Produktivität deverbaler Substantive auf –(er)ei: Quantitative ...

denen Affixen nachweisen, sondern auch bei WBT, die mit demselben Affix ver- bunden sind. So gilt der Untersuchungsgegenstand des vorliegenden Beitrags ...
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Andrea Hahnfeld

Produktivität deverbaler Substantive auf –(er)ei Quantitative Untersuchung in einem diachronischen Zeitungstext-Korpus

disserta Verlag

Hahnfeld, Andrea: Produktivität deverbaler Substantive auf –(er)ei. Quantitative Untersuchung in einem diachronischen Zeitungstext-Korpus, Hamburg, disserta Verlag, 2015 Buch-ISBN: 978-3-95425-960-1 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95425-961-8 Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2015 Covermotiv: © laurine45 – Fotolia.com

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Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis

6

Tabellenverzeichnis

8

1 Einleitung 9 1.1 Motivation & Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.2

Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2 Zum Suffix -(er)ei

14

2.1

Herkunft und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.2

Phonologische Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2.3

Bedeutungsgruppen von -(er)ei-Bildungen . . . . . . . . . . . . . . 19 2.3.1 Vorgangsbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.3.2 2.3.3

Ortsbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Resultatsbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

2.3.4 2.3.5

Kollektivbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Distributionelle Tests bei Zweifelsfällen . . . . . . . . . . . . 37

2.4

Exkurs: Konkurrierende Wortbildungstypen . . . . . . . . . . . . . 42 2.4.1 Das Zirkumfix Ge- (-e) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2.4.2 Das Suffix -ung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

2.5

Zusammenfassung: das Suffix -(er)ei . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

3 Zur Korpuserstellung & Belegerhebung 3.1

3.2

48

Korpusdesign-Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.1.1 Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.1.2 Repräsentativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Umsetzung der Korpusdesign-Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . 51

3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.4

Umfang des Untersuchungskorpus . . . . . Grundgesamtheit des Untersuchungskorpus Angewendetes Auswahlverfahren . . . . . Korpustyp des Untersuchungskorpus . . .

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Erhebung der Belege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Zusammenfassung: Korpuserstellung und Belegerhebung . . . . . . 57

4 Zur Produktivität 4.1

51 51 53 53

59

Messmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4.1.1 Produktivitätsberechnung nach Baayen . . . . . . . . . . . . 61

4.2

4.1.2 Frequenz der Neologismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Kriterien für die Produktivitätsberechnung . . . . . . . . . . . . . . 64

4.3

4.2.1 Wortbildungstypen von -(er)ei . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.2.2 Morphologische Domäne von Vorgangsbezeichnungen (WBT1 ) 65 Einflussfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 4.3.1 4.3.2

4.4

Blockierung (blocking) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Stilistische Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

Zusammenfassung: Produktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

5 Zur Analyse 69 5.1 Zeitabschnitt I (1800 – 1850) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 5.2 5.3

Zeitabschnitt II (1851 – 1900) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Zeitabschnitt III (1901 – 1950) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

5.4 5.5

Zeitabschnitt IV (1951 – 2000) . . . . . . . . . . Diachronische Auswertung der Produktivitäten Detailanalyse des Wortbildungstyps -(er)ei1 . . . 5.6.1 Zeitabschnitt I . . . . . . . . . . . . . .

5.6

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77 81 82 90

5.6.2 5.6.3

Zeitabschnitt II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Zeitabschnitt III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

5.6.4 5.6.5

Zeitabschnitt IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Diachronischer Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

97

Quellenverzeichnis

99

Literaturverzeichnis

101

A Wortliste & Belegstellen A.1 Zeitabschnitt I (1800 – 1850) . . . . . . . A.1.1 Vorgangsbezeichnungen (WBT1 ) . A.1.2 Ortsbezeichnungen (WBT2 ) . . . A.1.3 Resultatsbezeichnungen (WBT3 ) A.1.4 Kollektivbezeichnungen (WBT4 ) . A.1.5 Unklare Wortbildungen . . . . . . A.2 Zeitabschnitt II (1851 – 1900) . . . . . . A.2.1 Vorgangsbezeichnungen (WBT1 ) . A.2.2 Ortsbezeichnungen (WBT2 ) . . . A.2.3 Resultatsbezeichnungen (WBT3 ) A.2.4 Kollektivbezeichnungen (WBT4 ) . A.2.5 Unklare Wortbildungen . . . . . .

