des privaten Rundfunks bezogenen verfassungsrechtlichen Vorgaben ist es dem Gesetzgeber verwehrt, privaten Rundfunk nur unter Voraussetzungen zuzulassen, die dessen Veranstaltung in hohem Maße erschweren, wenn nicht ausschließen würden.15 Die Funktionsfähigkeit privaten Rundfunks und die hierauf beruhende Notwendigkeit zur Berücksichtigung seiner privatwirtschaftlichen Finanzierungsmodalitäten ist von Verfassungs wegen von dem die Rundfunkfreiheit ausgestaltenden Gesetzgeber zu beachten. Hinzu kommt, dass jede Form einer verhaltensbezogenen Steuerung des privaten Rundfunks mit dem Kernanliegen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG kollidiert: mit der Programmfreiheit privater Veranstalter.16 Die Verwirklichung der vom Gesetzgeber vorgegebenen Vielfaltsanforderungen, die sich bereits sub specie der Staatsfreiheit des Rundfunks auf einem hinreichenden Abstraktionsniveau bewegen müssen, bereitet in praxi erhebliche strukturelle Schwierigkeiten. Diese strukturellen Probleme beruhen auf dem von Verfassungs wegen vorgegebenen System einer klaren Funktionentrennung zwischen den mit dem Vollzug des Landesrundfunkrechts betrauten Landesmedienanstalten einerseits und den grundrechtliche Freiheit ausübenden privaten Rundfunkveranstaltern andererseits. Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG sind die Landesmedienanstalten auf die Kontrolle der für den privaten Rundfunk geltenden gesetzlichen Anforderungen beschränkt. Die den besonderen Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG genießende Programmfreiheit ist hingegen ausschließlich den privaten Veranstaltern zugewiesen.17 Zwar verfügen die Landesmedienanstalten über die Befugnis zur Konkretisierung der gesetzlichen Bestimmungen und können die hierfür erforderlichen Regelungen in Form von Satzungen oder Richtlinien treffen (vgl. §§ 33, 46, 53 RStV18). Diese Konkretisierungskompetenz betrifft jedoch nur Schrankengesetze bzw. Ausgestaltungsbestimmungen wie insbesondere Werberegelungen, die keinen spezifischen Bezug zur Programmfreiheit aufweisen und die autonome Programmgestaltung der Rundfunkveranstalter als solche unberührt lassen. Aus Rücksicht auf die grundrechtlich geschützte Programmfreiheit haben der Gesetzgeber und auch die Landesmedienanstalten in der Vergangenheit darauf verzichtet, die programmlichen Vorgaben für die Veranstaltung privaten Rundfunks in einer Weise zu konditionieren, dass von einer privatautonomen Programmgestaltung nicht mehr die Rede sein kann. Auch i.R.d. Vollzugs der in hohem Maße unbestimmten Vielfaltsforderungen an die Veranstaltung privaten Rundfunks ist die Programmautonomie der privaten Anbieter zu beachten, die zwar strukturelle Vorgaben durch die Landesmedienanstalten erlaubt, einer verhaltensbezogenen Steuerung privater Rundfunkveranstalter aber enge Grenzen setzt. Gersdorf: Anreizregulierung zu Lasten Dritter? 3

C. Konzept der Landesmedienanstalten für eine rundfunkspezifische Anreizregulierung Die programmliche Leistungsfähigkeit des privaten Rundfunks, insbesondere der Anteil der Nachrichten- und Informationsprogramme in privaten Hörfunk- und Fernsehprogrammen, ist ein Evergreen der Rundfunkregulierung. Auch wenn die Thematik in der medienpolitischen Diskussion zuweilen in den Hintergrund tritt, kann man sicher sein, dass sie in regelmäßigen Abständen wieder auftaucht. Stein des Anstoßes war diesmal die Äußerung von Thomas Eberling, CEO der ProSiebenSat.1 Media AG, die Sendergruppe habe ein „wirtschaftliches Problem“ mit Nachrichten, die „vielleicht für das Image bei Politikern wichtig“ seien, „aber nicht unbedingt bei allen Zuschauern“19 auf Interesse stoßen. Seitdem ist wieder einmal eine intensive Debatte über die publizistische Leistungsfähigkeit des privaten Rundfunks im Bereich der Informations- und Nachrichtensendungen entbrannt. Insbesondere die Landesmedienanstalten werden nicht müde, den privaten Rundfunk an seine gesellschaftspolitische Verantwortung zu erinnern. Sie haben in mehreren Positionspapieren20 deutlich gemacht, dass sie nicht nur „bellen“, sondern – soweit dies erforderlich sein sollte – auch „beißen“ können. Um die Informations- und Sendeanteile in den privaten Programmen zu erhöhen, setzen die Landesmedienanstalten zunächst auf Selbstverpflichtungen der reichweitenstarken (Voll-)Programmanbieter.21 Für den Fall, dass das Instrument der Selbstverpflichtung nicht zu den gewünschten Änderungen im Programmangebot führen sollte, haben die Landesmedienanstalten angekündigt, „eine Richtlinie nach § 33 i.V.m. § 25 RStV“ vorzulegen, „die eine Konkretisierung der gesetzlichen Bestimmungen im hier vorgeschlagenen Sinn vorsieht“.22 Im Einzelnen sollen die Anforderungen an Vollprogramme, an Informationen in Vollprogrammen und in Spartenprogrammen mit dem Schwerpunkt Information sowie an Nachrichten in Vollprogrammen konkretisiert werden.23 Nach Auffassung der Landesmedienanstalten sind solche Konkretisierungen der gesetzlichen Vorschriften keine Eingriffe in die Inhalte; vielmehr sollen sie allein der Präzisierung des Rahmens dienen, in dem Nachrichtensendungen stattfinden.24 Ob § 33 RStV auch zur satzungsförmigen Konkretisierung der Vorgaben des § 25 Abs. 1 RStV ermächtigt, erscheint indes zweifelhaft.25 Zwar verweist § 33 RStV pauschal auf § 25 RStV. Die weiteren Verweisungen in § 33 RStV auf die konzentrationsrechtlichen Regelungen der §§ 31, 32 RStV deuten bereits darauf hin, dass mit dem Verweis in § 33 RStV nicht die programmrechtlichen Vorgaben des § 25 Abs. 1 bis 3 RStV gemeint sind, sondern lediglich die konzentrationsrechtliche Regelung des § 25 Abs. 4 RStV. Diese auf systematischen Überlegungen beruhende Deutung wird durch die Gesetzesbegründung erhärtet. In der Begründung zum 8. RÄStV heißt es, dass die Richtlinienermächtigung des § 33 RStV wegen „der besonderen Bedeutung der Regionalfenster für die Angebots- und Meinungsvielfalt“ ausgedehnt werde.26 Ausweislich der Begründung zum 8. RÄStV bezieht sich die Ermächtigungsgrundlage des § 33 RStV nicht auf die programmrechtlichen Regelungen des § 25 Abs. 1 bis 3 RStV, sondern allein auf die konzentrationsrechtliche Bestimmung des § 25 Abs. 4 RStV. Damit fehlte den Landesmedienanstalten die erforderliche Ermächtigungsgrundlage, die Vorgaben des § 25 Abs. 1 RStV auf dem Satzungswege zu konkretisieren.27 Im Zentrum der aktuellen Debatte steht ein neues Regulierungsmodell, das den privaten Rundfunk zu einer Erhöhung der Informations- und Nachrichtenanteile in seinen Programmen bewegen soll: das Modell einer Anreizregulierung. Dieses Modell entfaltet zunächst einen gewissen Charme, weil es nicht auf die Instrumente klassischer Hoheitsverwaltung setzt, die dem Muster 4 Gersdorf: Anreizregulierung zu Lasten Dritter?

von Über- und Unterordnung, von Befehl und Zwang folgt. Es verzichtet auf imperative Einwirkungen (Gebote und Verbote) und entsagt jedweden hoheitlichen Zungenschlags. Es jagt nicht der Illusion nach, man könne den privaten Rundfunk mit dem „Knüppel der Hoheitsverwaltung“ zur Erfüllung seiner publizistischen Pflichten und zur Wahrnehmung seiner gesellschaftlichen Verantwortung zwingen. Stattdessen setzt das neue Modell der Anreizregulierung an den spezifischen, d.h. ökonomischen Gründen für das unzureichende Angebot von Informations- und Nachrichtensendungen im privaten Rundfunk an. Da Informations- und Nachrichtensendungen besonders kostenintensiv sind und sich – auch und gerade wegen der Vielzahl gebührenfinanzierter Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – nur unzureichend refinanzieren lassen, sollen diejenigen Veranstalter, die freiwillig entsprechende Programmlasten auf sich nehmen, im Gegenzug durch die Gewährung von Privilegien finanzwirksam entlastet werden. Das anreizorientierte Regulierungsmodell beruht auf der Einräumung von Optionen, von denen private Veranstalter Gebrauch machen können, ohne hierzu rechtlich verpflichtet zu sein: Sofern einzelne private Rundfunkveranstalter bestimmte – vom Gesetzgeber bzw. den Landesmedienanstalten festgelegte – Qualitätsstandards erfüllen, gelangen sie in den Genuss von – durch den Gesetzgeber bzw. durch die Landesmedienanstalten näher bestimmten – Vergünstigungen. Solche Privilegien können im Verzicht auf Regulierung namentlich im Bereich der Werbung oder in der Gewährung von Vergünstigungen beim Zugang zu Infrastrukturen (Must-Carry, Must-Be-Found in Navigatoren bzw. EPGs, kostenloser oder vergünstigter Zugang zu Infrastrukturen) bestehen.28 Die Landesmedienanstalten haben in ihrem Positionspapier v. 1.3.2010 zu Nachrichtensendungen im privaten Rundfunk das Modell einer anreizorientierten Regulierung des privaten Rundfunks konzeptionell aufgegriffen und in die medienpolitische Diskussion eingebracht.29 In einem im Auftrag der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) erstellten Rechtsgutachten loten Wolfgang Schulz und Thorsten Held die Optionen für eine anreizorientierte Regulierung der Leistungen privater Rundfunkveranstalter aus. Diskutiert werden sowohl sog. LastenGewährungen-Pakete, die an bestimmte Programmkategorien anknüpfen, als auch die freiwillige Übernahme einzelner Leistungen, die mit bestimmten Privilegien verbunden sind.30 Das Gutachten sieht in einem solchen anreizorientierten Regulierungsmodell im Ergebnis ein prinzipiell zulässiges und auch medienpolitisch zielführendes Steuerungsinstrument.31 19 Eberling, in: SZ v. 27.11.2009; vgl. hierzu Hain, K&R 2010, 638. 20 Der Preis der Qualität. Ein Positionspapier der Gesamtkonferenz Landesmedienanstalten v. 18.11.2009, abrufbar unter: http://www.die-medienanstalten.de/filea dmin/Download/Publikationen/Positionen/Anlage_Preis_der_Qualitaet.pdf; Nachrichtensendungen im privaten Rundfunk. Ein Positionspapier der DLM v. 1.3.2010, abrufbar unter: http://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/Download/Publikat ionen/Positionen/Aktuell_ab_2008/Papier_Nachrichtensendungen_01.03.10.pdf. 21 DLM-Positionspapier Nachrichtensendungen im privaten Rundfunk (o. Fußn. 20), S. 1 f., 4, 7. 22 DLM-Positionspapier Nachrichtensendungen im privaten Rundfunk (o. Fußn. 20), S. 6. 23 DLM-Positionspapier Nachrichtensendungen im privaten Rundfunk (o. Fußn. 20), S. 7. 24 DLM-Positionspapier Nachrichtensendungen im privaten Rundfunk (o. Fußn. 20), S. 7. 25 Verneinend Hain, K&R 2010, 638, 640. 26 Vgl. die Begr. zum 8. RÄStV, LT-Drs. (MV) 4/1435, S. 38. 27 Vgl. nochmals Hain, K&R 2010, 638, 640. 28 DLM-Positionspapier Nachrichtensendungen im privaten Rundfunk (o. Fußn. 20), S. 6; Hain, K&R 2010, 638, 640; Schulz/Held, Regulierung durch Anreize. Optionen für eine anreizorientierte Regulierung der Leistungen privater Rundfunkveranstalter im Rundfunkstaatsvertrag, 2011, S. 36 ff., 101 ff. 29 DLM-Positionspapier Nachrichtensendungen im privaten Rundfunk (o. Fußn. 20), S. 6. 30 Schulz/Held (o. Fußn. 28). 31 Schulz/Held (o. Fußn. 28), S. 114 ff., passim. MMR-Beilage 6/2012

Ende des Jahres 2011 haben die Landesmedienanstalten konkrete Vorschläge zur Änderung des RStV unterbreitet, die auf die Verankerung einer Anreizregulierung im Rundfunkrecht zielen. Danach sollen die Landesmedienanstalten gesetzlich ermächtigt werden, durch Satzung ein Anreizsystem zur Förderung besonderer Qualitätsstandards im privaten Rundfunk zu entwickeln. Nach dem Entwurf sollen sich private Fernsehveranstalter zur Erfüllung von über die allgemeinen Anforderungen hinausgehenden Qualitätsstandards verpflichten können. Im Gegenzug zur Erfüllung dieser Qualitätsstandards sollen privaten Veranstaltern (besondere) Privilegien gewährt werden. Nach dem Entwurf legen die Landesmedienanstalten die zu gewährenden Privilegien, die von den privaten Rundfunkveranstaltern zu erfüllenden Qualitätsstandards sowie die damit zusammenhängenden Einzelheiten der Plattformregulierung und der Werberegulierung durch Satzung fest. Anreize sollen durch Lockerungen im Bereich des Werberechts und durch Privilegierungen i.R.d. Plattformregulierung gesetzt werden. Die Anreize im Werberecht setzen an zwei Stellen an: Zum einen sollen durch eine Änderung des § 7 Abs. 4 RStV Ausnahmen von der grundsätzlich vorgesehenen vollständigen Anrechnung des Split-Screens auf die Gesamtdauer der Werbung i.S.d. § 45 RStV ermöglicht werden. Zum anderen sollen durch Änderung des § 7a Abs. 2 RStV nicht nur – wie nach geltendem Recht – bei Sportübertragungen, sondern auch in anderen Fällen Ausnahmen von dem grundsätzlichen Verbot von Einzelwerbe- und Teleshopping-Spots zugelassen werden. Auch im Bereich der Plattformregulierung werden zwei Anreizinstrumente vorgeschlagen: Erstens sollen diejenigen privaten Fernsehprogramme, die dem noch näher zu bestimmenden besonderen Qualitätsstandard genügen, künftig einen Must-Carry-Status erhalten. Zweitens ist geplant, die einem besonderen Qualitätsstandard entsprechenden privaten Rundfunkprogramme in den Genuss eines Must-Be-Found zu bringen. I.R.d. Gestaltung von Navigatoren müssen solche Programme in besonderer Weise berücksichtigt werden, um ihre Auffindbarkeit zu erleichtern. Demgegenüber haben Überlegungen der Gutachter Schulz/ Held, Infrastrukturbetreiber zu verpflichten, Übertragungskapazitäten zu Selbstkostenpreisen bereitzustellen,32 bei den Landesmedienanstalten (bislang) kein Gehör gefunden. Die Änderungsvorschläge der Landesmedienanstalten sehen keine Regelungen vor, welche die Kabelnetzbetreiber verpflichten, die Qualitätsprogramme des privaten Rundfunks unentgeltlich, zu Selbstkostenpreisen oder zu vergleichsweise günstigeren Bedingungen in die Kabelnetze einzuspeisen.

