Rainer Riddering Mit dem Motorrad durch ...

Deutschland würde man sagen „Hans Dampf in allen. Gassen“. Er wird uns beim Zoll helfen, was in Chile nicht so einfach sein soll. Ein wenig Spanisch haben ...
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Rainer Riddering

Mit dem Motorrad durch Südamerika

traveldiary.de Reiseliteratur-Verlag Hamburg

¤ 2009 traveldiary.de Reiseliteratur-Verlag Jens Freyler, Hamburg www.traveldiary.de ISBN 978-3-937274-53-9 Herstellung: Books on Demand GmbH Der Inhalt wurde sorgfältig recherchiert, ist jedoch teilweise der Subjektivität unterworfen und bleibt ohne Gewähr für Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Bei Interesse an Zusatzinformationen, Lesungen o.ä. nehmen Sie gerne Kontakt zu uns auf

Vorwort Der Traum, einmal mit dem Motorrad durch Südamerika zu fahren, ist schon alt. Aber Beruf, Verpflichtungen, das Leben selbst und natürlich auch die Kosten haben diesen Plan immer wieder verschoben. Hinzu kam, dass meine Frau Rita nur Soziusfahrerin war – übrigens eine sehr gute. So sind wir gemeinsam etwa 70 – 80.000 Kilometer kreuz und quer durch Europa gefahren. Aber für eine zweimonatige Reise durch Südamerika braucht man mehr Platz für die Ausrüstung. Und auf einsamen Strecken und Schotterpisten abseits der Zivilisation ist das „Alleinfahren“ absolut von Vorteil, ja fast ein Muss. Also machte Rita mit 41 Jahren mal schnell den Führerschein und wir legten uns eine zweite Maschine zu. Freunde von uns, Angela, 48 Jahre, Arzthelferin, und Dieter, 54 Jahre, Betriebsschlosser, waren von der Idee begeistert und schlossen sich diesem Vorhaben an. Auch sie hatten erst kürzlich den Motorradführerschein gemacht und waren noch recht unerfahren. „Du bist doch total verrückt, mit drei Frischlingen eine solche Tour zu unternehmen“, hörte ich von all meinen Motorradfreunden. Die Vorwürfe waren absolut berechtigt – aber ich war mir sicher, dass wir es schaffen werden! Nachdem die wichtigste Hürde überhaupt, die Klärung mit unseren Arbeitgebern, acht Wochen am Stück Urlaub machen zu können, genommen war, konnte die Planung beginnen. Kein Ausflug in die Eifel, nein, ein richtiges Abenteuer. In einem Jahr sollte es losgehen…

Inhalt

Ankunft in Chile

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An der Ostflanke der Anden durch Argentinien

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Argentinien, entlang am Andenkamm

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Lagunen und Salare in Südbolivien

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Peru

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Rückfahrt durch Chile

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Im Nachhinein

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Ankunft in Chile Aus der Ferne höre ich Stimmen, langsam werde ich aus meinen Traum geholt, monotones Rauschen, der Geruch von frischem Kaffee. Ich öffne die Augen. Wo bin ich? Rita schaut mich an. „Guten Morgen!“ Mein Blick erfasst den Raum. Ich sitze im Flugzeug, bin auf dem Weg nach Südamerika. Mein Gott, war ich weit weg gewesen. Die Schlaftabletten, die Angela uns nach dem Abendessen gegeben hat, dazu einige Becher Rotwein, haben uns schnell ins Land der Träume geschickt. Hastig schiebe ich die Blende vor meinem Fenster nach oben. Die Sonne beißt in den Augen. Blinzelnd schaue ich hinaus – unter uns die Andenkette. Schneebedeckte Gipfel soweit das Auge reicht. Ein traumhafter Anblick. Schon wieder werde ich, diesmal aus meinem Tagtraum gerissen. Die freundliche Stimme der Stewardess von Lan Chile fragt nach Kaffee oder Tee, der Service ist perfekt. Auch das Abendessen war super. Ganz im Gegensatz zur Iberia, mit der wir die ersten 3 Stunden von Düsseldorf nach Madrid geflogen sind. Selbst für ein Glas Wasser musste man bezahlen – einfach peinlich! Mit dem Frühstück müssen wir uns schon fast beeilen. Es ist schon 8:30 Uhr und in 1½ Stunden werden wir nach insgesamt 17 Stunden Flug hoffentlich pünktlich in Santiago de Chile landen. Es ist sehr wichtig für uns, pünktlich zu sein, denn uns bleiben nur zwei Stunden Zeit, um die Zollformalitäten für unsere Motorräder zu erledigen. Um 12:00 Uhr gehen die Zollbeamten ins Wochenende und sind vor Montag 10:00 Uhr nicht mehr zu erreichen. Das würde uns zwei Tage kosten. Der Haken an der Sache? Dass wir erst einmal in das 100 Kilometer entfernte Valparaiso müssen, denn dort, im größten Hafens 5