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106 . 106 . 106 . 111 . 114 . 115 . 117 . 118 . 118 . 124 . 130 . 131 . 134

A.3 Zeitabschnitt III (1901 – 1950) . . . . . . A.3.1 Vorgangsbezeichnungen (WBT1 ) . A.3.2 Ortsbezeichnungen (WBT2 ) . . . A.3.3 Resultatsbezeichnungen (WBT3 ) A.3.4 Kollektivbezeichnungen (WBT4 ) .

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135 135 139 143 144

A.3.5 Unklare Wortbildungen . . . . . . A.4 Zeitabschnitt IV (1951 – 2000) . . . . . . A.4.1 Vorgangsbezeichnungen (WBT1 ) . A.4.2 Ortsbezeichnungen (WBT2 ) . . . A.4.3 Resultatsbezeichnungen (WBT3 ) A.4.4 Kollektivbezeichnungen (WBT4 ) . A.4.5 Unklare Wortbildungen . . . . . .

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145 146 146 173 194 198 202

204 B Kategorisierung der WBT1 -Basiswörter B.1 Zeitabschnitt I (1800 – 1850) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 B.1.1 BV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 B.1.2 BS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

B.2 Zeitabschnitt II (1851 – 1900) B.2.1 BV . . . . . . . . . . . B.2.2 BS . . . . . . . . . . . B.3 Zeitabschnitt III (1901 – 1950)

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209 209 213 215

B.3.1 BV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 B.3.2 BS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 B.4 Zeitabschnitt IV (1951 – 2000) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 B.4.1 BV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 B.4.2 BS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

Abbildungsverzeichnis 1

Prozentualer Anteil der WBT an der Gesamtzahl der -(er)ei-Bildungen

2

(nach Wellmann 1975) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Verteilung der Basiswortklassen bei Vorgangsbezeichnungen (nach Wellmann 1975) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

3 4

E-Struktur von Zuständen (nach Rapp 1997) . . . . . . . . . . . . . 25 E-Struktur von Tätigkeiten (nach Rapp 1997) . . . . . . . . . . . . 26

5 6

E-Struktur von Zustandswechsel und Prozessen (nach Rapp 1997) . 27 Zeitintervallstruktur von Tätigkeiten und Zuständen (nach Lohn-

7

stein 1996) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Zeitintervallstruktur von Prozessen und Zustandswechseln (nach Lohn-

8

stein 1996) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Zeitintervallstruktur von habituellen Zuständen (nach Lohnstein 1996) 31

9 10

Prozentuale Verteilung der Basiswörter von Ortsbezeichnungen (nach Wellmann 1975) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Prozentuale Verteilung der Basiswortklassen bei -(er)ei3 (nach Wellmann 1975) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

11 12

Textsuche im Korpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Wortbildungsprozess bei -(er)ei-Derivaten im Erstglied . . . . . . . 55

13 14

Wortbildungsprozess bei -(er)ei-Derivaten im Zweitglied . . . . . . 55 Exportoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

15

Produktivität der Wortbildungstypen in ZA I . . . . . . . . . . . . 71

16 17

Produktivität der Wortbildungstypen in ZA II . . . . . . . . . . . . 74 Produktivität der Wortbildungstypen in ZA III . . . . . . . . . . . 76

18

Produktivität der Wortbildungstypen in ZA IV . . . . . . . . . . . 79

6

19 20 20 21 22

Anzahl von Tokens und -(er)ei-Bildungen im Korpus . . . . . . . Produktivitätsentwicklung der vier Wortbildungstypen . . . . . . Produktivitätsentwicklung der vier Wortbildungstypen . . . . . . Anzahl der deverbalen und denominalen WBT1 -Hapaxe im Untersuchungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Produktivität der Wortklassen als Basis von -(er)ei1 -Ableitungen .