D. Erfahrungen aus anderen Regulierungsfeldern: Anreizregulierung im Bereich der Netzwirtschaften Der Anreizregulierung wohnt auch deshalb auf den ersten Blick der Zauber eines innovativen und zeitgemäßen Steuerungsinstruments inne, weil dieser Regulierungsansatz in anderen Regulierungsfeldern seit Jahren mit Erfolg zum Einsatz kommt. In den Regulierungsbereichen Strom, Gas, Post und Telekommuni32 Vgl. Schulz/Held (o. Fußn. 28), S. 111. 33 Zur Diskussion umfassend Gersdorf, DVBl. 2009, 942 ff. m.w.Nw. 34 Vgl. statt aller Groebel, in: Säcker (Hrsg.), BerlKomm-TKG, § 28 Rdnr. 10, 22; Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften. Typologie, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Wirtschaftsverfassungsrecht, 2004, S. 290. 35 Vgl. statt aller Koenig/Rasbach, IR 2004, 26, 27. 36 S. nur Kühling (o. Fußn. 34), S. 290. 37 S. nur Gersdorf, Entgeltregulierung im Eisenbahnsektor, 2007, S. 46 m.w.Nw. 38 S. nur BNetzA, Abschlussbericht zur Einführung einer Anreizregulierung im Eisenbahnsektor v. 26.5.2008, abrufbar unter: http://www.bundesnetzagentur.de, S. 26. 39 Zu weiteren Vorteilen der Anreizregulierung vgl. BNetzA (o. Fußn. 38), S. 27. MMR-Beilage 6/2012

kation gibt es positive Erfahrungen mit Anreizregulierungsmodellen. Im Eisenbahnsektor fehlt dagegen zwar derzeit noch ein entsprechender Regulierungsansatz. Er wird jedoch seit langem gefordert33 und im künftigen Eisenbahnregulierungsgesetz (ERG) wohl auch implementiert werden. Im Bereich der Netzwirtschaften gehört die Regulierung des Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen zum Kernanliegen des Regulierungsrechts. Hierzu zählt die Regulierung des Netzzugangs als solchem („Ob“) und die Regulierung der Zugangsmodalitäten („Wie“), insbesondere die Entgeltregulierung. Durch die Entgeltregulierung soll u.a. der Gefahr einer Erhebung überhöhter oder gar ausbeuterischer Monopolrenditen durch den (tatsächlichen oder natürlichen) Monopolisten wirksam vorgebeugt werden. Den zentralen Regulierungsmaßstab bildet der Grundsatz der effizienten Leistungsbereitstellung (KeL). Unter dem Gesichtspunkt des KeL-Maßstabs sind nur solche Kosten anerkennungsfähig, die für die Leistungserbringung unabdingbar sind (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 TKG: „... soweit diese Kosten jeweils für die Leistungsbereitstellung notwendig sind“).34 Es soll verhindert werden, dass Ineffizienzen beim Aufbau und Betrieb des Netzes auf die Zugangspetenten abgewälzt werden.35 Maßstab ist dabei, welche Kosten bei einem funktionsfähigen Wettbewerb berücksichtigt werden könnten.36 Das KeL-Modell beruht auf einer (hypothetischen) Als-ob-Betrachtung, bei der der Wettbewerbspreis simuliert wird und die Behörde mit den auf diese Weise regulierten Entgelten die Marktkräfte stimuliert.37 Zur Ermittlung der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung als (materieller) Regulierungsmaßstab sieht das Recht der Netzwirtschaften mehrere (prozedurale) Bemessungsmethoden vor: das Kosten-plus-Modell und eine Anreizregulierung entweder der Preis- oder der Erlösobergrenzen. Nach dem kostenorientierten Regulierungsansatz ermittelt der Regulierer für jede einzelne (Zugangs-)Leistung die Kosten effizienter Leistungsbereitstellung und schlägt diesen eine ebenfalls regulierte Rendite zu. Nach der alternativen Bemessungsmethode werden hingegen für einzelne (Zugangs-)Leistungen oder für mehrere in einem Korb zusammengefasste (Zugangs-)Dienste vom Regulierer Preis- bzw. Erlösobergrenzen (Price bzw. Revenue Cap) festgelegt. Hierdurch werden Anreize zur Effizienzsteigerung gesetzt, weil das regulierte Unternehmen die Zugangsentgelte, die sich diesseits der durch die Preis- bzw. Erlösobergrenze gesetzten Grenze bewegen, als Gewinn verbuchen darf. Die Effizienzgewinne sollen dann in einem weiteren Schritt (teilweise) an die nachfragenden Zugangspetenten weitergereicht, d.h. die Zugangsentgelte regulatorisch gesenkt werden. In der (Betriebsund Rechts-)Wissenschaft und Praxis ist im Prinzip anerkannt, dass eine Anreizregulierung in der Gestalt der Preis- bzw. Erlösobergrenzen den kostenorientierten Berechnungsmethoden deutlich überlegen ist. Die Gründe hierfür sind neben dem geringeren Regulierungsaufwand vor allem Informationsasymmetrien zwischen Regulierer und reguliertem Unternehmen. Das regulierte Unternehmen verfügt regelmäßig über die notwendigen Informationen, während der Regulierer diese Informationen erst mit großem Aufwand beschaffen müsste. Das Unternehmen unterliegt daher der Versuchung, nicht alle Informationen zu offenbaren. Die Regulierungsbehörde muss diese erst mit beträchtlichem Kontrollaufwand zu ermitteln suchen.38 Die Anreizregulierung führt daher regelmäßig zu einem Bürokratieabbau durch Reduzierung des Prüfungsaufwands und zugleich zu einer geringen Regulierungstiefe aus Sicht des regulierten Unternehmens.39 Die der Effizienzsteigerung und damit der Reduzierung der Zugangsentgelte dienende Anreizregulierung kann mit einer Qualitätsregulierung funktional verknüpft werden. Die effizienzsteigernden Zielsetzungen der Anreizregulierung und das Ziel der Gewährleistung einer hinreichenden Netzqualität stehen nicht Gersdorf: Anreizregulierung zu Lasten Dritter? 5

in Widerspruch, sondern können regulatorisch miteinander verzahnt werden. So können z.B. auf der Grundlage des Energiewirtschaftsgesetzes Qualitätsvorgaben für das Netz festgelegt werden (vgl. § 21a Abs. 5 Satz 2 EnWG) und bei einem Verstoß gegen diese Qualitätsvorgaben die Obergrenzen zur Bestimmung von Netznutzungsentgelten für ein Energieversorgungsunternehmen gesenkt werden (vgl. § 21a Abs. 5 Satz 3 EnWG). Mit dem Modell der Anreizregulierung in den Sektoren der Netzwirtschaften werden grundlegend andere Ziele als im diskutierten Modell einer rundfunkspezifischen Anreizregulierung verfolgt. Während im Bereich der Netzwirtschaften das Regulierungsinstrument der Effizienzsteigerung beim Netzbetrieb und der Reduzierung der Zugangsentgelte dem Interesse der Zugangspetenten dient, geht es im rundfunkrechtlichen Zusammenhang nicht um Effizienzaspekte, sondern um Anreize zur Erhöhung der Informations- und Nachrichtenanteile in den privaten Rundfunkprogrammen. Auch besteht keine Parallele unter dem Gesichtspunkt der in beiden Bereichen bestehenden Vollzugsdefizite. Zwar liegt, wie erwähnt, einer der Vorteile der Anreizregulierung in den Netzwirtschaften darin, strukturelle Vollzugsdefizite zu verringern, die bei kostenorientierten Berechnungsmethoden auf Grund der Informationsasymmetrien zwischen reguliertem Unternehmen und Regulierer entstehen. Und auch i.R.d. Rundfunkregulierung werden entsprechende Programmdefizite privater Anbieter auf Probleme beim Gesetzesvollzug (Vollzugsdefizit) zurückgeführt. Gleichwohl dient eine rundfunkspezifische Anreizregulierung – im Gegensatz zur Anreizregulierung im Bereich der Netzwirtschaften – nicht der Verringerung von Vollzugsdefiziten. Vielmehr setzt eine Anreizregulierung voraus, dass der Gesetzgeber bzw. die Landesmedienanstalten die Vielfaltsstandards konkretisieren, die private Veranstalter wahren müssen, wenn sie i.R.e. Anreizregulierung in den Genuss von Vergünstigungen kommen wollen. Durch eine Anreizregulierung würde das Problem der Konkretisierung und des Vollzugs vielfaltsbezogener Vorgaben für den privaten Rundfunk nicht gelöst. Wenn man diese Schwierigkeiten nun als überwindbar einstuft, stellt sich die Frage, weshalb es zur Qualitätssteigerung des privaten Rundfunks einer Anreizregulierung bedarf. Die im Entwurf vorgesehene Festlegung von Qualitätsstandards durch die Landesmedienanstalten wäre auch ohne Anreizregulierung (zu Lasten der Netzbetreiber) möglich.

E. Grundsätzliche rechtspolitische Einwände gegen eine rundfunkspezifische Anreizregulierung Dass dem Modell einer Anreizregulierung im Allgemeinen der Nimbus eines innovativen und zielführenden Steuerungsinstruments zuerkannt wird und es auch im Besonderen, d.h. im privaten Rundfunkbereich, auf den ersten Blick eine gewisse Attraktivität hat, wurde bereits gesagt. Eine anreizorientierte Rundfunkregulierung löst sich von dem durch Über- und Unterordnung, von Befehl und Zwang gekennzeichneten Muster klassischer Hoheitsverwaltung. Sie unternimmt nicht den Versuch, den privaten Rundfunk durch Ge- oder Verbote zur Erfüllung seiner publizistischen Pflichten und zur Wahrnehmung seiner gesellschaftlichen Verantwortung zu zwingen. Stattdessen setzt das Modell der Anreizregulierung an den spezifischen, d.h. ökonomischen Gründen für das unzureichende Angebot von Informations- und Nachrichtensendungen im privaten Rundfunk an: an der Schwierigkeit der Refinanzierung von Informations- und Nachrichtensendungen, die auch und gerade wegen der Vielzahl gebührenfinanzierter Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestehen. Wer freiwillig besondere Programmlasten in Form von kostenintensiven Informationsund Nachrichtensendungen auf sich nimmt, soll quid pro quo 6 Gersdorf: Anreizregulierung zu Lasten Dritter?

durch die Einräumung von Privilegien finanzwirksam entlastet werden. Gleichwohl begegnen der Einführung einer anreizorientierten Regulierung des privaten Rundfunks schwerwiegende Bedenken. Neben verfassungsrechtlichen Einwänden40 bestehen auch rechtspolitische Bedenken: Nicht nur im Zusammenhang mit der Diskussion über eine Anreizregulierung wird von Teilen des privaten Rundfunks auf die Notwendigkeit eines Ausgleichs zwischen Vergünstigungen und Lasten verwiesen. Hierbei wird allerdings der spezifische Grund für die Zuerkennung von (Medien-)Privilegien nach dem GG verkannt: Der Grund für die Gewährung von Privilegien für den Rundfunk sind nicht (Regulierungs-)Lasten, sondern sein (überindividueller) Beitrag für die Meinungs- und Willensbildung. Auch nicht oder weniger regulierte Medien (Presse, Telemedien) kommen nach dem GG in den Genuss entsprechender Privilegien. Es ginge daher grundlegend fehl, anzunehmen, den linear verbreiteten Rundfunk unter Hinweis auf seine vergleichsweise stärkere Regulierung etwa im Verhältnis zu Telemedien begünstigen zu dürfen. Doch nun zu den wesentlichen rechtspolitischen Einwänden gegen eine Anreizregulierung im Rundfunkbereich: Zunächst ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Anreizregulierung die bestehenden Probleme bei dem Vollzug der Vielfaltsvorgaben für den privaten Rundfunk nicht löste.41 Vielmehr setzt eine Anreizregulierung im Rundfunkbereich auf der Festlegung entsprechender Qualitätsstandards auf, ohne dass die Probleme beim Vollzug vielfaltsbezogener Vorgaben für die Programmgestaltung privater Rundfunkprogramme gelöst würden. Die Landesmedienanstalten könnten die – im Entwurf vorgesehenen – Qualitätsstandards auch ohne Anreizregulierung definieren. Der Haupteinwand gegen eine anreizorientierte Regulierung des privaten Rundfunks beruht darauf, dass hierdurch kein wirksamer Anreiz für eine Erhöhung der Informations- und Nachrichtensendungen im privaten Rundfunk gesetzt wird, weil die zur Verwirklichung der Qualitätsstandards erforderlichen programmlichen Mehrkosten die im Zuge einer Anreizregulierung gewährten Kostenersparnisse bei weitem überwiegen. Letztlich bliebe in programmlicher Hinsicht „alles beim Alten“, allerdings verbunden einerseits mit einem „Mitnahmeeffekt“ für diejenigen privaten Veranstalter oder (genauer:) Senderfamilien, die auch ohne Anreizregulierung in der Vergangenheit in Informations- und Nachrichtensendungen investiert haben, und andererseits mit einer Belastung Dritter, insbesondere der Infrastrukturbetreiber, welche die Kosten für die Einräumung der Privilegierung zu tragen hätten. Eine solche Anreizregulierung entpuppte sich als eine Form rein symbolischer Regulierung, und zwar als verfassungswidrige (Symbol-)Regulierung, weil sie nicht zu einer Steigerung der publizistischen Leistungskraft des privaten Rundfunks führt (symbolische Wirkung), aber gleichzeitig – in verfassungswidriger Weise – eine (anteilige) Überwälzung der Kosten für bereits vorhandene Nachrichten- und Informationssendungen von privaten Veranstaltern auf Netzbetreiber bewirkt. Zur Illustration soll folgendes durchaus realistische Szenario dienen: Diejenigen Rundfunkveranstalter bzw. Senderfamilien, deren Programme einen nur geringen Nachrichten- und Informationsanteil haben, lassen sich wegen des nur sehr schwachen (wirtschaftlichen) Effekts einer Anreizregulierung42 nicht zu zusätzlichen Programmleistungen im Nachrichten- und Informationsbereich animieren, sodass insoweit „alles beim Alten“ bleibt. 40 Vgl. hierzu sogleich unter F. 41 Vgl. hierzu unter B. 42 Vgl. hierzu noch unter F. II. 2. MMR-Beilage 6/2012