Chiles, sind unsere Bikes nach 4 Wochen Seereise angekommen. Per Internet haben wir von zu Hause aus unsere erste Unterkunft in Valparaiso gebucht. Rita ist bei ihren Recherchen durch Zufall darauf gestoßen. Die Villa Kunterbunt, Martina die Wirtin, ursprünglich aus Köln, ist vor Jahren ausgewandert und mit Enzo, einem echten Chilenen, verheiratet. Enzo ist ein total toller Typ. In Deutschland würde man sagen „Hans Dampf in allen Gassen“. Er wird uns beim Zoll helfen, was in Chile nicht so einfach sein soll. Ein wenig Spanisch haben wir noch per Abendkurs gelernt, aber für die Behörden würde es nicht reichen. Ich denke, bei Enzos Charme werden die Zollbeamtinnen dahin schmelzen. Auch einen Fahrer hat er organisiert, der uns am Flughafen abholen soll. So ist alles geplant – aber ob es auch klappt? Ich schaue wieder aus dem Fenster und genieße diesen einzigartigen Anblick der Anden, die zu den größten Gebirgsketten dieser Welt zählen. Zwischen den Gipfeln sehe ich in meine Werkstatt und wir schrauben an den Motorrädern. Langsam gehen meine Gedanken zurück zu der Zeit, als wir diese Reise planten. Das war vor einem Jahr gewesen. Was musste nicht alles erledigt, erfragt, genehmigt und geklärt werden, Motorräder leasen oder unsere Eigenen mitnehmen, Luft- oder Seefracht, wie sollte unser Ausrüstung aussehen, was ist wichtig und was braucht man nicht, welche Papiere sind erforderlich und nicht zuletzt die Reiseroute. Was wollen wir sehen, welche Strecken dürfen und können wir fahren und was muss sonst noch alles beachtet werden. Keine leichte Aufgabe für einen Kontinent, der so anders ist als Europa. Hinzu kam natürlich das geringe Platzangebot. Alles, was wir und unsere 6

Motorräder in acht Wochen brauchen, musste in acht Alukisten und vier Packrollen verstaut werden. Ein Auszug aus unserer Packliste verrät, was alles mit musste. Zum Beispiel zwei Kocher, einen für Gas und einen für Benzin (ab gewissen Höhen funktioniert der Gaskocher wegen der dünnen Luft nicht mehr zuverlässig), Zelte, Thermomatten, Planen, Schlafsäcke, Medikamente, Taschenlampen, Beil, Säge, Werkzeug, Ersatzteile, Kameraausrüstung und tausend weitere Kleinigkeiten von der Nagelschere bis zum Kabelbinder. Nicht zu vergessen die persönlichen Sachen, Toilettenartikel, Kleidung, sowohl für warme als auch für kalte Tage. Jetzt ist es zwar Sommer in Südamerika, aber bei Höhen ab 4.000 Metern kann es extrem kalt werden und wir fahren hoch, sehr hoch. Wie heißt der alte Traveller-Spruch? „Wer nicht acht Wochen mit zwei T-Shirts und drei Unterhosen auskommt, fahre lieber all inklusive nach Mallorca.“ Hinzu kamen sechs Ersatzreifen, sechs Benzinkanister und meine Kühlbox. Ja, die Kühlbox. Diese führte schon zu einigem Spott bei unseren Motorradfreunden. Ich bin wahrscheinlich der erste Südamerika-Fahrer mit einer Kühlbox auf dem Motorrad. Ganz schön aus der Spur! Auch die Bikes mussten vorbereitet und modifiziert werden, um diese Aufgabe zu bewältigen. Da Rita, Angela und Dieter bereits allesamt auf BMW F650 unterwegs waren, kaufte ich mir eigens für diese Reise ebenfalls eine gebrauchte F650 und ließ meine Boxer-GS im Stall stehen. Gleiche Motorräder haben den Vorteil, dass wir weniger Ersatzteile mitnehmen mussten und ich diese Einzylinder sehr gut kenne und im Ernstfall fast alle Reparaturen erledigen kann. Ein wichtiger Aspekt, denn so weit fliegen die gelben Engel ja auch wieder nicht. Wir rüsteten die Motorräder – auch aus Kostengründen – mit