7

. 83 . 84 . 85 . 87 . 88

Tabellenverzeichnis 1

Semantische Struktur der Verbklassen (nach Rapp 1997) . . . . . . 25

2

Verteilung der charakteristischen Merkmale der -(er)ei-Wortbildungstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Semantische Muster und WBT, durch die sie realisiert werden (nach

3

Motsch 2004) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4

Statistische Daten des erstellten Korpus

5

Produktivitätsanalyse ZA I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

6 7 8

Produktivitätsanalyse ZA II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Produktivitätsanalyse ZA III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Produktivitätsanalyse ZA IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

9 10

Übersicht WBT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Anzahl und Produktivität der Basiswort-Sorten des WBT1 . . . . . 86

8

. . . . . . . . . . . . . . . 53

1 Einleitung Arbeiten, die sich wie die vorliegende mit Produktivität beschäftigen, behandeln in erster Linie den Zusammenhang zwischen Frequenz von Wörtern, die mit bestimmten Wortbildungstypen gebildet wurden, und Produktivität dieser Wortbildungstypen (WBT). Produktivität wird dabei als die – diachronisch nachweisbare – Eigenschaft von WBT verstanden, Neubildungen hervorzubringen (vgl. Kiesewetter 1991). Diese Eigenschaft ist graduell und wird mit den Kategorien unproduktiv, schwach produktiv, produktiv sowie hochproduktiv beschrieben1 . So gibt es Wortbildungstypen, die gegenwartssprachlich unproduktiv sind (1a) und andere (1d), mit denen scheinbar unendlich viele neue Wörter gebildet werden können (vgl. Fleischer et al. 1995). (1)

a. unproduktiv: [[X]V -t]N fahren – Fahrt, nähen – Naht, schlagen – Schlacht b. schwach produktiv: [[X]N -tum]N Piratentum, Judentum, Schriftstellertum, Brauchtum c. produktiv: [[X]V -bar]ADJ trinkbar, drehbar, entschuldbar d. hochproduktiv: [[X]V -er]N Dreher, Finder, Langschläfer, Stotterer

Produktivitätsunterschiede lassen sich jedoch nicht nur bei WBT mit verschiedenen Affixen nachweisen, sondern auch bei WBT, die mit demselben Affix verbunden sind. So gilt der Untersuchungsgegenstand des vorliegenden Beitrags – das Suffix -(er)ei – in der Literatur als unterschiedlich stark produktiv. Mit dem Suffix sind nach Motsch (2004) – wie in (2) dargestellt – vier Wortbildungstypen verbunden. Darunter gelten die Vorgangsbezeichnungen (2a) gemeinhin als hoch1

Alternativ werden auch die Kategorien inaktiv, schwach aktiv, aktiv bzw. stark aktiv verwendet.

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produktiv, Ortsbezeichnungen (2b) als produktiv, Gegenstands- und Kollektivbezeichnungen (2c-d) als schwach- bzw. unproduktiv. (2)

a. Vorgänge: Blödelei, Hopserei; Gaunerei, Geckerei b. Orte: Brauerei, Druckerei; Gärtnerei, Konditorei; Käserei, Ziegelei c. Gegenstände/Resultate: Kritzelei, Näscherei; Rüpelei, Lumperei d. Kollektiva: Aktei, Kartei, Kumpanei