Diejenigen Veranstalter bzw. Senderfamilien, die bereits heute – ohne Anreizregulierung – in erheblichem Umfang Nachrichtenund Informationssendungen anbieten und damit maßgeblich die Aufgabe der Grundversorgung der Jugendlichen erfüllen, nehmen die mit der Anreizregulierung verbundenen wirtschaftlichen Entlastungen dankend entgegen. Auch insoweit bliebe programmlich alles unverändert, in wirtschaftlicher Hinsicht profitierten die Anbieter indes von dem „Mitnahmeeffekt“ einer Anreizregulierung. Leidtragende einer Anreizregulierung wären die Netzbetreiber (und die Rezipienten bei Lockerungen im Werberecht). Ein solches System der Anreizregulierung, das letztlich keinen Beitrag für mehr Nachrichten- und Informationssendungen im privaten Rundfunk leistete, würde seine ihm zugedachte Funktion verfehlen und entpuppte sich faktisch als verfassungswidrige Umverteilung von den Netzbetreibern zu den privaten Rundfunkveranstaltern; verfassungswidrig deshalb, weil es nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht Sache der Netzbetreiber, sondern der privaten Rundfunkveranstalter ist, die mit der Produktion von Nachrichten- und Unterhaltungssendungen verbundenen Kosten zu tragen.43 Eine Anreizregulierung könnte sich als Danaergeschenk für private Veranstalter erweisen. Durch die Verankerung einer Anreizregulierung im Rundfunkrecht bestünde die Gefahr einer Perpetuierung des den Rundfunk kennzeichnenden hohen Regulierungsniveaus, weil dieser Regulierungsstandard als Referenzmaßstab für die Regulierung diente. Denn die i.R.e. Anreizregulierung gewährten Vorteile beruhen auf einem Dispens von dem hohen Regulierungsstandard des Rundfunks. Eine Anreizregulierung schreibt die Hochregulierung des Rundfunks fort. Da Abruf-TV durch Internet, Smart-TV etc. zunehmend an Bedeutung gewinnt und Schritt für Schritt neben bzw. an die Stelle des linearen Fernsehens tritt, stellt sich schon heute die Frage, ob die unterschiedliche Regulierung von Rundfunk und Telemedien (dauerhaft) Bestand haben kann oder ob nicht eine Harmonisierung des für den Rundfunk und die Telemedien geltenden Regulierungsregimes unumgänglich ist. Hält man eine Harmonisierung unter Gleichheitsgesichtspunkten (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG; Art. 11 GRC i.V.m. Art. 20 GRC) für erforderlich,44 ist zu entscheiden, ob das für den Rundfunk geltende Regulierungsniveau oder das für Telemedien anwendbare vergleichsweise liberalere Ordnungssystem maßstabsbildend ist. Eine Anreizregulierung perpetuierte das für den Rundfunk bestehende Regulierungsniveau und erschwerte eine – insbesondere aus Sicht des privaten Rundfunks erstrebenswerte oder sogar unverzichtbare – Deregulierung des Rundfunks auf dem Regulierungsniveau des bislang nur für Te-

43 Vgl. hierzu sogleich unter F. II. 2. c). 44 So ist z.B. eine regulatorische Gleichbehandlung von VOD und NVOD unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes verfassungs- und unionsgrundrechtlich geboten, vgl. hierzu umfassend Gersdorf, K&R 2010, 375 ff. Dieser grundrechtlichen Direktive ist der Gesetzgeber (spätestens) mit dem 12. RÄStV nachgekommen, der NVOD als Nichtrundfunk (vgl. § 2 Abs. 3 Nr. 5 RStV) und damit – ebenso wie VOD – als Telemediendienst definiert, vgl. Gersdorf, K&R 2010, 375, 381 f. 45 Zur rechtlichen Problematik einer Beteiligung privater Rundfunkveranstalter am Rundfunkbeitragsaufkommen vgl. bereits Selmer/Gersdorf, DVBl. 1992, 79 ff. 46 Zur Rechtslage in der Schweiz, wo sich die privaten Rundfunkveranstalter einer umfassenden Evaluation unterziehen müssen, um am Gebührenaufkommen partizipieren zu können, vgl. Schulz/Held (o. Fußn. 28), S. 20 Fußn. 8. 47 Vgl. hierzu am Beispiel der Subventionierung lokaler und regionaler privater Anbieter durch das Teilnehmerentgelt nach vormaligem bayerischen Landesrecht BVerfGE 114, 371, 389 ff., insb. 392 ff. 48 Vgl. BVerfGE 57, 295, 319; 73, 118, 152; 107, 299, 332; 114, 371, 386 f.; 119, 181, 214 = MMR 2007, 770 m. Anm. Scheuer; 121, 30, 50. 49 Vgl. BVerfGE 73, 118, 166; 83, 238, 326; Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, 2003, Rdnr. 78; Hain, Die zeitlichen und inhaltlichen Beschränkungen der Telemedienangebote von ARD, ZDF und Deutschlandradio nach dem 12. RÄStV, 2009, S. 74. MMR-Beilage 6/2012

lemedien geltenden Standards. Eine Anreizregulierung dürfte kaum im wohlverstandenen Interesse des privaten Rundfunksystems liegen. I. Ü. sei darauf verwiesen, dass der private Rundfunk in der Vergangenheit eine Beteiligung an der Rundfunkgebühr unter Hinweis auf die hiermit verbundene Notwendigkeit, die Programmleistungen privater Veranstalter einer steten Kontrolle zu unterziehen, abgelehnt hat.45 Ein solcher Kontrollbedarf bestünde jedoch auch bei einer Anreizregulierung. Um in den Genuss der Vorteile der Anreizregulierung zu kommen, müssten es sich die entsprechenden privaten Veranstalter gefallen lassen, dass ihre programmlichen Leistungen von den Landesmedienanstalten in regelmäßigen Abständen evaluiert werden.46 Die Gewährung von Vorteilen verlangt eine „Gegenleistung“ in Form der Auferlegung besonderer Programmanforderungen, die einer effektiven Kontrolle und Durchsetzung bedürften.47 Eine Anreizregulierung setzt eine umfassende Überprüfung der Programmaktivitäten privater Anbieter voraus. Aus diesem Grund erscheint es inkonsequent, sich mit einer Anreizregulierung einverstanden zu erklären, eine Beteiligung privater Veranstalter am Rundfunkbeitragsaufkommen aber abzulehnen. Oder anders gewendet: Wenn man eine solche Beteiligung ablehnt, kann man einer Anreizregulierung kein Placet erteilen.

F. (Verfassungs-)Rechtliche Bewertung einer rundfunkspezifischen Anreizregulierung Die verfassungsrechtliche Beurteilung des Modells einer anreizorientierten Regulierung erfordert zunächst, die hiervon betroffenen Schutzgüter zu ermitteln. Eine rundfunkspezifische Anreizregulierung kann unterschiedliche Schutzgüter berühren, was das Erfordernis einer differenzierenden (verfassungs-)rechtlichen Bewertung nach sich zieht: c Ein Verzicht bzw. eine Verringerung der Regulierung in (anderen) Regulierungsfeldern kann zu einer (mittelbaren) Belastung führen: – von kommunikationsbezogenen Schutzgütern (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) etwa der Rezipienten (bei Lockerungen im Werbebereich) oder – von Schutzgütern Dritter, die mit dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit kollidieren (Kinder- und Jugendschutz). c Eine Anreizregulierung kann auch (unmittelbar) Dritte belasten, wie namentlich die Infrastrukturbetreiber (Must-Carry, Must-Be-Found in Navigatoren bzw. EPGs, Verpflichtung zur begünstigten Kabeleinspeisung bestimmter der Anreizregulierung unterliegender privater Rundfunkprogramme).

Je nach betroffenem Schutzgut ist das Modell einer rundfunkspezifischen Anreizregulierung am Maßstab des Grundrechts der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG bzw. an den grundrechtlichen Schutzpositionen der Netzbetreiber (Art. 14, 12 GG) zu messen.

I. Vereinbarkeit mit der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist bekanntlich nach der Rechtsprechung des BVerfG eine dienende Freiheit. Sie ist funktional auf den Prozess freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung gerichtet.48 Und ebenfalls bekanntermaßen ist nach der Rechtsprechung Karlsruhes zwischen der Ausgestaltung und der Beschränkung der Rundfunkfreiheit zu unterscheiden.49 Während die Grundrechtsausgestaltung dem Schutz der kommunikationsbezogenen Schutzgüter des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG dient, zielen Schrankenregelungen i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG auf den Schutz von Rechtsgütern, die mit der RundGersdorf: Anreizregulierung zu Lasten Dritter? 7

funkfreiheit kollidieren.50 Unstreitig steht fest, dass Schrankengesetze den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genügen müssen. Dagegen war lange Zeit ungeklärt, ob dies auch für die Grundrechtsausgestaltung gilt, d.h. ob ausgestaltende Gesetze den Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entsprechen müssen. Bei Lichte betrachtet ist nach Maßgabe eines funktionalen Verständnisses des Grundrechts der Rundfunkfreiheit für eine Anwendbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit kein Platz, weil dieser Grundsatz gegenläufige Schutzinteressen des Grundrechtsträgers voraussetzt, die es bei einem funktionalen Grundrechtsverständnis nicht geben kann.51 Gleichwohl gibt es in der Rechtsprechung des Ersten Senats des BVerfG Anzeichen für eine Geltungserstreckung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf den Bereich der Grundrechtsausgestaltung.52 Der Zweite Senat des BVerfG hat in seinem U. v. 12.3.2008 ein (absolutes) Beteiligungsverbot politischer Parteien an Rundfunkveranstaltern ausdrücklich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gemessen und als unverhältnismäßige Regelung für verfassungswidrig erklärt.53 Dass der die Rundfunkfreiheit ausgestaltende Gesetzgeber an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden ist, ist schließlich auch unionsgrundrechtlich (vgl. Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GRC i.V.m. Art. 11 GRC) und völkerrechtlich (vgl. Art. 10 Abs. 2 EMRK) geboten.54 Es wäre grotesk, wenn Europa die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Ausgleich grundrechtlicher Defizite ausgerechnet in der BRD einfordern müsste, also dort, wo der hehre rechtsstaatlich und grundrechtlich fundierte Verfassungsgrundsatz seine Heimstatt findet und von wo aus er seinen erfolgreichen Weg nach Europa angetreten hat.55 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entfaltet daher seine freiheitsstiftende und der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit Grenzen setzende Wirkung nicht nur für Schrankengesetze i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG, sondern auch für die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ausgestaltende Gesetze, wenngleich sich das Verhältnismäßigkeitsgebot in den Bauplan eines funktionalen Grundrechtsverständnisses so recht nicht einfügen lässt. Entscheidet sich der Gesetzgeber für ein Modell der Anreizregulierung des privaten Rundfunks, muss er die Programmfreiheit wahren,56 die den Kern der grundrechtlichen Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG bildet.57 Sie gewährleistet, dass der Rundfunk frei von externer Einflussnahme entscheiden kann, wie er seine publizistische Aufgabe erfüllt.58 Die vom Gesetzgeber bzw. von den Landesmedienanstalten bestimmten Qualitätsanforderungen, die Voraussetzung für die Gewährung entsprechender Vergünstigungen sein sollen, müssten sich auf hinreichendem Abstraktionsniveau bewegen. Insbesondere dürften sie „nicht an die konkreten Inhalte der Sendungen, die in ihnen verbreiteten Informationen und Meinungen oder gar die politische oder sonstige Ausrichtung der Anbieter oder einzelner Beiträge“ anknüpfen, wie das BVerfG im Zusammenhang mit der finanziellen Unterstützung privater Rundfunkveranstalter durch das Teilnehmerentgelt nach vormaligem bayerischen Landesrecht entschieden hat.59 Demgegenüber wäre eine Gewährung von Vorteilen, die sich im Wesentlichen an bestimmten Typen von Programmen und Sendungen orientiert, mit der Programmfreiheit der privaten Veranstalter vereinbar.60 Vor diesem Hintergrund ist die Festlegung entsprechender Qualitätsstandards für den privaten Rundfunk außerordentlich problematisch. Selbst die Festlegung bestimmter, messbarer Kriterien, bei deren Erfüllung eine Qualitätssteigerung vermutet wird, erfordert eine Evaluation und damit eine systematische Kontrolle privaten Rundfunks, die mit der Programmfreiheit der Veranstalter kaum vereinbar wäre. Wie weit die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bzw. der Landesmedienanstalten im Einzel8 Gersdorf: Anreizregulierung zu Lasten Dritter?