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selbstgebauten Sturzbügeln, Kofferträgern, Motor- und Kühlerschutz und Benzinkanisterhalterungen aus. Dieters Maschine bekam ebenso wie meine einen größeren Tank, Fahrwerkverbesserung und eine große Inspektion rundeten die Sache ab. Selbstverständlich wurden auch Stollenreifen aufgezogen. Zwar durften wir jetzt nicht mehr im deutschen Straßenverkehr fahren, aber waren bestens für die geplante Reise präpariert. Aber nicht nur die Motorräder wurden verbessert, auch wir arbeiteten an unserer Kondition und auch der Genuss von Tabak fiel der Vorbereitung zum Opfer. Impfungen ohne Ende und Spanisch lernen standen auf dem Programm. Es war eine Menge Arbeit, aber es hat richtig Spaß gemacht und jedes Mal, wenn wir eine Sache auf unserer Organisationsliste streichen konnten, kamen wir unserem Ziel ein Stück näher. Nachdem die Motorräder und die gesamte Ausrüstung in vier Metallkisten – denn Holz darf nicht einfach so nach Chile eingeführt werden – verpackt waren, fuhren wir Anfang Oktober mit einem gemieteten Lkw nach Bremerhafen und schickten unsere Maschinen auf die Reise. Rasch fuhr ein Gabelstapler die Kisten in einen bereitstehenden Container mit Zielhafen Valparaiso/Chile. Der volle Container wurde dann per Lkw nach Hamburg gefahren und auf der „Humboldt Express“, einem riesigen Containerschiff, verstaut. Ein tolles Gefühl! Jetzt heißt es nur noch warten – vier lange Wochen. Nur mit ein wenig Handgepäck, dünner Treckinghose, TShirt, Fleece und Trekkinglatschen stehen wir vier am Schalter des Düsseldorfer Flughafens und werden von den anderen Fluggästen kritisch gemustert. „Draußen sind es 2 Grad minus und die laufen rum wie im Hochsommer.“ 8

Woher sollten sie auch wissen, dass wir für Wintersachen bei unserer Ankunft in Chile keinen Platz haben. Jeder Zentimeter auf unseren Bikes ist verplant und in Südamerika fängt jetzt der Sommer an. Die letzten Worte mit Freunden, die uns verabschieden, als unser Flug aufgerufen wird. Es wird wohl eines der größten Abenteuer in unserem Leben werden. Ding dong! „Bitte Anschnallen und den Tisch hochklappen“, höre ich aus dem Bordlautsprecher. Landeanflug. Ein letzter Blick hinaus auf die Riesen in Weiß, die wir zweimal mit dem Motorrad überqueren wollen. Nach sanfter Landung und auf die Minute pünktlich sind wir in Santiago de Chile. Zügig erfolgen die Passformalitäten und schon sehen wir ein Schild in der Menschenmenge: „Senior Riddering“. Unser Fahrer – super Enzo, das hat schon mal geklappt. Dann mal los oder besser „Vamos, vamos!“ Der Fahrer, ein älterer Chilene, zeigt was er kann und geht mit dem recht altersschwachen Gefährt sehr zügig um. War die Ampel nicht rot? Hat der hier Vorfahrt? Welche Anweisung hat Enzo ihm gegeben? Uns schnell zur Zollstation zu bringen oder uns schon im Vorfeld umzubringen? Die Landschaft zieht vorbei, chilenische Landschaft, aber ich nehme sie nicht so richtig wahr. Die Zeit läuft, wir sind wie aufgezogen, der lange Flug, die Zeitverschiebung, die tickende Uhr des Zolls. Die Anspannung wächst von Kilometer zu Kilometer. Nach einer Stunde und vier Minuten halten wir mit quietschenden Reifen vorm Zollgebäude in Valpo. Nicht 9