Hinter der Beobachtung der variierenden Produktivität stehen viele spannende, teilweise in der Wissenschaft bisher ungeklärte Fragen. Beispielsweise: Woher wissen Sprecher bzw. Sprecherinnen2 eigentlich, ob man mit einem WBT zurzeit neue Wörter bilden kann oder nicht? Und was führt dazu, dass manche Affixe produktiver sind als andere? Liegt es daran, dass einige Affixe eine klarere Bedeutung haben als andere, semantisch transparenter sind (un-sicher vs. ob-siegen)? Oder sind produktivere Affixe deshalb produktiver, weil sie das Basiswort in seiner Lautstruktur nicht verändern, sie phonologisch transparenter sind (Realisier-ung vs. Realis-ation)? Oder ist die höhere Produktivität einfach damit zu begründen, dass bestimmte WBT an mehr Wörter angeschlossen werden können, sie eine größere Anwendungsdomäne haben? Fragen, zu deren Klärung diese Arbeit zwar nicht beitragen kann, die jedoch einen Eindruck vermitteln, wie relevant das Thema Produktivität auf vielen Ebenen der Linguistik ist.

1.1 Motivation & Zielsetzung In der Sprachwissenschaft wurde bereits häufiger festgestellt, dass diachronisch ausgerichtete Arbeiten zur Wortbildung – trotz der sich seit den 1980er Jahren tendenziell verstärkenden Wiederbesinnung auf wortbildungshistorische Fragen – selten geblieben sind (vgl. Kiesewetter 1991). Immer öfter wird der Wunsch nach aktuellen Untersuchungen zur historisch orientierten Wortbildungsforschung geäu2

Zur Vereinfachung der Darstellung wird im Weiteren nur noch die weibliche Form verwendet; in jedem Fall ist dabei jedoch implizit auch die entsprechende männliche Person mitgemeint.

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ßert – nach Arbeiten, in die neu gewonnene linguistische Erkenntnisse einfließen können, die helfen, Einsichten in die sprachliche Entwicklung zu vertiefen und die Funktionsweise des Wortbildungssystems besser zu verstehen. Kiesewetter (1991) weist darauf hin, dass in der Linguistik ein Bedarf an Studien besteht, die sich mit Fragen der Wortbildung in Bezug zum Sprachwandel beschäftigen. Eine Methode Sprachwandel nachzuweisen ist, sich mit Veränderungen der Produktivität auseinanderzusetzen. Somit sind historisch angelegte Untersuchungen zur Wortbildung – gerade wenn sie Frequenz und Produktivität einzelner Wortbildungstypen thematisieren – von besonderem Interesse für die moderne Sprachwissenschaft. Die vorliegende Arbeit will diesem vielfachen Wunsch nach aktuellen Studien nachkommen und zur historischen Wortbildungsforschung beitragen. Gegenstand dieser Untersuchung sind alle Wörter mit der Struktur [[BW ]V /N + −(er)ei]N – im Speziellen die Vorgangsbezeichnungen auf -(er)ei, wie z. B. Stellenjagerei, Bastelei, Kuppelei. Das Suffix und seine Ableitungen sind in der Forschungsliteratur bereits von Motsch (2004), Fleischer/Barz/Schröder (1995), Wellmann (1975) und Kurth (1953) behandelt worden. Bis auf Wellmanns und Kurths Untersuchungen sind die vorliegenden Darstellungen aber eher kurz und reichen in ihrem Anspruch über einen systematischen Überblick über die mit -(er)ei verbundenen Wortbildungstypen nicht hinaus. Einzig Wellmanns Arbeit ist dem vorliegenden Beitrag vergleichbar. Sie ist korpusbasiert, lässt Rückschlüsse auf die Produktivität der einzelnen Wortbildungstypen zu und weist – durch Vergleichsbefunde mit Adelung3 – in begrenztem Maße eine historische Bezugnahme auf. Das Korpus, das Wellmanns Studie zugrunde liegt, enthält jedoch vornehmlich Texte aus den 1940-60er Jahren. Vereinzelt sind zwar Texte zu finden, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts veröffentlicht wurden. Dennoch ist Wellmanns Korpus – im Gegensatz zu dem für diese Arbeit zusammengetragenen – als synchronisches anzusehen. Neben der Ausrichtung des Korpus besteht ein weiterer deutlicher Unterschied zu Wellmanns Studie: Die Produktivitätsbestimmung der -(er)ei-Wortbildungstypen, die im Rahmen dieser Untersuchung vorgenommen wird, beruht nicht allein auf Auszählung der belegten Ableitungen. Sie berücksichtigt darüber hinaus auch die in den Arbeiten von Hay/Baayen (2002), Baayen (1993, 1992) sowie Baayen/Lieber (1991) formulier3