nen reicht, braucht hier nicht entschieden zu werden, weil vorliegend die schutzwürdigen Belange der Kabelnetzbetreiber im Fokus stehen. Aus demselben Grund kann auch die weitere Frage nicht im Detail erörtert werden, ob die von den Landesmedienanstalten vorgeschlagene Anreizsetzung im Bereich des Werberechts (Nichtanrechnung bzw. nur anteilige Anrechnung der SplitScreens auf die Gesamtwerbedauer; Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot von Einzelwerbespots61) mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar ist. Solche Anreizkriterien führen zu unterschiedlichen Belastungen der betroffenen Rezipientengruppen. Die zeitlichen Werberestriktionen sollen u.a. die Rezipienten vor einem Übermaß an Werbung schützen. Es ist fraglich, ob den Rezipienten eines Fernsehsenders deshalb ein vergleichsweise größeres Maß an Werbung bzw. Einzelspotwerbung zugemutet werden darf, weil der Veranstalter entsprechende Informations- und Nachrichtensendungen vorhält und damit den festgelegten Vielfaltsvorgaben genügt. Die Zweifel nähren sich auch daraus, dass oftmals (oder regelmäßig) ganz unterschiedliche Rezipientengruppen betroffen sind: solche, die Informations- und Nachrichtensendungen ansehen, und solche, die Unterhaltungssendungen bevorzugen. Die in Rede stehende Anreizregulierung führt zu einer besonderen Belastung derjenigen Rezipienten, die an Informations- und Nachrichtensendungen kein Interesse zeigen, sondern in erster Linie unterhalten werden möchten. Ob eine solche Anreizregulierung zu Lasten Dritter mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar ist, erscheint zweifelhaft. Auch begegnen einer Anreizregulierung, die auf einer Differenzierung zwischen Spotwerbung und Split-Screens beruht, unter dem Gesichtspunkt des rundfunkspezifischen Gleichheitssatzes (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) erhebliche Bedenken. Ob zwischen beiden Werbeformen im Hinblick auf die betroffenen Schutzgüter (Begrenzung des Einflusses der werbetreibenden Wirtschaft auf die Programmgestaltung der Veranstalter und Schutz der Rezipienten vor einem Übermaß an Werbung) Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht vorliegen, die eine differenzierende regulatorische Behandlung von Spotwerbung und Split-Screens rechtfertigen könnten, erscheint zweifelhaft. Ferner ist die Auffassung der Kommission zu beachten, wonach Split-Screens auf die zulässige Gesamtwerbedauer anzurechnen sind.62 50 Zur Differenzierung zwischen Grundrechtsausgestaltung und Schranken des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vgl. Gersdorf (o. Fußn. 49), Rdnr. 78. 51 Vgl. hierzu zuletzt Gersdorf (o. Fußn. 7), S. 33 f. m.w.Nw. 52 Vgl. BVerfGE 97, 228, 267: „Gesetze, die die Rundfunkfreiheit ausgestalten, sind dann verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie geeignet sind, das Ziel der Rundfunkfreiheit zu fördern, und die von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Interessen angemessen berücksichtigen.“; das Gericht lässt indes offen, was es unter den „von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Interessen“ versteht und vor allem, in welchem Verhältnis diese Interessen zum Normziel des Grundrechts der Rundfunkfreiheit stehen sollen. 53 BVerfGE 121, 30, 63: „unverhältnismäßig“; 64: „außer Verhältnis“, „angemessen“; vgl. hierzu Gersdorf (o. Fußn. 7), S. 34 f.; Hain (o. Fußn. 49), S. 50 f.; ders., K&R 2012, 98, 101. 54 Gersdorf (o. Fußn. 7), S. 59 ff., insb. 67 ff. 55 S. bereits Gersdorf (o. Fußn. 7), S. 68. 56 Vgl. Schulz/Held (o. Fußn. 28), S. 47. 57 Vgl. BVerfGE 59, 231, 258; 87, 181, 201; 90, 60, 87; 95, 220, 234; 97, 228, 268; 97, 298, 310; 114, 371, 389. 58 Vgl. BVerfGE 59, 231, 258; 87, 181, 201; 90, 60, 87; 97, 298, 310; 114, 371, 389. 59 BVerfGE 114, 371, 390. 60 Vgl. BVerfGE 114, 371, 390. 61 Vgl. hierzu oben unter C. 62 Vgl. die Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf bestimmte Aspekte der Bestimmungen der RL „Fernsehen ohne Grenzen“ über die Fernsehwerbung von 2004, Rdnr. 52, ABl. C 102/2 v. 28.4.2004, S. 1; s.a. Schulz/ Held (o. Fußn. 28), S. 83. MMR-Beilage 6/2012

II. Vereinbarkeit mit den Grundrechten der Netzbetreiber aus Art. 14 und 12 GG 1. Grundrechtliche Schutzpositionen der Netzbetreiber In Wahrnehmung ihrer grundrechtlich geschützten Freiheiten (Art. 14 und 12 GG) obliegt den Kabelnetzbetreibern die Entscheidung darüber, welche Programme und Dienste in die Kabelnetze eingespeist werden und welche Bedingungen hierfür gelten. Beim Netzeigentum handelt es sich um Eigentum i.S.d. Art. 14 GG.63 Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet das Privateigentum in erster Linie als subjektives Recht des einzelnen Eigentümers. Die Eigentumsgarantie soll dem Eigentümer einen Freiheitsraum für eigenverantwortliche Betätigung sichern. Demgemäß schützt das Grundrecht aus Art. 14 GG nicht nur den Bestand der Eigentumsposition, sondern auch die Nutzung des Eigentums und die Verfügungsbefugnis hierüber.64 Das Eigentum an einer Sache ist in seinem rechtlichen Gehalt durch Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis gekennzeichnet.65

63 Vgl. statt aller Kutzschbach, Grundrechtsnetze. Netzbetrieb und Netzzugang als Grundrechtsfrage. Zu den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der Regulierung des Netzzugangs im TK-Markt, 2004, S. 131; Wegmann, Regulierte Marktöffnung in der Telekommunikation. Die Steuerungsinstrumente des TKG im Lichte „regulierter Selbstregulierung“, 2001, S. 190 f. 64 BVerfGE 52, 1, 30; 61, 82, 198; 88, 366, 377. 65 BVerfGE 52, 1, 39; 70, 191, 200; 79, 292, 303 f.; 82, 6, 16; 83, 201, 209; 87, 114, 138 f.; 91, 294, 308; 100, 226, 240 f. 66 BVerfGE 79, 292, 303 f.; 88, 366, 377. 67 OVG Münster NVwZ 2000, 697, 701; OVG Bremen ZUM 2000, 250, 257; VG Köln CR 1997, 639, 641; VG Berlin MMR 1998, 164, 165 m. Anm. Müller-Using/ Lücke; VG Bremen MMR 1999, 107 = AfP 1998, 536, 541; Aschenbrenner, Deregulierungszwang im Fernsehkabelnetz? Zu den rundfunkrechtlichen Auswirkungen des Privatisierungsgebots nach Art. 87f Abs. 2 Satz 1 GG, 2000, S. 115 ff.; Cannive, ´ Infrastrukturgewährleistung in der Telekommunikation zwischen Staat und Markt. Eine verfassungsrechtliche Analyse des Universaldienstkonzepts im TKG, 2001, S. 178 ff.; Kutzschbach (o. Fußn. 63), S. 133; Nauheim, Die Rechtmäßigkeit des Must-Carry-Prinzips im Bereich des digitalisierten Kabelfernsehens in der Bundesrepublik Deutschland, 2001, S. 204 ff.; Schütz, MMR 1998, 11, 12 ff.; Stettner, Die Rechtspflicht der Landesmedienanstalten zur Kabelbelegung unter Berücksichtigung europäischer Rechtsvorschriften. Dargestellt am Beispiel der Bremischen Landesmedienanstalt, 1998, S. 62 ff.; Wegmann (o. Fußn. 63), S. 191 f.; Wichmann, Vielfaltsicherung in digitalen Breitbandkabelnetzen. Rechtsprobleme der Nutzung digitalisierter Rundfunk-Kabelnetze durch Fernsehveranstalter, 2004, S. 46 f.; Gersdorf, Regelungskompetenzen bei der Belegung digitaler Kabelnetze. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung zur Abgrenzung von Bundes- und Länderzuständigkeiten und zu den Rechten der Netzbetreiber bei der Zuweisung von Kabelkapazitäten für multimediale Dienste, 1996, S. 69 f.; ders., Chancengleicher Zugang zum digitalen Fernsehen. Eine Untersuchung des verfassungsrechtlichen Regulierungsrahmens am Beispiel des Entwurfs zum Vierten RÄStV v. 27.2.1998, 1998, S. 88 f.; ders., Kabeleinspeisung von Programmbouquets. Zugang digitaler Programmbouquets des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zum breitbandigen Kommunikationsnetz, 2000, S. 40; offen lassend BVerwG MMR 2001, 681 m. Anm. v. Reinersdorff = NVwZ 2001, 1399, 1407; BVerwG MMR 2004, 398 m. Anm. Attendorn = NVwZ 2004, 871, 878; BVerwG MMR 2004, 347 m. Anm. Attendorn = NVwZ 2004, 878, 884; vgl. schließlich zu dem Parallelproblem der grundrechtlichen Betroffenheit (Art. 14 GG) durch entsprechende Durchleitungsrechte nach Energiewirtschaftsrecht BGHZ 128, 17, 37; Klimisch/Lange, WuW 1998, 15, 23 f.; Papier, BB 1997, 1213, 1214 ff.; Schmidt-Preuß, AG 1996, 1, 7 f. 68 Vgl. Schmidt-Preuß, RdE 1996, 1, 9; Wegmann (o. Fußn. 63), S. 197. 69 Vgl. BVerfGE 65, 196, 210; 74, 129, 151 f.; 89, 214, 231 ff.; 103, 89, 100 f.; 126, 286, 300. 70 Vgl. BVerfGE 68, 193, 223 f.; 77, 84, 118; 95, 173, 188; 117, 163, 181; 126, 286, 300. 71 Vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG MMR 2001, 681 m. Anm. v. Reinersdorff = NVwZ 2001, 1399, 1406 f.; BVerwG MMR 2004, 398 m. Anm. Attendorn = NVwZ 2004, 871, 878; BVerwG MMR 2004, 347 m. Anm. Attendorn = NVwZ 2004, 878, 883; OVG Münster NVwZ 2000, 697, 701; Aschenbrenner (o. Fußn. 67), S. 114 f.; Cannive´ (o. Fußn. 67), S. 158 ff.; Kutzschbach (o. Fußn. 63), S. 129 f.; Märkl, Netzzusammenschaltung in der Telekommunikation, 1998, S. 295; Nauheim (o. Fußn. 67), S. 185 ff.; Stettner (o. Fußn. 67), S. 62; Stern/Dietlein, Archiv PT 1998, 309, 318 ff.; Wegmann (o. Fußn. 63), S. 197; Wichmann (o. Fußn. 67), S. 45 f. 72 Vgl. hierzu Gersdorf (o. Fußn. 67), S. 77 f. m.w.Nw. 73 Zu diesem Normziel des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vgl. nur BVerfGE 57, 295, 320; st. Rspr. 74 Vgl. Gersdorf, ZUM 2002, 106, 110 ff. m.w.Nw. 75 Vgl. hierzu Gersdorf (o. Fußn. 7), S. 65 ff. MMR-Beilage 6/2012

Die Eigentumsgarantie soll es dem Eigentümer ermöglichen, sein Eigentum nach privatautonomen Handlungsmustern zu nutzen. Insoweit enthält die grundrechtlich geschützte Eigentumsgewährleistung Elemente der allgemeinen Handlungsfreiheit. Sie schützt grundsätzlich auch die Entscheidung des Eigentümers darüber, wie er das Eigentumsobjekt verwenden will.66 Die Regulierung des Netzzugangs schmälert diese Dispositionsfreiheit des Netzeigentümers und ist daher an der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG zu messen.67 Daneben könnten sich die Kabelnetzbetreiber auf die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit berufen. Art. 14 und 12 GG stehen nicht im Verhältnis der Alternativität zueinander. Dieselbe Maßnahme kann sowohl die bestands- und betriebsbezogene Eigentumsgarantie als auch die erwerbs- und tätigkeitsbezogene Berufsfreiheit betreffen.68 Die Vertragsfreiheit wird zwar auch durch das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet.69 Betrifft eine gesetzliche Regelung jedoch die Vertragsfreiheit gerade im Bereich beruflicher Betätigung, die ihre spezielle Gewährleistung in Art. 12 Abs. 1 GG gefunden hat, scheidet die gegenüber anderen Freiheitsrechten subsidiäre allgemeine Handlungsfreiheit als Prüfungsmaßstab aus.70 Gesetzliche Vorschriften, die die vertraglichen Beziehungen der Kabelnetzbetreiber zu den Rundfunkveranstaltern gestalten und die sich deshalb für die Kabelnetzbetreiber als Berufsausübungsregelungen darstellen, sind daher grundsätzlich an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen.71 Eingriffe in diese grundrechtlich geschützten Unternehmensfreiheiten der Kabelnetzbetreiber sind nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage zulässig. Hierbei sind die allgemeinen rechtsstaatlich fundierten Kautelen zu beachten, insbesondere der aus dem Rechtsstaatsprinzip und den materiellen Grundrechten folgende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Wegen des sozialen Bezugs und der sozialen Funktion des Netzeigentums72 müssen sich Netzbetreiber Beschränkungen ihrer unternehmerischen Gestaltungsfreiheit gefallen lassen, die jedoch strikt den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genügen müssen. 2. Rundfunkspezifische Anreizregulierung auf dem Prüfstand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Die in Rede stehende rundfunkspezifische Anreizregulierung zielt auf eine Erhöhung der Informations- und Nachrichtenanteile in den privaten Fernsehprogrammen und damit auf die Verwirklichung des objektiv-rechtlichen Normziels des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG: auf eine umfassende Versorgung der Bevölkerung durch den (privaten) Rundfunk,73 wozu – selbstredend – auch ein gewisses Maß an Informations- und Nachrichtensendungen gehört. Der Informations- und Nachrichtenbegriff ist dabei nicht auf die staatsbezogene politische Berichterstattung beschränkt. Als inhaltsneutraler Begriff erstreckt er sich vielmehr auf sämtliche Gegenstände der staatlichen und gesellschaftlichen Lebensbereiche.74 Dieser auf die Verwirklichung von Programmvielfalt im privaten Rundfunk gerichtete Normzweck des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG wird durch die EMRK und durch die GRC bekräftigt. Dass den Medienfreiheiten in Europa eine objektiv-rechtliche Funktion i.S.d. Gewährleistung von Medienvielfalt zukommt und dass die Konventionsstaaten bzw. die EU-Mitgliedstaaten berechtigt sind, für Pluralität in ihren Mediensystemen Sorge zu tragen, ist (heute) ein grundrechtlicher Gemeinplatz, der in Art. 11 Abs. 2 GRC („und ihre Pluralität“) ausdrücklich verbrieft ist.75 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist die Sicherstellung von Medienpluralismus ein schutzwürdiges Allgemeininteresse, das Beschränkungen der Grundfreiheiten durch die Mitgliedstaaten grundsätzlich legitimieren kann, soweit dabei der Grundsatz der Gersdorf: Anreizregulierung zu Lasten Dritter? 9

Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.76 Dementsprechend sind auch die im Interesse der Pluralismussicherung bestehenden Übertragungspflichten von Netzbetreibern (Must-Carry-Rules) vom Gerichtshof grundsätzlich für zulässig erklärt worden.77 Die der Medienvielfalt dienenden Regelungen müssen den weiteren Voraussetzungen des aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten folgenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entsprechen (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GRC), um vor den grundrechtlichen Positionen der Netzbetreiber (Art. 14, 12 GG) Bestand zu haben. Sie müssen im Hinblick auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der Medienvielfalt geeignet und erforderlich sein und die Grenzen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne wahren. An das Kriterium der Eignung stellt das BVerfG keine allzu hohen Anforderungen. Ein Mittel ist bereits dann im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, wobei die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt.78 Mit der Möglichkeit der Zweckerreichung bringt das BVerfG zum Ausdruck, dass der Erfolg nicht in jedem Einzelfall auch tatsächlich eintreten muss.79 Nur Mittel, die generell die Zwecke der Regelung nicht verwirklichen können, sind als ungeeignet zu qualifizieren.80 Auf dem Gebiet der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung gebührt dem Gesetzgeber ein besonders weitgehender Einschätzungs- und Prognosespielraum.81 Es ist vornehmlich Sache des Gesetzgebers, auf der Grundlage seiner wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Vorstellungen und Ziele und unter Beachtung der Sachgesetzlichkeiten des betreffenden Sachgebiets zu entscheiden, welche Maßnahmen im Interesse des Gemeinwohls geboten sind. In Rechtsprechung und Schrifttum wird nur selten diskutiert, ob eine gesetzliche Regelung dann als nicht erforderlich einzustufen ist, wenn das von ihr intendierte Regelungsziel auch ohne Regelung, d.h. im Zuge des freien Spiels der Kräfte erreicht würde. Implizit wurde diese Frage vom BVerfG in seiner CannabisEntscheidung bejaht. Dort hat das Gericht ausdrücklich untersucht, ob die Freigabe (Nicht-Verbot) von Cannabis als milderes Mittel gegenüber einem Verbot zu qualifizieren ist und deshalb von Verfassungs wegen Vorzug genießt.82 Dies ist mit dem BVerfG zu bejahen. Grundrechtsbeeinträchtigende Vorschriften, deren Regelungsziel auch ohne gesetzliche Regelung erreicht wird, sind nicht erforderlich. Ihrer bedarf es zur Erreichung des Regelungsziels nicht; sie vermögen daher Grundrechtseingriffe nicht zu legitimieren.83 Ebenso wie bei der Frage der Geeignetheit verfügt der Gesetzgeber auch bei der Einschätzung der Erforderlichkeit über einen Beurteilungs- und Prognosespielraum.84 Prognosen enthalten stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil, dessen Grundlagen ausgewiesen werden können und müssen; diese sind einer (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle nicht entzogen.85 Im Einzelnen hängt die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers von verschiedenen Faktoren ab. Maßgebend sind insbesondere die Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, die Möglichkeit, sich ein hinreichend sicheres, empirisch abgestütztes Urteil zu bilden, sowie die Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter.86 In jedem Fall sind die Grundlagen der Entscheidung des Gesetzgebers im Einzelnen darzutun und zu begründen, damit sie einer verfassungsrechtlichen Überprüfung zugänglich sind. Für die verfassungsrechtliche Bewertung einer anreizorientierten Regulierung des privaten Rundfunks ist es daher erforderlich, die mit der Anreizregulierung verbundenen zusätzlichen Kosten für Programmleistungen einerseits und die hierdurch bewirkten Einspareffekte (Werbelockerungen, Must-Carry, Must10 Gersdorf: Anreizregulierung zu Lasten Dritter?

Be-Found, vergünstigte Einspeisekonditionen) andererseits zu ermitteln. Erst auf der Grundlage einer solchen (ökonomischen) Kosten-Nutzen-Analyse lässt sich sicher beurteilen, ob von der Anreizregulierung überhaupt hinreichende Impulse für die Erhöhung der Informations- und Nachrichtenanteile im privaten Rundfunk ausgehen und die Anreizregulierung ein geeignetes Mittel i.S.d. Verhältnismäßigkeitsprinzips ist. Ob ein System der Anreizregulierung den erhofften Effekt hervorruft, bemisst sich primär nach dem Strukturgesetz des kommerziellen Rundfunks: nach der ökonomischen Rationalität privater Anbieter. Ein ökonomisch rational handelndes Rundfunkunternehmen wird sich durch eine Anreizregulierung nur dann zu einer Ausweitung der Informations- und Nachrichtenproduktionen bewegen lassen, wenn die Kosten-Nutzen-Analyse ergibt, dass die Anreizregulierung (zumindest geringe) Vorteile bietet87 oder wenigstens die Vorteile die zusätzlichen Produktionskosten annähernd aufwiegen.88 Bei einem (krassen) ökonomischen Missverhältnis zu Lasten der Veranstalter geht von der Anreizregulierung regelmäßig kein nennenswerter Anreizeffekt aus. Das In-Kauf-Nehmen eines solchen wirtschaftlichen Nachteils kommt einer freiwilligen ökonomischen Selbstschädigung gleich, die kein kaufmännisch handelnder Unternehmer eingehen kann und darf; dies nicht zuletzt deswegen, weil sich das betreffende Leitungsorgan des Veranstalters sonst der Gefahr aussetzte, unter dem Gesichtspunkt der Organhaftung in Anspruch genommen zu werden. Die Höhe der für Informations- und Nachrichtensendungen erforderlichen Produktionskosten lässt sich schwerlich allgemein bestimmen. Sie hängt von einer Reihe von Faktoren ab, wie etwa von der Anzahl der Mitarbeiter, dem Sendeumfang und dem Anteil der Eigen- und Fremdproduktionen. Der Nachrichtensender N24 hatte im Jahr 2009 nach Medienberichten Programmund Verbreitungskosten von a 75 Mio.89 Aus dem im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten Jahresabschlussbericht für 2010 geht hervor, dass der Nachrichtenkanal n-tv a 5,962 Mio. Schulden gemacht hat, obwohl er Umsätze von a 50,973 Mio. verbuchen konnte (2009: a 43,071 Mio.).90 Auch die Veranstaltung von Informations- und Nachrichtensendungen durch einen Vollprogrammanbieter setzt hohe Investitionen von mehreren Millionen Euro im Jahr voraus. Diese Produktionskosten für Informations- und Nachrichtensendungen müssen zu der mit einer Anreizregulierung verbundenen Kostenersparnis in Relation gesetzt werden. Ob sich im Bereich des Werberechts zulässige und zu nennenswerten Mehreinnahmen führende Anreizelemente finden lassen, ist zweifelhaft. Wie bereits gezeigt, begegnen einer Nichtanrechnung von

76 Vgl. EuGH, Slg. 1991, I-4007 Rdnr. 23; EuGH, Slg. 1993, I-487 Rdnr. 10; EuGH, Slg. 1994, I-4795 Rdnr. 19; EuGH ZUM 2009, 547, 550 Rdnr. 37 = MMR 2009, 433 (Ls.). 77 EuGH ZUM 2009, 547, 550 f. Rdnr. 37 ff. = MMR 2009, 433 (Ls.). 78 Vgl. BVerfGE 63, 88, 115; 67, 157, 175; 96, 10, 23; 103, 293, 307. 79 Vgl. BVerfGE 67, 157, 175; 96, 10, 23. 80 Vgl. nur BVerfGE 96, 10, 23. 81 Vgl. BVerfGE 25, 1, 17, 19 f.; 37, 1, 20; 50, 290, 338; 51, 193, 208; 77, 84, 106 f.; 87, 363, 383; 103, 293, 307. 82 Vgl. BVerfGE 90, 145, 182 f. 83 Vgl. auch Stober, GewArch 2003, 305, 321, der eine bereichsspezifische Regulierung der gewerblichen Spielevermittlung unter Hinweis darauf für nicht erforderlich hält, dass die Spielevermittler bereits von der GewO erfasst sind. 84 Vgl. nur BVerfGE 102, 197, 218; 115, 276, 309 = MMR 2006, 298 m. Anm. Holznagel/Ricke. 85 Grundlegend BVerfGE 50, 290, 332; st. Rspr. 86 Grundlegend BVerfGE 50, 290, 332; st. Rspr.; vgl. nur BVerfGE 83, 130, 140 f. 87 So im Ausgangspunkt zutreffend Schulz/Held (o. Fußn. 28), S. 101. 88 So Hain, K&R 2010, 638, 640. 89 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-68073980.html. 90 http://www.digitalfernsehen.de/N-TV-tief-in-den-roten-Zahlen-knapp-6-Milli onen-Euro-Verlust.69110.0.html. MMR-Beilage 6/2012

Split-Screens auf die Gesamtwerbedauer i.S.d. § 45 RStV unter Gleichheitsgesichtspunkten erhebliche grundrechtliche Bedenken.91 Die ebenfalls vorgeschlagene Ausnahme von dem grundsätzlichen Verbot der Einzelspotwerbung wird kaum Mehreinnahmen generieren, die in einem angemessenen Verhältnis zu den Belastungen stehen. Auch dieses Anreizelement ist bei Lichte betrachtet kein Anreiz und daher nicht geeignet, den privaten Rundfunk zu einer Erhöhung der Informations- und Nachrichtenanteile zu veranlassen. Im Folgenden werden die Anreizinstrumente näher betrachtet, die sich auf die Netzbetreiber beziehen und ihre grundrechtlich geschützten Positionen betreffen. Die geplanten Anreizelemente Must-Carry und Must-Be-Found lassen keinen hinreichenden Begünstigungs- bzw. Einspareffekt erwarten, die in einer auch nur annähernd verhältnismäßigen Relation zu den Produktionskosten für Informations- und Nachrichtensendungen stehen. In Ermangelung eines entsprechenden Anreizeffekts erweisen sich diese Anreizelemente im Hinblick auf die intendierte Erhöhung der Informations- und Nachrichtenanteile im privaten Rundfunk als schlechthin ungeeignet und vermögen Eingriffe in die grundrechtlichen Positionen der Netzbetreiber nicht zu legitimieren (unter a) und b)). Auch ein auf Vergünstigungen bei der Kabeleinspeisung beruhendes Anreizelement lässt sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen, weil es die grundrechtliche Verantwortlichkeitsteilung zwischen Rundfunkveranstaltern und Netzbetreibern nicht beachtet (unter c)). a) Anreizeffekt durch Must-Carry? Für die Frage, ob von der Gewährung eines Must-Carry-Status für private Fernsehprogramme, die den vom Gesetzgeber bzw. von den Landesmedienanstalten noch zu bestimmenden Qualitätsstandards genügen, ein Anreizeffekt im Hinblick auf programmliche Mehrleistungen der privaten Veranstalter ausgeht, bedarf es zunächst der Klärung, welche Bedeutung und Tragweite dem Must-Carry-Status zukommt. Insbesondere stellt sich die Frage, ob Must-Carry-Programme auch dann in die Kabelnetze einzuspeisen sind, wenn sich der betroffene Kabelnetzbetreiber und die in den Genuss des Must-Carry-Status kommenden (privaten) Rundfunkveranstalter über einen Kabelweiterverbreitungsvertrag, der insbesondere die Verbreitungskonditionen regelt, nicht verständigt haben. Die Antwort auf diese Frage richtet sich danach, ob der Rechtsgrund für die Einspeisung von Must-Carry-Programmen in § 52b RStV oder ausschließlich in der vertraglichen Regelung zwischen Kabelnetzbetreiber und Rundfunkveranstalter liegt.92 Diese Frage ist – im Gegensatz zu anderen Regulierungsfeldern (Telekommunikation, Eisenbahnsektor etc.) – in § 52b RStV nicht ausdrücklich geregelt. Jedenfalls für den Bereich des privaten Rundfunks steht fest,93 dass der Rechtsgrund für die Kabeleinspeisung in dem betreffenden Kabeleinspeisungsvertrag liegt. Private Rundfunkveranstalter müssen sich mit dem Kabelnetzbetreiber über einen Kabeleinspeisungsvertrag verständigen, in dem insbesondere die Konditionen für die Kabelweiterverbreitung geregelt sind, und zwar auch dann, wenn sie über einen Must-Carry-Status i.S.d. § 52b RStV verfügen. Insoweit besteht kein nennenswerter Unterschied zwischen Must-Carry- und Non-Must-Carry-Program-

91 Vgl. oben unter F. I. vor Fußn. 62. 92 Vgl. hierzu ausf. Gersdorf, K&R 2009 (Beihefter 1/2009), 1, 2 ff. 93 Zur Situation bei der Einspeisung öffentlich-rechtlicher Rundfunkprogramme vgl. Gersdorf, K&R 2009 (Beihefter 1/2009), 1, 3 ff. 94 Vgl. Gersdorf, K&R 2009 (Beihefter 1/2009), 1, 21. 95 Umfassend zur rundfunkspezifischen Entgeltregulierung nach dem RStV Gersdorf, K&R 2009 (Beihefter 1/2009), 1, 14 ff. 96 Vgl. die im ABl. der BNetzA veröffentlichte Mitteilung Nr. 585/2010. 97 So auch Schulz/Held (o. Fußn. 28), S. 107, anders hingegen implizit auf S. 113 ff. MMR-Beilage 6/2012

men. Der aus dem Must-Carry-Status ggf. folgende Kontrahierungszwang lässt die Bedingungen der Kabeleinspeisung unberührt. In der Praxis werden den Must-Carry-Programmen keine vergleichsweise günstigeren Konditionen eingeräumt. Marktüblich ist vielmehr eine Entgeltdifferenzierung, die sich insbesondere an dem Umfang der (begehrten) Übertragungskapazitäten und an der Reichweite der versorgten Wohneinheiten (technische Reichweite) orientiert.94 Die Höhe der Einspeiseentgelte bestimmt sich in der Praxis nicht nach dem Must- bzw. Non-Must-Carry-Status der einzuspeisenden Programme. Ob die Einräumung vergleichsweise günstigerer Einspeiseentgelte für Must-Carry-Programme mit der Entgeltregulierungsvorschrift des § 52d RStV überhaupt in Einklang stünde,95 braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn jedenfalls hat sich in der Praxis eine entsprechende Entgeltgestaltung nicht herausgebildet. Dementsprechend entbehrt die Annahme, von einem Must-Carry-Status könnte ein Anreiz zur Erhöhung der Informations- und Nachrichtenanteile in privaten Rundfunkprogrammen ausgehen, jedweder Grundlage. Ein solches Anreizelement ist von vornherein ungeeignet und vermag Eingriffe in die Grundrechte der Netzbetreiber daher nicht zu rechtfertigen. Darüber hinaus beziehen sich die mit einer Anreizregulierung verbundenen erhöhten Programmerwartungen realiter auf die reichweitenstarken Programme, deren Einspeisung ohnehin im ökonomischen Interesse der Netzbetreiber liegt und damit faktisch – und zwar unabhängig von der etwaigen Auferlegung gesetzlicher Übertragungspflichten – vorgenommen wird. Zwischen (reichweitenstarken) Rundfunkveranstaltern und Netzbetreibern besteht ein Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit, das es den Netzbetreibern verwehrt, sich unabhängig von der Marktgegenseite und den Kabelkunden zu verhalten, und das deshalb eine (sektorspezifische) tk-rechtliche Regulierungsbedürftigkeit entfallen lässt (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 2 TKG). In diesem Zusammenhang ist an die Entscheidung der Präsidentenkammer der BNetzA v. 7.10.2010 zu erinnern, wonach der Einspeise- und der Signallieferungsmarkt nicht mehr als (potenziell) regulierungsbedürftig angesehen und damit nur noch der Aufsicht des BKartA überantwortet werden.96 Die reichweitenstarken Programme privater Anbieter wurden in der Vergangenheit und werden auch gegenwärtig in die Kabelnetze – ohne Must-Carry-Regelung – eingespeist. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich an dieser Sachlage etwas ändern könnte, zumal die Nichteinspeisung der Hauptprogramme privater Anbieter nicht im Interesse der Kabelkunden und damit auch nicht im Interesse der Kabelnetzbetreiber liegt. In der Praxis haben sich die Kräfteverhältnisse zwischen den reichweitenstarken Veranstaltern und den Kabelnetzbetreibern verschoben. Die (noch nicht abgeschlossene) Diskussion über die Kabeleinspeisung der Programme der RTL Group in HD-Qualität zeigt, dass die Kabelnetzbetreiber keinesfalls über die Marktmacht verfügen, um ihre Forderungen im Verhältnis zu den Rundfunkveranstaltern in jedem Fall durchsetzen zu können. Auf Grund dieses – eher zu Lasten der Kabelnetzbetreiber gehenden – Kräfteverhältnisses ist nicht zu erwarten, dass ein Must-Carry für reichweitenstarke private (Informations-)Programme zu einem nennenswerten Entlastungs- und damit Anreizeffekt führte.97 Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund der erheblichen Produktionskosten für entsprechende Nachrichten- und Informationssendungen. Must-Carry-Vorschriften sind daher nicht geeignet, den privaten Rundfunk zur Produktion von Nachrichten- und Informationssendungen zu veranlassen. b) Anreizeffekt durch Must-Be-Found? Gewiss kommt der Frage nach dem „Ob“ und dem „Wie“ der Präsentation eines Rundfunkprogramms in EPGs bzw. Navigatoren eine besondere Bedeutung für den publizistischen und wirtGersdorf: Anreizregulierung zu Lasten Dritter? 11