schlecht, 100 Kilometer inklusive Stadtverkehr in dieser Zeit. Genauso habe ich mir Enzo vorgestellt, der Typ, der dort aus dem Gebäude eilt, uns kurz im lustig gesprochen Deutsch begrüßt, um uns sofort mit ins Zollgebäude zu schleifen, um unzählige Papiere zu unterschreiben. Stempel, Kopien, Unterschrift, lautstarkes Verhandeln, Pass, Bill of Lading, Stempel, Kopien, Unterschrift und vieles mehr. Drei Minuten vor 12 Uhr haben wir alle erforderlichen Papiere, um die Kisten aus dem Hafen zu holen. Klasse Enzo oder besser gesagt „perfecto“, wir sind ja jetzt in Chile. Die Anspannung legt sich ein wenig, ein wichtiger Punkt ist erledigt. Mit einem kleinen Bus, der irgendwann auch mal Stoßdämpfer hatte, fahren wir zur Villa Kunterbunt. Die Straßen sind echt der Hit. Schlaglöcher in der Größe von Fußbällen sind keine Seltenheit. Erst jetzt ist mein Kopf aufnahmebereit für dieses Verkehrschaos. Unzählige dieser Kleinbusse aller Fabrikate und Ausstattung bestimmen das Stadtbild. Jeder fährt wie er will. Fahrbahnmarkierungen fehlen ganz oder werden nicht beachtet. Schilder und Ampeln hängen irgendwo, nicht nach DIN angeordnet, wie unser geübtes deutsches Autofahrerauge das gewohnt ist. Wir werden uns ganz schön umstellen müssen! Willkommen in der Villa Kunterbunt. Es ist nicht nur der Name. Pippi Langstrumpf ist groß auf das Eingangstor gemalt. Martina begrüßt uns freundlich, fast wie alte Freunde und freut sich auf die vorher bei uns bestellten und nun mitgebrachten Sachen aus Good Old Germany. Backaromen, OBs, italienische Gewürze, Schokolade, Lakritze, Rollmöpse in Gläsern, Kaffee und vieles mehr bringen ihre Augen zum Glänzen. Ja auch Kaffee, kaum

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zu glauben, aber Kaffee ist in Chile sehr teuer und nicht so gut wie bei uns. Eigenartig, aber so ist es. Die Villa Kunterbunt macht ihrem Namen alle Ehre. Wie bei Astrid Lindgren aus Holz gebaut, ist sie so um die 100 Jahre alt und nach deutschem Maßstab reif für die Abrissbirne. Abgefallene Schlagladen, verfaulte Außenbretter, notdürftig geflickte Balkongeländer, hier und da ein Stück der ehemaligen Dachrinne, viele Farbtöne usw. Besser gesagt – sanierungsbedürftig. Sie steht im krassen Gegensatz zu den aus der gleichen Epoche vollsanierten Nachbargebäuden. Pippi, hier musst du etwas tun. Innen gemütlich, wenn auch teilweise mit Kitsch ohne Gnade zugestellt, aber sauber. Alles für uns ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber die Gastfreundschaft und die ehrliche Herzlichkeit, mit der wir aufgenommen werden, wiegt alles auf und lässt alles andere einfach unwichtig erscheinen. Vorab bemerkt, wenn wir nach acht Wochen hierher zurückkehren werden, wird es uns sein, als kommen wir nach Hause. Jetzt, vor dem eigentlichen Beginn unserer Tour, sitzen wir im verwahrlosten Garten auf einer ausgebauten Rücksitzbank eines 53er Chevy, von einer hohen Mauer umgeben, die wohl vor Jahren schon große Teile ihres Putzes verloren hat, und trinken unter einer verschlissenen Markise ein herrlich kühles Bier bei 28° im Schatten. Geschafft! Wir sind in Südamerika! Morgen werden wir früh am Hafen die Kisten aus dem Zoll holen, die Bikes zusammen schrauben, unsere Ausrüstung komplettieren, die Kisten im Hof der Villa verstauen (wenn wir ein freies Plätzchen finden), tanken und die erste Etappe unserer Reise durchsprechen, bevor wir früh schlafen gehen, wenn das vor lauter Aufregung überhaupt geht.

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