Adelung, J. CH. (1782). Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen. 3 Bde. Leipzig (siehe Wellmann 1975: 476).

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ten Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Frequenz und Produktivität. Trotz dieser Unterschiede sind Wellmanns Ergebnisse für diese Untersuchung von besonderem Interesse, da sie teilweise zu direkten Vergleichen herangezogen werden können. Ziel der Arbeit ist es, anhand eines diachronisch angelegten Zeitungstext-Korpus, das in synchronische Perioden eingeteilt worden ist, zu untersuchen, ob sich seit 1800 eventuell Veränderungen in der Produktivität nachweisen lassen: (i) allgemein für alle Wortbildungstypen des Suffixes und (ii) im Besonderen für die Vorgangsbezeichnungen auf -(er)ei, bei denen zusätzlich überprüft werden soll, ob gefundene Veränderungen in Zusammenhang mit der Anwendungsdomäne stehen. Eine solche Produktivitätsuntersuchung der -(er)ei-Nominalisierungen ist nicht nur als wortbildungshistorische Dokumentation von Interesse. Mit ihrer Hilfe könnten auch Prognosen darüber angestellt werden, wie das Potenzial der -(er)ei-Wortbildungstypen in Zukunft einzuschätzen ist.

1.2 Aufbau der Arbeit In Kapitel 2 werden das Suffix -(er)ei und seine Wortbildungstypen ausführlich dargestellt. Diese Einführung reicht von den Ursprüngen des Suffixes über die phonologische Form hin zu den Wortbildungstypen. Neben der detaillierten Beschreibung wird hier vor allem die theoretische Grundlage für die angestrebte Korpusanalyse geschaffen. Es werden (i) die Einteilung der WBT nach der Systematik von Motsch (2004) vorgestellt und begründet, (ii) distributionelle Tests zur Unterscheidung der vier WBT definiert und erläutert sowie (iii) mit der Beschreibung der semantischen Klassifizierung der Verben nach Rapp (1997) und Vendler (1957) die nähere Analyse der Anwendungsdomäne der Vorgangsbezeichnungen vorbereitet. Das Kapitel schließt mit einem kleinen Exkurs über Wortbildungstypen, die mit dem WBT -(er)ei1 konkurrieren bzw. in einem komplementären Verhältnis zu ihm stehen. Im dritten Kapitel wird nach einer kleinen Einführung in die Korpustheorie die Methode der Korpuserstellung und Belegerhebung dargestellt. Kapitel 4 ist ganz der Produktivität gewidmet. Die theoretischen Ansätze in der Produktivitätsforschung werden kurz angerissen und die Vorgehensweise zur Pro-

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duktivitätsbestimmung erläutert. Abschließend werde ich kurz auf zwei Faktoren eingehen, die sich auf die Produktivität von WBT auswirken können: Blockierung und stilistische Einschränkungen. Den Hauptteil der Arbeit bildet Kapitel 5. Dort werden die erhobenen Belege nach den zuvor festgelegten Kriterien und Vorgehensweisen zuerst in vier synchronischen Schnitten analysiert. Anschließend werden die Befunde in den diachronischen Kontext gesetzt und ausführlich diskutiert. Diese synchronisch-diachronische Untersuchung erfolgt (i) allgemein für die vier Wortbildungstypen und (ii) ausführlich in Bezug auf die Anwendungsdomäne der Vorgangsbezeichnungen auf -(er)ei. Die Untersuchung schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse im sechsten Kapitel.

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