schaftlichen Erfolg des Senders zu.98 Nur ist diese Frage im gegebenen Zusammenhang irrelevant, solange von der Regulierung von Navigatoren i.S.e. Must-Be-Found kein Anreiz für die Erhöhung der Informations- und Nachrichtenanteile in privaten Rundfunkprogrammen ausgeht. Auch insoweit gilt es, die mit einer Ausweitung des Informations- und Nachrichtenangebots verbundenen Programmkosten in ein Verhältnis zu den Vorteilen eines Must-Be-Found zu setzen. Es liegt auf der Hand, dass die ökonomischen Vorteile eines Must-Be-Found in keinem Verhältnis zu den programmlichen Mehrkosten stehen. Durch eine regulatorische Anordnung von Must-Be-Found in Navigatoren wird sich kein rational handelnder Unternehmer veranlasst sehen, Programmmehrkosten in einem höheren Millionenbereich zu tragen: Zunächst ist der mögliche Gegenstand einer solchen Anreizregulierung außerordentlich begrenzt, denn es ginge nicht um ein Must-Be-Found in EPGs, sondern allein in Navigationssystemen.99 Auch der insoweit von den Landesmedienanstalten unterbreitete Regulierungsvorschlag erstreckt sich ausschließlich auf § 52c RStV,100 der in seinem Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 nur Benutzeroberflächen betrifft, die den ersten Zugriff auf die Angebote herstellen. Ausweislich der Amtlichen Begründung sind damit nicht Systeme, die der Nutzer einsetzt, oder EPGs erfasst.101 Sollte man künftig in Erwägung ziehen, auch EPGs einer Regulierung zu unterziehen, wären hierbei spezifische verfassungsrechtliche Direktiven zu beachten. Eine Regulierung von veranstalterunabhängigen EPGs ist problematisch, weil insoweit keine besondere Diskriminierungsgefahr erkennbar ist.102 Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Ausgestaltung entsprechender EPGs Ausdruck publizistischer Gestaltungsfreiheit ist, die den besonderen Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG genießt.103 Allenfalls marktbeherrschende Betreiber von EPGs könnten einer rundfunkrechtlichen Regulierung unterworfen werden. I.Ü. dürfte Art. 31 UDRL eine abschließende Regelung enthalten und damit einer Regulierung von EPGs durch die Mitgliedstaaten entgegenstehen.104 Der Anreizeffekt einer möglichen Must-Be-Found-Regulierung wird jedoch nicht nur wegen seiner gegenständlichen Bezogenheit auf Navigationssysteme begrenzt. Wie bereits erwähnt, beziehen sich die mit einer Anreizregulierung verbundenen erhöhten Programmerwartungen realiter auf die reichweitenstarken Programme der privaten Veranstalter. Nicht nur deren Einspeisung, sondern auch deren prävalente Platzierung in Navigatoren liegt im Eigeninteresse der Netzbetreiber als Anbieter von Navigatoren.105 Eine eigenständige Bedeutung könnte ein Must-BeFound allenfalls für Nachrichtensender haben, deren angemessene Platzierung in den Navigationssystemen in Ermangelung eines hinreichenden Zuschauerzuspruchs nicht in jedem Fall im Interesse der Netzbetreiber liegen muss. Nur sind die Produktionskosten für Nachrichtensender (in Höhe eines hohen zweistelligen Millioneneurobetrags106) so groß, dass von einem Must-Be-Found kein (spürbarer) Anreiz für entsprechende Programminvestitionen ausgehen dürfte. Hinzu kommt, dass Kabelnetzbetreiber als veranstalterunabhängige Betreiber von Navigatoren kein wirtschaftliches Eigeninteresse an der Diskriminierung von Inhalten haben. Der Begrenzung des Diskriminierungspotenzials korrespondiert die Limitierung des Anreizeffekts. Und schließlich ist zu berücksichtigen, dass nur ein geringer Anteil (etwa 1/3) der Kabelhaushalte den Navigator der Kabelnetzbetreiber überhaupt verwendet, während ein Großteil auf die Orientierungssysteme der Gerätehersteller (Smart-TV etc.) zugreift, für die § 53 RStV nicht gilt. Fasst man alle diese Gründe zusammen, lässt sich festhalten, dass eine Must-Be-Found-Regulierung von Navigationssystemen keine nennenswerten Anreize für Programminvestitionen 12 Gersdorf: Anreizregulierung zu Lasten Dritter?

privater Veranstalter, die sich auf mehrere Millionen beliefen, setzt. Auch dieses Anreizelement ist zur Erreichung des intendierten Regelungsziels ungeeignet. c) Vergünstigungen bei der Kabeleinspeisung Als Anreizelement könnten Vergünstigungen bei der Kabeleinspeisung für diejenigen privaten Rundfunkveranstalter in Betracht gezogen werden, die den vom Gesetzgeber bzw. von den Landesmedienanstalten noch festzulegenden Qualitätsanforderungen genügen.107 In den Vorschlägen der Landesmedienanstalten zum Modell einer rundfunkspezifischen Anreizregulierung finden sich allerdings keine derartigen Überlegungen.108 Ein solches Anreizelement könnte in der Verpflichtung der Kabelnetzbetreiber bestehen, die betreffenden privaten Rundfunkprogramme unentgeltlich, zu Selbstkostenentgelten oder zu einem regulierten, vergleichsweise niedrigeren Entgelt in die Kabelnetze einzuspeisen. Um den Anreizeffekt einer solchen Maßnahme einschätzen zu können, ist ein Blick auf die in der Praxis üblichen Transportentgelte erforderlich. In der BRD beziehen etwa 18 Mio. Haushalte Fernsehen über Kabelnetze. Knapp 3 Mio. Haushalte werden von kleineren, meist nur lokal agierenden Unternehmen (wie Tele Columbus, PrimaCom, Pepcom, Deutsche Telekabel, NetCologne, wilhelm tel) versorgt, die nicht bloße NE4-Betreiber sind, sondern über integrierte Netze mit eigenen Satellitenempfangsstellen verfügen. Diese lokalen Netzbetreiber erhalten für die Einspeisung und Signalweiterleitung von Free-TV-Anbietern in der Regel keine Einspeiseentgelte, sondern finanzieren sich zur Gänze aus den von den Kabelhaushalten erhobenen Entgelten. Die großen regionalen bzw. überregionalen Kabelnetzbetreiber (KDG, Unitymedia/Kabel BW) bekommen Einspeiseentgelte, wobei die Übertragungskosten jedoch deutlich unter denen von Satellit (a 5 bis 6 Mio. je Transponder/Jahr) und DVB-T (allein in NRW: a 675.000,– pro Veranstalter je Programm109) liegen. Eine bundesweite Kabelverbreitung im SD-Standard kostet dadurch weniger als a 600.000,– pro Jahr. Die Kosten für eine analoge Verbreitung belaufen sich auf unter a 3 Mio. pro Jahr, wobei aber teilweise auch die digitale Verbreitung bereits mitabgegolten ist (sog. Simulcast). Bei der Verbreitung im HDTV-Standard haben sich die Programmveranstalter ganz überwiegend für eine verschlüsselte Verbreitung entschieden, wodurch ihnen im Gegenzug für die gezahlten Transportvergütungen erhebliche Lizenzentgelte der Netzbetreiber zufließen. Dies ist teilweise auch bei der SD-Verbreitung der Fall und ist dann ebenfalls als Abzugsposten in Ansatz zu bringen. In der wirtschaftlichen Gesamtbewertung ist zudem zu berücksichtigen, dass den Programmveranstaltern (teilweise über die Verwertungsgesellschaften VG Media und VFF) Zahlungen der Kabelnetzbetreiber für Urheber- und Leistungsschutzrechte zufließen, die einen nicht unerheblichen Teil der Einspeiseentgelte kompensieren. Bei der Verbreitung über Satellit und DVB-T ist dies nicht der Fall. 98 Vgl. hierzu eingehend bereits Gersdorf (o. Fußn. 67), S. 158 ff. m.w.Nw. in Fußn. 324. 99 Unpräzise deshalb Schulz/Held (o. Fußn. 28), S. 107: „Der EPG-Prominenz wird von Veranstaltern ein hoher Wert beigemessen.“ (Hervorhebung nur hier). 100 Vgl. oben unter C. 101 Begr. zum 10. RÄStV, LT-Drs. (MV) 5/1279, S. 61; s. statt aller Grewenig, ZUM 2009, 15, 21; Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, RStV, Bd. II, 38. EL 2009, § 52c Rdnr. 23; Holznagel/Jahn, in: Spindler/Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, § 52 RStV Rdnr. 33. 102 Gersdorf (o. Fußn. 67), S. 161. 103 Vgl. Gersdorf (o. Fußn. 67), S. 161 f., 74 ff. 104 Ebenso Schulz/Held (o. Fußn. 28), S. 78. 105 S.a. Schulz/Held (o. Fußn. 28), S. 107 f. 106 Vgl. oben unter F. II. 2. bei Fußn. 89. 107 Vgl. zu einem solchen Anreizelement Schulz/Held (o. Fußn. 28), S. 110 ff. 108 Vgl. hierzu unter C. 109 Schulz/Held (o. Fußn. 28), S. 110. MMR-Beilage 6/2012

Eine gesetzlich begründete Vergünstigung bei der Kabeleinspeisung würde daher bei weitem nicht ausreichen, um einen hinreichenden Anreiz für die Ausweitung der Informations- und Nachrichtenanteile in privaten Rundfunkprogrammen zu setzen, weil die hiermit verbundenen Programmkosten die Kostenersparnisse um ein Vielfaches überstiegen. Sie wäre daher nicht geeignet, um einen Eingriff in die grundrechtlichen Positionen der Kabelnetzbetreiber zu rechtfertigen. Doch selbst wenn die Eignung gegeben wäre, etwa weil weitere nachhaltig wirkende Anreizelemente im Bereich des Werberechts hinzuträten, müssten die übrigen Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gewahrt, also den Postulaten der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Rechnung getragen sein. Ob dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne entsprochen ist, beurteilt sich nach der grundrechtlichen Verantwortlichkeitsteilung zwischen Rundfunkveranstaltern und Netzbetreibern. (1) Primäre Verantwortlichkeit des Rundfunks zur Verwirklichung des Normziels des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Die Zulässigkeit einer Kostenüberwälzung auf die Netzbetreiber lässt sich nicht mit der besonderen Sozialpflichtigkeit des Netzeigentums (Art. 14 GG)110 begründen, weil auch Rundfunkveranstalter kraft ihrer dienenden Funktion (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) und kraft ihres Eigentums am Unternehmen (Art. 14 GG) entsprechende Pflichten haben. Es ist Ausdruck der dienenden Freiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, dass der Rundfunk die mit dem Versorgungsauftrag verbundenen Kosten tragen muss und diese nicht auf Dritte übergewälzt werden dürfen. Bekanntlich versteht das BVerfG das Grundrecht der Rundfunkfreiheit nicht als Individualgrundrecht, sondern als dienende Freiheit.111 Das Grundrecht, so das BVerfG, diene anders als andere Freiheitsgrundrechte nicht in erster Linie dem Grundrechtsträger, also dem Rundfunkveranstalter und seinen personalen Entfaltungsinteressen, sondern werde primär im Interesse freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung gewährleistet.112 Es werde seinem Träger nicht „zum Zweck der Persönlichkeitsentfaltung oder Interessenverfolgung“ eingeräumt.113 Das Gericht versteht das Grundrecht der Rundfunkfreiheit also nicht als selbstzweckhafte Freiheit, in dessen dogmatischem Gravitationszentrum der Schutz der personalen und wirtschaftlichen Entfaltungsinteressen steht.114 Vielmehr genießt der einzelne Grundrechtsträger grundrechtlichen Schutz in erster Linie im Interesse des Prozesses individueller und öffentlicher Meinungsbildung. Auf den Schutz dieses freien Kommunikationsprozesses als Basisgewährleistung sämtlicher Garantien des Art. 5 Abs. 1 GG ist das Grundrecht der Rundfunkfreiheit funktional bezogen. Es geht nicht um die wirtschaftlichen Interessen des Rundfunkveranstalters, sondern um die Gewährleistung einer in ge110 Vgl. hierzu unter F. II. 1. bei Fußn. 72. 111 BVerfGE 57, 295, 319; 83, 238, 295 f.; 87, 181, 197; 90, 60, 87; 107, 299, 332; 114, 371, 386 f.; 121, 30, 50. 112 Besonders deutlich BVerfGE 83, 238, 315. 113 BVerfGE 87, 181, 197. 114 Prägnant BVerfGE 83, 238, 315: „Die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ermächtigt ihren Träger nicht zu beliebigem Gebrauch.“ 115 BVerfGE 74, 297, 335: „Marktchancen können eine Frage wirtschaftlicher, nicht aber der Meinungsfreiheit sein.“ 116 Vgl. Gersdorf (o. Fußn. 67), S. 21 f. 117 Zutreffend charakterisieren Schulz/Held (o. Fußn. 28), S. 113, den dienenden Charakter des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, indem sie von einer „Bringschuld“ der Veranstalter sprechen. Und zutreffend erachten beide Autoren es als unverhältnismäßig, „Infrastrukturbetreiber zur – mittelbaren – Finanzierung der Übertragung bestimmter Angebote heranzuziehen, wenn die Veranstalter mit diesen Angeboten Gewinne erzielen.“ (S. 111). Unbeantwortet bleibt hingegen die – letztlich entscheidende – Frage, ob dies auch für defizitäre Programme wie Nachrichtensender oder defizitäre Regionalfenster gilt, S. 111: „Allenfalls ... denkbar“, wobei auch hier „die regulatorische Fairness zu berücksichtigen“ sei. 118 So auch Schulz/Held (o. Fußn. 28), S. 111. MMR-Beilage 6/2012

genständlicher und meinungsbezogener Hinsicht umfassenden Versorgung der Bevölkerung mit Rundfunkprogrammen. Nicht die ökonomischen Interessen der Rundfunkveranstalter stehen in der Sinnmitte des grundrechtlichen Schutzes, sondern das Ziel einer umfassenden Information der Bevölkerung durch den Rundfunk.115 In pointierter Verdichtung lässt sich diese Rechtsprechung mit folgendem Kernsatz zusammenfassen: Es geht um „Dienen statt Verdienen“.116 Kraft dieser dienenden Funktion des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist es primär Aufgabe des Rundfunks, die mit dem Versorgungsauftrag verbundenen Kosten zu übernehmen. Diese aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgende Verantwortlichkeit darf nicht beliebig auf Dritte übergewälzt werden. Die sich aus dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit ergebenden publizistischen und wirtschaftlich relevanten Lasten sind von den Trägern des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, d.h. von den Rundfunkveranstaltern, und nicht von Dritten, wie den Infrastrukturbetreibern, zu tragen. Diese grundrechtliche Verantwortungszuweisung würde auf den Kopf gestellt, wenn die vom privaten Rundfunk zu tragenden wirtschaftlichen Lasten für publizistische Leistungen im Zuge einer Anreizregulierung auf Netzbetreiber (anteilig) übergewälzt würden. Eine Anreizregulierung, die Netzbetreibern solche finanziellen Lasten aufbürdet, die nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG den privaten Rundfunkveranstaltern obliegen, ist verfassungswidrig.117 (2) Subsidiäre Verantwortlichkeit der Netzbetreiber zur Verwirklichung des Normziels des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Die grundrechtliche Verantwortlichkeitsteilung zwischen Rundfunk und Infrastrukturbetreibern bedeutet nicht, dass Netzbetreiber überhaupt nicht zum Zwecke der Verwirklichung des Normziels des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG herangezogen werden dürfen. Entscheidend ist von Verfassungs wegen allein, dass die grundsätzliche Verantwortlichkeitstrennung gewahrt bleibt. Dementsprechend lassen etwa die Must-CarryVorschriften für regionale bzw. lokale Fensterprogramme sowie für Offene Kanäle (vgl. § 52b Abs. 1 Nr. 1 lit. c RStV) die dem Rundfunk obliegende Verantwortung für die mit der Programmveranstaltung verbundenen wirtschaftlichen Lasten unberührt. Anders als bei der Anreizregulierung werden hier keine vom Rundfunk zu tragenden Lasten auf den Netzbetreiber übergewälzt. Eine solche der Anreizregulierung inhärente Lastenübertragung auf die Kabelnetzbetreiber ist nur in engen Grenzen, insbesondere unter strikter Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes zulässig. Eine solche Ausnahmesituation kann allenfalls vorliegen, wenn es dem Rundfunk nicht möglich oder nicht zumutbar ist, seinen Programmauftrag ohne Inanspruchnahme Dritter zu erfüllen. Diese Voraussetzungen sind offenkundig nicht erfüllt, solange und soweit private Rundfunkveranstalter mit ihren Angeboten Gewinne erwirtschaften.118 Dies gilt nicht nur für einzelne private Rundfunkveranstalter, sondern auch für solche Veranstalter (wie n-tv), die einer Senderfamilie mit einer Holdingstruktur angehören, innerhalb derer ein Gewinn- bzw. Verlustausgleich erfolgt. Dessen ungeachtet trifft den Rundfunk in seiner Gesamtheit die Verantwortlichkeit, für die mit seinen publizistischen Pflichten verbundenen wirtschaftlichen Lasten aufzukommen. Nicht nur private Anbieter, die Informations- und Nachrichtensendungen ausstrahlen, sondern auch alle anderen Rundfunkveranstalter stehen dem Normziel des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG erkennbar näher als Dritte wie die Infrastrukturbetreiber. Deshalb steht von Verfassungs wegen in erster Linie der private Rundfunk als solcher in der Pflicht, seinem Auftrag zur Versorgung der Bevölkerung mit Rundfunk nachzukommen. Nicht gleichrangig oder gar vorrangig, sondern lediglich subsidiär können Dritte wie die Infrastrukturbetreiber zur Verwirklichung Gersdorf: Anreizregulierung zu Lasten Dritter? 13

des Normziels des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG herangezogen werden. Dass der private Rundfunk als solcher zur Erhöhung der Informations- und Nachrichtenanteile in seinen Programmen wirtschaftlich in der Lage ist und dass die hierfür erforderlichen Steuerungs- und Kontrollinstrumente nach Landesrecht zur Verfügung stehen bzw. zur Verfügung gestellt werden können, steht außer Frage: Die Ertragssituation des privaten Fernsehens lässt entsprechende Investitionen im Informations- und Nachrichtenbereich zu. Die Erträge im privaten Fernsehen ohne Teleshopping betragen knapp a 6 Mrd. pro Jahr. Abgesehen vom BoomJahr 2000 ist die Ertragssituation im Zeitraum von 2000 bis 2010 in etwa konstant geblieben. Insbesondere konnten die privaten Fernsehsender die zwischen 2000 und 2003 deutlich gesunkenen Werbeeinnahmen in den folgenden Jahren wieder ausgleichen. Seit 2006 ist die Ertragslage relativ konstant.119 Zudem wäre es möglich, die – auch i.R.e. Anreizregulierung – zu bestimmenden Qualitätsanforderungen an die Veranstaltung privaten Rundfunks mit Mitteln des Rundfunkrechts durchzusetzen. Vorstellbar wäre etwa die Wiedereinführung eines in programmlicher Hinsicht binnenpluralistischen Ordnungskonzepts und damit eine Korrektur des Systemwechsels aus dem Jahr 1996;120 außerdem könnte die Zulassungserteilung privater Veranstalter stärker als bislang an die Erfüllung bestimmter Qualitätsanforderungen gebunden werden.121 Denkbar erscheint auch die Einführung eines Universaldienstregimes mit Universaldienstabgabe, welches konzeptionell auf der Überlegung beruht, dass diejenigen Anbieter, die ihren programmlichen Primärpflichten nicht oder nicht hinreichend nachkommen, Sekundärpflichten in Form der Entrichtung einer Universaldienstabgabe zur Finanzierung des Universaldienstes erfüllen müssen.122 Im Hörfunkbereich könnte die Gewährung des Rundfunkprivilegs einer kostenlosen Frequenzzuteilung nach dem TKG an die Erfüllung publizistischer Pflichten geknüpft werden. Schließlich wäre in Betracht zu ziehen, die Informations- und Nachrichtenprogramme privater Rundfunkveranstalter (anteilig) aus dem allgemeinen Rundfunkbeitragsaufkommen zu finanzieren.123 Im Ergebnis ist festzuhalten, dass es dem privaten Rundfunk in seiner Gesamtheit möglich und zumutbar ist, seinen auf umfassende Versorgung der Bevölkerung gerichteten Auftrag zu erfüllen und die Informations- und Nachrichtenanteile in seinen Programmen zu erhöhen. Die Voraussetzungen für die nur subsidiär zulässige Heranziehung von Infrastrukturbetreibern zur Verwirklichung des Normziels des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG sind nicht erfüllt. Es wäre von Verfassungs wegen unzulässig, die vom privaten Rundfunk – kraft seiner grundrechtlich dienenden Funktion (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) – zu tragenden (programmlichen und damit auch) wirtschaftlichen Lasten im Zuge einer Anreizregulierung auf die Betreiber von Infrastrukturen (anteilig) überzuwälzen. Dieses Auslegungsergebnis wird nicht zuletzt auch durch Art. 31 Abs. 2 UDRL bestätigt. Art. 31 Abs. 2 UDRL räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, in Bezug auf die den Kabelnetzbetreibern gem. Art. 31 Abs. 1 UDRL auferlegten Übertragungspflichten ein angemessenes Entgelt festzulegen. Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission enthielt sogar eine Entschädigungsverpflichtung.124 Nunmehr liegt es im Ermessen der Mitgliedstaaten, eine dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Transparenz entsprechende Entschädigung vorzusehen. Der EuGH hat zu der Vorschrift des Art. 31 UDRL umfassend Stellung genommen. Er begründet die Verhältnismäßigkeit der Must-Carry-Vorschrift des Art. 31 Abs. 1 UDRL damit, „dass Art. 31 Abs. 2 der Universaldienstrichtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, ein angemessenes Entgelt festzule14 Gersdorf: Anreizregulierung zu Lasten Dritter?

gen.“125 Das erkennbare Ziel des Art. 31 Abs. 2 UDRL ist demnach, die Kabelnetzbetreiber bei der Auferlegung von Übertragungspflichten vor einer übermäßigen Belastung zu schützen.126 Die in Art. 31 Abs. 2 UDRL vorgesehene Entschädigungsmöglichkeit würde auf den Kopf gestellt, wenn die Mitgliedstaaten den Infrastrukturbetreibern nicht nur Übertragungspflichten auferlegen, sondern auch die Einspeiseentgelte zu Lasten der Netzbetreiber festlegen und begrenzen dürften. Art. 31 Abs. 2 UDRL sieht eine Entschädigungsmöglichkeit zu Gunsten des Netzbetreibers, nicht aber das Gegenteil, also eine Begrenzung der vom Netzbetreiber festgelegten Einspeiseentgelte, vor.127

G. Zusammenfassung I. Gegenstand des Gutachtens Dass die an die Veranstaltung von privatem Rundfunk gestellten Programmerwartungen mit der Programmrealität nicht (immer) übereinstimmen, ist kein neuartiges Phänomen, sondern kennzeichnet den privaten Rundfunk bereits seit dessen Einführung in den 80er Jahren. Neu sind hingegen Überlegungen, den privaten Rundfunk durch eine anreizorientierte Regulierung zu einer Ausweitung seiner programmlichen Leistungen insbesondere in den Bereichen Nachrichten und Information zu veranlassen. Im Gegensatz zu früheren Steuerungsansätzen, die auf imperativen Einwirkungen (Ge- und Verboten) gründeten, beruht das anreizorientierte Regulierungsmodell auf der Einräumung von Optionen, von denen private Veranstalter Gebrauch machen können, ohne hierzu rechtlich verpflichtet zu sein: Sofern einzelne private Rundfunkveranstalter bestimmte Qualitätsstandards erfüllen, gelangen sie quid pro quo in den Genuss von Vergünstigungen. Solche Privilegien können im Verzicht auf Regulierung etwa im Bereich der Werbung oder in der Gewährung von Vorteilen beim Zugang zu Infrastrukturen (Must-Carry, Must-Be-Found in Navigatoren bzw. EPGs, vergünstigter Zugang zu Infrastrukturen) liegen.128 Gegenstand des vorliegenden Gutachtens ist die Frage, ob ein solches anreizorientiertes Regulierungsmodell mit dem (Verfassungs-)Recht in Einklang steht. Zu klären ist insbesondere, ob der Gesetzgeber berechtigt ist, die vom privaten Rundfunk – kraft seiner grundrechtlich dienenden Funktion (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) – zu tragenden (programmlichen und damit auch) wirtschaftlichen Lasten im Zuge einer Anreizregulierung auf die Betreiber von Infrastrukturen (anteilig) überzuwälzen.129

119 Vgl. Goldmedia GmbH, in: ALM (Hrsg.), Wirtschaftliche Lage des Rundfunks in Deutschland 2010/2011, 2011, S. 33 ff., insb. 39 ff. 120 Vgl. Schulz/Held (o. Fußn. 28), S. 111. 121 Hain, K&R 2010, 638, 640 mit Fußn. 26 unter Hinweis auf die Praxis der ZAK. 122 Zur Universaldienstabgabe im Regulierungsrecht vgl. Gersdorf, in: Osterloh/ Schmidt/Weber (Hrsg.), Staat, Wirtschaft, Finanzverfassung. Festschrift für Peter Selmer zum 70. Geburtstag, 2004, S. 351 ff. 123 Vgl. hierzu bereits oben unter E. bei und nach Fußn. 45. 124 Vgl. Art. 26 Abs. 2 des Vorschlags der Kommission, KOM (2000) 392 endg., abrufbar unter: http://ec.europa.eu/archives/ISPO/infosoc/telecompolicy/review99/ com2000-392de.pdf. 125 EuGH ZUM 2009, 547, 551 Rdnr. 48 = MMR 2009, 433 (Ls.). 126 Vgl. Gersdorf, K&R 2009 (Beihefter 1/2009), 1, 12. 127 Verfehlt daher Schulz/Held (o. Fußn. 28), S. 100, die eine Selbstkostenregelung als Entschädigung für die weitergehende Verpflichtung zur unentgeltlichen Überlassung von Übertragungskapazitäten ansehen. Sie verkennen dabei, dass Art. 31 Abs. 1 UDRL nur die Auferlegung von Übertragungspflichten ermöglicht, nicht aber die unentgeltliche Erfüllung dieser Pflichten. Die Entgeltfrage ist ausschließlich in der Vorschrift des Art. 31 Abs. 2 UDRL geregelt, welche die infolge der Auferlegung von Übertragungspflichten entstehenden wirtschaftlichen Belastungen der Netzbetreiber abzufedern und auf diese Weise den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren sucht; vgl. nochmals EuGH ZUM 2009, 547, 551 Rdnr. 48 = MMR 2009, 433 (Ls.). 128 Vgl. unter C. 129 Vgl. unter A. MMR-Beilage 6/2012

II. Steuerungs- und Vollzugsprobleme bei der Implementierung der Vielfaltsvorgaben für den privaten Rundfunk

IV. Grundsätzliche rechtspolitische Einwände gegen eine rundfunkspezifische Anreizregulierung

Seit der Einführung des privaten Rundfunks in den 80er Jahren bereitet die Implementierung der Vielfaltsvorgaben für private Veranstalter Probleme. Die noch in den RStV 1987 und 1991 vorgesehene Möglichkeit eines Modellwechsels zu einem binnenpluralistischen System wurde durch den RStV 1996 fallengelassen. Mit der Systementscheidung zu Gunsten eines außenpluralistischen Ordnungsmodells im RStV 1996 hat der Gesetzgeber die Vielfaltsanforderungen an den einzelnen Rundfunkveranstalter bewusst verringert. Die von Verfassungs wegen gebotene Vielfalt muss seither nicht mehr in dem einzelnen Programm, sondern in der Gesamtheit aller privaten Rundfunkprogramme zum Ausdruck kommen.130

Der Haupteinwand gegen eine anreizorientierte Regulierung des privaten Rundfunks beruht darauf, dass kein wirksamer Anreiz für eine Erhöhung der Informations- und Nachrichtensendungen im privaten Rundfunk gesetzt wird, weil die zur Verwirklichung der Qualitätsstandards erforderlichen Mehrkosten die durch eine Anreizregulierung gewährten Kostenersparnisse bei Weitem überwiegen. Letztlich bliebe in programmlicher Hinsicht „alles beim Alten“, allerdings verbunden einerseits mit einem „Mitnahmeeffekt“ für diejenigen privaten Veranstalter bzw. Senderfamilien, die ohne Anreizregulierung bereits heute in erheblichem Umfang Informations- und Nachrichtensendungen anbieten, und andererseits mit einer Belastung Dritter, insbesondere der Infrastrukturbetreiber, welche die Kosten der Privilegierung zu tragen hätten. Eine solche Anreizregulierung entpuppte sich als eine Form rein symbolischer Regulierung, und zwar einer verfassungswidrigen (Symbol-)Regulierung, weil sie nicht zu einer Steigerung der publizistischen Leistungskraft des privaten Rundfunks führt (symbolische Wirkung), aber gleichzeitig – in verfassungswidriger Weise – eine (anteilige) Überwälzung der Kosten für bereits vorhandene Nachrichten- und Informationssendungen von privaten Veranstaltern auf Netzbetreiber bewirkt.132

III. Erfahrungen aus anderen Regulierungsfeldern: Anreizregulierung im Bereich der Netzwirtschaften Der Anreizregulierung wohnt auch deshalb auf den ersten Blick der Zauber eines innovativen und zeitgemäßen Steuerungsinstruments inne, weil dieser Regulierungsansatz in anderen Regulierungsfeldern wie den Netzwirtschaften seit Jahren mit Erfolg zum Einsatz kommt. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass mit dem Modell der Anreizregulierung in den Bereichen der Netzwirtschaften grundlegend andere Ziele verfolgt werden als mit dem Modell einer rundfunkspezifischen Anreizregulierung. Während in den Sektoren der Netzwirtschaften die Anreizregulierung der Effizienzsteigerung beim Netzbetrieb und der Reduzierung der Zugangsentgelte dient, geht es im rundfunkrechtlichen Zusammenhang nicht um Effizienzaspekte, sondern um Anreize zur Erhöhung der Informations- und Nachrichtenanteile in den privaten Rundfunkprogrammen. Auch besteht keine Parallele unter dem Gesichtspunkt der in beiden Bereichen bestehenden Vollzugsdefizite. Zwar liegt einer der Vorteile der Anreizregulierung in den Netzwirtschaften darin, strukturelle Vollzugsdefizite zu verringern, die bei kostenorientierten Berechnungsmethoden auf Grund der Informationsasymmetrien zwischen reguliertem Unternehmen und Regulierer entstehen. Und i.R.d. Rundfunkregulierung werden entsprechende Programmdefizite privater Anbieter auf Probleme beim Gesetzesvollzug (Vollzugsdefizit) zurückgeführt. Gleichwohl dient eine rundfunkspezifische Anreizregulierung – im Gegensatz zur Anreizregulierung in den Netzwirtschaften – nicht der Verringerung von Vollzugsdefiziten. Vielmehr setzt eine Anreizregulierung hier voraus, dass der Gesetzgeber bzw. die Landesmedienanstalten die Vielfaltsstandards konkretisieren, die private Veranstalter wahren müssen, um in den Genuss von Vergünstigungen zu kommen. Durch eine Anreizregulierung würde das Problem der Konkretisierung und des Vollzugs vielfaltsbezogener Vorgaben für den privaten Rundfunk nicht gelöst. Wenn man diese Schwierigkeiten nun als überwindbar einstuft, stellt sich die Frage, weshalb es zur Qualitätssteigerung im privaten Rundfunk einer Anreizregulierung bedarf. Die Festlegung von Qualitätsstandards durch die Landesmedienanstalten wäre auch ohne Anreizregulierung (zu Lasten der Netzbetreiber) möglich.131

130 131 132 133 134 135 136

Vgl. unter B. Vgl. unter D. Vgl. unter E. vor und bei Fußn. 42. Vgl. unter E. nach Fußn. 43. Vgl. unter E. bei und nach Fußn. 45. Vgl. unter F. I. bei Fußn. 56. Vgl. unter F. I. vor Fußn. 62.

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Eine Anreizregulierung könnte sich als Danaergeschenk für private Veranstalter erweisen. Durch die Verankerung einer Anreizregulierung im Rundfunkrecht bestünde die Gefahr einer Perpetuierung des den Rundfunk kennzeichnenden hohen Regulierungsniveaus, weil dieser Regulierungsstandard als Referenzmaßstab für die Regulierung diente. Denn die i.R.e. Anreizregulierung gewährten Vorteile beruhen auf einem Dispens von dem hohen Regulierungsstandard des Rundfunks. Eine Anreizregulierung perpetuierte das für den Rundfunk bestehende Regulierungsniveau und erschwerte eine – insbesondere aus Sicht des privaten Rundfunks erstrebenswerte oder gar unverzichtbare – Deregulierung des Rundfunks auf dem Regulierungsniveau des bislang nur für Telemedien geltenden Standards.133 Im Übrigen sei darauf verwiesen, dass der private Rundfunk in der Vergangenheit eine Beteiligung an der Rundfunkgebühr unter Hinweis auf die hiermit verbundene Notwendigkeit, die Programmleistungen privater Veranstalter einer steten Kontrolle zu unterziehen, abgelehnt hat. Ein solcher Kontrollbedarf bestünde jedoch auch bei einer Anreizregulierung.134

V. (Verfassungs-)Rechtliche Bewertung einer rundfunkspezifischen Anreizregulierung 1. Vereinbarkeit mit der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Entscheidet sich der Gesetzgeber für ein Modell der Anreizregulierung des privaten Rundfunks, muss er die Programmfreiheit der privaten Veranstalter wahren, die den Kern der grundrechtlichen Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG bildet.135 Es erscheint sub specie des rundfunkspezifischen Gleichheitssatzes (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 11 GRC i.V.m. Art. 20 GRC) problematisch, Split-Screens nicht oder nicht vollständig auf die Dauer der Werbung nach § 45 RStV anzurechnen, während für Spotwerbung diese zeitliche Werbebegrenzung ohne Ausnahme gilt.136 2. Vereinbarkeit mit den Grundrechten der Netzbetreiber aus Art. 14 und 12 GG Die im Zuge einer rundfunkspezifischen Anreizregulierung gesetzlich auferlegten Verpflichtungen der Kabelnetzbetreiber (Must-Carry, Must-Be-Found oder vergünstigte KabeleinspeiGersdorf: Anreizregulierung zu Lasten Dritter? 15

sung) greifen in die Grundrechte der Netzbetreiber aus Art. 14 und 12 GG ein137 und sind nur unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig. Eine rundfunkspezifische Anreizregulierung zielt auf eine Erhöhung der Informations- und Nachrichtenanteile in den privaten Fernsehprogrammen und damit auf die Verwirklichung des objektivrechtlichen Normziels des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.138 Sie muss allerdings auch den weiteren Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entsprechen, d.h. im Hinblick auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der Medienvielfalt geeignet und erforderlich sein und die Grenzen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne wahren.139 Für die verfassungsrechtliche Bewertung einer anreizorientierten Regulierung des privaten Rundfunks ist es erforderlich, die mit der Anreizregulierung verbundenen zusätzlichen Kosten für Programmleistungen einerseits und die hierdurch bewirkten Einspareffekte (Werbelockerungen, Must-Carry, Must-BeFound, vergünstigte Einspeisungskonditionen) andererseits zu ermitteln. Erst auf der Grundlage einer solchen (ökonomischen) Kosten-Nutzen-Analyse lässt sich beurteilen, ob von der in Rede stehenden Anreizregulierung überhaupt Anreize für die Erhöhung der Informations- und Nachrichtenanteile im privaten Rundfunk ausgehen und die Anreizregulierung ein geeignetes Mittel i.S.d. Verhältnismäßigkeitsprinzips ist.140 Die Annahme, von der Einräumung eines Must-Carry-Status für Rundfunkprogramme, die bestimmten Qualitätsstandards genügen, könnte ein Anreiz zur Erhöhung der Informations- und Nachrichtenanteile in privaten Rundfunkprogrammen ausgehen, entbehrt jeder Grundlage. Ein solches Anreizelement ist von vornherein ungeeignet und vermag Eingriffe in die Grundrechte der Netzbetreiber nicht zu rechtfertigen. Denn in der Praxis werden den Must-Carry-Programmen keine vergleichsweise günstigeren Konditionen eingeräumt. Marktüblich ist vielmehr eine Entgeltdifferenzierung, die sich insbesondere an dem Umfang der (begehrten) Übertragungskapazitäten und an der Reichweite der versorgten Wohneinheiten (technische Reichweite) orientiert. Die Höhe der Einspeiseentgelte bestimmt sich in der Praxis nicht nach dem Must- bzw. Non-Must-Carry-Status der einzuspeisenden Programme.141 Darüber hinaus beziehen sich die mit einer Anreizregulierung verbundenen Programmerwartungen realiter auf die reichweitenstarken Programme, deren Einspeisung ohnehin im ökonomischen Interesse der Netzbetreiber liegt und damit faktisch – und zwar unabhängig von der etwaigen Auferlegung gesetzlicher Übertragungspflichten – vorgenommen wird. Zwischen (reichweitenstarken) Rundfunkveranstaltern und Netzbetreibern besteht ein Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit, das es den Netzbetreibern verwehrt, sich unabhängig von der Marktgegenseite und den Kabelkunden zu verhalten, und die deshalb eine (sektorspezifische) tkrechtliche Regulierungsbedürftigkeit entfallen lässt (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 2 TKG). Die reichweitenstarken Programme privater Anbieter wurden in der Vergangenheit und werden auch gegenwärtig in die Kabelnetze – ohne Must-Carry – eingespeist. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich an dieser Sachlage etwas ändern könnte, zumal die Nichteinspeisung der Hauptprogramme privater Anbieter nicht im Interesse der Kabelkunden und damit auch nicht im Interesse der Kabelnetzbetreiber liegt. Auf Grund des – eher zu Lasten der Kabelnetzbetreiber gehenden – Kräfteverhältnisses zwischen den reichweitenstarken Veranstaltern und den Netzbetreibern ist in der Praxis nicht zu erwarten, dass ein Must-Carry für reichweitenstarke private (Informations-)Programme zu einem nennenswerten Entlastungsund damit Anreizeffekt führte. Must-Carry-Vorschriften sind daher nicht geeignet, den privaten Rundfunk zur Produktion von Nachrichten- und Informationssendungen zu veranlassen.142 16 Gersdorf: Anreizregulierung zu Lasten Dritter?

Auch von einer Must-Be-Found-Regulierung von Navigationssystemen gehen keine nennenswerten Impulse für private Veranstalter aus, Investitionen in mehrfacher Millionenhöhe zur Verbesserung ihres Informations- und Nachrichtenangebots vorzunehmen. Zum einen wäre eine solche Regulierung auf Navigatoren begrenzt; EPGs wären nicht einbezogen. Zum anderen besteht bei veranstalterunabhängigen Navigatoren der Netzbetreiber keine besondere Gefahr einer Diskriminierung einzelner Rundfunkveranstalter.143 Eine gesetzliche Verpflichtung der Kabelnetzbetreiber, bestimmte private Rundfunkprogramme unentgeltlich, zu Selbstkostenentgelten oder zu einem regulierten, vergleichsweise niedrigeren Entgelt in die Kabelnetze einzuspeisen, um hierdurch Anreize für die Erhöhung der Informations- und Nachrichtenangebote im privaten Rundfunk zu setzen, wäre verfassungswidrig. Eine solche Anreizregulierung zu Lasten der Kabelnetzbetreiber widerspräche der grundrechtlichen Verantwortlichkeitsteilung zwischen Rundfunkveranstaltern und Netzbetreibern. Kraft der dienenden Funktion des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist es primär Aufgabe des Rundfunks, die mit dem Programmversorgungsauftrag verbundenen Kosten zu übernehmen. Diese aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgende Verantwortlichkeit darf nicht beliebig auf Dritte übergewälzt werden. Die sich aus dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit ergebenden publizistischen und wirtschaftlich relevanten Lasten sind von den Trägern des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, d.h. von den Rundfunkveranstaltern, nicht hingegen von Dritten, wie den Infrastrukturbetreibern, zu tragen. Diese grundrechtliche Verantwortungszuweisung würde auf den Kopf gestellt, wenn die vom privaten Rundfunk zu tragenden wirtschaftlichen Lasten für publizistische Leistungen im Zuge einer Anreizregulierung Netzbetreibern (anteilig) aufgebürdet würden. Eine Anreizregulierung, die Netzbetreibern finanzielle Lasten auferlegt, die nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG private Rundfunkveranstalter zu tragen haben, ist verfassungswidrig.144 Eine Heranziehung der Infrastrukturbetreiber zum Zwecke der Verwirklichung des Normziels des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist nur in engen Grenzen, insbesondere unter strikter Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes zulässig. Eine solche Ausnahmesituation kann allenfalls vorliegen, wenn es dem privaten Rundfunk in seiner Gesamtheit nicht möglich oder nicht zumutbar ist, seinen Programmauftrag ohne Inanspruchnahme Dritter zu erfüllen. Diese Voraussetzungen sind offenkundig nicht erfüllt. Dass der private Rundfunk als solcher zur Erhöhung der Informationsund Nachrichtenanteile in seinen Programmen wirtschaftlich in der Lage ist und dass die hierfür erforderlichen Steuerungs- und Kontrollinstrumente nach Landesrecht zur Verfügung stehen bzw. zur Verfügung gestellt werden können, steht außer Frage.145 Prof. Dr. Hubertus Gersdorf ist Inhaber der Gerd Bucerius-Stiftungsprofessur für Kommunikationsrecht und Öffentliches Recht an der Universität Rostock.

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Vgl. unter F. II. 1. Vgl. unter F. II. 2. Vgl. unter F. II. 2. nach Fußn. 77. Vgl. unter F. II. 2. vor Fußn. 87. Vgl. unter F. II. 2. a). Vgl. unter F. II. 2. a) vor und bei Fußn. 96. Vgl. unter F. II. 2. b). Vgl. unter F. II. 2. c) (1). Vgl. unter F. II. 2. c) (2).

MMR-Beilage 6/2012

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